Der Glasgarten von Gadreel_Coco ================================================================================ Kapitel 153: Firan und der weiße König -------------------------------------- Firan und der weiße König o Er war zu spät, viel zu spät, rasten seine Gedanken immerfort und eilten seinen Schritten überhastet voraus. Wie das Kaninchen in Alice im Wunderland kam er sich vor. Manchmal fühlte er sich auch wie Alice selbst, in einer bizarren Märchenwelt in der es galt immer weiter zu laufen. Nur war Alice aus ihrem Albtraum aufgewacht und er selbst konnte darauf nicht mehr hoffen. Er ging zügigen Schrittes den Korridor entlang und war froh dort niemandem zu begegnen. Kein Ordensmitglied war in Sicht. Es war still. Der Aufzug kam in Sichtweite und Firan kramte überhastet sein Pad hervor, es glitt ihm aus den feuchten Fingern und landete auf dem Boden. Seit den Geschehnissen mit seinem Herrn in dessen Räumlichkeiten war er derart nervös und unkonzentriert, dass er kaum seine Gedanken beisammen halten konnte. Noch immer gaukelte ihm sein Gehirn vor das Blut in seinem Mund zu schmecken, obwohl er wusste, dass es nur Einbildung sein konnte. Angst, die er sonst gut unter Kontrolle bekommen hatte flackerte nun stets im Hintergrund. Sie verschwand nicht wie sonst wie von Zauberhand, dieses Mal blieb sie und krabbelte unter seiner Haut, machte ihn hypernervös und unaufmerksam. Das Pad schlidderte weiter über den Boden und wurde von der Wand im Flur gebremst. Firan eilte dem Teil hinterher, bückte sich, wollte es aufheben wurde jedoch mit einer anderen Person konfrontiert die ebenfalls ihre Hand danach ausstreckte. Hastig sah er auf während ihm das Pad gereicht wurde. Doch der Mann hielt es immer noch fest. Sie richteten sich beide auf und ein freundliches Lächeln traf Firan woraufhin er den Kopf senkte. Seine Augen hatten sofort die kleinen goldenen Applikationen am Revers des Mannes erfasst. „Sir“, er verneigte sich etwas steif, denn er stand dem Agenten der Judges gegenüber, Mistral. „Du bist spät dran“, hörte er freundlich und er nickte mit gesenktem Kopf. Der Mann hielt immer noch das Pad fest. Freundlichkeit wurde ihm selten entgegengebracht und er war unsicher wie er damit jetzt umgehen sollte. Nichtbeachtung behagte ihm eher. „Es ist unhöflich sein Gegenüber nicht anzusehen“, sagte der Agent und Firan hob augenblicklich das Gesicht. Mistral sah ihn immer noch lächelnd an. Aber es war nicht das Lächeln, das er von seinem Herrn gewohnt war, es wirkte warm und aufrichtig. Wobei Firan sich nicht sicher war ob er dies richtig einschätzen konnte. Bisweilen war er etwas naiv. Sein Herr bezeichnete dieses ihm innewohnende natürliche Verhalten anderen vorbehaltlos Vertrauen entgegen zu bringen als sehr dumm. „Ich musste noch einige Arbeiten erledigen“, begründete er sein Zuspätkommen. „Dann möchte ich dich nicht länger aufhalten“, sagte der Mann und ließ das Pad los. Firan nickte wieder. „Vielen Dank“, bezog er sich auf die Freundlichkeit und eilte weiter. Außer Sichtweite des Mannes begann er zu rennen. Nur noch zehn Minuten dann würden die Türen geschlossen werden. Der Fahrstuhl musste gleich in Reichweite kommen. Er hörte bereits das dumpfe Schlagen der Trommeln in den Tiefen, sie hatten angefangen. Sein Herr hielt es für überflüssig wenn er der Eröffnungszeremonie beiwohnte und hatte ihm ein paar Aufträge erteilt. Er selbst jedoch wollte unbedingt dorthin, er freute sich schon seit Tagen darauf, vor allem seit bekannt geworden war, dass eine Delegation der Judges eingetroffen war und dass es auch noch die Führungsriege sein sollte. Er wollte um keinen Preis der Welt diesen Einzug verpassen. Deshalb hatte er so schnell und natürlich mit der nötigen Sorgfalt die ihm aufgetragenen Aufgaben erledigt, sich ordentlich angezogen und war nun im offiziellen Gewand der Rosenkreuzer auf dem Weg nach unten in die große Versammlungshalle. Die letzten Tage war so viel Betrieb hier gewesen und unterschiedliche Ränge tummelten sich nun in den Fluren und Stockwerken des imposanten Baus, der in den Fels eines Berges am äußeren Rand der Stadt getrieben worden war. Das Bauwerk hing mit seinen fünfzehn Stockwerken wie eine Bienenwabe am Berg und reichte weit in ihn hinein und hatte die letzten Jahre des Baus viel Zeit und vor allem Geld verschlungen. Weit unten in den Tiefen lag der gut gesicherte Trakt der Judges, darüber war die Versammlungshalle. Eine riesige Plattform über einer Höhle. Sie wurde seitlich von Fels begrenzt und über ihr von der natürlichen Höhlendecke. Stahl, Glas und Fels, war eine Kombination die wunderschön für Firan aussah. Er war nur während des Baus einmal hier unten gewesen als er seinen Herrn zu einer Besichtigung begleitet hatte. Heute war Einweihungsfest. Die Flure des Teils, der von Nicht-Mitgliedern der Orden nicht betreten werden konnte waren bis auf die Wachen in den unteren Stockwerken wie leergefegt und vermutlich war er der Letzte. Seine weiße Uniform trug als einziges Kennzeichen seines ursprünglichen Ordens auf seiner Rückseite einen Raben. Ansonsten waren die roten Linien an den Armen und den Revers mit einem Querbalken gekennzeichnet. Sein langes schwarzes Haar fiel ihm schwer und offen über den Rücken, die goldenen nun fast schon fiebrig glänzenden Augen beobachteten die Anzeige des Lifts während er nervös wartete. Wenn er zu spät kam wurde er nicht mehr eingelassen, denn dann hatte die Zeremonie bereits begonnen. Er hastete in den Aufzug. „Gewünschtes Stockwerk?“, fragte die angenehme Frauenstimme. „Versammlungshalle“, erwiderte er. „Berechtigung?“ „Firan, Zugehörigkeit Somi. 441“ „Beginne Scan.“ Er wartete geduldig. „Die Zeremonie fängt gleich an, Firan.“ „Ich bin spät, Miriam“, pflichtete Firan verwundert der KI bei. „Dann beeile ich mich.“ Firan sah zu wie die Türen sich schlossen und die Anzeige schnell nach unten kletterte. Er steckte das Pad in seinen Mantel, nestelte dann noch nervös am Revere als die Tür sich wieder öffnete. „Ich wünsche viel Vergnügen, Firan.“ „Danke Miriam“, erwiderte er stirnrunzelnd. Er hatte noch nicht bemerkt, dass ein anderer mit der KI ein Gespräch geführt hatte oder dass die KI etwas in der Art begonnen hätte. Ein breiter Eingangsbereich tat sich vor ihm auf und wartete in einigen Metern mit einer großen stählernen Flügeltür auf. Eine Wache stand davor, die Tür noch offen. Erleichtert trat er aus dem Aufzug, sammelte sich um nicht zu aufgeregt zu wirken und schritt dann den breiten Korridor entlang. Ein Judge hatte die Wache übernommen und Firan blieb vor ihm stehen, denn er stand mitten im Durchlass. Dahinter konnte Firan Reihen von Rosenkreuzern ausmachen, die einen Mittelgang zur leicht erhöhten Empore frei gelassen hatten. „Fir...“, begann er um sich anzumelden. „Firan“, unterbrach ihn der riesige Mann und Firan blickte in das grobschlächtig wirkende Gesicht. Die hellblauen Augen maßen ihn wie es schien und Firan hatte das Gefühl von diesem Blick in die Knie gezwungen zu werden. Er keuchte. „Herr...“, fing er an und wollte sich hinknien. „Du kannst passieren. Du kommst spät. Weshalb?“, wollte die tiefe sonore Stimme von ihm wissen. „Aufträge meines Herrn.“ „Ich verstehe. Dein Platz ist...“, er verstummte kurz, dann nickte er. Er gab den Weg frei. „... auf der rechten Seite, vierte Reihe erster Platz.“ „Vielen Dank, Judge Bolder.“ Gütiger Gott, ihm war der Name wieder eingefallen, vor lauter Schreck hätte er ihn beinahe vergessen. Er ging weiter und die Türen schlossen sich hinter ihm. Gerade noch so geschafft. Darum bemüht keine Aufmerksamkeit zu erlangen ging er den Mittelgang entlang. Die Mitglieder unterhielten sich mit ihren Nachbarn und das Stimmengemurmel tat ihm momentan gut, es beruhigte seine Nerven. Er war so aufgeregt. Die anderen Mitglieder schienen ebenfalls nervös zu sein, doch Firan wusste, dass es die Judges waren die diese Nervosität auslösten. Er selbst war von diesem Gefühl befreit, schließlich sorgten die Judges für Recht und Ordnung im Orden und ihrem Urteil vertraute er blind. Sie waren frei von Lüge, frei von Intrigen, frei von Bestechung und frei von Gier und dem Hunger nach Macht. Sie waren seine Helden. Er fand seinen Platz, es war der Erste in der Reihe, somit stand er den einziehenden Judges am Nächsten und er konnte alles gut überblicken. Problematisch war, dass sein Herr ihn auch sofort sehen würde, aber das musste er wohl verschmerzen, im wahrsten Sinne. Er beruhigte sich und sah sich um. Das Licht der indirekten Beleuchtung tauchte die Strukturen der Felsen in blaue, grüne und gelbe Lichter. Die Musik wurde durch Trommeln und Gesang in Latein gebildet. Nach der Zeremonie gab es ein Fest für diejenigen, die keinen Auftrag hatten und Firan musste zusehen, dass er nach dem Einzug und dem offiziellen Teil schnell verschwand. Es dauerte noch ein Weilchen dann wurde die Doppeltür geöffnet und der erste Judge trat ein. Es war Grid. Das war klar, denn er kam stets als Erster um das Zusammentreffen abzusichern. Nach der Zeremonie an der auch hochrangige Mitglieder anderer Orden teilnahmen gab es noch interne Verhandlungen. Sie waren extra dafür angereist. Sie nahmen alle Haltung an während Grid unter den Trommeln und dem Gesang den langen Mittelgang entlangschritt. Während er an ihm vorbeiging spürte Firan ein Ziehen in seinen Gedanken. Er öffnete sich selbst und spürte wie er verankert wurde. Grid baute ein Netz auf um zu gewährleisten, dass keiner der PSI unlautere Gedanken hatte die allen Beteiligten schaden konnte. Es störte nicht besonders, wenn man wusste warum es getan wurde. Grid trug die schnörkellose düstere Kleidung der Judges, die funktional war und eher einer Rüstung glich. Sie unterstrich seine Profession, denn sie sah aus als bestehe die Kleidung nur aus Gürtelschnallen, von den Stiefeln bis zum Hals waren es Lederbänder mit Schnallen. Auf dem Rücken trug er zwei abgeschnittene Schrotflinten. Judges waren die Einzigen, die immer und überall ihre Waffen tragen durften. Er hatte kurzes blondes Haar, seine Augen waren tiefblau und Firan wusste, dass die Pupille so winzig war, dass sie kaum noch zu sehen war. Er hatte die Judges schon bei einigen Gelegenheiten gesehen. Da sein Herr Firan gerne übersah und seine Anwesenheit oft nicht für wichtig genug hielt um ihn bei prekären Gesprächen hinauszuschicken bekam er sehr viel über die Inhalte mit. Als nächstes kam Bolder. Der Riese maß um die Zwei Meter fünfzehn und war ein richtiger Muskelberg. Sein Gesicht durchschnitt eine hässlich anzusehende Narbe, doch wenn man diese außen vorließ hätte er mit Sicherheit als gutaussehend gegolten. Dennoch erschreckten Firan die Narbe und das zerstörte Auge, welches er nicht abdeckte. Es war eingefallen und der Anblick störte Firan, er machte ihm mehr Angst als Mia. Bolders Kleidung war aus glattem Leder, nur trug er einen Mantel mit hohem Kragen. Seine Waffe war eine Axt - sehr passend wie es Firan schien. Dann kam Whisper. Sie war klein, vielleicht gerade mal eineinhalb Meter maß sie und trug stets Kleider, filigran und wie aus gefärbter Spinnenseide. Alles an ihr war zart und wirkte puppenhaft. Sie ging an der Seite von Jasper, dieser hielt sie an der Hand. Wie stets wirkte Whisper in sich gekehrt. Sie lächelte abwesend, ihr Blick wirkte leer und ihre Augenfarbe war ein wässriges fahles Blau. während sie an den Wartenden vorbeischritt. Ein Kranz aus blondem Haar war um ihren Kopf geflochten. Ihr Kleid lag eng an und die einzelnen Fäden glitzerten metallisch durch das Schwarz hindurch. Auf ihrem Rücken erkannte Firan ein eingesticktes goldenes Kreuz. Neben diesem Kreuz erkannte er die Griffe von sechs Dolchen die seitlich herausgezogen werden konnten. Sie hob den Kopf plötzlich auf seiner Höhe und sah ihn interessiert an. Firan erwiderte den Blick erschrocken und senkte dann seine Augen auf den Boden. Ihr Lächeln entging ihm dabei. Als sie vorbei war hob er den Kopf vorsichtig wieder an und sah den Beiden nach. Jasper war nur wenig größer als sie und seine Kleidung glich eher dem eines Motorradfahrers, bis auf das Emblem auf seinem Rücken hätte er auch einer Motorradgang entsprungen sein können. Seine Schusswaffen trug er lässig in zwei Holstern um die Oberschenkel. Die meisten Judges bevorzugten Klingenwaffen und es war nicht üblich Schusswaffen zu benutzen, dennoch bei einer so großen Versammlung keine Absonderlichkeit. Dann kamen noch vier Judges, die Firan nicht kannte und die ebenso elegante oder sehr individuelle Kleidung trugen. Allesamt wirkte sie bis auf einen sehr zweckorientiert. Nur einer trug einen Anzug in komplettem Schwarz. Das musste Viper sein, der Judge aus Kanada, ein Telekinet, seine Bewegungen wirkten abgehakt und hölzern. Sein Herr hatte sehr abfällig über diesen Judge gesprochen, daher kannte Firan dessen Äußeres. Dann kam sie! Wegen ihr wollte er überhaupt hier unten sein. Er liebte sie geradezu abgöttisch: Mia. Sie war nach Judge De la Croix der nächste Judge in der Rangfolge und konnte ein Urteil anfechten. Das oblag nur ihr. Kam es zu einer Anfechtung musste Judge De la Croix ein Urteil sprechen, das dann jedoch nicht mehr anfechtbar war. Er würde es selbst vollstrecken. Sie ging zügigen Schrittes den Mittelgang entlang, als würde sie eine wichtige Botschaft ihrem Herrn überbringen, die keinen Aufschub duldete. Die Zeremonie schien ihr gleichgültig. Überhaupt schien ihr alles gleichgültig zu sein. Sie ignorierte die PSI um sie herum und Firan beobachtete wie die Reihe, die am nächsten stand etwas zurückwich. Das dünne tiefschwarze glatte Leder schmiegte sich an jede ihrer Kurven. Ihr Gesicht wirkte fast durchscheinend. Der kahle Kopf tat ihrer Anmut keinen Abbruch, ganz im Gegenteil denn die schöne Kurve ihres Hinterkopfs wurde dadurch nur umso mehr betont und ihr Gesicht in den Vordergrund gerückt. Sie trug einen Waffenrock ab der Hüfte bis zu den Knien aus ebenso weichem Leder. Die Klingen ihrer Dolche steckten in den Unterarmschienen und ragten über ihre Ellbogen hinaus. Der hohe Kragen am Hals wurde mit einer Schnalle geschlossen und ließ ihren Hals lang und fragil wirken. Alles an ihr wirkte zerbrechlich. Ihre Größe machte diesen Umstand nur offensichtlicher. Sie war bestimmt über eins Achtzig groß und mit den Stiefeln deren metallische Absätze überlaut in seinen Ohren dröhnte noch größer. Der Waffenrock wurde durch metallische Applikationen aufgewertet und der Gürtel mit dem er vor ihrem Bauch geschlossen wurde schimmerte ebenfalls metallisch. Nichts ließ diese Kleidung im Verborgenen. Nicht den offensichtlich zu erkennenden oberen Teil der weiblichen Anatomie noch den männlichen Teil der sich hinter einem metallischen Schutz verbarg. Ihre Augen waren jedoch mit dieser Aura die sie verströmte das Faszinierendste. Sie waren tiefschwarz mit einem blauen Schimmer und die Bindehaut von schwarzen Schlieren durchzogen. Die durchscheinende Haut wirkte überirdisch, die dunklen matt durchblickenden Adern sahen unwirklich aus. Unter ihren Augen lagen dunkle Schatten die wie geschminkt wirkten, aber Firan bezweifelte dies. Es war wie es war. Ihre Aura des Düsteren waberte um sie herum als sie an ihm vorbeischritt und er spürte es bis ins Mark. Es war schrecklich und schön zu gleich. Die Aura schnitt wie Glassplitter in ihn und er hörte um sich herum ein entsetztes Keuchen. Die anderen schienen es auch zu spüren. Alle traten die Stufen nach oben und stellten sich in regelmäßigen Abständen auf die Erhöhung. Sie deckten die ganze Frontseite der Halle ab. ‚Somi, Spitze der Trias’, hörte er dann in seinem Kopf und es kratzte und riss in ihm. Er fasste sich an sein Herz, als er die Stimme hörte. Das war Mia gewesen. Wie oft hatte er sich dabei erwischt etwas so Schlimmes zu tun nur um durch ihre gerechte Hand sterben zu können. Zu oft und einmal wollte er etwas ganz Dummes tun. Aber er hatte es sich anders überlegt und niemand war ihm auf die Schlichte gekommen. Er hatte es vergessen. Die Tür ging erneut auf und sein Herr kam herein. Er trug seine Galauniform, sein hellbraunes Haar war wie stets akkurat gescheitelt, das Gesicht schön wie stets. Energisch ging er den Mittelgang entlang, ignorierte die Anwesenden zu beider Seiten und Firan war froh darum. Er hörte der Rede nur mit halbem Ohr zu, die begann als sein Herr die Erhöhung erreicht hatte. Er verstand ohnehin nicht alles. Sein Herr begrüßte die Ordensmitglieder, schwor sie auf einen Kampf oder eine Jagd ein und eröffnete dann die offizielle Feier. Er wusste doch warum es ging, sie wollten seinen Bruder jagen und wieder erfasste ihn das Gefühl von Trauer und Verlust. Er verbarg es schnell bevor einer der Judges auf ihn aufmerksam wurde und verzog sich verstohlen. Ein Blick lag jedoch auf seinem Rücken als er sich davonstahl und die Augen waren von Finsternis durchwirkt. Thomas Straud eröffnete die Feier zur Einweihung ihres neuen Standortes und sein Sekretär trat anschließend an seine Seite als sich die ersten Reihen zerstreuten und sich dem weniger offiziellen Teil des Abends widmeten. Er gab seinem Sekretär die Anweisung sich um das leibliche Wohl der hochrangigen Vertreter der anderen Orden zu kümmern. Er ging hinüber zu ihnen, begrüßte sie und wünschte ihnen einen schönen Abend. Morgen würden die Verhandlungen beginnen, heute jedoch waren sie noch höflich zueinander. Sein Blick fiel auf zwei Judges die noch immer auf den obersten Stufen standen und die PSI überwachten. Es waren Mia und Grid. Die Judges selbst waren von einer Kleiderordnung ausgeschlossen. Sie trugen ausschließlich schwarze Bekleidung mit dezenten Applikationen eines goldenen Kreuzes. Das auffallendste jedoch waren Piercings, Tattoos und meist farbige wilde Haarpracht. Und ein Waffenrock, der von der Hüfte weit abfiel. Mal kürzer, mal länger, das oblag dem Träger und der Waffe die er trug. Hohe Stiefel schienen obligat. ‚Wo ist De la Croix?’, richtete er an sie. Mia richtete den Blick den sie starr über die Menge gehalten hatte langsam wie in Trance zu Straud. Der scheute den Blick aus den nachtschwarzen Augen. Sie schmeckte seine Angst auf ihrer Zunge und ließ ihn ihren Hunger in ihren Augen erkennen. Er hielt dem Blick stand aber sie sah wie unwohl er sich zu fühlen begann. Seine Worte in ihrem Geist waren verzerrt, so schemenhaft wie Schatten im Zwielicht. „Ihr...“, sie hob den Arm und ihre langen Nägel glänzten schwarz als sie ihre Hand elegant über die Menge führte ... „mein Herr, habt eure Art euch zu amüsieren. De la Croix seine eigene.“ Sie ließ die Hand sinken, und wandte den Blick über die Menge. Straud wurde nicht schlau aus diesen PSI, sie gehorchten ausschließlich De la Croix und hatten einen derart verschrobenen Ehrenkodex, dass er nicht selten daran gedacht hatte sie allesamt auszuschalten. Noch nutzten sie ihm. Trotzdem kamen sie ihm manchmal wie Tiere vor. Sie waren vom Rat als Teil der Trias eingerichtet worden, das war auch mit ein Grund warum er nichts gegen sie unternehmen konnte. De la Croix schien seinen Status als Platzhalter nicht zu stören. Thomas würde für Niemandem das Feld räumen. Grid stand neben Mia und erlaubte sich ein winziges Lächeln. Geschickt gelöst und erhaben wie stets. Straud drehte sich wieder zur Menge um. Grid widmete sich wieder seinem Raster und versank in der Überwachung der PSI. Mia stand nach wie vor ohne Regung dort an ihrem Platz, kein Lidschlag benetzte ihre Augen, kein Muskel zuckte. Sie analysierte immer noch die Rede, die ihr in ihrer Essenz falsch vorkam. Zwischen den Worten war etwas Verborgen, etwas Verbotenes lag in ihnen, etwas Geheimes... Ihr Kopf folgte Straud der den Saal verließ, sein persönlicher Kader folgte ihm. Es waren zehn Männer und Frauen. Sie würden die zweite Phase persönlich übernehmen. Einige der Mitglieder waren bereits seit Tagen in Position gegangen, sie waren schon länger hier im Land und hatten alles vorbereitet. Die Judges überwachten den Abzug der Ordensmitglieder, bis sie sich alle in die oberen Restaurants begeben hatten. Als schließlich nur noch sie im Saal waren bewegte sich Mia minimal und lauschte ob sie alleine waren. Sie waren es. Grid ließ das Raster fallen und wandte sich an Bolder, der neben ihm stand. „Wann geht es los?“ „Die Luft ist aufgeheizt, es dauert noch aber bald. Mit Sicherheit bald“, erwiderte dieser nachdrücklich. Grid strich über den Kontrollreif, der unterhalb seines Halses dicht an der Haut lag. Mia bemerkte diese unbewusste Geste. „Alex wird nichts geschehen.“ Grid zog seine Hand weg und wandte den Blick ab. „Wir sind von ihm abhängig.“ „Wir sind auch von der Luft die wir atmen, von körperlichen Bedürfnissen abhängig, Grid. Ohne ihn hätten wir diese Art Abhängigkeit nicht mehr.“ Grid nickte. „Er ist schwach“, stellte Bolder fest. „Dafür sind wir umso stärker“, gab Jasper zu bedenken. „Er ist ebenso gebunden wie wir, vielleicht sogar stärker“, sagte Mia. „Wer hat die Kontrolleinheit?“ „Der Rat.“ „Wir sind dem Rat direkt unterstellt. Straud hat uns keine Befehle zu geben.“ „Etwas liegt im Verborgenen“, sagte Mia. „Ich denke De la Croix will es herausfinden“, sagte Kimera, eine Judge aus Bangkog, deren Körper komplett tätowiert war. „Nein, er weiß es schon. Er will sicher gehen“, meldete sich Jasper zu Wort. „Hast du sie noch im Auge?“ „Ja. Sie sind nach wie vor in Bewegung.“ „Straud wird sie vernichten.“ „Ein guter Köder.“ „Eine Stadt die im Chaos versinkt braucht weniger Energieleistung auf ihrer Seite um sie zu verbergen. Sie gleiten durch die Trümmer, durch die Berge von Leichen und dem Meer aus Blut“, sagte Whisper mit leiser, träger Stimme. „Eine Einmischung war nicht vorgesehen. Wir sind vom Rat hierher bestellt um den Ablauf zu gewährleisten und nicht um einzugreifen.“ „Eine Rettung ebenso nicht.“ „Was hat De la Croix vor?“ „Er sieht sich Kritiker näher an...“ „Weshalb suchen wir nicht nach den Abtrünnigen?“, fragte Jasper verwundert. „Die Kontaktaufnahme mit dem Seher war nicht erfolgreich“, erklärte Bolder. „Das war zu erwarten gewesen.“ Mia neigte leicht den Kopf. „Die Frage ist warum? Wusste der Seher von Somi und Alex Konspiration? Hätte eine Kontaktaufnahme durch Alex allein bessere Ergebnisse erzielt?“ „Nur wenn der Seher einen Groll gegen Straud hegt“, sagte Bolder. „Den hegt er“, erklärte Mia. „Wir sollten selbst suchen.“ „Dafür haben wir keine Ermächtigung vom Rat.“ „Spielt das eine Rolle? Der Rat lässt uns nur für diesen Zweck am Leben. Sobald Schwarz in Gewahrsam genommen sind und sie uns nicht mehr brauchen, kann Alex uns nicht mehr schützen“, warf Blade ein, der auf der obersten Stufe der Treppe saß. „Nein, dann nicht mehr“, sagte Bolder. „Er selbst wird das nicht überleben“, sagte Jasper und nahm Whisper in den Arm, die erschrocken aufblickte, als hätte sie etwas gehört, dass sie aus ihrer Lethargie gerissen hatte. „Der Rat hat einen guten Kern“, beruhigte Mia. „Er wird die richtige Entscheidung fällen. Wir müssen vertrauen in unseren Glauben haben.“ „Es ist ein Tiger ohne Zähne“, sagte Bolder. „Dieser Tiger hat Zähne. Warum glaubt ihr ist niemand der Rosenkreuzer eingeschritten als die alte Trias getötet wurde? Wo waren die Mitglieder des Ordens? Nur der persönliche Kader der Trias war vor Ort. Der Rat hat sie vom Orden abgeschnitten, sie wurden aus der Gemeinschaft des Ordens ausgeschlossen. Diese Macht hat nur der Rat. Wir sind an die Gemeinschaft gebunden, ein Ausschluss bedeutet Exil, eine Abtrennung den Tod. Die Konvertierung bindet uns aneinander. Straud hat Angst vor dieser Abtrennung wie jeder andere von uns, deshalb wird er sich nicht gegen den Rat wenden. Im Gegenzug mischt sich der Rat nur bei groben Verstößen ein.“ „Dann ließ der Rat zu, dass Schwarz Malezza, Miller und Vienna tötete?“ „Natürlich. Sie hätten helfen können, aber sie taten es nicht, weil die drei etwas taten, dass in seiner Konsequenz verheerende Folgen gehabt hätte. Sie haben sich gegen das... Leben gewendet und hatten Frevelhaftes im Sinn.“ „Ich fürchte dennoch um Alex... und um uns“, sagte Whisper und Bolder schnaubte. „Alex hat für eine Tat, die ihm aufgetragen wurde hart bezahlt. Er ist einer von uns, Bolder, seine Primärfähigkeiten sind seither stark eingeschränkt worden. Seine Abstammung hat ihm keinen Vorteil gebracht. Der Rat hat ihn nicht geschützt.“ „Er ist ein guter Telepath.“ „Das ist nicht richtig.“ „Dann ein guter Empath“, versuchte es Jasper. „Nur sehr schwach“, sagte Mia erneut. „Was ist er dann?“ „Er ist ein Telekinet auf zellulärer Ebene. Sein Potential chemische Verbindungen herzustellen ist so hoch gewesen, dass die Trias befürchtete er könne zur Gefahr werden. Sie blockieren ihn mittels einer Kontrolleinheit, die ihm implantiert wurde. Er kann seine Primärfähigkeit nicht einsetzen. In ihren Augen eine Notwendigkeit nachdem Desaster mit Prodigy.“ Sie schwiegen alle in Gedanken an den Telekineten von Schwarz. „Berserker und Prodigy wären gute Judges.“ „Wenn es denn erstrebenswert ist einer zu sein“, gab Mia zu bedenken. „Sie sind wie wir“, sagte Bolder überzeugt. „Berserker mit Sicherheit, bei Prodigy bin ich mir nicht sicher. Dieses Kind ist eine gefährliche Waffe, die kontrolliert werden muss. Die Bindungsfähigkeit des Hellsehers bietet sich dafür an eine stabile Kontrolle herzustellen.“ „Seiner habhaft zu werden wird schwierig“, bemerkte Viper mit tonloser Stimme. „Das wird es und es wird noch schwieriger dies vor Straud zu erreichen“, stimmte Mia zu. „Alex könnte sich jetzt an den Rat wenden“, wechselte Jasper das Thema. „Das hat er mit Sicherheit getan. Dennoch trägt er diese Kontrolleinheit immer noch.“ „Warum?“ „Er war einst der beste Mann wenn es darum ging Neulinge zu konvertieren. Er brach ihre Schilde schneller als jeder andere.“ „Aufgrund seiner Primärfertigkeit?“ „Nicht nur. Es ist eine gefährliche Kombination aus Primär und Sekundärfähigkeiten, die es ihm ermöglicht Abwehrmaßnahmen rasch zu durchbrechen. Nachdem er Schuldig konvertierte gab es ein paar Vorfälle in denen er sich nicht mehr unter Kontrolle hatte. Er verlor immer häufiger die Kontrolle über seine Fähigkeiten. Vienna vermutete eine Disbalance. Eine Art Impulsgeber wurde ihm implantiert und seither kann er seine Fähigkeiten nicht mehr in vollem Umfang nutzen. Falls er versucht in dieser Richtung etwas zu bewirken verhindern starke Schmerzen, dass er dies weiter verfolgt.“ „Sie haben ihn... amputiert“, sagte Whisper mit kraftloser Stimme, ihre Haltung hatte sich nicht verändert, ihr Kopf lag seitlich, der Blick nach unten gewandt, dennoch war sie aufmerksam. Mia hob die Hand und strich ihr sanft über die Wange um ihr zu zeigen, dass sie stolz auf sie war. Whispers Aufmerksamkeitsspanne während eines Gesprächs war sehr kurz. Sie hatte heute die Aufgabe sich anzustrengen und so lange wie möglich dem Gespräch zu folgen. „Ich habe bisher nichts davon bemerkt“, sagte Bolder. „Er hat gelernt damit zu leben“, sagte Mia und zog ihre Hand zurück. „Aber der Rat könnte ihm von dieser... Folter entbinden. Warum tritt er nicht mit dieser Bitte vor den Rat?“, bemerkte Skip. „Vermutlich warten sie nur darauf ihn endgültig zu entsorgen sobald sie Schwarz habhaft werden.“ „Und uns mit“, sagte Whisper leise. „Er weiß, dass er nur ein Platzhalter für einen von Schwarz ist. Seine Familie hat ihn vor dieser Strafe nicht geschützt. Er ist zu schwach um einen der drei Spitzen darzustellen.“ „Schwach“, sinnierte Mia und musste lachen. Alle in der Runde sahen zu Mia. Sogar Whisper drehte ihren Kopf als hätte sie Gefahr gewittert. „Schwach?“ Sie lachte noch immer und Bolder runzelte die Stirn. Mia verstummte. „Wie wäre es wenn ich eure Hormone so steuern könnte, dass ihr kaum noch dazu fähig wärt eure Organfunktionen aufrecht zu erhalten? Oder wenn ich euer Herz zum Stillstehen bringen würde? Er kann Zellen in ihrem Wachstum beeinflussen, er kann Gewebe dazu bringen zu heilen in dem er den Körper dazu anregt seine eigene Zellproduktion zu steigern. Er kann Stammzellen beeinflussen indem er ihnen sagt, dass sie keine fehlerhaften Zellen mehr produzieren sollen.“ Mias Lachen wurde zu etwas Düsterem und Unheilvollem. „Und was haben SZ mit ihm gemacht? Sie benutzten ihn um zu foltern.“ Whisper hob die Hand und legte sie langsam auf ihren Arm. Mia beruhigte sich wieder. „Er ist ein Heiler?“, fragte Bolder. Mias Gesicht drückte Abscheu aus bevor sie sich wieder beruhigte. „Ja, was glaubt ihr warum er empathische und telepathische Sekundärfähigkeiten besitzt? Er braucht sie um zentrale Funktionen steuern zu können. Nur kann er jetzt nichts von alledem. Sie haben lediglich seine Sekundärfähigkeiten trainiert. Der Impulsgeber und die dazu gehörenden Empfänger verhindert ein Zusammenspiel aller Fähigkeiten, die nötig wären.“ „Warum?“ Mia schwieg. „Die Trias hat sehr oft seine Fähigkeiten genutzt um ihr Leben unnatürlich zu verlängern. Und das obwohl sie zu sehr an ihren eigenen Fähigkeiten manipulierten. Ohne diese Manipulation hätten sie ohnehin ein langes Leben besessen und dabei ihr jugendliches Äußeres behalten. Dazu wurden sie zu oft Opfer von Anschlägen und Intrigen. Er war noch viel zu jung um zu verstehen wie sie ihn manipulierten. Der Punkt jedoch als sie Schuldig in Alex Obhut gaben und ihn instruierten den Jungen zu konvertieren um ihre Macht und ihren Einfluss zu stärken war der Punkt an dem sie sich selbst ihr Grab schaufelten. Er war damals nur wenig älter als Schuldig. Zu unerfahren für diese Aufgabe.“ Bolder grunzte. „Du sagtest er war erfahren in der Konvertierung.“ „Ja, nur war der Junge kein normaler Telepath.“ „Was war er dann?“ „Sein Status ist unbekannt.“ o Firan schlich in angemessenem Abstand hinter seinem Herrn drein und bemühte sich nach Kräften keine erneuten Verfehlungen mehr zu begehen. Die Entgleisung, die er sich beim Essen geleistet hatte würde eine harte Strafe nach sich ziehen und er hatte Angst davor. Dennoch hatte er aufgemerkt, als er die Worte seines Herrn an seinen Sekretär gehört hatte. Sie hatten abfällig geklungen. Straud blieb an einem Terminal stehen und tippte etwas ein. „Geh mir einen brauchbaren Ersatz für dich holen. Du wirst die nächsten zwei Tage von deinem Dienst ausfallen. Ich erwarte dich in einer Stunde in meinem Quartier...“ Der erste Satz verklang und Firan hörte die wohlklingende Stimme kaum mehr. Ein Rauschen hatte den nächsten Worten platz gemacht und eine eisige Kälte hatte ihn erfasst. Er verbeugte sich und huschte davon. Das würde eine harte Strafe werden, wenn er zwei Tage ausfallen würde. Er lief immer schneller bis er sich zwang stehen zu bleiben. Halt ein, denk nach. Aber er war nicht so schlau, als dass er sich aus dieser Situation befreien konnte und er hatte keine Kraft mehr, keine Energie mehr um diese bösartigen Emotionen davon abzuhalten in ihn zu kriechen und ihn zu zerstören. Was sollte er nur tun? Wohin gehen? Er wartete auf den Aufzug und sah sein verschwommenes Gesicht im Glas vor sich. Tränen liefen ihm die Wangen hinab. Unwirsch wischte er sie mit den Händen ab. Nicht auszudenken wenn jemand ihn so sah! Die Aufzugtüren öffneten sich. Zu seinem Glück war er leer. Aber wo wollte er jetzt hin? Er wusste es nicht. Ein Schluchzen kroch in ihm heran und er unterband es, starrte fieberhaft und mit verschwommenen Blick auf die Anzeige. Mit der rechten Hand an der Metallwand abgestützt blickte er auf die Anzeige. „...Firan. Fühlst du dich nicht wohl?“ Er blinzelte. Hatte sie ihn schon öfter gerufen? Die Türen waren zugegangen. Er starrte auf die geschlossene Tür und schniefte. „Miriam“, sagte er sich selbst um sich zu bestätigen, dass die KI des Komplexes wieder mit ihm sprach. „Ich... doch ich fühle mich wohl.“ „Dein Zielort?“ Er schluchzte erneut und brach dann an der Wand des Aufzugs zusammen. Matt und verzweifelt glitt er an ihr hinunter bis er ihr zugewandt dasaß beide Hände an dem kühlen Metall abgestützt. Er weinte so bitterlich, dass die Schluchzer seltsam unnatürlich von den Wänden widerhallten. „Ich habe keinen, Miriam“, weinte er. „Ich weiß nicht wohin, nicht wohin ich gehen soll.“ Von draußen hörte er Stimmen die sich darüber beschwerten, dass er Aufzug sich nicht öffnete aber in diesem Stockwerk stand. Erschrocken blickte Firan zur Tür auf. Hoffentlich ging die Tür nicht auf. Wie gelähmt hielt er die Tür im Blick und da setzte sich der Aufzug plötzlich in Bewegung. Rasch fuhren sie nach unten. „Du weißt wohin du gehen musst.“ Der Aufzug hielt an. Miriam hatte ihn im Stockwerk der Judges angehalten? „Danke Miriam“, sagte er mit bedrückter Stimme. Unsicherheit begleitete seine Schritte als er aus dem Aufzug trat und den Weg beschritt bis er vor das große Tor kam, dass ihn in seiner Größe nur umso schwächer und kleiner fühlen ließ. Was sollte er sagen? Was sich erhoffen? Was passierte wenn sie nichts tun konnten? Und was konnten sie überhaupt für ihn tun? Wollten sie es? Somi war mächtig und er... auf ihn konnte verzichtet werden. Er atmete tief durch und fasste sich ein Herz. Es konnte nicht mehr schlimmer kommen. Sollte er ihnen etwas anbieten, eine Information? Er trat vor die Kamera und drückte den Knopf um seine Anwesenheit anzukündigen. Doch es geschah nichts. Kein Scan glitt über seine Gestalt. Die Verriegelung fing an sich im Inneren zu lösen und das Tor glitt mit einem Ruck auseinander um sich dann langsam zu öffnen. Dahinter war es dunkel, er trat ein und wartete. Dann schloss sich das Tor langsam wieder bis es mit einem lauten Geräusch das Licht ausschloss. „Warum stinkst du nach Angst?“, hörte er eine Stimme, die so ambivalent klang, dass es nur Mia sein konnte. „Ich... ich war ungehorsam“, stotterte er zunehmend verwirrt wie er jetzt überhaupt hierher gekommen war. „Ich habe nicht vor euch Angst, verehrte Mia.“ Er kniete sich im Dunkeln nieder und senkte den Kopf. „Was wird dir dieses Mal zur Last gelegt?“, fragte die Judge und Firan verbat seinem Körper zu zittern. Sie wusste davon, dass sein Herr ihn bei Verfehlungen strafte? Firan hatte gedacht, dass wusste niemand. Redeten sie über ihn? „Ich habe zu lange gebraucht um meinem Herrn das Essen zu bringen, es war nicht mehr heiß als es zu Tisch kam.“ „Bist du hier damit ich dich strafen soll?“ „Nein, Judge Mia. Ich... ich wollte euch warnen.“ Die Stimme veränderte ihren Ort, er hatte jedoch nicht gehört, dass sie sich bewegt hatte. „Warnen? Weshalb benötige ich eine Warnung?“ Jetzt musste er vorsichtig sein. Ihre Frage war nicht wovor willst du mich warnen, sondern viel mehr: Was lässt dich annehmen, dass ich so schwach bin, dass ich nicht mit einer Bedrohung fertig werden könnte. Hältst du mich für so unfähig? Er beugte sich nach vorne und senkte seine Stirn auf den Boden. „Ich zweifle nicht an eurer Größe, oder eurer Macht, Judge Mia.“ „Dann erzähl mir was dich veranlasst hat unsere Ruhe zu stören!“, forderte sie ihn mit etwas milderer Stimme auf. Sie war näher gekommen. „Mein Herr hat die verehrten Judges als Krüppel und euch als Kreatur bezeichnet. Und er wollte wissen wo die verehrten Judges sich aufhalten, speziell um euren Standpunkt ging es.“ „Das ist keine ausreichende Begründung um unsere Regeneration zu stören“, sagte die Judge und Firan verzweifelte innerlich. Konnte er denn gar nichts richtig machen? Er wollte endlich weg von hier. Er hielt das alles nicht mehr aus. Keinen Tag länger. „Sprecht Ihr nun ein Urteil über mich?“, fragte er mit fester Stimme. Vielleicht hatte er dann alles hinter sich. Mia fackelte nicht lange wenn es um ein Urteil ging. „Du bist winzig, fragil und flügellahm. Erwartest du von mir, dass ich so etwas Zartes wie dich zwischen meine Reißzähne nehme und es zerfetze? Weshalb sollte mir das Vergnügen bringen?“ „Ich weiß nicht, verehr...te Judge.“ Er war erneut den Tränen nahe. Sein Herz schien vor Kummer zu krampfen, zu flattern. Er atmete schneller um nicht wieder zu weinen. Dann spürte er plötzlich eine Berührung auf seinem Hinterkopf, ein sanftes Streichen. „Weshalb bist du wirklich hier? Was hat dich so erschreckt?“ Die Stimme war nun anders, sie war tiefer. „Setz dich auf.“ Die Stimme musste direkt vor ihm sein, sie musste sich in die Hocke begeben haben. Sie war ihm nahe gekommen, einem Diener! „Ich..., er... mein Herr, ich habe so tiefen alten Hass gespürt, eine elementare Abscheu, dass es mich erschreckt hat. Ich habe Angst, ich halte das alles nicht mehr aus. Bitte... helft mir. Ich habe keine Kraft mehr.“ „Was war der erste Gedanke, den du hattest?“ „Vernichtung“, sagte er sofort. „Aber das ist unmöglich, verehrte Judge!“, sagte er mit Entsetzen in der warmen Stimme. Er starrte ins Dunkel. Es kam keine sofortige Antwort, aber wenn er in einem gut war, dann in Warten. „Warum hast du deine Angst überwunden und bist zu uns gekommen?“ „Ich glaube an den Orden, an seine Gesetze. Ich glaube an die Rechtmäßigkeit der Judges, an ihre Unantastbarkeit, ich...“ „Genug. Ich verstehe.“ Sie schwieg wieder, ihre Stimme entfernte sich etwas. „Du scheinst deinen Herrn nicht sonderlich zu mögen. Ich rieche Verrat an deinem Herrn.“ „Ich erwarte meine Strafe“, sagte Firan und senkte den Kopf, er kniff die Augen zusammen. Er würde diese Frage nicht beantworten. Er mochte seinen Herrn nicht, das stimmte. „Du bekommst eine Ermahnung für deine Anmaßung uns wegen so etwas zu stören.“ Er spürte eine Berührung an seiner Stirn, dann wurde ihm schwindlig und er fühlte sich zu kraftlos um sitzen bleiben zu können, er sank zur Seite und atmete flach. Er blinzelte. „Ich habe dich markiert, junger flügellahmer Firan. Du wirst dich nicht mehr an uns wenden. Hast du verstanden?“ „Ja, verehrte Judge Mia“, flüsterte er ehrfürchtig. „Wenn du eine offizielle Anklage erheben möchtest dann wende dich an Judge De le Croix. Solange du dafür nicht den Mut aufbringst steh auf und geh.“ Und genau das konnte er nicht. Er war nicht mutig genug. Der Erste der Judges war unheimlich, er würde ihm niemals glauben, dass sein Herr ihn misshandelte. Niemand würde ihm glauben. Er war allein und er kam aus seinem Gefängnis nicht heraus. Selbst über den Weg die Judges für sich einzunehmen, ihnen einen Grund zu geben seinen Herrn zu tadeln... oder zu entfernen, selbst das gelang ihm nicht. Er erhob sich taumelnd bis er mit der Schulter an der Wand anlangte und die Übelkeit in seinem Kopf etwas mehr im Griff hatte. Dann verließ er den unterirdischen Komplex über den Weg den er gekommen war. Die Kameras sahen ihn nicht als er die Treppen nach oben erklomm. Er wollte nicht den Aufzug nehmen, selbst vor der KI schämte er sich versagt zu haben. Er hatte nicht das gesagt was er eigentlich sagen hätte sollen, dass er misshandelt wurde, dass er furchtbare Angst hatte, dass er litt, dass er... Keiner würde ihm helfen. Seine Gedanken waren wie fortgewischt als er Stufe für Stufe seinem Herrn und seiner Grausamkeit entgegen ging. Wenige Ordensmitglieder kamen ihm auf den Fluren entgegen bis er zu den privaten Räumlichkeiten kam. Er trat leise ein und blieb mit gesenktem Kopf stehen. Sanft klickte das Schloss als die Tür zuging und die automatische Verriegelung ihm sagte, dass er eingesperrt war. Sein Herr hatte seinen Mantel aufgeknöpft und stand am Fenster. „Zieh dich aus.“ Die Worte knallten wie Peitschenhiebe in sein Gehör. Folgsam kam er diesem Befehl nach. Er legte seine Kleidung zusammen und legte sie ordentlich auf dem Boden neben der Tür ab. „Trete vor“, wurde er angewiesen und er ging in den leeren Raum der riesigen Suite. Seine nackten Füße fühlten sich verschwitzt auf dem teuren Holzboden an. Er hörte wie sein Herr seinen Mantel zur Seite schob. Das Geräusch des schweren Materials wenn es übereinander glitt war ihm stets eine Warnung. „Warum zwingst du mich zu so einer Tat?“ „Ich war zu langsam, Herr. Ich bitte um Verzeihung.“ „Ich verzeihe dir. Der Strafe wirst du jedoch nicht entgehen.“ „Ich nehme sie dankbar an, Herr.“ Die Worte die ihn verließen waren wie immer die gleichen. Sie kümmerten ihn nicht mehr, aber sie waren die Vorboten für den Schmerz, die Verzweiflung die kommen würde. Die Peitsche wurde entrollt und er hörte wie er die perfide Kraft in ihr einschaltete, sie summte drohend. Dann traf sie ihn. Gleisender roher Schmerz durchfuhr ihn und sein Körper begann zu krampfen. Er ging zu Boden. „Steh auf und steh gerade.“ Erneut sauste der gellende Schmerz durch ihn. Er wimmerte und tat sich schwerer damit aufzustehen. Er wollte um Milde bitten, aber er hatte früh erfahren müssen, dass die Bitte um Einhalt nur zur Folge hatte, dass es schlimmer wurde. Also schwieg er. Die Prozedur wiederholte sich bis er liegen blieb. Einzelne Muskelgruppen zuckten unkontrolliert. Dann wurde er an den Haaren nach oben gezogen und sein Herr zog ihn auf die Knie, er schleifte ihn über den Boden bis er die Kraft fand und die Füße unter sich brachte um seine Kopfhaut zu entlasten. Er hörte sein Wimmern und Flehen, das ihm hektisch und unter Schmerzen von seinen Lippen floh kaum mehr. Alle Selbstbeherrschung war fort. Sein Herr war so wütend und er musste diese Wut kanalisieren. Noch trug er Handschuhe und im Stillen war er dankbar dafür. „Du willst, dass ich aufhöre..., du kleine widerliche Made willst dass ich aufhöre...!“, zischte sein Herr voller Abscheu und Wut. Er schlug ihn mehrmals ins Gesicht und packte ihn dann im Nacken als sie im Badezimmer angekommen waren. „Du hast keine Rechte...“, schrie er jetzt und schleuderte ihn gegen die ausladende Badewanne. Kurz blieb Firan liegen, bevor er versuchte vor dem was kommen würde fortzukriechen. Erneut packte sein Herr, der sich in der Zwischenzeit wohl seinen Mantel ausgezogen hatte seinen Nacken und hob ihn daran hoch. Firan versuchte sich vergeblich zu befreien. „Wie bist du nur zu diesem Namen gekommen? Du bist unwürdig ihn zu tragen.“ Die Stimme seines Herrn wurde spielerischer, sie nahm einen bösartigen Klang an. Firan begann schneller zu atmen, seine Angst war so elementar, als er das Wasser kommen sah und dann auch schon mit dem Kopf untergetaucht wurde. Sein Herr hatte seine Haare zu einem langen Zopf um seine Faust gewickelt und tauchte ihn unter bis Firan meinte er könnte nicht mehr atmen. Verzweifelt zappelte er und versuchte seine dünnen Handgelenke aus dem Griff zu befreien. Irgendwann atmete er das Wasser ein. Hustend und spuckend wurde er zurückgerissen. Bis er wieder richtig atmen konnte, dann begann es erneut. Es hörte nicht auf. Der Schmerz in seinen Lungen ließ ihn aufgeben, er erschlaffte und ließ sich in den Schmerz und in die erhoffte Erlösung fallen. Schmerz brachte ihn leider wieder zurück. Von seinen Lidern tropfte das Wasser und seine Sicht war noch verschwommen als er sich des warmen Bodens bewusst wurde auf dem er zusammengekauert lag. Er atmete heftig, seine Haare waren klatschnass und verbargen sein Gesicht. Er wagte nicht sich zu bewegen und starrte die dunklen schemenhaft zu erkennenden Fliesen an. Jeder Atemzug schmerzte und doch konzentrierte er sich lange Zeit nur darauf. Später hörte er seinen Herrn nebenan mit jemand anderem reden. Er lachte und es war ein amüsiertes Lachen. Der andere hatte eine höhere Stimme. Er kannte ihn. Das war seine rechte Hand; Beltrami. Dann hörte er Schritte und er schluchzte vor Angst auf. Wieso konnten sie ihn nicht einfach töten? Seine Handgelenke waren noch auf seinem Rücken gefesselt, als er versuchte aufzustehen und zunächst ein Brechreiz Wasser auf den Boden klatschen ließ schrie sein Herr ihn an und er duckte sich wieder auf den Boden. „Steh auf oder soll ich dir helfen?“, fragte sein Herr und ein Tritt in seinen Magen ließ ihn sich krümmen und erneut Wasser erbrechen. Er hustete und würgte, das Lachen seines Herrn in seinen Ohren. Dann trat er ihn wieder und wieder bis Firan glaubte der Schmerz könne nicht größer werden, er versuchte davon zu kommen, wegzukriechen, bis er den nächsten Tritt kommen sah und plötzlich alles dunkel wurde. o Fortsetzung folgt... Danke fürs Lesen! Gadreel Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)