Der Glasgarten von Gadreel_Coco ================================================================================ Kapitel 157: Kitchentalk ------------------------ Kitchentalk Präfektur Iwate In den Bergen waren die spätsommerlichen Temperaturen besser zu bewältigen als in den Städten. Es war ein idyllischer Ort fernab vom Lärm und der Hektik dieser Zeit. Chiyo Kawamori ließ sich ihren morgendlichen Tee bringen und saß bereits angezogen an dem niedrigen Tisch um den Sonnenaufgang nicht zu verpassen. Sie hatte ihr tägliches Morgentraining bereits beendet. Ein neuer Tag war angebrochen und sie fragte sich was er bringen mochte. In letzter Zeit machte sie sich zunehmend Sorgen. Die Zeit ohne dieses Gefühl neigte sich wieder dem Ende, wie sie es hin und wieder tat. Die Schiebetüren in den Garten waren gänzlich geöffnet worden und sie genoss die frische Luft. Ihr gegenüber saß eine Frau, deren loses Haar ihr in wilden dunkelroten Wellen um die Schultern floss. Sie saß ganz und gar nicht wie es sich für sie geziemte auf dem Kissen, sondern hatte ein Bein aufgestellt, das andere unterschlagen und sah aus als wäre sie gerade aus dem Bett gestiegen. Flegelhaft und unordentlich. Ihr Verhalten glich eher dem eines Mannes als dem einer Frau. Aber sie war wohl schon längst über die Erwartungen anderer hinausgewachsen. Chiyo seufzte und lächelte leicht. Die augenscheinlich Jüngere der beiden Frauen hatte ihre Teeschale in der Hand, nippte leicht daran und besah sich den Sonnenaufgang mit nachdenklichem Gesicht. Seit ein paar Augenblicken jedoch... hatte sich eine Veränderung eingestellt, die Luft war voller, vielleicht weniger klarer als zuvor. Chiyo neigte den Kopf, nahm ihre irdene Schale auf und nippte an dem Tee. Für einen Moment schloss sie die Augen. „Du kannst näher treten“, sagte die Jüngere leise und stellte ihre Tasse ab. Hinter ihr ließ sich ein Mann vom Dach gleiten. Er kam näher und trat in einigen Metern Abstand vor sie, er kniete nieder. „Großmeister“, grüßte er sie. „Wie war deine Reise?“ fragte Chiyo freundlich. „Entbehrungsreich“, gestand er und sie musste lächeln. „Dann stärke dich zunächst.“ „Vielen Dank, Großmeisterin, Ihr seid zu großzügig.“ Er neigte den Kopf. „Ich komme jedoch in dringender Angelegenheit.“ „Sag schon“, murmelte nun die Rothaarige ungeduldig. „Der Orden hat in sieben Städten Position bezogen. Und das sind nur die von denen wir wissen.“ „Unbemerkt?“ „Sie tarnen die Standorte als wissenschaftliche Einrichtungen.“ „Wo ist das Zentrum?“, fragte Chiyo weiter. „In der Hauptstadt. Wir haben Neubauten in allen Städten beobachtet, die nun fertig gestellt sind. Wir konnten sie zunächst nicht zuordnen, nun ist klar wer dort der neue Hausherr ist. Ihr Hauptsitz befindet sich als neuer Campus getarnt thronend über der Stadt.“ „Der neue Campus der Universität Tokyo?“, fragte Chiyo. „Ja. Großmeisterin.“ „Der ist schon seit Jahren im Bau“, hielt sie mit einer großen Portion Ungläubigkeit dagegen. „Wir haben die Investoren letztes Jahr erneut überprüft“, sagte die Rothaarige nachdenklich. „Keiner von ihnen wies Verbindungen zum Orden auf.“ „Eine telepathische Beeinflussung ist immer möglich. Auch ohne persönlichen Kontakt“, bemerkte Chiyo. Die Rothaarige nickte lediglich. „Woher hat der Orden die finanziellen Mittel?“, fragte sich Chiyo leise. Die Jüngere hob ihren Blick für einen Moment von ihrer Teetasse und sah Chiyo an. Dann richtete sie ihren Blick wieder nach draußen. „Wie meint ihr?“ fragte der Mann unsicher. „Ich habe nur laut gedacht“, beruhigte Chiyo den Mann. Und er beugte den Kopf erneut ehrerbietig. Er wartete. Chiyo nahm einen Schluck Tee und schmeckte die verschiedenen Aromen des frischen Grüns heraus. „Was tut sich in Kyoto?“, fragte Chiyo nach einer Weile. „Die Männer werden an verschiedene Standorte umverteilt.“ „Korrelieren diese Standorte mit denen des Ordens?“ „Ja, das tun sie.“ „Woher hat er seine Informationen?“, fragte Chiyo. „Das ist uns unbekannt“, erwiderte der Mann rasch. „Er muss einen Kontakt im Orden haben“, sagte die Rothaarige leise. „Seine Informanten hätten diese Information leicht selbst gewinnen können“, erwiderte der Mann. „Ich gebe dir Recht.“ Nur hatte es einen Spion in SINs Mitte gegeben. Und damit meinte sie nicht ihren Liebling Asugawa. Wer hatte ihn entsandt? „Ich fürchte er arbeitet mit dem Orden zusammen oder ist ihr Handlanger. „Wie stehen die Dinge in Übersee?“, fragte die rothaarige Frau. „Die Abtrünnige schart ihre kleine Gruppe Nicht-konvertierter um sich, Großmeisterin.“ „Beobachtet sie weiter.“ „Unsere Kräfte sind nach einem Angriff geschwächt.“ „Lass mir Zeit, Sano. Ich werde eine Lösung finden. Ich bin nicht überzeugt, dass uns von dieser Seite noch keine Gefahr droht. Behaltet sie im Auge. Das hat oberste Priorität. Zieh die Teams zusammen. Wie viele sind es noch?“ „Drei Einheiten.“ „So wenige...“, sagte Chiyo mit Bedauern. „Wurden ihre Familien benachrichtig?“ „Nahestehende Menschen wurden informiert und soweit möglich in die Zeremonie eingebunden.“ Sie schwieg wieder ein Weilchen. Die Kontaktaufnahme ließ sich nicht länger hinauszögern, viel zu viel war in Bewegung. „Das passt alles nicht zusammen“, sagte Chiyo beunruhigt. „Chiyo...“, sagte die Rothaarige plötzlich. „Ja?“ Chiyo lächelte, das besorgt aussehende Gesicht vor sich an. „Wärst du so freundlich mir das Telefon zu bringen, bitte“, sagte diese leise und in Gedanken versunken. Chiyo verbeugte sich. „Sehr gern, Sakura-dono.“ Wenig später überreichte Chiyo Sakura Kawamori das Telefon. Sakura wählte. Nur wenige Augenblicke später wurde abgenommen. Chiyo und Sano lauschten dem Gespräch. „Mr. Crawford.“ Ein Lächeln erhellte das sonst so strenge Gesicht. Chiyo hatte den Hellseher bereits kennen gelernt und wusste um dessen Charme und Ausstrahlung. „Sind Sie zu einer Entscheidung gekommen?“ Ihr Blick ging hinüber zur Bergspitze die in einem Meer aus Rottönen gebadet wurde. Frühnebel ließ das Rot weniger grell wirken. „Dem stimme ich zu.“ Sie lauschte eine Weile. „Eine schwierige Frage, Mr. Crawford.“ Seine nächste Frage ließ sie schmunzeln. „Ja, Mr. Crawford das bin ich.“ Die folgende Frage war nur logisch. „Ja, das ist er.“ Dann stellte er eine Frage, die offenbar schwieriger zu beantworten war. Sakura zögerte einen Augenblick. „Ich habe Vertrauen in ihre Fähigkeiten, in ihr Urteilsvermögen und ihre Führungsqualitäten.“ Ihr Lächeln erlosch bei den nächsten Sätzen des Hellsehers. Ihre Miene versteinerte. „Sie haben alle Alternativen bedacht?“ Sie schloss die Augen bei seiner Antwort. Stille herrschte zwischen ihnen, als sie die Augen öffnete war die Sonne an der Bergspitze angekommen. Ihr Blick verfing sich erneut im Nebel. Chiyo sah zu Sano hinüber. Er erwiderte ihren Blick besorgt. „Ich entsende Ihnen Manx“, bot sie aufgrund seiner Ausführungen an. „Halten Sie eine Ablehnung dieses Angebots für klug?“ Chiyo hörte erneut Wut aus den Worten, es war wie das satte Rot am Himmel. Nur zu gut kannte sie diese schier unbändige Wut. „Weiß Asugawa über diese Sachlage Bescheid?“ Die Antwort war selbst Chiyo klar. „Dann schicken Sie ihn mir zurück“, forderte Sakura und Chiyo wusste selbst, dass dieses sture Kind sich nicht aufhalten ließe. Er würde sich nirgends hinschicken lassen, selbst vom Hellseher nicht. „Ich verstehe.“ Chiyo sah wie Sano seinen Blick auf Sakura richtete. Er war ihr seit Jahrzehnten ergeben und ein treuer Weggefährte. Doch Chiyo kam es so vor als wüsste selbst er manchmal nicht was Sakura dachte. Ob sie wusste, dass seine Treue tiefer ging als er zu zeigen bereit war? Er hatte sich nie an jemanden gebunden. Seine Loyalität galt stets nur Sakura. Und trotz der Ehrerbietung die er ihr entgegenbrachte war er der Einzige, der sie kritisieren durfte. Sakura nahm es klaglos an, was sonst kaum der Fall war. Ein Blick von ihr genügte um die Zweifler verstummen zu lassen. Sano jedoch... er hielt diesem Blick stand. Es war als könne er ihn durchdringen. „Noch eins, Mr. Crawford. Der Vertrag gilt ab jetzt. Wir unterstützen Sie falls sich die Dinge doch anders entwickeln sollten.“ Chiyo hörte den Worten nur mit halbem Ohr zu, sie beobachtete Sano. Augenscheinlich jung wie Sakura, doch selbst er zählte bereits über siebzig Jahre, die er mit sich herumtrug. Und dass er etwas mit sich herum trug war für Chiyo in manchen Momenten deutlich. Wie sie sich wohl begegnet waren? Chiyo hatte sich das immer wieder gefragt, doch weder Sano noch Sakura gaben darauf ausführlich Auskunft. Erst vor dreizehn Jahren war Sano zu ihnen gestoßen. Und seid diesem Augenblick war Sano eine der Klingen des Schmiedes geworden. Nicht irgendeine. Nein Sano war des Schmiedes Lieblingsklinge. Sie schickte ihn auf die wichtigsten aber auch gefährlichsten Missionen. Und dabei schien es sie nicht zu kümmern wie lange er wegblieb und was ihm widerfuhr. An manchen Tagen wenn er überfällig war bemerkte Chiyo wie Sakura nachts auf dem Anwesen umherlief. Ob das aus Sorge geschah konnte Chiyo nicht sagen. „Ja, das ist er. Ich jedoch habe die älteren Rechte, da ich selbst diesen Vertrag aufsetzte. Er ist einer meiner Schüler, ich selbst habe ihn ausgebildet. Die Klink stellt einen der wichtigsten Knotenpunkte in unserem Informationsnetz dar.“ Eine erneute Stille setzte ein. „Das können sie. Er ist vertrauenswürdig, auch wenn er mir immer noch zürnt.“ Chiyo konnte sehen wie Sakura die weiteren Worte des Mannes betroffen machte. „Ich werde alles veranlassen.“ Sie legte auf. Sie reichte Chiyo das Telefon zurück. „Schläft der Junge noch?“ Chiyo bejahte. „Dann weck ihn und geh etwas mit ihm spazieren, er soll sich ein bisschen austoben. Danach gibst du ihm etwas zu essen. Beunruhige ihn nicht. Er wird abreisen. Sano, du wirst ihn zum Flughafen bringen. Dort übergibst du ihn Eve Crawford. Sie wird den Jungen mit in die Staaten nehmen. Bereitet alles vor.“ Es war zu spät um Lilli zu sich zu holen. Die Kinder gehörten jedoch zusammen, also musste sie nachgeben. Auch wenn sie das sehr ungern tat. Chiyo verbeugte sich und verließ sie. Sano wartete. „Nachdem du den Jungen zum Flughafen gebracht hast heftest du dich an die Fersen meines Enkels. Wir bleiben während dieser Mission in ständigem Kontakt.“ „Sehr wohl, Sensei. Haben sich unsere Pläne geändert?“ Sakura nahm erneut einen Schluck Tee. „Das haben sie, Sano. Etwas geschieht und unser Einfluss schwindet. Jetzt gilt es zu retten was zu retten ist. Der Orden steht mehr unter Druck als ich dachte. Sie handeln schneller als vorausgesehen.“ Sano sah auf. „Aber warum ist das so?“, sagte sie in Gedanken versunken. „Vor welcher Bedrohung haben sie derartige Angst, dass sie jetzt eine Entdeckung riskieren?“ „Es muss etwas sehr Mächtiges sein. Oder nur die üblichen Machtkämpfe?“, fragte er. „Die üblichen Machtkämpfe...“, resümierte sie. „Dafür Schwarz zu jagen ist gewagt und gegen ihre so sauber aufgestellten Regeln. Nein, es ist etwas anderes. Warum wollen sie so unbedingt die Mitglieder von Schwarz?“, hielt sie dagegen. Dann stellte sie die Tasse ab und sah plötzlich auf. „Nein, das kann nicht sein...“, fuhr sie auf. „... er ist doch tot... oder?“ „Sensei?“ „Haben wir jemanden vor Ort?“ „Ja. Die Sache ist noch ungeklärt. Sensei, Ihr habt euch offen gehalten ob ihr auf seine Bedingungen für die Informationen die er liefern würde eingehen wolltet.“ „Ach...ja, ich erinnere mich dunkel“, sagte Sakura. „Es gab eine Zeit, in der ich es ohne zu zögern getan hätte. Erzähl mir etwas über ihn.“ „Wir haben ihn in New York aufgegriffen als wir auf dem Kongress waren.“ „Ich erinnere mich. Das ist fünf Jahre her...“, sagte Sakura. Hatte sie sich solange Zeit gelassen um eine Antwort zu geben? „Von ihm kam die Information, dass die Trias hierher kommen würde, von ihm kam auch die Information über die Geschäfte in Übersee.“ „Das waren wertvolle Informationen. Dadurch kam mir der Gedanke Kritiker zu gründen... Warte...“, sagte Sakura und ihr Blick wurde leer. Sie ließ sich in ihre Erinnerungen fallen. Das war ein Gefühl als würde sie die Arme ausbreiten und sich rücklings von einer großen Klippe fallen lassen. Sie brauchte nicht lange um das Gesicht vor sich zu haben.“ „Ich habe ihn.“ Sakuras Stimme hatte einen abwesenden Klang. Ein hübsches Gesicht erschien vor ihrem geistigen Auge. Karamell und Sahne mit einem tiefschwarzen Schokoladentopping. Seine Haut hatte die Farbe von Wüstenbewohnern, wirkte jedoch etwas kränklich, die langen schwarzen Haare und die... da waren sie: die Raubtieraugen. Helles Bernstein mit blauen und grünen Einschlüssen darin. Wie selten. „Ich verstehe warum wir gerade auf ihn aufmerksam wurden. Aber ist das eine gute Idee?“ Sano antwortete nicht. „Das macht alles komplizierter als es ist. Er ist atemberaubend schön.“ „Sind wir das nicht alle, Sensei?“, fragte Sano. Sakura sah auf weil sie seinen Tonfall nicht einordnen konnte. Er erinnerte sie an eine andere Zeit. Sie spürte die alte Unsicherheit in sich wieder hochkommen. Sie schmunzelte als sie den Blick wieder nach vorne richtete. „Raubtiere, schön, verlockend und tödlich.“ Sie sah wieder zu Sano auf und lächelte ironisch. „Wir sind eine Spezies, die durch die Evolution geschaffen wurde um den Menschen etwas entgegen zu setzen. Eine neue Gattung der Natur, um ein Gleichgewicht zu schaffen. Längst sind nicht mehr die Menschen die Spitze der Nahrungskette. Stets gefällig im Auge des Betrachters“, sagte sie leise in Gedanken versunken. „Diejenigen, die sich vor Sehnsucht selbst verstümmeln sind es jedoch nicht, Sano.“ Er schwieg. Beide wussten warum er nichts dazu sagte. „Wie nahe ist er dran?“ „Zu nahe.“ „Weshalb will er weg?“ „Vor fünf Jahren führte er persönliche Gründe an.“ Das war eine Auskunft die Sakura nicht weiterbrachte in ihren Erwägungen. „Ich habe ihm keine Antwort gegeben“, sagte sie bedauernd. „Bisher nicht, Sensei.“ „Kannst du Kontakt aufnehmen?“ „Es wird schwierig, ich werde es versuchen. Die Frage ist, ob er noch einen Ausweg sucht. Es ist lange her.“ „Und ich habe ihm seine Dienste nicht entlohnt. Ich habe sein Vertrauen vielleicht verloren.“ „Wenn er noch lebt.“ Sakura ließ sich wieder an die Oberfläche treiben und sah Sano an. „Finde es heraus und berichte mir. Schick Seki mit Gabriel zum Flughafen und kümmere dich selbst um die Kontaktaufnahme.“ „Sensei.“ o Nagi sah zu Hisoka auf, der ihm den venösen Katheter aus dem Hals zog und eine Kompresse auf die Einstichstelle drückte. „Es ist sicher, dass ich ihn nicht mehr benötige?“ Hisoka lächelte zuversichtlich. „Der Doc sagt, dass sich deine Werte stabilisiert haben und eine... normale Ernährung, mit der du schon begonnen hast ausreicht um verlorene Energie aufzufüllen.“ Nagi nickte wenig überzeugt. Er fühlte sich noch immer matt. Das teilte er Hisoka mit und dieser wandte sich von dem kleinen Tischchen um, das er zuvor in den Raum gefahren hatte. Seit das Mädchen vor einer halben Stunde abgeholt worden war und Omi, Eve und Ken zum Flughafen begleitet hatte war er allein und fühlte sich unnütz. Sie hatten eine schöne Nacht zusammen verbracht, es war nichts passiert, aber die Fürsorge und Nähe von Omi hatten ihn gewärmt. Lilli hatte bei ihnen im Zimmer geschlafen. Nagi hatte sich morgens gefragt warum sie so schnell von hier fort musste und Eve hatte ihm nur gesagt, dass es der letzte Flug vor dem Sturm wäre und sie heute noch fliegen mussten. Brad hatte das veranlasst. Nagi hing seinen Gedanken nach und Hisoka riss ihn aus trüben Zukunftsvisionen hervor. Er sah auf. „Nun, es ist vielleicht an der Zeit aus dem Bett aufzustehen. Du hast gestern bereits eine längere Zeit außerhalb des Bettes verbracht. Wie ist es dir dabei ergangen?“ „Gut. Kein Schwindel, nichts.“ „Dann sollten wir diese Übung fortsetzen. Was hältst du davon wenn du mir heute hilfst? Wenn du es möchtest natürlich. Es gibt sonst wenig, dass du hier tun könntest um dich zu beschäftigen.“ Nagi blickte auf das Pad, das neben ihm lag. Er hatte hier kein Netz und die Artikel, die Omi ihm aus dem Netz geladen hatte schenkten ihm keine Entspannung mehr. Es hatte seinen Reiz verloren sich um seine Studien zu kümmern. „In Ordnung, ich kann es versuchen.“ Hisoka nickte. „Gut. Ich bringe dir Kleidung, damit du deine eigene nicht beschmutzt. Aber zunächst bringe ich dir ein leichtes Frühstück.“ Er werkelte auf dem Tisch herum. „Wir werden ab heute wieder Patienten aufnehmen, da sich dein Zustand gebessert hat und Mr. Crawford uns sein Einverständnis gegeben hat. Ist das auch in deinem Sinne, Naoe?“ „Wenn Crawford dem zugestimmt hat ist es das“, pflichtete Nagi bei. „Du wirst noch zwei Aufbauspritzen pro Tag erhalten. Das hilft deinem Körper schneller leere Speicher aufzufüllen.“ Er hob ein Fläschchen empor und schüttelte es leicht, die gelbliche Flüssigkeit wirkte etwas ölig. „Dreh dich bitte auf den Bauch. Dein Oberarm wäre für eine intramuskuläre Verabreichung ausreichend, da sich aber wenig Muskelmasse dort befindet wähle ich in deinem Fall den Glutealmuskel.“ Nagi tat wie ihm aufgetragen und Hisoka zog ihm die Hose sanft herunter und nur soweit wie er musste. Es war nicht wirklich schlimm, es drückte nur etwas und schon war es vorbei. Er gehörte einer Gruppe Meuchelmörder an und trotzdem war er ein kleiner Waschlappen wenn es um Nadeln ging. Hisoka ordnete seine Kleidung wieder und Nagi drehte sich wieder herum. Vorsichtig setzte er sich auf. Ihm war kalt wie stets. „Keine Sorge, du bist auf einem guten Weg, Naoe.“ Da war sich Nagi nicht ganz so sicher, er wusste in etwa welchem Weg er entgegensah. Wenigstens waren seine Fähigkeiten auf einem besseren Niveau. Er konnte bereits kleine Gegenstände emporheben und sie in Schwingung bringen. Das war ein gutes Zeichen. Der Vormittag verlief sehr entspannt und er lernte einige Dinge über Instrumente und deren Benutzung. Er trug Dienstkleidung der Klinik und half Hisoka Instrumente für die Sterilisation vorzubereiten. Eine leichte aber schmutzige Aufgabe. Gegen Mittag half er beim Kochen und da kamen schon die ersten Patienten. Während er in der Küche stand und eine Suppe zubereitete, fragte er sich ob er nicht schon nach Hause konnte... da fielen ihm Brads Worte wieder ein. Er musste hier warten... auf etwas das kam und ihn töten wollte. o Yohji gähnte herzhaft als er Banshee an sich schmiegte und schließlich nach unten entließ. Sie strich weiter um seine Beine. „Ah, Kitty ich weiß...“, murmelte er und ging die Treppen hinunter. „Gegen ein bisschen kuscheln hätte ich jetzt auch nichts einzuwenden.“ Vom Flur aus ging er in die Küche. Dort saßen bereits Schuldig, Crawford, Ran und Asugawa. Er wurde nebenbei begrüßt und Ran stand auf. „Willst du Kaffee?“ „Wäre gut“, brummte Yohji und nahm Ran eine Tasse ab. „... können wir machen, nur ist es so schlau uns zu trennen?“, fragte Schuldig gerade nach, als er den ersten Schluck nahm und dem Gespräch folgte. „Nein, von diesem Standpunkt sicher nicht. Wir können nur den Clan nicht ohne Observierung lassen.“ „Jei sagte, dass sie das Ryokan nicht angegriffen haben“, wandte Yohji ein und setzte sich an den Tisch. Ran und Schuldig frühstückten während Asugawa und Crawford nur Tee und Kaffee tranken. „Nein, sie sind nicht aufgetaucht.“ „Eine Fehlinformation?“, fragte Kudou und sah zu Asugawa rüber der in seine Tasse starrte. Er sah auf und schüttelte langsam den Kopf. „Nein.“ Dann kniff er die Lippen zusammen. „Ich weiß es nicht. Es war ihr Plan, aber alles hat sich verändert. Wenn wir davon ausgehen, dass Superbia ein PSI war und sie vielleicht mit Rosenkreuz oder einem anderen Orden zusammenarbeiten, dann kann ich ihre Züge nicht mehr vorausahnen. Ich verstehe diese Konstellation nicht im Ansatz. Da läuft etwas, dass wir nicht verstehen, zumindest blicke ich nicht mehr durch. Superbia war ein Ordensmitglied, sie haben den Clan infiltriert, vor meinen Augen.“ „Superbia war nicht stark genug um eine Manipulation dieser Größenordnung zu bewerkstelligen“, wandte Schuldig ein. „Das nicht. Er hätte aber die Tür für einen mächtigen Telepathen darstellen können“, sagte Brad. „Ein Gefäß?“, fragte Schuldig und sah ungläubig zu Brad hinüber. Dieser nickte langsam und hielt seinen Blick mit Schuldigs verschränkt. „Dauerhaft?“ Schuldig schüttelte den Kopf. „Das wäre....“ „Diabolisch?“, fragte Brad ironisch. „Naja... eher anstrengend“, erwiderte Schuldig lapidar und hob beide Hände in einer frustrierten Geste. „Wer sollte so etwas mit sich machen lassen?“, fragte er wenig überzeugt von dieser Theorie. Alle sahen Brad an. „Freiwillig? Keiner.“ „Du meinst Superbia war eine Marionette?“, fragte Ran in Richtung Brad. „Es ist nur eine Theorie.“ „Er war mir unheimlich, so viel steht fest“, sagte Asugawa und Schuldig sah ihn an. „Genauer gesagt hatte ich Angst vor ihm. Mit ihm stimmte etwas nicht. Aber was kann ich im Nachhinein nicht sagen. Es könnte genau so gut sein, dass ich seine Fähigkeiten dafür verantwortlich machte. Von denen ich nichts wusste. Ihr alle...“ Er sah Brad, Schuldig und Jei an. „... habt eine besondere Ausstrahlung. Und ihr...“, er deutete auf Yohji und Ran. „Bemerkt sie nicht mehr, weil ihr zu nahe dran seid.“ „Die Frage ist wer ihn gelenkt hat“, sagte Brad. „De la Croix ist dazu fähig“, sagte Schuldig und es klang sehr überzeugt. „Nein. De la Croix ist dazu nicht in der Lage. Du überschätzt ihn.“ Schuldig sah ihn ernst an. Brad erwiderte diesen Blick. „Er ist ein Telekinet.“ „Wie erklärst du dir dann seine anderen Fähigkeiten?“ Schuldig wurde wütend. „Sekundärfähigkeiten, die ihm helfen eine Bindung herzustellen. Ohne herausragende Primärfähigkeiten im telepathischen Bereich ist er niemals in der Lage eine derartige Manipulation zu bewerkstelligen.“ „Dann hatte er Hilfe“, beharrte Schuldig. „Vielleicht. Oder es ist jemand anderes. Straud zum Beispiel.“ „Straud? Dieser Speichellecker?“ „Unterschätz ihn nicht, Schuldig. Sein Hunger nach Macht war stets unersättlich. Damals schon.“ „Wer ist dieser Mann?“, fragte Yohji. „Mittlerweile eine der drei Spitzen der Trias. Damals... ein sadistischer Gebietsleiter, der in Ungnade gefallen war. Er rangierte nach einem Fehltritt ziemlich weit unten in der Ordenshierarchie.“ „Dann hat er sich ja sehr schnell von seinem Fall erholt...“, resümierte Yohji. „Ihm wäre es zuzutrauen“, pflichtete Brad bei. „Weshalb unterstützt der Orden eine Ratte wie Straud?“, fragte Schuldig aufgebracht. „Weils Arschlöcher sind?“, schlug Yohji eine Möglichkeit vor. „Nein. Eher weil sie manipuliert wurden. Es gibt strenge Regeln. Was glaubt ihr warum PSI solange in Verborgenheit ohne Entdeckung bleiben konnten? Ganz bestimmt nicht weil sie sich in der Vergangenheit jemandem wie Straud angeschlossen haben. Straud hatte schon einmal den Wunsch nach Veränderung geäußert.“ „Veränderung?“ „Soweit mir bekannt war hatte er an einem Umsturz teilgenommen und wurde degradiert. Er wurde zum Gebietsleiter von Südamerika bestimmt.“ „Umsturz? Eine klassische Revolte?“, fragte Yohji interessiert nach. „Ja. Er unterstützte den Versuch die Trias zu stürzen. Sie vertraten die Ansicht, dass PSI in die Öffentlichkeit treten sollten.“ „X-Men mäßig?“ hakte Yohji nach. Alle sahen zu ihm hin. Er zuckte nur mit den Schultern. „Hey Leute, ich kann nichts dafür, der Gedanke drängt sich einem förmlich auf.“ Ran hob skeptisch eine Augenbraue. Brad verbarg sein Lächeln hinter seiner Tasse. Yohji kniff die Augen zusammen, er hatte dieses Grinsen gesehen! „Sag nicht, dass die Comics von PSI gezeichnet wurden!“ Brad zuckte nichtssagend oder doch alles sagend mit den Schultern. Nun sahen alle Brad an. „Kein Kommentar“, sagte er noch ein halbes Lächeln auf den Lippen. „Alle Comics?“, fragte Yohji verblüfft und ließ den Kopf in den Nacken fallen. „Mein Weltbild gerät gerade ins Wanken!“, stöhnte er theatralisch. „Die Filme auch? Was ist mit der Serie?!“, kam ihm da ein Gedanke und er sah wieder in die Runde. „Die Serie? Die war Schrott. Die Zeichnungen waren...“, sagte Ran plötzlich und hatte sofort die Aufmerksamkeit aller. Sogar Yohji hob erstaunt beide Augenbrauen. „Du hast X-Men angesehen?“, fragte er ungläubig. Ran spürte den interessierten Blick von Schuldig und wandte ihm langsam sein Gesicht zu. „Was?“, fragte Ran knurrend. Schuldig hob grinsend die Hände um seine arglosen Absichten kundzutun. „Oh nichts. Dein Geheimnis oh düsterer, unnahbarer Anführer wird diesen Raum niemals verlassen!“ Ran sah zu Brad hinüber. „Das geht endlos so weiter.“ „Es ist amüsant“, erwiderte dieser ungerührt. „Nicht für mich.“ „Och komm schon, Ran. Was ist mit Spiderman oder mit dem Silversurfer?“ Ran schnaubte, schob abrupt seinen Stuhl zurück und ging zur Anrichte um sich sein Getränk aufzufüllen. Schuldig zog eine Schnute. Er würde jedoch nicht so leicht aufgeben. Ran hatte Comics gelesen! Von den X-Men! Er grinste immer noch still vor sich hin als Brad sich räusperte. „Nach dieser netten unterhaltsamen Einlage sollten wir auf unser Problem zurückkommen. Jei, Schuldig, bringt in Kyoto in Erfahrung was dort läuft“, wies Crawford an. Alle sahen Brad an. „Jei ist...“, fing Ran an. Doch Brad zeigte gerade hinter sich. Dort kam gerade Jei zur Tür herein, Banshee auf dem Arm, die es sich dort gemütlich gemacht hatte. Er setzte sich auf einen freien Platz. „Ich fahre nach Kyoto“, bestätigte Jei, sah aber von Banshee nicht auf. „Du fährst nicht alleine, dieses Mal nicht“, beschloss Brad. „Du wirst entweder Asugawa oder Schuldig mitnehmen, er kennt sich auf dem Gelände aus. Wenn nötig quetscht den alten Yoshyo persönlich aus. „Ich fahre mit“, sagte Ran plötzlich. Crawford sah ihn an. „Je nachdem wie du dich entscheidest wäre das unzweckmäßig.“ Ran sah auf. „Chiyo hat mich heute Morgen kontaktiert. Sie will eine Zusammenarbeit mit uns. Sie will mich sehen um die Details zu verhandeln. Und sie hat Informationen über Rosenkreuz. Ich hege jedoch kein persönliches Interesse an diesem Treffen. Du vielleicht schon. Kudou und du könntet hinfahren.“ Schuldig legte seinen Löffel zur Seite. „Nein, ich fahre mit Ran, Kudou nichts für ungut“, sagte Schuldig und der Blonde winkte ab. „Habe ich auch etwas zu sagen?“, knurrte Ran düster. Alle sahen ihn an. „Willst du nicht?“, fragte Schuldig etwas erstaunt. Ran schwieg einen Augenblick. „Ich bin mir nicht sicher. Sie hat etwas vor und wenn sie hinter Kritiker steckt war sie es die uns manipuliert, wie auch immer sie das bewerkstelligt hat.“ „Ich habe nicht gesagt, dass ich ihr traue“, bemerkte Brad ruhig. „Fahr hin und hör dir an was sie zu sagen hat, wenn es dir nicht gefällt dann kommt ihr zurück.“ Ran nickte langsam, aber schien noch nicht überzeugt zu sein. „Sie erwartet mich am späten Nachmittag. Nach Morioka sind es ein paar Stunden mit dem Wagen. Ihr müsst bald aufbrechen.“ „Dann begleite ich Jei, hab eh nichts zu tun seit Eve weg ist“, seufzte Yohji bekümmert. „Sie ist schon weg?“, fragte Ran. Brad nickte. „In den frühen Morgenstunden. Sie wollte noch zu ihrem Team, bevor sie Lilli abholt. Ein Taifun wird die nächsten zwei Tage den Flugbetrieb lahmlegen. Heute Nachmittag wird es die letzte Gelegenheit geben um an einen regulären Flug zu gelangen. Omi und Ken begleiten sie bis zum Flughafen, damit ich etwas beruhigter bin.“ Jei hob den Blick vom Fell der Katze und sah ihn lange an. Dann stand er auf und ging. „Und was soll ich machen?“, fragte Asugawa. „Wenn Kudou dich nicht dabei haben will dann wirst du dich um deine Wunden kümmern, etwas essen und schlafen.“ „Ich trau dir nicht, ich will dich nicht dabei haben“, bestätigte Yohji und zuckte mit den Schultern. „Ich habe dich nicht darum gebeten mich ins Leben zurück zu zwingen“, gab Finn dem Blonden zu bedenken. „Du nicht.“ Schuldig rollte mit den Augen und zu Asugawa sagte er: „Hey ist doch prima! Das ist wie Krank-geschrieben zu sein“, grinste Schuldig. „Ha, ha“, meinte Finn wenig begeistert. Ran sah von Brad zu Finn und er konnte sich das Schmunzeln nicht verbeißen. Brad hatte das Haus für sich wenn sie alle weg waren, nur um mit Asugawa allein zu sein. Fast hätte er Lust hier zu bleiben um seinen Telepathen zur Bespitzelung anzustiften. Brad stand auf. „Ich bin oben.“ Sie unterhielten sich noch während Brad den Weg in sein Schlafzimmer antrat. Er nahm das Telefon zur Hand. „Ist alles vorbereitet?“ „...“ „Nein, Hidaka es ist keine gute Idee. Aber es ist die einzige Option im Augenblick.“ „...“ „Schöpft er Verdacht?“ „...“ „Gut.“ „...“ „Ich habe Eve instruiert.“ „...“ „Ich erwarte euren Anruf.“ Brad legte das Telefon auf den Tisch und setzte seine Brille ab. Er rieb sich die brennenden Augen und legte sich aufs Bett. Er hatte kaum geschlafen, etwas Ruhe würde ihm guttun, wenn er denn Schlaf finden würde. Es war alles geregelt, bis auf Kleinigkeiten konnte er nur abwarten. Brad musste fest eingeschlafen sein, denn irgendwann klopfte es an seiner Tür und er öffnete die Augen. Schuldig steckte den Kopf herein. „Wir fahren.“ „Wie spät ist es?“ „Gegen sieben.“ Brad setzte sich auf und rieb sich über das Gesicht, er fühlte sich wie erschlagen. „Ich habe zu lange geschlafen.“ „Kudou und Jei fahren mit uns los.“ „Ich dachte ihr wärt schon unterwegs?“ räusperte sich Brad. Schuldig machte die Tür auf und trat ein. „Ran wollte nicht zu früh los, er sagte, er würde bestimmen wann er dort ankam.“ Brad erhob sich. „Pass auf dich auf“, sagte er. Schuldig sah ihn an. „Ist alles in Ordnung mit dir?“ „Ich bin müde.“ „Kaum zu übersehen. Also bis morgen, wir kommen so schnell es geht zurück.“ „Haltet Kontakt.“ „Sowieso.“ „Und ich meine über das Telefon.“ „Warum? Bist du heute Nacht mit Asugawa zugange?“, feixte Schuldig. Brad sagte nichts, sondern wandte den Blick ab. „Verzieh dich Schuldig“, brummte er missgelaunt. Schuldig winkte spöttisch und verließ das Schlafzimmer, Brad schloss die Tür und lehnte sich an. Das war es also? Ihr Abschied? Er hatte es sich nicht leisten können anders zu reagieren, Schuldig war zu aufmerksam was seine Stimmungen anging. Ebenso Jei und Jei war bereits misstrauisch, so wie er ihn am Tisch angesehen hatte. Er hätte sich gerne anders von Schuldig verabschiedet. Er ging nach unten und sah zu wie sie ihr Equipment in die Wagen luden. Dann fuhren sie ab. o Nagi hatte nach dem Mittagessen einiges zu tun und Hisoka empfahl ihm eine Pause zu machen. Also setzte er sich in den Aufenthaltsraum der Belegschaft, die seit heute Mittag Zuwachs bekommen hatte. Drei junge Männer halfen dem Doc und Hisoka. Sie waren alle in Nagis Alter und hatten eine ähnliche Ausbildung wie Hisoka. Mittlerweile gab es drei Patienten. Einen mit einer Schussverletzung, der Zweite war so volltrunken gewesen, dass er nicht mehr wusste wer ihm die Platzwunde auf seinem Hinterkopf beigebracht hatte. Seine Kumpel hatten ihn zum Doc gebracht und schwuren sich im Aufenthaltsraum lautstark auf Rache ein. Soviel Nagi mitbekommen hatte waren es Mitglieder des Tetsuraclans. Hisoka mahnte sie bereits zum zweiten Mal um etwas mehr Ruhe an. Beim dritten Mal würden sie rausfliegen, doch das schien nicht nötig zu sein, sie verhielten sich ab der Standpauke wesentlich gesitteter. Der dritte Patient war ein Mann der wohl in der Nacht zusammengeschlagen worden war, er war übel zugerichtet worden. Ein Mitglied von Ryuichi Asami. Man hatte ihn auf der Toilette eines seiner Spielcasinos gefunden. Asamis rechte Hand war hier persönlich aufgetaucht um ihn abzuliefern. Das Haus war also voll und sie hatten alle Hände voll zu tun, denn das waren alles schwere Verletzungen. Nagi hatte sich versichert, dass er momentan nicht gebraucht wurde und hatte sich dann zurückgezogen um, wie von Hisoka angeordnet, etwas zu essen. Die Gemüsesuppe schmeckte ihm und er freute sich auf die Nudeln darin, als er jemanden in der Küchentür stehen sah. Es war der Doc. Er streifte sich seinen Kittel ab und hängte ihn an einen Haken, dann nahm er sich von der Suppe und setzte sich ihm gegenüber. „Die Männer die heute aushelfen... sind sie vertrauenswürdiger als die, die Yohji und Jei töten wollten?“, fragte Nagi nach einer Weile einträchtigen Schweigens in der sie ihr Mahl aßen. Der Doc sah auf und Nagi konnte den Blick hinter den Brillengläsern nicht ganz deuten. „Sie sind es. Es sind Kawamoris. Sie entstammen meinem Clan.“ „Warum...“, fing Nagi an. „Wir hielten es für nötig eine Abspaltung von unserem Clan bei Tetsura, Sakurakawa und Ryuichi zu inszenieren um an mehr Informationen über laufende Geschäfte zu erhalten.“ „Ihr habt Brad getäuscht?“ „Glaubst du das?“ Darüber musste Nagi nachdenken. „Ich weiß nicht.“ „Ich glaube nicht, dass ich Mr. Crawford täuschen kann.“ „Nur sein Augenmerk auf etwas anderes lenken?“, fragte Nagi. Der Doc schwieg. Für Nagi war dies Antwort genug. Er widmete sich wieder seinem Essen und dachte wieder an Brads Worte. Sie würden sich vielleicht nicht wieder sehen. Er fühlte sich... alleingelassen. Von allen verlassen. Schuldig meldete sich hin und wieder und erkundigte sich nach seinem Befinden, das machte es erträglich von ihnen getrennt zu sein. Dennoch... fühlte er sich allein. Eine Betäubung hatte sich in ihm eingestellt. Die kleinen Tätigkeiten die ihm hier aufgetragen wurden halfen ihm ein wenig seine Gedanken mit etwas anderem zu beschäftigen. Sie waren eine gute Übung um seinen Körper wieder etwas an normale Bewegungen zu gewöhnen. Heute Abend würde Omi wieder vorbeikommen und er freute sich schon darauf. „Kommen deine Fähigkeiten langsam zurück? Bemerkst du eine Erholung? Nagi sah auf. „Ein wenig. Ich habe Angst, dass sie nicht vollständig zurückkehren werden.“ Der Doc sah ihn lange an. „Verständlich. Es ist nicht sicher. Zumindest was ich von Mr. Crawford über eure Fähigkeiten weiß.“ Nagi sah ihn bedrückt an. „Du hast einen schweren Einschnitt in das erlitten was ihr euren Schild nennt. Eine Narbe, die vielleicht verhindern wird, dass du zur alten Größe zurück findest. Mr. Crawford sagte mir, dass der Schild unbedingt intakt sein sollte.“ Nagi nickte. „Damit ist nicht der Regenerationsschild gemeint“, sagte er leise. „Es ist deine Seele.“ Nagi sah auf den Tisch zurück. „Ja. Dieser innere Schild macht uns als PSI aus. Er soll aus vielen metaphysischen Schichten bestehen.“ Er wollte noch etwas sagen schwieg aber dann. „Bist du müde?“ Nagi sah auf. „Ein wenig.“ „Leg dich bitte nach dem Essen etwas hin, du solltest dich ausruhen.“ Nagi wollte zunächst protestieren, nickte dann ergeben. Er konnte nicht leugnen, dass er müde war. Sie aßen schweigend weiter. Der Doc erhob sich schließlich und nahm ihr Geschirr um es in die Spülmaschine zu räumen. Dann verließ er mitsamt seinem Kittel die Küche. o Brad ging sofort nachdem Schuldig und Ran gefahren waren ins Besprechungszimmer und begann damit Dateien auf Datenträger zu sichern. Als er fertig war initiierte er das Programm um die noch vorhandenen Daten auf den Rechnern zu überschreiben. Das würde den Rest des Abends dauern und er verließ den Besprechungsraum. Schuldig rief ihn in der Zwischenzeit einmal an, ebenso Kudou. Es verlief alles nach Plan. Kudou und Jei hatten Posten bezogen und würden sich in den nächsten Stunden wieder melden. Eve hatte sich gemeldet. Der Junge war wie von Sakura Kawamori versprochen zum Flughafen gebracht worden. Sie waren alle zusammen abgereist. Omi hatten sie betäubt, da er einen Riesenaufstand verursacht hatte. Brad war erleichtert gewesen zu wissen, dass wenigstens diese Menschen nicht mehr in Gefahr waren. Jei war ein Unsicherheitsfaktor. Er musste ihn von Kyoto weiter nach Morioka schicken um ganz sicher zu gehen. Brad verließ das Besprechungszimmer und ging sich duschen. Danach schlüpfte er in bequeme Kleidung und ging hinunter. Es war bereits zehn Uhr abends. Finn war nirgends zu sehen. Das Haus lag still da. Er löschte die Lichter und begab sich in das Untergeschoss um nach ihm zu sehen. Dort war es dunkel und Brad ließ davon ab das Licht anzumachen. Er ging den Flur entlang und stieß auf einen weichen Körper der sich plötzlich an ihn schmiegte. Er ließ es zu. Sehnsüchtige Lippen drängten sich an seine, offenbar mutig geworden durch ihr Gespräch in der Küche. Sie ließen beide ihre Zurückhaltung unterschiedlicher Ursache fallen und prallten derart heftig aufeinander, dass Brad sich fragte wie sie sich solange zurückhalten konnten. Er riss Finn fast das Oberteil vom Körper drängte ihn an die Wand und hielt dessen Handgelenke über seinem Kopf fest. Keuchend drängte sich Finn ihm entgegen, versuchte ein Stückchen Haut zu erreichen, was Brad ihm versagte. Er wartete auf Abstand bis er sich etwas beruhigt hatte. Ihr Atem war das Einzige was zu hören war. Finn wollte sich ihm wieder nähern, Brad hielt ihn erneut davon ab. Erst als Finn ruhiger wurde löste er langsam seine Hand von der Brust des Mannes und strich sanft zu dessen Halsbeuge. Er küsste ihn erneut, drang tief in seinen Mund ein. Brad ließ seine Handgelenke los und Finns Arme schmiegten sich an seine Schultern. Brad hielt einen Moment an den warmen Lippen inne. „Bleib bei mir...“, sagte er. ‚... in der Dunkelheit.’ Finn küsste ihn zart. „Ich bin bei dir.“ Brad ließ den Kopf auf Finns Schulter gleiten. Wusste der andere was er damit sagte? Was er damit meinte? Das was kommen würde, war bereits geschehen. „Hör nicht auf“, bat Finn. Brad zog ihn näher an sich und hielt ihn fest. Diese Dunkelheit die um sie herum herrschte hatte Konturen, sie hatte Schatten und er spürte Finns Herzschlag. Das was kommen würde war formlos, ohne Leben. Er wollte sich an diese Lebendigkeit, an dieses Gefühl der Nähe zurückerinnern können und von ihr zehren. „Dazu ist es zu spät.“ o Es war bereits zehn Uhr durch als alle Patienten auf die eine oder andere Art versorgt waren und Nagi den Kawamoris dabei half die Klinik auf Vordermann zu bringen. Einer der Patienten war gestorben, es war der Mann mit der Platzwunde. Die beiden anderen lagen in ihren Zimmern und schienen versorgt und stabil zu sein, wie Hisoka ihm erzählte. Sie aßen alle zusammen zu Abend, Nagi beobachtete die drei Männer, die er nicht kannte, alle schwiegen und schienen etwas angespannt zu sein. Sie sprachen über den Sturm der bereits über Tokyo war. Während Hisoka und der Doc die Patienten betreuten waren die drei anderen dazu abkommandiert worden um die Klinik vor eintretendem Wasser zu schützen. Die Männer würden heute Nacht hierbleiben, da es draußen zunehmend ungemütlich wurde. Wassermassen entleerten sich über der Stadt und der Sturm hatte an Intensität deutlich zugenommen. „Die Behörden gehen von großen Schäden aus“, berichtete Hisoka. „Der Taifun bringt zu Sie wollten noch den Bereich der Klinik vor eindringenden Wasser sichern und würden die Nacht über damit beschäftigt sein. Er solle sich aber keine Sorgen machen. Nach dem Essen, duschte er sich und Hisoka verabreichte ihm eine Aufbauspritze. Nach dieser jedoch hatte er sich komisch gefühlt, ihm war schwindlig geworden und Hisoka hatte ihm helfen müssen sich hinzulegen. Vielleicht hatte er es doch übertrieben... heute... es war viel... los gewesen... Mühsam deckte er sich zu. Hisoka räumte die Spritze zur Seite. „Vielleicht hast du dich heute überanstrengt“, sprach Hisoka seine Vermutung laut aus und der große Mann sah ihn forschend an. „Bisher habe ich mich gut gefühlt, jetzt... bin ich sehr müde“, murmelte Nagi und seine Augen fielen ihm bereits zu. Er hörte noch wie Hisoka mit jemandem sprach und dann war da nichts mehr. o Sano wartete im Dickicht welches eine einsame Waldstraße säumte. Er wartete bereits über eine Stunde und nichts regte sich auf dem Weg, bis ganz plötzlich alles um ihn herum unnatürlich still wurde. Keine Zikade war mehr zu hören. Ihr Gesang brach abrupt ab, kein Vogel der Nacht und kein Geräusch der nachtaktiven Nager war mehr zu vernehmen. Er fragte sich warum, denn er selbst hatte keine Annäherung durch ein Fahrzeug oder einen Menschen registriert. Dann verspürte er ein unangenehmes Gefühl als würde sich jemand nähern, nur konnten seine anderen Sinne nichts wahrnehmen. Plötzlich spürte er einen Atemhauch an seinem Ohr und er zuckte zurück, brachte sich außer unmittelbarer Reichweite. Ein leises Lachen war zu hören und ein Schatten stand dort wo er noch zuvor gestanden hatte. „Du bist sehr geduldig. Vielleicht zu geduldig“, hörte er und er konnte allein anhand der Stimme nicht einordnen ob diese Gestalt ein Mann oder eine Frau war. Sie war hochgewachsen, hatte seine Größe und war schlank. „Wer bist du?“ Die Gestalt ging einen Schritt auf ihn zu, machte jedoch kein einziges Geräusch auf dem Boden. „Ich bin... dein Kontakt.“ „Ich habe jemand anderen erwartet.“ „Ja, den hast du. Deine Herrin hat diesen Einen für seine Dienste nicht entlohnt. Sie scheint ihn vergessen zu haben. Ich kannte sie als eine sehr gerechte Seele. Sie begleicht eine Schuld immer. Warum hat sich dies geändert?“ „Diese Frage kann nur sie beantworten“, fand Sano schnell eine Antwort. Er sah das schnelle Kopfbewegen, das eher einem Vogel glich, so ruckartig wie der Kopf seitlich gewandt wurde. Er spürte, dass er sich in Gefahr befand. Sein Kontakt wurde augenscheinlich entdeckt und das war nur eine Falle für ihn um seine Herrin zu entlarven. Er musste sehen, dass er hier weg kam. Er sprang nach hinten, überquerte die Waldstraße und rannte durch den Wald. Rechts von ihm spürte er wieder diese düstere Anwesenheit wie zuvor schon, also wandte er sich nach links. Er wollte nicht mit diesem... Etwas in Kontakt kommen. Das passierte noch ein paar Mal und er änderte stets seine Richtung, bis er stehen blieb. Er wurde gelenkt, fiel ihm plötzlich auf. Aber wohin? „Geh weiter“, flüsterte es plötzlich wieder nah in seinem Rücken und er wandte sich hektisch um. Er war nicht schreckhaft, aber dieses Gefühl, das von ihm Besitz zu ergreifen schien jagte ihm Schauer über den Rücken. „Wohin?“, flüsterte er. „Dorthin wo ich dich haben will“, kam die Stimme von irgendwoher. Er ahnte, dass sie in seinen Gedanken war, dennoch hörte er sie mit seinem Gehör. Es war verwirrend. Wieder dieses leise amüsierte Lachen. Er rührte sich keinen Meter. Dann hörte er einen ungehaltenen Laut, der menschlich klang. „Genug der Spiele. Ich will dir etwas zeigen. Wähle, Gehilfe. Geh oder ich zerfetze deine Seele in tausend Splitter.“ Das war keine leere Drohung so sachlich wie die Worte zwischen sie beide fielen. Er ging weiter und fragte sich wer oder was das hinter ihm war. „Könntest du das was dich umweht zurücknehmen?“, fragte er. „Die leere Finsternis?“ „Wenn du es so bezeichnen willst.“ „Es schützt diese Unternehmung, es schützt uns beide.“ Das hieße, dass dort wo sie hingingen keine Gefahr für ihn selbst und seine Herrin lauern würde? Er bezweifelte es. Es dauerte noch einige Zeit, Sano schätzte zwanzig Minuten bis sie zu einer Straße kamen. Dort sah er gegenüberliegend einen Wagen stehen. Würde er gleich im Kofferraum verschwinden? Sie überquerten die Straße und Sano sah, dass es eine Frau war als ihre Silhouette im kühlen Licht der Himmelskörper zu erkennen war. Sie war größer als er und ihr Gesicht war schwarz bemalt. Sie hatte ihre Haare bis auf wenige Millimeter kurz geschoren. „Der Schlüssel steckt. Fahr damit an einen Ort deiner Wahl, lade die Fracht, die sich im Kofferraum befindet in ein Fahrzeug deiner Wahl. Ich fordere für meine und seine geleisteten Dienste etwas vom Schmied.“ „Was ist dort drin?“ „Deine Erwartung.“ „Mit diesen kryptischen Worten kann ich nichts anfangen.“ „Geschändete Unschuld in ihrer reinsten Form.“ „Eine Forderung an den Schmied muss mit einem Namen hinterlegt werden“, sagte Sano und kam auf die Spielregeln zurück. „Der scilt fordert Wiedergutmachung. Und der scilt“, sie sprach die einzelnen Buchstaben, die Sano noch nie gehört hatte überdeutlich aus. Der letzte Buchstabe wurde so deutlich mit der Zunge angeschlagen, dass Sano den Eindruck hatte die Frau war wütend und sie würde zischen. „... fordert sie jetzt.“ Sie war näher gekommen. „Dich verbindet offenbar mehr mit meiner Herrin als ich erfassen kann. Aber ich kann dir diese Forderung nicht bestätigen noch sie dir verweigern.“ „Das, junger Sano ist mir bewusst.“ Jung? Sano war fast vierzig Jahre alt. Er ahnte, dass seine Herrin und diese Frau länger bekannt waren als er bereits lebte. „Gib mir mehr in die Hand“, bat Sano. Sie schwieg. „Du forderst den scilt heraus?“ Irgendwie schien sie sich geändert zu haben, ihre Haltung und ihre Sprache hatten sich eine Nuance verändert. Zu etwas animalischem. „Nein. Ich bitte den scilt um mehr Informationen.“ Er blieb ruhig. Trotzdem hatte er Angst. Seine Schilde waren stark ausgeprägt, aber er konnte sich nicht gegen ihre Einflussnahme wehren. Was war sie nur? Das hier war eine ganz andere Liga. Mit Telepathen hatte er in der Vergangenheit bereits Kontakt. Sie war definitiv kein Telepath. „Eine Bitte...“, sagte er respektvoll. Sie schien zu überlegen. „Ich war euer Kontakt, ich bezog meine Informationen von ihm, dem, den du erwartet hast. Er war in Gefahr. Ich entfernte ihn aus der unmittelbaren Gefahr. Nun fordere ich den Schmied auf seine Arbeit aufzunehmen.“ Jetzt war natürlich klar was in dem Kofferraum war. „Das verstehe ich nun.“ Er verneigte sich angemessen. „Aber ist der scilt nicht selbst in Gefahr?“ „Mein Rang ist hoch. Ich brauchte Köder und Sündenbock. Nun ist kein Platz mehr für derlei Fallstricke. Das Spiel endet bald. Die Unschuldigen müssen vom Platz genommen werden.“ „Verzeih die Frage“, fing Sano umsichtig an. „... warum wendest du dich an den Schmied und nicht an die Frau? Sie wird den Jungen schützen.“ „Weil es nicht ausreichen wird. Er braucht die Arbeit des Schmiedes.“ „Ist er so stark?“ „Nein. Er gehört zur untersten Klasse und ist ein zarter und gebrochener Rabe.“ „Der Schmied nimmt nur Arbeiten an, die nötig sind“, sagte er vorsichtig. Sie machte einige Schritte von ihm weg. „Junger Sano, erzähl mir nicht wie der Schmied arbeitet. Ich kenne seine Arbeit, aber sie misslingt bisweilen auch. Und dann... dann...“ Sie zog sich weiter zurück am Rand des Waldes spürte er wie sie in seinen Kopf flüsterte. „... dann zerbrechen Welten. Sollte ich den Schmied folglich Weltenzerstörer nennen?“ Dann verschwand sie in den Schatten der Bäume und er stand allein am Wagen. Er öffnete den Kofferraum nicht, sondern stieg ein und fuhr davon. o Chiyo sah Sakura ruhig am Stützbalken angelehnt warten. Sie hatte ihr Schwert zwischen ihre Beine gestellt und es an ihre Schulter gelehnt. Sie war besorgt und das wiederum war Chiyo eine Warnung. Dann hörten sie wie das Tor geöffnet wurde und ein Wagen auf das Grundstück über den Kies fuhr. Der Wagen hielt einige Meter vor dem Haus an. Sakura sah auf und sah wie Sano ausstieg und zu ihnen eilte. Er kniete nieder und Sakura sah auf ihn herab mit einem beinah resignierenden Blick. „Ist er tot?“ „Nein, Sensei. Die Begegnung ist nur anders verlaufen als gedacht.“ „Berichte.“ Sano erzählte ihr davon und gab den genauen Wortlaut wieder. „Sie hat scilt gesagt?“ Sakura stand auf, ihre Klinge in der Scheide in der rechten Hand. „Das waren ihre Worte.“ Sakura trat die Stufen hinunter und ging auf den Wagen zu. Weltenzerstörer... Dieses Wort hatte sie lange nicht mehr mit sich selbst in Verbindung gebracht. In ihren Erinnerungen gefangen spürte sie der Vergangenheit nach und fand nur Verzweiflung vor. Sie war so elementar, dass sie sich zurückversetzt fühlte in jene Tage die sie an den Rand des Todes geführt hatten. Damals wäre sie beinahe gestorben. Sie hatten sich so hart bekämpft, dass sie sich gegenseitig ausgelöscht hätten. Du kannst nur zerstören, alles was du berührst zerfällt zu Asche, du vernichtest jede Welt, jede Seele die deinen Weg kreuzt... Nichts von alledem wäre je geschehen, wenn du dich nicht eingemischt hättest! Aim hatte ihr diese Worte unter wütenden Tränen entgegengeschrien, so verzweifelt... und so einsam. Nie zuvor und nie mehr danach hatte sich Sakura so hilflos gefühlt, so schuldig. Es waren die dunkelsten aller Tage gewesen. Und sie wollte sie vergessen, für immer, doch ein Runner vergaß nicht. Sie ging näher, ihre Gedanken noch halb in der Vergangenheit. „Etwas Abgespaltenes... dann...“ Sie stoppte am Wagen und Sano öffnete den Kofferraum. Der junge Mann der darin lag war in eine Decke gewickelt, ein Kissen lag unter seinem Kopf. Er schien zu schlafen. Sein Gesicht war stark mitgenommen. „Beschreibe mir die Frau.“ Sano tat es und Sakura beugte sich über den Jungen und strich ihm über die Stirn. „... dann lebt er also“, resümierte seine Herrin wie in Gedanken versunken. „Ich habe unterwegs angehalten und seine Lebenszeichen überprüft. Es sieht für mich nach einem künstlichen Schlaf aus.“ „Sano, bring ihn in eines der Zimmer und wache über ihn. Sobald er aufwacht möchte ich darüber informiert werden.“ „Ja, Sensei.“ Drei Männer, die als Wache eingeteilt waren eilten herbei und Sano warf einem davon die Schlüssel des Wagens zu. „Sensei.“ Sakura stand immer noch dort und betrachtete sich den Jungen. Sie sah zu wie Sano den Jungen aus dem Wagen hob. „Ja, Takeru?“ „Wir würden die Überwachung ausweiten.“ „Wie weit?“ „Zufahrtstraßen, einen Kilometer Radius um die Besitztümer.“ „Danke Takeru. Hast du das mit allen besprochen?“ „Ja, Sensei. Es war die allgemeine Meinung.“ Sakura nickte. „Dann verlasse ich mich auf diese.“ Sie hatte wohl die ergebensten und treuesten Gefolgsleute auf diesem Erdenrund. Stets hatte sie ihnen erlaubt mitdenken zu dürfen und sie hatte sie stets vor Gefahr beschützt. Ihre Väter und Mütter und deren Väter und Mütter. Sakura wandte sich ab, dann fiel ihr noch etwas ein, sie kümmerte sich sonst nicht um derlei, aber jetzt war es ihr ein Bedürfnis. „Takeru“, sprach sie den bereits davon Eilenden an. „Sensei.“ „Bitte unterrichte deine Mutter davon, dass wir in nächster Zeit Besucher empfangen werden. Wenn es ihr keine Bürde ist wäre es angemessen eines der Gästehäuser vorzubereiten.“ „Sie wird es gerne tun.“ Chiyo begleitete Sakura hinein und sie gingen durch das weitläufige Anwesen zu den Räumen, die etwas spezieller waren. Sakura schien in Gedanken zu sein. „Wie kannst du so sicher sein, dass er lebt?“ „Ich bin es nicht. Aber nur Aim hat sich selbst scilt genannt.“ Chiyo blieb stehen und Sakura drehte sich zu der älteren Frau um. „Was bedeutet es?“ „Es bedeutet Schild.“ Und es bedeutete Abspaltung und Sakura ahnte was Aim ihm damit sagen wollte. Er hatte jemandem etwas genommen was ihm nicht gehörte. Und der Beschreibung die Sano ihr geben konnte ahnte Sakura um was es sich dabei handelte. Sie verstand es jedoch nicht. „Wann hat Stiller die Anfrage geschickt?“ „Gestern.“ „Ich werde ihn kontaktieren.“ „Jetzt?“ „Ja, Chiyo, am Besten jetzt.“ Sie gingen weiter und waren in ihrer Informationszentrale angelangt. Dort lungerten drei Männer und eine Frau herum und unterhielten sich während ihrer Observation von ein paar Objekten. Die Frau kicherte gerade über etwas dass einer der Männer gesagt hatte. Sakura schmunzelte ungesehen, bevor einer der Männer sich rasch erhob und sie mit einem erstaunten „Sensei“, ehrfürchtig ansprach. Zugegeben sie kam fast nie hierher. „Kato“, grüßte sie. „...stell mir bitte einen Kontakt zu Peter Stiller her. Seine Anfrage müsste gestern eingegangen sein. Wenn du den Kontakt hergestellt hast verbinde bitte in meine Räumlichkeiten. Stell sicher, dass er nicht zurückverfolgt werden kann. Ich werde mich im Gespräch kurz halten. Wie viel Minuten kannst du mir geben?“ „Während des Gesprächs können wir zusammen das Signal endlos umleiten. Wir bereiten alles vor.“ Sie nickte und verließ die vier wieder, Chiyo blieb bei ihnen. Zurück in ihren privaten Räumlichkeiten legte sie zunächst ihr Schwert auf dem Tisch ab. Ihr Blick verlor sich darauf. Wie lange hatte sie danach gesucht? Fast vierzig Jahre. In der Zwischenzeit war es über dreihundert Jahre alt. Zum Nationalschatz erklärt und nie gefunden. War die Zeit gekommen um es los zu lassen? Wie stets wenn sie es betrachtete löste es in ihr Schuld und Reue aus über die Vergangenheit aus. Hatte sie Aim im Stich gelassen? Aber es war sein Wunsch gewesen dort zu bleiben. Nur warum hatte sie nie verstanden. Vielleicht konnte Stiller ihr etwas dazu erzählen. Sie setzte sich an den niedrigen Tisch das Telefon vor sich gelegt und schenkte sich Tee ein. Dann wartete sie. Es dauerte eine Stunde bis das Telefon klingelte. Sie nahm ab. „Stiller“, hörte sie und sie erkannte die Stimme des Archivars sofort wieder. Sie lächelte. „Peter. Ich gebe zu, es ist angenehm Ihre Stimme zu hören“, sagte sie auf deutsch.“ „Eine lange Zeit ist vergangen und sie hat auch mir nicht immer gut getan.“ „Ich höre es an Ihrer Stimme, Peter.“ „Ich habe viel meiner Energie investiert um zu verbergen was verborgen bleiben sollte.“ „Ich verstehe.“ Sie schwieg einen Moment. „Was kann ich für Sie tun, Peter?“ „Die Lage ist kompliziert geworden, Sakura. Chiyo rückt mehr und mehr in den Fokus. Ihre jetzige Maske scheint zu bröckeln.“ „Ich weiß, Peter. Deshalb habe ich sie zurückgezogen. Ich komme nicht mehr umhin selbst das Feld zu betreten.“ „Das wirft Fragen auf.“ „Nun, das tut es in ähnlichen Situationen immer.“ „Ja, nur hatten wir eine ähnliche noch nicht.“ „Was meinen Sie?“ Er schwieg einen Moment und Sakura ließ ihm Zeit. „Fabienne Villard ersucht Sie um Unterstützung.“ „Fabienne?“ „Sie nennt sich Fabienne seit damals. Es ist der Name ihrer Mutter.“ „Nun gut, Fabienne also.“ Sie dachte über die Frau nach, holte das Bild der Frau aus ihrem Gedächtnis. „Sie sind nicht gut auf Sie zu sprechen.“ „Das ist lange her, Peter.“ Er schwieg wieder. „Was möchte Sie von mir?“ „Das ist kompliziert.“ „Das erwähnten Sie bereits.“ „Sabin...“ „Hat Sie seinen Tod noch nicht überwunden? Es ist Jahrzehnte her. Ich habe versucht ihren Sohn zu schützen, gemäß ihrem Wunsch und in Anbetracht ihrer Hilflosigkeit und ihrer... Unfähigkeit.“ „Sakura... Sabin lebt.“ Ihr Herz schien sich zusammenzuziehen. „WAS?“, keuchte sie betroffen. Sie spürte wie ihr das Telefon aus der Hand gleiten wollte. „Aber wie? Ich habe das Gefängnis selbst entworfen. Ich war am Bau mitbeteiligt. Und Aim...“ Sie schwieg und dann fielen alle Teile zu einem großen Ganzen zusammen. „Aim.“ „Ja, Aim hat den Reaper aufgenommen und speist seither die Abriegelung.“ Sakura stand auf und griff sich an die Stirn. Der Schild. Aim war der Schild. „Das ist Wahnsinn!“, keuchte sie ob dieser Ungeheuerlichkeit. Sie spürte wie die alte Wut von ihr Besitz ergreifen wollte. Tränen schossen ihr in die Augen und sie blinzelte. Es war lange her, dass sie dieses salzige Nass aufgrund von Gefühlen auf ihrer Haut spürte. „Aim schützt Sabin, keiner gelangt zu ihm. Er gestattet nur Fabienne ihm näher zu kommen. Der Rat weiß davon, leugnet aber dieses Wissen vor der Trias. Sie trauen Straud nicht. Und wir wissen immer noch nicht wie dieses Gefängnis funktioniert. Etwas fehlt um es zu öffnen. Sie haben es erbaut, Aim sichert es ab, dennoch fehlt etwas.“ „Wie lange schon?“ „Seit damals.“ „Das sind Jahrzehnte. Wie kann Aim den Reaper so lange halten?“ „Aim hat sich verändert. Er ist nicht mehr er selbst.“ Sakura spürte eine so immense Trauer in sich, dass sie kaum etwas sprechen konnte. Minuten der Stille vergingen. „Wie kann Sabin das zulassen?“, krächzte sie, ihre Stimme voll von Kummer. „Er weiß es nicht. Er hält Sie für die Ursache des Gefängnisses und damit kommen wir zum Grund für Fabiennes Kontaktaufnahme. Sie braucht Hilfe um ihn zu befreien. Er selbst hegt keine Ambitionen dahingehend.“ „Er will dort bleiben?“, fragte sie fassungslos. Sabin war dem Wahnsinn nahe gewesen als sie ihn dort eingesperrt hatten an diesem unsäglichen Ort. ...als sie und Aim diese Festung erschaffen hatten. Aber Aim hatte sich nicht an ihre Absprache gehalten. Aim hatte ihn nicht sterben lassen. Wie fatal. Aim hatte immer an das Gute in ihm geglaubt. Aim hatte ihn mehr geliebt als jemand sonst. Vermutlich hatte sie zu viel erwartet. Sie hatte einst gedacht der Reaper würde sich in seinem Gefängnis aufreiben und schließlich zugrunde gehen, was ihre Absicht gewesen war. „Nachdem der Reaper aufgenommen worden war und Aim ihm damals damit seine Gefährlichkeit genommen hatte beruhigte sich Sabin und seither ist er in seinem Gefängnis fast machtlos. Reste des Reapers bescheren ihm eine gewisse Wehrhaftigkeit, dennoch keine relevante Bedrohlichkeit. Der Rat möchte ihn als Spitze der Trias. Sein Stellvertreter entwickelt sich langsam zu einem Problem.“ „Langsam? Straud ist bereits hier und er IST ein Problem. Ich denke ich weiß jetzt warum er so aggressiv geworden ist. Sabin will raus. Er bedroht damit seine Pläne.“ „Ich denke der Gedanke formt sich langsam in seinem Kopf. Fabienne nährt diesen Gedanken. Er will seinen Sohn sehen.“ „Was tut der Rat?“ „Sie platzieren ihre Figuren auf dem Feld. Und sie suchen eine Möglichkeit das Gefängnis zu öffnen.“ Sakura lachte leise. Sie wusste, dass Peter Stiller eines der Ratsmitglieder und Gründer des Ordens war. Er war einer der wenigen im Rat die sich noch an der Basis tummelten. Nur mit diesen Mitgliedern konnte der Rat sicherstellen, dass die Informationen die sie erhielten der Wahrheit entsprachen. Nur Sakura wusste davon und sie würde es dabei belassen. „Peter, das Gefängnis braucht nunmehr drei Komponenten um es zu öffnen und ich weiß nicht ob ich gewillt bin dem zuzustimmen.“ „Straud ist zu weit gegangen. Er intrigiert im Orden und er macht durch Fehlverhalten aufmerksam. Wir brauchen jedoch Ersatz.“ „Deshalb die Jagd auf Schwarz?“ „Ich schätze den Hellseher immer noch für den besten Kandidaten ein.“ „Sie können sich kein Machtvakuum wie beim letzten Mal leisten.“ „Nein, das können wir nicht. Das würde die Welt ins Chaos stürzen. Wir können uns keinen zweiten Fehler leisten. Beim ersten Mal waren wir fast zu spät. Das hier haben wir selbst zu verschulden.“ „Immer noch die Nachwehen und Nachlässigkeiten der alten Trias.“ „Wir haben sie zu lange gewähren lassen. Sabins Macht hat uns zu sehr verängstigt als dass wir eine andere – weniger brutale Lösung – in Erwägung gezogen hätten.“ „Wie steht Aim dazu?“ „Ich hatte lange keinen Kontakt mehr. Aim ist in Japan.“ Dann war es tatsächlich Aim gewesen, der ihr den Jungen gebracht und sie die letzten Jahre aus dem Orden mit Informationen versorgt hatte. Er war noch auf der Seite der Guten. „Er ist ein Judge, Sakura.“ „Ein Judge“, wiederholte sie leise. Das hieße sie hielten ihn für zerstört, nicht reparabel, seine Fähigkeiten so groß, dass sie überwacht und gebunden werden mussten und es keine Hoffnung auf Besserung geben würde. Er hatte sich vom Menschlichen entfernt. „Um das Gefängnis zu öffnen brauche ich den Schmied, Sakura.“ „Den Schmied, den Schild und den Schlüssel, Peter.“ „Den Schlüssel?“ „Ich habe eine zusätzliche Sicherheit eingebaut. Dieser Schlüssel ist unerreichbar für jeden und für mich insbesondere.“ „Dann gibt es keine Möglichkeit?“ „Zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Und der wäre auch nicht glücklich gewählt, Peter. Straud bekam vom Rat die Weisung Kritiker zu jagen. Das tut er.“ „Dieses Format hat ausgedient, Sakura. Wir müssen zu den Wurzeln zurückkehren.“ „Ich weiß, Peter. Das ist jedoch nicht einfach zu bewerkstelligen. Ich habe bereits mit einer Umstrukturierung begonnen.“ „Der Schmied arbeitet wieder?“ „Ja, das tut er.“ „Gut. Dann warten wir.“ „Ohne den Schlüssel wird Sabin bleiben wo er ist.“ „Das habe ich verstanden.“ „Der Schlüssel wird erst in greifbare Nähe kommen wenn sich die Lage beruhigt und der Hellseher nicht in Gefahr ist.“ „Wenn der Hellseher in unserem Gewahrsam ist, dann wird Straud verschwinden und dem Hellseher droht keine Gefahr.“ „Der Hellseher braucht Schwarz um genügend Schutz zu erhalten. Aber der Orden bricht Schwarz auf.“ „Das ist nötig. Gabriel ist zu gefährlich um ihn nicht an der Kette zu lassen. Er könnte wie Sabin werden. Ich halte es für keine gute Idee Sabin an die Spitze der Trias zu setzen. Ich bin jedoch überstimmt worden.“ Sakura schwieg. Gabriel war bereits an einer Kette. Sie hatte sie selbst im Feuer geschmiedet. „Richten Sie Fabienne aus, dass ich ihrem Wunsch nicht nachkommen kann. Allerdings wäre ich über eine persönliche Aussprache erfreut.“ „Danke.“ Er legte auf und Sakura ließ das Telefon auf den Tisch fallen. Sabin lebte also noch? Wie er wohl jetzt war? Wütend auf sie? Und Aim? Sie mochte gar nicht daran denken wie es Aim ging. Sano hatte die Frau als düster und animalisch bezeichnet. Wie konnten sie das alles wieder geraderücken? Gab es eine Möglichkeit um vergangenes Unrecht ungeschehen zu machen? Wohl kaum. Konnte es aber geheilt werden? Aim. Sie setzte sich wieder und stützte ihre Stirn in ihre Hände. Wie konnte er den Reaper halten? Sie hatten Sabin beide geliebt auf ihre eigene Weise. Er hatte sich für Fabienne entschieden und sie alle damit ins Unglück gestürzt. Zu viele Gefühle waren damals im Spiel gewesen, zu viele verletzte Seelen. Drei Menschen, die einen einzigen Mann lieben wollten. Auf unterschiedliche Weise. Nur, dass er diese Liebe nicht zulassen konnte, oder wollte. Das konnte nicht gut gehen. Sie verzog den Mund zu einem wehmütigen Lächeln. Es konnte nur tragisch enden. Die größte Strafe jedoch trug Aim seither in sich und Sakura konnte sich nicht einmal im Entferntesten vorstellen was es bedeutete. Selbst wenn Aim den Reaper loslassen, wenn er ihn hochladen und seinem rechtmäßigen Besitzer zurückgeben würde, selbst dann wäre Aims Existenz zerstört. Wie mochte sich Sabin fühlen? Fühlte er überhaupt etwas? Wie hatte er je diese Grausamkeit zulassen können? Er musste es doch in seinem Herzen fühlen, in seiner Seele. Billigte er es als Teil seiner Rache an ihnen? Sabin hatte allen Grund dazu rachsüchtig zu sein, er hatte ihnen beiden sein Leben anvertraut und sie hatten ihn verraten. Nur, das war nie Sabins Natur gewesen. Er war kein feindseliges Wesen. Warum war er damals instabil geworden? Eine Frage, die sie sich damals schon nicht beantworten konnten. o Fortsetzung folgt... Vielen Dank fürs Lesen! Gadreel ^.^ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)