Der Glasgarten von Gadreel_Coco ================================================================================ Kapitel 161: Soulwhisperer -------------------------- Soulwhisperer o „Geht es allen gut?“, fragte Sakura als der Angriff vorbei war. Alle gaben ihr Zeichen dafür, dass es ihnen gut ging. Jene, die es auf die Knie gedrückt hatte erhoben sich langsam. Bis auf Kopfschmerzen gab es keine gravierenden Schäden an den Schilden. „Lasst euch trotzdem untersuchen.“ Sie ging zu Chiyo, die mit Hilfe von Sano Sabins Sohn zur Seite legte. „Der Angriff hat plötzlich aufgehört“, sagte Sano erstaunt. Sakura hob Gabriels Lider an. Seine Skleren waren Blau. „Etwas in ihm hat für einen Ausgleich gesorgt“, sagte Sano. „Nicht ganz. Er ist noch nicht ausgeglichen und wird nur vom Schild stabilisiert.“ Sano sah sie fragend an, doch Sakura schüttelte den Kopf. Sie wollte jetzt nicht darüber sprechen. Sie lehnten Gabriel an den Van an. Sakura beugte ihr Knie und sah zum ersten Mal ihren Enkel aus nächster Nähe. Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Er sah ihr ziemlich ähnlich. „Scheint als wären sie in einen Kampf geraten“, sagte Sano. Sakura sah den Schlamm auf Rans Kleidung, das Blut an seiner Kopfseite und an seiner Flanke. „Er ist verletzt“, hörte sie Chiyo und Sakura sah zu ihr auf, sagte jedoch nichts. „Deshalb war der Reaper so aggressiv“, schloss Chiyo weiter. „Sano, bringt ihn bitte hinein, trennt die beiden nicht, sonst haben wir das gleiche Problem wie zuvor, sobald er aufwacht. Sasuke soll sich um meinen Enkel kümmern“, sagte Sakura und erhob sich. Ran und Gabriel wurden fortgebracht. Sakura sah ihnen nach, während Chiyo bereits den Van öffnete. Sakuras Gesicht verfinsterte sich, als sie die beiden Leichensäcke registrierte. Sie kletterte in den Van und besah sich die Inhalte. „Das ist der Grund“, sagte Sakura leise. „Deshalb der Anruf und deshalb wollten sie zurück“, stimmte Chiyo zu. Sakura setzte sich auf die Liege und starrte auf die toten Gesichter. Sie hörte wie Chiyo Anweisungen gab, hörte jedoch nur mit halbem Ohr hin. „Kein Wunder..., dass der Reaper so nahe war“, sagte sie mehr zu sich selbst, als zu Chiyo. Minuten vergingen bevor sie sich bereit fühlte den Van zu verlassen. Erinnerungen begannen sich zu regen, ohne dass sie aktiv von ihr hervorgeholt wurden. Das Sterben begann erneut. Und dass obwohl sie geglaubt hatte mit ihrem Rückzug aus dem aktiven Geschäft dem entkommen zu sein. Aus dem Haus kamen mehrere Menschen und Sakura ging an ihnen vorbei um zu Gabriel Villard und ihrem Enkel zu gelangen. Als ihr Momo entgegenkam blieb sie stehen. „Überprüf mit einem Team ob sie verfolgt wurden. Zieh die restlichen Teams nicht zurück. Sie sollen nicht eingreifen, nur beobachten. Habt ihr in der Zwischenzeit Kontakt zu Manx?“ „Ja, aber nur kurz. Die Verbindung war schlecht und brach dann komplett ab. So viel wie wir verstanden haben zieht sie die noch verbliebenen Teams ab und schickt sie in den Untergrund. Sie hat gesagt, dass sie gejagt werden.“ Sakura schmälerte ihren Blick und nickte dann. „Verstehe.“ Momo zögerte. „Sprich“, forderte Sakura mit einem schmalen Lächeln auf. Momo traf des Öfteren Entscheidungen aus eigenem Ermessen, manchmal war das gut, manchmal jedoch nicht. „Ich... habe Manx gesagt sie soll herkommen.“ „War es eine sichere Verbindung?“ Momo nickte eilig. „Was hat sie geantwortet?“ „Dass sie es momentan nicht verantworten könne, diesen Standort zu gefährden. Sie würde es zu gegebener Zeit in Erwägung ziehen.“ Sakura schüttelte lächelnd den Kopf. „Wenigstens einer von euch beiden hat mitgedacht.“ Momo sah betreten zu Boden. Sakura legte der kleineren Frau eine Hand auf die Schulter. „Ich weiß du bist aufgeregt weil du Angst um deine Schwester hast. Trotzdem solltest du vorher mit Sano, Chiyo oder mir sprechen, damit wir das Risiko abwägen können.“ Momo nickte. „Ich verstehe auch, dass du nicht viel Zeit für eine Entscheidung hattest – aufgrund der schlechten Verbindung. Denk daran, dass jeder Schritt einer in die falsche Richtung sein könnte.“ „Jawohl, Sensei.“ Sie verbeugte sich und Sakura folgte den anderen ins Haus hinein um zur Krankenstation zu kommen. Gabriel lag in der Zwischenzeit in einem Bett und Ken war gerade dabei ihm seine Jacke auszuziehen und ihn rasch auf Verletzungen zu untersuchen. Sakura wandte sich ihrem Enkel Ran zu. Dort war es hektisch geworden, alle arbeiteten zügig und Sakura trat bis an die Wand zurück um nicht im Weg zu stehen. Sie betrachtete sich ihren Enkel und ein unangenehmes Gefühl breitete sich in ihrem Brustkorb aus. Sie blinzelte, als der Druck in ihrer Kehle zu groß wurde. Dieses Gefühl... Sie hatte es lange nicht mehr gespürt. Es war Angst. Sie musste sich erst wieder an dieses Gefühl gewöhnen. Zulange hatte sie die Verantwortung für ihre Familie von sich geschoben. Weil sie geglaubt hatte sie verloren zu haben. Kam jetzt die Chance auf die sie gehofft hatte? Sie verdrängte diese Gedanken und konzentrierte sich wieder auf Ran. Ihr Blick richtete sich auf sein Gesicht und die geschlossenen Lider. Alles wurde nach und nach zu einem Brei aus Stimmen und Geräuschen. Sie hielt ihren Blick weiterhin auf Ran gerichtet und das Bild verschwamm zunehmend bis aus dem verwischten Bild ein Gebilde hervortrat. Sakura besah es sich. Sein Energiekörper leerte sich langsam aber stetig. „Er fällt“, flüsterte sie und sie zog sich zurück. Sie fokussierte sich wieder auf ihre Umgebung und atmete tief ein. Ihr Enkel war schwer verletzt. Sasuke sah sie mit diesem speziellen Blick eines Arztes an, den sie in der Vergangenheit oft gesehen hatte. „Wir müssen operieren.“ Sie nickte. „Ich möchte dir nicht noch mehr Druck machen, aber... er fällt.“ Sasuke richtete sein Augenmerk wieder auf Ran und erteilte Anweisungen. Sakura ging hinüber zu Gabriel. Sein Gesicht wirkte blass und angespannt. „Er kämpft gegen den Schild.“ Sie legte ihm die Hand auf die Stirn, dann wies sie eines der Clanmitglieder – Ken - an ihm ein Medikament zur Beruhigung zu geben. „Er hat ihn gerettet“, sagte Ken als er die Spritze vorbereitete. Gabriel sollte schlafen bis Ran außer Gefahr war. Alles andere würde zu gefährlich sein. Für sie alle. „Der Fall ist im Moment sehr ungünstig“, sagte Sasuke. Ken sah besorgt hinüber. „Die Narkose wird schwierig“, sagte er. Sasuke überließ den anderen Clanmitgliedern Ran für die Operation vorzubereiten und nahm sein Telefon zur Hand. Sakura sah hinüber zu Ran. Sie entfernten ihm gerade einen Teil seiner Haare um an die Wunde an seinem Kopf zu kommen, während ein zweites Team die restliche Kleidung auszog um sich einen Überblick zu verschaffen. Sie beschwerten sich gerade, dass sie die Kleidung nicht zerschneiden konnten. „Euer Band ist stark. Das ist gut“, sagte Sakura leise zu Gabriel. „Wartet“, sagte Sasuke und Ken nickte. Sasuke beendete sein Gespräch und kam zu ihnen. „Wie geht es ihm?“, fragte Sasuke Ken. „Er hat nur ein paar kleine Schrammen im Gesicht und er hat auch dieses Zeug hier an.“ Er hob das dunkle Material an das Schuldig unter seiner Motorradkleidung trug. „Interessant“, bemerkte Sakura. „Gut“, sagte Sasuke. „Ken, geh bitte in den Saal hinüber und bereite alles für die Op vor. Du machst die Narkose.“ Ken nickte, überreichte Jin das Sedativum und verließ den Raum. „Jin, du hilfst mir hier.“ Sasuke drehte mit Hilfe von Jin Gabriel zur Seite und sie untersuchten die Rückseite. Sie ließen ihn auf den Rücken zurück und Sasuke hob die Lider an. „Was... ist das?“, fragte er schockiert. Er sah Sakura an. „Das ist normal.“ Sasuke hob die Brauen, zuckte dann mit den Schultern und ersparte sich die Pupillenkontrolle. Es war keine Pupille vorhanden. „Wie kann er sehen?“ „Er hat im Moment eine andere Art der Sicht. Die Pupille ist so eng, dass sie nur ein winziger Punkt ist. Mit dem bloßen Auge nicht zu sehen.“ „Wie kann er physiologisch dazu in der Lage sein?“ „Er ist es.“ Sakura zuckte mit den Schultern. Sasuke seufzte. „Wenn er wach ist muss ich ihn noch einmal untersuchen.“ „Kannst du, aber ich glaube nicht, dass er sich in dem Zustand in dem er sich momentan befindet und dieses Phänomen auftritt bereit für eine Untersuchung ist. Sasuke... er befindet sich im Augenblick in einem Ausnahmezustand. Nur dann tritt dieses Phänomen seiner speziellen Sicht auf. Sofern er das nicht unter Kontrolle bekommt heißt das.“ Sie sah seine Enttäuschung und musste schmunzeln. Er nickte Jin zu und sie spritzten ihm ein Sedativum. Gabriel entspannte sich nach einigen Minuten und Sakura betrachtete sich sein Gesicht. Sie konnte teilweise Sabin in ihm sehen. Der Ansatz der Nasenwurzel war gleich, die Augenbrauen sehr ähnlich, die Lippen hatten denselben frechen Schwung. Sie löste sich vom Bett und verließ den Raum. Draußen atmete sie tief durch. Ihn hier zu haben beförderte vieles zu Tage was verborgen bleiben sollte. Und vielleicht war es gut so, vielleicht war es der richtige Zeitpunkt. Sie bog um eine Ecke in Richtung der Küche als ihr Firan entgegenkam. „Herrin, ihr habt mich nicht geweckt“, sagte er völlig außer Atem. Sein Haar war unordentlich und floss ihm in dunklen Wellen um die Schultern. Die faszinierenden Augen blickten sie wach und besorgt an. „Firan“, sagte sie überrascht, da sie ihn tatsächlich für einen Moment vergessen hatte. Ihre Gesichtszüge glätteten sich und sie sah ihn sanft an. „Ich muss mit dir sprechen.“ „Ja, Herrin. Ist etwas passiert? Alle sind wach.“ „Ja, das ist es. Es ist etwas passiert, Firan. Etwas Schlimmes. Lass uns zu Chiyo gehen.“ Er nickte und sah sie bange an. „Etwas ist mit meinem Bruder. Es fühlt sich anders an. Leer.“ Sie blieb stehen und sah ihn aufmerksam an. „Dein Bruder ist tot, Firan.“ Seine Augen wurden größer, sein Mund verzog sich, er atmete unkontrolliert und trat einen Schritt zurück bis er an einem Stützpfeiler lehnte. „Ich... ich weiß“, sagte er unterdrückt. „Ich habe es gefühlt. Ich weiß... ich weiß... ich wusste es...“ Er schüttelte den Kopf. „Ich wusste...es...“, flüsterte er mit schwerer Stimme. Dann lehnte er seinen Kopf an dem Holz hinter sich an. „Ich wusste es“, flüsterte er und sah blind vor Tränen auf den Van, der im Hof stand. Wie lange hatte er schon darauf gewartet, dass dies passieren würde? Jahre und jetzt war es eingetreten. Sie waren sich nicht mehr begegnet. Und würden es nie mehr. Sakura betrachtete sich die schmale Gestalt, abgekehrt von allem. Warum hatte sie den Jungen damals nicht einfach mitgenommen? Warum war sie damals dieses hohe Risiko nicht eingegangen? Es gab einen Grund – einen rationalen. In Anbetracht der jetzigen Situation wirkte dieser Grund geradezu lächerlich auf sie. Genau jetzt wollte sie diese Rechtfertigung nicht zulassen. Sie blinzelte ihre eigenen Tränen fort. Sie halfen niemandem. Auch Firan nicht. „Darf ich ihn sehen?“ „Ja. Sollen wir noch warten bis Chiyo ihn hergerichtet hat?“ „Darf...darf ich dabei sein?“ „Lass uns gehen und Chiyo fragen.“ Sie gingen in einen Nebentrakt wo Chiyo und zwei Frauen die Toten versorgen wollten. Sakura bedeutete dem Jungen zu warten. Sie betrat den Raum zunächst alleine. Die beiden Männer lagen auf Unterlagen am Boden. Rechts und links neben ihnen waren diverse Schüsseln und Instrumente bereitgelegt. Sakura entdeckte die Zeichnung auf der Haut des Blonden. „Sie waren Partner“, sagte sie erstaunt. „Ein Guard. Die Zeichnung ist frisch“, stimmte Chiyo zu. Sie waren gerade dabei ihre Verletzungen zu flicken. „Kann der Junge dabei sein, wenn ihr seinen Bruder versorgt?“ Chiyo nickte und bedeckte den Leichnam des Blonden mit einem Tuch. Sakura ging zur Tür und holte Firan herein. Sie führte ihn an den Schultern - körperlichen Kontakt aufbauend - näher. Er brach halb in die Knie ein, als er neben seinem Bruder ankam und Sakura ließ ihn nach unten gleiten. Er nahm die Hand seines Bruders und bettete sie an seine Wange. Das Blut daran schien ihn nicht zu kümmern. Ein Handtuch lag über seinem Hals. Firan weinte still und wiegte sich langsam vor und zurück. Er sagte nichts. Sakura blieb bei ihm und strich ihm langsam über den Rücken. Sie hoffte, dass Körperkontakt dem Empathen etwas Trost schenkte. Sie blieben lange Zeit bis Sakura bemerkte, dass es Firan zu viel wurde. „Wir können später wieder zu ihm kommen. Lassen wir Chiyo ihre Arbeit machen, Firan.“ Er nickte und ließ sich aufhelfen. Sie führte ihn nach draußen und setzte sich mit ihm hin. Dann zog sie ihn an sich und sie betrachteten die Männer bei ihrer Arbeit. Sie spürte ihrer eigenen Trauer nach, schirmte sie aber vor Firan teilweise ab. Nicht gänzlich damit er Trost in dem gemeinsamen Gefühlen fand. Irgendwann wurde er ruhiger. Wie oft hatte sie das schon miterlebt? Aber selten war es ein derart grausames Schicksal wie heute gewesen. o Schuldig drehte sich zur Seite. Es war bequem und er spielte mit dem Gedanken auszuschlafen. Dann runzelte er die Stirn. Das war falsch. Er konnte nicht ausschlafen. Es gab viel zu erledigen. Wieso schlief er überhaupt? Er öffnete die Augen, dann stützte er sich mit einer Hand auf seiner Unterlage ab und hob den schweren Kopf von seinem Kissen und sah sich um. Er trug noch seine Kleidung. Der Raum sah aus wie ein Krankenhauszimmer, die Rollos waren zur Hälfte herabgelassen worden und Ran lag in dem Bett nebenan. „Ran?“ Dieser reagierte nicht, doch die Parameter am Monitor an den er angeschlossen war zeigten keine Auffälligkeiten. Er schien zu schlafen. Schuldig ließ sich vom Bett gleiten und ging zu Ran hinüber. Ran trug ein Krankenhaushemd. Schuldig lupfte die Decke und besah sich die Wunde. Sie war genäht worden. Vermutlich schlief er die Narkose noch aus. Er beugte sich über Ran und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. Ein Teil seiner Haare fehlte auf der linken Seite. Handbreit zog sich von der Schläfe in Richtung Hinterkopf ein weißes Pflaster. „Ran.“ Schuldig umfasste Rans Gesicht zärtlich mit seinen Händen, beugte sich über ihn und legte seine Stirn an Rans. „Bitte... bleib bei mir... bitte...“, flüsterte er und spürte wie diese Worte seine Beherrschung entwaffnen wollten. Er richtete sich abrupt auf und atmete tief durch, strich sich durch die Haare und band sich einen neuen Zopf. Wie lange hatte er geschlafen? Er suchte in seiner Jacke nach seinem Mobiltelefon, fand es jedoch nicht. Sich wieder Ran zuwendend blickte er auf den Monitor und sah dort Uhrzeit und Datum in einer Ecke. Es war kurz nach zehn Uhr am Folgetag, demnach hatte er nur ein paar Stunden geschlafen. Er deckte Ran sorgfältig zu und sah sich nach seinen Waffen um. Sie waren ihm abgenommen worden. Seine Jacke lag am Fußende, die Stiefel standen an der Seite des Bettes. Er ließ seine Jacke liegen, schlüpfte in seine Stiefel und machte sich auf den Weg zur Tür. Noch einmal tief einatmend wappnete er sich für diverse Gespräche die mit Sicherheit kommen würden. Er öffnete die Tür und fand sich mit zwei Männern konfrontiert. Offenbar waren sie nicht eingesperrt worden, aber unbewacht ebenfalls nicht. „Guten Morgen“, eröffnete der Eine. „Morgen“, murmelte Schuldig und kniff die Augen zusammen. Viel zu hell, resümierte sein Gehirn. „Gibt’s hier einen Kaffee oder was Ähnliches? Kopfschmerztabletten?“ Einer der Männer war versucht zu grinsen, unterließ es aber als der andere ihn mit einem Blick maßregelte. „Sorry, Jungs, ich war gestern etwas überspannt“, erklärte Schuldig etwaige ungehörige Maßnahmen seinerseits. An alles konnte er sich noch nicht wieder erinnern, aber das war momentan auch nicht so wichtig. „Wir bringen Sie zum Boss.“ „Ja, tut das.“ Schuldig musste wohl erst zum Obermotz bevor es Kaffee gab. Er begleitete die Männer, die eher wortkarg waren und enthielt sich sonstiger Kommentare. Eindeutig Kawamoris, wenn Schuldig die eine oder andere Tätowierung so betrachtete. Sie umrundeten das Haus und traten in ein anderes ein. Es regnete noch immer und von ihrem Van war nichts mehr zu sehen. Sie kamen in einen Raum und die Männer ließen ihn vorangehen. Dort saß eine Frau mit langen roten Haaren. Er trat näher und sie erhob sich. Sie hatte etwas von Ran. Dieselbe Geschmeidigkeit und sie schien auf schicke Kleidung auch nicht wirklich wert zu legen. Schuldig sah sich um. Die Männer hatten sich verzogen. „Gabriel, es ist schön dich zu sehen. Mein Name ist Kawamori Sakura.“ Kein japanisches Begrüßungsritual? Und sie sprach deutsch, mit nur minimalem Akzent. „Sie kennen mich.“ „Ich kenne deinen Namen, weil ich deinen Vater kannte.“ Schuldig runzelte die Stirn. „Meinen Vater...“ Schuldig wusste nicht sofort was er mit dieser Information anfangen sollte. Sie kannte seinen Vater. Er hatte Vieles erwartet, aber nicht DAS. Er hatte geglaubt dies würde die Eröffnung zu Vertragsverhandlungen oder Ähnlichem sein. Aber... das hier... es war persönlich. Warum sollten sie hierher kommen? „Ja. Sabin. Ich war sein Guardian damals.“ Sabin. So hieß sein Vater? Der Schemen aus seiner Kindheit hatte plötzlich einen Namen bekommen. Sabin. Wenn es stimmte. „Das ist sicher lange her“, sagte er unbestimmt und blieb vorsichtig. „Ja, das ist es.“ Sie musterten sich gegenseitig und Schuldig vermied es seine telepathischen Fühler nach ihr auszustrecken. Er konnte ihre Energie fast auf seiner Zunge schmecken so stark war sie. Er fühlte sich eingeengt und versuchte sich auf die Frau und nicht auf die PSI zu konzentrieren – was sie eindeutig war. Eve und Asugawa hatten Recht behalten. „Es gibt Vieles was ich Sie fragen will und ich weiß nicht wo ich beginnen soll“, gab er zu. „Bei der Frage die dir am Dringlichsten erscheint.“ „Was ist mit Ran?“ Sie nickte und lächelte wissend. „Er musste operativ versorgt werden, da er trotz deiner Maßnahmen viel Blut verloren hat.“ „Schläft er weil er die Narkose ausschlafen muss, oder gibt es dafür eine andere Ursache?“ „Er hat nur eine oberflächliche Wunde von einer Klinge am Kopf. Sasuke hat ihn durch den Computertomographen in seiner Praxis in der Stadt geschoben. Sein Gehirn ist nicht beeinträchtigt.“ Schuldig nickte und drehte sich halb weg und fluchte in Gedanken. „Ich muss wieder zu ihm.“ Sie hatte seine Frage nicht ganz beantwortet, das war ihm wohl aufgefallen. „Ich weiß, dass du das musst. Es steht dir jederzeit frei zu ihm zu gehen. Vermutlich wird er nicht plötzlich aufwachen, Gabriel.“ Er sah sie wieder an. „Woher wissen Sie das? Was sind sie?“ „Ein Runner.“ „Noch nie davon gehört.“ Sie lachte freudlos auf. „Das kann ich mir vorstellen.“ Sie kam zu ihm und blieb einen Schritt vor ihm stehen. Er musterte sie. Wie ähnlich sie Ran sah, ihre Augen jedoch hatten einen roten Einschlag, der das Violett zwar nicht überlagerte es aber bei genauerer Betrachtung dominierte. Es war schön. Nicht so schön wie Rans... „Sieh nicht zu tief hinein“, sagte sie leise und trat einen Schritt zurück. Schuldig blinzelte und wandte sich kurz ab. Was war das gewesen? „Was hältst du davon wenn du dir eine Dusche gönnst, etwas frühstückst und mir dann beim Tee Gesellschaft leistest. Wir hätten so die Gelegenheit über Vieles zu sprechen.“ „Ich...“, Schuldig schüttelte den Kopf. „Haben wir dafür die Zeit?“ „Ohne, dass du deine Fähigkeiten unter Kontrolle bekommst oder dass Ran aufwacht kannst du gar nichts tun. Tokyo ist aus unserer Sicht verloren. Und das betrifft noch ein halbes Dutzend anderer Städte. Ich habe keinen Kontakt mehr in den Süden.“ Nach einer Pause in der Schuldig hin und her gerissen zwischen dem Wunsch mehr über all dies zu erfahren und dem Wunsch zu Ran zu gehen fragte sie: „Hast du Asugawa getroffen? War er bei euch?“ „Ja, habe ich. Er lebt. Crawford hat ihn eingesperrt, vermutlich damit er nicht unter die Räder kommt oder sich irgendeinen Blödsinn einfallen lässt.“ Sakura grinste freudlos. „Ein wütender, rachsüchtiger Asugawa... damit haben wir immerhin ein Ass im Ärmel.“ „Er war geschwächt. Ich weiß nicht ob er etwas herausfindet, oder ob er sich einfach nur in den Tod stürzt. Jei und Kudou waren gute Männer. Sie sind gestorben. Was kann Asugawa unter diesen Umständen ausrichten?“ „Zweifel nicht an meinem Liebling. Er hat sein Leben ganz dem Hellseher verschrieben. Ich zweifelte lange an seiner Motivation. Ich denke wir sollten ihn nicht unterschätzen. Auch bin ich überzeugt davon, dass er nicht nur einfach „etwas herausfinden“ wird. Es wird Tote geben. Viele davon. Asugawa ist... im Grunde ein sehr...“, sie stockte kurz. „... sagen wir... wenig kontrollierbarer Mann. Er sieht vielleicht ansprechend und handzahm aus, aber selbst ich konnte ihn von Zeit zu Zeit nicht einschätzen, obwohl ich ihn aufwachsen gesehen habe. Er hat sich oft gefügt, aber hin und wieder wusste ich nicht ob er mich nur in Sicherheit wiegen und mich dann töten wollte, oder ob er die Zweckmäßigkeit seiner Aufträge anerkannte. Und das selbst als Jugendlicher. Für ihn gibt es nur ein einziges Ziel in seinem Leben: den Hellseher. Er ist besessen von ihm. Und Asugawa hat viele Kontakte in der ganzen Welt geknüpft. Kontakte aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten mit sehr speziellen Fähigkeiten.“ „Er hat keinen wirklich gefährlichen Eindruck auf mich gemacht“, sagte Schuldig in Gedanken daran wie hilflos Asugawa auf ihn gewirkt hatte. Sakura nickte nachdenklich. „Er ist ein Meister der Täuschung, des Hinterhalts und er ist skrupellos – wenn es um den Hellseher geht. Er hätte euch mit Leichtigkeit töten können – alle.“ „Uns?“ Schuldig lachte wenig überzeugt. Sakura erwiderte es weniger amüsiert. Schuldig sah das Messer nicht kommen. Noch während er lachte traf eine Klinge neben seinem Auge im Holz des Türstocks ein. „Warum hast du es nicht kommen sehen?“ Schuldig sah von der Klinge zu Sakura. „Weil ich ihnen vertraue, vermute ich mal. Aber gerade fällt mir ein... warum tue ich das eigentlich?“, fragte Schuldig langsam. Sie nickte und lächelte sparsam. „Ich bin offen zu dir. Das lässt dich glauben du kannst ebenso offen zu mir sein. Du öffnest deine Deckung. Und du bist es gewohnt der Überlegene zu sein. Unsere Fähigkeiten lassen uns glauben, dass wir unangreifbar sind. Das wird sich in Zukunft sicher ändern.“ „Möchten Sie mich dezent darauf hinweisen, dass ich nachlässig und arrogant bin?“ „Ja und Nein. Du kannst dich sicher fühlen...“, Sakura sah ihn an und musste aufgrund des fragenden Gesichtsausdrucks laut auflachen. „Nicht sehr geschickt von mir?“ „Nicht wirklich“, sagte Schuldig skeptisch. „Ran ist mein Enkel. Und du bist der Sohn von Sabin, einem Mann den ich einst sehr geliebt habe. Nichts würde mich dazu veranlassen einem von euch aus welchen Gründen auch immer etwas anzutun.“ Schuldig verzog den Mund, immer noch skeptisch. „Asugawa weiß wie er sich nützlich, wie er sich unentbehrlich machen muss um näher zu kommen. Wenn es sein muss lebt er mit seinen Opfern monatelang zusammen. Er lebt seine Rolle in die er schlüpft. Erwartet ein Mann oder eine Frau von ihm, dass er schüchtern ist, dann ist er es, erwartet er oder sie etwas anderes dann ist er es, immer mit einer Prise Realismus und Abweichung. Ich denke nicht, dass er sich selbst noch kennt.“ „Ich habe ihn gelesen. Sein Verhalten hat seiner Intention entsprochen. Er war für uns nicht nützlich, im Gegenteil“, brummte Schuldig. „Weil er die Rolle lebt in die er schlüpft. Wenn ihr Asugawa im Weg gestanden hättet, hätte ich nicht auf euch gewettet, glaube mir. Er ist trügerisch. Das Einzige das ihn davor bewahrt – und uns – zu einem wirklich gefährlichen Monster zu werden ist die Tatsache, dass er den Hellseher...“ „...verehrt?“, schlug Schuldig vor. Trotzdem... gut es mochte etwas dran sein, aber er vertraute sich selbst. Asugawa war vielleicht die Schlange, die Nagi in ihm sah, aber das tat Nagi aus eigenen Gründen heraus. Asugawa hatte einen Heidenrespekt vor Ran und Jei gehabt. Niemand konnte Jei und ihn so sehr täuschen. Schuldig hatte ihn telepathisch filetiert um das herausfinden zu können. Aber das musste er Sakura nicht auf die Nase binden. Teils stimmte was sie sagte, teils jedoch nicht. Sakura ging zu ihm und zog das Messer aus dem Holz. „Nein. Er liebt ihn. Mit jeder Faser seines Seins. Diese Liebe ist so allumfassend, dass sie...“ Sakura sah hinaus. „... erschreckend und für Außenstehende schwer begreifbar ist. Ich kenne dieses Gefühl und auch die Last die damit einhergeht. Man ist ständig dabei sich zu fragen ob es noch gesund ist wie man fühlt. Ich habe ihm beigebracht, dass eine ständige Reflexion wichtig ist.“ Schuldig seufzte. „Haben sie eine Bindung? Ich meine Brad und Asugawa. Ich habe ein Band gesehen.“ „Ja, ich denke das ist der Grund dafür. Er hat damit gelebt ihm stets fern zu sein. Dieser spezielle Umstand hat dazu geführt, dass er alles auf ihn ausgerichtet hat. Asugawa würde euch alle opfern wenn Crawford dadurch leben würde. Er würde in Kauf nehmen Lilli und Gabe zu verlieren, wenn dadurch Crawford leben würde.“ „Das ist extrem.“ „Dieses Band blieb für lange Zeit ohne Nahrung. Ich denke, dass es diese fieberhafte Dringlichkeit in ihm nicht gegeben hätte, diese Spielsucht, wenn er seinem Partner näher gewesen wäre.“ „Hatten Sie DAS beabsichtigt?“, fragte Schuldig mit Vorwurf in der Stimme. Sakura verneinte. „Nicht so früh. Er muss sich damals als Kind gebunden haben. Dass der Hellseher – ebenso jung – diese Bindung einleitete ist mir bis heute ein Rätsel. Aber was wissen wir schon von einem Hellseher wie Bradley Crawford einer ist? Es gab keinen so starken wie ihn – nicht so weit ich weiß und ich bin weit gereist in meinem Leben und habe mich auf die Suche nach Hinweisen über seltene PSI Fähigkeiten gemacht. Es gibt einige Träumer, aber keine Seher. Und er ist ein Pathfinder. Aufgrund meiner Nachforschungen weiß ich, dass es sie in früheren Zeiten gegeben haben muss, aber... wie gesagt, das ist lange her. Sie schwiegen eine Weile und Schuldig musste über Asugawas Verhalten nachdenken und wie dies mit all dem zusammen passen sollte was er bei ihm gelesen hatte. „Diese frühe Bindung...“, begann Schuldig nachdenklich. „Sie kann zerstörerisch sein. Der Charakter des Individuums ist noch nicht gefestigt, das Gehirn lernt noch. Asugawa hat die Bindung mit in sein gesamtes Sein verbaut. Er kann nicht anders und es ist ihm nicht möglich sich von Crawford fernzuhalten.“ „Das ist grausam.“ „Crawford hat ihn an sich gerissen, als Asugawa ihn töten wollte. Er hat ihn als Wesen an sich gebunden und gibt ihn seither nicht mehr frei.“ „Brad wusste davon nichts mehr“, erwiderte Schuldig. „Dann hat es vielleicht etwas mit seinen Fähigkeiten zu tun. Würdest du sagen er ist berechnend?“, fragte sie. „Brad?“ Schuldig sah sie an, als wären ihr gerade ein paar riesige Hörner gewachsen. „ES IST BRAD!“, rief er aus. Hatte sie das wirklich gefragt? „Ja, ist er“, fügte er dann seufzend hinzu. „Aber damals war er es nicht. Damals hatte er Hoffnung auf eine bessere Welt, er war eben noch nicht das Orakel von Schwarz. Er war einfach ein Junge.“ Das war ein magerer Versuch seinerseits um Brad nicht ganz so schlecht dastehen zu lassen. „Das mag sein. Aber veränderst du die Zukunft, veränderst du die Vergangenheit. Oloff sagte dies immer wieder zu mir. Und ich habe es nie begriffen. Was tat oder tut das Orakel um es derart nötig zu haben einen Menschen so stark an sich binden zu wollen?“ „Vielleicht kommt es noch und Brad tut etwas um diese Veränderung in der Vergangenheit zu bewirken. Es muss etwas Schlimmes für ihn sein, dass er sich gezwungen sieht diese Maßnahme ergreifen zu müssen“, sagte Schuldig. „Ja, es wird vermutlich ein elementarer Hilferuf sein. Dadurch findet eine Bindung in der Vergangenheit statt.“ „Das heißt es findet auf jeden Fall statt, als wäre es bereits geschehen. Brad würde sagen es IST bereits geschehen. Ein Fixpunkt. Unveränderlich. Das was kommen wird ist bereits gekommen. Die Zukunft ist in diesem Punkt festgeschrieben“, sagte Schuldig. „Findet dieses ominöse Ereignis nicht statt, gäbe es keine Bindung zwischen den Beiden. Aber dann würde sich Vieles verändern. Sin hätten euch vielleicht früher angegriffen, sie hätten Ran getötet und so fort... Asugawas Einflussnahme wäre weitaus weniger heftig ausgefallen. Wer weiß schon was passiert wäre? Ohne die Bindung zu Crawford wäre Asugawa vielleicht niemals über die ersten Jahre hinaus gekommen. Sein starker Wille hat ihn zu dem werden lassen war er heute ist. Es wäre nicht gut wenn sich alles ändern würde“, sagte Sakura. „Dann ist sie nicht festgeschrieben?“ Das hatte Brad ständig gesagt, aber er hatte auch gesagt, dass es Fixpunkte geben würde. „Was meinte er dann mit diesen Fixpunkten?“, fügte Schuldig seinen Gedanken hinzu. „Sie treffen immer ein. Die Umstände ändern sich lediglich. Ich weiß nicht viel darüber, nur dass was ich von Oloff gelernt habe. Und ich kann dir nicht einmal sagen ob Oloff sich da so sicher darin war.“ Schuldig zog ein missmutiges Gesicht. Sakura sah ihn aufmerksam an. „Das stellt dich nicht zufrieden.“ „Nein, das tut es nicht. Es ist alles nur Spekulation.“ Sie nickte. „Dennoch, ich kann mir vorstellen, dass Crawford bessere Umstände gewählt, oder kreiert hat.“ „Das geringere Übel gewählt?“, versuchte sich Schuldig alles ein klein bisschen zu erklären. „Vielleicht.“ Sie spielte mit dem Messer in ihrer Hand und ließ es um die eigene Achse gleiten, während sie nach draußen sah. „Ich habe ihn damals beobachtet, als ich beim Orden noch ein- und ausging. Idealistisch, beschützend, pragmatisch, gerechtigkeitsliebend. Hätte er zugelassen, dass die Welt vor die Hunde geht, oder hätte er Fixpunkte dahingehend beeinflusst ihr Auftreten ins Positive zu kehren?“ „Weiß ich nicht“, brummte Schuldig. „Einerseits hatte ich oft den Eindruck, dass ihm die Welt scheißegal war, dann wieder... war ich mir nicht so sicher. Er wollte sich nicht einmischen.“ „Und tat es dennoch.“ „Wir glaubten, dass es wegen uns war.“ „Nun, warum nicht mehrere Ziele vor Augen haben?“ Schuldig sah sie mit skeptischer Miene an. „Du musst mir sagen ob er dazu fähig wäre.“ „Sicher wäre er das. Aber warum uns das nicht mitteilen? Wir vertrauten ihm.“ „Er wollte euch nicht mit hineinziehen“, versuchte sich Sakura an einer Erklärung. „Das klingt als hätte er das alles geplant. Doch die Ereignisse kamen sehr schnell, er hat schon bessere Pläne gemacht“, sagte Schuldig. „Tatsache ist – und da muss ich dir Recht geben – die Ereignisse kamen zu schnell. Obwohl ich gut informiert bin, hat auch mich die Zunahme der Geschwindigkeit überrascht.“ Schuldigs Gesicht war finster in den grauen Tag gerichtet. Keine guten Aussichten. „Was hat Asugawa vor?“, fragte dann Sakura in nachdenklichem Tonfall. „Er will Crawford finden. Rosenkreuz haben ihn. Er wird wohl ein paar Leute aufmischen.“ Sakura nickte. Die Tür ging auf und Schuldig lehnte sich zurück um zu sehen wer störte. „Begleite sie, sie zeigen dir ein Zimmer in dem du dich frisch machen kannst, wir treffen uns danach wieder.“ Es waren die beiden Männer, die ihn vorhin schon begleitet hatten. Schuldig ging mit ihnen mit und sie wiesen ihm ein Zimmer zu in dem er sich ausruhen und duschen konnte. Er verspürte eher den Wunsch zu Ran zurückzukehren, aber er musste um ihrer beider Willen mehr von Sakura über ihre Lage erfahren. Als er aus dem Badezimmer kam lag auf dem Bett Kleidung - eine Jeans und ein Shirt, samt Kapuzenpulli. Hervorragend. Und sie passten einigermaßen. Die Männer warteten artig vor der Tür und begleiteten ihn zurück zu Sakura. Vor ihm stand ein westliches Frühstück mit Früchten, einem Müsli und süße Brötchen mit Marmelade. Eine Tasse Kaffee schenkte ihm Sakura gerade ein. „Danke.“ Schuldig fühlte sich unwohl, weil Ran nicht bei ihm war. Es ging ihm schlecht und keiner konnte Schuldig sagen ob er überlebte. Dass sich sein Zustand nicht verschlechterte beruhigte ihn etwas, trotzdem hatte Schuldig das Gefühl als würde etwas in ihm wieder auseinanderfallen wollen. „Er ist in guten Händen.“ Schuldig nickte und aß etwas. Als er fertig war wurde es abgeräumt und er nahm sich seine Tasse Kaffee heran. Er fühlte sich lethargisch und sehnte sich nach Ran. Sakura schien dies auch zu bemerken und versuchte ihn offenbar abzulenken. Sie wollte einiges wissen und er erzählte ihr knapp von Brads Entscheidung. „Er hat sie alle weggeschickt um keinen in Gefahr zu bringen. Das hat er mir am Telefon erzählt. Er sah keinen anderen Weg mehr, die Ereignisse haben sich zu schnell entwickelt.“ Schuldig spürte wie er wütend wurde und wie diese Wut dann fast schon wieder erstarb. Er hatte keine Energie für Wut, denn was brachte sie ihm schon? Brad hatte sicher alles bedacht, aber hatte nicht mit der Sturheit von Jei gerechnet. Und mit der Todessehnsucht von Kudou. Darum hatte er Nagi nicht nach Hause geholt, obwohl er es zunächst vorgehabt hatte. Und Omi? Wo war Omi hin? Hatte er ihn mit Ken und Eve und der Kleinen mitgeschickt? Wie hatte Omi sich überreden lassen? Chemisch vermutlich. Der Einzige der nicht freiwillig gegangen wäre, war Asugawa gewesen. Und den hatte er einfach weggesperrt. Aber warum, Brad? Sie hätten irgendwohin gehen können. Oder nicht? Wo war Eve? Er musste sie kontaktieren. „Ist Ran auch ein Runner?“ „Ja, das ist er.“ „Und welche Fähigkeiten hat er? Ich habe nichts bemerkt.“ „Kannst du auch nicht. Er ist so etwas wie ein Fass ohne Boden.“ Schuldig runzelte die Stirn. „Wie meinen Sie das?“ „Er kann seelische Energie, oder geistiges Gut in sich aufnehmen. Eine Art Träger für Seelen. Andere Seelen oder einfach nur viel Informationen. Je nachdem für was es gebraucht wird.“ Schuldig störte sich an diesem Satz, ließ es sich aber nicht anmerken. Je nachdem für was es oder er gebraucht wurde. Das gefiel ihm nicht. Ganz und gar nicht. Er erinnerte sich an etwas... in dem Haus... in ihrem Ferienhaus, der Sex im Badehaus... er hatte sich in Ran fallen lassen... er war förmlich in ihn hineingeströmt. War es das? Er musste später darüber nachdenken. „Dann war seine Schwester auch ein Runner?“, fragte er um seine Gedanken zu ordnen. „Ja, das war sie.“ Schuldig stöhnte auf. „Deshalb!“, entfuhr es ihm. „Deshalb wollte die Trias hierher. Sie wollten sich in Aya transferieren.“ „Ich vermutete das. Sie war jedoch noch sehr jung und hätte nie alle fassen können. Ich bin mir nicht sicher ob es funktioniert hätte.“ Bei all den Informationen die sie hatte fiel ihm ein... „Sie stecken hinter Kritiker?“ „Ja.“ „Und wie passt Chiyo in das alles?“ „Sie war mein Alias in der Familie.“ Sie verstummte und lange Minuten schien sie ihren Gedanken nachzuhängen. „Ich habe das zuvor noch nie in diesem Maßstab durchgeführt, aber es war nötig in vielerlei Hinsicht.“ Sie nickte, wie um es sich selbst zu bestätigen. „Irgendwann bemerkten die Menschen, dass ich nicht alterte. Ich suchte mir Jemanden der mir sehr ähnelte. Diese Frau nahm dann meinen Platz ein. Da mein geschätzter Ehemann oft lange Zeit im Ausland weilte und wir ohnehin nur geschäftlich verkehrten, war es nicht so schwierig wie es klingt.“ „Geschäftlich? Sie hatten Kinder.“ „Nun ja, zwei Mal miteinander zu schlafen ist nicht so schwierig.“ Schuldig hob eine Braue. Jeder Schuss ein Treffer? Er behielt seine Gedanken selbstverständlich für sich. „Dann sind sie tatsächlich Rans Großmutter?“ „Ja, das bin ich.“ Schuldig musste lächeln. Er freute sich für Ran. „Das wird ihn freuen. Aber er ist auch sehr wütend.“ „Alles andere hätte mich gewundert“, gab sie zu. „Ist es ein Zufall, dass Ran und ich aufeinandergetroffen sind?“ Sie sahen sich einige Augenblicke an. „Nein, das ist kein Zufall.“ „Aber... warum?“ „Runner und Reaper sind in der Regel füreinander gemacht. Sie passen sehr gut zueinander. Reaper brauchen Runner. Runner nicht unbedingt Reaper. Ein Reaper kann sich nur sehr schlecht mit etwas anderem verbinden...“ Schuldig hob die Hand und schüttelte den Kopf. „Stopp, was heißt Reaper? Sie sprechen ständig von Reaper. Sie gehen davon aus, dass ich ein sogenannter Reaper bin, aber ich bin Telepath, nichts weiter.“ „Gabriel. Du bist kein Telepath. Du bist auch kein Reaper. Ich sage es nur, weil der Reaper das Problem ist, nicht der Healer. Deine telepathischen Fähigkeiten sind Sekundäreigenschaften. Du solltest noch andere Sekundäreigenschaften besitzen, die dir helfen als Healer und als Reaper zu arbeiten. Empathische Fähigkeiten und vielleicht ein wenig Telekinese.“ Schuldig wischte sich über die Stirn und hob abwehrend beide Hände. „Mo-oment, mal.“ Schuldig schüttelte den Kopf. „Definitiv keine telekinetischen Fähigkeiten.“ „Keine primären, das stimmt, aber sekundäre.“ „Ich verstehe nicht.“ „Ich muss dich erst noch untersuchen, aber du bist ein Soulwhisperer, kein Telepath. Es ist das genetische Erbe deines Vaters.“ Schuldig fühlte sich überfordert und stand auf. In seinem Kopf wirbelten so viele Fragen auf als hätte jemand einen Schwarm Krähen erschreckt. Und bei Gott, diese Krähen waren nicht so leicht zu erschrecken. Er ging ein paar Schritte und sah hinaus in den Nieselregen. Angelehnt an die Wand und mit den Händen in seinem Hoody verborgen versuchte er alles zu ordnen. „Mein Vater lebt also?“ Sakura seufzte. „Ja, das tut er. Ich habe erst gestern davon erfahren. Ich dachte er wäre... lange tot.“ „Warum...“, er verstummte. „Warum du allein warst? Warum er dich nicht suchte?“, half ihm Sakura weiter als er verstummte. Schuldig nickte. Er war hier überfordert. Er brauchte Ran. Trotzdem fühlte er sich nicht in wie sonst in so einer Situation dem völlig ausgeliefert. War es ihr Einfluss, der ihn trotzdem noch ruhig und sachlich sein ließ? „Weil er es nicht konnte. Er ist eingesperrt, Gabriel. Er kann nicht raus.“ „Wo? Warum?“ „In Europa. Weil es zu gefährlich ist ihn herauszulassen.“ „Und was ist mit mir?“, fragte er mit Bitterkeit in der Stimme und sah sie an. „Warum bin ich dann nicht eingesperrt?“ „Weil die alte Trias dich unter Kontrolle glaubten und dann kam der Hellseher und hat dich ihnen weggenommen. Sie haben dir nichts beigebracht und dich im Glauben gelassen das du ein fehlerhafter Telepath bist.“ „Fehlerhaft... trifft es ganz gut. Das glaube ich selbst auch an manchen Tagen.“ „Ich kenne dich nicht, aber ich glaube nicht, dass du... fehlerhaft bist. Es ist der Reaper in dir der zu nahe an der Oberfläche liegt. Ich kann mir vorstellen, dass er deshalb so griffbereit für dich ist, weil er dir als Schutz dient oder diente. Eine wirkungsvolle Waffe.“ Schuldig wollte nicht darauf eingehen. Wie viel wusste sie von seiner Vergangenheit, wie viel hatte Asugawa ihr von seinen Beobachtungen übermittelt? „Was ist dieser Reaper? Sie sprechen davon, als wäre es ein anderes Wesen.“ „Nein, es ist nur eine Fähigkeit.“ „Welche?“ „Seelenstrukturen aufzubrechen, Schilde zu zerreißen und Verbindungen im Allgemeinen, die dem Zusammenhalt dienen aufzulösen. Vermutlich hast du sie abgekapselt, weil du nicht wusstest was es ist. Du hast ihr viel Raum gegeben, dadurch erscheint sie dir wie etwas Lebendiges das gebändigt werden muss und verschlossen werden sollte. Aber sie gehört zu dir. Das bist du. Es ist ein Werkzeug.“ „Ich kann... dieses sogenannte Werkzeug oft nicht kontrollieren.“ „Weil du es nicht gelernt hast. Und weil du dich vielleicht etwas veränderst in den Augen eines Betrachters. Du wirkst bedrohlich auf andere Menschen.“ Schuldig nickte. Er ging wieder zu Sakura und setzte sich. Sie schenkte ihm Tee ein und Schuldig nahm dankbar an. „Als wir wieder zurück zum Haus gefahren und auf die Rosenkreuzer getroffen sind da war etwas anders, in meiner Wahrnehmung.“ „Was hatte sich geändert?“ „Ich hab sie gesehen. Wirklich gesehen.“ Er schüttelte den Kopf weil er es selbst nicht verstand. „Ihre Seelen?“, fragte sie und Schuldig zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Ich wusste, dass es diese Rosenkreuzer sind, alles was sie waren habe ich gesehen. Alles was sie ausmachte konnte ich sehen. Ich hab sie zerrissen.“ „Was hast du gefühlt?“ „Als würde ich auseinanderfallen, die Teile zersplitterten“, er schwieg weil er nicht wusste wie er es erklären sollte. „Nie zuvor war mir das so plastisch aufgefallen“, sagte er nach einer Weile. „Das liegt daran, dass du viel Energie mobilisiert hast. Musstest du das in der Vergangenheit schon einmal?“ „Nein. Ich habe noch nicht gegen so viele PSI gekämpft. Nicht richtig jedenfalls. Es gab Situationen in der Vergangenheit... an die ich mich nicht erinnern kann. Es könnte möglich sein, dass ich damals Ähnliches gemacht habe. Ich weiß es nicht.“ Still saßen sie da und er ließ eine Musterung der Frau über sich ergehen. „Das was ich weiß werde ich dir mitteilen. Hast du schon einmal einen Schild stabilisiert?“ „Ja bei Naoe.“ „Dann hast du den Healer bei seiner Schildmatrix eingesetzt. Du kannst den Healer ohne Probleme einsetzen?“ „Ja, es fiel mir immer leicht Nagis Schild zu stabilisieren. Aber ich konnte ihn nicht... auffüllen.“ „Die Schildmatrix ist unsere Seele und sie wird mit geistiger Energie aufgefüllt. Diese Schildmatrix kann nur von einem Whisperer manipuliert werden. Es gibt fähige PSI die eine Matrix auffüllen können, da sie mit Bindungsfähigkeiten arbeiten, aber sie können keine Matrize herstellen oder manipulieren. Sie können nur mit vorhandenem Material arbeiten. Mit der richtigen Anleitung wärst du in der Lage einen Schild wie den von Naoe aufzufüllen.“ „Mein Lehrer bei SZ war ein Bindungsspezialist, er hat versucht mich zu konvertieren.“ „Ja, du sprichst von De la Croix.“ Schuldig nickte. „Ich habe gestern erfahren, dass er ein Judge geworden ist.“ „Was? Warum? Ich wusste von Brad dass er hinter uns her ist und dass er eine der drei neuen Spitzen der Trias geworden ist. Aber ein Judge? Dieses Relikt haben sie ausgegraben“, erwiderte er fassungslos. „Zur Zeit der Trias rangierten die Judges im Sagen und Märchenregal.“ „Die Judges unterstehen dem Rat direkt. Sie mischten sich nicht ein, weil der Rat es nicht wollte.“ „Der Rat?“ „Du weißt nichts vom Rat?“, fragte Sakura. „Nein.“ „Wusste Crawford vom Rat?“ „Ich bin mir nicht mehr sicher was Brad wusste und was nicht, und was und wie viel er vor uns verborgen hat“, gab Schuldig frustriert zu. „Was macht der Rat?“ „In der Regel nichts. Sie regulieren den Geldfluss. Die Orden wollen finanziell unterhalten werden und es macht keinen Sinn, Telepathen loszuschicken um krumme Geschäfte zu machen – nicht auf Dauer jedenfalls. Sie sitzen in Politik und Wirtschaft in den oberen Etagen und lenken die Geschicke der Menschen. Die Trias ist das Gesicht des Rates für die Mitglieder der Orden. Sie sind das Bindeglied zwischen den Menschen und den PSI. Verstößt man gegen ihre Gesetze treten zunächst Rosenkreuz in Aktion. Wünscht der Rat eine Überwachung dieser Umsetzung schicken sie die Judges. Vor allem dann, wenn es um heikle Angelegenheiten geht. Der Rat hat wohl bemerkt, dass Rosenkreuz in den letzten drei Jahren zu mächtig geworden ist und als Gegengewicht die Judges in ihrer Zahl gestärkt. Vor allem war dies wohl De la Croix zu verdanken.“ „Das wussten wir alles nicht“, Schuldig kam sich wie ein Kind vor, dem Vieles nicht erzählt worden war um es nicht zu beunruhigen. Er grübelte eine geraume Zeit lang über Brad und dessen Beweggründe nach. Sie schwiegen unterdessen und Schuldig trank den Tee aus. „Hatte Ran schon vorher Anzeichen für einen Fall aufgezeigt?“, fragte Sakura. „Einen Fall?“, fragte Schuldig nicht verstehend was Sakura meinte. Sakura runzelte die Stirn und sah in den Regen hinaus. „Ja, der Fall. Runner können sich in ihr Bewusstsein fallen lassen, sie gleiten hinab in die Tiefen ihrer Erinnerungen, bis sie auf den Grund aufschlagen. Der Herzschlag verlangsamt sich, alle Funktionen ihres Körpers fahren herunter. Wenn dieser Zustand länger anhält sterben wir. Wir entgehen so in der Regel einer Gefangennahme. Keine Information die wir je transportierten oder in uns bewahrten geht so in feindliche Hände über.“ Schuldig schluckte. „Ja, Ran war in Trauer über den Verlust seiner Schwester. Auf dem Friedhof... er war nicht ansprechbar und ich kann seine Schilde nicht immer durchdringen. Wir haben geübt und manchmal gelingt es ihm sie für mich zu öffnen, aber nicht immer. Am Besten funktioniert es wenn er entspannt ist.“ Nein, er würde ihr nicht erzählen, dass es am Besten dann ging wenn Ran einen Orgasmus hatte. Das mussten Großmütter nicht wissen auch wenn sie noch so jung aussahen. „Ich konnte sie an diesem Tag mit Mühe überwinden und habe ihn zurückgeholt, von wo auch immer“, schloss er sachlich. „Normalerweise drängt es einen Runner immer zurückzukehren, wenn er nicht mehr in Gefahr ist, aber da Ran keine Ahnung hat was er ist und warum das geschieht, ist es für ihn einfach nur das Gefühl von Trauer, Angst, Verlust und Versagen, dass ihn fallen lässt, so vermute ich.“ „Sie glauben, dass er jetzt... auch gefallen ist?“ „Ja. Die Anzeichen sind da. Sein Energiekörper leert sich langsam.“ „Kann ich das aufhalten? Ihn zurückholen?“ „Ja du kannst es, selbst wenn er auf dem Grund ist – bildlich gesprochen. Eine Zusammenkunft von Nichtkonvertierten könnte es ebenso schaffen aber nur wenn er nicht ganz unten ist.“ „Sie hätten ihm helfen müssen“, sagte er verständnislos. „Warum haben Sie es nicht getan? Und Aya ebenso.“ „Die Umstände ließen es nicht zu.“ Schuldig schüttelte den Kopf, ließ es aber gut sein. Das musste sie mit Ran klären. „Können wir gleich versuchen ihn zurückzuholen?“ „Lassen wir ihm noch Zeit sich körperlich ein wenig zu regenerieren. Heute Abend sollten wir den ersten Versuch starten. Ich werde dich führen.“ „Warum hat Rans Mutter ihn vor Ihnen abgeschottet? Das quält ihn.“ „Weil sie nicht wusste was er ist. Sie hat seine Augen gesehen und wusste, dass er nicht normal ist und ich war wohl etwas zu forsch in meinem Appell an sie ihn mir zur Ausbildung zu überlassen. Sie wusste nichts über PSI. Sie war meine einzige Tochter und er ist der einzige meiner Nachkommen mit diesen Fähigkeiten.“ „Und Masahiro? Er war auch ihr Sohn.“ „Besprechen wir das wenn Ran wieder genesen ist.“ Schuldig nickte. Er ließ es dabei bewenden, wenn sie nicht darüber sprechen wollte, sollte sie es mit Ran tun. „Meine Fähigkeiten sind sehr subtil“, kam sie auf ihr ursprüngliches Thema zurück. „Wie machen sie sich bemerkbar?“ „Meine Sekundärfähigkeiten sind sehr kompakte Schilde und eine Schildmatrix die sich sehr weit ausdehnen lässt.“ „Wie weit?“ „Hunderte von Kilometer. Hokkaido bekomme ich nicht mehr ganz hin.“ Schuldig riss die Augen auf. „Ganz Japan steht unter dem Schutz dieser Matrix. Viele Runner wurden hier geboren. Ich suchte diese Kinder und sie sind alle hier. Sie verstärken den Schild.“ „Dann sind wir deshalb hier geblieben. Brad wollte hier nie weg. Er sagte, dass es hier am Sichersten wäre. Ich dachte immer weil wir uns zwischen den Menschen verbergen können.“ „Es würde mich nicht wundern wenn es so wäre.“ „Ich habe nichts davon bemerkt. Jei ebenso nicht.“ „Für einen Soulwhisperer ist das auch nicht schwer, du hast dich daran gewöhnt durch einen Nebel zu arbeiten, als wäre die Luft etwas schwerer und als könntest du nicht tief durchatmen. Berserk hat nie etwas erwähnt?“ „Er hat wenig von dem erzählt wie er arbeitet. Er war...“, fing Schuldig an und suchte nach Worten um ihr Jei zu erklären. „Zerstört.“ Schuldig nickte. „Nagi hat sich um seine Bedürfnisse gekümmert.“ Sie schwiegen wieder. „Warum haben sie Ran bei Kritiker untergebracht? Ich nehme an, dass das auch kein Zufall war.“ „Nein, das war es in der Tat nicht. Ich habe seinem Wunsch nach Rache entsprochen. Er war zunächst bei Crushers. Ich dachte ich hätte ihn verloren. Ein Runner der tötete. Es zerstört uns. Manx beobachtete ihn seit meine Tochter und ihr Mann ermordet worden waren und Aya im Koma lag. Doch Ran schlug nicht den normalen Weg ein. Seine Trauer schlug in etwas anderes, Gefährliches um. Er brauchte Geld. Er hat viel dafür getan um an Geld zu kommen. Aber du weißt sicher, dass er nicht nur normale Jobs dafür angenommen hat. Bis er soweit war Jemanden zu töten vergingen Monate und in dieser Zeit wurde er zu einem anderen Menschen.“ Schuldig wusste das alles nicht. Er hatte Ran nicht so tief gelesen, dass er davon gewusst hatte. „Er hat sich verkauft?“ „Du hast das nicht bei ihm gelesen?“, fragte sie erstaunt und legte den Kopf fragend schief. „Nein, anfangs war ich sehr neugierig aber andererseits hat es auch seinen Reiz nicht alles über ihn zu wissen.“ „Er hat diese Information tief in seinen Erinnerungen verborgen.“ „Ja, kann sein“, sagte Schuldig nachdenklich. „Seine Mutter hat ihn gut trainiert. Da bin ich mir sicher. Aber es ist noch ein weiter weg vom Training bis dahin einen Menschen zu töten. Crushers waren keine schlechte Gruppierung, sie arbeiteten ähnlich wie Kritikergruppen nur nicht organisiert. Junge Männer und Frauen die sich der Gerechtigkeit verschrieben hatten und in der Zeit dazwischen Ablenkung suchten. Drogen, Exzesse mit Sex und anderen Dingen. Dazwischen geriet dieser naive junge Mann, der gerade seine Familie verloren hatte und Geld brauchte um seine Schwester am Leben zu erhalten.“ Schuldig nickte. „Wie kam er überhaupt zu Crushers? Und woher wissen sie das alles?“ „Laut einem meiner Beobachter hat er untertags auf dem Bau gearbeitet, stundenweise, abends dann ging er in einen Club in dem besondere Dienste angeboten wurden. Nur als Begleiter. Zu anfangs. Irgendetwas musste geschehen sein, denn er landete im Untergrund. Bei seinem Job auf dem Bau tauchte er nicht mehr auf und er verschwand vom Radar meines Beobachters. Später dann erschien er bei Crushers. Er war völlig verändert.“ Schuldig dachte an den naiven, jungen Mann, den er teilweise kennengelernt hatte, der sich in dieses Mädchen verliebt hatte, zumindest hatte es damals für Schuldig so ausgesehen, als er sie manipulierte damit sie die Waffe auf Ran richtete. Er seufzte. „Ich würde Vieles dafür geben den naiven Ran kennen gelernt zu haben.“ „Jetzt. Damals als du ihn töten wolltest auch?“ Schuldig runzelte die Stirn und zog einen Flunsch. Er winkte ab. „Wir wollten Weiß nie wirklich töten. Sie nervten einfach nur. Brad hatte andere Pläne und Weiß waren ständig dabei sie zu torpedieren.“ „Was für Pläne?“ „Brad wollte die Trias stürzen. Irgendwann kehrte er das Ganze um und benutzte Weiß als Lockvogel, damit sie die Trias ausschalten konnten. Wir standen zu sehr unter ihrer Beobachtung. Bis kurz vor ihrem Ende glaubten sie noch wir würden sie retten.“ Er dachte wieder an Ran. Ein unternehmungslustiges Grinsen erschien auf seinem Gesicht. Sakura lachte auf. „Das...“ Sie zeigte mit dem Finger auf das Grinsen. „...kenne ich nur zu gut, es bedeutete nie etwas Gutes.“ „Na, aber halt mal. Das war nur ein verrückter Gedanke...“, grinste er noch immer. „Ja, von einem verrückten Gedanken bis zur Umsetzung war es bei deinem Vater nie weit.“ „Ich denke nur über Ran nach.“ Sein Grinsen verblasste und er wurde wieder ernst. „Crushers war nicht gut für ihn. Ich weiß nicht wie er dorthin gekommen ist, zwischen Roppongi und seinem Auftreten bei dieser Gruppe verging einige Zeit. Was dazwischen war kann nur er dir erzählen. Er hat gesoffen, gefickt und getötet – das war bei Crushers. Aber wie kam er plötzlich dazu? Was dies mit einem PSI anrichtet brauche ich dir nicht zu erklären.“ „Nein, brauchen Sie nicht. Aber Kritiker und seine Aufträge dort waren sicher auch kein Gesundbrunnen für PSI.“ „Nein. Manx berichtete mir, allerdings nicht regelmäßig. Ich gab ihr dann die Anweisung ihn zu Kritiker zu holen um ihm wenigstens ein Ziel zu geben.“ „Takatori.“ „Ja. Takatori.“ Ihre Augen schmälerten sich. „Ich hätte ihn gern selbst erledigt. Nur war das nicht ganz so einfach. Ich war nicht da und außerdem... Ran musste es tun.“ „Er hat sich fast aufgerieben dabei.“ „Ja. Ich ahnte es. Doch es besserte sich als ihr von der Bildfläche verschwunden seid.“ „Nicht ganz.“ „Nein, er lebte nicht mehr. Nur wie bringt man einen Runner wieder ins Leben zurück?“ Sie lächelte in Erinnerung an ihre Schmiedekunst. Sie hatte tatsächlich ein Meisterstück erschaffen. „Indem man ihn mit mir in einen Keller steckt und wartet was passiert?“, fragte Schuldig skeptisch. „So ungefähr.“ Er sah sie ungläubig an. Sie lachte auf. „Ganz so einfach war es nicht. Ich habe ausgefeilte Profile von euch beiden.“ Sie tippte sich an die Stirn. „Du bist ein guter Mann, Gabriel. Ich wusste, dass du der stärkere Part von euch beiden bist und du hättest dich nicht abbringen lassen. Du hättest ihn immer retten wollen. Ich musste zuallererst dein Interesse an ihm wecken.“ Er sollte der stärkere Part sein? Ob die Frau sich da mal nicht täuschte. „Kritiker jagten und verhörten ihn. Kam das von Ihnen?“ „Nein, von Manx.“ „Ich bin mir nicht sicher ob ich der Stärkere von uns beiden bin. Ohne ihn kann ich mir nicht vorstellen weiterzumachen. Der Anfang war verdammt schwer. Ich hätte ihn nicht nur einmal getötet. Der Reaper... ich war so konfus und manchmal wie ferngesteuert, aber ihn habe ich immer erkannt.“ „Weil er dich erdet. Er durchdringt diese Phase des Reapers.“ Schuldig nickte seufzend. „Wir haben Zeit. Wie gesagt nach Tokyo könnt ihr erst mal nicht zurück, solange ihr geschwächt seid und beide nicht wisst wie ihr eure Fähigkeiten einsetzen könnt macht es keinen Sinn. Keiner von euch weiß wo sie den Hellseher hingebracht haben. Du hast ihn sicher gesucht?“ Schuldig nickte nachdenklich. „Ja, ich hatte ihn markiert, aber nichts.“ „Somi ist ein fähiger Telepath, ich bin mir sicher er hat deine Markierung gelöst.“ „Falls ich ihm begegne, kann ich ihm etwas entgegensetzen?“ „Aber sicher. Du musst dich aber auch verteidigen, das zu koordinieren braucht Geschick und Konzentration.“ „Jetzt kann ich es nicht?“ „Gegen hundert Telepathen?“ „Verstehe.“ „Gegen hundert Telepathen, vielleicht ein paar hundert Empathen und Telekineten und noch einige andere Fähigkeiten? Von den Judges will ich nicht einmal anfangen.“ Schuldig nickte. „Momentan haben wir keine Chance. Werden wir sie denn je haben?“ „Selbst ein guter Soulwhisperer wird Schwierigkeiten bekommen.“ „Das heißt Brad ist verloren? Sie drehen ihn um und dann haben wir Brad gegen uns?“ „Aktuell sieht es so aus. Aber warten wir ab. Nicht jeder findet gut, was Rosenkreuz da treiben und ich kann mir nicht vorstellen, dass der Rat hinter dem steht was Somi vorhat. Vor allem frage ich mich, wer die Anschläge während des Sturms in der Stadt verübt hat.“ „Der Clan?“ „Nein. Bestimmt nicht. Sie kämpfen gegen die PSI. Es sei denn, sie haben den Clan bereits infiltriert.“ „Sie glauben Somi war es selbst?“ „Ja, das glaube ich. Chaos zu stiften ist die beste Möglichkeit um den Rat außen vor zu lassen. Es gibt momentan keine Satellitenverbindung nach Übersee.“ „Es sind bestimmt Tausende von Menschen dabei umgekommen“, sagte Schuldig. „Dass ist Rosenkreuz egal. Der Reinigungstrupp ist so etwas wie die Keule der Orden. Nur die Judges können etwas tun. Sonst kann keiner sie zur Rechenschaft ziehen. Rosenkreuz ist zu einem wuchernden Geschwür geworden. Und wenn die Judges nichts tun...“ „Was ist mit ihnen?“ „Die Judges sind dem Orden zahlenmäßig unterlegen. Und sie sind Hofhunde an einer Kette – einer langen, aber an einer Kette. Sie sind vom Rat abgeschnitten, aber ich glaube nicht, dass sie sich davon befreien könnten um auf eigene Faust ihr Mandat umzusetzen. Ich weiß nicht wie es um De la Croix steht. Warum er bei den Judges ist kann ich dir nicht sagen.“ „Er ist gefährlich.“ „Das sind wir alle. Du auch.“ Schuldig zuckte mit den Schultern, was gab es darauf auch schon zu erwidern? „Ich möchte zu Ran zurück.“ Sakura nickte. „Ich begleite dich.“ Sie gingen zu Ran und Sakura sprach mit einem Mann, während Schuldig ans Bett trat und Ran über die verschwitzte Stirn strich. „Hey... komm zurück zu mir, Ran. Du wolltest doch wissen was vor sich geht, jetzt hast du die Chance darauf.“ Er versuchte Rans hohe Mauern zu überwinden scheiterte aber. „Nicht so“, sagte Sakura und war neben ihn getreten. Sie hatte eine Hand auf seinen Arm gelegt und Schuldig zog sich zurück. „Heute Abend.“ Schuldig strich Ran über die Haare. „Sie haben einen Teil abgeschnitten. Das freut dich sicher“, flüsterte er, als würde er diesen Umstand zum ersten Mal registrieren. „Sie wachsen wieder“, tröstete Sakura und Schuldig sah Ran bedrückt an. „Ja, sie wachsen wieder“, wiederholte er leise. „Kann ich sie sehen? Kudou und Jei?“ „Ich bringe dich hin, wir wollten sie morgen bestatten.“ Sie verließen Ran und Schuldig folgte Sakura in einen anderen Bereich des Hauses. „Ran muss sich vorher von Kudou verabschieden können.“ „Wenn wir erfolgreich sind...“ Er blieb stehen und sie wandte sich zu ihm um. „Wir werden es schaffen. Ich lasse nicht zu, dass er diese Chance nicht bekommt. Er muss dabei sein.“ Sakura sah ihn lange an und nickte dann. Sie gingen durch die Korridore und hielten vor einem Raum an. Als sie eintraten ließ Sakura ihn voran gehen, hinter einem Paravent lagen die beiden und ein junger Mann saß neben Jei. Er hob seinen Kopf und Schuldig blieb stehen. Er starrte ihn an und machte einen Schritt zurück. Er spürte es wieder, dieses unsägliche, wahnsinnige, wütende Hämmern in seinem Schädel. Das war nicht wahr. Das Hämmern ging weiter. Es tobte und riss in ihm. Die Teile begannen auseinander zu driften, sie gerieten erneut in Unordnung. Sakura redete mit ihm, er konnte ihre Stimme hören aber sie klang weit weg und er verstand kaum die Worte. Er sah nur die goldenen Augen. Sie waren unversehrt. Und ein Gesicht ohne Narben. Schuldig blinzelte, seine Augen brannten voller Feuer. „Du bist sein Bruder.“ Der Junge nickte verschüchtert und sah so traurig aus. Schuldig hatte das Gefühl sein Herz würde ihm bersten. Was war nur alles geschehen? Warum hatten sie das alles nicht bemerkt? Warum hatte Brad nicht geholfen? Warum hatte Jei nichts gesagt? Schuldig ging weitere Schritte zurück, dann drehte er um und begann zu rennen, bis eine hohe Mauer seine Flucht ausbremste. Er sah an ihr nach oben in das Grau des Himmels und schrie diesem Grau seine Verzweiflung entgegen. Langsam glitt er an ihr hinunter und lehnte seine Stirn an die regennassen Steine an. Warum? Er spürte wie etwas gegen ihn drückte und dieses Chaos in seinem Kopf sich klärte. Vor kurzem hatte er noch den Verdacht gehabt... erst vor einem Tag? Jei war so wie er war, weil er von seinem Zwilling getrennt worden war. Warum? Seit wann war sein Bruder hier? Erst kurz? Hatten sie ihn verpasst? So knapp? Gott...! Warum nur? Bitte... irgendjemand musste ihnen helfen. Alles zerbrach. Es war alles zu viel. Ran... bitte... hilf mir... hilf mir... „Firan nicht!“, hörte er und schon überfluteten ihn Bilder, Gedanken und Gefühle eines anderen. Keuchend brach er nach vorne aus, doch die Verbindung hielt stand und er riss die tränenverschleierten Augen auf. Bilder... warum Bilder... so viele... Straud... immer wieder Straud... „Er hat dir alles genommen“, flüsterte er schockiert. Dann drehte er sich halb um und sah in das unversehrte Gesicht von Jei. „Ja, mein Bruder hat mir jeden Hass, jeden Tropfen Scham genommen. Jeden Schmerz und jede Trauer.“ Schuldig zog aus einem Impuls den Jungen an sich und presste ihn fest an sich. ‚Es tut mir Leid.’ ‚Mir auch. Mein Spiegel ist zerbrochen.’ o Fortsetzung folgt... Ich möchte mich bei allen Lesern bedanken, vor allem dafür, dass sie die Geschichte über diesen langen Zeitraum nicht aufgegeben haben. ^_^ Vielen Dank an Mona die mir mit ihrem Rat immer zur Seite steht. Gadreel Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)