Der Glasgarten von Gadreel_Coco ================================================================================ Kapitel 162: Der Glasgarten Teil I ---------------------------------- Der Glasgarten Teil 1 o Nach der ersten unbeabsichtigt dramatischen Begegnung mit Firan hatten sie beide etwas Ruhe benötigt und Sakura achtete mit Sasuke, dem Arzt in diesem kleinen Zufluchtsort darauf, dass sie sich diese Ruhe auch nahmen. Die beiden waren geradezu versessen darauf. Deshalb lagen Firan und Schuldig nun in einem Ruheraum, der in der Nähe von Rans Zimmer lag. Das beruhigte Schuldig mehr als wenn er jetzt geschlafen hätte. Weder Firan noch er war nach Schlafen zumute. Firan sah ihn unverwandt an und Schuldig blickte neugierig zurück. Er sah Jei so ähnlich. „Geht es euch besser, Herr?“, fragte die schüchterne Stimme und Schuldig konnte es nicht lassen in ihr Jeis Stimme heraushören zu wollen. „Etwas.“ Schuldig setzte sich langsam auf. „Ich brauche etwas zu trinken“, sagte er und gähnte. Er schwang die Beine vom Bett und sah auf als Firan behände aufstand und fast schon an der Tür war bevor Schuldig überhaupt die Lage überblicken konnte. Er wirkte als hätte er Angst. „Warte mal“, hielt er ihn zurück und wollte aufstehen als Firan einen Schritt weiter zur Tür machte. Schuldig setzte sich zurück auf das Bett. „Hast du Angst vor mir?“ Hastig schüttelte Firan den Kopf und Schuldig legte zweifelnd seinen schief. „Ein wenig“, gab er zu. „Warum?“ „Ihr seid sehr stark. Ihr...“, er suchte nach Worten. „...Ihr vibriert förmlich vor Energie.“ „Oh, tatsächlich?“ Yeah! Er vibrierte. „Trotz der Abschirmung?“ Firan nickte. „Und warum ist das schlimm für dich?“ Firan rang wieder mit Worten und Schuldig ließ ihn, wartete jedoch bis er eine Antwort bekam. „Starke... PSI behandeln schwache wie mich nicht gut“, kam dann vorsichtig zur Antwort und Schuldigs Blick verfinsterte sich. Er konnte sich noch gut an die Zeit bei SZ erinnern, wobei er wohl einer der Starken gewesen war. Vermutlich waren ihm „schwächere“ PSI gar nicht aufgefallen. „Tun sie das?“ Firan nickte. „Ich wollte Euch nicht beleidigen, Herr.“ „Das hast du nicht, Firan. Und ich bin kein Herr. Nenn mich...“, er runzelte die Stirn. Er empfand den Namen Schuldig plötzlich als seltsam unpassend. Zum ersten Mal wie er sich selbst eingestehen musste. „Nenn mich Gabriel, nicht Herr. Ich bin keine höhergestellte Persönlichkeit. Ich bin ein Freund deines Bruders gewesen. Wenn wir gewusst hätten, dass es dich gibt hätten wir etwas getan, um dich früher zu uns zu holen. Dann wären wir jetzt Freunde, Firan.“ „Ja, das wäre schön gewesen. Ich hatte und habe nicht viele Freunde.“ „Tja, einen hast du jetzt schon. Und der andere schläft noch. Macht schon Zwei!“ Schuldig grinste bis über beide Ohren. „Seid Ihr nicht traurig, Gabriel?“ „Doch, Firan, aber jeder geht anders mit Trauer um. In diesem speziellen Fall hebe ich mir meine Trauer auf, bis ich sie in Rache umwandeln kann“, sagte er wie beiläufig. „Was für Fähigkeiten hast du?“ „Taktiler Empath der ersten Stufe.“ „Cool.“ Schuldig beäugte ihn neugierig und amüsierte sich über Firans Schüchternheit. „Das ist nicht gerade cool“, hielt Firan dagegen. „Doch... kannst du übertragen?“ „Nein.“ „Kommt vielleicht noch.“ „Ja, vielleicht.“ Das Gespräch erstarb langsam und Schuldig wollte Firan nicht länger mit einer Konversation quälen, also ließ er ihn den Raum verlassen. Was dieser nicht mehr ganz so hastig tat. Er kam mit einem Tablett zurück auf dem zwei Tassen mit noch unbekanntem Inhalt vor sich hin dampften und steuerte die Sitzecke an den bodentiefen Fenstern an. „Der Tee wurde mir mit den besten Wünschen aus der Küche angeboten. Er soll uns kräftigen.“ Schuldig seufzte, setzte sich und ließ sich bedienen. Er nahm den Tee dankend entgegen und war froh um die Tatsache, dass Firan keine Lust zum Reden hatte. Sie sahen sich gelegentlich an, aber keiner von ihnen hatte das Bedürfnis nach einem Gespräch, was sehr angenehm war. Überhaupt empfand Schuldig Firans Anwesenheit als... tröstlich. So saßen sie in stiller Eintracht zusammen und blickten in einen schön gestalteten Garten hinaus. Später gegen Mittag holte Firan Schuldig bei Ran ab, um ihn zum Mittagessen zu geleiten. Sie nahmen das Essen mit einigen anderen Kawamoris ein. Als sie fertig waren ließ Sakura sie von einem der Männer zu sich bitten. „Firan würdest du bitte Gabriel zeigen wo er und sein Partner die nächste Zeit wohnen können?“ „Sehr gern.“ Schuldig begleitete Firan in ein Nebengebäude, das über einen überdachten Steg entfernt vom Haupthaus lag. „Eure Kleidung, eure Waffen und was ihr sonst noch benötigen könntet ist in den Zimmern verstaut. Wir dachten es würden vier Leute kommen.“ Er verstummte. „Danke, Firan.“ Schuldig begleitete Firan zurück nachdem er das Haus besichtigt hatte. Vier Schlafzimmer, entsprechende Badezimmer dazu, eine große Küche und ein Gemeinschaftsraum bildeten das Gästehaus. Nachdem er Schuldig ihr neues Domizil gezeigt hatte wollte Firan sich entfernen doch Schuldig nahm ihn mit zu Ran. Während Firan Rans rechte Hand hielt versuchte Schuldig gelegentlich Rans hohe Mauer zu überwinden, war jedoch erfolglos damit. Firan sagte, dass er keine Gefühle von Ran empfangen konnte, was nicht dazu beitrug um Schuldigs Laune zu heben, oder gar seine Hoffnung zu stärken. Sakura sah mehrmals vorbei, doch Rans Zustand wurde immer schlechter und Schuldig konnte sehen wie sie mit sich rang, ob sie einen Versuch wagen sollte, um diesen Fall zu bremsen oder nicht. Sasuke hielt sie schließlich davon ab. Er sagte es sei zu gefährlich und hoffte, dass Ran allein zurückfinden würde, was Sakura verneinte. Sie gingen nach draußen um weiter zu diskutieren. Trotzdem sie leise sprachen hörte Schuldig dabei heraus, dass es ohnehin ein Himmelfahrtskommando gewesen wäre, denn Sakuras Fähigkeiten boten nicht die optimalen Voraussetzungen dafür, um Ran aus diesem Zustand zurückzuholen. Schuldig war derjenige, der diese Fähigkeit hatte, aber er hatte keinen blassen Schimmer was er tun sollte. Das was er bisher getan hatte war sinnlos gewesen. Er verfluchte SZ und seinen Mangel an Wissen über seine Fähigkeiten. Der Tag neigte sich bereits dem Ende zu und Schuldig saß immer noch unverrichteter Dinge an Rans Bett. Er wollte ihm helfen, aber wusste nicht wie. Diese Hilflosigkeit machte ihm zu schaffen und er vermutete, dass der Einfluss den Sakuras Schild übte seinen Zorn und seine Wut auf diese Unzulänglichkeit bremste. Sein müder und schmerzender Kopf ruhte auf Rans Oberarm, seine verquollenen Augen richteten sich auf ihre verschränkten Hände. Ran rührte sich nicht. Keinen Millimeter hatte er sich bewegt, er lag da wie tot. Sein Herzschlag hatte sich auf zwanzig Schläge pro Minute reduziert und seine Atemzüge auf fünf, was dazu geführt hatte, dass sie Gegenmaßnahmen einleiten mussten. Jetzt wurde Ran künstlich beatmet und bekam Medikamente um seinen Kreislauf zu stabilisieren. Er starb. Seine Schläfen waren eingefallen und er sah verhärmt aus. Die einzigen Farbtupfer in diesem Bett waren seine Haare, die für Schuldigs Dafürhalten ihren Glanz allmählich verloren. Dieses tiefe dunkle Rot, das fast Schwarz wirkte schien zu verschwinden. Ran löste sich vor seinen Augen in Luft auf. Zumindest war das Schuldigs Empfinden. Aufgrund des schlechten Zustandes hatte Sakura davon abgesehen mit Schuldig den Versuch zu wagen um ihn aus diesem Fall, wie sie es bezeichnete zurückzuholen. Er musste in einem stabilen Zustand sein, selbst wenn das bedeutete, dass er keine Lebenszeichen mehr zeigte. Sie hatten ein EEG angeschlossen das Rans Hirnströme aufzeichnete. Dort waren keine nennenswerten Ausschläge zu sehen. Sasuke sagte ihm, dass es aussah als wäre er Hirntot, aber dies nicht der Fall sei. Als Schuldig dass erfahren hatte war er zusammengebrochen. Ohne den Einfluss der Kawamori hätte er nicht gewusst was er angerichtet hätte. Er fühlte, dass er in dieser Situation an einem anderen Ort tatsächlich anders reagiert hätte, nicht so ruhig, nicht so... gedrosselt. Er wünschte sie hätten ihm auch das Gefühl der Verzweiflung genommen. „Wach auf“, sagte er erneut und schloss die Augen. Er war müde aber er konnte nicht schlafen. Vielleicht sollte er daran denken ein paar von seinen Pillen einzunehmen, die Ran in ihrem Gepäck verstaut hatte. Aber was wenn er nicht da war wenn Ran... wenn er starb? Wenn er schlief während Ran sich davonstahl? Er durfte nicht schlafen. Der Einfluss des Schildes, gegen den er auf irgendeine Art ankämpfte laugte ihn aus. Die Kawamoris hielten ihn konstant aufrecht. Trotzdem, wollte er nicht gehen und irgendwo in einem Bett ohne Ran liegen. „Wach auf... bitte wach auf...“, flüsterte er müde. Schuldig drehte den Kopf und Rans Ring der ihm wieder samt der Kette umgelegt worden war fiel ihm ins Auge. Sein Blick verlor sich darauf und er schlief völlig übermüdet ein. Er wachte erst wieder auf als ihn jemand weckte. Seine Zunge klebte ihm am Gaumen und er musste sich erst räuspern um dem Mann der ihn geweckt hatte zu begrüßen. Schuldig rappelte sich auf und wischte sich übers Gesicht um etwas wacher zu werden. Sein Blick ging zu Rans schlafender Gestalt und dann auf den Monitor. „Es hat sich nichts verändert. Wir erwarten die nächste Reduzierung seiner Vitalparameter erst in ein paar Stunden.“ „Danke, Sasuke“, sagte Schuldig und erhob sich, er fühlte sich wie gerädert. Daran änderte sich auch nichts als er versuchte seine Muskeln zu lockern. „Gehen Sie, wir kümmern uns um ihn.“ Schuldig wollte nicht gehen. Er gab Ran einen Kuss auf die Wange und strich ihm über die Haare. Sein Blick fiel auf das Pflaster, welches einen Teil seiner Kopfseite bedeckte. Seine Haare waren an dieser Stelle entfernt worden um die Schnittwunde zu nähen. „Ich bin gleich wieder bei dir, ich geh nur schnell etwas essen und...“ Schuldig verstummte. Ran in diesem Bett liegen zu sehen, ohne dass er aufwachte schmerzte ihn. „Bitte komm zurück, Ran.“ Seine Stimme brach und er wandte sich ab. Er verließ fast schon fluchtartig den Raum und lehnte sich im Flur an die geschlossene Tür an. Wieder verlor er die Beherrschung und begann hemmungslos zu weinen. Er atmete tief ein und blickte an die Decke. „Bitte...“ Seine Gedanken rasten förmlich und ließen ihn nicht in Ruhe. Er konnte kaum klar denken und das trotz dieses Schildes. Diese heftigen Gefühlsdurchbrüche kamen in Schüben. Niemand sah ihn in diesem Zustand und Schuldig war froh darüber. Es dauerte bis er sich beruhigt hatte und erst dann machte er sich auf den Weg in das Gästehaus um sich zu duschen. Nach jedem dieser emotionalen Ausbrüche fühlte er sich wie erschlagen und leer. Er durfte ihn nicht verlieren. Was... wenn es geschah? Was wenn Ran ihn allein ließ? Was sollte er dann tun? Ohne Ran. Auf halbem Weg begegnete er Firan. „Guten Morgen.“ Er sah auf und atmete tief ein. Der Junge brauchte sein verheultes Gesicht nicht, er hatte an eigenen trüben Gedanken zu knabbern. „Guten Morgen, Firan. Bist du schon lange auf?“ „Ja. Ich kann nicht schlafen“, sagte der Junge ausweichend, lächelte dabei aber etwas. Er traute sich sogar Schuldig ins Gesicht zu sehen. Was er dort sah schien ihm nicht zu gefallen. „Geht mir genauso. Wo gibt’s denn hier etwas zu essen?“ Er hatte keinen Hunger aber er spürte wie er an Energie verlor. Der ständige Kampf gegen Sakuras Schild forderte seinen Tribut und wenn er Ran noch irgendwie helfen wollte musste er seinem Körper geben was er benötigte. Ihm war übel und er hatte bemerkt, dass er seine zitternden Hände vor anderen versteckte. Er war müde und unruhig zugleich. „Das erste Frühstück ist schon vorbei, aber ich könnte Ihnen etwas kochen, wenn Sie möchten?“ Schuldig runzelte die Stirn. „Wie wäre es wenn wir gemeinsam etwas kochen?“ Schuldig konnte sehen wie Firan dieses Angebot überraschte und er zunächst nicht wusste was er antworten sollte. „Also bis gleich, ich muss nur schnell duschen.“ Schuldig sah zu, dass er verschwand bevor es sich Firan anders überlegen konnte. Er wollte nicht allein sein und Firan stellte für Schuldig ein Bindeglied zu Ran über Jei her. Firan gehörte zur Familie auch wenn sie sich jetzt erst begegnet waren. Schuldig musste auf ihn achten, das hätte Jei gewollt, solange bis er stabiler war, solange bis er stark genug war um sich gegen andere – Stärkere zu behaupten. Was konnte er sonst noch für Jei tun? Mit diesen Gedanken ging Schuldig in das Gästehaus und hinauf in den ersten Stock um sich zu duschen. Jede Bewegung kam ihm vor als würde er durch zähen Nebel tappen. Er versuchte Ran nicht in Gedanken anzuschreien warum er ihn hier im Stich ließ und warum er sich verpisst hatte. Er wollte nicht wütend auf Ran sein. Er zog sich aus und stellte sich unter den warmen Wasserstrahl. Seine Gedanken kreisten wieder um Ran und das was wäre wenn. Was wäre wenn er nicht mehr aufwachte? Was wäre wenn er starb? Schuldig konnte ihn doch nicht in der Dunkelheit zurücklassen. Er war allein mit sich selbst an einem Ort der ihm Trost versprach, aber das war ein falsches Versprechen. Hatte er sich von ihm zurückgezogen? Vor dem was er war? Vor dem wie er sich aufgeführt hatte? War das seine einzige Fluchtmöglichkeit gewesen? Jemand berührte ihn am Arm und er schreckte zurück. Er sah auf und erkannte Firan der mit einem Handtuch vor ihm stand. Firan stellte die Dusche ab und Schuldig orientierte sich. Er saß auf dem Boden der Dusche und er... heulte. Schon wieder. Firan reichte ihm wortlos das Handtuch und ging wieder. Schuldig saß noch geraume Zeit dort um sich zu sammeln und erhob sich dann frierend. Er schlüpfte in eine schwarze Cargohose, schnürte seine Stiefel rasch und zog einen warmen Pullover über. Kleidungsstücke die ihm von den Kawamoris überlassen worden waren und aussahen als wären sie eher für die Arbeit in den „Schatten“ geeignet, denn modischer Firlefanz. Schade eigentlich. Erst als er sich angezogen hatte und ein warmer Pullover ihn umhüllte begann er sich etwas besser zu fühlen. Schlafmangel war kein günstiger Zustand für ihn – und alle anderen. Er spürte wie er ständig Energie verbrauchte um gegen etwas anzukämpfen. Er ging hinunter in die Küche wo Firan bereits etwas Essbares auf dem Herd stehen hatte. Es roch nach Kräutern und angebratenem Gemüse. Schuldig setzte sich und stützte seinen Kopf in zitternde Hände. Er hätte schon wieder heulen können. Wie lange konnte er diese Drosselung, diese Beschneidung seiner Fähigkeiten aushalten? In manchen Momenten hatte er das Gefühl zu ersticken. War er wütend auf Ran, weil er ihm das aufbürdete indem er nicht aufwachte? Nein, er war nicht wütend auf Ran. Er wollte ihn zurück und er wollte, dass es ihm gut ging. In seinem Blickfeld tauchte eine Tasse Kaffee auf und Schuldig sah auf. „Danke.“ Firan setzte sich mit an den Tisch. Sie sprachen kaum etwas miteinander, aber Firan suchte hin und wieder Körperkontakt in kleinen Gesten und Schuldig konnte dies zulassen. Er erinnerte sich daran, dass Empathen Körperkontakt brauchten. Jei... hatte so gut wie keinen Körperkontakt gehabt. Und Ran? Was für ein Leben hatte er bisher geführt? Was für ein Leben hatten sie alle gehabt? PSI durften nicht töten, es raubte ihnen einen Teil ihrer Seele der rein bleiben musste damit sie nicht verrückt wurden. Hatte das nicht damals De la Croix gesagt? So viele Gedanken irrten in seinem Kopf umher, Wortfetzen an... die er sich erinnerte, die ihm sagten wie falsch sie gelebt hatten, wie einsam und verlassen sie waren. Schuldigs desolates Nervenkostüm drohte erneut zu reißen, in einer abrupten Geste schüttelte er Firans Hand ab und stand hastig auf um Abstand zu gewinnen. Der Stuhl kippte um und schreckte Schuldig in seinen beunruhigenden Gedanken auf. Trotzdem... er konnte jetzt keine Nähe ertragen. Firan sagte etwas. Vermutlich eine Entschuldigung, Schuldig hörte sie kaum. Er schüttelte den Kopf. „Nein, ist schon gut. Es ist nicht deine Schuld.“ Obwohl seine Gedanken konfus wurden ging er zu Ran zurück, er hörte die Worte des Arztes kaum und nickte als er sich setzte. Schuldigs Blick verlor sich wieder auf Rans Ring, der auf seiner Brust lag. Er hatte seine Hände auf Rans Arm und er hielt sich an ihm fest. Erneut versuchte er zu Ran durchzudringen, aber diese Mauer war ohne eine Möglichkeit an der er angreifen konnte. Sie war höher und undurchdringlicher denn je. Er schlug auf sie ein was sie nur härter an dieser Stelle werden ließ. ‚Du willst mich nicht bei dir haben?’ Er wusste nicht wie lange er dort gesessen hatte aber irgendwann kam Sakura wieder herein. Dass sie gegangen war hatte er nicht bemerkt. „Ich schaffe es nicht“, sagte er, den Kopf auf Rans Arm abgelegt und in dessen Kleidung nuschelnd. „Ich komme nicht rein.“ „Er ist nicht konvertiert worden. Sein Lebenswandel hat ihn zu einem Bollwerk gegen Angriffe gemacht. Es wird nicht so einfach sein, Gabriel. Du brauchst Ruhe und einen klaren Kopf, einen frischen Geist. Sasuke kann den Zustand, in dem er sich gerade befindet, noch etwas länger aufrecht erhalten also bleibt uns noch ein bisschen Zeit.“ Er grollte und fuhr dann auf. „Sie haben ihn doch erst zu diesem Bollwerk gemacht!“ Er schlug mental um sich, wurde aber wie ein Kind sofort gemaßregelt in dem sein Angriff augenblicklich abgeschmettert wurde. Er taumelte und ging in die Knie. Wütend sah er zu ihr auf. „Der Versuch sich mit mir zum jetzigen Zeitpunkt zu messen ist keine kluge Idee um Ran zurückzuholen“, sagte sie ruhig und Schuldig konnte sehen wie das rot ihrer Augen plötzlich dominierte. „Ich habe keine klugen Ideen mehr“, sagte er zynisch. Sie ging um das Bett herum und legte ihre Hand auf Rans Stirn, sofort kam Schuldig auf die Beine und sah misstrauisch zu was sie tat. „Sein Energiekörper ist weit gelehrt, er ist fast unten angekommen.“ Sie hob Rans Lider an und Schuldig erschrak, Rans Augen waren...“ „Sie sind schwarz“, keuchte er. „Nein, nur sehr dunkel. Sieh her“, sagte sie und nahm von der Ablage an der Seite eine kleine Lampe, die Sasuke für seine Kontrollen benutzte. Schuldig beugte sich über Ran und durch das Licht konnte er sehen wie sich vielschichtiges Violett zeigte. Seine Pupillen waren winzig, fast nicht zu sehen. Sie schloss Rans Augen wieder und Schuldig setzte sich wieder. „Was soll ich tun?“ „Dich ausruhen.“ „Ich kann nicht!“, schrie er sie an. Sie schwiegen. „Er wird nicht sterben“, sagte Schuldig trotzig und sah Ran wütend an. Dann musste er plötzlich lachen. Er wusste nicht woher dieses Lachen kam und warum es plötzlich da war. Tränen reizten erneut seine Augen. „Schnee... er stirbt am Liebsten im Schnee. Es schneit nicht, Ran“, sagte er und sein Tonfall änderte sich minimal als würde er sich freuen. Sakura sah ihn bedauernd an. „Du kannst nicht sterben... ich erlaube es nicht.“ Das Lachen war verschwunden und zurück war nur noch Bitterkeit und Wut. Sakura hörte ihm bei diesen Worten noch eine Weile zu bevor sie den Raum verließ. „Es schneit nicht...“, flüsterte Schuldig und berührte mit zitternder Hand Rans Stirn. Sakura fühlte sich hilflos. Ein Gefühl welches sie lange nicht mehr in dieser Intensität verspürt hatte. Sie konnte Ran in ihr Netz einbinden, aber ohne seine Mithilfe war das nicht möglich. Ihn einfach zu übernehmen würde einer Konvertierung gleichkommen und ihn für immer hineinbinden und das unfreiwillig. Sie würde es als letzte Möglichkeit tun aber noch hatten sie Zeit. Gabriel jedoch... er bemerkte jetzt schon die Auswirkungen seines fehlenden Partners. Ihre Verbindung war intensiv und ebenso intensiv würde die Trennung sein und damit der geistige Schaden. Niemand konnte ihn davor bewahren. Sie hielt inne in ihren Gedanken. Jemand konnte es, er war jedoch unerreichbar für sie alle... Falls du irgendwie... auch nur den Hauch einer Chance siehst ihm zu helfen, dann hilf ihm. Ich flehe dich an. Bitte, hilf ihm. Hilf beiden. Wenn du noch einen Funken Energie hast... wenn du noch... wenn ich dir nicht zu viel geschadet habe, dann flehe ich dich an, hilf ihnen. Bitte. Sie hielt inne und sah in den Himmel hinauf. Hatte sie Angst? Wen bat sie um Hilfe? War das die Hoffnung, die sie vor Jahren fahren hatte lassen? War es Verzweiflung, die sie nicht mehr spüren konnte weil sie jenseits von allen Gefühlen lebte? Weil sie zu viel verloren hatte? Weil sie zu viel zerstört hatte? Durfte sie um Hilfe bitten, wo sie doch jedes Recht auf eine solche Bitte verwirkt hatte? Es war spät in der Nacht als sich Schuldig in eine Decke wickelte die auf dem Nebenbett lag. Das Zimmer wurde nur von den kleinen Lämpchen und Monitoren erhellt. Weiter hinten im Raum brannte eine kleine Lampe und spendete etwas warmes Licht in den für Schuldig so düster wirkenden Raum. Sasuke kam herein und Schuldig erhob sich. Während er sich um Ran kümmerte würde er ein bisschen frische Luft schnappen gehen. Kopfschmerzen plagten ihn seit zwei Stunden und er schob sie seinem Schlafmangel und dem ständigen Kampf gegen den Schild zu. Frische Luft würde ihm den Kopf etwas frei machen, wenigstens konnte er sich das einreden. Er war zu müde um sich einen Plan auszudenken. Sakura konnte nicht helfen, so viel war ihm schon klar geworden. Sie hätte es aufhalten können wenn Ran nicht verletzt gewesen wäre, aber nicht in diesem Zustand. Er ging nach draußen und atmete tief ein. Es war kalt geworden. Die Decke enger um sich ziehend ging er die Stufen hinunter. Nach ein paar Schritten über den Kiesweg bemerkte er, dass sie ihn beobachteten. Er hatte es satt. „Lasst mich in Ruhe!“, schrie er entnervt zu niemand Bestimmten und trottete über den Kies weiter bis er die Häuser hinter sich gelassen hatte und in einem Gebiet mit Bäumen angekommen war. Er ging weiter, denn er brauchte Abstand, obwohl er diesem verdammten Schild nicht entkommen konnte, der ihn blockierte. Er wusste nicht wie lange er gebraucht hatte doch dann kam er an einer hohen Mauer an, er sah an ihr hoch und setzte sich dann. Mit einem Gefühl der Trauer, lehnte er den Kopf an das Mauerwerk und sah hinauf in den dunklen Himmel. Er war wolkenbehangen. Er machte die Augen für einen Moment zu, als er sie wieder öffnete spürte er seinen Körper kaum mehr. Er blinzelte. Auf der Decke, die seine Knie bedeckte lagen Schneekristalle. Es schneite. Schuldig fing leise an zu lachen und spürte wie ein tiefes Schluchzen seine Kehle emporstieg. Er zwinkerte Schneeflocken von seinen Wimpern als plötzlich Stiefel in seinem Sichtfeld auftauchten. „Geht weg, ich bleibe hier“, sagte er trotzig und kauerte sich enger zusammen. „Du bist wirklich ein jämmerlicher Haufen, Arschloch“, hörte er und sah auf. Die Silhouette kannte er, die Glut des Glimmstängels, die hin und wieder aufleuchtete passte perfekt hinein. Er kannte diese nervig gelassene Stimme. „Du bist tot, geh weg“, sagte Schuldig nach einem Moment in dem er sprachlos war. „Sicher nicht.“ „Doch“, hielt Schuldig dagegen und lachte aus Verzweiflung auf. „Verschwinde, ich habe jetzt keine Lust auf Gespräche mit Pseudogeistern, die nur in meinem Gehirn auftauchen.“ „Du bist fertig“, resümierte die Imagination von Kudou. „Ja. Willst du mich therapieren?“ „Ich bin tot, schon vergessen? Wie soll ich das jetzt schaffen wenn ich es nicht im Leben hinbekommen habe?“ „Punkt für dich“, gab Schuldig zu und bettete seine Wange wieder auf seine Knie. Kudou sagte nichts mehr und Schuldig war froh drum. „Es schneit, Kudou“, sagte Schuldig dann nach einer Weile leise. „Ja, im Norden fängt das Zeug früher an zu rieseln.“ „Woher weißt du dass du im Norden bist? Du bist gestorben bevor wir hier angekommen sind“, brummte Schuldig wenig interessiert an diesem Gespräch. Er hörte ein Lachen. Es war so typisch für Kudou und Schuldig schmunzelte traurig. „Du warst auch schon mal heller im Kopf“, meinte Kudou oberschlau. Nervig wie immer. „Er stirbt wenn es schneit, Kudou. Du weißt warum“, sagte Schuldig und seufzte. Kudou blieb stumm. Und Schuldig sah nach einer Weile auf. Kudou hatte sich in die Hocke begeben und betrachtete sich ihn genau. Ein Lächeln tauchte auf seinem Gesicht auf. Es sah anders aus, untypisch. Schuldig runzelte die Stirn und schürzte die Lippen. „Was gibt’s da zu glotzen, Schnüffler?“ „Ich bin in deinem Kopf ich darf alles machen.“ „Pass auf, ich knipps dich gleich aus.“ „Warum?“ „Eben, weil du in meinem Kopf bist.“ „Ja, ich bin in deinem Kopf.“ Schuldig kniff die Augen zusammen. „Zum ersten Mal“, warf Kudou hinterher. Und Schuldig seufzte. „Und wie lange soll das so weitergehen?“ „Bis du hier aufstehst und deinen Hintern, den Ran so schätzt, in Bewegung setzt.“ „Solange willst du mich noch nerven?“ „Ja und länger.“ „Wie lange?“ „So lange es dauert.“ „So lange wie was dauert?“ „Bis du stark genug bist um mich loszuwerden.“ „Das hört sich wie eine Drohung an.“ „Wenn du es so auffassen möchtest, gerne.“ Schuldig schwieg eine Weile, konzentrierte sich und fand aber keine Anomalie in sich selbst was diese Halluzination bewirkt haben könnte. Sie verschwand auch nicht. Gut es war klar: Er war verrückt. Nichts Neues. Oder doch: Er war ein Level in seiner Verrücktheit aufgestiegen. Yeah. Ächzend erhob er sich und taumelte. Er ging wieder zurück zu den Wohnhäusern, wenn auch schleppend. Neben sich hörte er Schritte und er blieb stehen. Wieso hörte er Schritte? Er sah Kudou an als sie wieder Kies unter ihren Füßen hatten. Lampen erhellten ihre Gesichter. Selbst Kudous Haar war mit einzelnen Schneeflocken bedeckt. „Siehst jedenfalls sehr lebendig aus, das muss man dir lassen“, murmelte Schuldig nachdenklich. Er wurde immer besser mit seinen Illusionen, nur hatte dies bei ihm noch nie so gut funktioniert. Er roch beinahe Kudous Zigarettenrauch und sein After Shave. Schuldig verzog das Gesicht. „Dankeschön“, flötete Kudou allen Ernstes und schnippte seine zweite Zigarette in den Kies. „Nur deine Klamotten sind etwas altbacken.“ Kudou sah an sich herunter. Er trug seine Kleidung die er im Kampf bei Weiß getragen hatte. Dann zuckte er mit den Schultern. „Das ist alt?“ Schuldig runzelte wieder die Stirn. „Was ist los mit dir? Du hast hier die komplette Auswahl“, schüttelte Schuldig den Kopf und zeigte auf seinen Schläfe. „Mir gefällts“, gab Kudou zurück und Schuldig stöhnte, begann aber weiter zu laufen. „Hör auf mit mir zu quatschen, du bist tot, verzieh dich“, murmelte Schuldig. „Hast du... gesoffen?“, hakte Kudou nach. „Ich? Nein. Du warst derjenige der gerne mal was getrunken hat, erinnere dich, Schlaumeier.“ Schuldig peilte das Gästehaus an und hörte wie Kudou ihm folgte. „Wie konnte ich mir nur selbst eine derartig nervige Illusion anhängen?“, brummte Schuldig. Vermutlich ging ihm Kudous Tod näher als er gedacht hatte. Er schloss die Tür und sah durch das Fenster selbiger nach draußen. Nichts mehr zu sehen. Er drehte sich um und Kudou besah sich die Küche. „Wo sind wir eigentlich?“, fragte Kudou. „Du bist in meinem Kopf also schau selber nach“, sagte Schuldig und ging hinauf um ins Badezimmer zu gehen. Ihm war eiskalt. Schuldig zog sich aus ohne auf seine Halluzination zu achten und warf die Kleidungsstücke achtlos auf den Boden. Er knipste nur das Licht am Bett an und ging dann nackt ins Badezimmer. Dort schaltete er das Licht und die Dusche an. Er stöhnte auf als das warme Wasser über ihn lief. Kudou lehnte im Türrahmen und sah ihm zu. Seine Augen sahen komisch aus. Anders. Milchiger. „Deine Augen hab ich nicht gut hinbekommen“, murmelte Schuldig nachdenklich. Kudou schloss die Augen und sie wurden grüner. Schuldig nickte anerkennend. Joah schon besser, resümierte er und legte seinen Kopf wieder unter das Wasser. Er würde hier bleiben und allen das Wasser wegnehmen, als Rache weil sie ihn blockierten. Irgendwann war es ihm dann zu viel und er stellte das Wasser ab, trat aus der Dusche und schlüpfte ausnahmsweise in eine Hose und einen Pulli mit Kapuze. Er setzte sich ans Bettende zog sich die Kapuze über den Kopf und drapierte die Decke um sich herum. Er hätte jetzt gerne seine Cordhose und sein Mickey Mouse Shirt hier. Seufzend ging sein Blick nach draußen. Eine Weile saß er so da, bis die Tränen wieder kamen, schließlich ebbten sie ab und er schniefte unterdrückt. Irgendwann musste er eingeschlafen sein, denn als er aufwachte war es hell. Er war durch, alles tat ihm weh und er fühlte sich wie durch die Mangel gedreht. Im Bett liegend lauschte er auf die Geräusche draußen, bis es unten an der Haustür klopfte. Er stellte sich tot. Eine Maßnahme die wenig von Erfolg gekrönt schien, da er kurz darauf Firans Signatur erkannte wie sie sich durchs Haus bewegte und dann die Treppe zu ihm nach oben nahm. Er hörte ein zaghaftes Klopfen. Schuldig verzog das Gesicht. Er konnte nicht gemein sein. Nicht zu Firan. Mist. „Ja“, sagte Schuldig gedehnt. „Darf ich hereinkommen, Gabriel?“ „Ja“, erwiderte Schuldig wenig begeistert. Firan öffnete vorsichtig die Tür und lugte herein. „Guten Morgen“, sagte er freundlich. „Guten Morgen, Firan“, grüßte Schuldig nachsichtig. „Oh, wer ist das denn?“ Schuldig stöhnte und sah zum Fenster hinüber. Kudou saß auf dem breiten Fensterbrett. „Geht dich nichts an, halt den Rand, Blondie“, hielt Schuldig dagegen. „Äh, Gabriel... geht es Ihnen nicht gut?“, fragte Firan vorsichtig. „Doch“, Schuldig winkte ab und kletterte aus dem Bett. „Ich habe Halluzinationen, keine Ahnung warum.“ „Ja, danach hast du nicht gefragt“, murmelte Kudou und Schuldig drehte sich zum Fenster um. „Ja, warum eigentlich?“ „Ich bin hier um dir zu helfen.“ „Tatsache.“ Schuldig war wenig überzeugt. „Ja, Tatsache.“ „Und bei was genau?“ „Ran stirbt. Du willst ihn zurückholen und ich weiß wie.“ Schuldig sah ihn an, als würde Kudou nicht mehr alle Tassen im Schrank haben und schüttelte den Kopf. „Ach lass den quatschen, Firan, gehen wir nach unten.“ „Soll... soll ich Sensei Sakura Bescheid geben...?“, fragte Firan unsicher. „Nein. Ist schon gut. Vermutlich drehe ich jetzt durch, weil Ran...“, er verstummte und sah dann zurück ins Schlafzimmer wo Kudou noch immer am Fenster saß. Und jetzt winkte. Schuldig stöhnte und ging nach unten. Er war hier gefangen. In diesem Schild. Und konnte nicht so ausflippen wie er gerne würde weil Ran starb. Vor seinen Augen und er konnte nichts tun weil der feine Herr keinen Bock hatte zurückzukommen. Firan packte einen Korb aus. „Ich habe Miso mitgebracht und eingelegtes Gemüse und... Schuldig hörte nur mit halbem Ohr zu, weil er Kudou beobachtete der nun um Firan herumging und sich an den Tisch setzte. Das Leder des Mantels knirschte. „Du siehst ihn nicht?“, fragte Schuldig. Sicher war sicher. „Nein, wie sieht er aus?“ „Wie Kudou.“ Firan hielt für einen Moment inne, kramte dann immer noch mehr Zeug aus dem Korb. „Ist... ist mein Bruder auch da?“ Schuldig setzte an etwas zu sagen, klappte aber zunächst den Mund zu, bevor er entschied, dass dies eine heikle Frage war. „Nein, Firan. Ich denke, dass ich mir Kudou nur einbilde, er ist eine Imagination. Nur ich sehe ihn deshalb. Er nervt ein bisschen. So wie früher, keine Angst.“ „Kein Geist?“ Schuldig sah ihn skeptisch an. „Nein, kein Geist.“ Er würde ihm jetzt keinen Vortrag über Geister halten. „Ich bin überfordert mit der Situation, deshalb habe ich mir wohl einen... Gehilfen erschaffen.“ „Wie ein Kind, das einen Freund erschafft, der nicht da ist?“ Schuldig zog ein Gesicht über diesen Vergleich und setzte sich. „Tja, sieht so aus. Ich frage mich ernsthaft warum ich mir gerade den da ausgesucht habe.“ Kudou grinste nur schäbig. „Wen hätten Sie denn sonst ausgewählt?“, fragte Firan. Firan holte ein paar Schüsseln und Besteck hervor und verteilte es für sie beide. „Gute Frage.“ Schuldig brütete über dieser Frage. Wen hätte er gewählt? Kudou hatte Ran am Nächsten gestanden. Deshalb war die Wahl seines Gehirns auf ihn gefallen. Seit wann hatte er dieses Notfallprogramm überhaupt? Sie aßen still und Schuldig blickte hin und wieder zu Kudou hinüber der sie in aller Seelenruhe beobachtete. Firan bemerkte dies, sagte jedoch nichts. ‚Demnach kann ich dich auch in Gedanken ansprechen.’ ‚Sicher.’ ‚Gut, dann wird das weniger unheimlich für Firan.’ ‚Er ist Empath.’ ‚Ein taktiler wie du sicher weist. Er bekommt nichts mit.’ ‚Er ist ein guter Beobachter, meinst du nicht?’ Schuldig blickte zu Firan der still seine Miso aß und in sich gekehrt schien. Schuldig verzog den Mund bedauernd. Wenn Ran... zurück war dann mussten sie sich um ihn kümmern. Jei hätte das sicher gewollt. ‚Er trauert.’ ‚Trauerst du auch? Um Jei und um mich?’ ‚Um Jei vielleicht. Bei dir bin ich mir nicht sicher.’ Schuldig sah von Firan zu Kudou. ‚Wir wussten, dass dieser Tag irgendwann kommen würde, dass es einen oder alle von uns erwischen würde, aber wenn man so oft der Klinge des Sensenmannes entkommt glaubt man wohl unbesiegbar zu sein.’ ‚Nein, das denke ich nicht. Es ist immer ein Schock wenn es dann soweit ist. Nichts kann einen darauf vorbereiten. Vermisst du mich nicht wenigstens ein bisschen?’ Wieder dieses dreckige Lächeln. Schuldig seufzte und Firan blickte auf. ‚Vielleicht ein bisschen. Aber bilde dir darauf ja nichts ein, Schnüffler.’ Schuldig schob seine Miso von sich und schwieg. ‚Wer passt denn jetzt auf ihn auf, wenn du nicht mehr da bist?’ ‚Du?’ ‚Ja, Holzkopf das ist klar, aber er braucht noch jemanden... jemand anderen.’ ‚Er braucht nur dich. Stiehl dich nicht aus der Verantwortung.’ Eine Weile sagte er nichts mehr und Firan sah auf als er sich Gemüse und Fisch mit Reis holte. „Ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten, Gabriel...“, fing Firan schüchtern an. Schuldig sah von Kudou zu ihm hinüber. „...aber was?“, fragte Schuldig leise. Er war nicht verärgert. Ein Blick in dieses sanfte Gesicht und sein Ärger verpuffte ins Nirvana. Wie konnte jemand... wie konnte Somi... ? Er schob den Gedanken weit weg, als Firan zu sprechen begann. „Sensei Sakura hat mir aufgetragen, dass ich Sie zum Essen animieren soll... Sie sagte, dass es viel Kraft erfordert Ran zu helfen.“ „Schön“, brummte Schuldig. „Ich will nicht essen nur weil sie es sagt.“ „Du bist in manchen Augenblicken noch sehr kindlich...“, sagte Kudou und Erstaunen lag in seiner Stimme. ‚Ach, Leck mich’, ‚Du leugnest es nicht und mit diesen Worten bestätigst du meine Annahme nur.’ Schuldig zog sich seine Miso wieder heran und aß sie im Eiltempo weiter. „Ich will nicht dass noch jemand stirbt“, sagte Firan. „Er war ein Freund meines Bruders, nicht?“ Kudou grinste nur blöd und Schuldig sah sich bereits lügen... „Ja, mehr oder weniger. Jei war ihm unheimlich.“ Er wollte Firan nicht anlügen. Schuldig sah zu Kudou hinüber der sein Grinsen etwas runtergeschraubt hatte und ihn mit einem seltsamen Ausdruck im Gesicht ansah. „Was weißt du von uns, Firan?“ „Nur, dass was ich gehört habe. Schwarz und Weiß – eine Gruppe von Kritikeragenten kämpften gegeneinander. Ran gehörte zu Kritiker und mein Bruder zu Schwarz. Es ist verständlich, dass sie sich nicht so gut verstanden haben. Aber ihr seid zurückgefahren um ihnen zu helfen. Und Mr. Kudou war bei meinem Bruder. Das heißt doch, dass sie zusammengearbeitet haben. Chiyo hat gesagt sie waren Partner... wegen der Tätowierung.“ „Hmm, stimmt. Wir sind in den letzten Monaten zusammengewachsen. Nach einigen Missverständnissen und sehr viel Misstrauen.“ „Aber warum? Warum sind Sie zusammengewachsen? Wollten Sie sich gemeinsam gegen Rosenkreuz stellen?“ Schuldig holte sich ebenfalls Gemüse in seine Schale und sah kurz zu Firan hinüber, den diese Unterhaltung mehr Leben einzuhauchen schien als alles was er bisher von ihm gesehen hatte. „Nein, damals wussten wir nichts über Rosenkreuz, darüber haben wir uns keine großen Gedanken gemacht. Bei genauerer Betrachtung wissen wir rein gar nichts über die größeren Zusammenhänge oder uns selbst. Interessiert es dich?“ Firan nickte. „Sehr ja“, sagte er und seine Augen begannen förmlich zu leuchten. Ein Lächeln zirkelte um seine Mundwinkel und Schuldig fragte sich wann dieses Gesicht das letzte Mal richtig gestrahlt hatte. Firan würde ihm wohl kein Märchen ala Ran der kleine genmanipulierte Kater abkaufen. Da fiel ihm ein wie es wohl Takaba ging? Hoffentlich war er nicht in dem Gebäude gewesen. Es war nicht Asamis Wohnsitz gewesen, dennoch. Der kleine Fotograf trieb sich stets dort herum wo er nichts zu suchen hatte. „Ich erzähle dir einen Teil der Geschichte, okay? Und vielleicht tut es mir auch gut.“ Firan nickte und aß langsam weiter. „Also...Ran und ich waren... ich Glaube das Wort Feinde beschreibt es ganz gut.“ „Dann hat es mit Ihnen beiden angefangen?“ „Ja. Ich fürchte das hat es.“ Sakuras Offenbarung dabei die Finger im Spiel gehabt zu haben behielt er besser für sich. Er wusste ohnehin nicht wie er das Ran beibringen sollte, falls dieser jemals wieder erwachen sollte. „Und wie sind Sie als Feinde jetzt zu einem... Liebespaar geworden?“ Firan war weit weniger schüchtern als Schuldig angenommen hatte. „Ich war in einer Klink weil es mir zum damaligen Zeitpunkt nicht sehr gut ging.“ „Sie waren krank? Wir werden nicht so leicht krank.“ „Ich hatte einen Auftrag von Brad in den Sand gesetzt weil ich keinen großen Bock darauf hatte und zur Strafe hatte mich Brad in eine Klapse eingewiesen, damit ich etwas ruhiger werde.“ „Warum hat er das getan?“, fragte Firan entsetzt und ließ seine Stäbchen langsam sinken. Schuldig winkte ab. „Um mich zu ärgern. Sie haben mich mit Zeug vollgepumpt und ich hab mich mit den Leuten etwas amüsiert.“ Er sah zu Firan und von dort zu Kudou dessen Miene ebenfalls Besorgnis wiederspiegelte. „Jetzt seht mich nicht so besorgt an.“ Firan folgte Schuldigs Blick und sah in die Richtung in der Kudou saß. „Eines Abends wurde ich von Weiß gekidnappt und an einen anderen Ort gebracht. Ran war mein Aufpasser und er war nicht froh darüber, dass er mich nicht umbringen durfte.“ Schuldig zuckte mit den Schultern. „Ihr hättet ihn sehen sollen... diese wütenden Augen waren nur auf mich gerichtet, so voller Zorn und Hass.“ Schuldig seufzte verträumt an die Erinnerung. Firan runzelte die Stirn. Vermutlich weil seine Stimme eine schwärmerische Färbung angenommen hatte. „Es ist schwierig zu verstehen. Ich war schon immer von ihm fasziniert und dann war ich ihm plötzlich näher gekommen als je zuvor. Nun war er zum ersten Mal am längeren Hebel. Ich spielte etwas mit ihm bis mir klar wurde dass ich mir noch keine Gedanken darüber gemacht hatte warum das alles passierte. Die Befürchtung in einem Versuchslabor von Kritiker zu landen machte mir Angst. Was dazu führte, dass ich Brad einen Hilferuf schickte. Naja sie kamen und holten mich raus. Brad wollte Ran erledigen, denn er sagte mir damals, dass Ran Ärger machen würde. Aber ich hatte noch ein Hühnchen mit Ran zu rupfen und deshalb wollte ich ihn mitnehmen.“ „Als Geisel?“ „Nein. Ja. Keine Ahnung. Ich wollte ihn nicht gehen lassen. Und ich wollte, dass er kein Gefangener mehr von Kritiker ist.“ „Das verstehe ich nicht.“ „Kritiker bezahlten ihn mit Geld, welches er für die Behandlung seiner, im Koma liegenden Schwester, benötigte. Er konnte nicht aufhören für sie zu arbeiten.“ „Er war in einer Zwangslage.“ „Ja. Und er sah für mich so aus als würde er dabei draufgehen. Wenn ich zurückblicke war ich gerade dabei mich heftig in ihn zu verlieben. Aber damals wusste ich das nicht.“ „Und was dann?“ „Ich nahm ihn mit zu mir und naja... ein paar Tage später ließ ich ihn laufen. Es war schlimmer als ich dachte. Ran wankte am Rande purer Verzweiflung. Kein Ausweg war ihm geblieben, jeder Schritt den er machte trieb ihn weiter auf einen tiefen Abgrund zu. Ich wollte ihn nicht gehen lassen musste es aber damit es nicht schlimmer wurde. Ich wollte nicht schuld daran sein. Tatsächlich fühlte ich mich damals für ihn verantwortlich. Frag mich nicht warum.“ Schuldig erhob sich und holte zwei Gläser um ihnen Wasser einzuschenken. „Hat er Ihre Gefühle erwidert?“ „Nein, bei Gott. Du musst dir vorstellen ich war so etwas wie Rans Vize-Erzfeind. Angeführt wurde die kleine interne Liste von Ran durch Takatori einem Mann dem ein Konsortium gehörte und der politisch sehr aktiv war. Er hatte Jahre zuvor Rans Eltern getötet und seine Schwester schwer verletzt. Aus diesem Grund wurde Ran zu dieser Tötungsmaschine und arbeitete fortan als Agent für Kritiker. Schwarz arbeiteten damals für Takatori.“ Eine sexy Tötungsmaschine... „Dann haben Sie immer gegeneinander gekämpft?“ „Richtig.“ „Und als er bei Ihnen war? War es anders?“ „Nein. Es passierte viel und ich denke Ran hat mich von einer anderen Seite kennengelernt, weil er es musste. Er musste zulassen mich als Mensch zu sehen und nicht nur als irren Psychopathen.“ Schuldig setzte sich wieder. „Ich ließ ihn laufen und wir begegneten uns tatsächlich wieder im Kampf. Ran war mehr denn je darauf aus mich zu töten. Er rieb sich dabei förmlich auf.“ „Weil er sich in Sie verliebt hatte?“ Schuldig sah ihn an. „Nein, ich glaube nicht. Ran hatte meine menschliche Seite entdeckt und es fiel ihm plötzlich einfach schwer, aber er zog die Nummer durch und ich wurde verletzt und musste ins Krankenhaus.“ „Oh Nein.“ Firan sah ihn betroffen an. Schuldig nickte. „Ja. Und während Ran auf diesem Einsatz war starb zeitgleich seine Schwester. Das Krankenhaus konnte ihn nicht erreichen und er erfuhr es etwas später.“ „Er war frei“, sagte Firan leise. Schuldig wurde aufmerksam. „Ja aber zieh bitte keine Parallelen zu dir und Jei. Dein Bruder hat es aus Liebe zu dir getan und nichts hätte ihn davon abhalten können.“ „Ran hat es auch aus Liebe getan.“ „Ja, aber seine Schwester war hirntot. Er hatte es nicht akzeptieren können und wollte sie am Leben erhalten. Bis zu diesem Zeitpunkt hat es funktioniert.“ Schuldig runzelte die Stirn. Wenn sie ein Runner gewesen war... und es der gleiche Zustand in dem sich Ran jetzt befand... ...darüber musste er später nachdenken und Sakura befragen. Wenn er Ran zurückholen könnte und dieser jemals auf den Gedanken kommen würde, dass Schuldig es bei seiner Schwester ebenfalls schaffen hätte können – er würde ihm die Schuld geben. Schuldig hätte sie retten können. Und nur dieses Vielleicht würde Ran schon gegen ihn aufbringen. ‚Dann ist eure Liebe nichts wert’, meldete sich Kudou mal wieder zu Wort. Schuldig sah ihn lange an und nickte dann. ‚Mag sein. Aber ich verstehe ihn. Ich will ihn nicht verzweifelt sehen. Ich liebe ihn, egal was er davon hält.’ Kudou schüttelte den Kopf. ‚So funktioniert es nicht.’ „Was passierte dann?“, lenkte Firan ihn von Kudous unqualifizierter Meinung ab. „Als ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde ging ich nach Hause. Es schneite wie verrückt.“ Schuldig verstummte, er hatte einen Kloß im Hals. „Vor meinem Wohnblock standen ein paar Bänke und als ich näher kam saß dort halb eingeschneit jemand. Es war Ran. Er war zurückgekommen damit ich ihn tötete. Er hatte niemanden mehr außer mir.“ „Das ist so traurig.“ Firans Gesicht drückte die Trauer aus die er selbst über diese Tatsache immer noch in sich trug. „Ich nahm ihn mit und natürlich kümmerte ich mich um ihn und versuchte es beim zweiten Mal besser zu machen. Es ging ihm sehr schlecht. Und naja es dauerte noch etwas bis wir uns weiter annäherten. Ran blieb bei mir und der Rest von Schwarz musste sich damit arrangieren. Und auch die Jungs von Weiß mussten damit Leben, dass Ran bei den Feinden einzog. Kritiker suchten ihn und dann später bekamen wir Besuch von Sin, einer Gruppe Killer, die der Clan versammelt hatte, aber das erzähle ich dir ein anderes Mal, ja?“ Firan nickte. „Wie lange sind Sie mit Ran zusammen? „Genau kann ich dir das nicht sagen. Aber das Ganze ging Anfang Dezember los.“ Schuldig wusste keine richtige Antwort. Seit wann war er mit Ran zusammen? Ab wann war man überhaupt ‚zusammen’? Ab dem ersten Fick? Oder erst wenn man zum ersten Mal sein Herz ausschüttete? Oder das erste Mal vor seinem Partner heulte? Oder wenn er einzog? Wenn man ihm einen Ring schenkte? Wenn er einen Teddy wieder zusammenflickte? Wenn er in dem eigenen Bett schlief? Wenn man ihn fütterte? Wenn man ihn badete? Ab wann? Wenn man seine Wunden verarztete? Vielleicht war es der Zeitpunkt an dem man sich so verzweifelt liebte, dass man sich gegenseitig das Herz herausreißen könnte. Und jetzt riss Ran schon wieder ein Stückchen seines Herzens heraus. Seinen Verstand hatte er schon in die Luft geblasen. „Dann ist es bald ein Jahr.“ Schuldig nickte. Das beste Jahr seines Lebens. Er sah Firan an. „Du wirst doch nichts Dummes machen, Firan?“ Firan sah schnell auf. „Was... meinen Sie?“ „Du weißt was ich meine. Durch deine Berührung hat es eine Rückkopplung gegeben. Ich kenne deine Gedanken bis zu diesem Zeitpunkt. Zumindest die, die einen selbstzerstörerischen Charakter besitzen.“ Firan legte die Stäbchen endgültig ab, lehnte sich zurück und seine Hände in den Schoß. Er sah auf sein Essen. „Sobald ich darüber nachdenke was Somi getan hat, mir angetan hat, und mir ansehe wie mein Bruder aussieht, wie ich hätte aussehen sollen... ich fühlte es nicht und doch liegt dieser Schmutz auf mir.“ „Nur wenn du es zulässt.“ „Und die vielen Anderen?“ Firan sah ihn an und in diesem Blick konnte Schuldig einen altbekannten Blick sehen. Er sah in ihm Jei - zum Teil. „Wir werden Somi dafür zahlen lassen. Auf die eine oder andere Art. Nur... ich habe erlebt wie stark seine Lakaien sind und ich sage dir eines Firan – das wird nicht einfach. Du hast es selbst gesagt, starke PSI unterdrücken die schwachen.“ Firans Blick änderte sich und wurde ängstlicher, so als hätte er sich daran erinnert, dass er eigentlich so nicht mit ihm reden durfte. „Firan, hör auf mich so anzusehen. Ich bin dein Freund, schon vergessen?“ „Nein“, sagte er leise. „Ich habe es nicht vergessen.“ Er nickte und sah ihn offen an. „Es ist schön Freunde zu haben. Ich bin es nicht gewohnt. Im Orden war es wichtiger Niemandem sein Vertrauen zu schenken, und wenn... dann nur um eine temporäre Allianz für ein Problem zu bilden. Wenn überall Spione lauern verbirgt man am Besten das was man denkt oder fühlt. Ohne die Hilfe meines Bruders hätte ich nicht lange überlebt. Telepathen und Empathen kreisen um einen wie Raubtiere.“ „Mach nur nichts Dummes. Ich sage dir jetzt nicht, dass Jei das nicht gewollt hätte.“ „Ich weiß, ich bin es ihm schuldig.“ Schuldig legte seinerseits die Stäbchen zur Seite. „Schuld. Ein nerviges Wort. Du bist ihm nichts schuldig. Diese vermeintliche Schuld wird dich auffressen und dich genau dorthin führen wo Jei dich nicht mehr sehen wollte.“ Schuldig schüttelte den Kopf und lachte mit Bitterkeit in der Stimme. Er sah Firan eindringlich an. „Nein... du schuldest ihm nichts. Rein gar nichts. Aber du könntest seine Bemühungen um dich ehren, indem du auf dich achtest.“ Firan Augen füllten sich mit Tränen und er nickte auf sein Essen starrend. Seine Schultern waren zusammengesunken. „Ich weiß nicht wie“, kam nach einer Weile mit tränenerstickter Stimme. „Wie du auf dich achten sollst?“ Firan nickte und schniefte etwas. „Es ist so leer“, sagte er leise. „Ich wünschte, ich wünschte ich wäre noch dort und... und... mein Bruder würde dann noch leben.“ „Die Zeit zurückdrehen?“ Firan antwortete darauf nicht. „Nein, Firan. Wir dürfen nicht zurückgehen. Dort ist es einsam.“ „Ich war nicht einsam. Jetzt bin ich es.“ Schuldig sagte dazu nichts. Firan war Empath, egal wie schwach er sein mochte. Gerade Empathen brauchten körperliche Nähe wie die Luft zum Atmen – wie jeder PSI. Firan dies mit Gewalt und Missbrauch zu ersetzen war pure Folter. Gerade weil er sich nicht wehren konnte. Das Gesicht von Kitamura kreiselte in seine Gedanken und es hatte Ran benötigt... Ran hatte ihm diese Erinnerung zurückgegeben... Schuldig runzelte die Stirn. Ran hatte ihm die Erinnerung zurückgegeben. Konnten Runner dies? Hatte Ran unbewusst etwas getan? Oder war es Zufall gewesen? Er erhob sich und ging neben Firan in die Hocke um seine Hände in die Seinen zu nehmen. Sanft umschloss er die Hände des Empathen und sah ihn an. „Was übertrage ich?“ Firan lächelte ihn voller Güte und aber auch Trauer an. „Trauer und Einsamkeit. Furcht und Wut. Verwirrung...“ Schuldig nickte und erwiderte Firans Lächeln. „Und noch so einiges anderes, ich weiß. Ich muss über etwas nachdenken was mir gerade eingefallen ist. Du warst früher einsam, jetzt fühlt es sich an als wärst du verlassen von allen. Aber Firan ich bin da. Und Ran ebenso... wenn der Herr seinen Arsch von dort wieder hierher bewegen würde wo er sich gerade aufhält. Wir können dir dieses Band, das du mit deinen Bruder geteilt hast nicht wieder herstellen. Es ist verloren und das für immer. Und es schmerzt. Und dieser Schmerz wird nicht so leicht weggehen.“ Firan nickte nur und brach vollends in Tränen aus. Er weinte so verzweifelt und Schuldig hatte selbst Tränen in den Augen. Jei hatte nie so geweint. Niemals. Das war Firan. Und er klammerte sich an Schuldig fest. Schuldig zog an den Händen und Firan ließ sich ziehen. „Komm zu mir“, sagte Schuldig sanft und holte Firan zu sich auf den Boden und zog ihn auf seine Oberschenkel. Firan schmiegte sich ganz dicht an ihn und zitterte. Schuldig streichelte ihm über den dunklen Haarschopf. Kudou hatte sich verzogen, wahrscheinlich war es dem Schnüffler zu emotional geworden. Oder er konnte nicht mitansehen wie er Ran betrog, während dieser mit seinem Leben rang. ‚Nein, so ist es nicht. Manchmal bin ich erstaunt wie kindlich du bist und dann wieder sehr weise. Obwohl du keine Ahnung über das hast was du kannst und was du bist wendest du es instinktiv an. Ich gebe dir den Raum dafür’, merkte Kudou an ohne sichtbar für ihn zu werden. ‚Sicher bin ich weise!’, behauptete Schuldig ironisch. Schuldig streichelte Firan beruhigend über den Rücken. Als sie aufstanden streifte Schuldigs Blick die Uhr. Sie waren doch vierzig Minuten gesessen aber es hatte sich gelohnt. Firan wirkte etwas offener. Druckabbau war immer gut. Nur... wenn es tatsächlich ein Band gewesen war das Jei und Firan verbunden hatte und welches nun verschwunden war, was würde dann aus Firan werden? Zusammen sorgten sie für Ordnung. „Ich gehe wieder zu Ran.“ Firan faltete ein Geschirrtuch. „Ja, wollen Sie versuchen ihn zurückzuholen? Sensei Sakura hat gesagt was mit ihm ist.“ „Ja, aber ich weiß nicht ob ich es hinkriege. Und ich denke wir sind über die förmliche Anrede bereits hinaus, meinst du nicht, Firan?“ Schuldig lächelte und Firan nickte. Schuldig verließ das Gästehaus und trottete über den überdachten Übergang in das Haupthaus und stellte fest, dass es aufgehört hatte zu schneien und die Flocken kaum mehr zu sehen waren. Der Boden war wohl noch zu warm dafür. Im Krankenzimmer angekommen begrüßte er Sasuke und Sakura die bei Ran saßen. Sakura strich ihm über die Stirn und die Haare und hatte die Augen geschlossen. Sie öffnete sie als sie Schuldig bemerkte. „Er ist unten angekommen“, sagte sie und Schuldig erfasste so etwas wie Panik, zeigte sie jedoch nicht. „Kann ich mit ihm allein sein?“ Sie erhoben sich beide. „Sein Zustand ist im Augenblick mit unseren Maßnahmen stabil.“ Schuldig nickte. Sasuke und Sakura verließen den Raum. Als beide draußen waren rutschte er Ran etwas zur Seite, klappte die seitliche Bettbegrenzung auf dieser Seite hoch, zog seine Stiefel aus und legte sich neben Ran. Er bettete ihn an sich und schob seinen Arm unter Rans Nacken um seinen Kopf näher bei sich zu haben. Dann lehnte er seine Stirn an Rans Schläfe. „Willst du es noch einmal versuchen?“, hörte er Kudou wieder und sah diesen am Fenster lehnen, als er an Rans Haar vorbei linste. „Ja, ich weiß nur nicht wie. Aber ich muss etwas tun.“ „Ich weiß wie es geht, wenn du mich lässt helfe ich dir“, offerierte Kudou und Schuldig seufzte in Rans Haar hinein. Wie sehr er seinen Geruch doch liebte und diese blitzenden Augen vermisste, die ihn so herrlich böse anfunkeln konnten. Die ihn in seine Schranken weißen wollten und das auch konnten. „Mein Hirn bietet mir an über mich hinaus zu wachsen?“ „Was kann es sonst für dich tun?“ „Laber nicht. Lass es uns tun.“ „Das klingt schmutzig.“ „Mit dir nicht mehr, Schnüffler.“ Kudou seufzte. Schuldig schloss die Augen, schmiegte sich dicht an Ran und ließ sich bis vor diese verdammt hohen Mauern gleiten. Neben ihm erschien Kudou plötzlich. „Wie soll das funktionieren? Mit Gewalt? Ich werde ihm nicht wehtun.“ „Wenn du ihm nicht weh tust stirbt er.“ Das war ein gutes Argument. „Visualisiere dich, kannst du das?“ Er hatte das bei De la Croix gelernt, aber das war lange her. „Wie in einem Traumgebilde?“ „Ja.“ Schuldig erschuf ein Abbild von sich in Rans Gedankenwelt, neben ihm tauchte Kudou auf. Er trug komplett weiße Kleidung, die eher wie Krankenhauskleidung aussah. Ein Oberteil und eine Hose, das wars. „Keine Op-Schuhe?“ „Nein, obwohl es eine schwierige Operation wird, da muss ich dir zu diesem Vergleich zustimmen.“ Schuldig fand es seltsam, warum sollte sein Gehirn Yohji solche Klamotten anziehen? Wegen der Assoziation mit einer Operation? Er spielte wirklich verrückt. „Was bin ich dann, dein Assistent?“ „Nein“, Kudou sah ihn an und seine Augen waren wieder in diesem falschen Grün. „... du bist das Instrument.“ Schuldig verstand es nicht, aber er sah wieder zur Mauer zurück. „Ich visualisiere für dich die Umgebung.“ „Aha.“ Die hohe Barriere wurde für Schuldig sichtbar. „Und jetzt visualisiere die Struktur dieser... Grenze.“ „Oh Wow. So habe ich diese Mauer noch nie gesehen.“ Hexagonale Platten erschienen vor seinen Augen. „Wie Waben.“ „Ja, so ähnlich. Ein Zweidimensionales Abbild. Aber es sind Ebenen. Jede Ebene ist großflächiger. Unter dieser Ebene die wir momentan sehen ist eine andere hexagonale und so weiter. Machen wir weiter.“ Kudou sah zu ihm hinüber und Schuldig nickte. „Gut. Jetzt berühre sie.“ „Das habe ich schon hundert Mal, ich komm nicht durch.“ „Tu mir den Gefallen.“ Schuldig berührte mit der Handfläche die Struktur die wie Glas aussah. Sie gab nach. Er zog sofort die Hand weg. „Was zum...“ „Das kommt von der Visualisierung. Es ist nicht nur wie in einem Traum. Zu visualisieren bedeutet in... deinem Fall, dass du der vorherrschenden Energiestruktur Form und Substanz gibst. Damit kannst du ihre Eigenschaften besser erkennen.“ Schuldig berührte wieder das Glas und drückte erneut dagegen. „Nimm deine zweite Hand hinzu und zieh es auseinander.“ „Nein, es wird zerstört.“ „Das wird es nicht. Dort wo eine Fläche die andere berührt. Es kann von dir nicht zerstört werden. Sieh genau hin.“ Schuldig ging näher und betrachtete sich das Material. Feine Strukturen hielten die einzelnen Flächen zusammen. „Visualisiere die Verbindung der Flächen.“ „Zoomen?“ Irritiert sah Kudou ihn an. „Von mir aus. Zoome nur die Verbindung heran.“ Das Gebilde wurde größer und er sah wie die hexagonalen Flächen verbunden waren. Wie Spinnweben gingen sie waagrecht von einer Fläche zur nächsten und wieder zurück. Ein elastischer Kitt der golden schimmerte. Schuldig berührte die filigranen Fäden und eine Entladung erstreckte sich über angrenzende Felder, der Lichterreigen erlosch aber sofort wieder. „Was ist das? Ich habe so etwas noch nie gesehen.“ „Du hast es nicht visualisiert. Und du wusstest nicht wonach zu suchen sollst.“ „Und wie hilft uns das jetzt?“ „Es ist eure Verbindung. Er hat damit seine Abwehr verstärkt.“ „Oh, dann ist es ja ganz einfach.“ Schuldig berührte wieder die Fäden und glitt einfach durch sie hindurch. Ein goldener Schimmer legte sich um sie bis er nach und nach erlosch. „Wieso erkenne ich sie nicht?“ „Ohne die Visualisierung erkennst du die Strukturen nicht und siehst nur das Bollwerk. Wenn es dir undurchdringlich erscheint ist es das auch.“ „Warst du hier schon einmal?“, fragte Kudou. „Ja und Nein.“ Sie ließen sich treiben. „Das ist nicht anders als sonst. Wo soll ich Ran suchen? Seine Erinnerungen treiben an uns vorbei. Ich finde keinen Weg.“ „Visualisiere und nun nimm eine auditive Wahrnehmungskomponente hinzu.“ Schuldig schloss die Augen und konzentrierte sich. Plötzlich hörte er eine Stimme und er riss die Augen auf, als das Flüstern abnahm und sie sich von ihm wegbewegte. Er sah sich um. Nichts zu sehen. Dann rauschten weitere Stimmfetzen an ihm vorbei. Ein dunkles Lachen das förmlich an ihm vorbeifegte. Und überall dem lag ein Hintergrundrauschen, welches er kaum erfassen konnte. Sphärisch und als hörte er gleichzeitig mehrere Echos. Er hatte noch nie wirklich etwas „gehört“ wenn er in die Gedanken der Menschen eingedrungen war. Es war eine ehrfurchtgebietende Welt, die er hier betreten hatte. „Das sind nur Echos seiner Erinnerungen.“ „Kopien? Ich habe mich all die Jahre mit blöden Kopien zufriedengegeben?“ „Ja, die Originale sind sehr wertvoll, werden sie beschädigt sind sie fort - für immer. Menschen können nur an die Echos herankommen wenn sie sich erinnern. Eine organische Zerstörung würde auch die Originale beschädigen.“ „Und jetzt?“ „Wir müssen weiter.“ Sie schwebten auf einen matten Schimmer in der Dunkelheit zu. Kudou und er selbst erzeugten ein fahles goldenes Licht. „Visualisiere.“ Schuldig konzentrierte sich darauf ihre Umgebung sichtbar zu machen. Unter seinen Füßen tauchten schemenhafte kreisförmige helle Flecken auf die von weiter in der Tiefe durch die Oberfläche näher zu kommen schienen. Der Kreis wurde größer und Schuldig fragte sich was das wohl sein mochte. „Pass auf, verdammt“, rief Kudou und Schuldig sah auf. Vor Kudou ragte plötzlich ein riesiger Stab heraus oder ein Dorn oder was auch immer. Er schoss durch die Oberfläche in dieses grenzenlos scheinende dunkle Dach hinauf. Schuldig sah unter sich und sprang zur Seite als das Gebilde näher kam und schlussendlich mit einem ohrenbetäubenden Krachen durch die sich spiegelnde Oberfläche hinauf schoss. Es rieb sich förmlich am Rand, splitterte und barst. „Was ist das?“ „Nach was sieht es für dich aus?“, fragte Kudou. „Weiß ich nicht. Metall? Es hört sich an, als würde es brechen, bersten.“ „Ja, es kreischt wenn es durchbricht. Kannst du das aushalten?“ Schuldig nickte. Um ihn herum schossen diese Gebilde durch die Oberfläche, sie hatten vom Umfang her ungefähr seine Maße, ihre Länge jedoch war kaum zu bestimmen. Sie sahen zu dass sie weiter kamen. Hin und wieder musste Schuldig seine Visualisierung erneuen, aber es blieb bei den Metalldornen die aus dem Boden schossen. „Wohin gehen wir?“ „Wohin du willst.“ „Ich will dorthin wo Ran ist.“ „Gut, dann gehen wir wohl dort hin.“ „Bist du dir sicher?“ „Nicht ich muss sicher sein, sondern du.“ „Großartig.“ Schuldig wusste nicht wohin. „Ran! Verdammt, wo bist du?“ Sie gingen weiter, ohne dass Schuldig eine Antwort erhielt und achteten darauf, nicht von den Metalldornen erwischt zu werden. „Was passiert wenn wir von denen getroffen werden?“ „Du bist draußen und darfst von vorne anfangen.“ „Das sind Abwehrmaßnahmen?“ „So ist es. Allerdings noch vergleichsweise harmlose, sie sind nicht zielgerichtet würde ich sagen“, sagte Kudou mit einem hämischen Lächeln und dem Blick auf eine der Dornen gerichtet. „Das heißt, es wird schlimmer?“ „Selbstverständlich. Du bist in den Erinnerungen eines Runners. Das ist als hättest du eine ganz andere Welt betreten. Eine sehr gefährliche Welt und wenn der Herr dieser Welt nicht zufrieden mit dir ist wird es selbst für dich gefährlich. War er je böse mit dir?“, fragte Kudou allen Ernstes und Schuldig sah mit gewittrigen Gedanken auf. Kudou präsentierte ihm ein hinterhältiges Lächeln und amüsiert blitzende jadefarbene Augen. „Du findest das wohl alles sehr komisch, Schnüffler. Und deine Augen sind falsch. Bist du daher auch falsch?“, schoss er mürrisch ab ging jedoch weiter. „Nicht komisch. Unterhaltsam.“ Schuldig sprang zur Seite als ein Dorn durch die Oberfläche brach und mit kreischendem Getöse sich am Rand rieb und nach oben schoss. „Das war knapp.“ Dann hörte er etwas und er wandte den Kopf in diese Richtung. Jemand sang. Eine Frauenstimme. Er ging schnell darauf zu. „Nicht so schnell.“ Die Stimme wurde etwas deutlicher, war aber immer noch nicht sehr gut zu hören. Und plötzlich schoss von unten ein weiterer Dorn nach oben und Schuldig konnte nicht mehr ausweichen. Das Metall pulverisierte ihn, oder nicht? Er konnte immer noch wahrnehmen. Dennoch zerfiel alles in kleine Teile. Dann setzte sich alles wieder zusammen und er sah sich um. Alles war ohne Tiefe ohne Raum. „Visualisiere“, hörte er leise Kudous Stimme. Schuldig konzentrierte sich und aus dem Nichts tauchten Gebilde auf. Es waren weiße Kreuze, die inmitten von ... was standen... Blut? Wild verteilt und mannshoch angeordnet. Schuldig sah auf seine nackten Füße, als ihn etwas kitzelte. Es war warm. Und es war Blut. Er bückte sich und berührte die Flüssigkeit mit seinen Fingern. Er prüfte die Konsistenz zwischen Daumen und Zeigefinger der rechten Hand. Das war Blut. Er hob die Finger an die Nase. Und es roch auch so. Es quoll aus dem Boden hervor. Jetzt erst wurde ihm bewusst dass es förmlich danach stank. „Blende es aus“, riet ihm Kudou. Schuldig hielt den Unterarm vor die Nase. „Hör auf dich wie draußen zu benehmen. Nur deshalb hat es einen intensiven Geruch erhalten. Stell es ab und messe dem weniger Bedeutung zu.“ Schuldig sah sich um und er musste schlucken da ihm übel wurde. Wie konnte er dem weniger Bedeutung zu messen? Er ging also los durch all das Blut und er sah gelegentlich auf seine Füße, die davon benetzt waren, ebenso die weiße Hose die sich bereits bis zu den Knien vollgesogen hatte, so als wolle das Blut an ihm hochkriechen. Keine schöne Aussicht. Der Weg den sie sich durch die Kreuze suchten war willkürlich. Schuldig hoffte wieder den Gesang zu hören. Doch vorerst war nichts zu hören. Und dann sah er eine Gestalt inmitten eines größeren Areals ohne Kreuze, in einiger Entfernung ein wahrer Berg an weißen Kreuzen. Auf diesem Berg lagen Körperteile oder Ähnliches. Wenn er ihn hätte bemessen würde hätte Schuldig gesagt, er war aus der Distanz mindestens zwanzig Meter hoch. Schuldig konzentrierte sich wieder auf die Gestalt die im Begriff war darauf zuzugehen doch Etwas schien sie daran zu hindern. Metallisch schimmernde Fäden sirrten im Wind und wurden nur durch Spiegelung sichtbar. Sie schienen aus dem Nichts zu kommen und umschlangen ihn, sie hielten ihn davon ab näher zu gelangen. Er wehrte sich vehement dagegen, er riss und zerrte an dieser Fesselung konnte aber nichts dagegen ausrichten. Das war Ran, mit kurzen Haaren, wie er ihm damals bei Weiß begegnet war. „Ran!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)