Der Glasgarten von Gadreel_Coco ================================================================================ Kapitel 164: a new life, a new day ---------------------------------- a new life - a new day Ran schlief und träumte von einem herrlichen Tag in ihrem Ferienhaus. Es war warm und behaglich. Zwar wusste er nicht warum er den kleinen Teddy mit sich herumtrug, aber es war alles wunderbar entspannt hier. Bis ihn etwas irritierte und er plötzlich in ein verdutztes Gesicht sah. Schuldig. Der ihn entrüstet ansah und dessen Ausruf alles andere als begeistert schien. „Schu...“, sagte er mit heiserer Stimme. „Hast du mich gerade angerotzt?“, kam auch gleich die Schelte. Ran sah ihn fragend an. „Ne...in?“ Seine Stimme hörte sich selbst in seinen Ohren fremd an. Sie klang rau und schwach. Schuldig stöhnte und ließ sein Gesicht ins Kissen fallen, wo er es theatralisch hin und her rieb. „Doch, du hast mich angeniest“, verkündete Schuldig dramatisch. Ran lächelte aufgrund dieser Szene. Sie war ihm so vertraut. Seine Lippen fühlten sich rissig und trocken an. Noch bevor er etwas sagen konnte war Schuldig über ihm und wirbelte Ran auf den Rücken. Er hockte über ihm und sah ihm forschend ins Gesicht. „Habe ich dir schon gesagt, dass es wie chu klingt wenn du eigentlich Schu sagen willst?“ Schuldig lächelte verliebt und Ran schüttelte einmal den Kopf. „Das heißt, dass du eigentlich einen Kuss willst wenn du meinen Namen abkürzt?“ Ran war sich nicht sicher, ob er jetzt bestätigen oder verneinen sollte. Das ganze Gespräch schien ihm seltsam und er war sich nicht sicher, ob er immer noch schlief und träumte. Er zögerte, nickte dann aber. Ein Kuss von Schuldig war immer gut. Und etwas in ihm sagte Ran, dass er so einen Kuss dringend brauchte. „Was ist... mit dir...?“, fragte Ran mit kratziger Stimme und hob eine Hand um sie über Schuldigs Gesicht zu streichen. Er sah so ausgezehrt aus. Krank. „Mit mir?“ Schuldig lachte und dann verzog sich sein Gesicht als würde er weinen wollen, Tränen bildeten sich in seinen Augen und tropften nach einem Blinzeln auf Rans Wangen. „Schu.“ Ran wusste nicht was los war, aber es machte ihm Angst. „Sag... etwas.“ Schuldig legte sich seitlich und schmiegte sich an Ran. „Ich weiß nicht wo ich anfangen soll“, hörte Ran die tränenschwere Stimme. Er wandte den Kopf und bettete seine Lippen an Schuldigs Stirn. Etwas drückte an seiner Seite und er wollte danach greifen, tastete jedoch nur Stoff. „Kannst du dich an etwas erinnern?“, fragte Schuldig und Ran konnte die Stimme nur mit Mühe verstehen, da Schuldig in seinen Oberarm sprach. „Ich weiß nicht...“, sagte Ran unbestimmt und sein Blick ging an die Decke. Sie war verschwommen und selbst ein Blinzeln konnte diesen Umstand nicht beheben. Der hohe Ton, der zudem gerade in seinem Innenohr erklang war unangenehm. „Wir gingen zum Anwesen und dann tauchten diese Typen in den Uniformen auf. Wir haben gekämpft.“ Was kam danach? Der Ton nahm an Intensität zu. Ein Bild blitzte in seinem Gedächtnis auf. Yohji. Tot. Er blinzelte. Noch immer starrte er an die Decke. „Ist... ist...“, Rans Augen wurden größer und die Decke verschwamm. „Ist... er im Krankenh...“, fragte er und seine Stimme brach. „Nein. Ist er nicht.“ Schuldigs Arm der über Rans Bauch lag zog sich fester um ihn. Die Umarmung sagte es Ran. Der Tonfall sagte es ihm. Er klang seltsam in seinen Ohren. Endgültig. Unwiderruflich. Ohne Ausweg und Rückkehr. Ohne Hoffnung. Yohji war tot. Er weinte still, blinzelte die Tränen fort bis neue kamen. Der Ton hielt sich hartnäckig und etwas schnürte ihm die Luft ab. Sein Brustkorb hob sich schneller, doch er bekam immer weniger Luft. Das tat er bis sein Kopf schwer wurde und es schmerzte. Ein dumpfes Pochen, das von seinen Schläfen ausging. Schuldig war still bei ihm geblieben und irgendwann legte Ran seine Wange an den Haarschopf und schloss die Augen. Er konnte nicht mehr denken so müde war er. Das nächste Mal als er aufwachte war es hell draußen. Über den roten Haarschopf, der an ihn gedrückt lag, sah er wie es draußen regnete. Der Ton war verschwunden, alles war ruhig und alles war seltsam gedämpft. Es war wie in einem Traum. Neblig, nicht zu fassen, nicht genau umrissen und nicht mehr greifbar. Ohne Substanz. Nicht ganz... Etwas hatte Substanz. „Schu...“, flüsterte Ran und drückte Schuldig fest an sich. Das Gesicht des Telepathen lag an seinem Hals und sein Atem ging ruhig. „Keine Sorge, er ist nur erschöpft.“ Ran wandte sein Gesicht vom Fenster weg der Stimme zu und er sah daraufhin lange in dieses Gesicht. „Kawamori“, sagte Ran mit rauer Stimme. „Sakura.“ Er sah sie weiter unverwandt an und ließ Schuldig dabei nicht los. „Ja, die bin ich. Woraus schließt du das?“ Ran räusperte sich und fasste Schuldigs Rücken etwas fester. „Ein Bild... von Ihnen“, Ran räusperte sich, aber seine Stimme wurde nicht lauter. „...aus den achtziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts.“ Sie lächelte schmal. „Wo hast du denn das Ding gefunden?“ „CIA. Eve Crawford“, antwortete Ran einsilbig, seine Lage grob einschätzend. Er war sich nicht sicher was er von der Frau halten sollte, die ihm so ähnlich sah. „Ah, die kleine Crawford. Ein nettes Mädchen, blitzgescheit und anständig.“ „Wo ist Chiyo?“ „Chiyo?“ Sie seufzte. „Ich denke nicht, dass du Chiyo sprechen möchtest.“ „Warum nicht?“ Sie sah ihn lange an. „Ruht euch beide aus. Wir sprechen später miteinander.“ Sie stand abrupt auf und verließ den Raum. Ran war erleichtert. Ihr stechender forschender Blick war ihm momentan zu viel. Er fühlte sich wie durch den Fleischwolf gedreht. Sanft strich er durch Schuldigs Haare und spürte der weichen Textur nach. Es fühlte sich so vertraut an, so warm und weich. Er hatte sich so einsam gefühlt und dann war da plötzlich etwas gewesen, das er mit Wärme und Nähe, aber auch mit Trauer und Schmerz verbunden hatte. Er sah auf das friedlich schlafende Gesicht, das auf seiner Brust lag und strich Schuldig sanft über die Wange. Er hatte ihn von dort zurückgeholt. Das wusste er. Ran hatte Angst die Augen zu schließen und so hielt er sich an Schuldigs Gestalt fest bis dieser sich zur Seite rollte und sich dann wieder seitlich an ihn schmiegte. Schuldig rieb seine Nase an Rans Oberarm und seufzte genüsslich. Dann öffnete sich die Tür und jemand kam herein. Ran wandte den Kopf und sah schwarzes Haar, welches zu einem seitlichen Zopf gebunden war und dem Mann auf die Brust fiel. Er brachte ein Tablett herein und bewegte sich fast lautlos. Er trug einen Yukatta in Blautönen, darunter waren dunkle Hosen zu erkennen. Rans Augen wurden größer als er glaubte noch immer zu schlafen. Das Gesicht kam ihm bekannt vor. Träumte er tatsächlich noch? Das würde die Frau von eben erklären. Der Mann kam näher und Ran erkannte dass er jünger als er selbst war. Er blieb vor ihm stehen und Ran sah zu wie die zartgliedrigen Finger sich um das Tablett verkrampften. „Ich... meine Herrin sagte, dass ihr vielleicht etwas zu Trinken wünscht. Tut ihr das?“, fragte er leise und Ran nickte automatisch. Er starrte den jungen Mann an. Dieser ging um das Bett herum und auf seine rechte Seite, dort stellte er das Tablett auf dem Nachttisch ab. Rans Hand stillte die emsigen Hände und versuchte die Aufmerksamkeit des Mannes zu erreichen. Körperkontakt war sonst nicht seine Art, aber er brauchte Antworten und sowohl Sakura als auch dieser Mann warfen Fragen auf. Der Dunkelhaarige hielt plötzlich inne begegnete aber nicht seinem Blick, als würde er ihn vermeiden wollen. „Wie heißt du?“ „Firan, Herr.“ „Sieh mich bitte an, Firan.“ Ran ließ ihn nicht los und Firan gab sich einen Ruck. Er sah ihn an und Ran ließ sich wieder zurücksinken in sein Kissen. „Wie kann das sein?“, flüsterte Ran. „Ich... er... ist... - war mein Bruder“, stotterte Firan. „Das wusste ich nicht.“ Ran erkannte seine eigene Stimme in dem Entsetzen nicht, das ihn gerade zu befallen drohte. Was ging hier vor? Was war passiert? Firan nickte. „Gabriel auch nicht. Meine Herrin sagte, dass es nur wenige wussten und dass dieser Umstand politischen Zwecken diente. Ich war für die Trias ein Druckmittel um meinen Bruder Dinge tun zu lassen, die ihn veränderten.“ Er nickte und schwieg dann, als wolle er sich selbst sagen, dass diese Zusammenfassung gut gelungen war. „Wollt Ihr etwas zu trinken? Tee vielleicht?“ Ran bejahte und nahm seine Hand zurück. Tausend Fragen spukten ihm im Kopf herum, aber das verweinte Gesicht verbat sie ihm. Er nahm den Tee entgegen und konnte sich an dem Gesicht nicht sattsehen. Schön, fiel ihm dazu ein und er blinzelte. Sehr ähnlich und doch so ungleich. Schönheit war nichts was ihn als erstes als Merkmal bei einem Mann auffiel. Hier jedoch war der Fall anders. Sofern man die andere Seite der Medaille kannte – gekannt hatte. „Ihr seid Zwillinge.“ Firan nickte. „Mein Spiegelbild ist... ist so... zerbrochen“, er wurde immer leiser und seine Stimme erstarb schließlich. Das letzte Wort war kaum zu hören, aber Ran verstand die Silben. „Er... er sieht so aus wie ich hätte aussehen müssen.“ Er schüttelte den Kopf und konnte nicht weitersprechen. Ran ließ ihm Zeit sich zu fangen. Er brauchte selbst Zeit. Ran spürte schon wieder eine Welle der Trauer und sein Hals wurde eng. „Seit wann bist du hier?“ „Seit vielleicht etwas mehr als ein Tag. Ich... ich...“, er sah zu Ran. „Ich habe ihn knapp verpasst... es war so knapp... so wenige Stunden.“ Ran schloss die Augen und versuchte sich dieses Grauen auszumalen und versagte. Er sah in diese goldenen, vor Trauer schwimmenden Augen und wusste, dass er nicht einmal im Ansatz dieses Grauen erfassen konnte. Sie schwiegen während Ran versuchte sich selbst zu beruhigen und an dem Tee nippte. „Wo warst du? Seit wann wart ihr getrennt und warum?“ „Beim Orden. Wir wurden dort getrennt, es hieß es wäre besser für uns beide. Wenn ich täte was sie von mir wollten, dann würde er frei kommen. Aber er kam nie frei und ich wurde weggebracht. Er brauchte mich, Herr Fujimiya. Ich war sein Spiegel, er konnte ohne mich seine Gefühle nicht wahrnehmen. Ohne mich war er verloren in den Gefühlen der anderen. Ich trennte ihn davon ab. Aber niemand glaubte mir. Keiner hörte mir zu.“ Ran hatte Recht behalten, das Grauen wurde schlimmer. Er hatte keine Kraft wütend zu sein, aber er wusste, dass er wütend werden würde. Bald. Sehr wütend. „Ich bin mir sicher, dass sie wussten was sie taten aber ihn für ihre Zwecke benötigten, Firan.“ Firan sah ihn bekümmert an. „Und dann warst du bei SZ?“ Firan nickte. „So ungefähr. Ich war meinem Herrn dort unterstellt.“ „Und was hast du dort gemacht?“ Firan wandte den Blick ab und alles in seiner Haltung sagte Ran, dass die Antwort ihm nicht gefallen würde. „Ich diente ihm in allen Belangen.“ „Ah ja, auch den sexuellen?“, fragte Ran geradeheraus und seine Stimme hatte einen tröstenden Unterton angenommen, damit Firan seine Abscheu vor diesem Herrn nicht heraushören konnte. Firan nickte und Ran sah zu wie er immer kleiner werden wollte. „Ich... ich... weiß nun, dass mein Bruder mir die emotionale Last dieses Dienstes genommen hat“, beschwichtigte Firan eilig und sah zu Ran. Er nickte bestätigend. „Ich... ich... habe teilweise gar nichts gefühlt. Jedes negative Gefühl wurde mir genommen, ich weiß, dass es wohl schlimm war, aber ich fühlte es nicht. Ich war nicht wütend. Meine Herrin erklärte mir, dass diese Taten wohl Schaden in mir hätten anrichten können, aber sie taten es nicht.“ Firan sprach noch weiter und das grauenhafte Bild wurde zu etwas Schlimmerem. Ran hörte sich alles an und dieser Thomas Straud alias Somi wurde zu seiner neuen Nemesis. „... hinterließ er keine Narben. Nie“, schloss Firan und stricht sich gedankenverloren über das Gesicht. „Heute habe ich meinen Bruder gesehen. Er trägt die Narben an den Stellen, an denen mein Herr mich gern bestrafte. Ich weiß nicht wie das gegangen ist... eine Übertragung... dazu wären wir nicht fähig gewesen“, rätselte Firan. Ran sah ihn mit abgeklärtem ruhigem Blick an und sagte nichts. Jei hatte sich die Narben dort selbst beigebracht, an den Stellen an denen sein Bruder gequält worden war und das über Jahre hinweg. Damit er verschont, rein bleiben sollte. Ran konnte nur vermuten, aber Jeis Geheimnis war aufgedeckt worden und Ran hätte ihm von Herzen gewünscht, dass er hier bei ihnen wäre. Aber hätte Jei seinem Bruder so unter die Augen treten wollen? Oder hätte er sich lieber weiter verborgen? Jei hatte seinen Bruder hier in Morioka sicher gespürt. Er wollte nicht hierher kommen. Firan war frei... Jeis Arbeit getan. Redete sich Ran das ein oder war es tatsächlich so gewesen, sie würden es wohl nicht mehr erfahren. Jei... sie hatten alles falsch interpretiert, alles war so falsch gewesen. Jei hatte sein eigenes Ding gemacht, weder Brad, Nagi noch Schuldig hatten ihm in die Karten schauen können. Sie hatten alle versagt. Selbst der große Hellseher. Dabei... vielleicht hätten sie ihm helfen können, Firan helfen können. Vielleicht hatte er nicht gewusst wo sein Bruder war, vielleicht konnte er ihn nur fühlen. Und dann war das einzige was er für ihn tun konnte ihn so zu beschützen... seine Seele zu beschützen. Und mit dieser Last hatte er begonnen sich selbst zu bestrafen, sich zu verstümmeln... Ran hätte am Liebsten laut geschrien. Er würde Straud töten, langsam... damit er auch viel davon hatte. Aber vor ihm standen bestimmt noch eine Reihe anderer Menschen die ihr Anrecht an einem Teil der Rache hatten. Und Brad war diesem Menschen in die Hände gefallen? Vielleicht sogar freiwillig? Warum? Firan erzählte auf sein Nachfragen wie er hierher gekommen war. Ran hörte ihm zu, denn es lenkte ihn ein bisschen von seiner Trauer über Yohji ab. Er hatte seinen besten Freund verloren. Sich dies bewusst zu machen und Firan zu sehen und seine Geschichte zu hören. Es vereinte sie beide ein bisschen und vor allem... hatten Yohji und er eine lange Freundschaft besessen, sie hatten sich gekannt, sich geliebt und miteinander gelacht und gelitten. Sie hatten einander im Arm gehalten. Wenn er Firan so ansah dann zerriss es ihm das Herz. Yohji und er hatten gewusst, dass es eines Tages einen von ihnen erwischen würde, auf die eine oder andere Weise. Wer es sein würde, das hatte von ihnen zuvor niemand sagen können. Jetzt war Yohji bei Asuka. Endlich. Rans Augen füllten sich mit Tränen. Er schloss sie und seine Hände fanden Schuldigs Nacken. Als er sie wieder öffnete war Firan gegangen. Sicher zu seinem Bruder. Seinem toten Bruder, den er seit der Kindheit nicht mehr gesehen hatte, der seine Schmerzen, seine Ängste, die Erniedrigung, die Scham und all die anderen Gefühle in sich aufgenommen hatte um ihn zu schützen. Firan war nun alleine, mehr denn je. Und er konnte sich nicht einmal bedanken. Nichts war ihm geblieben. Von welchen Erinnerungen konnte er zehren? Keiner konnte sie ihm schenken. Ran weinte lautlos, um Firans und seinen eigenen Verlust. Firan zu sehen und von ihm zu hören, dass Jei tot war ließ keinen Raum mehr für Spekulationen darüber ob alles nur ein Irrtum war. Yohji und Jei waren tot. o Irgendwann wurde Schuldig wacher und gähnte herzhaft. Das klang so vertraut und herrlich faul, dass Ran sogar schmunzeln musste. Auf Schuldigs Bequemlichkeit konnte man sich verlassen auch wenn die Situation noch so bescheiden war. Schuldig wurde wacher und rappelte sich auf, er kletterte über Ran, stützte sich mit Knien und Händen neben Ran auf und sah auf ihn runter. „Na, Schlafmütze, wach?“, fragte er und Ran nickte folgsam. Er fühlte sich immer noch etwas daneben. Sie sahen sich an und wussten, dass Ran nicht einfach nur geschlafen hatte. Aber wollten sie es auch ansprechen? „Dank dir bin ich jetzt wach.“ „Das ist schon mal passiert, Ran. Damals als wir auf dem Friedhof waren, doch jetzt war es schlimmer.“ Ran nickte. „Ich... ich wollte einfach weg und alles vergessen.“ „Auch mich.“ Rans Augen füllten sich mit Tränen. „Ich weiß nicht“, sagte er unbeholfen. „Es tut mir Leid.“ Schuldig senkte den Kopf und küsste ihn tröstend auf die zitternden Lippen. „Ganz ruhig. Is nicht schlimm, Ran“, sagte Schuldig beruhigend. „Ich weiß, dass du mich nicht vergessen wolltest, du wusstest schließlich, dass ich kommen und dich holen würde“, sagte Schuldig zuversichtlich eine hübsche Ausrede für sie beide kreierend. Ran nickte dankbar mit Tränen in den Augen. „Ja, ich wusste, dass du kommen würdest. Wo sind wir hier? Die Frau vorhin war Sakura Kawamori.“ „Ich habe uns nach Morioka gefahren.“ „Was ist... wo ist... ist... sind sie tot?“ Er musste einfach noch einmal fragen. „Ja, Ran. Yohji und Jei sind tot.“ Ran nickte. Er fühlte sich wie betäubt, kraftlos. Er hörte es und hatte es auch gesehen, Yohji berührt, seinen Puls gesucht, aber er war so kalt gewesen. Dennoch war es so unwirklich. „Und Nagi?“ Schuldig kletterte über Ran und setzte sich neben ihn. „Ich weiß es nicht. Ich bin vorbeigefahren. Die Klinik liegt in Trümmern. Was rede ich, das ganze Hochhaus ist zusammengefallen. Zwei Blocks weiter liegen immer noch Trümmer. Keine Signatur mehr von ihm oder vom Doc. „Das heißt nicht, dass er tot ist.“ „Nein, das heißt es nicht, aber ich vermute, dass sie über die Klinik an uns rangekommen sind. Entweder über den Doc oder Nagi.“ „Egal wie... es ist schlimm. Wenn sie die beiden haben...“, fing Ran an verstummte aber. „... sind wir die einzigen die noch frei und am Leben sind. Ich hoffe oder denke, dass Brad Omi mit Ken, Eve und Lilli weggeschickt hat.“ „Asugawa?“ „Keine Ahnung. Brad hat ihn eingesperrt...“ Er erzählte Ran kurz von dem speziellen Raum und dass Finn in Tokyo geblieben war. Ran hatte in seinem Zustand nicht mehr viel von Asugawas Anwesenheit mitbekommen. „Das war alles Absicht von ihm“, schloss Ran. „Brad?“, hakte Schuldig nach. „Ich fürchte. Jei und Kudou waren die Einzigen, die er nicht ganz unter Kontrolle bekommen hat. Wir beide waren zu weit weg und vermutlich zu sehr darauf aus Antworten von hier zu bekommen.“ „Glaubst du das werden wir?“ „Ja, ich habe bereits einiges erfahren.“ Ran versuchte sich aufzusetzen. „Sie sieht mir ähnlich, die Haarfarbe...“ „Es ist deine Großmutter. Sakura Kawamori ist deine Großmutter.“ „Dann ist sie so alt?“ „Ja. Sie muss... keine Ahnung wie alt. Mindestens um die Hundert, wenn nicht mehr sein.“ „Dann hatten wir mit der Vermutung Recht, dass sie eine PSI ist? Sie war auf dem Bild mit Oloff.“ „Ja ist sie.“ „Was ist sie?“ „Ein Runner.“ „Was machen die?“ „Erinnerungen hüten oder so... genau weiß ich es nicht, ist mir auch neu.“ „Erinnerungen...“, sagte Ran leise. Und ihm kam kein guter Gedanke. Was wenn er auch einer war? Er runzelte die Stirn weil er nicht alles was passiert war auf dieses Blatt Papier bekam das er sich vorstellen wollte. Umständlich begann er sich aufzusetzen. „Ist das passiert weil ich auch einer bin? Ein Runner?“ Schuldig sah zu Ran auf. „Ja, das ist eine Fluchtreaktion bei... euch.“ Ran sah zu ihm hinunter. Er rutschte an den Rand des Bettes und zog seine Beine über die Kante. Schwindel erfasste ihn aber er wurde nach einigen Minuten besser. Schuldig beobachtete ihn mit Argusaugen, griff aber nicht ein. Ran schwieg eine geraume Weile bis er sich wieder hinlegte. Er war völlig erschöpft und auf seiner Stirn waren vereinzelt Schweißperlen hervorgetreten. Schuldig wischte sie ab und beugte sich über Ran um ihn zart zu küssen. „Das wird wieder besser.“ Ran sah ihn nur an. „Wieso hast du es nicht erkannt? Dass ich einer von euch bin? Wieso hat es niemand erkannt?“ Rans Augen sahen ihn aufgebracht an aber er war noch nicht wütend, das erkannte Schuldig. Er war dazu noch zu fertig. „Extrem gute Schilde.“ Ran lachte auf. Aber es war kein freudiges Lachen. „Das kann nicht wahr sein!“, rief Ran aus und schüttelte den Kopf. „Ich wusste nicht einmal dass es solche PSI wie ihr es seid - und im Übrigen die Kawamoris die hier leben auch - gibt.“ Schuldig legte sich auf den Rücken. Sie lagen nebeneinander und sahen beide an die Decke. „Ich fühle mich verarscht“, bemerkte Ran dann. „Ja ich mich auch.“ Sie schwiegen eine Weile weil Schuldig nicht wusste wie er Ran alles leichter machen konnte und Ran schwieg weil er die Puzzleteile versuchte zusammenzusetzen. „Und Chiyo?“, fragte Ran. „Nur eine Stellvertreterin, die Sakuras Platz eingenommen hat, als sie zu alt wurde und ihr jugendliches Aussehen nicht mehr verbergen konnte.“ „Wahnsinn.“ „Kann man so sagen. Willst du noch mehr hören?“, fragte Schuldig und sah kurz zu Ran hinüber. Dieser nickte und Schuldig erzählte ihm von der Fahrt, von Asugawa und ihrer Ankunft hier. Und von seiner ersten Begegnung mit Firan. „Ich habe ihn gelesen, als ich erkannte wer er war. Ich bin völlig ausgeflippt.“ „Du hast alles gelesen?“, fragte Ran vorsichtig. „Ja. Vieles davon. Es war nicht weit verborgen und ich war zu... irre um es nicht zu tun.“ „Er war vorhin hier als du geschlafen hast.“ Schuldig nickte. „Hat er dir erzählt...“, fing Schuldig an. „Ja“, sagte Ran und hob die Hand. „Ich kann kaum darüber sprechen. Er hat ihn knapp verpasst. Es ist grausam.“ Schuldig erzählte Ran von dem Gespräch im Garten mit Omi und Jei.“ „Das war echt sehr seltsam. Dieser Satz, dass er Omi einen Bruder schuldete. Und er ihm einen schenken konnte.“ „Vielleicht war das der Moment wo er bemerkte, dass Firan nicht mehr im Einflussbereich von diesem Straud war.“ „Kann sein“, flüsterte Schuldig. „Ich mache mir Vorwürfe. Ich weiß aber nicht was wir hätten tun können.“ „Nichts.“ Sie schwiegen wieder. „Es drängt mich nichts dazu die Situation zu ändern“, sagte Ran plötzlich in die einvernehmliche Stille hinein in dem sie dem Regen zuhörten wie er auf das Dach prasselte und an ihm in Strömen hinunterlief. Er fühlte sich an ihren Aufenthalt in den Bergen erinnert. „Was meinst du?“, fragte Schuldig mit träger Stimme. Ran hatte eine Strähne seiner Haare erwischt und zwirbelte sie zwischen seinen Fingern. „Müssten wir nicht Pläne schmieden? Herausfinden was vor sich geht? Nach Antworten suchen, sie einfordern, aktiv werden? Irgendjemanden töten?“ Schuldig rollte sich auf den Rücken und starrte an die Decke. „Sollten wir wohl. Vor allem Letzteres“, erwiderte er nachdenklich. Wieder schwiegen sie. „Andererseits bekommen wir hier Antworten. Sakura meinte, dass ich noch nicht bereit für eine Konfrontation mit Rosenkreuz wäre“, fügte er dann nach ein paar Minuten an. „Erinnerst du dich wie wir über deine Eltern gesprochen haben? Dass du nicht weißt wer dein Vater war?“, fiel Ran ein. „Hmm, ja. Er lebt und ist eingesperrt weil es sonst zu gefährlich wäre“, antwortete Schuldig. „Für ihn oder für alle anderen?“ „Gute Frage“, räumte Schuldig ein. Er wusste es nicht und er hatte Angst vor der Antwort. Schweigen. „Wie er wohl so ist?“, sinnierte Schuldig und seufzte melancholisch. „Hört sich jedenfalls nicht sehr freundlich an. Dasselbe dachte ich von Chiyo. Oder meiner Großmutter im Allgemeinen.“ „Ich fand sie ganz umgänglich“, bemerkte Schuldig vorsichtig. Ran brummte etwas Unverständliches und Schuldig drehte den Kopf zur Seite und sah nach oben zu Ran, der sich aufgesetzt hatte und nun am Kopfende saß. „Nicht?“, hakte er nach. „Doch. Ich bin wohl noch zu überfordert mit der Tatsache, dass sie jung aussieht und meine Großmutter ist.“ „Finde ich auch nicht gerade alltäglich, obwohl es für mich wohl so sein sollte. Langsam aber sicher komme ich mir wie ein Kind vor dem man einiges vorenthalten hat.“ „Bist du ja auch!“, behauptete Ran trocken. Schuldig schnaubte. „Du auch.“ „Sicher nicht.“ „Doch, bist du!“ Das Spielchen ging noch eine Weile so weiter und erschuf die Illusion von Unbeschwertheit. „Du hast Recht, ich bin es“, sagte Ran dann als sie müde waren und Schuldig sich an Ran gekuschelt hatte. Dieser hatte seine Wange an Schuldigs Haarschopf gelegt. „Ach, Ran...“, murmelte Schuldig im Halbschlaf. „Du machst den ganzen Spaß mit dieser blöden Wahrheit kaputt. Damit ist uns nicht geholfen.“ Ran schnaubte. „Sie haben uns alle beschissen...“, sagte Schuldig und gähnte. „Wir gewöhnen uns besser an diesen Gedanken.“ Irgendwann mussten sie beide eingeschlafen sein, denn Schuldig wachte nachts einmal kurz auf um zu überprüfen wie es Ran ging, doch dieser schlief tatsächlich. Beruhigt schlief auch Schuldig wieder ein und hielt sogar bis zur Dämmerung durch. Er gähnte und fuhr sich über das Gesicht. Frühnebel versperrte die Sicht auf andere Gebäude. Er versicherte sich dass Ran noch schlief, doch dieser hatte sich seine Hand geschnappt und wurde unruhig. Schuldig beugte sich zu der zarten Ohrmuschel, berührte sie mit seinen Lippen. „Ich seh mal was ich zu Essen finde. Schlaf noch ne Runde. Nachher gehen wir zu Yohji, ja?“ Ran war wohl beruhigt, nickte brummend und entspannte sich wieder. Schuldig seufzte und erhob sich. Er ging ins Badezimmer um sich frisch zu machen und schlüpfte in andere Klamotten. Er sah immer noch furchtbar aus. Dann stromerte er ins Haupthaus hinüber und beobachtete wie das Haus erwachte. Firan kam gerade aus einem der Waschräume und sah zu ihm auf. Er lächelte schüchtern, auch wenn Schuldig erkannte, dass es erzwungen war. Dennoch war es ehrlich. Die goldenen Augen leuchteten ihm warm entgegen. „Willst du zu Sakura-sama, Gabriel?“ Schuldig zuckte mit den Schultern. „Klar, warum nicht?“ „Ich bringe dann das Frühstück.“ Firan ließ ihn allein und Schuldig machte sich zu Sakuras Räumen auf. Er musste sich wohl daran gewöhnen mit seinem vormals geheimen Geburtsnamen angesprochen zu werden. Wenn er sich vorstellte wie geheimnisvoll er herumgetan hatte als Ran seinen Namen wissen wollte und kaum war er hier posaunte und benutzte Sakura ihn als wäre es nichts. Schuldig verzog frustriert das Gesicht. Dumm gelaufen. Und Firan konnte er nicht sagen, dass er Schuldig hieß. Er empfand es als unpassend. Und für ihn war es seltsam Gabriel genannt zu werden. Wenigstens sprach ihn Sakura auf Englisch aus und nicht Deutsch, das hätte ihn zu sehr an seine verkorkste Kindheit erinnert. So war es doch noch etwas fremd und sollte so bleiben. Er tastete sich mental vor bevor er sie erreicht und prallte gegen eine fette Mauer. Als er vor der Tür war hörte er ihre Stimme. „Komm herein.“ Er trat ein und wünschte einen guten Morgen. Wenigstens ging es hier nicht so steif zu. Sie bat ihn Platz zu nehmen. „Ein Frühaufsteher?“ Sie nippte an ihrem Tee. Er sah sie misstrauisch an. „Eher nicht.“ „Besondere Umstände?“ „Ja“, bestätigte er, wollte aber nicht unhöflich sein und schob noch einen Satz hinterher. Obwohl er sich für Smaltalk nicht wirklich fit fühlte. „Sie sind schon länger auf?“ „Ich habe einige Leute losgeschickt um Informationen zu sammeln. Der Netzknotenpunkt in der Klinik liegt brach.“ Schuldig nickte. „Ich könnte mich umhören.“ „Nein, ich möchte, dass du dich in nächster Zeit nur auf dich oder auf Ran konzentrierst. Deine Energie muss hierbleiben. Ist das in Ordnung für dich?“ Er nickte. „Ich denke Ran wird das verstehen wenn wir es ihm erklären.“ „Ha! Sie meinen ich bin der Ungeduldige von uns beiden?“ Schuldig lachte laut auf und sah sie ungläubig an, was sie mit einem schmalen Lächeln quittierte. „Tja, er kommt wohl eher nach mir.“ „Wenn Sie das sagen...“, gab er sich vorsichtig. Sie schenkte ihm Tee ein und er nahm die Tasse an. „Momentan ist er noch dabei alles zu verdauen, er ist etwas lethargisch und muss sich erst von Kudou verabschieden. Dann wird er übellaunig und mürrisch werden“, prophezeite Schuldig und Sakura sah ihn wenig begeistert an. „Is Ihr Enkel!“, schob Schuldig die Verantwortung an die Frau rüber. „Es ist dein Partner, Kleiner“, sie grinste ihn unverschämt an, den Ball wieder in sein Feld spielend und Schuldig gab seufzend auf. Sie tranken eine Weile schweigend und sahen zu wie sich der Nebel verzog. Irgendwann brachte Firan das Frühstück. Sakura fragte ihn ob er bei Ihnen bleiben wollte, aber er verneinte. Schuldig sah ihm nach als er alles gebracht hatte und sich von ihnen verabschiedete. „Ich reiße Somi sein Herz raus“, sagte Schuldig ruhig als er Firan dabei beobachtete wie er die Tür schloss. „Falls Ran mir nicht zuvor kommt, heißt das...“, resümierte er leise vor sich hin. „Das ist kein Wettkampf.“ „Abwarten.“ Sie aßen eine Weile still bis Sakura ihn aus seiner Lethargie riss. „Möchtest du nichts über deinen Vater wissen, über deine Mutter?“ Er legte seine Stäbchen zu Seite. „Ich bin mir nicht sicher“, gestand er. „Warten wir bis Ran soweit ist.“ Schuldig nickte. „Heute Abend wollen wir sie bestatten. Eine Zeremonie der Kawamoris. Kudou Yohji erhält die Ehrenbestattung eines Guards. Er trägt die erste Zeichnung eines Guards.“ Schuldig nickte. Was sollte er auch sagen? Für Ran war es sicher gut wenn sie Kudou eine Ehrenbestattung spendierten. Der Playboy war ihm ans Herz gewachsen und er fühlte in sich ein komisches Gefühl. Kudou würde keinen blöden Spruch mehr reißen. Das würde ihm fehlen. Und der Typ der sich als Kudous Illusion ausgegeben hatte... selbst er hatte die blöden Sprüche nur am Anfang aufrecht erhalten. Später war klar gewesen, dass es nicht seine eigene Syntax war derer er sich bedient hatte. Sein quasi Schwager war tot. Rans Rückhalt wenn Schuldig aus welchen Gründen nicht da war oder nicht konnte oder verrückt spielte. An wen sollte sich Ran dann wenden? Schuldig presste die Lippen aufeinander. Omi war nicht mehr da, Ken ebenso wenig. Manx verschwunden. Ran war allein mit einem verrückten Telep... Soulwhisperer. Was auch immer das genau war. Ran brauchte doch jemanden außer ihm. Jemand normales. Aber Ran war nicht normal. Trotzdem. Er brauchte einen Freund. Aber wen? „Deine Gedanken sind deutlich auf deinem Gesicht abzulesen. Das ist interessant.“ Schuldig schnaubte. „Ja? Was denke ich denn so?“ „Du bist dir nicht sicher ob du Ran alleine reichen wirst.“ Schuldig atmete tief ein und langsam aus. „Kann sein, weiß nicht“, sagte er ausweichend. „Du kannst seinen besten Freund nicht einfach ersetzen.“ „Ich weiß. Aber ich bin verrückt. Ran braucht Normalität.“ „Was Ran braucht weiß er selbst am Besten. Was würde er dir auf deine Gedanken hin antworten?“ „Mir in den Arsch treten.“ Sie lachte auf. „Mit Sicherheit.“ „Dein Vater hatte einst auch einen Runner unterschätzt. Eigentlich hat er zwei Runner unterschätzt. Dumme Idee.“ Schuldig sah die Frau an. „Wenn Sie das sagen. War meine Mutter auch ein PSI?“ „Nein.“ Zumindest war das die einhellige Meinung. Sie beobachtete ihn und Schuldig sah zu ihr auf. „Sie lebt.“ Er schüttelte den Kopf. „Gut, bis hierher konnte ich Ihnen glauben, aber DAS...“ „Glaub es oder nicht. Aber es ist so.“ „Wie? Sie war tot. Ich kann mich noch erinnern.“ „Das stimmt. Sie war tot. Aber dein Vater holte sie zurück.“ Schuldig schüttelte den Kopf. „Wir warten bis Ran wieder oben auf ist?“, fragte sie ruhig. „Besser ist das“, sagte er und er fühlte sich ziemlich durcheinander. „Brad hatte Recht. Wir waren nichts anderes als Sklaven.“ „Ihr wurdet klein gehalten damit ihr nicht rebelliert.“ Schuldig schwieg. „Ist es von Vorteil...“, er verstummte. Sie wartete bis er weitersprach. „Sie waren bei Oloff. Eve hat viel darüber recherchiert und laut ihren Recherchen propagierte Oloff, dass PSI sich am Besten an normale Menschen banden, weil sonst nichts Gutes dabei herauskommen würde.“ Sie nickte. „Das glaubte ich auch eine Zeit lang. Und sicher ist da was dran. Aber es zu pauschalisieren ist sicher auch nicht von Vorteil. Das gilt vielleicht für höherstufige PSI wenn sie sich fortpflanzen möchten.“ Sie seufzte. „Ich weiß es nicht, Gabriel. Einst dachte ich wie Strigo. Dann als ich bei SZ war empfand ich ihre Ansichten als gar nicht so falsch. PSI sollten trainiert werden, ihr Potential erfasst werden damit sie wussten wer und was sie waren.“ Schuldig wollte etwas sagen, sie hob lässig die Hand von ihrem Knie und er schwieg. „SZ veränderte sich. Als sie sich von Strigo abspalteten dachten sie nicht wie heute. Sie hatten hehre Ziele, ihre Motivation entsprang aus einem guten Gedanken, Strigo war ihnen zu fanatisch, sie wollten etwas freier damit umgehen. Irgendwann veränderte sich alles. Ich glaube auch heute noch, dass es grundsätzlich falsch ist Kinder ihren Eltern wegzunehmen, auch wenn diese nicht verstehen, was diese Kinder sind. Dennoch habe ich die Antwort darauf nicht gefunden wie wir eine Erziehung durch Menschen mit einem PSI Kind gewährleisten können, ohne dass es zu dramatischen Entwicklungen kommt. SZ begannen Kinder zu entführen, während Strigo nur die aufnahm, die ihren Weg zu ihm fanden oder die, die allein ihrem Schicksal überlassen wurden. Die Frage ist, ob es da nicht schon zu spät ist. Wenn diese Kinderseele schon viel schaden erlitten hat. Ist es da nicht besser sie zu entführen und ihnen Leid zu ersparen?“ Schuldig erinnerte sich an die leeren, dunklen Flecken auf Rans Seele. „Sie sagen SZ hatte Recht?“ „In Teilen definitiv. Später jedoch wurden ihre Methoden radikaler. Um das alles zu verbessern müsste man die PSI in die Öffentlichkeit treten lassen. Das würde alles erst einmal verschlimmern, über Jahrzehnte hinweg, bevor es vielleicht zu einem normalen Zusammenleben kommen könnte. Es würden über hundert Jahre vergehen, wenn nicht mehr. PSI müssten streng kontrolliert werden. Gesetze würden überarbeitet werden, neue gemacht werden. Und was würde das bringen? Ist das die Freiheit die wir uns wünschen? Oder sollten wir dorthin gelangen und selbst lernen uns zu kontrollieren? Zu lernen anderes Leben zu schützen und es als wertvoll zu erachten wäre der beste Ansatz.“ „Stimmt wäre es“, pflichtete Schuldig bei. „Nun, das ist der Leitsatz der Trias.“ „Ist er?“, fragte Schuldig erstaunt. „War er... einmal. Es funktionierte gut... bis vor ein paar Jahren alles aus dem Ruder lief. Der Rat hatte das alles gut im Griff. Jetzt jedoch gerät alles außer Kontrolle.“ „Der Rat, hmm?“, sinnierte Schuldig. „Ja, sie müssten sich mehr einbringen. Sie sind zu langsam, zu behäbig. Deshalb wollen sie eine Trias-Spitze die mächtig genug ist, um alle PSI zu führen. Die schneller als sie agiert, mit mehr Machtbefugnissen, die versteht um was es geht und die nicht aus persönlichen Gründen nach Macht strebt. Wie es jetzt der Fall ist.“ „Einen Hellseher.“ „Ja, beispielsweise einen Hellseher. Dem alle PSI bedingungslos folgen, dem sie vertrauen und dem sie glauben können. Die Zukunft. Und dem es nicht um Macht geht.“ „Und die anderen beiden Spitzen? Oder soll einer allein diese Gallionsfigur darstellen?“ „Dieses Mal glaube ich nicht, dass sie eine Gallionsfigur wollen. Sonst würden sie nicht einen Attentäter, einen rebellischen Hellseher dazu erwählen. Sie wollen eine echte Führung.“ „Er ist aber leicht zu manipulieren. Er hat Schilde, ja, aber einem Telepathen wie Sie ihn vorhin beschrieben haben, dem nicht einmal ich momentan etwas entgegensetzen kann... wer sollte ihn schützen?“ „Die beiden anderen Spitzen. Die Judges. Eine persönliche Garde. Das er Schutz braucht ist unbestritten. Nicht umsonst hatten sich die Spitzen der Trias euch als Garde erwählt.“ „Und wer sollte diese beiden anderen Spitzen sein?“, fragte Schuldig. „Was zeichnet einen PSI aus?“ „Seine Seele.“ „Und die Kraft diese seelische Energie in eine körperliche Gestaltung umzusetzen. Körper, Geist und Seele müssen Energieschwankungen ausgleichen können, wenn sie im Ungleichgewicht sind.“ Schuldig hatte das von dem Typen gehört der Kudous Abbild gewählt hat um ihm bei Ran zu helfen. „Warum nicht mein Vater, wenn er schließlich lebt? Oder ist er zu gefährlich?“, fragte er vorsichtig nach. „Ich bin mir nicht sicher. Ich erzähle es dir wenn Ran hier ist. Ich möchte diese Geschichte nicht noch einmal erzählen.“ Sie sah ihn ruhig an und doch hatte Schuldig den Eindruck sie bat ihn um Nachsicht wegen dieser Verzögerung. „Nach der Bestattung?“, fragte er. Sie nickte. „Ein guter Zeitpunkt. Der Sake wird helfen.“ „Ich möchte den Job definitiv nicht. Soviel kann ich schon einmal sagen. Warum nicht Sie? Sie könnten Brad perfekt schützen. Mit diesem Schild.“ Sie lachte. „Nein. Meine Zeit ist vorbei.“ Schuldig sah sie lange an und hatte das Gefühl, dass sie sich selbst da nicht so sicher schien und es sich eher einreden wollte. Aber er ließ zu, dass sie das Thema wechselte. „Streng genommen werden die Mitglieder der Trias gewählt.“ „Sehr demokratisch.“ „Ja, aber es bilden sich auch unterschiedliche Fraktionen. Was ich mitbekommen habe würde sich niemand gegen einen Hellseher stellen. Verstehst du?“ „Er ist über jeden Zweifel erhaben.“ Sie nickte. „Sie würden ihm ALLE folgen. Ausnahmslos. Das Problem ist, dass zum jetzigen Zeitpunkt niemand so wirklich daran glaubt, dass Crawford ein Pathfinder ist. Sie glauben an ein gewisses Potential in diese Richtung aber die Mehrheit vermutet eher einen niederstufigen Träumer oder Ähnliches.“ „Und wenn Somi jetzt unlautere Absichten verfolgt und ihn nicht zum Rat bringt...“ „Ich zweifle daran, dass er dies tut.“ „Dann hat er jetzt Brad. Und keiner kann ihn aufhalten wenn er ihn manipuliert.“ „Ich wüsste nicht wer das sein sollte.“ „Ich kenne da einen angepissten Kawamori.“ Sie lächelte. „Eine Chance.“ „Er hat sie ihm selbst gegeben.“ „Er hat sehr viel Vertrauen in Kaitos Fähigkeiten.“ Schuldig zuckte mit den Schultern. „Er war verletzt und machte nicht den Eindruck, dass er uns oder irgendjemanden gefährlich werden könnte. Aber jetzt hat er das Serum wieder.“ „Wieder? Er hatte es nicht die ganze Zeit über?“ „Nein, Brad hat es ihm eine Zeitlang verwehrt um ihn in seine Berechnungen miteinbeziehen zu können.“ Sakura runzelte die Stirn. „Dann ist vielleicht noch nicht alles verloren und der Hellseher hat einen Plan.“ „Bin mir nicht sicher.“ „Vielleicht hat er die Verluste versucht gering zu halten und seine Gefangennahme gehört mit zum Plan.“ „Brad wollte sich nie gefangen nehmen lassen. Er sagte stets bevor das passiert stirbt er lieber.“ „Ist er Lebensmüde? Das kommt bei Hellsichtigen sehr oft vor.“ „Das ist immer noch im Bereich des Möglichen.“ „Dann ist alles verloren.“ Sie schwiegen, bis Firan hereinkam und alles abräumte. Schuldig half Firan mit dem Geschirr und folgte ihm in die Küche. Er bat um ein Frühstück für Ran und bekam ein vorbereitetes Tablett in die Hand gedrückt. Suppe und Reis für den Kranken. Und Tee. Gut, dass er nicht krank war, ihm wäre das viel zu spartanisch. Und wer sollte die Suppe in Ran hineinbefördern? Er... oder... Schuldigs Blick glitt wie von Zauberhand zu Firan hinüber der arglos in der Küche mithalf. Ein breites Lächeln leuchtete auf Schuldigs Gesicht auf. Sein Ass im Ärmel! „Firan möchtet du mir mit Ran helfen?“ Schuldig legte sein harmlosestes Lächeln auf und Firan nickte. Wenn es darum ging Ran Suppe einzuflößen war ihm jedes Mittel recht. Sie gingen hinüber ins Nebengebäude und Schuldig freute sich über seine Verstärkung, der Ran nichts Gemeines entgegensetzen konnte. Ein kranker Ran war sein persönliches Armageddon und Firan, dieser aparte, höfliche dunkle Engel würde Ran sich benehmen lassen, so hoffte Schuldig. Ein Spitzenplan! Brad war schließlich nicht hier und wenn er ehrlich war... Firan war besser als Brad. Sanfter, hübscher, liebevoller... zahmer... und führbarer. Seine neue Geheimwaffe... Sie betraten das Haus und gingen hinauf ins Schlafzimmer. Sasuke war da und hatte wie es schien den Verband an der Flanke erneuert. Er löste gerade den Verband an der Kopfseite und sprühte etwas auf die Naht. Ran hatte den Kopf zur Seite in Richtung Fenster gedreht und seine Mimik war für Schuldig unleserlich. „Es sieht gut aus. Wir nehmen ein Sprühpflaster. Ihre Wundheilung ist sehr gut.“ Ran sagte nichts dazu. „Wie fühlen Sie sich?“ „Gut. Ich kann aufstehen.“ „Frühestens heute Nachmittag. Sie sollten damit beginnen erst im Haus einige Schritte zu machen.“ Rans Kopf ruckte herum und er wollte protestieren, das konnte Schuldig erkennen, Sasuke wohl auch. „Heute Abend zur Bestattung ihres Freundes. Nicht früher. Sie wären uns fast gestorben. Ihr Gehirn hat keinerlei Aktivität mehr angezeigt. Schonen Sie sich.“ Sasuke packte alles zusammen und verabschiedete sich mit einem Nicken. Schuldig begleitete ihn nach unten und öffnete ihm die Tür. „Ein schwieriger Patient“, sagte er. Schuldig verzog das Gesicht leidend. „Wem sagen Sie das?!“ Sasuke lächelte wissend. „Sie haben klug vorausgedacht indem sie Firan mitgenommen haben.“ Schuldig grinste. „Woher wussten Sie das?“ „Ich habe Erfahrung mit seiner Großmutter.“ „Aha und wer holt dort die Kohlen aus dem Feuer?“ „Sano.“ Sasuke ging und Schuldig ging wieder hinauf. Firan drapierte bereits das Essen auf dem Tablett so, dass Ran es gut erreichen konnte. Er saß aufrecht im Bett und beäugte mürrisch Firans Handgriffe. Für einen Außenstehenden sah es aus wie jeder Japaner der keinerlei Miene verzog. Für Schuldig jedoch sprachen minimale Details eine sehr deutliche Sprache. Rans Haltung war steif und die Augen nur eine Nuance enger als sonst. Dadurch wurde der Eindruck erweckt, dass sie dunkler waren. Der unstrittig rebellische Zug um die Lippen sprach Bände. „Ich habe keinen...“, fing Ran an und Schuldigs Augen wurden größer. Er schüttelte über Firans gebeugten Rücken tadelnd den Kopf. „Firan hat sich solche Mühe gegeben“, flötete Schuldig um Salz in die Wunde zu streuen. Ran funkelte ihn böse an, weil er wohl Schuldigs Absicht genau erkannt hatte aber als Firan aufsah korrigierte Ran seinen Gesichtsausdruck und nickte ergeben. Er sah seine Niederlage ein. Schuldig würde sich diesen denkwürdigen Tag rot im Kalender anstreichen müssen – damit er es Ran unter die Nase reiben konnte. Gott, warum hatte er Firan erst jetzt zu ihm geschickt?! Er hätte sich sehr viel Ärger ersparen können. Schuldig seufzte ungehört. „Danke“, sagte Ran leise und Firans Gesicht zierte ein Lächeln. Schuldig grinste freudig. Er wusste nicht ob er sich freute weil Ran langsam zu essen begann – wenn auch widerwillig – oder weil er Ran überlistet hatte. Vermutlich eher letzteres. Firan ließ sich von Schuldig nicht helfen als Ran nichts mehr essen wollte und das Geschirr zusammenräumte. Er verließ das Zimmer um das Geschirr in das Haupthaus zu bringen. „Er ist nicht hier um mich zu bedienen“, meckerte Ran und seufzte dann. Naja, ohne ein bisschen Gemecker ging es wohl nicht, aber Schuldigs Auftrag hatte er erfüllt! Firan war ab jetzt als Pfleger engagiert! „Sicher nicht. Aber er möchte eine Aufgabe. Willst du sie ihm verwehren?“ „Nein. Ich mag es nicht. Das ist alles.“ Schuldig setzte sich zu Ran und betrachtete sich seinen Miesepeter genauer. Das Haar hatte wieder seinen alten Glanz zurück. Ran war ein PSI. Wie er. Das war... seltsam neu und unerwartet obwohl er vor ein paar Tagen noch einen Verdacht gehabt hatte. Dennoch war es unerwartet. Und er wusste wie es in ihm aussah, wie seine Seele beschaffen war. Wunderschön, voller Energie, zerbrechlich, spröde mit dunklen leeren Flecken. Die von ihrem Band im Zaum gehalten wurden. „Was ist?“, fragte Ran misstrauisch und sein Blick schmälerte sich etwas. Schuldig legte ein unternehmungslustiges Lächeln auf um seinen kurzen liebestollen internen Emotionsanfall zu kaschieren. „Nichts. Ich finde deinen neuen Look sehr ansprechend.“ Ran hob eine Braue. Er kaufte es ihm nicht ab. „Wenn es dir so gut gefällt... der Arzt sagte, dass es besser für die Wundheilung wäre, wenn alle Haare ab kämen.“ Oder Ran witterte seine Chance. Schuldig fing an zu lachen. „Vergiss es. Das ist wirklich mies, Ran.“ „Weniger mies als Firan mitzubringen, damit ich diese verdammte schlecht schmeckende Suppe essen muss?“, grimmte Ran. „Du hättest sie ablehnen können“, behauptete Schuldig scheinheilig und klimperte mit seinen Wimpern. Ran holte aus, war aber zu langsam und Schuldig wich lachend zurück. „Das hätte ich nicht und das wusstest du genau.“ Ran wollte nach ihm greifen, beugte sich vornüber, stöhnte dann und ächzte geplagt auf. „Ran sei vorsichtig... das war eine tiefe...“ Schuldig half ihm sich aufzusetzen und hatte die Rechnung nicht mitgeschrieben, denn Ran stürzte sich auf ihn, legte eine Hand um seinen Hals und die andere krallte sich in seinen Schritt. „Das ist nicht fair“, jammerte Schuldig. „Warum nicht?“, fragte Ran und Schuldig schürzte die Lippen zu einem Schmollmund. „Schön vorsichtig sein mit den Dingen die du da in deinen Fingerchen hältst.“ „Oh... bin ich, keine Sorge.“ Warum hörte sich das in Schuldigs Ohren nur falsch an? Ran drückte Schuldigs Kopf zur Seite und Schuldig spürte warme Lippen auf seiner Halsseite. Sein Puls beschleunigte sich. Er ließ zu, dass Ran sich einen Weg bis zu seinem Mundwinkel küsste bevor er seine Lippen zu einem Kuss einfing. Der wild und unbeherrscht wurde, und das in sehr schneller Zeit. Was dazu führte, dass bei Schuldig sämtliche Alarmglocken angingen. Das war Rans Schema um mit Stress klar zu kommen. Okay. Schuldig packte Rans Hals, hob ihn fast vom Bett und schubste ihn gegen die gepolsterte Rückwand des Bett. Er setzte nach und hielt ihn fest. Ran atmete schwer. „Nicht jetzt, Ran. Nicht heute“, sagte Schuldig wütender als er sein sollte. „Warum nicht jetzt?“ „Weil Kudou und Jei gestorben sind und du um Kudou trauerst. Und weil du gestern noch gestorben wärst, du warst Hirntot, oder es sah zumindest danach aus. Und dir geht’s noch beschissen.“ „Nein tut es nicht. Und ich bin nicht gestorben. Und...“ Ran verstummte. Warum verstand Schuldig es nicht? „Und... warum willst du mich nicht!?“ Tränen bildeten sich in Rans Augen, sein Gesicht drückte jedoch Zorn aus. Schuldig packte Rans Knöchel und zog ihn vom Bettende herunter zu sich. Er hielt ihn unter sich fest und sah ihm in die Augen. „Hör auf mit dem Scheiß. Ich pack das jetzt nicht, Ran. Auch ich habe jemanden verloren. Und dich beinahe auch.“ Schuldig kletterte von Ran herunter und ging zur Tür. „Du warst beinah tot, verdammt!“, schrie Schuldig dann und drehte sich halb um. „Und das nur weil du dich verpisst hast und mich hier mit all diesen Kawamoris zurückgelassen hast.“ „Ich konnte ja wohl kaum was dafür!“, hielt Ran dagegen. „Du konntest nichts dafür?“ Schuldig versuchte seine Gefühle im Zaum zu halten und ihm war bewusst, dass er froh war, dass er diesen kleinen Stinkstiefel wieder bei sich hatte. „Das ist mir bewusst. Du hattest Angst vor mir und du warst sauer auf mich weil ich es nicht geschafft habe Kudou zu retten. Sie zu retten. Das weiß ich! Aber du hättest dich nicht verziehen dürfen. Ich hätte dich ohne Hilfe niemals zurückbekommen. Verstehst du das?“ Schuldig sah in Rans verblüfftes Gesicht und schüttelte einmal den Kopf bevor er den Raum verließ. Ran verstand es nicht. Wie sollte er auch? Schuldig brauchte frische Luft und verließ das Gästehaus. Was nicht die beste Maßnahme war aber er wusste nicht wie er mit Ran umgehen sollte und Brad war nicht hier. Sie mussten allein damit klar kommen... irgendwie. Ran setzte sich zurück. „Ich hatte keine Angst vor dir“, sagte er leise. Und... machte er Schuldig Vorwürfe... wenn auch nur insgeheim? Nein, das tat er nicht. Wenn er jemandem einen Vorwurf machte dann sich selbst. Warum war Schuldig so ausgerastet? Er starrte die Decke an die ihm leider keine Antwort gab. Seine Finger tasteten über das Pflaster an seiner Seite. Alles trocken, alles im grünen Bereich. Es schmerzte und ein unangenehmer Druck war da aber auszuhalten. Eine Weile lag er still da und starrte vor sich hin. Yohji war weg. Diesen Gedanken bewusst zu denken ließ ihn aufschluchzen und sein Gesicht ins Kissen drücken. Er ebbte nach einiger Zeit wieder ab und Ran kam zur Ruhe. Ein Gefühl der Leere breitete sich in ihm aus und er begrüßte es. Dann kamen wieder unerwünschte Gedanken, die sein eigenes Versagen betrafen, die seine Unfähigkeit betrafen. Schlussendlich kehrten seine Gedanken zu Schuldig und zudem was er gesagt hatte zurück. Er hätte ihn ohne Hilfe nicht zurückbekommen? Hatte seine Großmutter ihm geholfen? Wäre er ohne ihre Hilfe gestorben? Er hätte Schuldig allein gelassen. Über diesen furchtbaren Gedanken schlief Ran ein. Irgendetwas oder jemand weckte ihn und er schreckte aus dem Schlaf hoch. „Ich bins nur“, hörte er Schuldig und Ran drehte sich um. „Wie spät ist es?“ „Um zwei Uhr rum.“ Schuldig verhielt sich abweisend, das spürte Ran. Er seufzte, wollte etwas zur Entschuldigung sagen, wusste nicht wie er beginnen sollte und als er es wenigstens versuchen wollte hörte er wie die Tür zum Badezimmer geschlossen wurde. Er vergrub sein Gesicht im Kissen und zog sich die Decke weiter über den Kopf. Was sollte er tun? Wieder flossen diese Tränen, die er so hasste und die er nicht stoppen konnte. Wo war seine Stärke geblieben? Warum konnte er diesen Schmerz nicht zurückhalten? Warum ihn nicht mehr einschließen, damit ihn niemand sehen konnte? Er musste nachdenken, aber wo sollte er anfangen? An dem Punkt wie er sein Leben lang belogen wurde, oder dabei, dass etwas über sie alle hereingebrochen war und Brad es gewusst hatte? Oder, bei Jei und seinem Bruder? Oder, bei ihm selbst? Er selbst sollte ein PSI sein? Wie sollte das funktionieren? Lange Zeit hatte er eben jene PSI gehasst, die seinen Weg der Rache gekreuzt hatten. Und Schuldig war wütend auf ihn. Wie sollte er das alles hinbiegen? Alle waren weg. Er hörte wie sich die Tür öffnete. Dann spürte er wie Schuldig sich ihm näherte und erkannte einen Schatten durch die Decke. Sie wurde langsam heruntergezogen bis seine Augen frei lagen. Sie sahen sich einige Augenblicke an und Schuldig hatte seine Arme auf das Bett gelegt und sah von seiner Position zu ihm hinunter. Es war ein liebevoller Blick. Ran konnte ihn nicht lange aushalten und zog sich in sein Versteck zurück. „Ich weiß nicht wie ich das alles hinbiegen soll“, sagte er dann gedämpft durch die Decke. „Warum du?“ „Wer sonst?“, brummte Ran und Schuldigs Lächeln wurde breiter. „Es gibt keinen Anführer von Weiß mehr. Kein Abyssinian mehr. Es gibt jetzt Ran Kawamori. Ich glaube es wäre gut damit anzufangen.“ Ran lugte wieder durch den schmalen Spalt den Schuldig geöffnet hatte. „Immer noch Fujimiya“, stellte Ran nüchtern fest. „In gewisser Weise, das ist richtig.“ „Und der Rest?“ „Der Rest kommt nach und nach. Wie du vorhin gesagt hast; du hast überhaupt kein Bestreben in Aktionismus zu verfallen. Es wird Zeit dich selbst kennen zu lernen. Wir können zwar kämpfen, aber warum wir das tun sollten oder worum es geht – keine Ahnung.“ „Das war früher auch nicht wichtig.“ „Ja, weil früher bedeutete Befehle auszuführen. Willst du Befehle von jemandem bekommen der dich nach Belieben auf einem Schachbrett hin und herschiebt wie in der Vergangenheit?“ „Nein. Und der Schachbrettvergleich fördert unschöne Erinnerungen zu Tage.“ „Brad hatte seinen Spaß.“ Ran hatte nur ein Schnauben dafür übrig. Schuldig drehte sich herum und setzte sich auf den Boden. Er sah zum Fenster hinaus und betrachtete sich die Wolken die tief und grau über dem Gebiet hingen. Nach einiger Zeit spürte er einen kitzelnden Zug auf seiner Kopfhaut. Ran hatte sich eine Haarsträhne gegriffen und zwirbelte die Strähnen zwischen seinen Fingern. „Ich hatte keine Angst vor dir.“ „Warum hast du dich dann verkrümelt?“ „Ich weiß nicht. Es war alles zu viel. Aber ich habe es nicht bewusst gemacht. Ich habe aufgegeben. Yohji dort so zu sehen und ich wusste nicht was ich tun sollte, was ich fühlen sollte. Ich starrte nur und wusste dass es schlimm war, aber ich fühlte nichts. Dann schrie ich um etwas zu zeigen, um mir selbst zu zeigen dass es schlimm ist, dass ich jetzt fühlen musste. Aber nichts war da. Rein gar nichts. Mein bester Freund stirbt und ich konnte nichts fühlen. Und dann hast du ständig gesagt ich solle aufhören und...“ „Ich war dir keine Hilfe“, sagte Schuldig und Bitterkeit lag in seiner Stimme. „Das war meine Schuld. Ich wollte, dass du so bist. Wir... wir brauchten dich in diesem Zustand und hinterher war ich wütend darüber.“ Sie sagten lange Zeit nichts mehr und Ran zwirbelte Schuldigs Haare weiter. „Ich weiß nicht wie ichs zusammen kriegen soll“, gestand Schuldig dann. „Hmm?“ „Den Teil der normal ist und den Teil der irre ist.“ Ran schwieg. „Sakura meinte, dass es nur eine Fähigkeit sei und ich ihr in der Vergangenheit sehr viel Raum gegeben habe und ich sie deshalb als eigenständige Persönlichkeit wahrnehme und ... vielleicht auch auslebe.“ „Kitamura?“ „Ja. Kann sein. Vorher war sie nicht da. Vielleicht habe ich sie damals zum ersten Mal benutzt und sie als Helfer eingesetzt und sie damals... kultiviert.“ Ran seufzte und sie schwiegen wieder ein Weilchen bis ihm etwas einfiel. „Hat... sie auch etwas über meine Fähigkeiten gesagt? Ich meine... nur nicht mehr aufzuwachen ist ja nicht wirklich eine Fähigkeit die nützlich ist.“ „Du kannst einen auf toter Mann machen. Das ist definitiv nützlich, wenn du mich fragst.“ Ran rollte mit den Augen. „Ja, wenn ich es steuern kann, du Held. Und wenn sie mich unterdessen nicht umbringen.“ „Auch wieder wahr.“ „Sie hat nichts darüber gesagt?“ „Nicht wirklich. Außer dass du viel Energie speichern kannst. Das können Informationen sein, aber auch Energie als solche. Und deine Schilde sind hervorragend. Das ist wohl bei allen Runnern so. Ach ja... sie sagte noch, dass Aya auch ein Runner war und die alten Herrschaften der Trias wohl deshalb hierher gekommen sind.“ Ran setzte sich vorsichtig auf und hinter Schuldig. „Ah ja?“ „Hmm“, bestätigte Schuldig. Ran kämmte mit seinen Fingern Schuldigs Haare nach hinten und teilte sie sorgfältig ab. „Um was genau zu tun?“ „Sakura meinte die Vermutung liegt nahe, dass sie ihre Energie oder vielmehr ihre Seelen in Aya transferieren wollten. Aber sie geht davon aus, dass Aya noch viel zu jung war und es nicht geschafft hätte.“ „Hat sie nichts Genaueres darüber gesagt?“ „Nein. Sie wollte ohnehin auch mit dir darüber sprechen. Übrigens hat sie über die Hauptinsel einen Schild errichtet.“ „Wozu?“ „Hab ich nicht gefragt. Mir war das irgendwann zu viel und ich wollte zu dir. Ich vermute, dass kein Runner entdeckt wird. Vermutlich muss trotzdem die Information über Aya zur Trias durchgesickert sein. Wie auch immer sie deine Schwester gefunden haben am Schild lag es wohl nicht.“ Ran flocht ihm Zöpfe, wie er feststellte und Schuldig brütete derweil vor sich hin. „Sie hat noch einiges andere erzählt. Über Asugawa und Brad, über meinen Vater... und all das kryptisches Zeug über PSI, das ich nicht ganz verstehe. Ich habe festgestellt, dass ich nichts gelernt habe und so gut wie nichts weiß.“ „Aber war das nicht üblich bei SZ Unterricht über eure Fähigkeiten zu erhalten?“ „Ja. Aber mir scheint, dass vieles ausgelassen wurde um mich nicht zu gut werden zu lassen und um steuerbar zu bleiben. Ich bin kein Telepath, Ran.“ Ran stillte sein Tun. „Was?“ Schuldig lachte freudlos auf. „Hat sie tatsächlich behauptet.“ „Was meinte sie damit?“ „Dass ich ein Soulwhisperer bin, aber kein Telepath.“ „Ist das eine... Artverwandtschaft?“ Das brachte Schuldig zum Lachen und Ran ahndete es auch sofort mit einem Zwicken in eines seiner Ohren. „Autsch“, meckerte Schuldig leidend und rieb sich das Ohr. „Nein. Was ganz anderes. Sie meinte, dass ich kurz gehalten worden bin, weil mein Vater...“ Schuldig erzählte Ran was er von Sakura erfahren hatte. „... deine Mutter lebt also?“ „Angeblich. Ich glaube das erst wenn ich sie sehe.“ Schuldig schwieg und Ran stutzte. „Ist das keine gute Nachricht für dich?“ „Ich weiß nicht wie ich damit umgehen soll, dass meine Eltern noch leben.“ „Ja“, sagte Ran und stillte seine Hände für einen Moment bevor er seine Arbeit wieder aufnahm. „Ich weiß auch nicht was ich damit anfangen soll... meine Großmutter vor mir zu haben.“ Sie schwiegen wieder ein Weilchen. „Was kann ein Soulwhisperer?“, fragte Ran dann. „Sie hat irgendetwas über Manipulation der Energiekörper gefaselt. Und über Seelen und was weiß ich... keine Ahnung“, endete Schuldig frustriert. „Das was ich mit Nagis Schild manchmal mache wenn es flackert. Es stabilisieren. Und als ich dich zurückholte habe ich was ganz Verrücktes gemacht. Ich wusste nicht das ich das kann und ich brauchte Hilfe.“ „Von wem? Von ihr?“ „Sie konnte es nicht. Du warst zu schwer verletzt und zu weit unten. Sie hat es als Fall bezeichnet. Dein Energiekörper leert sich sehr schnell und der... Kern... zieht sich zurück an einen Ort an dem ihn niemand mehr erreichen kann oder so ähnlich.“ „Und von dort hast du mich zurückgeholt?“ „Ja. Und eines kann ich dir sagen, dort ist es verdammt cool.“ „Wie sieht es dort aus?“ „Du hältst es nicht für möglich, aber dort gibt es nur Blumen und Pflanzen... ein riesiges koneko...“ „Du verarscht mich“, behauptete Ran und schnickte an das andere Ohr. „Stimmt gar nicht. Wirklich. Ehrenwort.“ Jetzt lachte Ran dunkel auf. „Ich lasse deinen blöden Bonsai vertrocknen und du willst mir weismachen, dass meine Seele ein...“ „... ein Garten ist. Jawohl“, sagte Schuldig feierlich. „...ein beschissener Garten ist“, schloss Ran zynisch. Schuldig wirbelte herum und sah Ran ernst an. „Es ist ein Garten. Und es hat sich nur für mich so dargestellt. Für jemand anderen sieht es vielleicht anders aus. Ich meine du hast nicht wirklich einen Garten in deinem Kopf... glaub ich.“ Rans Augen wurden größer. „Du meinst das ernst.“ Schuldig nickte. „Gut. Dann erzähl mal. Ich kaufs dir dann vielleicht ab. Aber denk dir was Interessantes aus, damit es wenigstens eine gute Geschichte abgibt“, sagte Ran und Schuldig sank etwas in sich zusammen. Er drehte sich wieder zurück und Ran nahm seine Arbeit wieder auf. Schuldig begann mit seiner Erzählung und Ran hielt sofort inne. „Yohji?“ „Ja. Jetzt wart doch mal ab... meine Güte du bist so ungeduldig.“ Ran schnaubte wieder und schnickte wieder an Schuldigs Ohr. „Stimmt nicht, mein zweiter Name ist Geduld.“ „Hör schon auf damit, die sind schon ganz heiß...“, meckerte Schuldig. Am Arsch... Ran und geduldig. Dass er nicht lachte. Vielleicht in der Öffentlichkeit als der düstere, ruhige Rächer... Pfft... der im Dunkeln geduldig auf sein Opfer lauerte... Eher wie eine überspannte Bogensehne, die riss wenn sie zu lange auf Spannung gehalten wurde. „Das kommt vom Lügen!“, behauptete Ran ruhig. „Jetzt halt die Klappe und hör mir zu, ansonsten erzähl ich nichts mehr“, drohte Schuldig. Und Ran hielt sich daran... ....meistens... Fortsetzung folgt... Vielen Dank fürs Lesen! Gadreel ^_^ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)