Der Glasgarten von Gadreel_Coco ================================================================================ Kapitel 174: Verlassen ---------------------- Tokyo Ein Geräusch weckte Akihito. Er riss die Augen auf und sah nach oben. Es war dunkel und draußen hörte er Schreie. Nicht nur… Waren das… Schüsse? Asami? War er gekommen um ihn zu holen? Akihito setzte sich auf. In einer Ecke hatte der Wachmann eine Glühbirne angelassen. Akihito sah sich um und fand plötzlich eine Pistole am Eingang des Käfigs. Draußen war es ruhig geworden. Sehr ruhig. Die Tür des Käfigs stand einen Spalt breit offen. Er nahm die Waffe an sich, überprüfte das Magazin und öffnete die Tür. Die Tür des Lagerraums war ebenfalls offen. Draußen lag ein Mann, seine Kehle war durchtrennt und ein Schnitt klaffte, aus dem blutige Bläschen herausquollen. Übelkeit kroch in ihm hoch als er den Geruch von Blut nur zu deutlich wahrnahm. Es war nicht das erste Mal, dass er damit konfrontiert wurde, was es nicht weniger schwer machte. Er ging weiter den Flur entlang bis er eine Treppe nach oben fand. Es war immer noch sehr still und es blieb nicht bei einer Leiche. Bisher hatte er neun tote Männer gezählt. Sie waren noch warm wie er feststellen musste als er einen der Toten am Hals berührte. Dann hörte er eine Stimme, sie klang sehr ruhig und zurückhaltend, geradezu höflich. Er ging darauf zu und blieb dann stehen. Die Stimme die ihr antwortete war Sowa und er klang wütend und weinerlich zugleich. Er drohte mit allerlei Dingen. Akihito ging bis vor das Zimmer und lehnte sich an die Wand um einen Blick auf die Beiden zu erhaschen, er sah jedoch nur ... das Profil des Mannes der Schuldig und ihn aus China befreit hatte. Dieser saß mit überschlagenen Beinen auf einem Stuhl in der Mitte des Raumes. Ihm gegenüber hinter seinem wuchtigen Schreibtisch saß Sowa, ohne Make-up und Kostümierung. Er hing schwer in seinem Sessel und riss gerade an seiner Krawatte herum um sie zu lösen. „... habe ich meinen Teil nicht eingehalten?“, schrie Sowa aufgebracht. Er atmete heftig und hustete unterdrückt. Er schien Schmerzen zu haben und sein Gesicht war stark gerötet. „Dafür danke ich Ihnen, Mr. Sowa. Wirklich…“, setzte der Mann mit ernstem und aufrichtigem Tonfall an. „Was soll das dann?“, unterbrach ihn Sowa. „Ah, Sie meinen, dass ich Ihren gesamten Hofstaat dem Untergang weihte? Inklusiver Ihrer eigenen kleinen unnützen eher schädlichen Existenz?“ Sowa ging nicht darauf ein. „Was wollen Sie?“, fragte er stattdessen mit Entsetzen in der Stimme. „Ich habe Sie darum gebeten Ihre Geschäfte mit dem Clan einzustellen.“ „Das ist nicht so einfach“, setzte Sowa an. „Ich finde, dass es sehr einfach ist.“ „Du verdammter kleiner Scheißer“, schrie Sowa und hustete darauf qualvoll. Es hörte sich an als würde er etwas ausspucken. Eine Weile hörte Akihito nur das Husten und dann einen langen pfeifenden Atemzug. „Wissen Sie Sowa… ich sollte mich von Ihnen fernhalten, so wurde es mir aufgetragen. Aber jetzt haben sich die Dinge geändert. Ich kann tun und lassen was ich will. Das ist großartig kann ich Ihnen sagen“, sagte der Mann freundlich. Wieder hörte Akihito nur leises Husten und mühsame Atemzüge. „Wo ist Sola?“, fragte der Mann dann. Sowa lachte krächzend. „Geht dich… einen Scheiß an.“ „Sie haben Recht, er steht nicht ganz oben auf meiner Prioritätenliste, aber sagen wir im oberen Drittel.“ „Was… was… haben Sie… davon? Sie sind…nur… nur… ein Auftragskiller.“ „Bin ich das?“ Akihito hörte nur Ruhe aus der kultiviert klingenden Stimme heraus. Für Akihito stellte diese Gelassenheit einen makabren Kontrast zu Sowas panischen Versuchen Luft zu bekommen dar. Wie konnte man so ruhig sein und gelassen zusehen, wenn derjenige der einem Gegenüber saß erstickte? Selbst wenn man diesen Zustand selbst verursacht hatte – was zweifellos so geschehen war. Selbst dann war es doch sicher unangenehm und löste in normalen Menschen das Gefühl aus etwas tun zu müssen um diesen Zustand zu beheben. Die Laute die Sowa von sich gab hörten sich für Akihito entsetzlich an. „Sie sind… die Spinne. Sie… erledigen alles… alles… für Leute… wie mich“, blaffte Sowa. Für Akihito hörte es sich kraftlos an. „Sie haben nicht Unrecht, allerdings bin ich nur für einen Herrn tätig. Ich webe mein Netz nur für ihn.“ Akihito hörte wie die Stimme näherkam. „Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte, ich habe noch einiges zu tun.“ „Sie lassen mich… laufen?“ Der Mann erhob sich und kam in Richtung Tür. Akihito trat den Rückwärtsgang an und sah sich nach einer Versteckmöglichkeit um. „Nicht wirklich“, sagte der Mann in endgültigem Tonfall und betrat den Flur. Akihito kniff die Augen zusammen und hielt die Luft an, sein Herz schlug ihm bis zum Hals und der Schweiß brach ihm aus. Der Mann stoppte vor der Nische in der Akihito sich versteckt hatte. „Draußen wartet ein Wagen auf dich, beeil dich bevor er ohne dich fährt.“ Akihito sagte nichts und hörte die röchelnden Atemzüge des Mannes der sich Sowa nannte und nun offenbar im Sterben lag. „Komm schon raus“, sagte der Mann mit freundlicher Stimme, was Akihito nur noch ängstlicher werden ließ. Eine Hand tauchte in sein Versteckt hinter dem Vorhang und griff nach seinem Arm. Vorsichtig zog der Mann ihn hervor. Akihito klammerte sich an seine Waffe, die ihm gerade mit behandschuhten Händen aus seinen eigenen genommen wurde. Der Mann steckte sie sich unter die Jacke in einen Holster. Akihito starrte ihn an. „Ich würde sagen wir gehen jetzt, was meinst du?“ Akihito nickte mechanisch. „Hier entlang.“ Am Ausgang angekommen zeigte der Mann im Anzug auf das Grundstück. „Einmal hier drüber und dann die Straße entlang bis du das Gebäude umrundet hast, dort wartet der Wagen. Hier trennen sich unsere Wege.“ „Sie sind die Spinne?“, fragte Akihito. Der Mann antwortete nicht. „Du hast etwas gut bei mir, Akihito. Und Verzeih uns bitte, dass wir dich dafür benutzt haben. Es tut mir leid, wenn du Angst verspürt hast.“ „Nein, tut es Ihnen nicht“, sagte Akihito. „Nun, es ist eine Floskel, die Mitgefühl bekunden soll, nicht?“ „Überflüssig im Moment wie ich finde.“ „Vielleicht ist das hier etwas nützlicher.“ Der Mann zog eine Karte hervor und reichte sie Akihito. „Was ist das?“ „Falls du jemals Hilfe in Anspruch nehmen musst dann ruf an. Allerdings werde ich in nächster Zeit nicht im Land sein…“ Akihito starrte die Karte an, dann nahm er sie zögerlich entgegen. Der Mann wandte sich in die andere Richtung. „Halt warten Sie!“, gab Akihito einem Impuls nach. Der Mann hielt an, drehte sich aber nicht um. „Kennen Sie Schuldig? Geht es ihm gut? Was ist mit den anderen? Sind sie in Gefahr?“ „Dieselbe Frage hast du einem meiner Mitarbeiter gestellt.“ „Ja, dem nervösen, düsteren Kapuzentypen mit dem Messer.“ Der Mann drehte sich halb zu ihm um. „Es geht ihm gut, er war besorgt um dich.“ „Warum kontaktiert er mich nicht?“ „Das hat er vielleicht“, sagte der Mann freundlich. Akihito zögerte noch immer zu gehen. „Waren Sie das allein?“ „Du meinst die getöteten Männer?“ Akihito nickte. „Ich bin sehr wütend, Akihito. Das passiert, wenn man mich wütend macht. Verstehst du das?“, fragte der Mann als würde er mit einem labilen Kind sprechen. „Sicher tu ich das.“ Ja, er verstand, dass der Typ gefährlich und verrückt war. „Ich wünsche dir Viel Glück und halte dich aus gefährlichen Dingen heraus.“ „Das hatte ich vor, bis Sie kamen!“, brummte Akihito. „Das ist nicht so ganz richtig“, rief der Mann zurück, während er sich von ihm entfernte. „Sonst hätte ich dich nicht so einfach entführen können!“ Akihito schnaubte und machte sich auf den Weg. Wie hieß es so schön: Leichen pflasterten seinen Weg... bis er an dem Wagen ankam. Er riss die Tür auf und der nervöse Kapuzentyp wartete am Steuer auf ihn und grinste ihn an. „Nun steig schon ein“, drängte er und Akihito ließ sich auf den Beifahrersitz plumpsen. Er schnallte sich an und der Typ bretterte los sobald sein Gurt klickte. Wo zum Teufel waren sie hier? Er sah Ortsschilder von Tokyo. „Ihr habt mich einfach nur in der Gegend herumgefahren?“, fragte er entrüstet. „Klar.“ „Aber warum?“ „Falls Sowa dich befragt. Aber hat ja wie vom Boss geplant wie am Schnürchen funktioniert. Alles palletti.“ „Nichts ist palletti“, brummte Akihito. „Ich war also nie in Gefahr?“ Der Typ sah ihn lange an. „Hast du einen Schlag auf den Kopf bekommen?“ „Nein“, sagte Akihito. „Und sehen Sie auf die Straße.“ „Sicher warst du in Gefahr. Bist du blöd?“ „Nein“, keifte Akihito zurück. Sie sprachen nichts mehr, bis der Wagen in der Nähe von Asamis Anwesen hielt. Akihito schnallte sich ab. „Ich verstehe es immer noch nicht. Wozu wollte Sowa mich haben?“ „Hat der Boss dir nichts gesagt?“ Akihito schüttelte den Kopf. „Als Druckmittel gegen deinen Freund. Asami will die Familien im Kampf gegen den Clan einen, seit dieser ihm mehrmals dazwischenfunkte.“ „Es geht also nur ums Geschäft?“, fragte Akihito bitter. „Nicht nur. Die Familie bedroht die Stadt, du hast gesehen was passierte als der Clan zu weit gegangen ist. Asamis Gebäude war nicht zufällig ausgewählt worden.“ „Aber so öffentlich... das würden die Sakurakawas nicht tun.“ „Sie hatten Hilfe und diese Hilfe war sehr mächtig und jetzt… verzieh dich.“ Akihito stieg aus dem Wagen und sah zu wie dieser verschwand. In der Zwischenzeit wurde es hell. Er ging die Straße entlang und stand vor dem abweisenden Tor. Er klingelte und die Sprechanlage ging an. Ein unwirsches Ja wurde hineingebellt. „Akihito...“, fing er an, doch das Tor ging sofort auf und er schlüpfte hindurch. Sie hatten ihn sicherlich durch die Kameras gesehen. Er fröstelte. Einer von Asamis Männern kam ihm entgegen. „Wo warst du? Der Boss macht sich Sorgen. Wir dachten du seist entführt worden.“ „Bin ich auch. Ist er da?“ „Ja, er telefoniert wieder seine Kontakte ab um dich zu finden.“ Akihito entledigte sich seines Schuhwerks und tapste barfuß durch die Korridore bis er ins Arbeitszimmer kam. Leise schob er die Tür auf. „Wer war an der Tür, Sosuke?“ Akihito schlich sich an Ryuichi an und umarmte ihn von hinten. Er trug nur einen Bademantel. Dieser drehte sich noch bevor er ihn gänzlich umarmen konnte um und stellte sein Glas ab. „Was...?“ „Sie haben mich gehen lassen“, sagte Akihito und legte sein Kinn an die Brust des Größeren. „Warum?“ „Keine Ahnung, aber sie haben mich für Etwas gebraucht und dass war wohl erledigt.“ „Wer war es?“ „Eine Gruppe von Leuten, die für den Hellseher arbeiten. Der Boss der schrägen Truppe nennt sich die Spinne. Hast du von dem Typen schon mal gehört?“ „Ja, er hinterließ mir eine Karte mit der Bemerkung darauf, dass er dich nur ausleihen würde.“ Sie schwiegen eine Weile und Akihito genoss die Wärme die Ryuichi verströmte. „Wie siehst du überhaupt aus?“ „Findest du das sonst nicht sexy?“ „Sonst vielleicht aber nicht jetzt.“ „Wir waren auf einem Kostümfest. Ach ja... Sowa ist - glaube ich - tot.“ „Sowa?“ „Ich erzähl dir alles, ich brauch nur etwas Schlaf.“ „Willst du vorher etwas essen?“ Akihito nickte. „Geh schon vor, ich komme gleich“, sagte Ryuichi. Akihito wandte sich um. „Akihito?“ „Hmm?“ „Hat dich irgendjemand verletzt?“ Er zuckte mit den Schultern. „So ein blöder Harlekin hat mir eine Ohrfeige verpasst.“ „Ein Harlekin?“ Akihito zuckte mit den Schultern, er war einfach zu müde um hier alles zu erörtern. Als er das Arbeitszimmer verließ und in Richtung Küche trottete, hörte er noch wie Ryuichi Jemanden anrief um eine Besprechung zu organisieren. Was war nur los in dieser Stadt? o Stunden später stand Finn Asugawa an einer Menschenschlange an um auf einen Frachter zu gelangen wo er die nächsten Wochen in der Bordküche arbeiten würde. Als er einen Fuß auf das Schiff setzte wurde er gefilzt und sein Seesack durchsucht. „Du bist der Neue?“ Er nickte wortkarg. „Der Boss hat dich angekündigt.“ Finn reichte eine digitale Kennung an den Mann weiter, die in Form eines Chips in einer Karte enthalten war. Er hatte sie von Sowa bekommen. Der Mann führte sie über das Pad in seiner Hand und nickte. „Wir haben eine heikle Fracht, wir können keinen Ärger gebrauchen.“ Finn nickte wieder. „Ich will keinen Ärger“, sagte er mit leiser Stimme und einem Akzent der eher in Osaka gesprochen wurde. „Der Boss meinte du hättest für Sola gearbeitet? Wie lange?“ „Vier Monate.“ „Warum hast du aufgehört?“ „Bin mit der letzten Lieferung hier eingetroffen, Sowa meinte hier kann ich mehr verdienen.“ Der Mann nickte. „Du wirst in der Bordküche helfen und… was so anfällt erledigen.“ Finn nickte. „Hey Dan, nimm den hier mit nach unten, zeig ihm seinen Arbeitsplatz“, sagte der Mann. Finn schloss sich besagtem Dan an. „Wie heißt du?“, fragte Dan. „Ishiro Kaito“, stellte sich Finn vor und Dan nickte. „Nenn mich Dan. Das reicht.“ Dan zeigte ihm alles. Finn ließ sich einweisen und begann seine Arbeit. Nachdem seine Schicht vorüber war schwang er sich in seine Koje und ruhte sich aus. In der Nacht hörte er wie sie ablegten. Gerade noch so geschafft. Beruhigt erlaubte er es sich zu schlafen. Es hatte sich gelohnt, er war Brad endlich nach über einer Woche nähergekommen. Jetzt brauchte er einen Plan um ihn von diesem Schiff zu bekommen. Aber dafür hatte er ein paar Wochen Zeit... Aomori Schuldig hatte für sie eingedeckt und es roch verlockend nach Omelett, Kaffee, Tee und lauter gesunden Dingen. Mehr oder weniger. Doch von Ran keine Spur. Sie hatten den gestrigen Tag ohne weiteren Eklat, ohne Sex oder sonstige aufregende Dinge verbracht. Ran war gestern gedanklich abgelenkt gewesen, die Blicke die Schuldig hin und wieder von ihm aufgefangen hatte zeugten von sexueller Spannung zwischen ihnen, doch es kam zu keiner… Entladung jedweder Art. Er hatte sich von ihnen zurückgezogen, schien aber damit zufrieden zu sein, dass sich Schuldig mit Firan beschäftigte. Während sie beide sich den ganzen Tag mit Retro-Videospielen die Zeit vertrieben hatten genoss Ran entweder die Aussicht, kümmerte sich um ihr leibliches Wohl oder saß an verschiedenen Plätzen die er sich ausgesucht hatte und starrte vor sich hin. Vielleicht hing er in Erinnerung an Kudou in seinen Tagträumen fest. Er schien nach außen hin ruhig und zufrieden zu wirken, allerdings glaubte Schuldig keine Sekunde daran, dass es sich so verhalten sollte. Firan und Schuldig hatten bemerkt, dass Sano hier seine Lieblingsgegenstände sammelte. Spielekonsolen, Filme, Musik, Bücher, technisches Gerät, alles was ihn zu interessieren schien lagerte hier in Einbauschränken oder dafür gestaltete Nischen. Persönliche Gegenstände sahen sie jedoch nicht. Es gab Hygieneartikel und Gegenstände wie Batterien und Kerzen, aber alles noch unberührt und verpackt. Schuldig seufzte in Gedanken daran, dass er auch gerne so einen Ort hätte an dem er all seinen Kram aufbewahren konnte. Momentan lebten sie aus ihren Taschen und Schuldig hatte nicht das Gefühl, dass sich das sobald ändern würde. Schuldig blickte wiederholt zur Halbetage hinauf, doch von dort rührte sich selbst um kurz nach zehn am Vormittag immer noch nichts. „Ein Langschläfer?“, sagte Firan zu Schuldig gewandt, der seine wiederholten Blicke bemerkt zu haben schien. „Eher nicht“, erwiderte Schuldig misstrauisch. Firan drehte sich alarmiert zu ihm um. „Er braucht sicher den Schlaf, er ist noch verletzt.“ „Hmm“, brummte Schuldig nicht ganz überzeugt von dieser Theorie. Die körperlich Wunden heilten gut. Ran war widerstandsfähig, dennoch war es hier nicht das physische Trauma das ein Problem darstellte. „Das ist nicht gut“, sagte er dann. „Nicht?“, Firan sah erneut von seinem Tun auf und hielt inne. „Nein. Es ist eher ein schlechtes Zeichen. Ran ist ein Frühaufsteher, ich bin der Langschläfer.“ Ran neigte zu provozierendem Verhalten in dieser Phase. Hoffentlich bot Firan einen guten Puffer zwischen ihnen falls Ran völlig die Kontrolle verlor, was Schuldig nicht hoffte. Er war heute deutlich gefestigter als damals. Glaubte Schuldig zumindest. Wenn er an die fragile Gestalt dachte die Schuldig als Rans Pendant in dessen Seelengrund gesehen hatte war er nicht gänzlich von seiner eigenen Theorie überzeugt, breiteten sich diese schwarzen Flecken jetzt gerade weiter aus? Und er sah dabei untätig zu? „Fang schon an, Firan, ich seh nach ihm.“ Schuldig nahm die Treppe nach oben und fand Ran immer noch in der gleichen Haltung wie zuvor, als er aufgestanden war. Er setzte sich zu ihm und strich ihm die Haare zurück. „Ich dachte schon du wärst wieder eingeschlafen“, sagte er und lächelte ein wirklich bezauberndes Lächeln, wie er selbst fand. Ran brummte ihn nur mürrisch an, riskierte aber einen Blick und hob das Gesicht. „Warum grinst du so? Was hast du vor?“ Schuldig war schockiert. „Ich? Das war ein Lächeln aus dem Repertoire ‚aufmunternde Lächeln’. Hast du das nicht erkannt?“ „Bist du dir sicher?“, hakte Ran nach, seine Stimme vom Schlaf noch rau. Schuldig liebte diese Kratzbürstigkeit von Ran. „Ja?“ Ran gab ein nach großer Skepsis klingendes Schnalzen von sich und schwang die Beine plötzlich voller Elan vom Bett. Schuldig sah ihm misstrauisch nach. „Du... verarschst mich doch!“, brüllte er ihm nach. Ran war bereits im Bad verschwunden, machte sich jedoch die Mühe seinen Kopf noch einmal um den Türstock zu schieben. „Nein, ganz bestimmt nicht. Dein Lächeln war definitiv nicht aufmunternd, eher bösartig, mein Lieber.“ Schuldig erhob sich, noch bevor er an der Glastür war wurde sie ihm rüde vor der Nase geschlossen... mit einem leisen Klickgeräusch. Schuldig blieb mit verschränkten Armen vor der Tür stehen und wartete darauf, dass Ran wieder herauskam. Es dauerte seine Zeit bis Ran mit allem fertig war, aber ... er war schließlich geduldig. Währenddessen überzog Schuldig die Bettwäsche neu, sammelte ihre Kleidung ein und brachte alles nach unten in den Raum der wohl für die Waschmaschine und den Trockner vorgesehen war. Nachdem er die Waschmaschine gestartet hatte begab er sich wieder nach oben. Firan beobachtete sein Treiben mit einer gewissen Neugier während er mit dem Frühstück begonnen hatte. Schuldig zuckte nur mit den Schultern als Antwort auf Firans unausgesprochene Frage. Und Tatsache, als Ran die Tür öffnete konnte Schuldig einen kleinen Schreckmoment in seinem Gesicht erkennen. Hatte sein Ran etwas ausgefressen oder hatte er einfach nur nicht erwartet, dass Schuldig vor der Tür lauerte? Ran hatte sich in eine Jeans und ein langärmliges grünes Shirt geworfen. Seine Haare lagen offen über seinen Schultern, nicht mehr ganz so lang, aber sehr verführerisch für Schuldig, vor allem, wenn er die abrasierte Stelle betrachtete. „Das heilt schon“, beruhigte Ran und tätschelte ihm die Flanke als er sich an ihm vorbeischob. Warum wirkte Ran geradezu... aufgekratzt? Für Ran’sche Verhältnisse... Schuldig lugte ins Badezimmer hinein, aber da drinnen schien alles normal zu sein, schön ordentlich wie es sich für Ran gehörte. Sehr merkwürdig. Schließlich folgte er Ran hinunter und setzte sich zu den beiden. „Was machen wir später?“, fragte Firan wohl um ein Gespräch zu beginnen. „Ficken“, sagte Schuldig beiläufig und hangelte nach dem Tee um sich eine Tasse einzugießen. „Hast du etwas Besseres vor?“, fragte er ehrlich daran interessiert in Richtung Firan. Er konnte aus dem Augenwinkel erkennen wie Ran Firan beobachtete. „Ähm... also... ich denke... nicht“, kam dann etwas verunsichert und Firans Gesicht glühte vor Schamesröte. Diese Reaktion war herrlich, sie konnte wie auf Knopfdruck ausgelöst werden. „Schön, wir auch nicht...“, sagte Schuldig mit einem harmlosen Lächeln. „Unabhängig davon müssten wir die nächsten Tage unsere Lebensmittelvorräte aufstocken – sofern wir noch hierbleiben“, bemerkte Ran. „Hmm“, stimmte Schuldig zu. „Was haltet ihr davon, wenn wir alle etwas nach draußen gehen und uns die Beine vertreten?“ Ran sah auf. „Ich gehe alleine einkaufen, das ist weniger auffällig, als wenn ihr beiden mitkommt.“ Schuldig konnte dem kaum widersprechen, nur Ran alleine losziehen zu lassen gefiel ihm nicht besonders. „Ich will nicht, dass du alleine gehst. Nimm Firan mit, du bist noch nicht fit genug.“ Schuldig konnte sehen wie es in Ran arbeitete, aber schließlich nickte er. „Gut, dann gehen wir zu Zweit.“ Schuldig ließ sich von Firan die klein geschnittenen Früchte reichen als ein Anruf ihre traute Runde störte. Er fischte das Smartphone, das auf dem Tisch lag heran und stellte auf Lautsprecher. „Japp, du bist auf Lautsprecher“, sagte Schuldig. „Wir haben Kontakt zu Bombay“, fing Sano sofort ohne Begrüßungsfloskel an sie auf den neuesten Stand zu bringen. „Wie geht’s ihm?“, fragte Ran. „Was ist passiert?“ „Wissen wir nicht genau. Direkten Kontakt haben wir erst morgen, er ist verletzt, aber stabil. Wir haben ein Team in Washington darauf angesetzt, sie haben ihn gefunden, von den anderen die bei ihm waren fehlt bisher jede Spur. Genaueres werden wir erst morgen in Erfahrung bringen können. Wir übermittelten auch die Informationen die wir von Ethan Crawford erhalten haben. Er muss seine eigenen Leute geschickt haben um seine Tochter abzuholen.“ „Über wen läuft der Kontakt?“, fragte Schuldig. „Manx.“ Ran lehnte sich zurück, die Erleichterung zumindest Omi in Sicherheit zu wissen war ihm deutlich anzusehen. „Wo ist Manx jetzt?“ „Sie ziehen sich noch immer zurück und Koordinieren weiterhin den Rückzug anderer Kritikergruppen.“ „Der Rückzug ist noch nicht abgeschlossen?“, fragte Ran. „Scheint nicht so zu sein. Sie suchen noch einige Gruppierungen und wollen sichergehen, ob sie tot sind oder vielleicht nur keinen Kontakt aufnehmen können.“ „Gibt’s sonst etwas Neues?“ „Nicht wirklich.“ „Wir bräuchten ein paar Lebensmittel“, merkte Schuldig an. Er hatte momentan nicht vor zurück nach Morioka zu gehen, zu stark empfand er die Beeinflussung der Runner vor Ort. „Habt ihr schon alles aufgegessen?“, fragte Sano und Schuldig konnte deutlich einen amüsierten Unterton heraushören. „Das war Ran, der isst für Drei!“, behauptete Schuldig anklagend. Noch bevor er den entsetzten Blick von Ran genießen konnte, preschte Sano schon dazwischen. „Das sollte er auch!“ Sano lachte leise. „Bleibt vorerst drinnen.“ „Warum? Gibt es dafür einen Grund?“, fragte Ran alarmiert. Er sah Schuldig an. „Nicht wirklich, aber Sakura versucht alte Kontakte zu aktivieren, das macht sie immer etwas nervös. Sie will euch in Sicherheit wissen. Wir schicken euch morgen jemanden vorbei, er wird sich bei euch melden.“ „Geht klar.“ Schuldig beendete die Verbindung und lächelte freundlich zu Ran hinüber. Dieser erwiderte das Lächeln in der gleichen Intensität, was zur Folge hatte, dass Schuldigs Lächeln erlosch. Verdammt. „Ähm… is mir so rausgerutscht“, sagte er entschuldigend. „Klar, ist es das“, sagte Ran und stocherte plötzlich in seinem Frühstück herum. „Jetzt komm schon“, brummte Schuldig und fühlte sich dämlich. „Ich weiß nicht was du meinst“, sagte Ran ungnädig und sah ihn mit diesem ganz speziellen Blick an, der Schuldig unmissverständlich mitteilte, dass er das büßen würde. Das Thema Essen war ein wunder Punkt zwischen ihnen und Ran gerade jetzt damit aufzuziehen war wirklich sehr dumm von ihm gewesen. Schuldig verging, der Appetit und er starrte die Birnen und Äpfel in seiner Schale geknickt an. Er hörte kaum zu über was Firan und Ran sich unterhielten. Wie konnte er so dämlich sein? Gerade jetzt wo Ran wirklich gut aß und seine Portionen definitiv größer waren als früher. Und Ran musste essen, er brauchte die Kalorien, wenn er vielleicht seine PSI Fähigkeiten fördern wollte. Und er musste wieder zu Kräften kommen, was wenn er wieder in alte Muster zurückfiel? Im Moment war er emotional sehr angreifbar und leicht zu verschrecken. Schuldig konnte sich noch gut daran erinnern wie schwierig es war Ran Essen einzuflößen und wie schrecklich es sich für Schuldig angefühlt hatte. Fakt war, dass Schuldig kein guter Krankenpfleger war, definitiv nicht und wenn es jemals wieder dazu kommen sollte, dass er Ran zum Essen überreden musste… Gott bewahre. „Schuldig.“ Und dieses Mal war Brad nicht da. Diesen Gedanken hatte er schon einmal gehabt. Brad war nicht da um ihm den Arsch zu retten, wenn es um Ran ging. Er musste es selber hinkriegen und nicht versauen wie eben gerade. Und dann auch noch vor Sano und Firan dieses Thema anzusprechen war unverzeihlich. Irgendetwas zog an seinem Kopf und er sah rasch zur Seite. Ran stand vor ihm und Schuldig blickte zu ihm auf. „Was ist los?“, fragte Ran und sah ihn unergründlich an. War er sauer, oder besorgt? Schuldig war plötzlich sehr unsicher. Er biss sich auf die Innenseite der Unterlippe und fühlte sich zurückversetzt in der Zeit. „Es tut mir leid“, sagte Schuldig. Er wandte sich Ran zu und sah ihn unsicher an. Er blickte sich nach Firan um der nicht mehr am Tisch zu sitzen schien. „Wo ist der Kleine?“ Alles war abgeräumt, nur Schuldigs Schälchen mit den Früchten stand noch dort wo er es hingestellt hatte. „Kümmert sich um das Geschirr“, sagte Ran und dirigierte Schuldigs Gesicht wieder zu sich. Er linste an Ran vorbei in die ein paar Meter entfernte Küchenzeile. „Hey… Schu…“ Schuldigs Blick flackerte als er in Rans Gesicht blickte. „Hmm?“ „Es ist okay“, versicherte Ran ihm. „Wirklich?“, hakte Schuldig leise nach. Ran lächelte. „Ja. Das ist es. Du wirst es zwar büßen aber es ist okay“, sagte Ran und Schuldig erwiderte das Lächeln schief. „Du wirst jetzt nicht aufhören, deine neuen Essgewohnheiten wieder zu ändern, weil ich dumm war?“ „Nein.“ Gut, das war eine klare Aussage. Ran kam näher und berührte ihn an seiner Wange. Schuldig sah wieder auf, er hatte gar nicht bemerkt, dass er seinen Kopf wieder hängen ließ. „Das hat sich in dir eingebrannt“, sagte Ran und zog seinen Kopf an seinen Bauch. Schuldig nickte und schloss die Augen. Er wusste auch nicht warum er jetzt in dieser seltsamen Stimmung war. Rans Hand strich sanft in seine Haare hinein und hielt ihn fest an sich gedrückt. Das tat gut. Schuldig seufzte leise. Rans Stärke hatte ihm gefehlt, war sie wieder da? Er hatte Brad verloren, seine Zukunft, er hatte Nagi verloren sein Schutz und Jei die kryptische Weisheit, die ihn manches Mal den Spiegel vorgehalten hatte. Sie waren alle weg. Ran war da und Schuldig musste für ihn stark sein, das konnte er. Aber er machte so viel falsch dabei. Er hatte keinen Richtungsweiser für Ran. Und er hatte immer noch Angst nur einen Schritt in die falsche Richtung zu tun um Ran zu zerstören oder ihn für immer von sich weg zu treiben. Die Möglichkeit bestand immer. „Hör auf damit“, sagte Ran. „Ich hab nicht laut gedacht“, brummte Schuldig in Rans Shirt. „Das musst du auch nicht“, sagte Ran und küsste ihn auf seinen Haarschopf. Eine Zeit lang war es still zwischen ihnen und nur die Musik aus dem Radio und Firans Gewerkel in der Küche erfüllen den Raum. Ran verstand zum Teil ihre Stimmungsschwankungen, es machte ihre Lage jedoch nicht gerade berechenbarer. Er mochte es, wenn Schuldig ihn ärgerte, denn es rechtfertige harte Sanktionen ihm gegenüber, was wiederum Ran Spaß machte. Allerdings schienen sie sich momentan in einem Minenfeld aufzuhalten, jeder Schritt in eine Richtung konnte zu einer kleinen Katastrophe führen. Sie brauchten beide Stabilität, das Problem war, dass sie ihre Stärke aus dem jeweils anderen zogen. „Ich verkrafte einen Scherz auf meine Kosten, Schu. Der Gegenwind hat dich umgehauen, hmm?“, sagte Ran nach einer Weile. Schuldig nickte. „Du hast in deinem Essen herumgestochert.“ Ran lachte leise. „Ein kleiner Dämpfer für den Großmäuligen.“ Schuldig nickte stumm. „Sollen wir uns ein bisschen hinlegen?“, schlug Ran vor. Schuldig löste sich von ihm und sie gingen zusammen nach oben, legten sich aufs Bett und schmiegten sich aneinander. Ran suchte Schuldigs Lippen und zupfte sanft mit seinen eigenen daran. Schuldig öffnete sich für ihn und sie verschmolzen zu einem sanften Kuss der weniger leidenschaftlich denn zärtlich war. Wie lange sie dort lagen wusste Ran nicht, das Lauschen auf Schuldigs Atemzüge hatte ihn eingelullt. „Sie sind alle tot“, hörte er dann leise. Er wusste was es zu sagen galt, was nach diesem Satz angemessen war um Trost zu spenden. Aber fühlte er sich bereit dazu? „Nicht alle.“ „Vielleicht doch.“ „Schu… wir finden sie wieder.“ Glaubte er selbst an seine Worte? Er war sich nicht sicher. „Wir sitzen hier in diesem Versteck und diese Arschlöcher machen was sie wollen“, brummte Schuldig verdrossen. „Die Kawamoris kümmern sich darum, dass wir nicht gänzlich abgehängt werden.“ Schuldig seufzte. „Ich komme mir… hilflos vor. Dieses Gefühl ist Scheiße“, sagte er. „Und jetzt dürfen wir auch nicht raus. Ich will raus, aber auch nicht. Sakura sagt, dass ich nicht stark genug bin, dann wiederum, dass ich unberechenbar bin und sie drosseln mich, schränken mich ein, das fühlt sich an als wäre ich eingesperrt.“ Ran hob seinen Kopf aus Schuldigs Halsbeuge und strich ihm einige fedrige Strähnen aus der Stirn. Seine Mine drückte Trotz aus, der sonst so unternehmungslustige Ausdruck in den grünen Augen war einem unsicheren gewichen. Ran mochte es nicht, wenn Schuldig unsicher wurde, bis zu seiner dunklen Seite war es dann nicht mehr weit. „Ja, das ist nicht gut“, sagte Ran. Schuldig kam ihm wie ein Kind vor. Die Schnute die er zog machte das Bild perfekt. Es erinnerte ihn an Sakuras Worte, an die Tatsache, dass sie ihn dafür ausgewählt hatte um Schuldig zu beschützen, um einen Soulwhisperer zu schützen. Ein Wesen, das in seinem Ursprung sanft, naiv, unschuldig war und in bestimmten Situationen kam diese Wesensart bei Schuldig nur zu deutlich ans Tageslicht. Sie hatten viele dieser Momente zusammen durchlebt, nur damals hatte Ran weniger darüber gewusst. Er liebte diesen Wesenszug von Schuldig was nicht hieß, dass er die anderen weniger sanften Eigenschaften nicht ebenso zu schätzen wusste – auch wenn sie aufreibend und bisweilen bedrohlich waren. „Warum? Was heckt deine Großmutter aus?“ „Keine Ahnung ich bin kein Experte auf diesem Gebiet“, sagte er dann in ironischem Tonfall. „Schade eigentlich“, erwiderte Schuldig und seufzte wieder. „Halte dich zurück“, sagte Ran dann als sein Gehirn ihm signalisierte, dass Schuldig in dieser ganz speziellen Stimmung meist keine sinnvollen Ideen in die Tat umsetzte. „Ich weiß“, nuschelte Schuldig und schmiegte sein Gesicht an Rans Oberarm. „Du würdest mich vielleicht gefährden, wenn du anfängst nachzuforschen“, sagte Ran in weisem Tonfall. Er kannte schließlich Schuldigs Schwachpunkt – und das war mittlerweile Ran selbst. Dass dies ein Problem war wussten sie beide ohne es zu thematisieren. Schuldig sah mit einem Auge zu ihm auf und Ran spürte an seinem Arm wie seine Lippen sich zu einem Lächeln verzogen. Offenbar hatte Schuldig seine Taktik durchschaut. „Du bist so ein Arsch“, kam dann und Ran hob die Augenbrauen in gespieltem Tadel. „Ich? Und warum so plötzlich?“ „Weißt du ganz genau.“ Schuldig schloss seine Augen und kuschelte sich wieder an. „Tja, ich weiß nur eines…“, Ran strich Schuldig eine Haarsträhne von seinem Ohr, beugte sich darüber, platzierte einen sanften Kuss. „…ich bin dein Arsch mein Lieber und du wirst ihn leider nicht los.“ Das brachte Schuldig nun endgültig aus seiner trüben Stimmung heraus und er musste Lachen, es fing leise an und weitete sich soweit aus, dass das ganze Bett zu wackeln anfing, was Ran ebenfalls zum Lachen brachte. „Ich werd… meinen Arsch nicht los?“, kicherte Schuldig und rollte sich auf den Rücken zurück um mit Tränen in den Augen zu Ran aufzublicken. „Wirklich?“ Ran ließ sich auch auf den Rücken fallen und spürte dem Lächeln auf seinem Gesicht nach. „Idiot.“ Er musste eingeschlafen sein, denn als er die Augen aufmachte fühlte er sich wie erschlagen. Müde blinzelte er und setzte sich dann auf. Es war viel zu hell, er wollte seine rechte Hand heben und seine Augen vor dieser Helligkeit schützen doch es ging nicht. Was hatte Schuldig jetzt schon wieder mit ihm vor? Die Linke war kein Problem. Er sah hinunter und erkannte, dass sein rechter Arm in einer Armschale lag, und noch mit Verschlüssen an ihr festgemacht war. Noch bevor er darüber nachdenken konnte was hier vor sich ging griff seine linke Hand nach den Verschlüssen und entfernte sie mühelos, als würde er die Verschlusstechnik kennen. Er sah sich um und langsam gewöhnten sich seine Augen auch an das helle Licht, dass jetzt nicht mehr ganz so grell erschien. Ran kam mit den Bewegungen nicht mit und als er an einem Innenfenster des Raumes vorbeiging, welches die Sicht wohl vom Flur aus in den Raum freigab erkannte er, dass sein Spiegelbild nicht sein eigenes war. Er hatte andere Haare und… das war nicht er selbst, oder? Er ging die Flure entlang und Personen passierten seinen Weg, aber er hatte nur wenig Aufmerksamkeit für sie übrig. Dann fiel sein Blick durch eines der Fenster in einen Raum und Ran sah, dass er auf einer Art Brücke stand die hoch oben durch eine Halle führte. In dieser Halle erkannte er unter sich Laborstraßen und viele Geräte die ihm sagten, dass dies hier eine Forschungseinrichtung war, aber an was geforscht wurde, erschloss sich ihm durch seine Beobachtung nicht. Aber er war wütend darüber, er konnte die Wut in sich fühlen, was verwirrend war. Seine Hand legte sich an die Scheibe und er blickte auf eine bestimmte Stelle, aber Ran sagte sie nichts. Menschen arbeiteten dort unten und gingen ihren Aufgaben nach. „Was machst du denn hier?“ Jemand sprach ihn an und er sah zur Seite. Ein Mann mit dunklen langen Haaren kam auf ihn zu, er sah besorgt aus. Er war Ran unbekannt. „Ich… wollte in mein Zimmer“, hörte er sich selbst sagen. Der Dunkelhaarige presste die Lippen zusammen und kam dann auf ihn zu, er zog ihn von der Scheibe weg. „Das ist in der anderen Richtung. Komm, ich bring dich hin. Hast du schon etwas gegessen?“ „Ich weiß nicht“, sagte er selbst. Und es klang sehr unsicher. Er wurde von der Scheibe weggeführt und er selbst sah sich noch nach ihr um. „Lass gut sein, wir können nichts dagegen tun.“ Er blieb stehen und er sah zu seinem Begleiter, der ungefähr seine Größe hatte. Etwas kleiner vielleicht. „Das ist nicht richtig.“ Er spürte einen Zug an seinem Arm und er ließ sich mitziehen. „Nein, das ist es nicht.“ Er sagte nichts, sondern folgte dem Mann, der ihn am Arm hielt und neben ihm ging, als würde er jeden Moment weglaufen wollen. Ihn schien es nicht zu stören, dass der Mann ihn mitzog. Sie gingen durch verschiedene Gebäude und er hatte das Gefühl keine Orientierung mehr zu haben. Dann öffnete der Dunkelhaarige eine Tür hinter der ein großzügig geschnittener Raum lag, er schloss die Tür und führte ihn zu einem Bett, das hinter dem auslandenden Sofa in einem mit Vorhängen abgeteilten Bereich lag. „Leg dich hin, ich hole dir etwas zu essen.“ Er setzte sich aufs Bett. „Ich will nicht alleine sein“, sagte er und der Mann, der bereits auf dem Weg zur Tür war, drehte sich rasch um. „Ich komme gleich wieder, du bist nicht lange allein.“ Die Stimme klang für Ran etwas entnervt, zugleich aber auch besorgt. Er selbst legte sich hin und behielt die Tür im Auge. Lange geschah nichts und er spürte eine Angst in sich, die er nicht erklären konnte. Nichts tat sich und er setzte sich wieder auf um aufzustehen und zur Tür zu gehen. Da ging sie auf und der Dunkelhaarige kam wieder herein. Er hatte ein Tablett, auf dem mehrere Dinge lagen mitgebracht. Er stellte das Tablett auf dem Tisch der bei der Couch stand ab. „Ich sagte doch, dass du dich hinlegen sollst“, wurde er gerügt und Ran fühlte sich emotional nicht mehr gut. Er hatte das Gefühl weinen zu müssen. „Bist du böse auf mich?“ Das Tablett machte ein etwas zu lautes Geräusch als es auf dem Tisch aufkam. „Nein, das bin ich nicht“, bekam er die Antwort die durch ihren Tonfall klar machte, dass es eine Lüge war. Er ging zur Couch und setzte sich hin. „Aber du bist böse mit mir.“ Der Mann kam zu ihm und setzte sich neben ihn, er wandte sich ihm zu. „Habe ich dir nicht gesagt, dass es nicht gut ist, wenn du dorthin gehst? Sie mögen es nicht, wenn du dort herumschnüffelst. Das ist gefährlich, weil es ihnen Angst macht. Du weißt zu was ängstliche Menschen fähig sind. Die Gefahr ist real.“ „Für wen?“, fragte er und Ran fühlte Trotz in sich. „Also bist du böse auf mich, weil ich dorthin gegangen bin“, behauptete er und Ran fühlte immer noch, dass er kurz davor war zu weinen. Er fühlte sich so allein und verlassen, dass es fast körperlich schmerzte. „Nein, ich habe mir Sorgen gemacht als ich dich abholen wollte und du nicht mehr im Labor warst.“ Der Mann lächelte ein bisschen aber es sah immer noch zu sorgenvoll aus. „Ich bin nur sehr angespannt und…“, er seufzte. „ich bin dann nicht sehr freundlich zu dir, ich weiß. Ich habe einfach Angst das etwas passiert, wenn ich dich alleine lasse.“ „Mit den anderen? Ich tue ihnen nicht weh.“ Der Mann zog das Tablett heran und reichte ihm einen Teller, auf dem Früchte, in kleine Stücke geschnitten lagen. „Ich will nichts essen“, sagte er betrübt. „Ich weiß, dass du danach immer keinen Hunger hast“, sagte der Mann nachsichtig. „Du musst etwas zu dir nehmen und dann leg dich hin und schlaf.“ Ran sah zu dem Essen auf dem Tablett, das wohl mitunter Gemüse mit Reis darstellen sollte. Der Geruch des Essens bereitete ihm Übelkeit. Er wollte nichts essen, aber er musste. Er war gefangen hier und konnte nicht das tun was er wollte, er war allein. Alle sagten was er tun sollte und was er tun durfte und nichts anderes. Sie alle bestimmten wann er atmen durfte, wann sein Blut fließen durfte und wann sein Herz schlagen durfte. „Warum bin ich so?“ „Sie haben wieder am Healer rumgespielt, deshalb.“ Er nickte und stopfte sich ein Stück Banane in den Mund, es schmeckte salzig. Der Brechreiz war immens, er musste mehrmals schlucken um ihn zu bekämpfen. Er kaute und schluckte die salzige Frucht schnell hinunter. „Es schmeckt salzig.“ Der Mann nahm ihm den Teller weg und stellte ihn auf den Tisch. Er nahm seine Hand und zog ihn zum Bett. „Das kommt wieder in Ordnung, leg dich hin“, wies ihn der Mann schroff an. Ran spürte wie das Engegefühl in seiner Brust zunahm und er die Hand nach dem Mann ausstreckte. „Bitte… bitte… ich weiß nicht…“, er konnte sich nicht mehr zusammenreißen und die ersten Schluchzer bahnten sich aus ihm heraus. „… was ich tun soll. Bleib bei mir.“ Er sah zu ihm auf und wollte sich wieder aufsetzen, seine Hände zitterten unkontrolliert als sie versuchten die Tränen aufzuhalten. Der Mann starrte ihn an und sein Gesicht drückte Wut aus. Er griff nach seiner Hand. „Ich gehe nicht weg. Ich bin nur hier um für dich da zu sein. Aber das geht so nicht weiter, es zerstört dich. Du bist nicht du selbst.“ „Du bist hier genauso gefangen wie ich“, sagte Ran und schüttelte den Kopf. „Nicht so wie du, aber ähnlich.“ „Was meinst du?“ „Ich bin dein Gefangener.“ Ran sah ihn an und er schloss die Augen über den Schmerz den er nach diesem Satz fühlte. Er war so brachial, dass er das Gefühl hatte, dass es besser wäre, wenn er starb. Für alle. Der Mann half ihm sich hinzulegen und legte sich dann zu ihm, er umarmte ihn und Ran fühlte sich trotz ihres Gesprächs sofort besser. Trotz dem Gefühl der Besserung spürte er dem immanenten Gefühl einer Einsamkeit nach die ihn körperlich und seelisch aufzufressen drohte. Sie nahm ihm die Luft zum Atmen… Er brauchte Luft. Etwas in ihm drohte ihn zu ersticken, etwas drückte auf seine Lungen, sein Herz, seinen Brustkorb, verengte seine Kehle, verschloss ihm den Mund. Er musste seine Lippen öffnen, er musste das was dahinter war herauslassen und dass was dort draußen war hineinlassen. Ran öffnete die Augen und holte hektisch Luft, er riss sich die Decke vom Körper, kroch vom Bett und stolperte die Stufen hinunter bis er endlich auf der Terrasse stand um tief Luft zu holen. Seine Knie brachen auf die Steinterrasse und er stützte sich mit den Händen ab, versuchte genug Luft in sich zu saugen. Noch immer spürte er diesen Druck in sich, diesen Schmerz. Er zog sich das Hemd über den Kopf und warf es zur Seite. Er schrie laut auf und ließ sich dann an der Felswand nieder um den Kopf zwischen die Hände zu nehmen und tief ein und auszuatmen. Irgendjemand zog an ihm und er riss die Augen auf und sah hoch. „Ran…was… ist passiert?“ Das… das war Schuldig. Ran atmete immer noch heftig, die Tränen liefen immer noch und er versuchte sie wegzuwischen um durch den verwässerten Schleier zu erkennen wo er war. Hier herrschte kein Licht, hier war es dunkel. Dann fasste ihn jemand anderer von links an und er sah zu ihm hin, dann wieder zu Schuldig der ihn in seine Arme zog. Was ihn nur noch hektischer zum Weinen brachte. „Er… fühlt sich verlassen und allein“, sagte Firan. Schuldig strich über seinen Kopf. „Du bist nicht allein, ich bin da und Firan auch. Es ist alles gut. Ein Albtraum, Ran?“ Ran schüttelte den Kopf, nickte dann aber. Er klammerte sich an Schuldig fest und sagte immer die gleichen Worte, dass Schuldig da sei und nicht wegginge. Dass er nicht allein war und… Fortsetzung folgt… Vielen Dank fürs Lesen! Gadreel ^_^ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)