Der Glasgarten von Gadreel_Coco ================================================================================ Kapitel 40: Blind Date ---------------------- ~ Blind Date ~ Omi fuhr zusammen und erschreckte sich, als ihm so plötzlich die Sicht genommen wurde. Er war versucht, herumzufahren, sich von diesem Menschen zu lösen, zu wissen, wer es war, der ihn überrascht hatte. Doch seine Instinkte beruhigten sich, kurz nachdem sie aufgebrandet waren, sagten ihm, dass ihm keine Gefahr drohte und dass er auf das harmlose Spiel eingehen sollte. Auch er lächelte, hob nun seinerseits seine Hände. Vermutlich einer seiner Studienkollegen. Er legte seine eigenen Finger sacht auf die des Menschen hinter ihm und ertastete weiche Haut…kleine, schlanke Finger. Definitiv jemand aus seinem Studiengang. „Du machst es mir nicht leicht“, lachte er. Doch Nagi hörte die Worte nicht, spürte nur die Bewegungen der Wangenmuskeln unter seinen Händen und schloss darauf, dass Omi etwas sagte, sich aber nicht umwandte. Warum nicht? Er stand wie versteinert da, als er die Wärme der Finger auf seinen kalten spürte. Geradezu heiß fühlten sie sich an. Seine Arme wurden plötzlich schwer, er konnte sie jedoch nicht lösen. Noch immer hielt er die Augen hinter seinen Lidern in die schwarze Welt seiner Klänge getaucht und fühlte der Aufregung, dem Herzrasen nach, welches ihn befallen hatte, als die Finger ihn berührt hatten. Sein Gesicht war angestrengt, das Lächeln verschwunden, nunmehr ein Ausdruck der Konzentration auf ihm. „Ach komm, das ist nicht fair, wenn du gar nichts sagst!“, beschwerte sich Omi murrend und ließ seine Finger nach oben streifen, zur Seite weg auf die Handgelenke und die Arme des Unbekannten. Er umfasste sie mit den eigenen Händen und stellte fest, dass sie schmächtig waren. Also eines der Mädchen? Musste wohl. Er arbeitete sich langsam vor, bis hin zur Textur der Jacke. „Einen kleinen Tipp nur, wie wär’s?“ Nagi riss die Augen auf und winzige Fältchen breiteten sich auf seiner Stirn aus als er die neugierigen Finger auf Wanderschaft gehen fühlte. "Nein", sagte er so leise, weil er sich selbst kaum hören konnte durch die nun treibende Musik, die seinen Herzschlag ohnehin hoch peitschte. Mit diesem fast gehauchten Nein wollte er die Hände aufhalten und starrte die linke Hand an. Er sah das Unglück auf sich zukommen und wie im Schock verharrte er lediglich anstatt zu handeln. Ein ungutes Gefühl keimte in ihm auf. Würde dieses Gefühl zur Angst werden, stünde dem Einsatz seiner Telekinese ohne Barrierefunktion nichts im Wege. Noch wurde diese Emotion von dem sicheren Gefühl durch die Abschottung der Geräusche um sie herum zurückgehalten. Er befand sich in seiner eigenen Welt ohne diese Fähigkeiten. Hier brauchte er sie nicht. Nicht wahr? „Wie nein?“, lachte Omi. Also gut…aus der Stimme konnte er nichts Eindeutiges heraushören, außer, dass sie ihm bekannt vorkam. Wunderbar. Und dass sie männlich war. Wer also… Es gab so viele, die es sein konnten, und er wollte noch nicht raten, wollte noch nichts Falsches sagen. Seine Finger streiften bis zu den Ellbogen, senkten sich dann plötzlich. Nur um einen Moment später verdreht nach dem Oberkörper des Unbekannten hinter sich zu greifen und ohne Vorwarnung zu grabschen. Er fühlte kalten, leicht kratzigen Filz, der doch gleichzeitig auch weich war, fühlte etwas Hängendes…einen Schal. Stürmischer Wellengang peitschte seine Ohren, ließen die Beklemmung anwachsen, als die Finger nach hinten in seinen Mantel griffen. Er machte unwillkürlich einen halben Schritt zurück und seine Hände verloren ihren Platz auf den Augen, rutschten herab, streiften über die weichen Lippen. Hastig wollte er sie zurückziehen. Doch Omi war schneller, hielt die frechen Hände mit den seinen fest. Geschickt schnappte er sich sie setzte sie erbarmungslos gefangen. „Jetzt habe ich dich!“, triumphierte er lachend und drehte sich noch in der Beinaheumarmung um, die Hände des anderen neben sich auf Kopfhöhe. Braune Haare…blaugraue Augen…bekannte Züge. Seine Augen weiteten sich. Ungläubig. Überfahren. „DU?!“ Für Augenblicke tobte der Sturm in seinen Ohren durch seine Sinne, durch seinen Körper und wurde in den Fenstern, die in ihn selbst sonst keine Einblicke gewährten, sichtbar. Meeresrauschen schloss sich dem Sturm an, Möwen kreischten über den Ozean hinweg, getragen von einer sanften Brise. Er konnte das Blau des Himmels in den Iriden sehen und fiel in sie hinein, legte den Kopf schief. Omi hegte den dringenden Verdacht, dass der junge Schwarz irgendetwas genommen hatte, so wie er ihn anstarrte und anscheinend in seiner eigenen, entrückten Welt zu verweilen schien. Langsam ließ er dessen Hände los und runzelte misstrauisch die Stirn. Es war also tatsächlich Nagi Naoe gewesen. Omi ließ seinen Blick über die bleichen Wangen, den dicken Schal und die graue Jacke gleiten, bevor er schließlich wieder zu den Augen des jungen Mannes zurückkehrte. „Was sollte das?“ Nun kam er wohl doch nicht umhin und musste die Musik leiser drehen. Wahlweise nahm er die Ohrstöpsel aus seiner Muschel und tauchte in die Geräuschkulisse seiner Umgebung ein, barg sie in seiner Jackentasche. Blickte wieder auf, konfrontiert mit forschenden misstrauischen Augen. "Kommst du oft hierher?", fragte er, weil er nicht wusste, was er sagen sollte und er sein Gegenüber nicht bitten wollte, die Worte, die er nicht gehört hatte, zu wiederholen. Die Offenheit, die ihm die Musik beschert hatte, verschwand hinter einer Wand aus steter Gleichgültigkeit, als er wieder aufsah. „Nein“, erwiderte Omi rein um sich aus einem völlig rationalen Impuls heraus zu schützen. Auch wenn es reichlich unsinnig war, das nun vorzutäuschen. Er zuckte mit den Schultern. „Ja, öfter. Und was sollte das jetzt?“, wiederholte er seine Worte, pochte auf eine Erklärung für dieses absonderliche Verhalten. Auch wenn er nicht wirklich misstrauisch war…höchstens diesem plötzlichen Spieltrieb des anderen gegenüber. Doch einer eventuellen Gefahr? Nein…noch nicht. Und was sollte er jetzt sagen? "Eine dumme Laune. Ich gefährde die Neutralität zwischen uns?", fragte Nagi mit einem Hauch von schwarzem Humor, verzog jedoch keine Miene dabei, nur das Blaugrau seiner Iriden brach etwas auf. Omi lachte. „Welche Neutralität?“, hielt er vergnügt dagegen und schnaubte. „Eine dumme Laune…machst du das öfter? Aus dummen Launen heraus?“ Er sah sich unauffällig um. Anscheinend war der Telekinet alleine gekommen; wie beruhigend zu wissen. Nicht, dass er plötzlich halb Schwarz am Hals hatte, nur weil es Nagi gerade so passte… „Was machst du überhaupt hier?“ War ihm doch nicht entgangen, dass der Andere ganz und gar nicht danach gekleidet war, aufs Eis zu gehen. "Ich?", fragte Nagi um Zeit zu schinden, drehte sich aber halb um. Farfarello war weg. "Ich ... habe jemanden begleitet, der mir scheinbar nun abhanden gekommen ist", meinte er düster und blickte auf die leere Bank. "Wieso immer ich…" Sein Schal fing das leise Murren auf und barg es in sich als er sich wieder umwandte. "Nein ich mache das ... eigentlich nie", entsann er sich auf die Frage des Weiß. "Die Neutralität, die scheinbar zwischen uns - Weiß und Schwarz - außerhalb des Jobs zu herrschen scheint. Oder wie erklärst du dir diese neue Entwicklung?" Er zuckte mit den Schultern. „Na anscheinend hat diese Affäre zwischen Aya und Schuldig etwas Gutes…“, erwiderte Omi schulterzuckend und lächelte wieder. „Jemanden begleitet also? Deine Freundin? Dann solltest du sie schleunigst wieder einholen, nicht, dass sie dir verloren geht. Frauen können da sehr nachtragend sein.“ Auch wenn er sich das Mädchen an Naoes Seite nicht vorstellen konnte…nicht, wenn es um ein normales, weibliches Wesen ging. Diese Tot konnte man schließlich nicht dazu zählen. Schreckliches Wesen. „Also wollte sie Eis laufen?“ "Sie?" Entgegen dem Drang sich zu beherrschen musste Nagi lachen. "Ich habe einen Arbeitskollegen begleitet und wie du weißt, sind wir ein elitärer Club, in dem keine Frauen erwünscht sind." Netter Versuch, resümierte Nagi ... scheinbar wollte der andere herausfinden, ob er eine Freundin hatte. Er erinnerte sich an ihre Begegnung in der Galerie und seine Gefühle danach. Und nun tat der Weiß es wieder! Ihn in die Enge treiben. Nur momentan fühlte er sich nicht unwohl dabei. „Soso…ein Mann also“, grinste Omi. „Wer von eurem ELITÄREN Club war es denn? Crawford? Farfarello?“ Er lachte vergnügt. Und ob er den Telekineten durchschaut hatte! Das konnte doch nur Schwarz sein, so abgehoben es klang, so distanziert. Nagi ging nicht auf das Grinsen ein, sah sich unauffällig um, blickte an Omi vorbei. "Farfarello." Doch dieser war nirgends zu sehen. Ein schlechtes Zeichen. "Bist du denn alleine?", fragte er wie beiläufig, dem anderen sein Profil zeigend. "Oder wartest du auf deine Freundin?", verzog er den Mund leicht zu einem spöttischen Lächeln, korrigierte jedoch diese Anwandlung sogleich. Spott empfand er als Schwäche, der er sich ganz bestimmt nicht hingeben würde, auch wenn es ab und an gut tat. „Was will Farfarello hier?“, fragte Omi ungläubig, drängte sich ihm im Verborgenen jedoch schon ein gewisser, bekannt brutaler Verdacht auf, der in der Vorstellung mündete, dass der Ire sich ein Opfer suchte und es abstach. Das wäre der oberflächliche Verdacht gewesen. Doch irgendwie konnte sich Omi für diesen Gedanken nicht richtig erwärmen. Er schnaubte schließlich. „Welche von den hunderten?“ "Hättest du gerne, nicht?", lächelte Nagi schmal und wandte sich wieder dem jungen Takatori zu. Er hörte eine gewisse frustrierte Nuance aus der Frage heraus. "Es hört sich an, als wärest du geneigt, dir eine Freundin zu suchen. Ein bisschen schwierig mit deinem Nebenjob", stellte Nagi für sich selbst fest, als wäre er gerade eben erst auf diese Idee gekommen. „Falsch gehört. Ich bin absolut nicht geneigt“, berichtigte Omi die Vermutung des Schwarz glatt und zuckte mit den Schultern. Nein, er war nicht darauf aus, sich ein Mädchen zu suchen. Nicht davon ausgehend, dass es Veranlagung war, hatte er seit längerem für sich beschlossen, dass es sein immerwährender Kontakt zu Kritikeragentinnen und schließlich zu den Kundinnen im Laden – die um ein Vielfaches schlimmer waren – war, der ihn sich hatte der Männerwelt zuwenden lassen. Männer, die so herrlich unkompliziert schienen. Viele. Manche hingegen auch nicht. Er kannte da ein paar. Nagi beschloss nicht weiter zu fragen. Er mochte den Verlauf ihres Gespräches nicht. Sein Blick glitt von dem Tiefblau der Augen zu den Lippen und wieder zurück. "Wie hat dir die Ausstellung noch gefallen?", wechselte er das Thema in Bereiche, die ihm mehr behagten. Omi musste für einen Moment überlegen, bevor er sich bewusst wurde, welche Ausstellung Nagi überhaupt meinte. „Sehr eindrucksvoll. Farben als Situationsersatz…nicht schlecht. Nur nicht mein Interessensgebiet, auch wenn ich mal gerne den Künstler gesehen hätte. Oder hast du dich nie gefragt, wie jemand aussieht, der so etwas malt?“ "Nein, das habe ich tatsächlich noch nicht bei diesem Künstler", sagte Nagi ernst, dachte dabei an Farfarello. "Sicher möchte er nicht erkannt werden. Wer weiß das schon. Künstler sind doch oft sehr exzentrisch." Sie hatten immer noch die Bande des Eisplatzes zwischen sich, wie Nagi bemerkte und er ließ seinen Blick über den Teil der Kleidung gleiten, den er sehen konnte. Schreiendbunte Zusammenstellung. "Und was sind deine Interessen?" „Mich so anzuziehen, dass andere blöde Kommentare drüber reißen?“, hielt Omi dagegen und stemmte eine Hand in die Hüfte. Schließlich wurde er jedoch ernst. „Was soll die Frage? Das interessiert dich doch nicht wirklich, oder?“, hakte er mit einer misstrauischen Falte auf seiner Stirn nach. Er traute diesem angeblichen Frieden nicht…auch wenn ihm das Verhalten des Telekineten im Nachhinein sehr seltsam vorkam. Wirklich sehr seltsam. Der Vorhang fiel und Nagis Blick wurde wieder ausdruckslos. "Natürlich interessiert es mich nicht, ganz richtig. Deine Annahme es wäre eine Frage der Belanglosigkeit trifft zu", sagte er monoton, die Wut, die in ihm unverständlicher Weise erneut die Oberhand gewinnen wollte, in sich verbergend. Er drehte sich weg um den Ort zu verlassen. Sollte Jei selbst zurechtkommen. Er wollte weg von dieser anstrengenden Person. Seine Hände schlossen sich um die Kopfhörer in seinen Taschen. „Pffft“, schnaubte es hinter Nagis Rücken und Omi stieß sich von der Bande ab, glitt rückwärts und prallte im nächsten Moment auch schon mit jemandem zusammen, der weitaus größer und schwerer war als er selbst. Er hatte den Mann nicht kommen sehen, konnte sich dessen Gestalt nun von der eisigen Eisfläche aus ansehen. Er hatte sich den Rücken geprellt und es schmerzte höllisch, ebenso wie er das Gefühl hatte, dass sein Knöchel in Flammen stand. Verdammt! „Kannst du nicht aufpassen, du Rotzlöffel?“, dröhnte von eben diesem Mann eine unfreundliche, metallene Stimme an Omis Ohren, ließ ihn ungläubig hochsehen. Seine Hände waren schon wieder halb durchgefroren wie Nagi bemerkte, als er einige Meter gelaufen war und sich die Ohrstöpsel versuchte wieder anzubringen, seine tauben Finger dies nicht einmal mit mehrmaligem Korrigieren bewerkstelligen konnten. Sie fielen ihm aus den Händen und er musste sie wieder aufheben, dabei wagte er einen Blick zurück auf die Eisfläche und sah den Weiß auf der Fläche liegen. „Was soll das denn? Können SIE nicht aufpassen?“, ätzte Omi zurück und versuchte sich wütend aufzurappeln, scheiterte jedoch an seinem wirklich schmerzenden Knöchel. Verdammte Scheiße…auch das noch. „Hast du mir was zu sagen, Kleiner?“, zickte der fremde Mann von oben herab und übertrumpfte ihn bedrohlich. Omi spannte sich an. Was sollte das? Was war das für ein Typ? Nagi erhob sich, den Mann beobachtend, wie er Omi aufhelfen ... nein er wollte ihm nicht aufhelfen. Stehen bleibend und mit kühlem Interesse musterte er die beiden, die Irritation war auch hier, zehn Schritt von Omi entfernt, in dessen Gesicht abzulesen. Probehalber winkelte er seinen Arm an, als würde er ihn in einer Schlinge an den Brustkorb fixiert tragen. Er schloss für Momente die Augen, als er seine Hand mit der Handfläche nach oben an seine Jacke hielt, als würde er Wasser darin befördern...zu einer kleinen Kuhle geformt. Nur um dann die Augen wieder zu öffnen und die Hand wie zu einer einladenden Geste in Richtung des Mannes zu führen. Wärme strömte ausgehend von seiner Hand in seinen Körper und ein kleines Lächeln zierte die Mundwinkel. Was für eine Wohltat. Er fühlte den energetischen Kreis des Mannes, griff in ihn hinein... Blaue, wütende Augen richteten sich von eben diesem Mann auf Nagi und sahen die Handstellung des jungen Telekineten. Ihm schien, als ob er diese Geste kannte. Nein, natürlich kannte er sie, natürlich war ihm bewusst, was der Andere zu tun beabsichtigte. „Nein!“, sagte Omi eindringlich, dachte er doch, dass Nagi den Mann, aus welchem Grund auch immer, angreifen wollte. Oder ihn, je nachdem, auch wenn er sich das momentan nicht wirklich vorstellen konnte. Er rappelte sich langsam auf und zischte, als er halb zurücksackte. Sein verdammter Knöchel…er konnte nicht auftreten. „Geschieht dir Recht, Rotzlöffel“, lachte der Mann höhnisch und ließ seinen Blick zu Nagi streifen. Omi zischte wenig erfreut. „Ist das dein Freund?“, nickte der Ältere zu Nagi und deutete mit dem Kopf auf Omi. Eine merkwürdige Frage für einen Fremden, befand der Telekinet und stellte sich taub, sein Blick unergründlich und sein Gesichtsausdruck bar jeder Information, die der Fremde ihm hätte entlocken können. Unbeteiligt blieb er stehen, den kurzen Schmerz in dem Gesicht des jungen Takatoris bemerkend, legte er den Kopf schief. Wie es den Anschein für ihn hatte, konnte Omi nicht aufstehen. "Er ist verletzt, möchten Sie ihm nicht aufhelfen?", fragte Nagi stattdessen höflich und reserviert. Der Mann gefiel ihm nicht, weckte sein Misstrauen. „Warum sollte ich?“, grinste der Mann hämisch. „Hätte er die Augen aufgemacht, wäre das nicht passiert. Merkt er sich eben fürs nächste Mal.“ Sein Blick glitt ab von Omi zurück auf den jungen Telekineten, maß diesem mit durch und durch taxierenden Blick. So als würde er ihn ausziehen, schoss es Omi durch den Kopf und er runzelte ebenso misstrauisch wie Nagi auch die Stirn. Und tatsächlich. Dieser Blick hatte etwas unverhohlen Gieriges an sich, etwas Gefährliches. Etwas, das hier nicht hin passte, absolut nicht zu einem Mann passte, der simpel Eis lief. Nagi fühlte sich selbst bei diesem Blick an jemandem erinnert, der feurig flammendes Haar trug. "Dann macht es Ihnen nichts aus, sich von ihm zu entfernen", stellte er ruhig klar und trat einen Schritt näher. Auf seinen Lippen zeigte sich ein kleines, boshaftes Lächeln, das dem des Mannes nur in seiner Gier nachstand. Er würde ihm seine Knochen zerschmettern, innerlich, wenn er nicht bald ging. Nagi wurde ungeduldig. Um sie herum ließen sich die Leute kaum in ihren Aktivitäten stören, was diese merkwürdige Unterhaltung einfacher machte. Nagi hasste Aufmerksamkeit. Der Mann maß Nagi für ein paar stumme Augenblicke mit verschlagenem Blick, bevor er schnaubte. „Einfältiges Gör“, lachte er schließlich und drehte sich um, lief ohne einen weiteren Kommentar in Richtung Omi weiter um bald darauf hinter der Bande aus ihrem Sichtfeld zu verschwinden. Der junge Weiß starrte ihm hinterher. Durch und durch unsympathisch. Schrecklich. Was seinen Knöchel allerdings nicht besser werden ließ, denn das war das nächste, ernste Problem, mit dem er zu kämpfen hatte. Wie kam er vom Eis? Dieselbe Frage stellte sich der Telekinet, als er seine Handhaltung aufgab und er sein Augenmerk auf Omi richtete. Erneut sah er sich nach Farfarello um, als würde das, was er vorhatte, etwas gegen ihre Maxime darstellen, denn er näherte sich Omi bis an die Bande, trat dann durch den Durchgang und überquerte mit wenigen Schritten das Eis. Farfarello war nicht zu sehen und selbst wenn... Nagi stand unschlüssig da und blickte mit gefurchter Stirn zu Omi hinunter; dessen Augen meidend war sein Interesse auf den scheinbar lädierten Knöchel gerichtet. Omi kam sich wie ein Tier im Zoo vor. Nein. Sein Knöchel war das Tier im Zoo, er wurde ja keines Blickes gewürdigt. Er verzog die Lippen zu einem kritischen Kräuseln und maß den Telekineten. Und da lästerte jemand über seine Kleidungszusammenstellung? Wenigstens ging ER nicht grau in grau und blau. Nein, das gehörte sich für den Winter nicht. „Du könntest dich nützlich machen und mir aufhelfen“, merkte er an, starrte Nagi trotzig ins Gesicht. Nagi fuhr aus seinen Gedanken geschreckt hoch und wurde mit Omis Augen konfrontiert, den leicht vorgeschobenem Mund, der Trotz signalisierte. Es sah ... niedlich aus. Wärme kroch ihm in die Wangen und er konnte seine Augen nicht von diesen ... schmollte Omi? Er trat an dessen Seite und zog seine Hand aus der Tasche, fasste ihn unterm Arm um ihn zu stützen. Die Hitze in seinen Wangen brannte unangenehm und nicht nur dort. Ihm war plötzlich sehr warm. Zu warm. Es war ein komisches Gefühl, wirklich seltsam, dass ausgerechnet Prodigy ihm half. Auch wenn Omi die Namensgebung des Anderen momentan wenig passend fand. Sie waren auf keiner Mission, warum also nicht bei den richtigen Namen bleiben? Insofern es denn der Richtige war. In Gedanken auf Nagi Naoe umschulend, ließ sich Omi von ihm in die Höhe ziehen und kam schließlich wackelig auf einem Bein zum Stehen. Gut. Und nun? Eine wenige stabile Angelegenheit wie Nagi schnell bemerkte, da der Weiß sich nur auf eine Kufe stützen konnte und er wohl Schmerzen im anderen Knöchel hatte. Das konnte nicht gut gehen. "Halt dich an mir fest", sagte er leise und setzte seine Fähigkeiten ein um den Körper des wenig Kleineren in Bewegung zu setzen, er war nur zwei Schritt von der Bande entfernt und er hatte diese Art der Kraftwirkung schon oft ausprobiert jedoch nicht an Menschen und bestimmt nicht in einem Auftrag. An der Absperrung angekommen, ging er etwas in die Hocke, fuhr mit seiner Hand den Oberschenkel des anderen nach, ganz auf das konzentriert, was er bezweckte. Für einen Außenstehenden musste es aussehen, als würde er das Bein abtasten, ob es unversehrt ist, aber er wirkte seine Kräfte auf die Bewegungsenergie des anderen. Er spürte wie Omis Beine den Boden verloren und sie sich nach vorne verlagerten sodass der Weiß in seine Arme fiel. Seine Hände trugen ihn aber nicht durch körperliche Kraft, sondern durch geistige brachte er ihn zu einer freien Bank und setzte ihn darauf ab, damit er die Beine hochlegen konnte. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er den jungen Mann angefasst hatte und schnell, als hätte er sich verbrannt, zog er seine Hände wieder zurück, verschanzte sie in seinen Taschen. Die Augen schimmerten matt Blauviolett, wobei das Blau überwog. Omi schauderte, wohl eine Nachwirkung dieser seltsamen Kräfte, die er doch bisher nur wild und ungezügelt erlebt hatte. Dass sie auch so sanft und so vorsichtig sein konnten, zeigte ihm auf paradoxe Art und Weise, wie mächtig der Telekinet war. Er konnte Menschen zerquetschen wie Ameisen, als wären sie nichts. So jung und so mächtig…so tödlich. Omi sah auf, verhakte seinen Blick mit dem des Schwarz vor ihm. „Danke“, erwiderte er schließlich nachdenklich und machte sich daran, die Schuhe auszuziehen, den Knöchel zu befreien, der, wie er nun feststellte, verdammt dick war. Zu dick. Er fluchte leise. Und wie sollte er das jetzt Kritiker erklären? Was, wenn ein Band angerissen oder gerissen war und er für die nächsten drei Wochen ausfiel? Wieder wich Nagi dem Blick aus und er besah sich den Knöchel. "Fällst du länger aus ... haben wir Ruhe vor euch", resümierte er ruhig. "Allerdings ... ist es ... auch sehr wahrscheinlich ... dass Kritiker nicht glücklich über diesen Ausfall sein werden." Etwas Genugtuung sollte sich schon einstellen bei diesen Worten - tat sie aber nicht. Er stellte ruhig einige Dinge fest und genau so fühlte er sich in der Gegenwart des verhinderten jungen Mannes. Ruhig, bis auf eine unbestimmte, schwer zu definierende Unsicherheit und ein seltsames Gefühl im Bauch, welches nicht da sein sollte. Wäre nicht die Ruhe im Blick des Anderen gewesen, hätte Omi zugesehen, schleunigst Hilfe zu bekommen und von dem Schwarz wegzukommen. Ein Teil von ihm kam für einen Moment auf die wahnwitzige Idee, dass Nagi seinem angestauchten Knöchel noch weiterhelfen würde. Doch das war Irrsinn…wäre vielleicht vorher denkbar gewesen, als Ran und Schuldig noch nicht diese…skurrile Verbindung zueinander hatten. Und nun? Was würde passieren, wenn sie sich gegenseitig abmetzelten? Eben. Genau deswegen taten sie es nicht, weil jedes Team für sich das Glück des nicht mehr zu gebrauchenden Teammitgliedes nicht zerstören wollte. So empfand es zumindest Omi. Er würde niemanden von Schwarz angreifen, wenn es nicht erforderlich war. Nicht mehr, eben weil er trotz allem nicht wollte, dass Ran unglücklich würde. „Und was soll mir das jetzt sagen?“, fragte er ruhig. "Es war lediglich eine Zusammenfassung der gegenwärtigen Lage." Nagi legte, wie es oft eine Unart von ihm war, den Kopf leicht zur Seite, als würde er eine Frage stellen. "Kann dich jemand deines Teams oder ... ", er dachte kurz darüber nach "... oder deine Freunde dich abholen? Der Knöchel sieht nicht danach aus, als könntest du ihn belasten." Sicher hatte der junge Takatori Freunde, die ihn gern abholen würden, keimte ein kleiner Anflug von Neid in Nagi auf. Und ausgerechnet jetzt wollte er den jungen Mann ins Gesicht sehen. Glaubst du allen Ernstes, er führt ein schönes, freundliches, sonniges Leben, wenn er hier alleine Eis läuft, fragte er sich selbst spöttisch. Omi grübelte nun seinerseits. Hatte er jemanden, der ihn abholen konnte? In Anbetracht der Tatsache, dass er die Nachmittagskurse schwänzte, konnten seine Kommilitonen wohl kaum kommen und ihn ins Koneko verfrachten. Und Youji? Der war mit Ken vollauf damit beschäftigt, Kundinnen zu versorgen. Der Einzige, der wohl bleiben würde, wäre… „Ran. Alle anderen haben keine Zeit oder sind arbeiten. Das war es dann auch schon mit den Freunden oder meinem Team.“ Ein leicht verzweifeltes Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Leicht viel verzweifelt. Himmel. Er selbst hatte keine Freunde. Also war es gar nicht so unrealistisch gewesen. Der Weiß besaß so etwas wie einen Freundeskreis. War das nicht töricht? Gefährlich? "Dann solltest du ihn anrufen", sagte er schlicht. "Hast du dein Handy dabei?" Omi nickte, holte ein Handy aus der Jackentasche. Er zog das gesunde Bein unter sich und stützte den schmerzenden Knöchel vorsichtig, stockte dann jedoch und überlegte. Eigentlich wollte er Ran nicht anrufen, eben weil der rothaarige Mann immer noch Gefahr lief, von Kritiker entdeckt zu werden. Das war nicht gut…und er wollte nicht derjenige sein, der seinen Freund wenn auch unbewusst verraten hatte. „Es ist mir zu unsicher“, sagte er und sah hoch. „Wenn er mich zum Koneko fährt, können sie ihn aufgreifen.“ "Diese Überlegung ist wohl richtig." Nagi sah das Unausweichliche bereits auf sich zurasen. Entweder, er entzog sich dieser müßigen und lästigen Situation und machte seinem Namen als Schwarz alle Ehre - das hieß er überließ den Weiß seinem Schicksal - oder er ... begab sich selbst in Gefahr und brachte den Weiß nach Hause. Eine Augenbraue hoch ziehend wog er die Möglichkeiten ab. Er konnte ihn nicht... „Du willst wohl gefragt werden, ob du mich nach Hause bringst, oder?“, fragte Omi mit gerunzelter Stirn nach, nickte dann. Na was hatte er denn auch schon für eine andere Wahl? Sollte er hier sitzen bleiben, bis das Koneko Feierabend hatte? „Dann fühle dich jetzt offiziell gefragt: Würdest du mich nach Hause bringen?“ Ertappt weiteten sich Nagis Augen dezent und er biss sich unmerklich auf die Innenlippe. War es tatsächlich so, dass er gefragt werden wollte? Er wischte die Antwort beiseite. "Es ist nicht wesentlich weniger gefährlich für Ran als für mich, wenn ich dich nach Hause bringe. Der einzige Unterschied besteht wohl darin, dass ich dir weniger am Herzen liege als dein Freund", sagte er nüchtern und sachlich. "Ich kann dich aber zu einem Arzt bringen und danach in die Nähe von Ran, vielleicht in ein unscheinbares Hotel, von dort könnte dich einer deiner Teamkollegen abholen", schlug er einen Kompromiss vor. „Nicht in die Nähe von ihm. Wenn Kritiker uns folgen, können sie vielleicht auf seinen Aufenthaltsort stoßen“, lehnte Omi den letzten Teil des Vorschlags ab. „Aber sonst klingt es gut“, ging er nur teilweise darauf ein, was Nagi gesagt hatte. „Wie wäre es, wenn du mich zu einem Arzt bringst? Dann besteht weder für dich noch für Ran Gefahr?“ Omi schauderte, rieb sich die Oberarme. Es war kalt. Sehr kalt, wenn man sich nicht bewegte. Nagi nickte. "Rufst du einen Wagen? Den Rest des Weges kann ich dich erneut tragen, wenn du möchtest, oder du humpelst und es dauert länger" Er fragte sich kurz, wo Jei abgeblieben war, und wunderte sich darüber, wie er in so kurzer Zeit diese Tatsache in Anwesenheit des Weiß vergessen hatte. Er bedachte ihn mit forschendem Blick. Die Wangen und die Nase waren gerötet vor Kälte. Omi tat genau das. Ein Taxi rufen, das sie beide hier abholen würde. Vielmehr am Ausgang. Die Frage jedoch war, wie sie dorthin kamen, ob der Andere ihn wieder tragen würde, so wie er es angeboten hatte. Omi grübelte. „Ich brauche noch meine Schuhe“, erwiderte er schließlich stirnrunzelnd und deutete auf das andere Ende der Fläche. Nagi fand es schade, dass derart viele Menschen um sie herum waren und er Omis Schuhe somit nicht mit seinen Kräften zu ihnen befördern konnte. In diesen Dingen ... hätte man ihn ruhig faul nennen dürfen. Er seufzte verhalten. "Wo sind sie?", wollte er wissen, vermutlich wo viele der anderen Schuhe ebenfalls herum lagen. "Wie sehen sie aus?" „Schwarze Lederboots mit Innenfell. Sie stehen hinten an der Bande auf der Tribüne“, erwiderte Omi insgeheim dankbar für den Bringdienst. Er seufzte unmerklich und lehnte sich zurück. Er konnte sich schon den Spott seines Teams vorstellen, konnte sich vorstellen, was sie dazu sagten, dass er noch Hause gebracht werden musste. Schon sah sich der Telekinet um und strebte das benannte Areal an. Anhand der Beschreibung fand er auch das einsam stehende Paar und nahm sie an sich. Irgendwie kam er sich wie ein Botenjunge vor. Noch auf der Tribüne stehend, blickte er hinunter zu dem Wartenden. Dessen blonder Haarschopf tief in die Jacke gezogen war, da der schneidige Wind, der heute durch die Straßen fuhr, ihm zusetzte. Trotzdem schien die Sonne, sie hatte zwar noch keine Kraft, aber immerhin legte sie einen Goldschimmer auf das Haar des Weiß. Seine eigenen Haare würden nie so leuchten. Wieder fielen ihm sehr viele Unterschiede zu diesem Sonnenkind und sich selbst auf. Als er vor ihm stand, stellte er die Stiefel auf der Bank ab und betrachtete sich das hübsche Gesicht. Allerdings konnte er wieder nur die Unterschiede zu sich selbst erkennen. Sein Gesicht war grau und kränklich, seine Augen nicht von dieser strahlenden Intensität. "Wollen wir?" Omi nickte, während er sich angestrengt den Schuh über den verletzten Knöchel streifte. Er schnürte ihn sorgfältig zu, bevor er sich wieder an den jungen Schwarz wandte, der tatsächlich bereit war ihm zu helfen. Er streckte die Hände aus, damit Nagi ihm hochhelfen konnte, zumindest den Anschein erwecken konnte, dass er ihn mit normaler Körperkraft hochzog. Nagi fühlte sich in die Last hinein, die er tragen sollte, musste vorsichtig sein und konzentrierte sich auf diese, für ihn schwierige Aufgabe. Er war sonst eher der Mann fürs Grobe. Darüber musste er sogar selbst lachen, als er diese Gedanken durch sich hindurch wehen ließ. Mühelos hob er Omi hoch und trug ihn ohne auch nur das geringste Anzeichen von einer Last auf seinen Armen zu verspüren in Richtung der Straße damit sie das Taxi abholen konnte. Vermutlich sah es merkwürdig aus, dass ein Hänfling wie er Omi trug, wobei dieser auch keine übermäßig kräftige Person war. Nein, das war er in der Tat nicht. Die Absurdität dessen wurde Omi nun auch bewusst und er lächelte. Auch wenn er insgeheim das Gefühl dieser sonderbaren Kraft genoss. Wie von Luft getragen, von Abermillionen Luftmolekülen, die sich um ihn herum verdichteten und ihm eine sanfte Stütze boten. Es war so anders als die Gewalt, die sonst von Naoe ausging. "Ich setze dich hier ab", sagte Nagi als sie an die Straße kamen, das Taxi jedoch noch nicht zu sehen war. Langsam ließ er Omi auf sein gesundes Bein hinunter und gab ihm jedoch weiterhin eine Stütze auf der Seite. Die Gedanken an Jei waren weg. Gänzlich aus seinem Kopf hinfort geweht. Seine Hände waren durch den Einsatz der Telekinese warm geworden. Zum Teil, wie er vor einiger Zeit bemerkt hatte, waren seine Fähigkeiten gewachsen und genau genommen gehörte diese Art der Bewegung mittels Gedankenkraft in den Levitationsbereich. Omi wartete schweigend, sich der Bedeutung dieser Handlung gänzlich unbewusst. Er hielt Ausschau nach dem Taxi, das sie schließlich nach zehn Minuten erreichte. Auf Nagi gestützt humpelte er auf den Wagen zu und ließ sich schließlich auf die Rückbank gleiten, gab dem Fahrer die Adresse eines Sportarztes, den er durch Zufall in der Stadt entdeckt hatte. Genau das würde ihm jetzt noch fehlen, mit dem Schwarz zu einem der Kritikerärzte zu gehen. Genau. Es dauerte eine gute halbe Stunde und ebenso die Hälfte seines Portemonnaies, bis er im Aufzug des Hochhauses stand und sich von dem Telekineten in die siebzehnte Etage bringen ließ. Nagi schalt sich selbst, dass er mitgekommen war, aber wie wenn er eine innere Triebfeder hätte und diese ihn ständig in die Nähe des Weiß dirigierte, folgte er diesem und half ihm auch noch. Er würde sich von Crawford eine gehörige Tracht Prügel zuziehen, wenn dieser davon erfuhr. Zwangsläufig durch ein verfrühtes Auftauchen von Jei oder durch ein Ausfragen von Seiten Crawfords. Nagi konnte seinen Boss nicht anlügen, das war ein Ding der Unmöglichkeit. Und das nicht nur wegen dessen Fähigkeiten der Hellseherei. Sondern eher einem Verhalten geschuldet, welches man einem Mentor gegenüber hat. Schweigend saßen sie im Wartezimmer, bis Omi den verordneten Verband angelegt bekam und er seinen ‚Freund’, wie er betitelt wurde, wieder abholen konnte. Er betrat das Verbandszimmer und fand den jungen Takatori auf der Liege vor, wie er sich gerade aufsetzte. Besagter Weiß betrachtete sich sein gut bandagiertes Fußgelenk und bewegte das verletzte Bein vorsichtig. Er sah auf, als jemand hineinkam. „Alles wieder in Ordnung. Ich falle wohl doch nicht so lange aus, wie du für deine Leute gehofft hast“, sagte er nonchalant, gab nach außen hin keine Anzeichen darauf, wer oder was gemeint sein könnte. Die Öffentlichkeit musste schließlich keinen Verdacht schöpfen. "Ich ‚hoffe' nicht", betonte Nagi das Wort sorgfältig und neigte den Kopf etwas, blickte sich im schmalen Behandlungszimmer um. Bis auf eine Liege, dem Patienten, der auf selbiger saß, und einem Arbeitsbereich, samt Waschbecken und Hängeschränken war das Zimmer eher eines von der kargen Sorte. "Du hast einen Stützverband bekommen. Möchtest du, dass ich dich in ein Hotel bringe, oder an einen anderen Ort, wo du von einem deiner Freunde zu gegebener Zeit abgeholt werden kannst wenn du es für richtig hältst?" „Wenn du weniger gehoben sprechen würdest, würdest du bei weitem nicht so auffallen“, merkte Omi an und ließ sich langsam zum Stehen kommen, belastete vorsichtig beide Knöchel. Er trug schon wieder beide Schuhe, den einen jedoch geweitet und offen. „Aber es wäre sehr nett, wenn du mich in dem kleinen Café auf der anderen Straßenseite absetzen würdest…“ "Dann würde ich sagen, dass ich nicht auffalle!", lächelte Nagi kalt und reichte Omi gleichzeitig die Hand um ihm aufzuhelfen. Eine sehr gegensätzliche Geste in Anbetracht des Lächelns. Er sprach kaum in der Öffentlichkeit mit anderen Menschen. Vermied es und die paar Floskeln, die nötig waren, fielen wohl kaum auf. Außerdem war seine Ausdrucksweise nicht gehoben! "Komm lass uns gehen, damit ich dich von meiner Gegenwart erlöse", konnte er ein kleines ehrlich gemeintes Lächeln nicht unterdrücken, das sich aber nur in einem winzigen Heben der Mundwinkel zeigte. Omi nahm die Hand an und zog sich daran noch einen Schritt nach vorne. „Ich kann es kaum erwarten“, lächelte er ebenso ehrlich wie auch freundlich, aber nicht bösartig gemeint. Eher ein Spaß, den sie bei Weiß oft untereinander trieben. Liebevolles Foppen, nannte sich das, auch wenn Omi im nächsten Moment nicht wirklich klar war, ob Nagi dieses Konzept vertraut war. Er zischte leise. Sein Fuß tat immer noch höllisch weh. "Und du bist dir sicher, dass du laufen kannst?", fragte Nagi mit dem Hauch von Arroganz, die ihm gelegentlich anhaftete ... und öffnete die Tür für sie beide. "Allerdings scheinen sich die Damen hier bereits über meine Tragetechnik zu amüsieren...", murmelte er und erinnerte sich an das Kichern, als er mit Omi in die Praxis gekommen war. „Ganz sicher“, zischte Omi dem anderen zu. „Zumindest bis wir aus der Praxis rausgekommen sind!“ Würdevoll und mit zusammengebissenen Zähnen wankte er zum Empfang und nahm dort die Salbe entgegen, schleppte sich dann zu Nagi zurück und aus der Praxis heraus. Nur um im Flur erst einmal leise keuchend einzuhalten und sich an die Wand zu lehnen. Verdammt, das tat weh! Aber sowas von! Kleine Schweißperlen standen dem jungen Blonden auf der Stirn und er sah blass aus, als Nagi vor ihn trat, einem Patienten der die Treppe heraufkam den Weg freimachte. Die Augen waren vor Schmerz zusammengekniffen und der Atem ging schnell und tief. Es dauerte einige Minuten, bis sich dies normalisierte. Bemerkenswert, wie diese Augen leuchteten ... noch immer ... oder gerade weil sie in wässrigem Glanz gebadet waren. Scheinbar musste es einen schmerzhaften Stich gegeben haben. "Hat er dir ein Schmerzmittel gegeben?" „Natürlich nicht! Gegen so etwas nehme ich keine Schmerzmittel!“, empörte sich Omi und starrte Nagi entrüstet an. Er blinzelte und straffte sich schließlich. Wieso hatte er immer nur das Gefühl, dass dieser Blick ihn samt und sonders zu durchleuchten schien? „Es geht schon, ich bin schließlich keine Memme!“, murrte er und ging in Richtung Aufzug. "Bist du nicht?", fragte Nagi scheinbar sichtlich erstaunt, konnte aber durch die hochgezogenen Schultern, die verkrampfte, da betont normale Gehweise vortäuschen wollend, erkennen, dass er Schmerzen hatte. "Morgen bist du verspannt weil du derart verkrampft keine Memme bist!", schmunzelte Nagi nun tatsächlich, denn es amüsierte ihn, wie vehement der andere sich vor ihm tapfer gab. Omi widerstand dem Drang, sich aufzuplustern und den Telekineten von oben herab anzusehen, schon alleine deswegen, da Naoe sowieso größer war als er. Da machte der sich auch noch lustig über ihn! Na das glaubte er wohl! „Dann kannst du ja zur Massage kommen, wenn du schon darüber lachst“, lächelte er dunkel. „Die Adresse kennst du schließlich.“ Dieses Lächeln trieb Nagi die zarte Röte auf die Wangen, hatte er doch intuitiv den Verdacht, dass es zweideutig gemeint war. Er trat mit in den Aufzug ein, als die Türen sich öffneten und wandte dem Weiß sein Profil zu und wahrte mehr Abstand als zuvor. "Ich laufe ungern in eine Falle", sagte er um sich mit diesen Worten zu retten. Er wusste nicht, was er von diesem Satz halten sollte ... Massage ... warum machte der Weiß ständig solche Andeutungen. Um ihn lächerlich zu machen? Vermutlich. Omi lachte leise. „Na was sage ich? Du nimmst alles zu ernst. Bierernst. Meine Güte, hier will dich niemand in eine Falle locken, warum sollten wir? Damit Ran Stress mit Schuldig bekommt? Sicherlich…hältst du uns für so dumm?“ Der blonde Weiß hoffte es nicht. Er drückte den Knopf zum Erdgeschoss und wartete einen Moment schweigend, bis sich der Aufzug in Bewegung setzte. Nagis Kopf ruckte zu Omi und seine Lippen waren hart aufeinander gepresst. "Ich möchte nicht auf dem Untersuchungstisch von Kritiker oder sonst jemandem landen", sagte er leise und tonlos. "Das ist mir ernst genug. Vertrauen kann ich mir nicht leisten. Und selbst wenn ... sie Schuldig und seinem Partner geschuldet ist ... wer kann dir sagen, ob Kritiker euch nicht abhören und euer Domizil jede Minute des Tages observiert wird." Nagis Augen waren weit geöffnet, eindringlich blickten sie Omi an als suchten sie etwas in ihm. „Ich kann dir auch so sagen, dass das der Fall ist. Natürlich bewachen Kritiker uns, besonders jetzt, seitdem Ran nicht mehr da ist. Sie glauben ja schließlich, dass wir mit euch gemeinsame Sache machen.“ Omi schnaubte, schüttelte den Kopf. Sein Blick glitt über die Gestalt des anderen, maß ihn verstohlen von Kopf bis Fuß. Und außerdem…du würdest sowieso nur auf meinem Untersuchungsbett landen, stellte er für sich fest, sich noch nicht bewusst, dass er genau das auch noch laut ausgesprochen hatte. Der Blick war ihm entgangen - die darauf vermeintlich nur in Gedanken geäußerten Worte nicht. "... Bett? Was soll das? Was...?" Misstrauen wurzelte tief in ihm. Sein Körper spannte sich an, jede Zelle lud sich energetisch auf. Wut preschte in ihm ungefiltert heran und ohne dass er es steuern konnte, schossen seine Hände voran und seine Fähigkeiten ließen den Weiß gegen die Wand des Aufzuges prallen. Die Entladung ließ ihre Kleidung und Haare flattern wie Fahnen im Wind. Und erst das extreme Ruckeln des Aufzuges ließ ihn wieder zur Besinnung kommen und die Sekunden währende Anspannung aus seinen Armen nehmen und die Hände senkten sich wieder. Heftig atmend blickte er zu dem zuckenden Licht über ihren Köpfen. Es erlosch. Er war verwirrt. Sie standen. „Ah….SCHEIßE!“, keuchte Omi und rang mühevoll nach Luft. Er war die Wand heruntergerutscht und saß nun auf dem Boden, das Gesicht schmerzverzogen. „Sag mal, HAST du sie noch alle, hier grundlos so ein Theater zu veranstalten?!“ Er blinzelte gegen die Dunkelheit an, versuchte, in dem ganzen Gewirr zu sich zu kommen und herauszufinden, was eigentlich passiert war. Und anhand der entsetzten, schwarzschen Worte erstmal auf den Gedanken zu kommen, dass er sich verplappert hatte, aber gehörig. Ups. Trotzdem kein Grund, so auszurasten. Und nun hatten sie den Salat. Vermutlich hatte der Telekinet die Elektronik außer Kraft gesetzt und sie saßen hier fest. Er…mit dieser prüden, männlichen Zicke, was er dieses Mal aber wohlweißlich für sich behielt. "Ich..." Weiter kam Nagi nicht. Er hatte überreagiert. Natürlich ... wie so oft. Warum hatte er sich nicht beherrscht! Er hatte doch trainiert. Er war so nahe dran gewesen, sich kontrollieren zu können. So nahe dran. Wütend schrie er auf. "Ich war so nahe dran gewesen, so nahe und wegen dir bin ich wieder da, wo ich vorher war!" Die Notbeleuchtung des Lifts sprang an, tauchte sie in kühles blaues Licht. Nagis Gesichtsausdruck hatte immer noch etwas von Unfassbarkeit. Seine Hände kribbelten und waren heiß, im Aufzug war es jedoch schlagartig kalt geworden. Ein Anzeichen von PSI-Tätigkeit. Sein Atem kondensierte vor seinem Gesicht. Es war eine starke Beeinflussung der Materie gewesen ... lange würde es nicht andauern. „HA! Das ist ja noch schöner!“, wetterte Omi dagegen und fröstelte. Es war verdammt kalt hier drin. Aber wirklich kalt. „Ich habe zwar keine Ahnung, WAS du meinst, aber gib mir ruhig die Schuld an DEINEM Versagen. Sicherlich! Ich bin Schuld…jeder andere, nur nicht du.“ Omi zischte über diese Unfassbarkeit in den Zügen des anderen und vergrub seine frierenden Hände unter den Achseln. Er hatte versagt, genau das war es. Nagi ließ sich an der Wand hinabgleiten und setzte sich auf den Boden, starrte auf seine Hände. Würde er es schaffen jemals seine unkontrollierbaren Wutausbrüche in den Griff zu bekommen? Wohl kaum, sagte er sich selbst und ließ die Hände in seinen Schoß sinken, blickte auf zur erloschenen Anzeige. Den kleinen Leuchtdioden, die ihnen die Stockwerke anzeigten, die sie passiert hatten, fehlte jeder Lebensfunke. Ohne auf den anderen zu achten, erhob er sich erneut und betätigte den Hilferuf. "Der Temperaturabfall gehört zu den thermischen Phänomenen, die durchaus bei Levitationen oder Telekinese mit auftreten können", sagte er den Blick noch immer auf die Armatur gerichtet. Er hatte bemerkt, wie der andere fröstelte. Omi starrte Nagi wortlos, schweigend an. Er wurde nicht schlau aus diesem jungen Mann, absolut nicht. Er wusste nicht, was er mit dessen Verhalten anfangen sollte. „Warum bist du so gereizt?“, fragte er ruhig, ohne Zusammenhang und ohne auf die Worte einzugehen, die er durchaus vernommen hatte. Ihm schien im Moment einfach wichtiger, endlich einen Anhaltspunkt zu bekommen, wie er mit dem jungen Schwarz umgehen sollte, ohne dass dieser seinen Kräften freien Lauf ließ, deren Nachwirkungen ihm wie die Einflüsse von Geistern vorkamen. "Warum interessiert dich das?" Nagi wartete stoisch, bis sich eine Stimme meldete und er ihr Problem mitteilen konnte. Natürlich erwähnte er die Worte ‚Paranormale Aktivitäten’ nicht und ersetzte sie durch ‚womöglich ein Stromausfall’, erwähnte somit nur das Ergebnis und nicht die Ursache für ihr Dilemma. Der Mann in der Zentrale des technischen Dienstes sagte ihnen baldige Hilfe zu und eine Überprüfung. Somit waren sie wieder alleine, als es in der Sprechverbindung knackte und der Mann sich verabschiedete. „Weil ich langsam die Schnauze voll davon habe, an die eine oder andere Wand gepresst zu werden. Ich hätte gerne gewusst, wie ich das verhindern kann. Das ist alles.“ Omi verschränkte die Hände vor seiner Brust und starrte den Anderen schneidend an. Er hatte wirklich genug davon, wirklich. Zumal ein Teil in ihm auch keinen Streit wollte. Wie weit wollte Nagi gehen? Wie weit sich aus dem Fenster lehnen? Und entgegen seiner inneren Warnungen und auch einem besseren Wissen zum Trotz erwog er eine Antwort, als er die nach unten gezogenen Mundwinkel fixierte. "Das kannst du gut", sagte er ernst. „Was?“, fragte Omi misstrauisch und schob seine Unterlippe noch ein Stückchen mehr vor, bis er sich bewusst wurde, dass es genau das war, was der Schwarz meinte. Er schnaubte, straffte sich. „Sehr nützlich manchmal“, erklärte er. „Also…warum bist du so gereizt?“ Amüsiert verbiss sich Nagi ein Lachen. Warum er also gereizt reagiert hatte? "Warum amüsieren dich die Ängste jemandes der Furcht vor dieser Auslieferung bei Kritiker hat? Warum ziehst du es ins Lächerliche und wandelst es in eine anzügliche Bemerkung um? Genau das macht mich wütend." Nun gut, das war ein Hauptgrund. Ein weiterer Grund war tatsächlich die Erwähnung des Bettes. Somit hatte diese Bemerkung einen sexuellen Touch und nichts lag ihm ferner, als auf einem Untersuchungsbett zu liegen. Na das war doch schon mal eine ehrliche Antwort. Wenn auch eine, die ihn überraschte. „Ich hatte nicht beabsichtigt, sie ins Lächerliche zu ziehen. Wir beide wissen genau, dass Kritiker nicht an euch herankommen können. Schuldig hat es unlängst bewiesen. Sie wissen einfach zu wenig über euch. Geschweige denn sind sie in der Lage, mit euren Kräften umzugehen“, erwiderte Omi wahrheitsgemäß, verspürte den seltsamen Drang, Nagi zu beruhigen, ihm diese Vorstellung auszureden. „Und anzüglich…“ Er zuckte mit den Schultern. „Wer gut aussieht, erregt nun mal Aufmerksamkeit.“ Die Hitze schoss in Nagis Wangen und er wollte etwas erwidern, klappte jedoch den Mund erst einmal wieder zu. "Du ... hältst mich für gut aussehend?" Er schüttelte den Kopf, als würde er es nicht verstehen und wischte dieses Thema uninteressiert zur Seite. "Wir können uns nicht gegen alle Menschen in dieser Stadt sichern. Jeder könnte ein Spitzel sein. Es ist schon ein Risiko, sich einen festen Wohnsitz zu leisten. Schon allein die Tatsache, wie viel Strom ich für die Rechner benötige, könnte uns auffliegen lassen. Durch solche simplen Dinge ... nicht durch Sondereinsatzkommandos. Sich sicher zu fühlen ... ist ein Luxus, den wir uns nicht erlauben. Auch wenn ihr denkt, wir tun es." Kein Luxus, es wäre dumm. Crawfords Scheinfirma war mehr als nützlich und tarnte sie. „Aber ihr könnt euch besser absichern als wir. Ihr habt Crawford und ihr habt Schuldig. Du kannst dich mittels deiner Kraft verteidigen. Das ist schon mal etwas“, hielt Omi dagegen, war jedoch innerlich erstaunt über die Ansichten des Schwarz. Es war für sie ebenso unsicher wie für Weiß? Das war ihm neu gewesen, wirklich neu. Doch anscheinend hatte das Leben, das Schwarz führten, auch seine Schattenseiten. Nagi konnte sich schon denken, dass es kein Zufall war, sich einen Blumenladen für die Tarnung auszuwählen. Schließlich fiel somit die Erklärung für hohe Stromkosten flach. Die Geräte für die Klimatisierung der Pflanzen fraßen Strom noch und nöcher. Außerdem sorgte er für ein gelungenes Alibi, von Tarnung ganz zu Schweigen vor allem, wenn man zusätzlich einen Blumenlieferservice betrieb. "Ja mittels meiner Kräfte verteidigen und gleichzeitig zur Zielscheibe werden." „Gibt es jemanden, der mächtiger ist als ihr?“, fragte Omi ungläubig, konnte er es sich doch fast nicht denken. Für Weiß war die gegnerische Gruppierung immer…übermächtig gewesen. Erst Recht, als sie Aya hatten und sie selbst völlig hilflos gewesen waren. Besonders da hatte er begriffen, dass Schwarz nur mit ihnen spielten, eben weil sie es sich erlauben konnten. Weil sie es nicht nötig hatten, ernst zu machen. Doch das schien nur die Spitze des Eisberges, wie immer. "Hast du SZ vergessen? Es wäre maßlose Dummheit, würden wir uns selbst überschätzen. Ein winziger, überheblicher Fehler und wir landen in Gummizellen mit dem Freibrief ins Niemandsland. Glaubst du, irgendjemand der Geheimdienste aus den Staaten oder sonst wo würde sich diese Fähigkeiten entgehen lassen? Selbst Hitler hat PSI Versuche unternommen. Wir sind selten, da unsere Fähigkeiten die Norm übersteigen. Crawford wurde Vertrauen einmal beinahe zum Verhängnis. Ein Freund verkaufte ihn für ein Kopfgeld an die CIA, für eine Untergruppierung. Wir sind niemals sicher." Nagi schlug auf das erloschene Display ein um seiner Wut dieses Mal auf andere Art Luft zu machen. Omi runzelte die Stirn. Er begriff langsam, was es für eine Bürde war, mit dieser Gabe zu leben. Was diese Arroganz ausmachte, die Schwarz innehatten. Sie waren allesamt Überlebende eines Schicksals, das Omi hassen würde. Immer auf der Flucht, immer in Angst…er hätte aufgegeben. Schon längst. „Und wie könnt ihr damit leben?“, fragte er. "Und wie kannst du mit deiner Vergangenheit leben?", schickte Nagi die Frage zurück und meinte die Antwort schon zu kennen: Weil er es musste. Was blieb ihm schon übrig? "Ihr glaubtet, wir arbeiteten freiwillig für SZ?", fragte er leise und hörte über sich Schritte, vermutlich waren sie in einem Zwischenstockwerk zum Stehen gekommen. „Ja, das haben wir und genau genommen habe ich bis eben immer noch geglaubt. Alles andere schien mir zu abwegig. Zu menschlich, ich weiß es nicht. Wir haben über Jahre hinweg so sehr die dunklen Monster in euch gesehen, dass wir es vermutlich am Ende selbst nicht wahrhaben wollten, dass wir uns geirrt haben.“ Omi verstummte ebenso und sah hoch. War das der Wartungsdienst? Der die hier rausholen würde? Er hoffte es…inständig. "Es ist bequemer, die Monster zu sehen. Aber wir sind es dennoch - monströs. Wir tun, was wir tun, weil wir davon nicht loskommen. Es ist, als wären wir im Krieg gewesen und dieser Krieg lässt uns nicht los. Nutzlos, sich einzubilden wir wären arme, mitleidserregende Kreaturen, die für ihr Los nichts können. SZ haben uns aufgenommen, uns einen Rahmen gegeben, doch dieser Rahmen war aus Blei und Blut geschmiedet und er lässt uns nicht frei. Ich vergesse nie, dass wir es waren, die sie töten wollten, und dafür war uns jedes Mittel Recht." „Jeder ist irgendwie schuldig…es kommt nur immer darauf an, was man daraus lernt“, erwiderte Omi und seufzte. Ihm war das Thema nicht geheuer. Natürlich hatten sie mit Schwarz einen inoffiziellen Waffenstillstand, nachdem Ran…und Schuldig… ABER das hieß doch nicht, dass sie plötzlich menschlich miteinander umgehen sollten, oder? Doch, hieß es. Sie waren verbandelt, auf welch skurrile Art und Weise auch immer. Und würden sich immer und immer wieder über den Weg laufen, das wusste Omi einfach. „Aber ihr habt euch von SZ losgeeist, oder nicht?“ "Dank eures heldenhaften Einsatzes gegen uns galten wir als tot. Durch das Fehlen von SZs Führungsleuten zerbrach dieser Orden. Nur durch Crawfords Weitsicht konnten wir uns zum Schluss gegen sie behaupten. Das war unser Ziel seit einem Jahr gewesen, als ihr auf den Plan tratet." Nagi sprach leise. "Unsere Auftritte in der Öffentlichkeit reduzierten wir seither gen Null. Sobald Kameras in der Nähe sind, störe ich deren Signal. Ich bin mir sicher, Kritiker haben keine Aufnahmen von uns. Soweit ich weiß, gelten wir als tot, nur Kritiker jagen uns weiterhin, wollen die anderen Geheimdienste überzeugen, dass die Fata Morgana, hinter der sie herjagen, keine ist." „Zumindest haben sie jetzt den Beweis. Schließlich waren es Kritiker, die wussten, wo Schuldig damals zu finden war, nicht wir. Und das hat Rans Entführung nun auch nicht besser gemacht. Sie sind jetzt nur noch umso intensiver hinter euch her, glauben sie doch, dass es euch gelungen ist, unseren Anführer soweit zu beeinflussen, dass er auf eure Seite gewechselt ist.“ Omi zuckte mit den Schultern. "Kritiker...", zischte Nagi verächtlich. "Es geht nicht um Kritiker. Die anderen sind das Problem. Das einzig Gute an Kritiker ist ihr Nationalismus und die Weigerung, mit ausländischen Behörden zusammenzuarbeiten. Sie wollen Japans Problem allein lösen. Gute Einstellung." „Seid froh drum“, lachte Omi leise, aber bitter und verstummte, als sich die Tür öffnete und ein Kopf in der Tür erschien. „He, ihr beiden da unten! Wir holen euch raus, kann sich nur noch um Momente handeln!“, schallte die Stimme des Wärters durch die kleine Kabine zu ihnen und brach sich an den Plastikwänden. Augenblicke später erschien eine kleine Trittleiter durch die Öffnung. Omi rollte mit den Augen. Na wunderbar. Wie sollte ER da hochkommen? Das fragte sich Nagi auch. "Mein Freund hier ist verletzt. Er kann die Leiter nicht erklimmen", sagte er der Einfachheit halber. "Gibt es keine andere Möglichkeit?" „Ja, ihr wartet noch zwei Stunden, dann ist unser Fachmann wieder da und der bringt den Aufzug zum Laufen. DAS ist die andere Möglichkeit“, tönte es zurück und Omi verspürte wirklich Lust, dem Mann dort den Hals umzudrehen. Danke auch. Sehr hilfsbereit. „Ich versuch’s so“, wandte er sich schulterzuckend an Nagi und kämpfte sich in die Höhe. Er humpelte zur Leiter, stemmte sich mit seinem gesunden Bein hoch. Eisern biss er die Zähne aufeinander. Verdammt…das tat WEH. Es SCHMERZTE! Nagi konnte das Zusammenzucken sehen, die Knöchel, wie sie weiß hervortraten. Das würde er nicht schaffen, ihm fehlte das Adrenalin eines Einsatzes um diese Schmerzen zu überwinden. Außerdem würde er sich das Band womöglich ernsthaft verletzen. "Memme", flüsterte er kühl lächelnd und zog den Weiß wieder von der Leiter, nur um mit ihm fast hinzufallen. "Wir warten, gehen Sie und holen Sie ihren Techniker", rief er nach oben, Takatori junior immer noch haltend. "Du förderst so nicht die Heilung" Omi stolperte scheinbar so ungeschickt, dass sein Ellenbogen direkt Nagis Rippen traf…na sowas. Er war aber auch ein Tölpel. „Tatsächlich nicht?“, lächelte er zuckersüß. „Hätte ich Memme denn warten sollen, bis du mich trägst?“ "Ein Schmerzmittel hätte es auch getan", rieb sich Nagi seine Seite, die in unfreundlichen Kontakt mit Omis Ellbogen getreten war. Der Techniker ging wie seine Schritte ihnen verdeutlichten. Er wartete, bis der Mann weg war, als er die Leiter an einer Sprosse fasste und Anstalten machte, nach oben zu kommen. „Ja super! Jetzt lass mich hier auch noch alleine.“ Omi schnaubte, lehnte sich an die Wand und funkelte den ihm zugewandten Rücken wütend entgegen. Nagi drehte sich leicht auf der Leiter herum, seine Augen nahmen einen violetten Glanz an, als er sich zurückließ und frei schwebend vor der Leiter zu Omi blickte. "Das heißt also, meine Gesellschaft ist dir nicht zuwider, ich dachte du wolltest mich loswerden? Hier ist jetzt deine Gelegenheit!" Ein blumiger Duft lag plötzlich in der Luft, nur fehlte diesmal der Temperatursturz. Darüber verzog Nagi unwillig den Mund und seine Stirn legte sich in Falten. Weshalb geschah das immer, wenn er levitierte? Jetzt, genau in diesem Moment hatte Omi wirklich Angst. Es schien zu surreal, so unmöglich, dass der andere dort frei schwebte, dass es ihm vorkam, als hätte er einen Geist vor sich. Und in diesem krassen Gegensatz stand dann auch dieser angenehme Geruch. Frühlingsgeruch…wie von einer der Feen, von denen seine Mutter ihm so oft erzählt hatte. Doch diese Fee war kein sanftes Wesen, zumindest fürchtete Omi das. Auch wenn es irrational war, wie er wusste. „Dann geh“, stieß er hervor und lehnte sich an die Kabinenwand, die Arme abweisend – Schutz suchend? – vor seiner Brust verschränkt. "Nimm nicht alles so ernst", lächelte Nagi zaghaft. Es waren ähnliche Worte, wie sie Omi ihm gesagt hatte. Nagi wurde bewusst, dass Omi wirklich Angst hatte, er würde ihn hier sitzen lassen mit der Gewissheit, der Fahrstuhl stürze die vielen Meter auf den Boden. Wer wusste schon, was er durch seine Telekinese angerichtet hatte. "Ich bin gleich wieder da, ich will mir nur ansehen, ob ich etwas Ernstes beschädigt habe." Und schon schwebte er durch die Öffnung, landete auf dem Dach der Kabine. Ein kleiner Kasten zeigte ihm die Elektronik, doch es war nichts zu sehen, was den Aufzug ernsthaft gefährlich werden lassen konnte. Aufzugtechnik war sicher keines seiner Spezialgebiete, aber die Notversorgung war nicht zerstört und somit auch nicht die moderne Bremstechnik. Wenig später glitt er wieder hinunter. "Scheint, als hätte ich nichts zerstört, was uns ernsthaft gefährlich werden könnte." Omi sah weg. Er konnte es nicht mehr mit ansehen. Es schien, als erwachten alle Bilder aus den alten Horrorfilmen und gaukelten ihm vor, dass hier ein lebendiger Geist vor ihm stand, der auch noch durch die Notbeleuchtung des Aufzuges dürftig erhellt in unwirkliches Licht getaucht wurde. „Stell dich endlich hin, verdammt“, zischte der junge Weiß, ungehalten über seine eigene Angst, ungehalten über diese Schwäche. Und das tat Nagi auch. "Was hast du?", fragte er und das Verhalten des anderen weckte alte Ängste bei ihm. Er sah die Ablehnung, roch fast die Angst, die den leichten Duft vertrieb. So war es früher gewesen. Sie hatten ihn gehasst, ihn verstoßen, ihn nie gewollt, nicht einmal seine Mutter oder sein Vater hatten ihn gewollt. Er starrte noch immer auf Omi. Dieses abgewandte Gesicht, die Haltung. "Ich ... kann nach oben gehen, wenn es dir lieber ist?", fragte er ruhig, die alte Kälte war in seine Stimme gekrochen, schützte ihn. „Nein“, bestimmte Omi unwirsch, fühlte sich nun sicherer, auch wenn es immer noch der gleiche Mensch war, der vor ihm stand. Es war paradox, wie sehr ein Detail doch einschlagen konnte, wie sehr es die Wahrnehmung verändern konnte. „Es ist nichts. Wir warten hier, bis der Typ kommt und fertig aus.“ Eine finite Geste folgte seinen Worten und er sah auf, sah Nagi direkt an, wollte ihm beweisen, dass er keine Angst hatte. Was ja auch völlig unnötig war. Eine Lüge. Aber er log gut. Ausgesprochen gut. Nagi konnte sie nicht aus seinen Augen lesen. Natürlich war etwas. Der Telekinet nickte nur und ließ sich hinunter auf den Boden, zog die Beine an und wickelte seine Arme darum, hüllte sich äußerlich wie innerlich in eine Blase ein. Es würde sich nie etwas ändern ... und das selbst wenn er seine Kräfte dosiert einsetzte. Und auch ... selbst bei den Menschen, die ihn ... schon als Akteur kannten. Er war so froh, dass wenigstens Jei, Brad und Schuldig wie er waren und sie wussten, wovon sie sprachen, wenn sie ihn auslachten, wenn er im Selbstmitleid versinken wollte. Von ihnen konnte er sich wenigstens auslachen lassen. Sie hatten keine Angst vor ihm. Respekt. Keine Angst. Omi runzelte die Stirn. Er wurde das Gefühl nicht los, mit seinen Worten eine solche Reaktion in dem jungen Schwarz hervorgerufen zu haben. Aber das konnte doch nicht sein, oder? Etwas hilflos verzog er seine Lippen, starrte unwirsch auf die kauernder Gestalt vor sich. „Was ist los?“, fragte er schließlich, selbst in seinen Ohren unbeholfen. "Nichts, was nicht so sein sollte, wie es ist." Nagi zuckte mit den Schultern. Es war gut, wenn der andere Angst vor ihm hatte. Sollte er schließlich auch! Wäre ja noch schöner... Wen wollte er damit eigentlich belügen? „Und was wäre das?“, hakte Omi nach und verhärtete seinen Blick auf Nagi. Es war klar, dass dieser ihm eine ausweichende Antwort gab, natürlich. Doch das hieß noch lange nicht, dass er sie akzeptieren musste. Nagi presste die Zähne zusammen. Aber egal, wie lange er schwieg, nach ein paar Minuten wusste er, dass der Blonde nicht klein beigeben würde. "Du hast Angst. Das soll so sein. Ist doch gut, wenn du sie vor mir hast", sagte er tonlos, schützte sich hinter dieser blanken Aussage ohne Erkennung, ob er hinter ihr stand oder sie sarkastisch gemeint war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)