Der Glasgarten von Gadreel_Coco ================================================================================ Kapitel 41: Schwerelos ---------------------- ~ Schwerelos ~ Ein Lachen antwortete dem Schwarz. Na, so überzeugt wie er versuchte, seine Gleichgültigkeit herüber zu bringen, klappte das wohl nicht. „Natürlich habe ich Angst, wenn ich sehe, wie du frei in der Luft schwebst. Angst vor den bösen großen schwarzen Monstern mit riesigen schiefen Zähnen und furchtbaren Schleimschuppen, die in meiner Kindheit unter dem Bett gelauert haben. Die bösen Geister, denen man zwangsläufig in Horrorfilmen begegnet. Das heißt aber nicht, dass ich nicht zu unterscheiden weiß, was sie sind und was du bist. Es war nur eine Überreaktion.“ "Wenn das die einzigen Monster deiner Kindheit waren...", sagte Nagi leise und ließ den Satz unvollendet. "Ich kenne diese ‚Überreaktionen’ zu genüge. Und ich verstehe sie. Ich würde mich auch nicht mögen, würde ich zu den anderen gehören. Warten wir, bis der Techniker zurückkommt." Er wollte das Gespräch von sich lenken. Er mochte es nicht, wenn es um ihn ging. Er hasste es geradezu, wenn man ihn ansah, wenn er auffiel. Omi ließ die erste Antwort ohne jeglichen Kommentar gehen. Es tat nichts zur Sache, dass diese Monster menschliche Gestalt hatten, das ging den Schwarz nichts an. Er verfiel in stummes Brüten, sagte nichts weiter dazu. Ja, warteten sie am Besten auf den Techniker. Der würde ihnen hier raushelfen. Und dann konnte er nach Hause humpeln. Irgendwie. Nach einiger Zeit des stummen Wartens bemerkte Nagi, dass er den Anderen beobachtete. Er linste über seine verschränkten Arme und vertrieb sich die Zeit damit den Weiß zu studieren. Warum interessierte es ihn, was der andere tat, wie er sich die Zeit vertrieb? Das blonde Haar sah aus, als müsste man es glatt streichen, so durcheinander gewirbelt lagen die Strähnen. Nagi erinnerte sich an die Berührung durch seine Hände als er - aus einer dummen Laune heraus - Omis Augen zugehalten hatte. Wie weich die Haut sich angefühlt hatte... Es war Zufall, dass der blonde Weiß aufsah, Zufall, dass seine Augen die des Telekineten trafen. Er runzelte die Stirn, hielt beinahe schon herausfordernd den Blick Nagis und ließ dessen Musterung unbewegt über sich ergehen. Schlimmer als er konnte der Schwarz nicht sein. Wenn er schon seine Gedanken ausplauderte, dann musste der Andere wohl oder übel nachziehen…aber gut. Darauf war er jetzt gefasst. Doch Nagi konnte den Blick nicht lange halten, ohne dass er die obligatorische Wärme in seinem Gesicht spürte und ihm ganz heiß wurde. Er barg sein heißes Gesicht wieder in seinen auf den Knien verschränkten Armen und hoffte das Notlicht mochte seine Röte verborgen haben. Warum benahm er sich nur derart kindisch? Es war peinlich. Das fand Omi auch…nach ein paar weiteren Momenten. Sie saßen hier und sagten kein Wort, starrten sich nur an, als wären sie sich fremd, was nicht stimmte. Der blonde Weiß ließ seinen Blick innerlich aufseufzend zur Decke gleiten. War das Leben kompliziert? Ja! Ja, verdammt! „Warst du in der letzten Zeit bei Schuldig?“, fragte er unverhofft. "Nein", blickte Nagi auf und löste seine verschlossene Haltung etwas, die Beine ließ er angezogen, nur die Hände legte er in den Schoß. "Er zieht es vor allein zu sein. Mit dieser neuen... Gegebenheit verhält es sich nicht anders. Wir sehen uns nur zu Aufträgen. Wenn er uns sehen will, kommt er sicherlich." Nagi lehnte den Kopf an das Metall an. "Weshalb fragst du?" Omi zögerte einen langen Moment, bevor er antwortete. „Wegen Ran. Ich würde gerne wissen, wie er sich macht. Ob es ihm gut geht, wenn wir nicht dabei sind. Er ist…manchmal etwas destruktiv.“ Er zuckte mit den Schultern, tat es als unwichtig ab, wenngleich er genau wusste, dass es eben das nicht war. Er machte sich viele Gedanken und vor allen Dingen große Sorgen um ihren Anführer. "Er würde dir nicht die Wahrheit sagen, wenn du ihn fragst, wie es ihm geht, meinst du das damit? Ich glaube, keiner von uns ist begeistert von dieser Affäre. Selbst euer Anführer und Schuldig wollten es nicht, aber sie konnten sich gegen ihre ... dummen ... wie auch immer gearteten Gefühle nicht wehren. Es ist so weit hergeholt ... ich verstehe immer noch nicht, wie Schuldig sich auf ... gerade auf euren Anführer einlassen konnte...", sinnierte Nagi vor sich hin, scheinbar eine plausible Erklärung suchend. „Natürlich würde er mir nicht die Wahrheit sagen…er ist einfach zu stur dafür. Aber so wenig es Schuldig und Ran auch nicht wollten, so sehr…kletten sie nun aufeinander. So schnell kann’s gehen. Der Reiz des Schrecklichen, oder wie sagt man so schön? Zumal…EUER Rotschopf mit seinem ‚Urlaub’, in den er Ran gesteckt hat, ja wohl den Grundstein gelegt hat.“ Omi schob die Unterlippe vor. „Du sagst das so abwertend, als könnte dir das nicht passieren.“ "Schuldigs Gedankengänge bleiben auch uns manchmal ein Rätsel", sagte Nagi ironisch. Aber was hatte er selbst schon wieder damit zu tun? "Mir?", hob er den Kopf vom Metall und legte ihn schief, konnte sich ein trockenes Schlucken nicht verbeißen, zumal Omis Geheimwaffe wieder zum Einsatz kam. "Nein ... mir passiert so etwas nicht! Ganz bestimmt nicht! Oder wen meinst du, sollte ich in Erwägung ziehen?", verzog er den Mund zu einem ironischen Lächeln um seine innere Nervosität zu überspielen. Wie er dieses Thema hasste. Warum kam der Weiß immer darauf? „Keine Ahnung? Wer weiß, wo die Liebe hinfällt. Was weiß ich, in wen du dich verguckst…ich kann deine Gedanken schließlich nicht lesen“, gab Omi schulterzuckend zurück und lächelte. „Dass es ihm nicht passieren wird, hat sicherlich auch Schuldig gesagt und sieh ihn dir jetzt an…praktisch schon vorm Altar. So schnell kann’s gehen. Wusstest du, dass er sich von Ran füttern lässt?“ Das brach nun wirklich die Dämme von Nagis eiserner Zurückhaltung, Beherrschung und sogar seiner Kühle und er musste tatsächlich grinsen. Das Waschweibergeschwätz welchem sie hier frönten ... es hatte etwas Normales an sich. Es war als würde er lästern ... wie damals in der Schule. Nur war es diesmal nicht er, der hier das Thema war. Er fühlte sich jetzt nicht ausgeschlossen. "Er lässt sich was? Du meinst der große…" Er formte das Wort ‚Mastermind’ "… lässt sich vom großen, finsteren, kalten", wieder formte er nur den Codenamen des Weißanführers. "… füttern?" Misstrauisch kniff er die Augen zusammen. "Woher weißt du das?" Es hörte sich eher an wie: Woher hast du die Informationen? Kann man der Quelle trauen? "Wobei ... wenn ich daran denke, was die zwei gemacht haben während wir im stillen Raum saßen...“, gab er zu bedenken. Dachte Omi gerade noch, er hatte den anderen Jungen endlich aus der Bahn bringen können, so wurde er nun eines Besseren belehrt. „Wie? Was sie getrieben haben? Du meinst doch nicht…ach QUATSCH!“, stritt er kategorisch und doch völlig nutzlos alles ab, was sich ihm aufdrängte. Verfiel dann für einen Moment in dumpfes Brüten und sah dann ein, dass es gut und gerne so gewesen sein konnte. „Na klar. Ich hab’s selbst gesehen. Es war ein Stück Kuchen“, erwiderte er schließlich auf die Frage des Telekineten, spiegelte das Grinsen. „Von MIR gebacken. Und Schuldig war handzahm, ich sage es dir. Ran allerdings auch“, fügte er säuerlich an. Ein Stück Kuchen. "Du kannst backen?", fragte Nagi und er konnte den Blonden am Backofen stehen sehen, wie er nach dem Kuchen sah. Er taxierte ihn wie er da saß, maß ihn. "Das hätte ich nicht gedacht." „Natürlich kann ich backen, alles, was du willst. Na?“ Nagi verfiel in kurzes Schweigen, starrte Omi lediglich an. Bis er sich unwohl zurechtruckelte. "Was meinst du mit ‚Na’?" Wollte dieser verrückte Weiß ihm einen Kuchen backen? Ganz bestimmt nicht, ätzte er in Gedanken. „Na wie ‚Na, bist du lebensmüde genug um dich von einem Tsukiyono’schen Kuchen vergiften zu lassen’ natürlich. Was dachtest du denn?“, hielt eben dieser dagegen und lächelte herausfordernd. Irgendwie hatte der Gedanke etwas… Youji, Ken, ich hab mal Nagi mit nach Hause gebracht…ihr dürftet ihn noch kennen, er gehört zu Schwarz. Ich backe ihm einen Kuchen. Sicherlich. Genauso würde er es sagen. Den Kopf schief legend sah Nagi aus, als würde er Omi taxieren. "Wie willst du das anstellen? Ich meine ... wo willst du ihn backen? Und ... da wäre noch eine Frage...", sagte er schmunzelnd. "Wie viel Rattengift ist darin enthalten? Ich habe eine Allergie gegen Rattengift." „In Anbetracht der Tatsache, dass wir bei uns vermutlich zu gefährdet wären, würde ich ja fast schon sagen, dass ich in der grauen Zone backe. Insofern Ran und euer Telepath den Backofen nicht für etwas anderes belegen.“ Er lachte, überrascht durch Nagis Scherz, allgemein überrascht, dass der junge Telekinet überhaupt dazu bereit war, mit ihm zu spaßen. Doch es war angenehm, wirklich. „Kein Rattengift also? Wie sieht es aus mit Schierling? Arsen?“ Dieses Lachen klang in Nagis Körper in Form von angenehmer und prickelnder Hitze nach. Dass er dafür verantwortlich war, diesem Blondschopf ein gelöstes Lachen entlockt zu haben erfüllte ihn mit seltsamen Gefühlen. "Mit Schokolade vielleicht? Gegen diese Zutat bin ich immun. Jahrelange tägliche Einnahme minimaler Mengen härtet ab!" Er sagte das im völligen Ernst, doch die leichte Röte auf seinen Wangen verriet den Spaß an diesem Spiel. „Schokolade?“, fragte Omi kritisch nach. „Meinst du nicht, dass das etwas ZU gefährlich ist? Was da alles passieren kann…“ Er lehnte sich halbwegs entspannt zurück. Es hatte definitiv etwas, hier mit dem Schwarz sitzen und scherzen zu können, auf einer nicht feindlichen, beinahe schon freundlichen Ebene. "Höchstens, dass ich süchtig werde. Wobei ...", spitzte Nagi die Lippen. "... es könnte natürlich sein, dass ich im Falle einer Überdosierung in einen schwärmerischen Zustand verfalle. Auch kein schöner Anblick, wenn ich dann den Kuchen anschwärme!", unheilte er. "Aber das Risiko gehe ich ein." „Ich auch! Also abgemacht, du fragst Schuldig, ob ich bei ihm backen kann. Dann hat Ran wenigstens auch etwas davon…und Schuldig natürlich auch…“ Omi lächelte, in seinem Herzen aufgewärmt durch das harmlose Spiel, das sie hier trieben. Erwärmt durch die Unbeschwertheit des Telekineten. Sie waren beide noch jung und das sah man hier. "Er wird ablehnen. Besser du fragst euren Anführer", erwiderte Nagi schnell. Er wusste um Schuldigs eifersüchtig gehütetes Heim - noch dazu das Haustierchen, welches er sich darin hielt. Noch eifersüchtiger gehütet als besagtes Heim. Nagi wollte sich besser nicht ausmalen wie kurz das Gespräch bei einem derartigen Vorschlag werden würde: Schuldig darf ich ... mit Omi bei dir einen Kuchen ba...? Weiter würde er nicht kommen ... wenn überhaupt soweit, bevor die Leitung nur noch einen abweisenden Ton von sich geben würde. „Abgemacht“, lächelte Omi und zog wie selbstverständlich sein Handy hervor und überprüfte, ob er überhaupt Empfang hatte. Und siehe da, durch den kleinen Schlitz, den der Techniker geschaffen hatte, kam genau Funk hinein, dass er mit einigen Mühen telefonieren konnte. Er wählte Ayas Nummer und wartete, bis sich am anderen Ende der Leitung eine durch und durch freundliche und ausgeglichene Stimme meldete. „Hallo Ran, ich in es Omi!“, grüßte er seinen Anführer freudig, erntete ein überraschtes Lachen. „Was kann ich für dich tun?“, fragte Aya zurück und Omi lächelte verlegen. „Ich hätte da eine Bitte an euch, Ran…“ Einen Moment Stille in der Leitung. „Und die wäre?“ „Ich möchte…“, er machte eine dramatische Pause. „…den Backofen benutzen. Einen Kuchen backen.“ Wieder Stille. „Und wieso kannst du das nicht im Koneko machen?“, fragte Aya dann amüsiert. „Weil du dann ja nichts davon hättest…und Schuldig auch nicht.“ Nagi verfolgte den Verlauf des Gespräches genauso interessiert wie ein scheinbar nicht interessiert aussehender Telepath, der unweit des Entscheidungsträgers saß und ein misstrauisches Gesicht zog. Da war doch etwas im Gange... Doch leider verstand Schuldig nicht, mit wem genau Ran sprach und leider auch nur die Hälfte. Weiter heran pirschen wollte er sich auch nicht, denn dann hätte er sich aus dem bequemen, warmen Kissenhaufen hervorquälen müssen. Also beließ er es dabei, sich halb zu verrenken und Ran beim Telefonieren zuzusehen. „Soso…“, erwiderte Aya äußerst skeptisch. Dieses Angebot schien ihm doch äußerst verdächtig. Auch wenn er sich durchaus freuen würde, Omi zu sehen, wirklich. Und dann noch einen Kuchen gebacken zu bekommen… „Warte einen Moment“, richtete er an den jungen Weiß und drehte sich zu Schuldig, sah, wie dieser mit Luchsohren um die Ecke lugte. Na so was. Da lauschte jemand. Aya hob vielsagend eine Augenbraue, nahm derweil den Hörer vom Ohr. „Omi möchte uns einen Besuch abstatten und die Küche nutzen“, richtete er nun offiziell an den Telepathen. „Er möchte uns einen Kuchen backen. Was hältst du davon?“ Im ersten Moment musste Schuldig äußerst dämlich ausgesehen haben, doch dann lachte er schallend und ließ sich auf die Kissen zurückfallen. "Wie alt sagtest du, ist er? Kuchen backen? Richte ihm aus, er soll gefälligst mit der Wahrheit herausrücken, sonst setzt er keinen Fuß in diese Wohnung", lachte er noch immer, doch die Worte waren durchaus ernst zu verstehen. Er wollte hier nicht ständig der Dreh- und Angelpunkt von Weiß und Schwarz sein. Es war zu gefährlich. Aya runzelte die Stirn und wandte sich schließlich ab. Er ging in die Küche, dort, wo Schuldig ihn nicht so schnell hören konnte. Schuldigs Ton und seine Worte hatten ihm zu denken gegeben…sie hatten ihm nicht gefallen, nicht, wie sie der Telepath geäußert hatte. Er setzte sich auf einen der Barhocker und drehte sich vom Raum weg zum Fenster hin. „Also…du hast gehört, was Schuldig gesagt hat. Warum?“ Er hörte ein nervöses Schlucken, begleitet durch ein Rauschen. „Na also Ran, eigentlich stecke ich hier gerade mit Nagi im Aufzug fest und wir haben darüber entschieden, dass ich ihm einen Kuchen backe. Da aber das Koneko zu gefährlich für ihn ist und ich garantiert nicht bei ihm auflaufe, dachte ich, wir könnten es bei euch beiden machen. Weil…du da bist. Und weil ich dich gerne sehen möchte. Nagi würde auch mitkommen.“ Aya grübelte. „Gut, ich werde mit Schuldig drüber sprechen, ich rufe dich gleich zurück.“ Er legte auf und starrte aus dem Fenster, für einen Moment gedankenverloren. Es wäre sicherlich schön, wenn Omi käme… Er erhob sich und streunte zurück in den Wohnraum, gab Schuldig das wieder, was Omi gesagt hatte. Schuldig, der sich auf die Ellbogen aufgestützt hatte, ließ sich in die Kissen fallen und breitete die Arme hinter dem Kopf aus, streckte sich und blickte auf Rans ernste Miene. "Nagi und Omi also", sagte er sanft zu Ran, ein kleines Lächeln um die Mundwinkel spielend. "Das erklärt einiges. Sie sollen sich an die Regeln halten und vorsichtig sein", gab er seine Zustimmung und streckte die Hand nach Ran aus, zupfte an dessen Shirt. Er erntete dafür ein kurzes, jedoch flüchtiges Lächeln, als Aya nickte und den Rückruf betätigte. Es war schon erstaunlich, wie schnell Omi sich meldete. „Ihr könnt kommen, aber seid vorsichtig und seht zu, dass euch niemand verfolgt. Haltet euch an die Regeln“, gab er Schuldigs Gesagtes wieder und verabschiedete sich nach einem eindeutigen Ausruf der Freude von Omis Seite her von seinem Teamkollegen. Sah dann auf die nestelnde Hand hinab. Das Lächeln war zu vergänglich, der Blick zu abwägend. Also zog Schuldig die Hand zurück, ließ sie wie leblos auf die Kissen fallen. Dort lag er nun und blickte zu Ran hoch. Etwas beschäftigte Ran. Und Schuldig meinte zu wissen was dies war. "Fühlst du ... dich wie ein Gefangener ... wenn du mich fragen musst ... ob dich deine Freunde ... besuchen können?" Seine Stimme war derart leise, dass er glaubte Ran würde sie kaum vernehmen. Aya hatte sie durchaus vernommen, doch er schwieg. Schuldig…hatte Recht mit dem, was er sagte, auch wenn es Aya sich bis jetzt nie wirklich hatte eingestehen wollen. Er hatte es wieder und wieder verdrängen wollen, doch wo er jetzt darüber nachdachte… „Ja…das tue ich, auch wenn ich weiß, dass es deine Wohnung ist, dein Lebensraum, in dem ich mich befinde, mich Tag und Nacht aufhalte. Vielleicht ist es sogar genau das. Ich fühle mich unnütz. Ich bin hier…und mache nichts. Ich gehe nicht arbeiten, ich lebe von deinem Geld. Und ich weiß, dass ich das so nicht will. Ja, in gewisser Weise fühle ich mich wie ein Gefangener, weil ich genau weiß, dass die Entscheidungsfreiheit bei dir liegen sollte…“ "Heißt das, du hast keine Entscheidungsfreiheit?" Schuldig gefiel es nicht, dass Ran sich damit quälte. Aber er wusste um dieses Problem. Ran war niemand, der untätig war und nun war er dazu verdammt. Erneut hob Schuldig die Hand. "Komm bitte zu mir." "Du kannst entscheiden, ob deine Freunde hierher kommen dürfen. Nur sollten sie immer bedenken, dass sie uns damit gefährden. Uns und sich selbst. Deshalb ist es für mich immer ein Eingriff in unsere Sicherheit, wenn uns jemand besucht. Eben weil die Verbindung von Weiß zu Kritiker sehr kurz ist." Aya ergriff Schuldigs Hand und ließ sich von dem anderen Mann näher ziehen, kniete sich schließlich neben ihm auf die Kissen. „Das weiß ich. Aber ich…vermisse sie. Ich möchte niemanden missen…weder sie noch dich. Noch meine Arbeit. Irgendetwas.“ Aya zuckte mit den Schultern, seufzte leise. „Ich will irgendetwas als Gegenleistung bringen, nicht nur hier sitzen und auf deine Kosten leben. Vielleicht fühle ich mich dadurch in meiner Entscheidungsfreiheit beschränkt. Auf irgendeine verquere Art und Weise…“ Schuldig robbte näher zu Ran und bettete sein Haupt auf dessen Oberschenkel, umschlang ihn mit den Armen. Ran klang entmutigt und niedergeschlagen. Ein Zustand, der, falls er von Dauer wäre, über kurz oder lang zu einem ernsten Problem führen würde. "Wir finden etwas. Willst du etwas machen? Hast du eine Idee, etwas was du machen wolltest, bevor du in Kontakt mit dem Untergrund, Kritiker und diesem Leben getreten bist? Bevor das alles …passiert ist…" Aya lächelte auf Schuldig herab und strich ihm sanft durch die Feuermähne. Bitterkeit tränkte seine Gesichtszüge. „Ich wollte meine eigene Firma haben, so wie mein Vater auch. Ich wollte ins Ausland, meine Geschäftsbeziehungen überall in der ganzen Welt knüpfen und nur unterwegs sein. Und ich wollte eine Bar haben. Etwas, das nur mir gehört, das ich gestalten kann, wie ich will. Aber das sind keine Dinge, mit denen ich jetzt noch aufwarten kann. Vielleicht sollte ich mir einen Job bei den Häfen suchen. Oder auf dem Bau. Irgendetwas.“ "Eine Firma", grübelte Schuldig. Das ginge mit Rans Vorgeschichte wohl nicht mehr. "Was ist mit der Bar?" Er rappelte sich auf, stürzte sich verspielt auf Ran, damit dieser aus seiner trüben Stimmung kam und blickte ihm in die Augen. "Was ist damit?" Aya war doch immer wieder erstaunt, wie schnell Schuldig sein konnte. Wie überrumpelt er nun unten liegen und verwirrt blinzeln konnte. Schuldig hatte Erfolg mit seinem Vorhaben, denn für einen Moment lächelte Aya gelöst, gewärmt durch den Spieltrieb des Deutschen. So gut es ging zuckte er jedoch schließlich mit den Schultern und seufzte. „Was soll damit sein? Ein Hirngespinst, nichts weiter. Ich habe nicht das Kapital, um eine zu eröffnen. Und ich werde auch keins bekommen…vergiss nicht, dass wir für den Rest der Welt als tot gelten.“ "Ja nun...", murmelte Schuldig und er hatte bereits eine Idee. Aber ob Ran dem zustimmen würde, war fraglich. "Warum nur ein Hirngespinst?" Sein Blick intensivierte sich in die violetten Iriden und sein Gesicht war ein einziger Ausdruck der Konzentration. "Das Kapital ist nicht das Problem, Ran. Da lässt sich etwas machen. Das Problem ist, ob du es als Leihgabe annimmst." Ran würde sich nichts schenken lassen, das brauchte er gar nicht vorschlagen, soweit schätzte er ihn schon richtig ein. Aya runzelte die Stirn und schüttelte schließlich den Kopf. „Das möchte ich nicht, Schuldig. Ich schulde dir schon so viel…es kommt mir nicht richtig vor.“ Sein Blick schweifte ab, als ein kleiner Teil in ihm tatsächlich darüber nachdachte, wie es wäre, dieses Angebot anzunehmen und sich diesen kleinen Wunsch zu erfüllen, doch Aya drängte diesen Part in sich energisch zurück. Nein, er würde es nicht annehmen. Er hatte das Geld von Kritiker in die Pflege seiner Schwester investiert und nicht in seine Träume. Es hatte so sein sollen, diese Chance hatte er verpasst. Wissentlich und willentlich. Dafür musste er jetzt Rechnung tragen. "Ich meinte ja auch leihen. Du zahlst es zurück, wenn der Laden läuft!“, versuchte Schuldig es erneut. Die Geldmenge, die für das Startkapital von Nöten wäre, hätte er ohne Probleme. Vielleicht musste sich Ran auch nur an den Gedanken gewöhnen, etwas Neues auf die Beine zu stellen. Außerdem hatten sie noch das Problem mit Kritiker. Solange die Gruppierung auf der Bildfläche war, wäre Ran in der Öffentlichkeit gefährdet. Kommt Zeit, kommt Rat. Er würde das bestimmt nicht vergessen. "Wir finden einen Weg, hmm?", grinste er aufmunternd und platzierte einen zarten Kuss auf die Lippen, die aussahen, als bräuchten sie eine warme Berührung. Das brauchten sie in der Tat. Ayas Antwort erstarb auf seinen Lippen, als er Schuldig an sich zog und die sanfte Zärtlichkeitsbekundung des anderen Mannes erwiderte. Doch insgeheim wusste Aya, dass sie so keinen Weg finden würden, nicht, wenn sie das Thema auf später vertagten. Er hatte in den letzten Tagen und Wochen gemerkt, wie unruhig er war, wie sehr ihm etwas fehlte, an dem er arbeiten konnte. Das würde nicht besser werden mit der Zeit…eher schlimmer. "Ich werde es nicht vergessen", sagte Schuldig und legte sich halb auf Ran, das Gesicht in dessen Halsbeuge vergraben, mit der Nase das wohlduftende Haar beschnuppernd. "Ganz bestimmt nicht." Worte, die er fast wie einen feierlichen Schwur aussprach. Nein, mit Ran würde er nicht mehr vergessen. Das hatte Ran ihm versichert. „Ist schon gut“, murmelte Aya und vergrub sich unter Schuldig, beendete das Thema für sie beide. Auch er wollte sich täuschen lassen, einlullen von den Worten des Telepathen, die so viel versprechend klangen. Er kroch schier hinein in den anderen Mann und umschlang ihn mit seinen Armen und Beinen, verspürte plötzlich das überwältigende Bedürfnis, Schuldig ganz ganz nahe sein, den anderen Mann nicht mehr gehen lassen zu müssen. Ein Bedürfnis, welches Schuldig bemerkte, als Ran sich fast schon an ihm festklammerte. Sie lagen auf dem Boden, die Kissen neben ihnen. Also beschloss Schuldig sich dem Kissenhaufen anzunähern, indem er Ran unter die Schulter fasste und sie beide herumrollte, sodass Ran auf ihm lag und nicht auf dem unangenehmen Boden. Schuldigs Arme umschlangen den schlanken Leib. "Entspann dich… öffne dich für mich", bat er Ran um Einlass in dessen Gedankenwelt. Nicht, weil er mit ihm kommunizieren wollte, sondern weil er ihm das Gefühl der Anwesenheit vermitteln wollte. Eine Verstärkung des Gefühls, nicht allein zu sein, welches oft körperlich weniger gegeben werden konnte, als geistig. Es dauerte einen Moment, bis Aya sich wirklich dazu imstande fühlte, Schuldigs Bitte Folge zu leisten. Es schien so schwer, so…unsicher, das gerade jetzt zu tun, wo ihn so viele Gedanken quälten und er sie eigentlich hatte vor Schuldig verheimlichen wollen. Doch…er sehnte sich nach Schuldigs Nähe, wollte den anderen Mann bei sich wissen und genau das war schließlich auch der Grund, warum er sich entspannen konnte und seine angespannten Barrieren sich vermutlich senkten. Schuldig überwand die Grenze, ignorierte die umherirrenden Zweifel. Er war nicht hier um sich zu vergewissern, dass Ran ihn brauchte. Er war hier, weil er wusste, dass es so war. Schleichend breitete sich seine Präsenz aus und er beließ es dabei. Schwieg und schloss die Augen, überwältigt von diesem Gefühl der Nähe, der Annahme. Auch wenn Rans Gedanken schwermütig waren, so gaben sie Schuldig das zurück, was er geben wollte. Die Versicherung nicht alleine zu sein. Nein, das waren sie nicht, keiner von ihnen. Aya war, als schien in ihm ein Sonnenlicht. Als platzierte sich die Wärme der Frühlingssonne direkt in seinem Brustkorb und strahlte beruhigend auf jegliche Körperregion. Zweisamkeit, geisterte es durch seine Gedanken und er badete sich in dem Gefühl, ließ sich von ihm entspannen und besänftigen. Er schloss die Augen und hauchte Schuldig einen Kuss auf die Schläfe, brachte seine Wange an die des Telepathen. Schweigend lauschte er der sie umgebenden Stille. Wie lange sie dort lagen und in eine Art losgelöster Zufriedenheit schwelgten, wusste Schuldig nicht, doch er wusste eines: Er musste aufstehen und diesen nervenden Klingelton ausstellen, bevor er denjenigen, der Einlass begehrte, kurzer Hand tötete. Sanft zog er sich aus Ran zurück und tastete den Störenfried ab. Es waren Nagi und Omi. Wer hätte es gedacht. "Jetzt ist es wohl aus mit dem Kuscheln", seufzte er schräg grinsend, wirkte fast, als hätte er gerade geschlafen. „Wundervolles Timing“, grollte Aya und reckte sich auf dem Kissenlager, eben so, als hätten sie gerade sehr lange und sehr ausgiebigen Sex gehabt. Er rollte sich auf den Bauch, wollte nicht aufstehen. Und da Schuldig nun mal schon stand… „Lass sie rein, ansonsten schlagen sie dir noch die Tür ein…“ "Bei Nagi könnte das durchaus ein zu beachtender Gedanke sein", lachte Schuldig und fuhr sich durch die leicht zerzauste Mähne, als er zur Tür ging. Er öffnete die Tür und sah in zwei erwartungsvolle Gesichter. "Aha. Jetzt bin ich aber auf die Story gespannt", kündigte er an, dass er alles haarklein erzählt bekommen wollte, oder er würde es sich selbst holen. Brad wäre von dem Zusammentreffen der Beiden nicht begeistert, mit Sicherheit nicht. Genau das brannte er auch dem jüngsten Schwarz in die Augen. Und dieser schien auch zu verstehen, da er den Blick senkte. Schuldig ließ sie ein und lehnte sich an die Tür, verschränkte die Arme. Zu was sollte das alles noch führen? Omi sah von Schuldig zu Nagi und sah, dass er von diesem keine Unterstützung bekommen würde. Pah. Verräter. Trotzig starrte er den Telepathen an, wechselte dann aber in ein liebes, bittendes, absolut berechnendes Gesicht. Sie waren hier, weil sie etwas wollten, da brachte es ihm nichts, wenn er den Hausherrn verärgerte. Rein gar nichts. „Wir haben uns durch Zufall getroffen“, ließ er alle interessanten Details schon einmal von vornherein aus. „Und sind dann übereingekommen, dass wir doch Kuchen backen könnten. Ein durchaus sinnvoller Zeitvertreib. Und da weder Weiß noch Schwarz von der Idee übermäßig begeistert sein dürften, dachten wir, dass wir uns in der Grauzone zu schaffen machen könnten.“ Ein Lachen unterbrach ihn, kam augenscheinlich von Aya, der sich hochgerappelt hatte und nun zu ihnen kam. Er begrüßte Omi mit einem Lächeln. „Grauzone also?“ "Ah ja", sagte Schuldig spärlich ein amüsiertes Grinsen ins Gesicht gebannt, da er zeitgleich Omis Gedanken gelesen hatte und dessen Erinnerungen, die ihm durch die vehemente Auslassung und die Konzentration auf dieses Unterfangen genau diese Details an die Oberfläche von Omis Gedankenwelt legten. Schon seltsam, wollte man etwas um jeden Preis verschweigen, lag es wie ein Presentkorb obenauf! "Ich wusste gar nicht, dass du dich fürs Eislaufen interessierst, Nagi", schoss er einen Pfeil ab, löste sich jedoch von der Tür und ging zur Sitzgruppe um sich seine Zigaretten zu greifen. Damit ließ er die Drei stehen und öffnete die Terrassentür um hinaus zum Rauchen zu gehen. Nagi dagegen war klar, dass Omis Versuche Schuldigs Neugier zu überlisten zwecklos waren. Er schwieg jedoch. Was sollte er sagen? Zu Ran nickte er lediglich höflich. Aya gab den Gruß zurück und wandte sich an Omi, dessen Verzweiflung ihm deutlich ins Gesicht geschrieben stand. Er zuckte mit den Schultern und lächelte. „Telepath eben.“ Er warf einen Blick auf den leicht angewinkelten Fuß ihres Jüngsten und deutete auf das Gelenk. „Was ist damit?“, fragte er und erntete einen säuerlichen Gesichtsausdruck. „Ich habe mir beim Eislaufen das Gelenk verstaucht und wurde von Nagi zum Arzt gebracht. Woraufhin wir im Aufzug stecken geblieben sind.“ „Und euch dann diese Idee gekommen ist?“ „So in etwa…“ Aya schüttelte den Kopf. Waren Schuldig und er nun Vorbild für die Jüngeren? Er hoffte es nicht… „Na dann, nichts wie ans Werk. Da ist die Küche“, deutete er trotzdem hinter sich und ging vor, zog sich dann auf einen der Barhocker zurück. Nagi folgte und setzte sich ebenfalls auf einen der Hocker, wartete ab. Omi wollte einen Kuchen backen, also sollte er damit beginnen. Vor allem schwante Nagi schon, dass er noch einkaufen musste. Denn er glaubte kaum, dass Schuldig die Zutaten vorrätig hatte und auch war es unwahrscheinlich, dass Omi mit seinem lädierten Knöchel Einkaufen gehen würde. Nagi kam sich seltsam neben dem Anführer von Weiß vor, den er sonst eher in anderer Laune kannte. Jedes Mal, wenn er ihn hier bei Schuldig sah, erschien ihm der Rothaarige surreal. Er konnte es nicht begreifen wie Schuldig und Fujimiya hier zusammen lebten. Aber er wusste noch, wie dieser ausgesehen hatte ... nach dem Tod seiner Schwester. Wie Nagi auch wanderte Ayas Blick wieder und wieder zurück zu dem jungen Telekineten, der wie jedes Mal, wenn sie sich begegneten, still schweigend an seiner Umgebung Teil hatte. Èr wirkte schüchtern, doch da war auch noch die andere, die tödliche Seite, die sie alle so hassten, weil sie sie fürchteten. Welche war wirklich? Omi besah sich die Beiden und stellte fest, dass sie in ihrer Betrachtungsweise zueinander gar nicht mal so unähnlich waren. Beide maßen sich mit einem Haufen an Gedanken, die sich vermutlich dem alten Feindbild völlig widersprachen. Beide waren verwirrt und erstaunt über diese Wandlung. Nur er hatte den Durchblick! Ha! Schön wäre es gewesen. Omi suchte die Schränke nach Zutaten durch und fand alles, wirklich alles. Nur nicht das, was er brauchte. Wundervoll. „So…entweder…mit dem Kuchen wird das nichts, oder jemand geht einkaufen“, meldete er in die Stille des Raumes und sah sich um. Nagi sah sich selbst auch um. Fand jedoch niemanden außer sich, der dazu geeignet wäre. "Soll ich gehen?", fragte er leise und zuckte die Schultern, als wollte er damit ausdrücken, dass es ihm nichts ausmachen würde. Schließlich wollten SIE backen und nicht Schuldig oder Ran. In Gedanken malte er sich schon Brads Wut aus, die ohne Zweifel über ihn prasseln würde. Doch sein Gesicht spiegelte wie immer keine dieser trüben Gedanken wider. „In Anbetracht der Tatsache, dass…“, der blonde Weiß hob seine Stimme. „…Schuldig wohl nicht gehen würde, ja. Ich mache dir eine Liste.“ Aya lachte, schüttelte innerlich wie äußerlich nur den Kopf über Omi. Anscheinend hatte ihr Jüngster Schuldigs Kaffeebesuch bei Weiß zum Anlass genommen, den Telepathen weniger als Feind, eher als Kumpel anzusehen, mit dem er Scherze treiben konnte. Wie viel Schuldig jedoch von dieser Art von Respektlosigkeit halten würde…nun ja. ‚Was willst du, Kleiner?', kam auch prompt die Antwort in Omis Gedankenwelt. Schuldig hatte lediglich seinen Namen auf die Terrasse schallen gehört und innerlich mit den Augen gerollt. Er konnte es sich schon denken, aber wer sagte, dass er es den anderen immer so einfach machen würde? ‚Ich habe mit dem Gedanken gespielt, ob du bereit wärst, ein paar fehlende Zutaten zu besorgen. Und Aya gleich mitzunehmen, er sieht aus, als ob er ein wenig frische Luft vertragen könnte’, fragte Omi mit einem lieben, unschuldigen Bitten in seiner mentalen Stimme an, für die ihn Youji schon längst geschlagen hätte. Schuldig hob gelassen eine Braue und schloss die Terrassentür. Der Junge machte seiner Familie alle Ehre, bemerkte er zynisch und schlenderte lässig näher. ‚Aha. Du willst also andeuten, ich soll mit ihm ‚Gassi’ gehen?’, giftete er Omi an, blickte dabei aber Ran entgegen, die Augen voller Wärme. Als wenn er nicht wüsste, dass Ran raus wollte… ‚Ja und wenn ihr Stöckchen holen spielt, hoffe ich, dass es dein Stöckchen ist, das er apportiert!’, motzte Omi zurück und verschränkte die Arme. ‚Du siehst doch selbst genau, wie blass er ist. Der Gute braucht Frischluft, dann würde er dir auch nicht vom Fleisch fallen! Zumal ihm dieser Kuchen sicherlich auch sehr gut schmecken würde…’, lockte seine Stimme und vermittelte Schuldig einen Eindruck, mit welcher Begeisterung Aya sich immer wieder auf seine selbstgebackenen Süßspeisen gestürzt hatte. ‚Ich glaube, ich weiß sehr gut wie blass er ist', war das einzige, was Schuldig Omi ernst zurückgab und seine Laune sank dem Nullpunkt entgegen. Was bildete sich dieses freche Etwas ein? Er kam zu Ran und berührte dessen Wange. "Willst du mit?" Sanft küsste er ihn, scherte sich keinen Deut um die zwei Jüngeren. Einer davon sah fast schon entsetzt zu dem Paar und lief prompt rot im Gesicht an. Wie peinlich das war, vor allem, weil er sich selbst an seine Wünsche und Sehnsüchte erinnert fühlte. Jemanden zu haben, der ihn voll und ganz akzeptierte wie er war, keine Angst vor ihm hatte, auch mit seinen Fähigkeiten. „Wohin?“, fragte Aya überrascht und strich Schuldig durch die wirren Strähnen. Er hatte an den Mienen der beiden sehen können, dass sie eine stumme Zwiesprache hielten, doch was genau…sein Blick glitt von Schuldig zu Omi, der ihn triumphierend angrinste. „Gassi gehen“, ließ der jüngste Weiß verlauten und Aya hob die Augenbraue. Ein sehr charmanter Ausdruck, der – so nahm er zumindest an – sich auf Schuldig bezog. „Oder auch einkaufen…finde ich nett, dass sich Schuldig so schnell dazu bereit erklärt hat, uns die Zutaten zu besorgen!“ Schuldig kniff die Augen zu Schlitzen zusammen und spitzte die Lippen. "Lass uns gehen, Blumenkind, bevor ich dem da hinten die Blüten ausrupfe." Also, was sollen wir mitbringen?", gab er sich geschlagen. Der war ja schlimmer, als jeder andere Takatori, den Schuldig zuvor gekannt hatte. "Nagi, halt dich von ihm fern, der verdirbt dich nur, schlechter Charakter", sagte er kopfschüttelnd und redete dem Jungen ins Gewissen, nur keinen Takatori in die traute Familie zu bringen. Nagi hob nur spöttisch die Augenbraue und sah dem Telepathen nach. Das sagte gerade der Richtige. „Ja, so schlecht, dass besagter abgrundtief schlechter Mensch dir gleich etwas anderes ausrupfen wird“, grollte Omi Schuldig hinterher. „Aber mit Rücksicht auf Rans Bedürfnisse werde ich wohl davon absehen…“ Der bedürftige, rothaarige Mann drehte sich mit ungläubigem Schnauben um und fixierte den jüngsten Weiß. „Das ist ja sehr nett von dir, OMI“, bestätigte Aya das Gesagte mehr oder minder eindringlich und indigniert. Nun musste Schuldig doch noch grinsen, während er sich die Schuhe anzog und seinen Kurzmantel überstreifte. Welch netter Schlagabtausch. Trotzdem war ihm der Kleine zu frech. "Nun rück schon damit raus, was wir mitbringen sollen, sonst stehen wir morgen immer noch hier", rief er zur Küche und griff sich die Wagenschlüssel. „Zettel? Stift?“, fragte Omi den rothaarigen Japaner und Aya schnaubte, holte ihm beide Dinge, immer noch angesäuert über das Gesagte. Mit hastigen Kanji schrieb der junge Weiß ein paar Zutaten auf und reichte Aya schließlich den Zettel, von wo aus er just zu Schuldig weiterwanderte, während sich Aya komplett anzog, sich Schuhe und Mantel überstreifte. „Macht nichts Unanständiges, ihr beiden“, rief er zurück. Anscheinend färbten Schuldig und er wirklich ab… „Und wenn, dann entfernt ihr die Flecken selbst.“ Er öffnete die Tür und trat auf den stillen Flur. Nagi hatte diesem Abgang mit unwohlem Gefühl und einer erneut auftretenden zarten Röte im Gesicht nachgeblickt. Warum musste er auch immer an etwas weniger Harmloses wie Flecken vom Kuchenbacken denken? Vor allem, wenn er in dieses helle, verschmitzt blickende Gesicht dabei sah. Er ließ sich vom Hocker gleiten und zog sich seinen Mantel aus, legte ihn auf die Couch. Danach zog er sich die Schuhe aus. Sein Pflichtbewusstsein sagte ihm, dass er Bescheid sagen musste, also war sein nächster Griff zum Telefon ein Muss. Er wählte sich in eine sichere Verbindung ein und besprach relativ neutral den Anrufbeantworter. Er hatte nicht vor, Crawford auf dem Mobiltelefon anzurufen. Er war in der Besprechung mit einem neuen Auftraggeber. Das Telefon noch in der Hand haltend, brütete Nagi vor sich hin, einige Minuten hinaus auf die Skyline der Stadt blickend. Ihm war kalt, selbst hier. Er hatte sich einen übergroßen Rollkragenpullover angezogen, aber wenn er daran dachte, was er mit wem hier tat, wurde ihm in Anbetracht der Sanktionen kalt. Omi hatte notgedrungen den Worten des jungen Telekineten gelauscht und festgestellt, dass diese Neutralität doch etwas künstlich wirkte, gar steif, so als müsste Nagi sich schützen durch diese Emotionslosigkeit. Seltsam. Doch konnte er erwarten, dass Schwarz untereinander eine solch enge Bindung hatten wie Weiß? Vor allen Dingen so vollkommen furchtfrei? Nein, konnte er nicht, konnte er sich doch genau vorstellen, mit was Crawford Schwarz zusammenhielt. Genau. Mit eiserner Disziplin. Omi runzelte die Stirn, als ihm eine Idee kam. Völlig abstrus, aber darin auch fast schon wieder logisch. Er wandte sich an Nagi. „Was ist Crawford für eine Art von Mensch?“ "Warum fragst du?", drehte sich Nagi um, die Stimme neutral, das Gesicht undurchschaubar, was ihn in diesem Augenblick arrogant wirken ließ. Seine Beine steckten in gut sitzenden Jeans, was eine Wirkung des großen Pullovers - das Kaschieren seiner schmächtigen Figur - zunichte machte. „Weil es mich interessiert. Du scheinst Angst vor ihm zu haben. Warum? Ist er so, wie wir ihn kennen?“ Omi verschränkte die Arme und kam näher, stellte sich neben Nagi an die Fensterbank. Sein Blick fiel auf den Teddy dort. Er runzelte die Stirn, hob das Plüschtier hoch. Aya hatte gelernt, den Menschen in Schuldig zu sehen…vielleicht auch gerade deswegen? "Nein, schlimmer", erwiderte Nagi allen Ernstes. Er überlegte, was er Omi antworten sollte und ließ sich Zeit dabei. "Hättest du keine Angst, Enttäuschung über dein Verhalten in ... den Augen von Fujimiya Ran zu sehen?" Omi runzelte die Stirn. Diese Frage brachte ihn wirklich zum Nachdenken. Hätte er? Er wusste es nicht. Vielleicht nicht, vielleicht schon… „Ja und nein…seine Meinung bedeutet mir sehr viel, doch es gibt durchaus einige Punkte, in denen wir uns uneinig sind und ich Enttäuschung schon so oft gesehen habe, dass sie beinahe alltäglich geworden ist. Doch das gehört dazu, denke ich. Du nicht?“ "Nein, für mich gehört es das nicht. Wir wissen, was wir voneinander zu erwarten haben und was nicht. Er hat mit allem, was er tut, nur das Wohl der Gruppe zum Ziel. Wenn du wissen willst, wie er wirklich ist ... ich glaube ... das weiß vielleicht nur Schuldig genau, wenn er Crawfords Gedanken liest. Doch das kommt nicht vor, weil Schuldig diese Privatsphäre respektiert. Er forscht nicht in tieferen Gedankenströmen. Es käme einem Bruch unserer lautlosen Vereinbahrung gleich. Wir wenden unsere Kräfte nicht gegen uns an." Das überraschte Omi. Nicht gegen sich selbst? Das klang nobel…nahezu vertraut. Respektvoll. Anders respektvoll, als sie miteinander umgingen. „Das ist durchaus interessant“, nickte er schließlich und dachte an sein Team. Sie mussten ohne diese Kräfte miteinander auskommen, schafften das jedoch auch so ganz gut. Sie waren zwar chaotisch und im Vergleich zu Schwarz doch noch naiv in ihren Ansichten, aber sie lebten. Auch heute noch. Sie hatten bisher alles überlebt, ebenso wie Schwarz auch. Zeigte das nicht, dass sie den richtigen Weg eingeschlagen hatten, sich privat durchs Leben zu schlagen? „Soso…und Crawford ist also noch schlimmer? Ist er ein Despot?“ Nun wurde ihm der andere doch etwas zu neugierig. "Das mit dem ‚schlimmer’ war ironisch gemeint", sagte Nagi mit gehobener Braue. "Du bist sehr neugierig. Ist Fujimiya denn ein Despot?", wollte er wissen, da ihm immer noch nicht wirklich klar war, welche Geheimwaffe Schuldig in die Schranken wies. Er musste schon fast ähnliche Eigenschaften wie Crawford besitzen... „Ja!“, lachte Omi lauthals, ließ das Ausrufezeichen selbst durch seine Worte scheinen. „Ein Despot, wie er im Buche steht! Soll ich dir was sagen?“ Er beugte sich verschwörerisch zu Nagi. „Eigentlich…sind wir ganz glücklich, dass Schuldig ihn mittlerweile soweit ausgelastet hält, dass er seinen Tatendrang nicht auf uns projiziert.“ "Es wundert mich wirklich, dass Schuldig so zahm ist, wirklich faszinierend. Er begehrt bei autoritärem Verhalten eher noch mehr auf, lässt sich von niemandem etwas sagen." Nagi bemerkte, dass er unwillkürlich lächelte, doch das Verhalten seines Gesprächspartners und das vor Freude leuchtende Gesicht strahlte ihn derart gut gelaunt an, dass es schwer war, es nicht zu tun. "Ich frage mich was passiert, wenn er genug von eurem Anführer hat...", ließ er die Frage offen und machte sich ernsthaft Gedanken darum. Schuldig war unberechenbar in Gefühlsdingen. Omi hob seine Augenbraue. „Dann trennen sie sich, ganz einfach.“ Er lächelte. „Wie es ein normales Paar eben auch tut. Es sei denn, du willst mit deiner Frage etwas anderes ausdrücken. Doch Aya wird sich wohl kaum soweit einlullen lassen, dass Schuldig ihn einfach so niedermachen kann, wenn er genug von ihm hat. Willst du mir das damit sagen?“ Nagi sah auf. Omi stand noch immer etwas entfernt und er selbst hatte seine Hände in den Hosentaschen seiner Jeans vergraben. Langsam schüttelte er den Kopf. "Nein. Ich will damit gar nichts sagen. Zumindest nicht das, was du vermutest. Es geht nicht darum, Fujimiya niederzumachen. Es ... nun ja ... Schuldig könnte unkontrollierbar werden. Vieles hängt von ... Gefühlen ab. Vieles von unserer mentalen Begabung wird dadurch beeinflusst." Noch einen Moment hielt er den Blick länger in die tiefblauen Augen, bevor er sich der Stadt zuwandte. "Zorn, Angst und all die anderen Gefühle ... sie üben Einfluss auf uns. Wie im Aufzug. Für uns ist es immer gefährlich, wenn wir uns auf dieses Spiel der Gefühle einlassen." Omi sah Nagi nachdenklich in die Augen. Das war in der Tat etwas, das er bisher noch nicht bedacht hatte. Schuldigs Unberechenbarkeit, ebenso wie die des Telekineten waren eine Gefahr, wenn sie aus dem Ruder liefen. Doch konnte er es Ran sagen? Der andere Mann schien ihm so glücklich, trotz aller Schicksalsschläge gelöst und zufrieden in der Gegenwart des Telepathen. Wollte er dieses Glück zerstören? „Was ist mit Rans Schilden?“, erinnerte er sich an etwas, das ihm erst jetzt wieder eingefallen war. „Er sagt, dass Schuldig ihn nicht lesen kann. Kann er sich dadurch denn nicht gegen ihn schützen? Und Schuldig so bremsen?“ "Ja, das lässt sie ... auf eine Ebene kommen", nickte Nagi. Er schwieg sich dazu aus, dass Schuldigs schizophrene Anwandlungen nur eines von vielen Problemen waren. Aber das sollte ihn nicht interessieren. Es war etwas zwischen Ran und Schuldig. Vermutlich mussten es nur wieder alle anderen büßen, falls doch etwas schief ging. „Das ist gut…für beide.“ Omi sah aus dem Fenster hinaus und beobachtete die entfernte Stadt für einen Moment. „Sie tun sich beide gut, habe ich das Gefühl. Ran zähmt Schuldig, Schuldig zähmt Ran. Sie hängen aufeinander, aneinander. Ich weiß nicht, ob es Liebe ist, aber selbst wenn es nur körperliche Anziehung ist, so reicht es doch, die beiden miteinander zu verknüpfen. Das spürt man, wenn man nur in ihrer Nähe ist.“ Er seufzte. So sehr er sich auch für Ran freute…so groß war auch seine Sehnsucht nach jemandem, den ER lieben konnte. "Das hört sich ... ", Nagi wandte sich um und setzte sich unwissentlich auf Rans und Schuldigs Lieblingsplatz auf die Fensterbank. Er stützte sich mit den Händen seitlich ab und lehnte den leicht in den Nacken gelegten Kopf an die Scheibe, schloss die Augen. Ja… wie hörte sich das an? Positiv? Illusorisch? Fremd? Ja, vielleicht alles zusammen. Er hatte sich bisher eher um die schlechten Seiten dieser Beziehung Gedanken gemacht. "Wenn wir hier in dieser Wohnung verweilen ... wie wir es gerade tun, scheint alles andere ... draußen weit weg." Er schwieg für Augenblicke. "Aber es ist nicht weit weg." „Zumindest können wir so tun, als ob, oder nicht?“, zuckte Omi mit den Schultern und vergrub seine Hände in den Taschen. „Natürlich lauert“, er rollte mit den Augen. „Das Böse da draußen, das Drama und die tragische Komödie unseres Daseins, wenn du so willst, doch was bringt es, dort draußen zu sein und sich die ganze Zeit nur verstecken zu wollen? Rein gar nichts, ich sage es dir. Sterben werden wir sowieso…nur wann ist die Frage. Und warum jetzt nicht leben? Warum warten?“ Nagi lächelte unwissentlich. Ein fast kaum zu sehendes Verziehen der Mundwinkel, doch er öffnete die Augen nicht. "Ich ging eher von Gefahren innerhalb dieser Räumlichkeiten aus. Alles andere ... draußen ... weit weg. Aber dieses ‚alles andere’ ... es nimmt immer Einfluss auf uns. Es begleitet uns auch hier drinnen. Wir können ihm nicht entfliehen. Wie würde Schuldig sagen? Wir können uns nicht selbst verarschen. Es holt uns ohnehin ein. Kleinigkeiten werden zu unlösbaren Konflikten und wir scheitern an unserer innewohnenden Unfähigkeit. Sterben ... natürlich. Alleine sterben, alleine leben. Alles bleibt beim Alten." „Oder auch nicht, das muss es ja nicht. Ich kenne jemanden, der sagt, dass es immer eine Möglichkeit gibt, egal, wie schlecht die Situation auch scheint. Ein schrecklicher Optimist, manchmal könnte ich ihm einfach eine reinhauen. Aber gut. Wenn wir nicht entfliehen können, warum stellen wir uns nicht einfach? Ran und Schuldig haben das auch getan. Und hat es ihnen geschadet? Nein.“ Omi lächelte, seufzte leise. "Noch nicht", Nagi wandte den Kopf, lehnte noch an der Scheibe und beäugte den Blondschopf, dessen offenes Lächeln. Wie konnte er nur so offen seine Gefühle zeigen? Warum konnte man trotzdem in diesen Augen nicht immer die Wahrheit lesen? "Und wer ist dieser Optimist?" Hörte sich an, als würde Omi von Crawford sprechen. Allerdings war es zum Teil seiner Fähigkeit des Hellsehens geschuldet, dass er immer eine Lösung fand. Entweder eine schnelle oder eine umständliche. Aber sie war da. Irgendwo dort ... in der Zukunft. Und egal, welche Opfer und Gefahren bis zu dieser Lösung lauerten. Sie würden sie überwinden. Omis Augen wanderten zu denen des Telekineten, hielten sich für einen Moment an ihnen fest. An der schlanken Gestalt des jungen Schwarz, an dessen markanten Gesichtszügen. „Ich bin es“, antwortete er und drehte sich um, streunte in die Küche. Ihre Blicke kreuzten sich und Nagi schien es, als wäre er gebannt durch die Intensität der Stärke in den blauen Iriden. Bedächtig hob er den Kopf und drehte sich auf der Fensterbank, Omi nachblickend. "Du?", fragte er gedankenverloren und neigte das Kinn nach unten, den Blick auf den Boden gerichtet. Für einen Moment hatte er das Gleiche gefühlt wie bei Crawford. Sicherheit. Das gute Gefühl, dass jemand sich schon um ihn Sorgen würde. Dass alles gut werden würde. Nur Crawford sprach nie darüber, über die Tatsache, dass er sich darum kümmerte, dass alles gut wurde. Dass er die Fäden so spann, dass sie sich nicht Sorgen mussten. Nagi sah wieder auf. Omi war in die Küche gegangen, seinen Fuß mit dem lädierten Knöchel schonend. Er betrachtete Omi mit anderen Augen, jetzt da er eine Gemeinsamkeit mit ihrem Leader erkannt hatte. Zwei Wege, die zum selben Ziel führten: Alles würde gut werden. Es gab immer eine Möglichkeit. "Der eine weiß es, der andere glaubt es." Und war Glauben nicht manchmal genauso stark wie Wissen? Konnte Glaube nicht sprichwörtlich Berge versetzen? Konnte er. Oder auch nicht, wie Omi nun feststellte, als er sich auf die Suche nach etwas trinkbarem Warmen machte und selbst seinen Glauben an den guten Geschmack von Schuldig verlor. Ja…klar…Rans Lieblingstee. Verdammtes Zeug, schmeckte widerlich, das Zeug. Kritisch die Stirn runzelnd durchsuchte er die Schränke, verfluchte den Telepathen. Er wollte keinen Kaffee, er wollte keinen Ran-Lieblingstee. Kakao. Das wäre schön. "Suchst du etwas Bestimmtes?", fragte Nagi. „Kakao. Echten, schokoladigen, Kakao.“ Nagi entsann sich, dass das Gesuchte im schmalen Schrank aufbewahrt wurde, in dem auch Schuldigs Süßigkeitenvorrat seinen Platz hatte. Die Fensterbank verlassend ging er in die Küchenzeile und hob die Hand um mittels seiner Telekinese die Tür des Schrankes zu öffnen. Er machte dies oft so, gehörte es doch zu seinem ihm selbst auferlegten Training, damit er seine Fähigkeiten besser dosieren konnte. "Hier steht die Dose. Schuldig füllt den Kakao immer in eine der Dosen um." Eben diese schwebte zu Nagi herab, bis er sie ergriff und sie öffnete. Tatsache. Omi beobachtete fasziniert, wie sich diese Dose auf den Weg gemacht hatte. Oh ja, diese Kraft konnte auch helfen, nicht nur zerstören, das wurde ihm jetzt wieder bewusst. „Warum wohnt er eigentlich nicht mit dir und Crawford und Farfarello zusammen?“, fragte der blonde Weiß aus plötzlichem Interesse und runzelte die Stirn. Die Dose an Omi reichend wollte Nagi der direkten Frage zunächst ausweichen. "Es geht nicht ums wollen...", wich er aus. „Ich habe auch eine kleine Wohnung in der Nähe der Universität. Dort bin ich aber selten. Schuldig braucht weite, große Räume, sein eigenes Reich. Wenig Reize, die ihn stören, viel Ruhe." Er zuckte mit den Schultern und sah zu Omi auf. „Und da hat er sich Ran ins Haus geholt?“, fragte Omi ungläubig. „Wenn er soviel Ruhe braucht, wie du sagst, wie passt dann Ran in dieses Konzept? Vor allen Dingen, als er noch nicht freiwillig bei ihm war?“ "Das ist typisch Schuldig. Er hat nicht über seine Tat nachgedacht. Es war wohl seiner Spontanität geschuldet, dass Ran hier war und nicht beseitigt, wie wir es ursprünglich vorhatten. Crawford hat ihm, trotzdem er wohl gewusst hatte, welche Probleme diese ‚Spontanität’ mit sich bringen würde zugestimmt. Er kann ihm selten etwas abschlagen. Schuldig hatte mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht bedacht, dass es nicht einfach werden würde wenn euer Anführer hier ist und seine Zurückgezogenheit stört." Nagi zog sich auf einen der Barhocker zurück, blickte nach draußen. Es wurde langsam dunkel. „Anscheinend hat er es überstanden…und so wie es scheint, recht unverletzt. Schuldig meine ich“, grübelte Omi. „Ich kann mir vorstellen, dass Ran ihm die Hölle heiß gemacht hat. Eine harte Schule, ich sage es dir. Vermutlich ist er sogar Masochist. Wer weiß.“ Omi stellte den Kakao ab und machte sich am Kühlschrank zu schaffen. Haha. Wie sollte er denn bitteschön etwas zubereiten, wenn keine MILCH vorhanden war? Eben. Gar nicht erst versuchen am Besten. Frustriert schloss er die Tür wieder. Also warten, bis die beiden Herren wieder da waren. "Ja, der arme Schuldig", nickte Nagi, den Rücken Omi zugewandt und leise in den beginnenden Abend lächelnd. Natürlich ... der arme Schuldig. Der arme unberechenbare, schizophrene Schuldig. "Meinst du sie bringen Milch mit?", fragte er dann, als er hörte wie frustriert der Kühlschrank wieder geschlossen wurde. "Ruf sie lieber an, sonst sinken deine Chancen auf Milch rapide." „Es stand auf dem Einkaufszettel, also sollten sie es gefälligst wohl mitbringen“, grollte Omi und seufzte frustriert, kam dann zu Nagi und setzte sich auf einen der gegenüberliegenden Barhocker. Er stützte sein Kinn auf und grübelte nach. Über irgendwas…er wusste im Nachhinein nicht mehr genau, was es denn gewesen sein mochte. "Warum bist du niedergeschlagen? Außer, dass du mit mir hier festsitzt." Wieder kam Nagi nicht umhin, diese einladenden Lippen zu bemerken, wie sich die Mundwinkel in schmollendem Zug nach unten bewegten. Langsam wurde die Wohnung ins Dunkel getaucht. Omi lachte über den Scherz, der vermutlich keiner war. „Wegen nichts“, schüttelte er den Kopf und zuckte mit den Schultern. Er rieb sich über die Augen und entlastete seinen Knöchel. Langsam tat es wieder weh. Langsam wurde es wieder schlimmer. "Solltest du dich nicht niederlegen? Dein Bein hochlegen? Es entlasten?" Omi schien müde zu sein, und Nagi war es als würde er es bereuen, dass er einen Kuchen backen wollte. „Geht schon“, winkte Omi ab. Als wollte er wegen so einer kleinen Verstauchung aufgeben, Nein nein, das würde er nicht tun. Er war doch schließlich keine Memme. Er nicht. Nein. „Wie lange brauchen die beiden bis zum Supermarkt und zurück?“, fragte er, um von seiner Person abzulenken. "Kommt darauf zu welchem sie gehen. Schuldig macht oft Umwege, oder kauft in kleinen Läden ein. Um seine Wohnung zu schützen. Das heißt, es könnte länger dauern bis sie wieder kommen. Vielleicht gehen sie auch zu Fuß." Nagi hob eine Braue. "Du weißt sicherlich wie ... wenig ... verantwortungsvoll es wäre, hier tapfer sein zu wollen, nur um danach länger in deinem Team auszufallen?" Er lächelte wieder sein flüchtiges Lächeln und breitete seine Hände auf der Fläche der Theke aus, Omi begann einige Zentimeter in der Luft über seinem Hocker zu schweben. „Hey!“, beschwerte sich Omi entrüstet und klammerte sich dramatisch an die Tischkante, machte ein sterbensverzweifeltes Gesicht. Lachte dabei jedoch so vergnügt, dass Nagi ihm diese Verzweiflung wohl kaum abkaufen würde. „Aber nicht fallen lassen, hörst du?“, wedelte er streng mit seinem Zeigefinger und ruckte sich auf…in…dieser unsichtbaren Kraft zusammen. Die Augen leuchteten vor Vergnügen, das Gesicht schien von innen zu strahlen. Es steckte an und Nagis Lippen breiteten sich zu einem echten Lächeln aus. Er wagte es, Omi etwas höher schweben zu lassen. "Du wolltest ja nicht auf gute Ratschläge hören, also musst du jetzt fühlen!", unheilte er breit lächelnd, lachte dann befreit, als er das Gesicht weiter betrachtete wie es einen hilflos komisch verzweifelten Ausdruck annahm. "Ich bin groß und stark und fange dich auf wenn du runterfällst!" Omi fiepste irgendwie, als er sah, wie sich der Boden weiter und weiter von ihm entfernte. „Na das sagst du jetzt! Und wenn es soweit ist…dann lande ich auf meinem Hosenboden, garantiert! Ha!“ Er baumelte mit den Beinen in der Luft, hatte jedoch gar keine Chance, dem Frieden nicht zu trauen. Die Moleküle unter ihm waren so starr, so stabil, dass sie alles halten würden. Zumindest hatte er das Gefühl, dass sie es wären...einen handfesten Beweis dafür gab es nicht. Nagi schloss für Momente die Augen, in denen er die Kraft, die ihm half mit seinen Fingern nachzeichnete und ihm war es als könne er Omis Silhouette nachfühlen. Er dirigierte ihn Richtung Couch, langsam, bedächtig. Es war anstrengend, diese telekinetischen Kräfte in sich zu zügeln. Damit sie nicht ungebremst, wild ausbrachen musste er sich stark konzentrieren. Als er seine Augen wieder öffnete, glimmten sie sacht im charakteristischen Violett. Es war zwar anstrengend aber es machte ... Spaß. Ja, das tat es, schon allein ... weil er auf diesen Körper achten wollte. Eine neue Erfahrung für ihn. Mit Omi daran zu üben machte mehr Spaß als alleine. Omi blinzelte, war schier verstört über seinen schwebenden Abgang. „Das ist unfaire Kriegsführung“, meckerte er und strampelte noch etwas mehr mit seinen Beinen. Er sah zu Boden, sah auf die Gegenstände, die so faszinierend weit weg schienen. Auf die Couch, die nun näher und näher kam. „Ich hätte auch alleine laufen können!“ Just in diesem Moment schienen sich die Moleküle unter seinem Hintern zu verändern und um ihn zu streichen. Um seine gesamte Form. Omi runzelte verwirrt die Stirn, dann lachte er vergnügt. „Du fummelst!“ Erschrocken ließ Nagi Omi über der Couch fallen, sodass dieser einige Zentimeter hinunterplumpste. "Tu ich nicht!", bestritt er vehement. Doch aller Vehemenz zum Trotz lief er zartrosa im Gesicht an und strafte seine Worte lügen. "Und weshalb lachst du dabei?", wollte er trotzig wissen, steckte seine Hände in die Taschen seine Hose, als wären sie sonst zu gefährlich. "Ich habe dich nicht unsittlich berührt, es war lediglich ein ‚Nachfühlen’ deiner Silhouette". „Hab ich’s doch gesagt! Du hast mich fallen gelassen!“, motzte Omi dagegen und grollte, rieb sich demonstrativ theatralisch sein lädiertes Hinterteil. „Nachfühlen der Silhouette? Soso. DAS hätte ich an deiner Stelle auch behauptet!“ Er sah maulend zu Nagi hoch und lachte wieder. „Ich lache, weil ich es lustig finde…nicht, weil ich dich lustig finde. Allerdings würde mich interessieren…funktioniert das mit der Selbstbefriedigung genauso? Ich meine genauso handlos?“ Nagi starrte den jungen Mann auf der Couch an, der ihn immer noch freudig angrinste. "Ich habe kein Interesse an ... an ... am Fummeln!" rief er aus und schnaubte. "Ich mache das oft mit Gegenständen um ihre Form zu erfühlen, das ist alles, und es ist anstrengend für mich", sagte er sich auf die Lehne der Couch zu setzend. "Rein theoretisch funktioniert das andere auch. Nur ist es schwierig für mich, weil meine Kräfte wild sind, ich lerne noch sie zu zähmen." Omi sah zu Nagi hoch, direkt in die violetten Augen des anderen Jungen. „Zu zähmen?“, fragte er wissbegierig nach, hatte jedoch im Kopf ein ganz anderes Bild, als ihm der Telekinet vielleicht abnehmen mochte. Er wüsste schon einige Arten, die Kräfte des jungen Schwarz zu zähmen….einige. Wie gut, dass Schuldig gerade nicht in der Nähe war, um ihn ordentlich in die Pfanne zu hauen. Weshalb hatte er nur das Gefühl, dass der Weiß Zweideutigkeiten von sich gab? "Ja, zähmen", sagte er nachdenklich und behielt Omi im Blick. "Sie sind zu roh, ungeschliffen. Oder erinnerst du dich nicht an unsere Begegnungen während unserer Aufträge? Hattest du den Eindruck, ich könnte meine Kräfte zügeln?" Vermutlich dachte der Weiß die Intensität wäre immer gleich hoch. Doch vieles hing von Übung, aber auch von äußeren Einflüssen ab. „Nein, ich habe gedacht, es wäre Berechnung. Deine Unberechenbarkeit wäre Berechnung. Das hatten wir auch bis jetzt noch angenommen.“ Omi zuckte mit den Schultern, machte deutlich, dass er das Thema eben nicht an Kritiker weitergeben würde. „Ich kann deine Kräfte nicht messen, ich kann sie nicht sehen. Daher ist es schwer zu sagen, ob sie unausgereift oder schon geschult sind.“ "Berechnung." Ja zum Teil war es das. "Es ist Berechnung. Allerdings nur in dem Maße, dass ich meine Kräfte auf hohem Niveau einsetze. Nur die kleinen, sanften Dinge kann ich nicht", sagte er mit wehmütigem Blick, jedoch waren seine Worte wieder ausdruckslos geworden, wenn es um seine Schwäche ging. „Du hast das Eine gelernt, wieso also nicht auch das andere?“, fragte Omi schlicht und bettete seinen heißen Knöchel auf eines der Kissen, zog das andere Bein zu sich. Wenn es möglich war, Zerstörung zu lernen, dann konnte auch Sänfte ausgeübt werden. Ganz sicher. Für einen Augenblick wollte Nagi wütend werden, war es die alte Wut in ihm, die diese Worte, des unverbesserlichen Optimismus zum Schweigen bringen wollte. Er wandte sich abrupt ab, blickte zum Fenster hinaus. Es war dunkel um sie herum. Er mochte es nicht, wenn es dunkel war. Mit einer kleinen Fingerbewegung legte er die Schalter für die sanfte Beleuchtung in der Nähe um und tauchte sie in warmes Licht. "Ich habe das ‚Eine' nicht gelernt. Ich kann es einfach. Schon immer. Und habe es nie verstanden." „Es ist ein Teil von dir. Wie deine Haare, deine Augen, deine Beine…was auch immer. Das musst du nicht verstehen, du musst es akzeptieren, oder kannst du sie einfach vergessen, deine Kraft? Du magst nicht gelernt haben, sie zu erzeugen, aber du hast gelernt, sie zu benutzen. Sie dir in Ansätzen Untertan zu machen. Und das kannst du zum Positiven wenden.“ Omi legte die Arme auf die Couchlehne und stützte das Kinn darauf. Schweigend beobachtete er Nagi. "Nein .. vergessen konnte ich sie noch nie", sagte Nagi und Bitterkeit schlich sich zwischen die Worte. Ich kann sie mir nur dann untertan machen, wie du so schön sagst, wenn ich meine Gefühle bändige. Ohne Gefühle habe ich Ruhe. Leite ich meine Gefühle, beherrsche ich meine Kräfte. Ich wüsste nicht wie ich das zum Positiven wenden sollte", lächelte Nagi und blickte zu Omi. „Hm.“ Omi runzelte nachdenklich die Stirn, sah direkt in die Worte des anderen. „Dann fehlt es dir an Ausgeglichenheit, ganz klar. Du brauchst Ablenkung. Vielleicht konzentrierst du dich zu sehr auf deine Kräfte, vielleicht musst du einfach mal los- und dich gehen lassen“, schlug er schließlich vor. Sich Gehen lassen? Was war das denn für eine Fehlinterpretation seiner Situation? Es amüsierte ihn. Und ihm kam eine Idee. Er sollte Omi eine Kostprobe von seiner Losgelöstheit geben. Vielleicht verstand dieser dann das Ausmaß seiner Probleme. Wobei ... wirklich verstehen würde er es nie. Das konnte niemand. Außer Jei, Brad und Schuldig. Aber dieser ... normale Mensch konnte das nicht. Sie würden es alle nie verstehen, hatten es noch nie verstanden... Er legte den Kopf in den Nacken und lächelte verträumt, seine Augen erfassten im Blickwinkel Omi. „Du meinst ich soll mich gehen lassen? So richtig?“, fragte er nach und lachte dann leise, bis er immer lauter wurde, härter, verächtlicher. Kälter. Und dann ließ er sich gehen, schloss die Augen, ließ sich fallen und wurde gleichzeitig getragen. Er levitierte im gleichen Moment, wie er sich nach hinten fallen ließ, spürte wie seine Kraft um ihn wirbelte, ihn fast schon umschmeichelte, seine Haut prickelte und seine Kleidung flog mitsamt seiner Haare auf. Immer weiter drifteten seine Augen zu, bis sie nur noch einen leuchtenden Spalt offenbarten, die Iriden Omi zugewandt, ihn nicht aus dem Blick lassend. Sie schienen zu sagen: Sieh her, sieh mich an, glaubst du ich könnte mich gehen lassen? Wie sieht es aus, wenn ich mich gehen lasse? Schrecklich? Weiter durfte er nicht gehen, aber er spürte wie es weiter wollte, wie sein Inneres nach außen strebte, es wollte frei sein, es wollte nach draußen, es wollte sich gehen lassen... Die Schranken wollten brechen ... sie durften nicht brechen, er durfte hier nicht die Kontrolle verlieren. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)