Der Glasgarten von Gadreel_Coco ================================================================================ Kapitel 57: Kiss me, kill me, love me, hit me --------------------------------------------- ~ Kiss me, kill me, love me, hit me ~ o~ Seine Laune hatte sich nicht verbessert, auch als er Nagi wohlbehalten in seinem Hotel abgeliefert und den Kleinen daran gehindert hatte, aufdringlichen, männlichen Blicken mit Telekinese zu begegnen. Sie hatten gute Arbeit geleistet, doch selbst diese Erkenntnis konnte Schuldig nicht wirklich aufmuntern. Ständig stach die Erinnerung an Rans Misstrauen wie eine unerwartete Messerattacke in seinen Rücken. Es machte ihn unausgeglichen und er hatte Lust, etwas gemein zu sein, etwas …Böses zu tun, hinterhältig zu sein. Der Aufzug hielt im gewünschten Stockwerk an und Schuldig lockerte seine Krawatte, spürte den gestärkten weißen Kragen seines blitzsauber gebliebenen Hemdes nach. Er hasste es, wenn er bei der Arbeit schmutzig wurde. Da konnte er richtig ungemütlich werden. Aber ihn eitel zu nennen, wäre vermessen gewesen. Vor allem angesichts der Tatsache, dass Crawford es war, der noch vor ein paar Jahren – in ihren besten Zeiten – einen Ersatzanzug mit im Wagen herumfuhr. Nur für alle Fälle verstand sich. Schließlich wollte er einen guten Eindruck hinterlassen, was natürlich mit ein paar Spritzern Blut, Haarresten, Hautteilen oder Fleischstückchen wesentlich schwerer war. Sie waren schließlich keine Schläger. Nur Geschäftsmänner. Und da wollte man doch den richtigen Eindruck erwecken. Oder den falschen. Je nachdem… Über diesen Gedanken lächelnd warf Schuldig einen Blick auf seine Uhr, als er durch rasche Schritte alarmiert aufblickte. Den Arm noch angewinkelt stockte er wie ein Standbild in seiner Bewegung, lediglich die Augen verfolgten das, was seine Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hatte. Im Schatten verhaltend sah er wie eine Frau im sich kreuzenden Gang an ihm vorbei rannte. Sophie Fuchoin. Schuldig versuchte sie zu lesen. Wieder gelang es ihm nicht. Schlicht nicht vorhanden dieser Mensch, resümierte er und sein Blick besaß im Augenblick nichts Menschliches, als er stoisch dort stand, den Arm langsam sinken lassend. Irgendetwas stimmte hier nicht. Innere Ruhe befiel ihn, wie ein Schleier legte sie sich über ihn. ‚Brad?’ ‚Was willst du?’ ‚Alles klar bei dir?’ ‚Ja.’ Eine schlichte Antwort wie stets. Das war ein gutes Zeichen. Trotzdem setzte sich Schuldig lautlos in Bewegung, ging zügig und seine Telepathie, soweit es überhaupt ging, in den Hintergrund schiebend um sich mit den übrigen Sinnen nach Unregelmäßigkeiten zu orientieren, in die Richtung, aus der Sophie gekommen zu sein schien. Am Zimmer von Brad angekommen, sah er sich nochmal in beide Richtungen um. ‚Ich komme rein. Mach auf.’ Kurz darauf hörte er das charakteristische Klicken im Schloss der Entriegelung und eine Hand zog ihn nach innen. „Hey, langsam…“, murrte er und machte sich los, glättete das Revers an seinem Hemd. Das Zimmer war nicht beleuchtet, nur das Licht der Stadt schien durch das Panoramafenster herein. Schuldig registrierte das Glas in Brads Hand. „Wie lief’s?“ Brad ging zum Fenster hinüber, lediglich sein verschlossenes Profil Schuldig präsentierend. Es dauerte einige Momente bis der Telepath sich von dem Anblick loseiste und die Wut unterdrücken konnte, die bereits wieder die Oberhand gewinnen wollte. Brad spielte das übliche Spielchen: er wies ihn ab. Alles zeugte davon: seine Haltung, seine Gestik, seine Stimme, seine Worte. Alles. Schuldig hasste es. „Alles nach Plan. Keine besonderen Vorkommnisse, keine außerplanmäßigen Aktionen. Sonst noch was?“, gab er übellaunig zurück. Kurz war er in Sorge um diesen Arsch gewesen und jetzt hätte er ihm gerne eine rein gehauen. Nur allein wegen der Tatsache, dass er sich ihm gegenüber so reserviert verhielt. „Nein, du kannst gehen.“ Schuldig sah zu, wie Brad einen Schluck seines Drinks zu sich nahm. Vermutlich seinen heiß geliebten Whisky. Sein Blick verlor sich auf der Hand die das schmucklose Glas mit dickem Boden hielt. Whisky war so typisch für Brad, trotzdem er ihn selten trank. Immer dann, wenn er nachdenken musste. Immer dann, wenn etwas zwar gut lief, aber noch nicht abgeschlossen war. Nicht zum Feiern, nicht zum Trauern. Wobei Schuldig bezweifelte, dass Brad jemals um etwas trauern würde. Vielleicht um verlorenes Geld. Klar. „Ach…kann ich das, Eure Hoheit?“ Brad sagte nichts dazu. Er wollte sich nicht von ihm provozieren lassen. Aber heute nicht. Heute reichte es Schuldig. Ran misstraute ihm immer noch. Warum also das Ganze nicht ein wenig auf die Spitze treiben? Es war doch ohnehin egal. „Was ist eigentlich mit der Kleinen? Für einen kleinen Fick ging’s doch reichlich schnell, wart ihr so heiß aufeinander?“ Schuldig sah befriedigt wie sich Brads Hand mehr um das Glas spannte und er nach wie vor stoisch nach draußen starrte. Brad löste sich nach einigen Minuten aus seiner Haltung und durchquerte das Zimmer um zur Bar zu gelangen, kam dabei an ihm vorbei. „Ich wüsste nicht, was dich das anginge.“ Schuldig lachte hämisch. „So wie sie an mir gerade vorbeigezogen ist, sah es aus als hättest du etwas gewollt, was sie nicht bereit war zu geben, Keith“, spottete er, mit dem Hauch von Genugtuung. „Aber wir beide wissen doch ganz genau, was du wirklich willst, nicht wahr, Keith?“ Brad trank den Rest seines Whiskys, stürzte ihn regelrecht hinunter. Nur nichts vergeuden, Keith, ätzte Schuldig in Gedanken. Danach fand das Glas seinen Weg auf die Holzplatte des Tisches. Brad hatte ihm immer noch den Rücken zugewandt, was Schuldig zu mehr anstachelte. „Sie ist doch eher ein billiger Ersatz für mich, Keith.“ Schuldigs Stimme hatte einen rauen Ton angenommen, herausfordernd, dabei aber auch hinterhältig provozierend. Selbst hier im düsteren Licht erkannte er das Muskelspiel an Brads Rücken. Das dünne Hemd verriet, dass er angespannt war. Und in Erwartung des Kommenden verhielt Schuldig ganz ruhig in seiner Position zwei Schritt hinter Brad. Denn so ruhig, so gefährlich ruhig wie dieser war, wusste Schuldig, dass etwas kommen würde. „Was willst du von mir, Schuldig?“, kam es mühsam beherrscht aus der aufgerauten Kehle des Amerikaners. „Ehrlichkeit.“ Er setzte alles auf eine Karte, auch wenn er nicht wusste wie hoch dieser Einsatz in Wirklichkeit war. „Ich hasse dich. Ist es das, was du hören willst? Verschwinde endlich und lass mich in Ruhe.“ Noch immer diese Angespanntheit in der ganzen, ihm noch immer den Rücken zudrehenden Gestalt. „Einen Dreck werde ich.“ Schuldigs Gesicht zeugte von seiner Verzweiflung und auch seiner Wut über den anderen. Hinter seiner Stirn arbeitete es fieberhaft. Es konnte so nicht weitergehen. Wieso konnte es nicht so sein wie früher? Er machte einen Schritt auf Brad zu, berührte die harten, angespannten Muskeln am Oberarm und wurde sogleich, noch bevor er wirklich das Hemd zwischen seinen Fingern hatte, herumgeschleudert und ihm versagten seine Lungen den Dienst als sein Rücken unerquicklichen Kontakt mit der Wand herstellte. „Lügner“, zischte Schuldig und er hielt gegen Brad, stemmte sich gegen den anderen, landete trotz der überlegenen Kraft des anderen einen Schwinger in dessen Magen und befreite sich. Brad hielt sich zurück, wie Schuldig in einem kleinen Winkel seines Gehirn feststellte, bevor er erneut nachsetzte und Brad an der Tür festhielt. Ihn mit seinem Körper an diese presste. „Lügner. Lügner. Lügner.“ Immer wieder schleuderte Schuldig ihm dieses Wort entgegen, während Brad seinen Blick abgewandt hielt. Noch immer Spannung in Brads Körper, musste Schuldig viel Kraft aufbringen um ihn an der Tür zu halten. Ihr Atem vermischte sich, so nah waren sie sich. Schuldig biss die Zähne zusammen, beschloss es zu wagen. Er verstärkte seinen Druck auf Brad und neigte seinen Kopf ebenfalls zur Seite, berührte dessen Mundwinkel mit seinen Lippen. „Lügner“, flüsterte er. „Hör auf damit, verdammt.“ Brad wollte seinen Arm befreien, Schuldig spürte wie Brad seine Rücksichtnahme nicht mehr lange aufrecht halten würde, wenn er ihn weiter in die Enge trieb. Doch Schuldig nutzte die Gelegenheit. Seine Lippen fanden ihren Weg auf die unwilligen Lippen, er leckte kosend darüber, küsste Brad harsch. Während dieser sprach, stippte seine Zunge kurz zwischen die Lippen, kontaktierte Brads und beließ es bei diesem ersten, elektrisierenden Kontakt, als er sich zurückzog. All die Stärke verließ ihn plötzlich bei diesem Gefühl, das ihn durchzog. Er konnte es nicht beschreiben und es ähnelte auch nicht dem, was er für Ran empfand…oder doch? Er wusste es nicht. Er spürte nur, dass Brad für einen Moment genauso unsicher schien wie er. Doch der Moment währte nur kurz in dem Schuldig an Brad lehnte, bevor er weggeschoben wurde. „Verschwinde.“ Brads Stimme war brüchig, angeschlagen. Schuldig atmete tief ein, während er wie betäubt zusah, wie Brad zur Bar ging, sich nachschenkte, seinen Drink hinunterstürzte und dann ins Bad ging. „Ich…“, fing Schuldig an, die Hand zunächst hilflos erhoben, als wollte er den anderen aufhalten, ließ er sie dann jedoch sinken, die verschlossene Tür anstarrend. Was hatte er getan? o~ Youji wusste schon, warum er damals zu Schuldig gesagt hatte, dass Ran kein guter Liebhaber war…alleine schon die gemeinsamen Nächte würden Youji den rothaarigen Japaner irgendwann umbringen lassen, so unruhig wie dieser schlief, sich von einer Seite auf die andere wälzte und im Schlaf irgendwelchen Unsinn von sich gab. Oder auch knurrte, dass es Youji beinahe vor Schreck aus dem Bett trieb. Nein, da bevorzugte er jemanden, der still schlief und keinen Mucks von sich gab. Seufzend richtete sich Youji auf und stahl sich in gewohnt lautloser Manier aus dem Bett. Er hatte schließlich jahrelange Übung darin, sich aus irgendwelchen Betten zu schleichen und Ran war nach anfänglichen Schwierigkeiten auch kein Problem mehr gewesen. Müde strubbelte er sich durch die Haare und ging so, wie er war - nur mit einer Pyjamahose bekleidet - aus dem Zimmer heraus in das stille Haus. Ein Schaudern erfasste ihn und er zog die Schultern ein. Diese Wände waren…unheimlich. Ihr Bewohner war unheimlich und Youji hatte das Gefühl, jederzeit von ihm angegriffen zu werden in der Dunkelheit. So war er auch dementsprechend vorsichtig, als er durch die Gänge streifte, immer auf der Suche…ja, nach was suchte er eigentlich? Nach seiner Neugier? Nach der Vorsicht? Oder war es gar sein gesunder Menschenverstand, den er verloren hatte, als er sich aus dem relativ sicheren Zimmer seines Freundes begeben hatte? Youji wusste es nicht, doch das tat seinem Detektivspürsinn keinen Abbruch. Lautlos stieg er die Treppen hoch, nur begleitet vom hellen Mondlicht, das durch den transparenten Bau schien und ihn in ein unwirkliches, kaltes Licht tauchte. Die Farben der Nacht waren dagegen weniger kühl, als von dem auf nächtlicher Erkundungstour seienden Mann gedacht. Denn für Jei waren sie wie flirrende bunte … Schemen, mit stetigen immer wieder kehrenden Schatten durchzogen. Die sich gerade näherten, durch das Haus streiften… Ein leichter Ölgeruch leitete Youji, als er sich weiter nach oben tastete. Was hatte Ran gesagt? Dass Farfarello malte? Irgendwie hatte er Probleme, sich genau das vorzustellen. Ausgerechnet der verrückte Ire malte. Doch war das wirklich der Mann, den sie samt Takatori bekämpft hatten und es immer noch taten? Gut, Gott sei Dank in letzter Zeit nicht mehr. Youji wollte sich nicht vorstellen, wie es werden würde, wenn sie sich doch einmal in feindlicher Absicht gegenüber standen. Konnten sie kämpfen? Wollten sie kämpfen? Wären sie durch Rans Verbindung zu Schuldig gehandicapt? Natürlich hatte er zu dem langhaarigen Japaner gesagt, dass jeder von ihnen durch seine eigenen Fesseln an Kritiker gebunden war, doch wie weit gingen diese Fesseln - und vor allen Dingen: waren sie länger als die Bande der Freundschaft, die sie hegten? In derlei Gedanken versunken, merkte Youji erst jetzt, dass er vor einer geöffneten Tür stand, die nicht viel von dem Raum, der hinter ihr lag, preisgab. Die Wände machten nach einigen Metern einen scharfen Linksknick. Youji lauschte, konnte jedoch nichts Verdächtiges feststellen, nur dass scheinbar aus genau diesem Raum der Farbgeruch, dieser leicht beißende Gestank nach Lösungsmitteln, drang. War Farfarello auch hier? Neugier überwog gegen die Angst, die ihn sonst vorsichtig werden ließ und er betrat lautlos den Raum. Das Bild beinhaltete keine Harmonie, nichts was miteinander verschmolz, nichts was den Betrachter liebkoste. Unruhe und Dunkelheit dominierten in ihm und doch konnte nur ein aufmerksamer Betrachter die feinen Nuancen erkennen, die Mischungen von Farben, die leisen Töne zwischen den groben provozierenden Strichen. So viele Farben, die nur er sehen konnte… würde es ihm irgendwann gelingen, sie anderen zu zeigen? Wollte er es denn? Jei hatte sich etwas von dem Bild entfernt, betrachtete es sich stumm, mit hängenden Armen. Sein Blick war auf die auslaufenden Ränder, die grazilen, zarten Umrisse der wütend erscheinenden Pinselstriche gerichtet. Es erschien dem Betrachter, ohne dass er es bemerkte, als saugten die dunklen Striche, die Lebendigkeit der anderen Farben ein, als würden sie verschluckt. Doch es fehlte etwas. Noch immer war es nicht … ganz fertig. Warum war es so unvollkommen? Gerade dieses hier? Wo er doch zunächst gedacht hatte, es wäre das Einfachste von allen? Warum gab es immer noch etwas, was er nicht verstand? Youji hörte die Geräusche mehr, als dass er den Mann, der mit ihm in diesem Raum stand, zunächst sah. Mondschein erhellte den weitläufigen Raum, zudem noch eine kleine Lampe, die in der hintersten Ecke des Zimmers stand und einen kleinen Blick auf die große Leinwand gestattete, vor der Youji nun einen Blick auf Farfarello erhaschte. Der Ire stand völlig reglos vor dieser Ansammlung von wilden, ineinander verkeilten Farben und raubte Youji in diesem Moment jegliche Illusion, dass er diesen Stil nicht kannte. Und ob er ihn erkannte…wie die Handschrift, wie der Stil eines Autors, so konnte Youji genauestens sagen, wem diese Art von Kunst zuzuordnen war. Er war schon oft genug auf dessen Ausstellungen gewesen. Himmel. Hätte er es gewusst…wie oft hatte er vor diesen Bildern gestanden und manchmal gedacht, dass sie ihm bekannt vorkamen, wie ein Déjà-vu, wie eine schwache Erinnerung an etwas, das sich nicht zeigen wollte. Und nun? Nun stellte er fest, dass einer seiner momentanen Lieblingskünstler ein Mann war, den er bekämpfte und dessen blutrünstige Vergangenheit er nur allzu gut kannte. Wie konnte das? Ja, das fragte er sich nicht zum ersten Mal, seit er hier war. Youji ließ seinen Blick über die halbnackte Gestalt des Iren gleiten und stellte fest, dass dieser gar nicht mal schlecht gebaut war, so wie er hier stand, mit nacktem Oberkörper und nachlässig attraktiv tief gebundener Leinenhose, durch die das Licht schimmerte. Es wäre durchaus etwas, das Youji anreizend fand. Leise lehnte er sich an die Wand und spähte um die Ecke, beobachtete den Schwarz dabei, wie dieser scheinbar gedankenversunken auf die Leinwand starrte. Was fehlte dem Künstler? Womit war er nicht zufrieden? Seine Augen glitten über die unzähligen, feinen und auch wulstigen Narben auf dem Körper des Iren. Woher hatte er sie? Lautlos ließ sich Youji nieder und hockte nun auf dem Boden, besah sich das Schauspiel vor seinen Augen. Das Hellblau war es, das den Hintergrund gebildet hatte und nun war es zu einem dunklen, trüben Sumpf zerflossen, in dem sich braune und schwarze Schlieren tummelten wie giftige Schlangen. Er sinnierte noch über diese Wandlung und stellte gerade fest, dass er diesen Vorgang nicht sonderlich schätzte, wollte er doch das Blau eher vordergründiger bewahren, als er eben dieses Sammelsurium aus Farben in seiner Nähe entdeckte. Sein Kopf wandte sich in diese Richtung. Natürlich wäre es nicht nötig gewesen dies zu tun, aber er wollte sehen, ob es nicht etwas war, das ihm entgangen war. Es dauerte um seine Einschätzung vorzunehmen und er verhaarte in dieser Kopfstellung, als ging sein Körper diese Drehung nichts an. Erst nach Beendigung dieser Prüfung wandte er sich wieder dem Bild zu, griff erneut zum Spachtel und versetzte einigen dunklen dicken Pinselschleifen harte hellblaue Kanten hinzu. Youjis Herz schlug bis zum Hals, als er hier saß und sich jeden Moment darauf gefasst gemacht hatte, dass er von Farfarello entdeckt, wenn nicht sogar angegriffen wurde. Doch nichts geschah, denn der Blick, der so lange in seine Richtung zu gehen schien, wandte sich wieder ab und bleiche Finger trugen mit dem Spachtel eine erneute Farbschicht auf. Youji beobachtete das Geschehen fasziniert und sich nicht wirklich bewusst, in welcher Gefahr er schweben mochte. Er gab sich der trügerischen Illusion hin, dass Farfarello - Empath, wohlgemerkt - ihn nicht spürte, doch der Teil, der ihm Naivität höchsten Grades zuschrie, wurde komplett von Neugier und Faszination überdeckt. Farfarello schien ihn zu locken mit seinem Verhalten. Wie eine Motte wurde er zum Licht gezogen, ohne dass er sich bewegte. Ohne, dass er auch nur einen Schritt tat oder etwas sagte. Es war interessant welche Wirkung die bloße Anwesenheit seiner Person auf den Blonden hatte. Weich und doch flatterhaft tummelten sich plötzlich gänzlich neue Farbkombinationen zu Jei und dieser legte nun nach einer längeren Zeit den Spatel zur Seite und wandte sich in einer einzigen fließenden Bewegung um, ging auf den größeren Mann zu. Einen Schritt vor ihm blieb er stehen, blickte auf ihn hinab und streckte ihm die Hand hin, damit der andere sie ergriff. Er hatte langsam eine Ahnung, wie er das Bild vollenden konnte. Stoisch abwartend und den Blick in die grünen, neugierigen, aber unsicheren Augen verschränkend faszinierte ihn das Mienenspiel und die dazugehörigen Gefühle die scheinbar vor ihm verborgen werden sollten. „Mach dir keine Mühe. Es ist doch sicher anstrengend?“, fragte er und legte den Kopf schief. Youji starrte Farfarello in das ihn auseinander nehmende Auge, schließlich auf die Hand, die vor ihm schwebte. Etwas in ihm drängte danach, sie zu ergreifen, ebenso sehr wie der Killer in ihm sagte, dass das falsch angebrachtes Vertrauen war. Er war hier ALLEINE mit einem ehemals verrückten Sadisten, der Menschen in Salzsäure tränkte UND der Omis Halbschwester umgebracht hatte. Verrat!, schrie alles in ihm, doch seine Gedanken wanderten zu Ran. Ran hatte ebenso wenig Verrat begangen wie er selbst auch. Nur dass Ran etwas für Schuldig empfand und das Einzige, was Youji für den Iren fühlte, war Vorsicht, aber auch Neugierde, gemischt mit Verachtung und Wut über das, was in der Vergangenheit geschehen war. „Neugier ist der Katze Tod, was?“, lachte er zynisch und ergriff diese bleiche, ebenso mit Narben übersäte Hand, die ihn kraftvoll hochzog. „Was soll anstrengend sein?“ Ohne gleich zu antworten dirigierte Jei sein Studienobjekt vor die Leinwand. Er blickte zu ihm auf und legte eine Hand auf den Bereich unterhalb des Brustbeines, schob den Mann weiter nach hinten, bis dieser auf die Farben traf. „Einen anderen Gesichtsausdruck zu deinen Gefühlen zu zeigen.“ Youji zuckte merklich zusammen, als er auf die noch nassen Farbschichten traf. Einen anderen Gesichtsausdruck? Ja…klar…Farfarello war Empath und konnte in ihn hineinsehen, doch das musste Youji noch lange nicht gefallen. Und das tat es nicht, denn er fühlte sich entblößt vor diesem Mann, der doch sein Feind war, sein Gegner. Er hatte Omis Schwester getötet und ihnen das Leben zur Hölle gemacht. Wo war der verrückte Schwarz geblieben, den er ohne Gewissensbisse bekämpfen und hassen konnte? Nicht hier, das sah er deutlich, auch an seiner Reaktion und an seinem Gefühl, das ihm sagte, sich nicht diesem Blick und dieser Berührung zu entziehen. „Warum interessiert dich das?“, fragte er und sah auf den anderen Mann hinab. Jei blickte auf. Der Mann war tatsächlich neugierig. „Interessiert?“ Er schüttelte den Kopf, die Hand wie vergessen noch immer auf der samtig warmen Haut. Sein Blick löste sich und richtete sich tiefer auf den grellen Kontrast, den seine vernarbte Hand auf diesem makellosen Untergrund bildete. Wie in Trance starrte er darauf. „Es interessiert mich nicht. Es ist unnötig, zuviel Energie darauf zu verschwenden Dinge vor mir verbergen zu wollen, die ich trotzdem und ohne Mühe erfahre.“ Er platzierte seine andere Hand auf das Brustbein, fächerte seine Finger ebenso auf. Faszinierend war dieser Unterschied zwischen ihnen. Youji starrte auf ihre Verbindung, auf die Hände, die ihn zwanglos berührten, als stünde nicht die halbe Welt zwischen ihnen, als würde es noch etwas anderes außer Feindschaft zwischen ihnen geben. Der blonde Weiß wurde vorsichtig. Feindschaft, ja, das stand zwischen ihnen. Dieser Mann war gefährlich, so anziehend und ruhig er sich hier auch geben mochte. Youji umfasste die Handgelenke des Iren, ertappte sich jedoch dabei, wie er diese Hände nicht von seiner Brust löste, sondern festhielt. Es war keine freundschaftliche Geste, eher etwas… Ja, was war es eigentlich? Youji verzog unwirsch die Lippen. Müßig, darüber nachzudenken, doch er dachte nicht daran, Farfarello so viel Kontrolle zu überlassen, dass er seine Hände ungestört auf Wanderschaft schicken konnte. „Deine Gabe…“, lächelte Youji schließlich. „Die du so freimütig einsetzt. Was bringt es dir, die wahren Gefühle der Menschen um dich herum zu kennen?“, fragte er ernst, seinerseits nachdenklich nun. „Die Masken zu kennen?“ „Bringen?“ echote Jei und sah irritiert auf. „Was bringt dir die Luft, die du einatmest?“ Sein Gesicht war dem anderen zugewandt, das Auge fragend und wissend zugleich. „Ich setze nichts ein, es ist einfach da, wie eine Berührung“, er wandte den Blick auf die Hände die ihn berührten. „Berührungen kann man tolerieren - oder auch nicht, ganz wie man will“, erwiderte Youji und ließ die Handgelenke des Iren los. Sein Blick irrte zu dem ruhigen Auge und streifte von dort aus über das vernarbte Gesicht, die wilden Haare bis hin zum Hals und dem freiliegenden Oberkörper. Farfarello mochte als verrückt gelten, aber durchtrainiert war er und das mit einer Sorgsamkeit, die keinen Zufall zuließ. Die Muskelgruppen der Oberarme, Schultern und des Bauches waren perfekt aufeinander abgestimmt und strahlten trotz der schlanken Gestalt unbändige Kraft aus. Wie Aya…, geisterte es durch Youjis Gedanken. Ihm sah man seine Stärke auch nicht an. „Will …“, sinnierte Jei und löste nachdrücklich seine Hände aus eben dieser Berührung. Er bückte sich und nahm die Palette und einen Spatel auf. „Eine Wahl habe ich nicht. Die Gefühle berühren mich und ich berühre sie, wenn sie es wollen, nicht, wenn ich es will.“ Langsam begann er damit die Silhouette des Mannes auf der Leinwand nachzuziehen. „Wenn jemand dich berührt… hast du dann eine Wahl?“ Er verrichtete seine Arbeit, während er sein Werk verrichtete. „Du musst die Berührung akzeptieren, denn sie ist schon geschehen. Du kannst danach erst davon laufen. Aber … wenn dich diese Berührung überall erreichen kann, überall gleich und immer… wohin willst du laufen?“ Wie kam es, dass er in ein paar Minuten mehr über den Iren zu erfahren schien als in den vergangenen fünf Jahren, in denen sie gegeneinander gekämpft hatten? Er hatte die plakativ böse Fassade dieses Mannes gehasst und bekam nun das Resultat präsentiert. Offen, als wäre es kein Geheimnis, als wäre er nicht der Feind, als könnte er mit diesem Wissen nicht Schwarz zu Fall bringen, wenn er und damit auch Kritiker es geschickt anstellten. Nur, dass er es Kritiker nie sagen würde. Um Rans Glück Willen, um seinem Seelenfrieden Willen. Denn auch wenn er gesündigt hatte, so würde er dieser Organisation nicht noch in die Hände spielen, was ihm hier so vertrauensvoll und ernst entgegengetragen wurde. Oder war es Absicht, so wie er es Ran einmal zugetragen hatte? Wollten Schwarz sie einlullen? Crawford vielleicht, Schuldig auch noch, aber Farfarello? Nein. „Und wie lernt man dann, damit umzugehen?“, fragte er schließlich und lauschte den rauen Strichen des Spatels auf der Leinwand, die seine Gestalt ummantelten. So…war er dieses Mal also Teil des Kunstwerkes und nicht nur stummer Beobachter. Youji lächelte. So konnten sich Dinge ändern. Wer hätte einmal gedacht, dass er diesen geheimnisvollen Künstler einmal kennen lernen durfte? Jei war an der linken Schulter angelangt und hob den Kopf an, wandte das Gesicht dichter an das des blonden Mannes heran, bis ihn nur noch wenige Fingerbreit trennten. Näher. So nahe…war er… Er maß das Gesicht mit seltsam müden Blick und dem Ansatz eines fiebrigen Lächelns. „Gar nicht. Man wird … verrückt.“ Das letzte Wort traf auf die Lippen, wisperte an ihnen entlang und wusste nicht wohin, als hätte es sich verirrt. „Bist du es denn?“, fragte Youji mit einem Lächeln auf den Lippen, das seinem Spieltrieb entsprang. Er wusste, dass diese Situation hier ganz schnell umschlagen konnte, ganz schnell für ihn unkontrollierbar werden könnte. Doch nein, er wollte spielen, wollte den Iren herausfordern. Er fühlte den warmen, seichten Atem des Iren auf seiner Haut und wie von selbst hob sich eine seiner Hände. Sie legte sich auf Farfarellos nackten Oberkörper, direkt auf sein Herz. „Du scheinst es mir nicht zu sein.“ Sie waren sich nahe, so nahe wie nie zuvor, doch Youji hatte keine Angst. Nicht vor diesem Mann, nicht vor dessen Berührung, vor gar nichts. Ein breites Lächeln erschien plötzlich, es war fremd, es war neu und es war gefährlich. „Ja.“ Die Antwort verklang in der Berührung der weichen Haut und er verschmolz förmlich in den Farben, die um ihn aufwallten. Warum nur so grell, warum so rot? Vor allem… Warum… kamen sie nicht von dem Körper vor ihm? Woher kamen sie? „Na dann ist ja gut“, flüsterte Youji. „Ich bin es auch.“ Seine Lippen überwanden die Barriere zwischen ihnen beiden und nahmen sich das, was sie in diesem Augenblick begehrten, ohne zu zögern, ohne Reue, ohne einen Gedanken über das Nachspiel. Die Lippen des Iren fühlten sich weich und warm an, nicht so hart wie der sehnige Körper. Sie schienen verwirrt, skeptisch, offen noch für ihn. Dies war der Augenblick, in dem Jei zögerte, wartete, nicht wissend was er tun sollte. Vieles von dem, was er von Yohjis Gefühlen erfuhr zeugte von Aufregung, aber gleichzeitig auch von Ruhe, doch von ihm selbst … kam nichts. Also wartete er, stupste die Lippen des Blonden an, während er fragend aufblickte. Youji wusste nicht genau, was er erwartet hatte, doch das hier…traf es genau. Er hatte weder erwartet, dass Farfarello sich ihm nun in einem stürmischen Kuss hingeben würde, noch, dass der andere Mann ihn plötzlich niederrang. Nein, das wäre alles nicht passend gewesen. Doch das hier…das hier war Neugier. Youji sagte nichts, sondern lächelte nur, umgarnt und beruhigt von dieser Situation, von dem sie umschwelenden Farbgeruch. Sie sahen sich in vollkommener Stille an, nur auf sich konzentriert. Die Projektion von zarten Farbnuancen auf sich selbst nahm Jei in diesem Moment halb in sich gekehrt war. Er ahmte die Bewegung der Lippen nach und lauschte auf sich selbst, doch es kam nichts. Er hörte das Schlagen seines Herzens, das Rauschen des Blutes in seinen Adern, den Fluss des Atems… doch sonst… war es still in ihm. Sein Blick verschloss sich und er löste sich etwas, nur um dann das Auge wieder zu öffnen und dem Mann einen Anflug von unverständiger Trauer zu widmen. Gerade jetzt war es als käme die Frage aller Fragen wieder in ihm auf: Warum konnte er Gefühle schenken, aber keine erleben? Warum? Verbitterung … ja das war auch ein Gefühl, warum fühlte er es jetzt nicht? Wenn das Wort doch dafür stand, wie er sich jetzt fühlen sollte? Youji beobachtete das Mienenspiel des Iren, beobachtete, wie sich dessen Gesicht von Ruhe zu etwas entwickelte, dass man durchaus Schmerz nennen konnte und das auf ihn bezogen war. Youji verstand es nicht, verstand diese Reaktion nicht. „Warum bist du traurig?“, fragte er schließlich leise, ohne den anderen Mann zu berühren, jedoch ohne den Blick von ihm abzuwenden. Dessen Gesicht wandte sich ab zur Seite hin, verlor sich in den Farben der Leinwand. „Das bin ich nicht“, gab er einsilbig zurück und nahm seine Arbeit wieder auf, langsam, fast zögerlich, als wüsste er nicht, was er tun sollte. Das Geräusch des Werkzeugs auf der Leinwand zog seine äußerliche Aufmerksamkeit auf sich. Doch diese leise Frage beschäftigte ihn, die Gefühle die der andere dabei aussandte zeugten von Anrührung. „Du magst keine traurigen Menschen“, stellte er seine Beobachtung für sich fest und setzte den Spatel mit einer Auswärtsbewegung neben Kudous Hals auf der Leinwand an. „Magst du sie denn?“, fragte Youji und hörte, wie der Spatel von ihm weg auf der Leinwand kratzte. Er wusste, dass er sich später fragen würde, warum er hier für Farfarello Modell gestanden hatte, warum er überhaupt zugelassen hatte, dass dieser ihm so nahe kam, doch nun…zählte nur seine Neugier, die verlangte, mehr über diesen Mann zu erfahren. „Ich habe … keine Gefühle zu traurigen Menschen, du schon.“ Jei war am Kopf angekommen und spähte zur Seite in die grünen ihn musternden Iriden. Der Mann sog gerade zu Trauer in sich auf, ließ sich von ihr einlullen, hinabziehen und sie machte ihn verwundbar. „Und dennoch hat dein Gesicht gerade Trauer getragen“, erwiderte Youji schlicht. Er hatte diesen Ausdruck gesehen, direkt nach dem Kuss. Was war das gewesen? „Hat es das?“ Jei ließ den Spatel sinken, er blickte den Mann vor sich an als sehe er ihn zum ersten Mal. Die Palette fiel zu Boden und seine Hand hob sich zu seinem Gesicht, befühlte seine Wange. „Hat es das?“ Youji nickte schweigend und beobachtete jede Regung im Gesicht des anderen Mannes. Farfarello schien regelrecht geschockt zu sein über diese Tatsache. Warum, das verstand Youji nicht - noch nicht? „Ich verstehe das nicht“, flüsterte Jei und senkte den Blick zur Seite abwärts. „Wenn ich doch nichts fühle… warum …ich…“, fast atemlos wirkten die Worte als er sich zur Seite drehte und nicht wusste, wohin er mit sich sollte, was er wollte… und warum sich alles so verkehrte…plötzlich. Youji trat vor, löste sich von der ihn nur zögernd loslassenden Farbe. Seine Hände schlossen sich um Farfarellos Oberarme und zogen den anderen Mann zu sich heran. „Du bist ein Mensch. Warum solltest du nichts fühlen?“, fragte er ruhig. Mensch. Jei war der Meinung, dass dem nicht so war. „Ich kann mich von anderen nicht separieren“, murmelte er wie in Gedanken in eine Erklärung vertieft, er spürte auch nicht die körperliche Nähe zum anderen. Wie war das gegangen, dass er nun eines der Gefühle herausgegriffen hatte… wie war es geschehen, dass er ein einziges Gefühl erkannt hatte und es für sich haben durfte? Und warum gerade Trauer? „Es war aber nicht meine Trauer“, hielt Youji dagegen. Seine rechte Hand verließ den muskulösen Oberarm des Iren und bettete sich unter das Kinn des Mannes. Prüfend sah er ihm in das Auge. Jei sagte darauf nichts. Das helle Bernstein seines Auges glimmte abschätzend im Licht, doch sein Gesicht wirkte wie stets ausdruckslos. Seine Trauer war es. „Es ist wieder weg. Es war schön und hat nur mir gehört. Nur mir allein.“ Sein Gefühl der Trauer war kurz gewesen. Er lächelte und wandte sich ab. „Die Farbe muss abgewaschen werden“, murmelte er und zog an der Hand, die sein Kinn zuvor gehalten hatte. Youji ließ sich von diesem starken Griff mitziehen. Abwaschen?, fragte er sich verwirrt, dann jedoch wurde ihm klar, dass Farfarello ihn unter die Dusche stellen wollte…ein Verdacht, der spätestens dann an Form gewann, als er sich nun wirklich in dem ausladenden Bad des Anwesens befand, genauer gesagt in der weitläufigen Duschkabine. Er sah verwirrt auf Farfarello hinab. Jetzt erst kam er dazu, über die Worte des Iren nachzudenken. Ein Gefühl nur für ihn allein? Was meinte er damit? Hatte er als Empath nicht alle Gefühle für sich allein? Es schien, als würde Youji kurz ein Licht aufgehen. Was, wenn ein Empath so von Gefühlen überströmt war, dass er für sich selbst nichts empfinden konnte? Oder was, wenn es etwas anderes war? Der Regenschauer prasselte auf sie herunter und Jeis Linke griff zu einem Schwamm wusch mit beherzten Strichen die Farbe von der Haut am Rücken. Erst als alle Farbe weg war, legte er unbeteiligt den Schwamm zurück und blickte für einen zögernden Moment auf den Blonden, bevor er sich umdrehte. Es war nichts Erotisches in den Berührungen gewesen, in diesem Waschen und dennoch fühlte Youji einen Hunger nach mehr, den er sich selbst nicht erklären konnte, geschweige denn, den er vor sich rechtfertigen konnte und wollte! Farfarello war Schwarz, Schwarz waren ihre Gegner. Sie mischten sich nicht. Doch wem erzählte er das eigentlich? Das lauwarme Wasser auf seiner Haut ließ ihn schaudern. Seine Pyjamahose klebte unangenehm an seinen Beinen und er widerstand dem Drang, sie auszuziehen. Youjis Blick ruhte auf dem Rücken des Iren, seine Lippen öffneten sich, als wollten sie noch etwas sagen, doch nichts entkam ihnen. „Was ist?“ Jei hatte das seltsame Gefühlssammelsurium wahrgenommen und verstand es nicht. Diese innere Unruhe des anderen… Da hatte er doch schon wieder vergessen, dass er hier mit seinen Gefühlen nicht alleine war. Ob er sich emotional entblößt fühlte, war für Youji in diesem Moment schwer zu sagen. Es war nicht so wie bei Schuldig, nicht so….aufdringlich, vielleicht konnte er deswegen besser damit umgehen. „Warum hast du so eine Wirkung auf mich?“ Den Kopf zur Seite drehend lauschte Jei für einen Moment auf das prasselnde Nass in seinem Rücken. „Vielleicht … weil ich …anders bin als das Gewohnte.“ Anders. Ja, in vielerlei Hinsicht war Farfarello das. Anders als andere Menschen, anders als sein Feindbild, anders als Schwarz. Youji lächelte. Wunderbar. Noch mehr Verwirrendes zum Verarbeiten. Als wäre sein Leben momentan nicht schon kompliziert genug. „Wieso könnt ihr eigentlich nicht das sein, was ihr solange für uns repräsentiert habt?“, fragte er unbestimmt. Jei verzog die Lippen zu einem kleinen verblassten Lächeln, das er einmal bei Schuldig entdeckt hatte, ein Ausbund an unterschiedlichen Arten zu Lächeln, seine Freude, seine Melancholie, seine Trauer, seine Wut, seine Bosheit, seine Gier, seine Macht über andere auszudrücken. Schuldig war ein interessantes Studienobjekt, ebenso wie dieser Blonde hier. „Weil es zu einfach wäre.“ Youji starrte Farfarello erst überrascht an, dann lachte er befreit. Wie wahr. Wie wahr das doch alles war. Zu einfach…richtig. Als wenn irgendetwas mal NICHT schwierig wäre. „Es muss immer schwierig sein, nicht wahr? Sonst wäre es zu langweilig“, schmunzelte er mit einem Stich an Wehmut darin. Eine Gemütsregung, die Jei sich halb umwenden ließ. „Wenn es einfach wäre, würden wir uns nicht entwickeln, es wäre keine Herausforderung, oder?“, neigte Jei den Kopf leicht zur Seite. „Du… bist auch nicht einfach.“ „Ist das ein Kompliment?“, fragte der blonde Weiß zurück und seufzte. Er fuhr sich durch die klatschnassen Haare und stellte den Regenschauer der Dusche aus, bevor er sich eines der Handtücher griff. Einfach? Nein, war er nie gewesen. Sie alle nicht. Sie alle hatten ihre Ecken und Kanten, ihre Psychosen und Träume…ihre kleinen Paradiese, die kein Außenstehender begreifen konnte. „Nein, es bedeutet, alles, was nicht einfach ist, ist eine Herausforderung“, sagte Jei und wandte sich zum Gehen. o~ Der Wagen setzte ihn ab und Schuldig schulterte seine Tasche, den Aktenkoffer in seiner Linken haltend. Er hatte den Augenblick gefürchtet in dem er zurückkommen und sein Apartment verwaist vorfinden würde. Seine Schritte trugen ihn die Treppen zum Eingang hinauf und passierten die Tür samt Schlüsselkontrolle der oberen Apartments. Wie schon viele Male zuvor überdachte er ihr Gespräch, ihren letzten Gedankenaustausch und kam zu keinem guten Ergebnis. Warum sollte Ran bei ihm bleiben? Welchen triftigen Grund gab es dafür? Keinen. Das war die bittere Antwort. Hatte er ihn nicht in dieses Apartment gezwungen? Hatte er ihm nicht seine Nähe aufgezwungen? Hatte er ihn nicht …in dieses Leben gezwungen? Ja verdammt. Du warst es. Du hast ihn… in ein Leben gezwungen. Es war dieses Leben. Aber es war EIN Leben. Es war nicht die Selbstaufgabe. Es war nicht der kalte Tod. Du wirst pathetisch, Schuldig, rief er sich zur Raison. Flüchtig streiften seine Gedanken die Szene in Brads Hotelzimmer, den Kuss. Den Kuss, den beide verdrängen wollten. Am nächsten Tag war es so, als hätte es den Kuss nie gegeben, Brad verhielt sich wie die Tage zuvor zu ihm und Schuldig …Schuldig ging darauf ein, verhielt sich ebenso, als wäre nichts gewesen. Alles beim Alten. Sie kamen aus diesem Dilemma nicht heraus. Es würde nur schlimmer werden. Während er sich seiner Wohnung näherte tastete er die Räume hinter den Wänden nach Personen, nach Eindringlingen ab. Alles war sauber. Er öffnete die Tür zu seiner Wohnung. Der Klick, der trotz aller Telepathie noch einen dezenten Anteil an Unsicherheit besaß. Dunkelheit und Kühle schlug ihm entgegen und er schaltete das Licht an. Sein Blick glitt vom unberührten Bett zur leeren Couch. Ran war nicht da. Niemand war da. Er war allein. Die Tasche kam auf dem Boden auf und Schuldig lehnte sich schwer gegen die ins Schloss fallende Tür. Minuten vergingen, in denen er dort stand und blinden Blickes vor sich auf den Boden starrte. Vielleicht war alles gar nicht so schlimm, wie er jetzt erwartete. Vielleicht war Ran noch bei Jei. Tief einatmend stellte er den Koffer ab und entledigte sich seiner Schuhe und dem Mantel. Seine nächsten Schritte trugen ihn zum Telefon, wählten die Nummer des Anwesens, in dem sich Jei und Ran aufhalten sollten. Niemand nahm ab und Jei war auch mental dort nicht zu erreichen. Mit tiefen Sorgenfalten legte er das Gerät auf den niedrigen Tisch ab, setzte sich für einen Moment auf die Couch und stützte sein Kinn auf eine Handfläche. „Wo bist du?“, murmelte er gedankenverloren. Brad war sicher bald Zuhause und wenn etwas geschehen wäre, dann hätte Brad dies mit Sicherheit voraus gesehen. Also kein Grund zur Sorge, versuchte er sich zu beruhigen und erhob sich nach einigen Augenblicken. Den Gedanken, dass Brad seine Voraussicht unter den gegebenen Umständen nicht mitteilen würde…vergrub er tief in sich. Nicht wirklich wissend, was er mit sich anfangen sollte, beschloss er, seine Unruhe mit einer Dusche zu vertreiben. War deshalb niemand zu erreichen, weil Ran gegangen war? War er tatsächlich fort? Schwerfällig zog er sich aus, ließ die Kleidungsstücke dort fallen wo er stand und trat unter das tröstend warme Nass. Es war betäubend sich auszumalen, dass alles vorbei war, dass es das nun gewesen sein sollte. Ran hatte sich gegen ihn entschieden? Oft hatte er sich die verbliebenen Stunden in Shanghai ausgemalt, wie er reagieren würde, wenn Ran sich gegen ihn entscheiden würde. Wie es sein würde wenn Ran seinen Traum ausgeträumt hätte. Wenn Schuldig als Albtraum zurückbleiben würde. Hinter verschlossenen Lidern, als vergessener Traum…wie er es bei so vielen war. Wie er fühlen würde und hatte sich … nein hatte versucht sich darauf vorzubereiten. Und nun war es lediglich eine kalte Leere die sich in ihm ausbreitete. So kalt, wie die Wohnung bei seinem Betreten gewesen war. Ausgekühlt, schal, leer und dunkel. Vergessen. o~ Aya vergrub sich noch einen Zentimeter tiefer in die dicke Schicht an Kleidung, die ihn umgab. Es war schneidend kalt, als er sich hier einen Weg durch Tokyo bahnte, mit den Gedanken überall, nur nicht bei seiner Umgebung. Youji war noch dageblieben und vor zwei Tagen erst gefahren…und gleich würde er zu Schuldigs Maschine zurückkehren und sich auf den Rückweg zum Anwesen machen um seine Sachen zu packen. Farfarello….Jei…wie der andere Mann auch hieß, hatte sich in diesen zwei Wochen von einer Seite gezeigt, die Aya mehr als neugierig machte, da sie doch nicht der üblichen Verhaltensweise entsprach, die er kannte. Sie beide hatten die Zeit überstanden, ohne sich zu töten. Aya wandte seinen Blick zum Himmel und schloss für einen Moment die Augen. Na Aya, hättest du das je gedacht? Wäre ich je soweit gekommen? Was wäre passiert, wenn du nicht gestorben wärst?, fragte er sich und fühlte einen Stich an Schuld für sein Glück, das er jetzt empfand. Wäre Aya noch am Leben, wäre er Schuldig nie so nahe gekommen. Nie. Alles wäre anders verlaufen. Sehnsucht nach Schuldig brannte in ihm auf, doch er wusste, dass er an diesem Abend ankommen würde. Bald sogar…ganz bald. Und dann konnte er den Telepathen in die Arme schließen und ihm sagen, wofür er sich entschieden hatte. Die Dunkelheit war ihr Kleid, die Stunde ihr Gebot. Lautlose Schatten über den Dächern, Verfolger der Beute in der nächtlichen Kälte. Sie schlichen sich an, überwanden den Instinkt zur Flucht ihrer Beute, tauchten in der schummrigen Beleuchtung als schwarze Gestalten in der Gasse auf. Sie hatten den Überraschungseffekt auf ihrer Seite und der erste Schlag kam von hinten, wischte den Mann von den Beinen. Da ist etwas, hatte Ayas Instinkt geflüstert, doch bevor er sich umdrehen konnte, landete er schon brutal und rücksichtslos auf seinem Hintern. Sein Kopf folgte auf den Asphalt und für einen Augenblick sah er nichts anderes als Sterne, bevor er sich aus Geistesgegenwart zur Seite rollte und auf die Knie zu kommen versuchte. Seine Sicht verschwamm ihm vor Augen aufgrund des Aufpralls und er konnte nicht richtig ausmachen, wer ihn angegriffen hatte. Kritiker etwa? Verdammt…wieso war er so unaufmerksam und vertrauensselig gewesen? Wieder ein Schlag, der den Mann traf, dieses Mal im Gesicht. „Er denkt nach. Aber er kommt nicht drauf“, wisperte eine glockenhelle Stimme, zerschnitt die Geräusche der Stiefelsohlen die näher kamen. Gehässiges Lachen sprudelte hervor. Die schattenhaften Gestalten hatten sich so postiert, dass sie jederzeit eine Flucht ihrer Beute verhindern konnten. Der Schlag schickte Aya ein weiteres Mal beinahe zu Boden. Konzentriere dich auf deine Instinkte, verdammt!, rief er sich selbst zur Ordnung und stemmte sich mit aller Macht los. Er sah nichts, ihm war übel und schwindelig, doch seine Ohren funktionierten immer noch, also musste er sich auf diesen Sinn verlassen, der ihm sagte, dass sie sich ihm näherten, dass sie neben ihm standen. Er kam nicht darauf? Was sollte das heißen? Wer waren sie? Er zischte und seine Faust schnellte nach vorne, traf auf etwas Hartes. Dieser Schlag löste sein überraschtes Keuchen aus, als er auf einen fein modulierten Kiefer traf und wieder dieses Lachen zu hören war. „Er wehrt sich, wie possierlich.“ Darauf folgten ein ungehaltenes Knurren und ein weiterer Schlag. Aya gab ein schmerzerfülltes Stöhnen von sich und sackte auf den Boden. Der Schlag hatte seine Schläfe getroffen und ließ ihn nun schwanken vor Schwindel. Ihm wurde kurz schwarz vor Augen, doch er zog sich mit Gewalt zurück. Ihm wurde plötzlich bewusst, dass das hier kein Zufall war…sie hatten es direkt auf ihn abgesehen. Er blinzelte gegen das Blut in seinem rechten Augen an, erblickte über sich Schatten, die er mühsam auseinander zu ziehen versuchte, damit er sich darauf einstellen konnte, wie viele ihn angriffen. Kritiker waren es nicht…warum sollten sie? „Wer…seid ihr?“, presste er zwischen seinen Zähnen hervor. Die Antwort kam mit schnellen Stiefelschritten, einer Abfolge von mehreren Schüssen und einem Messer, welches zielsicher in der Flanke eines der Angreifer landete. Diese ließen sich es nicht nehmen, dem auf dem Boden liegenden Mann zwei Tritte in die Seite zu verpassen, bevor sie sich einvernehmlich durch ein Zeichen ihres Führers eingeleitet lachend davon machten. Es war ein Spaß, eine kleine nächtliche Unternehmung gewesen, die ihnen aufschlussreiche Erkenntnisse gebracht hatte. Und nun kam ein Gast, den sie nicht hier haben wollten und der ihnen ungelegen kam. Sie zogen es vor, ihre Unternehmung für beendet zu halten. Der Neuankömmling trat mit ruhigen, langsamen Schritten näher an den zusammengeschlagenen Mann heran, versicherte sich jedoch noch immer der Umgebung. Er blickte dabei nach oben in den nächtlichen Himmel, während sein ganzes Ich, Ruhe und Sicherheit ausstrahlte, dem Adrenalin entgegenwirkte, Angst vertrieb, aber auch den Kampf- und Fluchttrieb etwas milderte. Dann erst kniete er sich hin, die Finger an der blutenden Schläfe entlang führend. Aya zuckte instinktiv vor eben diesen zurück, doch weniger aus Angst, denn aus Schmerz, der ihn sich krümmen ließ. Er zitterte, als er hochsah und verschwommen erkannte, wer für diese merkwürdige Ruhe und Gelassenheit in seinem Inneren verantwortlich war…wer anscheinend auch die anderen Männer vertrieben hatte. „Farfarello…“, wisperte Aya und hielt sich die Seite. Als wäre es noch nötig, sich der beinahe schon tröstlichen Gegenwart des anderen Mannes zu versichern. „Steh auf“, wies Jei ihn nüchtern an und fasste den Rothaarigen unter dem Arm, zog leicht daran. „Bist du ihnen schon einmal begegnet?“ Jei suchte noch immer mit seinem forschenden Blick die Umgebung ab, nichts erweckte den Eindruck, als würden sie zurückkehren. Aya ließ sich ohne Kommentar hochziehen, stellte jedoch zwei Augenblicke später fest, dass er keinen Schritt würde gehen können, so wie seine Eingeweide sich verknoteten und vor Feuer brannten. Er konnte ja noch nicht einmal den Mund richtig zum Sprechen bewegen. Er schüttelte stumm den Kopf, versuchte dadurch auch, seinen Schwindel zu vertreiben, was ihm nur mäßig gelang und damit endete, dass er sich schwer auf Farfarello stützte. „Ich…habe keine Ahnung…wer die waren…“, presste er schließlich hervor. „Sie sind gefährlich.“ Jei steckte seine Waffe in den Holster seiner Weste zurück und bot danach dem gleichgroßen Mann eine Stütze. So bewegten sie sich nur langsam vorwärts, die Dampfwölkchen ihres Atems stets voraus gerichtet. Jeis Gedanken suchten nach einem Ort, der in der Nähe lag und fanden ihn. Eine Sicherheit für das Kätzchen in seinen Armen, die für den Moment nicht größer hätte sein können. Seine Entscheidung war gefällt und somit kehrten seine Gedanken zu einem anderen Punkt der Besorgnis zurück: die Angreifer. Sie hatten ein Merkmal an sich, welches er im Team zur Sprache bringen musste… Als sie schließlich bei dem großen Apartmentkomplex ankam, in dem Schuldigs Loft lag, war Aya kaum mehr in der Lage, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Langsam aber sicher setzte sich der Schock über diesen plötzlichen Angriff, weniger über die Tat an sich, als dass er sich vollkommen sicher gefühlt hatte und diese Sicherheit zersplittert worden war. Dieser Männer hatten es nur auf IHN abgesehen, sie kannten ihn und wollten ihn verletzen… töten? Wer in aller Welt waren sie? Schweigend blieb Aya schließlich mit Farfarello stehen, der ihn nach Hause gebracht hatte. In Sicherheit, wie es ihm eine kleine Stimme flüsterte, die er erbost verscheuchte. Er war ein Killer, er konnte sich wehren… und er war keinesfalls das Opfer. Jei öffnete die Tür, stützte seinen Schützling bis sie am Aufzug angekommen waren. „Sag Schuldig, dass der Auftrag beendet ist und ich die Bezahlung erhalten habe.“ Aya starrte Farfarello auf das abgewandte Gesicht. Auftrag beendet? Bezahlung entgegengenommen? Sein schmerzvernebelter Geist wollte sich zuerst keinen rechten Reim darauf machen, als schließlich ein kleiner, aber nagender Verdacht in ihm aufkeimte. „Was war der Auftrag, Farfarello?“, fragte er leise, erschöpft und schloss für einen Moment seine Augen, bis sich der erneute Schwindelanfall legte. Den Verletzten ins ausdruckslose Auge fassend, legte Jei den Kopf nachdenkend schief. „Ein Personenschutzauftrag“, nickte er sodann und versuchte den Zustand des Mannes einzuschätzen. Er konnte nicht sagen, ob er den Weg hinein schaffen würde, und öffnete die Tür weiter, stützte ihn und zog ihn hindurch ins warme Innere. Der Nachtportier schien gerade seine Runde zu machen, denn er saß nicht am üblichen Posten. Jei registrierte diesen Umstand mit Argwohn. Aya ließ sich wortlos mitziehen. Personenschutzauftrag. Wer außer ihm sollte damit gemeint sein? Verdammt noch mal, was war er? Konnte er nicht gut genug auf sich selbst aufpassen, oder warum brauchte er einen Beschützer? Eine kleine, zynische Stimme in seinem Hinterkopf verneinte das und zerrte noch einmal die Erinnerungen des Angriffs hervor. Wer weiß, was sie mit dir gemacht hätten, wenn Farfarello dir nicht geholfen hätte, mein Lieber, säuselte sie und Aya zischte. „Ich finde schon alleine zurück“, wandte er sich unwirsch an Farfarello, trotzdem erbost über dessen Dreistigkeit. Über SCHULDIGS Dreistigkeit. „Gut.“ Jei nickte und war im Begriff sich umzuwenden, als er sich dafür entschied dem Mann nachzublicken, bis dieser in einem der Aufzüge verschwunden sein würde. „Rot steht dir nicht“, sagte er und sah dem Mann nach. Nein, Rot war keine Farbe, die der andere im Inneren mit sich tragen sollte. Aya lehnte schwer an der Wand der Aufzugskabine, die ihn ganz nach oben zu Schuldig bringen sollte. Was hatte Farfarello gesagt? Sein Geist versuchte die Worte für sich zu verstehen, zu begreifen, was der Ire ihm gesagt hatte. Rot stand ihm nicht. Dass er damit seine Haarfarbe meinte, bezweifelte Aya stark. Wenn er eines in diesen verfluchten zwei Wochen gelernt hatte, dann über die zweideutigen Worte des Empathen zu grübeln, die meist mehr aussagten, als sie augenscheinlich beinhalteten. Rot. Rot wie die Leidenschaft. Aber auch rot wie der Hass und der Zorn. Konnte es das sein? Stand ihm seine Wut nicht? Vermutlich nicht, wenn man bedachte, wie sehr er um Ruhe gekämpft hatte und das immer noch tat. Er hasste diese Wut, dennoch brandete sie immer und immer wieder in ihm hoch. Und nun…nun war es eher der Zorn darüber gewesen, dass er sich von diesen Unbekannten hatte überrumpeln lassen und dass er vor Schmerzen nicht mehr laufen konnte. Dazu kam aber, dass er erfuhr, dass Schuldig es für nötig befand, ihm einen BABYSITTER an die Seite zu stellen. Und ja, der Groschen fiel bei Aya. Vermutlich war das ein abgekartetes Spiel zwischen den Beiden gewesen. Er sollte auf Farfarello aufpassen, der von Schuldig den Auftrag erhalten hatte, auf IHN aufzupassen. Wunderbar. Einfach herrlich. Hätte es nicht so wehgetan, hätte Aya darüber gelacht. So begnügte er sich damit, die Schlüsselkarte durch das Schloss zu ziehen und die Tür aufzustoßen. Vielleicht war Schuldig ja schon da…vielleicht aber auch nicht und dafür jemand anderes… Hör auf!, schalt er sich selbst, als er die Tür hinter sich schloss. Das war paranoid. Diese Männer kamen sicherlich nicht hierher. Oder? Aya lehnte sich gegen die geschlossene Tür und bemerkte das kleine Licht, das einen kleinen Teil der Wohnung erleuchtete. Er schloss überwältigt von dem plötzlichen Gefühl des Zuhause Seins die Augen. Schuldig war da. Er war zuhause. Er öffnete seine Augen und näherte sich dem Wohnbereich, sah schließlich den anderen Mann, wie er schlafend auf der Couch lag. Aya atmete erleichtert aus. Schuldig war hier, unversehrt und das schon seit einiger Zeit…zumindest hatte er Zeit gehabt, sich umzuziehen. Ayas Lippen umspielte ein vorsichtiges, warmes Lächeln, als er sah, was sich Schuldig angezogen hatte. Klar…wie konnte er diese Cordhose, dieses Mickeymouseshirt unter dem Baseballpullover nicht erkennen? Schuldigs Lieblingsklamotten, bei denen er sich strikt weigerte, sie wegzuwerfen. Auch wenn seine Erfahrungen mit diesen Sachen nicht ganz so positiv gewesen waren, so wusste er doch, dass sie Schuldigs Ein und Alles waren und genau das trieb einen warmen Schauer an Zuneigung durch seinen zitternden Körper. Langsam schälte sich Aya aus seinem Mantel und ließ ihn so, wie er war, auf den Boden gleiten. Wegräumen konnte er ihn morgen. Mit Mühen entledigte er sich der dicken Stiefel und schlich sich zu Schuldig auf das Sofa, das breit genug für sie beide war. Er legte sich dazu, zog sich mit schmerzverzerrtem Gesicht näher an den Telepathen heran. Endlich, nach zwei Wochen…der vertraute Geruch, diese Körperwärme, der tröstliche Herzschlag…Schuldig war wieder da, er war endlich wieder da. Aya presste seine Stirn gegen die Brust des anderen Mannes und legte einen Arm um dessen Gestalt. Auch wenn es ihm nicht gut ging, so trat das in diesem Moment in den Hintergrund, da sich Erschöpfung und Erleichterung zu einem großen, schwarzen Loch auftaten und ihn schier hineinzogen. Er zog die Decke, die sich an Schuldigs Beinen verfangen hatte, über sie beide und ergab sich schließlich seiner körperlichen und geistigen Müdigkeit…ja, auch dem Schock, der noch in ihm schwelte. Sich nicht ganz von der Traumfee lösen wollend, spürte Schuldig die Schwere eines Körpers an sich, vertrauten Geruch, überlagert von etwas anderem und er öffnete die Augen, zog instinktiv den vertrauten Körper näher an sich heran. Schattenhaft erkannte er die Züge, beruhigte seine innerlichen Sorgen und er schlief über diese Erleichterung in seinem Unterbewusstsein wieder ein. Erst nach einigen Stunden erwachte er erneut, als er sich aus der unbequemen Lage befreien wollte, in der er sich vermutlich während des Schlafes gebracht hatte. Er war auf der Couch eingeschlafen, wo er sich nach der Unterlage zu urteilen noch befand. Die Augen öffnend hob er den Kopf ruckartig an. Ran war bei ihm! Er war nicht gegangen. Erleichterung durchfuhr ihn und er wischte dem Mann die Haare aus dem Gesicht. Erst jetzt bemerkte er den Geruch der in der Luft lag, als seine Finger etwas klebrig Verkrustetes berührten. Blut, wie er feststellte, als er sich die Stelle genauer betrachtete. Und da zog er die Decke etwas herab, bemerkte die Straßenkleidung die Ran noch trug. Dessen Gesicht schien schier in ihn hineinkriechen zu wollen, denn es lag in seiner Ellenbeuge, in seinen Pullover gebettet. „Ran… hey … komm wach … auf, ja?“ Er fuhr tastend über den Hals, die unnatürliche Blässe hatte ihm zwar Angst gemacht, doch der leise, stete Atem gleich wieder beruhigt. Nur widerwillig löste sich Aya aus der ihm Erlösung versprechenden Dunkelheit. Er hatte schon im leichten Halbschlaf festgestellt, dass ihm nicht gut war…ganz und gar nicht. Sein ganzer Körper tat ihm weh und seine Augen zu öffnen, war ein Fall für sich. Nur langsam und zögerlich folgte er also der sanften Stimme, die ihn zu sich lockte und stöhnte im nächsten Moment unwillig auf, als selbst das Bewegen der trockenen Lippen mit Schmerz verbunden war. Was Schuldig dazu brachte, sich den Lippen mit seinen zu nähern. Er hatte den Kampf beobachtet und entschieden, ins Geschehen einzugreifen. Nicht wissend was geschehen war, kümmerte er sich besser erst um die aktuelle Lösung der kleinen Probleme. Seine Zunge fuhr wiederholt über die trockenen Lippen, schmeckte altes Blut, welches er mit dem Speichel aufweichte, nur ein feiner Hauch, denn den unteren Mundwinkel hatte es erwischt, wie es schien. Er ließ dieses Areal frei und benetzte nur die Stellen, die ihm frei von Blut schienen. „Ran“, wisperte er. „Wach auf, was ist passiert, hmm?“ „Hmmm….“ Aya murrte missbilligend, bevor ihm bewusst wurde, dass diese Person- Schuldig! - ihm Gutes damit tat. „Männer…gestern Abend… Hinterhalt…“, war alles, was er hervorbrachte, als er es schaffte, seine Augen zumindest soweit zu öffnen, dass er Schuldig sehen konnte. Er versuchte sich an einem Lächeln. „Hey…“, murmelte er und ein Zittern durchlief seinen Körper. Er schloss seine Augen wieder und genoss den Atem und die Nähe des Deutschen trotz allen Schmerzes. Besagter Deutscher knurrte ungehalten und setzte sich halb auf. „Hat Jei dich etwa alleine gelassen?“, murrte er und begann damit Ran vorsichtig aus der Decke zu schälen, stieg über ihn ohne ihn zu berühren und stand so vor der Couch, blickte auf Ran herab. Er konnte es sich kaum vorstellen, dass Jei einen Deal nicht einhielt. Er würde ihn selbst einhalten wenn um ihn herum ein Erdbeben zig Häuser brachlegen würde. „Zieh deine Beine an, beweg sie etwas, deine Arme auch“, wies er an und untersuchte Ran auf Brüche. Aya grollte dunkel, nun wieder darauf gebracht, was er gestern Abend als unwichtig abgetan hatte. „Hat er…nicht…er hat getan, wofür du ihn…bezahlt hast….Mistkerl…“, presste er hervor und zog währenddessen erst das linke, dann das rechte Bein an. Ganz vorsichtig nur. Eine Hand fuhr automatisch zu seiner Seite und hielt sich die schmerzende Stelle. Es dauerte einen Moment, bis er auch die Arme einen nach dem anderen hochnahm und sie dann kraftlos wieder sinken ließ. „Dann ist ja gut!“, grimmte Schuldig und nickte als er sah, dass scheinbar nichts gebrochen war, wobei der Kiefer etwas geschwollen aussah. Hoffentlich hatten sie da keinen Krankenhausaufenthalt ins Haus stehen. Und hoffentlich konnte Ran etwas essen, sonst wurde er bald noch dünner. „Kannst du dich aufsetzen, wenn ich dir helfe?“ Schuldig setzte sich halb auf die Couch, bot Ran einen Halt. „Wir müssen dir das Zeug aus dem Gesicht waschen und deine Verletzungen sichten.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)