Der Glasgarten von Gadreel_Coco ================================================================================ Kapitel 60: Herr der Flöhe -------------------------- ~ Herr der Flöhe ~ o~ Schuldig kreuzte wie ein bengalischer Tiger auf Streifzug durch die Wohnung und kaute missmutig auf seiner Unterlippe herum. Sein offenes weißes Hemd war ein Zeichen seiner nachlässigen Aufmerksamkeit, die Hände in den Hosentaschen seiner Cargohose vergraben um sich selbst etwas zu zügeln, ballten sich. Eine Hand wurde wiederholt aus der Tasche befreit um einen kurzen Blick auf die Armbanduhr zu werfen und sofort wieder versenkt. Wie zum Teufel sollte er hier ruhig und gelassen sein, wenn er nicht wusste, ob Ran nicht wieder von dieser Schlägertruppe angefallen wurde? Dabei konnten sie ihm weitaus Schlimmeres antun, als sie bereits hatten. Nach einer halben Stunde des schweigenden Brütens und Furchen Laufens brach er sein eigenes, nicht ernst gemeintes Gelübde und klinkte sich telepathisch bei Kudou ein, der mit Sicherheit über den kleinen Mann im Ohr nicht begeistert sein würde. ‚Die Brünette sieht aber wirklich nicht schlecht aus, hmm?’, redete er dem Blonden zur Begrüßung gleich einmal eines der Mädchen ein. So seicht war er in die Gedanken des Mannes gedrungen, als wären es dessen eigene Gedanken gewesen, denn so war sein Eindringen wesentlich angenehmer als ein plötzlicher Überfall. Youji schüttete trotz aller Sanftheit besagter Brünetten zum Dank über diese plötzliche Gesellschaft erst einmal das Wasser der halben Blumenvase über das Kleid und entschuldigte sich hastig für sein Malheur. Soviel zum abendlichen Date… ‚Was willst du hier?’, knurrte er wenig erfreut zurück und wusste selbst nicht, ob er hier, im Koneko, oder hier, bei mir, meinte. ‚Ich wollte sehen…wissen ob Ran schon bei euch angekommen ist’, erklärte er sich obwohl er bereits den flüchtigen Blick des Blonden gelesen hatte. Youji runzelte nachdenklich die Stirn, als er Schuldigs Anfrage bestätigte. Ja, Ran war bei ihnen und Ran hatte Spuren von Schlägen im Gesicht, denen Youji zwar noch nicht auf den Grund gegangen war, die ihn jedoch stark beschäftigten. Und wie, als hätte Schuldig mit seinem Auftauchen den Verdacht entspringen lassen, fragte Youji: ‚Habt ihr euch geprügelt oder woher hat er die Hämatome?’ Eine große Portion Misstrauen schwamm in dieser Frage mit…hatte er doch keine Anhaltspunkte für einen möglichen Verlauf. Oder war es Farfarello gewesen? ‚War ja klar, dass die Frage kommt’, ätzte Schuldig, doch die nötige Schärfe ließ er bei diesem Gedankenbesuch sein. ‚Nein, haben wir nicht, Schnüffler. Er ist überfallen worden, an dem Tag, an dem ich wieder zurückgekommen bin. Er hatte keine Chance, sie waren zu schnell und zu viele. Es wundert mich, dass er nicht mehr abbekommen hat, aber er sagte, dass sie mit ihm gespielt haben, was die Sache nur schlimmer macht. Ich wollte nur sehen, ob er heil bei euch angekommen ist, er wollte nicht, dass ich ihn begleite, du kennst das Problem ja…’ Yohji hatte ihm selbst von Rans Sturheit erzählt. Und starrte nun abwesend auf das Blumengesteck, wo seine Finger wie von selbst die Blüten arrangierten. Innerlich jedoch ließ er sich Schuldigs Worte durch den Kopf gehen, die eines ganz laut schrieen: Gefahr! Ran, zusammengeschlagen von unbekannten Männern? Verflucht. Verflucht! Wie auch schon Schuldig zuvor beunruhigte ihn der ‚Spiel’-Aspekt. Da musste er gleich noch einmal mit dem rothaarigen Japaner drüber sprechen…vermutlich war das auch der Grund, warum Ran hier war. Informationen. Und Schuldig spionierte Ran wieder hinterher. Gut…spionieren konnte man das nicht nennen, sich eher davon überzeugen, dass der rothaarige Esel keinen Mist baute. Ja, das kannte er. Deswegen…war er nicht ganz so sauer, was das anging, sondern empfand eine gewisse Sympathie Schuldig gegenüber – zumindest in diesem Punkt. ‚Du machst dir also Sorgen…’ ,Bei dir hört sich das für mich so an, als wäre es eine Krankheit. Und wenn es eine wäre, sieht es so aus, als sei sie ansteckend', meinte Schuldig ironisch. ,Ja…und ich mache mir Sorgen’, schob er jedoch einlenkend nach. ‚Wenn ich wüsste, in welche Richtung ich suchen soll… aber so? Ich verstehe auch seine Ansicht, dass ich ihm nicht ständig hinterherlaufen kann. Klar, er muss mit einigen Dingen auch alleine klar kommen. Das tut er auch, das weiß ich. Schließlich ist er kein Kleinkind mehr und wer sollte besser wissen als ich, dass er sich gut verteidigen kann. Deshalb kotzt es mich ja derart an… hier stimmt etwas nicht.' Schuldig wusste, dass er in dem Schnüffler einen hervorragenden Verbündeten und Leidensgenossen im Kampf gegen Rans Sturheit gefunden hatte. ,Vor allem jetzt, wo Kritiker ihn freigegeben haben, passt das nicht zusammen.' Wie gut es doch tat zu hören, dass wenigstens einer genauso dachte wie er selbst!, befand Youji mit grimmiger Genugtuung und einem gehörigen Stich an Sympathie für den anderen Mann… zumindest auf diesem Gebiet. Schuldig umsorgte Ran genauso, wie er es getan hatte und jederzeit mit diesem sturen Idioten wieder tun würde, auch wenn dieser wenig begeistert davon war. Das war gut zu hören… Allerdings traf das nicht auf alles zu, was er jetzt erfuhr. ‚Kritiker sind es nicht…sie haben einiges an Dreck am Stecken, aber soweit würden sie sich nicht herablassen’, mutmaßte Youji. Ergo blieb für ihn vorläufig nur eine Variante übrig: ‚Sind das Feinde von euch, die dir oder Schwarz eins auswischen wollen?’, fragte er stirnrunzelnd und sah, wie Ken den Laden betrat um ihn abzulösen. Mit einem verzaubernden Lächeln zu seinen Verehrerinnen beendete er das Gesteck und verabschiedete sich schließlich in den Privatbereich und lehnte sich erst einmal gegen die geschlossene Tür. Scheiße. Was hatten sie sich da jetzt schon wieder eingebrockt? ‚Die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch, dass dem so ist, Kudou.’ Schuldig ging nun in den Küchenbereich hinüber, schenkte sich Kaffee ein. ‚Aber warum haben sie ihn dann nicht gleich erledigt oder mitgenommen um ihn als Druckmittel festzuhalten?’, schickte er zu dem Blonden und setzte sich samt Kaffetasse auf die Fensterbank. Youji blinzelte. Diese Möglichkeit hatte er nicht in Betracht gezogen…doch jetzt, wo Schuldig sie ansprach. ‚Sie spielen. Es war vielleicht eine Warnung, ein Hinweis auf die Möglichkeiten, die sie haben. Und auf die Nachlässigkeit auf unserer Seite.’ ‚Oh, unsere Seite… wir sind fusioniert? Erzähl das besser nicht Crawford’, machte sich Schuldig über Yohjis ‚unsere Seite’ lustig. ‚Davon mal abgesehen…könntest du aber Recht haben. Dennoch ist es für mich unmöglich herauszufinden wer sie waren.’ ‚Ich meinte nicht Schwarz und Weiß zusammen, es ging mir nur um Weiß, denn wir müssen uns bewusst sein, dass es Feinde gibt, die EUCH schaden wollen und RAN dazu benutzen. Es war naiv zu glauben, er wäre in Sicherheit – auch ohne dass Kritiker ihm im Nacken sitzen. Also mach dir keine Sorgen um eine eventuelle Fusion…die wird es nicht geben’, stellte Youji seine Ansichten klar und schnaubte innerlich amüsiert. Dass aber sogar Schuldig nicht wusste, wer es sein könnte, amüsierte ihn weniger. Dieser schwieg. Er musste über die Worte nachdenken. … naiv zu glauben, er wäre in Sicherheit… Aber Ran war doch in Sicherheit bei ihm. Er war doch nicht in Gefahr gewesen… bis jetzt. Schuldig grämte sich ziemlich darüber, dass wieder er es war, der Ran in eine gefährliche Situation gebracht hatte. Es sollte wohl nicht sein, dass sie zusammen waren. ‚Stimmst du mir zu oder warum sagst du jetzt nichts?’, fragte Youji nach und zog sich seine Schürze aus, die er achtlos in eine Ecke pfefferte. ‚Hast du überhaupt schon mit Ran gesprochen? Was sagt er zu dem Ganzen?’ Was sollte Schuldig schon auf die erste Frage antworten? Er verzog den Mund zu einem bitteren Lächeln. ‚Was soll er schon sagen? Er hat wörtlich gesagt, dass er ja noch lebe und ich mir nicht solche Sorgen machen solle. Was erwartest du von ihm? Dass er meine Sorge noch vergrößert, indem er nicht den tapferen Ran spielt? Ja…und genau das tut er, auch wenn er meint, dass ich mich schon von ihm einlullen lasse.’ Schuldig seufzte und raufte sich die Haare. ‚Was, wenn die wirklich hinter uns her sind? Was soll ich denn machen, verdammt?’ ‚Ihn einweihen, dich mit ihm absprechen und euch nach außen hin absichern, das könntest du machen, wenn du mich fragst. Aber lass dir bloß nicht irgendwelche Stunts einfallen, ihn nicht einzuweihen’, gab Youji einen gut gemeinten Ratschlag. Denn das war…der Killer für jegliche Annäherung an den rothaarigen Japaner, der es wie die Pest hasste, übergangen zu werden. ‚Außerdem…ihr seid Schwarz. Fällt euch nicht irgendetwas ein? Eure Feinde? Wer es sein könnte?’ ‚In was soll ich ihn denn einweihen, wenn ich selbst nichts weiß, verdammt. Nach außen hin absichern … das mache ich ohnehin die ganze Zeit. Und unsere Feinde… da gibt es keine speziellen Gruppierungen. Wir spielen ohnehin in einer anderen Liga. Unsere Aufträge bewegen sich in den oberen Kreisen, wie du sicher weißt, so weit kommen diese Gangs gar nicht hinauf.’ ‚Woher willst du wissen, dass es eine Gang ist, wenn du GAR nichts über sie weißt, Schuldig?’, hielt Youji scharf dagegen. Wie konnte der andere Mann das ausschließen? ‚Und woher willst du wissen, dass sie nicht genau aus diesen Kreisen kommt?’ Er überdachte das einen Moment, bevor er sich der nächsten Fragen widmete. ‚Dann darfst du ihn eben nicht mehr aus den Augen lassen, damit die Gefahr, eines erneuten Angriffs oder einer Entführung minimiert wird.’ ‚Stell dich nicht blöder als du bist, es waren mehrere Personen und sie hatten Spaß daran, Ran zu verprügeln, das heißt, sie haben sich abgesprochen es zu tun und es liegt nahe, dass sie eine Gruppierung sind, die sich nicht lose zusammenfinden, sondern organisiert sind.’ Schuldig war zornig. Was sollte dieser Spruch? Er wusste genauso wenig wie Ran, mit dem kleinen Unterschied, dass er von Jei eine Information hatte, die noch nicht gesichert war aber keinen Unterschied für Ran machte. ‚Ihn nicht mehr aus den Augen lassen… sicher… natürlich. Und du meinst, er rastet nicht aus, wenn er weiß, dass ich ihm hinterher spioniere?’ ‚Ich bezog das eher auf das Niveau der Gruppe, nicht auf ihre Struktur’, merkte Youji trocken an. ‚Natürlich wird er das, aber wozu bist DU Mastermind…ein Killer und dazu noch Schwarz? Wenn du noch nicht einmal einen Sack voller Flöhe bespitzeln kannst, dann weiß ich nicht, warum ihr die letzten Jahre so erfolgreich wart. Außerdem….’ Youji vollendete den Satz nicht. Außerdem war Schuldig nicht alleine, das hatte er sagen oder auch denken wollen. Aber würde er selbst da wirklich mitmachen? Schuldig musste schmunzeln bei dieser treffenden Bezeichnung. ‚Nichts würde ich lieber tun, als jeden Floh aus diesem Sack einzeln zu beäugen, aber …’ ihre Beziehung würde darunter leiden. Schuldig schwieg wieder einige Augenblicke. Warum kapierte das der Blonde nicht? ‚Er fühlt sich ohnehin von mir eingesperrt, schon allein, weil er keinen Job hat. Mit Kritiker war’s noch schlimmer, kein Geld, immer hier eingeschlossen… er war abhängig von mir…von mir! Kapierst du das? Und jetzt spitzel ich ihm hinterher? Das würde ihn schlussendlich von mir wegtreiben. Na sicher, dir würde das gefallen, aber mir nicht, verstanden?’ ‚Haha! Witzbold, natürlich würde mir das gefallen, wenn er dann leidet, solltet er dich nicht mehr haben!’ Youji rollte innerlich mit den Augen. ‚Bist du so blind, oder siehst du nicht, wie er auf dir gluckt? Und jetzt stell dir mal vor, man würde dich ihm wegnehmen. Meinst du, ICH will dann dafür verantwortlich sein, ihn aufzubauen – eine wenig Erfolg versprechende Aufgabe übrigens. Tz. Ja natürlich fühlt er sich eingesperrt, ja natürlich will er einen Job. Den kann er sich ja auch nehmen, aber was hält dich davon ab, ihm zu folgen, sei es telepathisch oder persönlich. Solange du ihn nicht zu Hause bei dir festhältst und er hingehen kann, wo er will, wird es kein größeres Problem geben. Sollte er dich nicht entdecken, heißt das.’ ‚Telepathisch folgen? Du stellst dir das einfach vor, hmm? Klar, ginge es, wenn der Herr seine Barrieren willentlich herablassen könnte, oder wenn ich jeden Menschen in seiner Umgebung gedanklich überfalle und ihm damit hinterher spioniere. Natürlich ginge das, aber herausfinden darf er es nicht, denn sein Sinn für diese Art Umgehung der Freiheitsrechte eines jeden ist sehr ausgeprägt, wenn du verstehst, was ich meine. Außerdem schützt ihn das nicht vor einer Kugel im Kopf.’ Sich seitlich an die kühle Scheibe lehnend festigten sich Schuldigs Finger um die warme Tasse. ‚Ich könnte ihm hinterher gehen, aber er ist nicht blöd und seine Instinkte, was Verfolger betrifft, sind durch diese Tat noch mehr geschärft.’ Schuldig knabberte an Kudous Worten … von wegen … auf ihm glucken… Es wärmte sein Herz, dass es sogar dem Blonden auffiel, wie nah sie sich waren. ‚Natürlich ist er nicht blöd, war er noch nie. Und nein, ich weiß nicht, wie du es genau mit deiner Telepathie bewerkstelligen könntest, ihm zu folgen, dafür KENNE ich dich einfach zu wenig – Kritiker kann eben nicht alles herausfinden. Wenn du seinen Wunsch nach gedanklicher Freiheit respektierst, dann musst du ihn wohl oder übel alleine durch Tokyo ziehen lassen, wenn er denn möchte. Eine andere Möglichkeit sehe ich da nicht.’ Nicht wenn diese….Barrieren…von denen Schuldig geredet hatte, sich nicht nach Rans Willen herunterfahren ließen. Was Youji zum Einen für den rothaarigen Japaner freute, zum Anderen für diese Situation nicht zuträglich war. ‚Nur rein aus Interesse: Das, was wir hier besprechen, hast du das schon mit ihm besprochen? Habt ihr beiden euch zusammen schon eine Lösung überlegt?’ ‚Ich hatte nicht den Eindruck als sehe er da ein großes Problem darin, alleine loszuziehen. Er hat eine Waffe dabei, klar, aber das hatte er auch an diesem Abend und sie hat ihm nichts genützt.’ ‚Du hattest nicht den Eindruck, aber gefragt hast du ihn auch nicht“, hakte Youji nach. ‚Ich habe ihn gefragt, ob ich mitkommen soll, hab ihn gewarnt, dass es zu gefährlich ist… was soll ich denn machen? Ihn in die Wohnung sperren?’ ‚Genau DAS vielleicht nicht!’ Youji seufzte und rieb sich über die Augen. Scheiße. Scheiße scheiße scheiße. Warum hatten die beiden sich auch einander ausgesucht? Es war ja klar, dass es da Probleme gab, die sie vorher nicht hatten fassen können. ‚Gab es NICHTS Besonderes an diesen Männern? Nichts, was man als Anhaltspunkt werten könnte?’ Schuldig haderte mit sich selbst, ob er diese Information weitergeben sollte, auch wenn sie nichts nutzte. ‚Jei hat sie nicht bemerkt, das ist das einzig Merkwürdige. Aber es hilft nichts. Jeis Fähigkeiten sind zuverlässig, aber warum sie bei den Typen versagten oder was der Grund dafür war, konnten wir nicht herausfinden.’ Das war nicht gut. Das war ganz und gar nicht gut. Typen, die für den Empathen ‚unsichtbar’ waren? ‚Heißt das, dass du sie ebenso nicht lokalisieren könntest?’, fragte Youji und knirschte mit den Zähnen, wie immer, wenn er angestrengt nachdachte. ‚Sind sie dann so etwas wie Ran? Haben sie Barrieren? Aber wie sieht es denn damit aus? Seid ihr so jemanden schon einmal begegnet?’ Die Fragen, die auf ihn einstürzten brachten ihn zu einem Stöhnen, und Schuldig rieb sich die Augen. ‚Woher soll ich das wissen? Ich bin ihnen schließlich nicht begegnet, nur Jei. Nur weil er sie nicht bemerkte, heißt das nicht, dass es bei mir das Gleiche wäre. Das weiß ich erst, wenn sie vor mir stehen. Jei sagte, dass sie für ihn schlicht nicht vorhanden waren, als er sich mit ihnen auseinandergesetzt hatte.’ Schuldig überdachte die letzte Frage und stutzte… ‚In Shanghai gab es da eine Frau… die ich mittels Telepathie nicht greifen konnte, aber das gibt es hin und wieder, wie es Menschen wie Ran gibt. Sicher nicht viele, aber es gibt sie.’ Das machte Youji hellhörig. Er war nun schon zu lange Killer und zu lange Privatdetektiv gewesen, dass ihn das nicht misstrauisch machen würde. ‚Meinst du nicht, dass das ein komischer Zufall war? Du triffst eine Frau, die du nicht lesen kannst und Ran wird von Typen zusammengeschlagen, die Farf…Jei nicht spüren kann.“ Jei…so hieß der Ire also. Ein passender Name… ‚Ich glaube grundsätzlich nicht an Zufälle, aber … es wäre schon sehr weit hergeholt…’ Ganz ließ ihn der Verdacht jedoch nicht los. Darüber nachgrübelnd bemerkte er jedoch eine erstaunliche Kleinigkeit. ‚Wohin gehen denn deine Gedanken spazieren?’, wollte er amüsiert wissen. ‚In KEINE Richtung, die dich etwas angehen würde! Und bevor du dumme Kommentare machst, fasse dich an deine eigene Nase’, grollte Youji wütend über Schuldigs Schnüffeln und betrat die Küche, in der Ran und Omi am Tisch saßen, deren Augen zu ihm hochfuhren. Er lächelte in Gedanken versunken. „…Recht. Ich kann mir nur nicht vorstellen, dass Naoe das zulassen würde. Obwohl, wenn ich…“ Omi wandte den Kopf als er die Tür hörte. „…an meine Vorstellungsrunde denke…“ „Was würde Naoe nicht zulassen?“, fragte Youji und hatte das Gefühl, dass man ihm sofort ansah, dass er nicht alleine war, dass er noch einen kleinen Mann im Ohr hatte quasi. Deswegen konnte er Ran auch nicht ins Gesicht sehen. Soviel zum Thema nachspionieren. Klasse…wenn er JETZT schon das Gefühl hatte, dass Ran jeden Moment klarstellen würde, dass er es nicht schätzte, wenn man ihn ausspionierte. ‚Aber sicher doch. Aber mich dazu anstiften wollen’, lächelte Schuldig gehässig. ‚Diesen violetten Augen entgeht nämlich nichts, sieh ruhig hinein, er wird dich sofort entlarven!’, gängelte Schuldig den Blonden. Dennoch konzentrierte er sich auf dessen Wahrnehmung und Omis Worte. „Ran ist überfallen worden und wir sind gerade dabei angekommen, dass wir jemanden im Verdacht haben.“ Youjis Blick ruckte tatsächlich zu Ran, doch nur anhand von Schuldigs Worten, nicht, weil er wirklich überrascht von Omis Worten war. ‚Fick dich, Schuldig, fick dich einfach!’, zischte er gedanklich, während er es äußerlich schaffte, ein fragendes Gesicht zu machen. „Am letzten Abend hat mich eine Gruppe überfallen, die mich anscheinend kannte und es darauf abgesehen hatte, mich zusammenzuschlagen. Deswegen auch das hier.“ Er deutete auf sein Gesicht. „Der Verdacht lautet auf Crawford. Dass er die Typen engagiert hat um sich ein lästiges Problem möglichst unblutig vom Leib zu schaffen. Die Männer schlagen mich zusammen, Crawford befiehlt Jei, sich erst später einzumischen und abzuwarten, ob sie mich töten oder nicht, je nachdem. Als Konsequenz dessen trennen Schuldig und ich uns, weil es sicherer ist und er hat seinen Telepathen wieder für sich. Motiv: Eifersucht und Habgier. Das ist unsere Theorie…“ Aya seufzte und schüttelte den Kopf. „Eine verdammt glaubhafte Theorie.“ ‚Was?’, setzte sich Schuldig auf. ‚Wie kommen die nur darauf? Das würde…’ fing er an zu zetern, verstummte aber. Brad … würde doch nie so ein Arsch sein, dass er ihm so etwas antun würde? Jedem anderen … aber … seine Gedanken kamen ins stocken. ‚Das ist Schwachsinn, Kudou, was denken die sich da eigentlich zusammen?’ „Seid ihr euch da sicher?“, fragte Youji vorsichtig. ‚Es ist nur natürlich, dass sie darauf kommen. Nach Rans Erzählungen hasst Crawford ihn. Warum sollte er ihn nicht aus dem Weg räumen?’ „Gibt es denn dafür stichhaltige Beweise?“, fuhr er weiterhin zweigleisig und Ran schüttelte den Kopf. „Natürlich nicht. Aber angesichts seines Verhaltens könnte man so etwas schon vermuten. Zumal er von einer gewissen anderen Verbindung vielleicht auch nicht erfreut sein würde.“ Er deutete bedeutungsschwanger auf Omi. Schuldig lachte und übertrug dieses dunkle Lachen auf Yohji, sodass dieser seine Gedanken dazu gefärbt mitbekam. ‚Das ist einfach absurd. Gewisse andere Verbindung. Wie weit sind die Kleinen denn schon? Und du … was schaffst du mit Jei herum? Wenn Brad das rauskriegt, dreht er hohl! Seid ihr denn alle beknackt? Trotzdem würde er das nicht machen… er …’ Schuldig erhob sich und stellte seine Tasse ab, er würde Brad damit konfrontieren und ihn fragen was es damit auf sich hatte. Er war sich nicht mehr sicher… gar nicht mehr… Brad verdammt… warum ließ er sich von diesen Weiß so verunsichern? Weil es stimmen könnte. ‚Woher willst du das so genau wissen, Schuldig?’, fragte Youji, doch er bekam keine Rückantwort. ‚Schuldig?’ Scheiße… Youji fuhr sich aufstöhnend durch die Haare. Was hatte er nur ausgelöst? ‚Schuldig!’ Wieder keine Reaktion. Sein Blick fuhr auf, direkt in Rans Augen. „Ich glaube…du solltest dich ganz schnell um Schuldig kümmern, Ran“, sagte er und machte sich auf das Donnerwetter gefasst, das direkt jedoch nicht folgte. „Was?“, fragte der rothaarige Japaner misstrauisch und Youji schluckte. „Ich…war da oben nicht ganz alleine“, gestand er und tippte sich gegen die Schläfe. Violette Augen starrten ihn ungläubig an. „Verdammt!, zischte Aya und hatte sich bereits erhoben und zu seinem Autoschlüssel gegriffen. Youji sprang auf und wollte ihn zurückhalten, doch der andere Mann machte sich los. „Ich muss Schlimmeres verhindern, Youji!“, fuhr er auf. „Warum hast du nichts GESAGT?“ Der blonde Weiß zuckte nur hilflos mit den Schulten. „Ich….weiß es nicht, Ran. Ich weiß es nicht.“ Und schon war ihr Anführer zur Tür hinaus. o~ Es gab Dinge, die waren einfach nicht dazu gedacht, zu gelingen. So zum Beispiel, einem Telepathen etwas zu verschweigen oder zu versuchen, Lösungen für ein gewisses Problem mit seinem eigenen Team zu finden…heimlich natürlich. Oder darauf zu hoffen, dass ihm nicht nachgespürt wurde! Aya wusste nicht genau, ob er wütend auf Schuldig sein sollte, weil dieser ihm hinterher spionierte oder ob er Angst haben sollte, dass der Telepath, vielmehr dessen dunkle Seite, ausrastete, sich Crawford zur Brust nahm. Verdammt. Verdammt verdammt verdammt! Aya wählte die Nummer des Telepathen um vielleicht noch Schuldig zu erreichen, um ihn VIELLEICHT noch davon abzuhalten, zu Crawford zu fahren, während er den Stau verfluchte, der ihm ein schnelles Vorankommen schier unmöglich machte. Er stand, fest umklammert von anderen, hupenden Wagen, ohne Chance, schnell zu handeln. „Und wenn du verflucht nochmal an das verfluchte Telefon gehen würdest!“, schnappte er und legte frustriert auf. Das war wohl nichts…dann blieb ihm nur noch eins übrig. Zur Sicherheit hatte er sich vor zwei Wochen die Nummer des Schwarzanwesens gemerkt. Wer hatte gedacht, dass ihm dieses Wissen jetzt auch noch behilflich sein konnte. Denn so wenig er auch dagegen hatte, dass Crawford der Garaus gemacht wurde, so unglücklich würde sich Schuldig damit machen, also kam diese Variante der fehlenden Zivilcourage nicht in Frage. Wütend wählte er besagte Nummer und wartete. Brad kam aus der Dusche, fuhr sich mit dem Handtuch übers Haar und ging zum Telefon, das auf seinem Schreibtisch lag. Mit einem tiefen Ausatmen nahm er das Gespräch an. „Ja?“ „Ist Schuldig bei dir?“, blaffte Aya unfreundlicher, als er es eigentlich geplant hatte, durch den Hörer. Und ob er ihr letztes Aufeinandertreffen noch gut in Erinnerung hatte…und ob. Brad zwang sich dazu, nicht den Hörer etwas von seinem Ohr fernzuhalten um sein Gehör vor dem unfreundlichen Ansturm zu schützen. „Nein… noch nicht“, meinte er ruhig. „Wie es scheint, wird er aber bald hier aufkreuzen, wenn du schon so umsichtig bist und vorher Bescheid sagst.“ Wenn es jemand so nachdrücklich und schnell schaffte, dass Aya dieser Person die Pest an den Hals wünschte, war es Crawford. Egal, was der andere Mann auch sagte, egal, wie ruhig er auch blieb, es machte den rothaarigen Japaner nur noch wütender und gereizter. Doch…auch er konnte sich beherrschen und seine Feindseligkeiten hinunterschlucken. „Er wird dir vermutlich vorwerfen, dass du etwas mit den Männern zu tun hast. Inwieweit seine dunkle Seite ausgeprägt ist, kann ich dir nicht sagen…“ …auch wenn er ganz egoistisch hoffte, dass sie Crawford einen ordentlichen Arschtritt verpasste. „Ich frage mich, wie er wohl darauf kommt“, ließ Brad vernehmen und ging wieder ins Badezimmer zurück, legte das nasse Handtuch ab. „Ich sagte dir doch, dass ich nichts damit zu tun habe“, ließ er die Frage danach offen, ob er gelogen hatte. „Genau, und da du ja so vertrauenswürdig bist, habe ich dir schon mal jedes Wort geglaubt, was du sagst“, bestätigte Aya eine Sekunde später auch besagte Frage. „Das ist hier aber nicht das Thema. Ich rufe dich an, damit Schuldig keine Dummheiten anstellen kann, die er später bereuen wird, also halte ihn davon ab, dich umzubringen, sollte er das im Sinn haben.“ „Deine Sorge ehrt dich“, spöttelte Brad nun doch, trotz aller guten Vorsätze. „Ich denke, ich kann gut auf mich aufpassen und ich bin mir immer noch selbst der nächste, Rotfuchs“, sagte er, dabei schmal lächelnd. „Meine Sorge bezieht sich nicht auf dich, sondern auf Schuldig“, gab Aya nicht minder spöttelnd zurück. Rotfuchs? Was erlaubte das Orakel sich? „Ob und wie du auf dich aufpassen kannst, ist mir egal. Wenn du allerdings Schuldig ein Haar krümmst, wird mir das nicht mehr egal sein.“ Da zählte er doch einfach mal auf Crawfords Gefühle für Schuldig. Ehe er sich’s versah, hatte er auch schon aufgelegt, das Handy wütend auf den Beifahrersitz geschmissen. Und als wäre die Katastrophe mit Schuldig aber immer noch nicht genug, erklärten sie ihm im Radio gerade, dass er in einer Vollsperrung steckte, die erst in einer Stunde aufgelöst werden würde. Aya fluchte. Laut. Ausdrucksstark. Einfallsreich. o~ Nach dem Gespräch mit Brad fuhr Schuldig etwas beruhigter nach Hause, die Wohnung lag verwaist da, einige Lampen brannten noch. Jetzt hoffte er nur, Ran würde bald zurückkommen. Sein Wagen stand noch nicht unten auf seinem Stellplatz. Also verzog sich Schuldig in die Kissenecke und starrte hinaus in den Abendhimmel. Besagter, vermisster Mann schloss auch schon wenig später die Wohnungstür auf und hievte mit einem Ächzen die überladene Einkaufstüte in die Wohnung. Ganz so fit war er immer noch nicht, aber er hatte Hunger und er machte sich Sorgen um Schuldig, dessen rotes Haar er nun jedoch beruhigt dort hinten in der Kissenecke wahrnahm. „Bin wieder da“, rief er in die stille Wohnung und brachte die Tüte in die Küche, nicht wissend, was ihn jetzt erwarten mochte. Er war nicht mehr zum Anwesen von Schwarz gefahren, da er es für unnötig befunden hatte… Crawford war gewarnt und nach einer weiteren Stunde im Stau hatte sich Ayas Ansicht gefestigt, dass Schuldig jenem nichts antun würde. Er würde nachfragen…ja, aber gleich Gewalt anwenden…nein. So hatte er sich entschieden, für sie einkaufen zu gehen und die Lebensmittel, die schon gestern in ihrem Kühlschrank abstinent gewesen waren, nun endlich zu besorgen. Außerdem vermisste Aya seinen Grüntee und schon alleine dafür hatte er noch in die Stadt gemusst. Schon als der Türöffner die Karte registriert und sie geöffnet hatte war Schuldig etwas in sich zusammengesunken und das fidele „Bin wieder da“ tat einiges dazu bei, dass er erleichtert und halb grinsend in seinen Kissen lag. „Bin auch da!“, rief er zurück - nur der Form halber verstand sich. Aya lächelte sich ebenso wie Schuldig in der Küche in seinen momentan kaum vorhandenen Bart, höchstens in die Stoppeln, die seit drei Tagen dort sprießten, weil er lieber noch mit dem Rasieren wartete, bis es abgeheilt war. „Da warten noch drei Tüten im Flur!“, rief er freundlich zurück, als wäre dies die herzlichste Begrüßung auf der ganzen Welt. „Schön für die Tüten!“, echote Schuldig liebevoll zurück, blieb aber liegen. Zumindest zwei Minuten lang, bevor er sich umwandte und zu Ran spitzte. „Einen armen, verletzten Mann noch so durch die Gegend scheuchen, das hat man gerne“, motzte Aya vor sich hin und stapfte mit einem rügenden Blick wieder zur Tür. Schön, dass der andere Mann so bequem da lag!, meckerte er ohne wirkliche Wut dahinter für sich innerlich und hievte die nächste Tüte auf seine Arme. Da jetzt auch noch die Tür auf war, hangelte er nach der zweiten und schleppte sie gleich bequemlichkeitshalber mit hinein. Nun ja, da blieb ihm wohl nichts anderes übrig, als sich heldenhaft und todesmutig zu erheben und zur Tür zu schreiten. Sich streckend und gähnend stand er dann tatsächlich auf und schlurfte zur Tür, hob die letzte Tüte auf und schloss die Tür wieder. Zu Ran kommend stellte er sie ab und fing sein muffliges, armes, krankes Blumenkind zu einer kurzen Kuschelrunde ein. „War viel los?“, nuschelte er in die vom Schal warm gehaltene Halsbeuge, öffnete dabei Rans Kurzmantel. „Überladen war es!“, murrte Aya noch nicht ganz so überzeugt von der Kuschelrunde, aber schon dabei, sich wie immer erweichen zu lassen. Seine Arme legten sich zärtlich um die Gestalt des anderen Mannes und zogen ihn näher, wie er sich hier an ihm verkroch. Aya lächelte und pustete in das lange, rote Haar vor sich. Na da waren Schuldigs Greifarme aber wieder flink bei ihm und stellten den direkten Körperkontakt zwischen ihnen beiden her. „Wie war es bei Crawford, hm?“, fragte er sanft. „Du bist so neugierig“, nuschelte Schuldig weiter, aber dieses Mal wirklich kaum zu verstehen. Wie sollte er sich da wieder herausreden? Oder brauchte er es gar nicht, weil Ran ihm gar nicht so sehr zürnte, dass er ihn durch Kudou belauscht hatte? „Er war’s nicht und ich glaube ihm“, sollte als Erklärung reichen, fand er und hob den Kopf aus seiner Lieblingskuhle. „Wie kannst du dir da so sicher sein?“, stellte Aya die Frage, die ihn am Meisten beschäftigte. Es verwunderte ihn nicht, wenn Schuldig dem Amerikaner vertraute, doch ihm fiel das schwer, ja beinahe unmöglich. Nein, eigentlich generell unmöglich. Verflucht noch eins. Ja, er war neugierig zu erfahren, was sich zwischen den Beiden ereignet hatte. „Jetzt lass dir nicht alles aus der Nase ziehen, Schuldig!“, murrte er und biss leicht in die ihm schamlos dargebotene Nase. „Achtung, ich muss niesen“, grinste Schuldig und entzog den Gefangenen Rans Beisslingen. „Er hat mir gestattet, in seinen Gedanken zu lesen“, erklärte er. Er hatte dieses Angebot zwar nicht angenommen, da es ein unermesslicher Vertrauensbeweis für Brad war, ihm dies zu gestatten. Es wäre einfach nicht Brads Stil Ran derart abzuservieren. Aya betrachtete sich Schuldig, den er immer noch in den Armen hielt. Seine Augen verengten sich leicht, als er sich den anderen Mann kritisch betrachtete – dessen Worte kritisch beäugte. „Und was hast du in ihnen gelesen?“ Er brauchte die hundertprozentige Versicherung, dass es NICHT Crawford war, der das anberaumt hatte, denn sonst würde er immer…immer wieder auf den Verdacht kommen. „Nichts, was darauf schließt, dass er es war“, sagte Schuldig und blickte Ran in die Augen. Er hatte nicht explizit gesagt, dass er dies nicht in Brads Gedanken gelesen hatte, sondern in dessen Augen. Aber dazu kannte er ihn zu lange und vertraute dessen Ausführungen. Aya seufzte tief und legte seinen Kopf in den Nacken. „Ist das alles ein Wust“, murmelte er und schickte ein kurzes Gebet in den Himmel…vielmehr einen kleinen Kommentar an seine Schwester, was er sich denn dabei gedacht hatte, sich so etwas aufzuladen. Doch es war nicht wirklich ernst gemeint und er kehrte lächelnd zu seinem irdischen Teufel zurück. „Alle Aufregung umsonst also“, neckte er den anderen Mann und raubte diesen verführerischen Lippen einen kleinen Kuss, während sich seine Hand an den Hinterkopf des Telepathen stahl und ihn zu sich zog. „Du warst also bei Youji zu Gast und hast gelauscht“, hauchte er schließlich jedoch vollkommen aus dem Kontext gegriffen. „Äh… dieser Idiot hat mich also verraten! Der kann ja wohl kein einziges Mal seine Klappe halten“, moserte Schuldig und zog ein beleidigtes Gesicht, vor allem, weil er den Ärger jetzt abbekam. „Ich wollte nur sichergehen, dass dir nichts passiert, ist ohnehin schon schwer genug ... dich Sack voller Flöhe zu hüten. Und DAS, mein Lieber, waren die Worte des Verräters! Ha!“ So, jetzt hatte er auch gepetzt! Und hoffentlich war die Strafe fürchterlich - für Kudou. Doch zunächst einmal würde sie fürchterlich für Schuldig werden, da dieser Übeltäter Nummer eins und zusätzlich noch in Reichweite war. Aya lächelte. „Sack Flöhe, sagst du, hat er gesagt? Wie ich dich kenne, hast du ihm da noch zugestimmt, nicht wahr?“, wehrte er diese Ablenkungstaktik gleich mal wieder ab. „Man braucht mich nicht hüten, Schuldig“, begann Aya mit seiner üblichen Strafpredigt, was das Hinterherschnüffeln anging. „Ich kann auf mich alleine aufpassen und vor allen Dingen, wenn es so belebt und taghell wie jetzt ist! Meinst du, sie werden mich auf offener Straße angreifen? Was meinst du, wozu ich mit dem Auto gefahren bin? Außerdem…kein einziges Mal? Heißt das, ihr habt schon öfter zusammengearbeitet?“ Aya verengte die Augen. „Schuldig…“ Das sah wirklich schlecht aus für ihn. Schuldig entwand sich Ran unbehaglich und machte sich daran, pflichtbewusst und braver Hausmann, der er war, die Einkäufe zu verräumen. „Stimmt gar nicht! Haben wir nicht!“, entrüstete er sich und warf Ran einen beleidigten Blick zu. Er hoffte nur, dass er wieder einmal schauspielerische Glanzleistungen hier ablieferte, während er in seinem Gedächtnis in höchster Not danach fahndete, ob er mit dem Blonden tatsächlich keine Unternehmungen dieser Art verbrochen hatte. „Und das soll ich dir jetzt glauben, wo du dich schon wegstiehlst um Dinge zu erledigen, die du hasst?“, grimmte es unheilschwanger von der rothaarigen, dunklen Materie, die Schuldig gegenüberstand und sich nun ihres Mantels entledigte. „Ich meine…es ist ja in Ordnung, dass du ein Auge darauf hast, dass dir nichts abhanden kommt – das hast du früher auch schon getan, ohne mich zu fragen.“ Aya lächelte lieblich, der dunkle Einschlag darin aber unübersehbar. „Aber beschränke dich auf gefährliche Situation, nicht auf so etwas Banales.“ „Da ist nichts banal dran!“, keifte Schuldig und wandte sich um. „Ich fand die Situation ehrlich beschissen, vor allem, weil Jei sie nicht erfassen konnte, findest du das so harmlos?“ Gut, er sollte im Zorn seinen Mund nächstes Mal nicht mehr aufmachen, denn scheinbar reizte Ran ihn da und er konnte seine Klappe nicht halten. Obwohl er doch seinen Ran nicht noch mehr in Sorge versetzen wollte. „Nein, es ist ganz sicher nicht harmlos“, entgegnete Aya ruhig, jedoch nachdenklich. Jemand wie er…mit Barrieren? Gedanklich vermerkte er es sich, beschloss es jedoch, später anzusprechen, da ihm dies hier wichtiger erschien. „Diese Situation an dem Abend war es garantiert nicht und JA, ich hätte dabei draufgehen können, wenn sie es denn gewollt hätten. Doch heute, bei Tageslicht und in meinem Wagen, den ich nur verlasse um direkt ins Koneko zu gehen und wieder in den Wagen einzusteigen, werden sie mich nicht angreifen. Die potentielle Gefahrensituation ist also nicht gegeben. Das meine ich damit.“ Er seufzte tief. „Aber was willst du machen? Oder was soll ICH machen? Den ganzen Tag hier bleiben? Nichts tun? Schuldig, ich muss mir eine Arbeit suchen, immer noch. Ist dir das Problem bewusst?“ Schuldig ließ die Packung Nudeln mit der er während seines leidenschaftlichen Aufbegehrens gewedelt hatte sinken. „Ja, ist es mir, aber du denkst wohl nicht an Scharfschützen oder daran, dass du entführt werden könntest oder … keine Ahnung was.“ „Schuldig…WAS soll ich dagegen machen, wenn dieser Fall eintreffen sollte?“, fragte Aya plötzlich sanft. Ja, er hatte das Problem erkannt, doch er dachte nicht daran, die Wohnung gar nicht mehr zu verlassen…nur weil es zu gefährlich sein könnte. Und das nicht nur für ihn, wohlgemerkt. „Weiß ich nicht“, gab Schuldig kleinlaut zu und genau das war ja auch der springende Punkt, seine Hilflosigkeit. „Ach komm her, du Zackelschaf“, knurrte Aya und entwand Schuldig unwirsch die Spaghetti. Er umarmte ihn, barg den etwas größeren Mann in seinen Armen. Er sah sie, die Verzweiflung in den Augen des Telepathen. „Wir packen das schon, hörst du. Wir gemeinsam. Du nicht allein, ich nicht allein, wir zusammen. Und wehe, du versuchst etwas in die Richtung. Auch wenn ich keine Fähigkeiten besitze, so bin ich nicht hilflos, hörst du?“ „Hmmm“, murmelte Schuldig, nicht ganz überzeugt, aber auch nicht ganz widersprechend. Klar konnte sich Ran wehren, aber wenn er ihn hier so im Arm hielt, so schlank und anschmiegsam musste er an die Zeit denken, in der er wie etwas Zerbrechliches gewirkt hatte. Blass, mitgenommen, ausgezehrt, zu schlank. Und jetzt wollte er ihm einreden, dass er der Superheld war. „Du bist nicht meiner Meinung“, stellte Aya fest. Natürlich war Schuldig das nicht. Schon zu Weiß’ Zeiten hatte Schuldig gemeint, ein Auge auf ihn haben zu müssen, dass ihm nichts passierte und dass er sich erholte. Ja, er kannte dieses Spielchen und es stimmte ihn nicht glücklich. „Was kann ich tun um dich davon zu überzeugen, dass ich kein Baby bin, auf das du aufpassen musst?“ „Du bist kein Kind, verdammt! Glaubst du denn, das würde mich anmachen, wenn du dich nicht wehren könntest, oder wenn du nicht für dich selbst einstehen könntest? Gerade eben DASS ich mich nicht um dich sorgen muss, du aus dem gleichen Geschäft kommst, du weißt, wie die Dinge laufen, gerade das war ein Punkt von Vielen, warum ich …“, ah das übliche Stocken… „dich bei mir haben will. Aber ich kann mir eben nicht helfen, soll ich so tun, als würde ich mir keine Sorgen machen? Oder darf ich dich daran erinnern, dass du mir auf den Auftrag gefolgt bist… ganz bestimmt nicht, weil ich so gefasst war, sondern weil du dir Sorgen um mich gemacht hast. Hier geht es nicht darum, wer wen wie ein Baby behandelt.“ „Sondern es geht darum, ein Problem zu lösen, das momentan nicht lösbar ist, außer: genauso weiterzuleben wie bisher, nicht jeden Tag Angst zu haben, dass es noch einmal oder dass etwas Schlimmeres passiert. Niemand verbietet dir, dir Sorgen zu machen, ich als Allerletzter, denn wie du schon gesagt hast; ich bin genauso wie du. Auch ich bin dir damals nachgestiegen, damit ich mich mit eigenen Augen davon überzeugen konnte, dass es dir gut geht.“ Aya schüttelte den Kopf und drehte sich zum Kühlschrank, in dem er die mitgebrachten Zutaten ausspähte, die er für das Essen brauchte, das er kochen wollte. Er sah über seine Schulter zurück. „Lassen wir es gut sein, Schuldig. Es ist wirklich nicht lösbar.“ Aber Schuldig wollte nicht, dass das zwischen ihnen stand und genauso stand er jetzt da, wie ein begossener Pudel, er fühlte sich wie bestellt und nicht abgeholt. „Aber…“, fing er an und verstummte dann wieder, begann den Rest der Einkäufe wegzusortieren. Aya atmete tief ein und drehte sich mit dem Fleisch in der Hand um. „Was aber? Es gibt kein Aber, oder fällt dir eine Idee ein, wie wir einen Anhaltspunkt bekommen, wer diese Männer sind? Nein…genauso wenig Crawford, genauso wenig Omi…aussichtslos. Anscheinend sind es wirklich Feinde von euch. Vielleicht sind wir noch nicht einmal hier mehr sicher. Wer weiß das schon? Und…was wollen wir tun? Auswandern, flüchten, uns verkriechen?“ Das hatte gesessen und Schuldig räumte schweigend die Einkäufe ein. Am besten, er hielt den Mund, das hatte er sich vorhin schließlich vorgenommen und er plapperte immer noch blödsinniges unlogisches Zeug vor sich hin. Er war einfach zu dumm. Brad hatte Recht, er hatte keine Erziehung, keine Schule genossen. Kudou hatte Recht, er sollte Ran machen lassen, Ran hatte Recht… Aya stand da und fühlte sich…verarscht. Schuldig sagte nichts, räumte nur weiter die Sachen ein, die ja weiß Gott nicht wichtig waren und ignorierte ihn. Wut stieg in ihm auf. Wut auf Schuldig, Wut auf die Situation, vor allen Dingen jedoch Wut auf diese Bastarde…und die Ungewissheit, was weiter geschehen würde. Mit eben diesem Zorn im Bauch knallte er das Fleisch auf die Ablage und verließ die Küche. Er musste raus, ganz dringend. Er musste seiner Wut ein Ventil geben, bevor sie sich auf Schuldig entlud, der in nächster Nähe war. Er stürmte regelrecht zur Terrasse und riss die Tür auf, knallte sie hinter sich zu und schlug mit der rechten Faust gegen die Betonwand. Super. Jetzt hast du ihn soweit! Du hättest irgendetwas sagen sollen, nicht einfach schweigen, du Idiot, kannst wohl immer noch nicht deinen Mund aufmachen, wann wirst du es endlich lernen? So zeterte es in Schuldig und er stand weiterhin da, wusste nicht wie er jetzt reagieren sollte. Ran war sauer auf ihn. Okay, soweit nichts Neues. Nur diesmal hatte er anstatt wie früher gar nichts gesagt. Was etwas Neues war. Soweit die Analyse der aktuellen Lage. Ran war sauer ergo Schuldig war gearscht. Nachgehen war ganz schlecht, schied also als Lösung aus. Sein Blick fiel auf das Fleisch. Gut, dann eben Altbewehrtes… Ayas Faust pochte und brannte von dem erlösenden Schlag gegen die Wand, die hart genug war, um ihm Widerstand zu geben. Widerstand, den er brauchte. Wie gerne hätte er seine Faust noch einmal in das Gesicht der Angreifer getrieben, wie gerne hätte er sein Katana genommen und sie einen nach dem anderen getötet. Killer, hatte ihn Manx genannt und sie hatte Recht. Diesen Instinkt, den ein normaler Mensch nicht besaß, den Wunsch zu töten, trug er noch in sich. Gerade jetzt merkte er das. Er stand am Geländer und starrte leeren Blickes in die Tiefe hinab. Nicht in die hoffnungslose Weite der Stadt, sondern die scharfe Tiefe des unter ihnen liegenden Bodens. Reiß dich zusammen, Aya. Reiß dich verdammt noch mal zusammen, sagte er sich wieder und wieder, doch es geschah nichts. Der gleiche Zorn, die gleichen Erinnerungen, die gleiche…ja, Demütigung. Die gleiche Angst und Verzweiflung. Dieses ungute Gefühl blieb. Was, wenn sie mehr im Schilde führten? Was, wenn er nicht stark genug war? Aya krallte seine Hände um das Geländer und aus den feinen Rissen seiner Hand quoll Blut hervor. Nicht viel…aber genug, damit er sich an, den Morgen drei Tage zuvor erinnerte. Blut… Ran kam nicht, auch während Schuldig das Fleisch zubereitete und die Beilagen arrangierte. Das Essen war noch nicht fertig und sein Blick ging wieder Richtung Terrasse. Wie schon die letzten Minuten auch. Ran kam nicht und Gott … ja Schuldig machte sich schon wieder Sorgen. Sollte er jetzt raus gehen und sich Ärger einhandeln oder besser hier bleiben, nicht dass Ran sich noch wegen ihm aufregte? Schlussendlich ließ er das Gericht auf kleiner Flamme weiter köcheln und zog sich die Schürze ab. Er sah den Schatten an der Balustrade stehen und öffnete die Tür. Rans Haltung wirkte angespannt. „Willst … du nicht reinkommen?“, fragte Schuldig zerknirscht. Dadurch signalisierend, dass ihm diese schief gegangene Unterhaltung Leid tat. Aya öffnete seine Augen und starrte einen Augenblick lang auf die vor ihm liegende Stadt. Dreh dich um, befahl er sich selbst. Deine Wut ist nicht auf ihn gerichtet und sie wird sich auch nicht auf ihn entladen. Er atmete tief ein und wandte sich tatsächlich zu Schuldig um. Das Lächeln, was er eigentlich auf seinen Lippen tragen wollte, blieb aus, doch er nickte abgehackt. „Ja“, erwiderte er leise und trat auf Schuldig zu. Ran benahm sich tatsächlich so, als wäre er sauer auf ihn. Und zwar richtig. „Was ist mit dir…Ran?“, fragte der Telepath ebenso leise zurück. Er traute sich ja fast schon nicht nachfragen, so düster wie Rans Blick war. Eine Düsternis die so tief ging, so fest verwurzelt war, dass sie alles zu verschlucken schien. „Was…was sollte ich denn schon groß…dazu sagen? Du hast ja Recht mit dem, was du gesagt hast, und … ich bin eben ein …Hohlkopf.“ „Nein, bist du nicht“, erwiderte Aya mit Schmerz in der Stimme und den Gesichtszügen. „Ich bin…wütend. Nicht wegen dir. Auch nicht mehr, weil du nichts gesagt hast. Ich bin wütend, dass ich nichts tun konnte, in der Nacht. Dass ich jetzt immer noch nichts tun kann. In keine Richtung. Wozu bin…war ich denn dann Anführer von Weiß, wenn ich so dermaßen hilflos bin?“ Er starrte frustriert zu Boden, dann wieder zu Schuldig. „Ich kenne das nicht…es gibt immer eine Lösung.“ „Aber nicht unbedingt gleich.“ Und übrigens … „Jei hatte sie nicht einmal bemerkt, was willst du da tun? Es war geplant, Ran. Das haben wir …“ Schuldig bemerkte die Schrammen auf dessen Hand, als er näher ging. „…schon besprochen, nicht? Ich … sei nicht sauer auf mich. Ich versteh deine Wut. Mir ging es genauso.“ Er nahm Rans Hand, die dieser zuvor wohl irgendwo gegen geschlagen hatte. „Damit wird es auch nicht besser…“, murmelte er. „Ein Bisschen schon“, erwiderte Aya und strich Schuldig mit der linken Hand über die Wange, während er die Rechte wieder zu sich zog. Ja, er hatte das gebraucht und nun war es gut. Es würde verheilen, ebenso wie die Blessuren von seinem Gesicht verschwinden würden. „Ich bin nicht sauer auf dich…es war die gesamte Situation…aber nicht du. Wie könnte ich denn auch?“ „Na da gäbe es bestimmt viele Gründe, wenn du scharf darüber nachdenkst. Komm rein. Hey… wie wäre es mit einem Pflaster? Diese Hände kenne ich ja schon zu gut, wenn’s ums Verarzten geht!“, lächelte er und zog Ran hinein in die Wärme, die ihn schaudern ließ. „Ahh und das Füttern danach ist das Beste… du hast nicht vor, deine andere Hand noch irgendwo gegen zu schlagen?“, grinste er dreist in Aussicht Ran zu füttern. Aya musste gegen seinen Willen lachen. Diese Frage war so absurd, so…bizarr, dass sie ihn doch tatsächlich von seinen Gedanken ablenkte und ehe er es sich versah, war er in dem Loft, die Tür zu seinem kalten Exil zu und er in der Küche, in der es verführerisch nach Essen roch. „Gibt es nicht, essen kann ich noch alleine“, machte er seinen Standpunkt klar und kramte bereits in einer der Küchenschubladen nach einem kleinen Pflaster…zu Schuldigs Beruhigung. „So?“, zog Schuldig das Wort in die Länge. „Können schon, aber auch wollen?“, wackelte er herausfordernd mit den Brauen. Aya sah den ihn doch tatsächlich überrumpeln wollenden Mann mit hoch erhobener Augenbraue skeptisch an. Es war gut, wie sie beide wieder auf die spielerische Ebene zurück glitten und sich mehr und mehr von dem eigentlichen Problem entfernten. Gut für sie beide…heilsam für sie beide. Seine Augen glitzerten geheimnisvoll, als sich seine Lippen langsam zu einem Lächeln kräuselten. „Ich will…ich will nicht. Wer weiß…Aber eigentlich will ich heute mal dich füttern.“ Eine Kampfansage an Schuldigs Dominanz. Schon allein dieses hintergründige Lächeln. Es war eher eine Mischung aus einer Ahnung von etwas Geheimnisvollem und einem Versprechen. Ran führte etwas im Schilde… Schuldig beschloss abzuwarten und es auf sich zukommen zu lassen. Er freute sich…dass die Schatten in Rans violetten Augen…zurückgetreten waren, dort, wo er sie nicht sehen konnte. Und sie ihm keine Angst machten, denn er fürchtete, Ran an diese Schatten zu verlieren. Schuldig wusste nicht, ob es die Vergangenheit war, oder einfach der Rest, der übriggeblieben war vom Hass, den Ran in sich getragen hatte …oder jetzt noch in sich trug. Er selbst wusste, was es hieß, sich in diesen Schatten zu verlieren. Aber er wusste auch, dass er es nicht zulassen würde. Nicht bei Ran. Aya selbst aß für ein paar lange Momente schweigend und wieder darüber nachsinnend, was es mit den Angreifern auf sich hatte. Sowieso setzte er sich mit dem, was geschehen war, intensiv und analytisch auseinander, wie er es immer getan hatte, wenn bei einem Auftrag etwas nicht nach seiner Zufriedenheit gelaufen war. Und von Zufriedenheit konnte man hier nun erst recht nicht sprechen. Er musste mehr trainieren. Er hatte den Kampf mit dem Schwert zwar schon wieder aufgenommen und seine Übungen angefangen, doch es reicht nicht. Er war außer Form und nicht zu gebrauchen, wenn es darum ging, sich selbst zu verteidigen. Überhaupt musste er diese Lücke in seiner Abwehr so gut es ging schließen, da Nahkampf nie seine Stärke gewesen war. Aya verfolgte minutiös noch einmal die Einzelheiten, die sich in seine Gedanken eingebrannt hatten, minutiös noch einmal ihre Taktik und ihre Worte…ihr Lachen, alles, doch er kam zu keinem Schluss. Und dann noch die Sache mit Jei. „Wieso konnte er sie nicht fühlen, hat er dazu etwas gesagt?“, fragte Aya aus heiterem Himmel, bevor er sich bewusst wurde, dass Schuldig seinen Gedanken eben nicht gefolgt war. „Jei meine ich.“ Huch. Und da hatte sich Schuldig gedacht, Ran hätte es doch glatt überhört, was er in seinem Übereifer vorhin ausgeplaudert hatte. Schuldig hangelte gerade nach seinem Glas Wasser, nahm sich während des Trinkens kurz die Zeit um abzuwägen, was er Ran hier erzählen sollte. Wahrheit oder Halbwahrheit? „Nein. Konnte er nicht.“ Die Wahrheit also. „Aus welchem Grund konnte er sie denn übersehen? Haben sie Schilde, so wie ich sie habe?“, fragte Aya weiter, da Schuldig momentan nicht geneigt dazu schien, ihm ausführlich Auskunft zu geben. Dieser stellte das Glas mit einem dumpfen, fast endgültigen Ton auf dem Tresen ab und schüttelte nachdenklich den Kopf. „Das kann Jei nicht beurteilen. Er weiß nicht, wie sich jemand mit einer Barriere anfühlt. Es gibt Menschen, mental begabte Menschen, die Schilde bewusst aufbauen können, doch Jei ist stark. Er würde sie überwinden. Warum er hier niemanden gespürt hat…wissen wir nicht. Vor allem waren es mehrere. Und alle soll er nicht gespürt haben? Das gibt es nicht.“ Schuldigs Hand legte sich fester um das Glas. Sein Gesicht war angespannt in Erinnerung daran, dass Ran von diesen…Phantomen angegriffen worden war. Es gab da noch eine Möglichkeit…aber diese war zu…abwegig. „Wenn es das nicht gibt, Schuldig, was ist es dann?“, fragte Aya mit gerunzelter Stirn. Das hörte sich alles nicht sehr gut an, wirklich nicht. Andere PSI-Talente vielleicht? „Ich weiß es nicht. Wenn es ein großflächiges Schild war, dann wäre dieses Schild von einem …“ Schuldig schüttelte den Kopf und wandte sich ab, stand auf und verschränkte die Arme. Er strich sich über die Arme, als wäre ihm plötzlich kalt. „Das ist unmöglich, Ran.“ „Von einem was, Schuldig?“, hakte Aya wieder genauer nach. Ihn beschlich ein verdammt ungutes Gefühl…sehr ungut. Alleine schon die halbe Flucht des Telepathen sprach Bände. „Was ist unmöglich?“ „Es gibt einige andere Möglichkeiten, Schilde aufzubauen. Aber…es ist zu abwegig. Würde aber erklären, warum wir blind sind. Spiritismus, Magie… es gibt einige Systemmodelle, die es ermöglichen Barrieren aufzubauen, wenn man sie beherrscht.“ Er versuchte das in Worte zu fassen, fand aber nur schwer Begriffe, die für Ran nicht zu lächerlich klangen. „Es ist …wilde Energie…die das …Voodoo sagt dir was …oder Schamanismus?“ Er wandte sich um, sah Ran zweifelnd an. Aya nickte nach einigem Überlegen langsam. Er hatte davon gehört, öfter mal, hatte es bisher aber für Humbug gehalten. Gut, vor ein paar Jahren hätte er auch noch jeden für verrückt erklärt, der ihm gesagt hätte, dass Gaben wie Telepathie und Telekinese wirklich existierten…so änderten sich die Zeiten. „Sowas könnte es sein? Und dagegen könnt ihr nichts tun?“ „Wenn wir wüssten, was es genau ist, könnten wir herausfinden, wie wir dagegen vorgehen müssten. Aber so? Und es ist ja noch nicht einmal gesagt, dass diese Typen etwas in diese Richtung beherrschen. Es war nur ein …Gedanke.“ Schuldig lehnte sich an die Anrichte. Es war alles so schwammig…so wenige Informationen, so viele Möglichkeiten. Aber das Schlimmste daran war, dass Aya hier nicht weiter wusste, es gab keine Quellen, denen er sich bedienen konnte, auch wenn er akuten Handlungsbedarf sah. „Hast du schon mit Crawford darüber gesprochen?“ Schuldig stieß sich von der Anrichte ab und kam wieder zu Ran, setzte sich neben ihn auf den Barhocker. „Ja. Er hatte diese Idee. Aber hat sie ebenso schnell wieder verworfen. Zumindest vorläufig. Selbst wenn, dann würde es keinen Unterschied machen.“ Er zuckte mit den Schultern und sah nicht glücklich dabei aus, wie er sich vorstellen konnte. Er nahm seine Stäbchen auf und fing wieder an zu essen. „Zuviel sollten wir nicht darauf geben, denn wer weiß…ob nicht euer Playboyhase alias Schnüffler Jei derart den Kopf verdreht hat, dass er die Kerle nur deshalb nicht erfassen konnte.“ Schuldigs Miene hellte sich bei diesem Gedanken auf und das Lächeln weitete sich zu einem breiten Grinsen aus, als er daran dachte, was er so alles in Yohjis Gedanken aufgeschnappt hatte. Rein zufällig natürlich. „Wieso sollte…?“, begann Aya und hob eine Augenbraue. „Nein…das macht er doch nicht! Niemals…YOUJI nicht. Der hat nichts mit Jei…“ Für diesen Moment war das Thema Angreifer vom Tisch, denn Aya stürzte sich voller Neugierde auf diese Neuigkeiten. „Was weißt du? Los, sag es!“ Seine Augen verengten sich. Oh Shit. Die Heilige Inquisition in persona. „Öhm.“ Ja du Held, etwas Schlaueres als diesen Laut der geistigen Umnachtung …solltest du dir hier schon überlegen, wenn du schon so ein Plappermaul bist, schimpfte Schuldig und sehr schnell füllte sich sein Mund mit Gemüse und Hühnchenfleisch um die Antwort hinauszögern zu können. Dabei sah er natürlich äußerst unschuldig aus. Sicherlich. „Nichts“, nuschelte er, den Mund halb voll noch. Am Besten er legte gleich noch einmal Gemüse nach. Was jedoch äußert wirkungsvoll durch zwei blasse Hände vereitelt wurde, die sich um seine Handgelenke legten und sie auf den Tresen fesselten, auch wenn Ayas Position dadurch etwas verrenkt war, so wie er halb über Schuldig lehnte. „So mein Lieber…noch einmal von vorne“, schnurrte er dunkel. „WAS genau weißt du über Youji und Jei, das ICH in den letzten beiden Wochen nicht mitbekommen habe?“ Schuldigs Grinsen hatte sich längst eingestellt und war zu einem unschuldigslammartigen, halbseidenen Schmollmund zusammengeschrumpft. Rans durchbohrender Blick erzählte von grausamer Folter und Marter, wenn er ihm nichts verriet. Wobei er konnte doch nicht so unehrenhaft sein und Yohji ans Messer liefern. Konnte er …nicht? Doch konnte er. „Nichts…so habe ich das nicht gemeint. Aber das Playboybunny war doch ein paar Tage bei euch und Jei hatte doch - und da warst du dabei - kundgetan ob Yohji ebenso interessant wäre wie du. Klarer Fall, dass ich eins und eins zusammenzähle und dabei …so etwas herauskommt oder?“ Gute Lüge. Gute Lüge. „Klar und du hast auch nicht in seinen Gedanken herumgeschnüffelt, richtig?“, fragte Aya mit einem Lächeln auf den Lippen. „Mein lieber Kullerpfirsich…ich verwette meine Haare, dass du dem ‚Playboybunny’ einen gedanklichen Besuch abgestattet hast. Richtig?“ Aya seufzte lang gezogen. „Also Schuldig…ich wusste gar nicht, dass dir so eine kleine Information so viel wert ist…wenn auf der anderen Stelle Sexentzug steht.“ Schuldigs Gesicht nahm einen Ausdruck an als hätte man ihm sein Lieblingsspielzeug geklaut. „Du drohst mir mit Haareabschneiden und Sexentzug?“ „Ich wusste schon immer, dass du ein intelligenter Junge bist“, lächelte Aya lieblich und hob seine zweite Augenbraue. Noch immer waren Schuldigs Handgelenke so delikat gefesselt. Sein Blick senkte sich auf Rans Hände und er beugte sich hinab um seine Lippen über das Pflaster gleiten zu lassen. „Ich kann’s dir nicht sagen, Ran, was ich gelesen habe. Das wäre…unfair…dem Häschen gegenüber oder?“ Er appellierte an Rans Ehre. Das klappte immer. Hundertprozentige Erfolgschance. „Aber du …könntest raten?“, gab er leise einen Tipp, mit einem neckenden Lächeln in Rans Richtung. Einen Moment lang vermutete Aya, dass Schuldig ihn becircen wollte mit seinem Verhalten. Das tat er nach diesem Moment immer noch, nur war er nicht so leicht mehr von seinem Vorhaben abzubringen. Er nahm die immer noch bewegungslosen Handgelenke auf, ließ sie jedoch nicht los und drehte Schuldig zu sich, bettete dessen Hände schließlich in seinen Schoß. Damit Schuldig fühlen konnte, was ihm entgehen würde. „Ich bin GANZ schlecht im Raten“, lächelte Aya. „Da musst du mich wohl oder übel mit Informationen versorgen.“ Ohje…da hatte er den Salat. Wieder einmal. Ran kannte ihn einfach zu gut. Schuldigs Augen trafen Rans und hielten den Blick fest. Die beste Waffe war nur noch …die Sache mit dem Gewissen. „Du möchtest also, dass ich dir erzähle, was ich in Yohjis Gedankenwelt gelesen habe. Etwas, das intimer als eine Berührung seines Körpers ist. Seine letzte Rückzugsmöglichkeit. Etwas, das er nie jemanden erzählen würde, dir vielleicht aber vielleicht nur dann, wenn er wüsste, dass du ihn nicht verurteilst. Wenn er es dir nicht erzählt hat bisher, wäre es dann nicht…unter deinem Niveau mich auszuquetschen? Vielleicht ist der Playboyhase gar kein Playboyhase sondern ein Angsthase?“ Nein, ganz sicher war Yohji das. Wobei…vermutlich eher beides, was Gefühle anbetraf. Für einen Moment hatte Aya wirklich das Gefühl, der schlechteste Mensch der ganzen Welt zu sein. Dieses Gefühl schwand jedoch. Rapide. Sehr rapide. „Mein lieber Schuldig…jetzt lass das mal nicht so klingen, als wäre ich der große Bösewicht, wenn du seine letzte Rückzugsmöglichkeit schon infiltriert hast, als du seine Gedanken gelesen hast. Außerdem möchte ich nur wissen, was da zwischen den beiden läuft…was genau läuft, will ich nicht wissen…ebenso wenig die Details. Außerdem ist Youji kein Angsthase…nie gewesen.“ Schuldig setzte sich etwas zurück, da Ran seine Hände in dessen Schoß gezogen hatte, beließ aber seine Hände in den warmen Fesseln. „Was heißt …wäre? Du bist der Bösewicht. Wusstest du das nicht?“ Schuldig legte den Kopf schief als würde er ein Wesen vom Mars sein und versuchen den Menschen vor sich zu verstehen. „Im Übrigen lese ich die Gedanken sehr vieler Menschen, ständig... seit du hier bist…und nun doch seltener spiele ich sie gegeneinander aus. Ein Gedanke hetzt den anderen. Du hast mir gezeigt, dass es schlecht ist so etwas zu tun. Noch dazu bei deinen Freunden. Du hast es mir sogar verboten. Willst aber jetzt die Ergebnisse sehen. Etwas Doppelzüngig mein Lieber.“ Schuldig lächelte durchtrieben. „Yohji ist ein Angsthase, was seine Gefühle betrifft. Sag nur, dass ist dir noch nicht aufgefallen? Er läuft vor sich selbst weg. Und DAS habe ich nicht in seinen Gedanken gelesen.“ „Das ist mir schon lange aufgefallen…“, stellte Aya in den Raum und ließ seinen Blick aus dem Fenster schweifen, bevor er wieder zu Schuldig zurückkehrte. „Richtig…ich habe es dir verboten…vielmehr gesagt, dass ich das nicht gerne sehe. Daran hast du dich nicht gehalten und hast dich ohne meine Erlaubnis in Youjis Gedanken eingeklinkt“, resümierte er mit einem dunklen, lasziven Ton in seiner Stimme. „Da ich ja der Bösewicht bin, gehört das eigentlich bestraft, wobei wir wieder beim Sexentzug sind.“ Er zog Schuldig an dessen Handgelenken wieder etwas näher an sich, damit er ihm direkt in die Augen sehen konnte – und nur ihm, so nahe waren sie sich. „Nun?“ Schuldig sah das Dilemma, in dem er bis zum Halse steckte. Dieses Violett schnitt direkt in sein Herz und von dort wie ein Schwertstreich hinunter in seine Eingeweide. „Ich…“, sagte er, die Stimme rau und daher kaum zu verstehen. „Wenn ich dir was sage, werde ich’s ihm erzählen, dass ich dir was sagte. Das ist nur fair.“ „Abgemacht. Und ich erzähle ihm, dass du ihn Playboybunny genannt hast“, stimmte Aya dem zu. „Soll ich ihn einladen? Morgen Nachmittag wäre schön.“ „Das heißt also …ich bin bei allen beiden Versionen der Arsch“, murmelte Schuldig und ließ den Kopf hängen. „Schon recht. Einverstanden“, gab er sich geschlagen. „Jei hat experimentiert und Yohji war das Versuchsobjekt.“ Das klang nicht gut. Das klang nach Ärger…aber eigentlich konnte es nichts Schlimmes sein, denn sonst hätte Schuldig schon längst etwas gesagt. Dennoch… Aya erhob sich und zog Schuldig keinen Widerstand zulassend mit sich aus der offenen Küche hinaus zum Schlafbereich, wo er den Deutschen auf das Bett stieß, vorsichtig über ihn gekrochen kam. Solche exorbitanten Bewegungen waren noch nichts für seinen geschundenen Körper. „Und jetzt wirst du mir noch einmal ganz genau erläutern, was das für ein Experiment war, mein Lieber“, war seine Stimme sanfter Honig, dunkle Lockung, seichte Drohung, alles zusammen. Trotz Rans Blessuren, die sicher noch spannten, waren dessen Bewegungen fordernd und bestimmend zugleich. Schuldig spielte den Flüchtenden und stützte sich auf die Ellbogen um nach hinten auszuweichen, Ran immer im Blick. „Kein solches…welches du hier…augenscheinlich planst…“, zirkelte ein Lächeln um seine Mundwinkel. Aya glitt über Schuldig und setzte den anderen Mann mit seinem Körper fest, die Hände mit denen des Telepathen verwoben. „So…und welches dann?“, gurrte er, als sich seine Unterseite wie zufällig an der des anderen rieb. Rein zufällig natürlich. Schuldig lächelte zu Ran hinauf. Betrachtete sich für einen langen Moment dessen so aufmerksames Gesicht. „Vielleicht…“ Das sanfte Glimmen in den Augen, das nur ihm gehörte, das nur wegen ihm…dort aus dem Violett hindurchtrat und sich ihm zeigte. „…so etwas wie das hier…“ Er reckte sein Kinn, schloss die Augen etwas und genoss es sein Gesicht Rans entgegen zu heben. Dessen Wärme näherzukommen, dessen Haut an seiner zu spüren und dessen Lippen mit seinen zu fühlen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)