Der Glasgarten von Gadreel_Coco ================================================================================ Kapitel 69: Einsam Zweisam -------------------------- ~Einsam Zweisam~ Schuldig spürte wie ihm erneut Tränen in die Augen schossen, sie liefen nicht… noch nicht, aber er fühlte sie bereits. „Ich bin nun… einmal was ich bin“, versuchte er es erneut. „Unsere Welt ist nicht heil… sie kann jederzeit zerbrechen, jederzeit kann einer von uns sterben. Was soll ich dagegen tun, wenn ich mich nicht selbst verleugnen will?“ Er presste die Lippen für einen Moment zusammen. „Aber… du hast Recht. Ich… will nicht, dass du leidest und Angst hast. Und wenn ein Leben ohne mich keine Angst davor jemanden zu verlieren bedeutet, dann musst du wohl gehen.“ Warum zum Teufel hörte sich seine Stimme nur so erbärmlich an? Warum so verbittert? Das wollte er so nicht. „Auch wenn dieses Leben dann vermutlich sehr einsam und arm an Gefühlen werden wird. Liebe bedeutet Risiko, Schmerz und Leid. Hast… du das nicht gewusst?“, fragte er jetzt leise und er lächelte, Ran dabei allerdings nicht ansehend. Was sollte er jetzt noch sagen? Er wusste nicht, was er noch vorbringen sollte, Ran hatte seine Entscheidung getroffen, er hatte heute nicht die Kraft ihn umzustimmen. Schuldig sprach das aus, was er sich selbst gesagt hatte, was er wusste und was sein Grund war… doch bei ihm hatte es nicht so wehgetan, wie es hier der Fall war… oder lag es an Schuldigs aufkommenden Tränen? Wortlos sah Aya den anderen Mann an und sagte nichts… was konnte er auch schon sagen? War es wirklich etwas anderes, wenn Schuldig ihm noch einmal die Konsequenzen aufzählte? Es ihm direkt ins Gesicht sagte. Doch wenn es so logisch und rational war, warum vergoss er nun die Tränen, die in Schuldigs Augen standen? Lautlos hatten sie ihn überfallen und flohen nun aus ihrem Gefängnis. Nervosität und Hektik machte sich in Aya breit, als er sich umwandte und ein weiteres Mal zum Schrank ging… das Essen wurde sicherlich kalt und es musste doch noch gegessen werden, sagte er sich selbst, während er zwei Teller hervorholte, dazu Stäbchen und zum Tisch zurückkehrte. Er wollte Schuldig fragen, wie viel er ihm auf den Teller geben sollte, doch er brachte keinen Ton heraus, so sehr zitterten seine Lippen, so sehr zitterte er selbst. Die linke Hand hatte eine Strähne seiner losen Haaren gegriffen und zog daran, wie sie es in den vergangenen Wochen so oft getan hatte, während die andere die Teller verteilte und ungeschickt die Beutel löste. Schuldig sah auf, mit fragendem Blick, als er Rans plötzlichen Aktionismus bemerkte. Seine Zähne schlugen sich in die innere Unterseite seiner Lippe, als er sah wie aufgelöst Ran war. Warum folterte Ran sich selbst so? Schuldig verstand es doch, warum Ran weg wollte, zu einem kleinen Teil zumindest. Aber er konnte es nicht gutheißen, ganz bestimmt nicht, dazu war er zu egoistisch, zu besitzergreifend und er wollte nicht wieder einsam sein in der Welt voller Gesichter. Er hatte doch Ran gefunden, oder Ran hatte ihn gefunden, wenn er es genau nahm. Schließlich hatte er Ran zum ersten Mal seit langem damals wieder vor sich gesehen, wie er dort saß, oder über ihn gebeugt war, in diesem Keller, seinem Gefängnis. Dort hatte es begonnen, weil Ran ihn gefunden hatte. Seine Beine setzten sich in Bewegung, auch wenn sie vorher dies verneint hatten, da Rans Ablehnung, seine Verzweiflung ihn daran gehindert hatten zu ihm zu dringen, taten sie es jetzt. Schuldig näherte sich dem seitlich abgewandten Mann, legte seine Arme um dessen Mitte, die Linke um die Faust Rans gelegt und zog ihn an sich, er legte seine Wange an Rans Kopfseite. „Verlass mich nicht Ran, bleib doch bitte bei mir“, wisperte er mit brüchiger Kehle, da sie für diese feine Lautstärke fast kaum mehr Stimme aufbringen konnte. Worte, die Aya genauso umhüllten und innerlich schockierten wie die Berührung des anderen Mannes. Er hatte keinen so derart engen, körperlichen Kontakt erwartet… doch noch weniger hatte er die Reaktionen seinerseits darauf erwartet, die ihm nun Denken und Handeln erschwerten. Alleine die körperliche Nähe des anderen Mannes ließ ihn innerlich aufschreien, ließ den Teil sein Inneres blutig kratzen, der immer noch trauerte und dessen Trauer und Gram sich immer ein Happy End erhofft hatte, nun aber schier keines mehr wollte, aus Angst vor einer neuerlichen Enttäuschung. Die Rationalität trat in diesem Moment in den Hintergrund, ganz im Gegensatz zum Verständnis für Schuldigs Lage überhaupt. Dieser Mann war zwei Wochen in Gefangenschaft gewesen und hatte nichts anderes gesehnt, als wieder zu ihm zu kommen, und er selbst… er hatte beschlossen, sich nicht noch einmal derart emotional leiten zu lassen. Ja, es war egoistisch und feige… aber… doch die beste Lösung für ihn… er konnte es nicht noch einmal durchstehen… nicht noch einmal… aber dafür konnte er ebenso wenig die Bitte des Telepathen zurückweisen… Schuldig hatte ihn gebeten, hier zu bleiben und ein Teil von ihm krallte sich an diese Bitte, wollte nicht weg, wollte hier bleiben und glücklich sein, während der andere dagegen argumentierte… das Leid gegen zukünftiges aufwog und ihm sagte, dass er wieder so werden konnte wie zu Weiß’ Zeiten. Es ging, er war nicht auf seine Emotionen angewiesen. Doch dann wäre Ayas Opfer ganz umsonst gewesen… das ihn erst zu Schuldig geführt hatte. Er war der Letzte seiner Familie… sollte er ewig im Unglück leben? In der emotionalen Starre? Aya sog Schuldigs Geruch ein, spürte dessen Kraft, dessen Präsenz. Er ist wieder da, flüsterte es in ihm. Er ist wieder da… er ist das Wunder, auf das du gehofft hast. Er lebt und hier hast du den Beweis dafür… den fleischlichen Beweis für seine Bitte, bei ihm zu bleiben… Er erzitterte unter der Wucht des Krieges, der in ihm tobte. Nein, schrie die Angst in ihm, noch einmal vor der kompletten Leere zu stehen. Mach das nicht, nein! Du wirst es bereuen, wenn er dann wirklich stirbt, wirst du verrückt werden, verdammt! Aber ich habe Verantwortung für ihn… ich will ihm etwas dafür zurückgeben, was er mir schenkt…, hielt er verzweifelt dagegen. Die beiden Seiten in ihm schrieen und tobten, doch Ayas Körper drehte sich in der Umarmung um, eine gewohnte Bewegung, aber mit ungeheurer Kraft, die dahinter stand. Sieh nicht hin, sieh ihn nicht an, dann wirst du es nicht können!, hallte es immer und immer wieder, doch diese Stimme rückte in den Hintergrund… mehr und mehr und mehr… das war der Geruch, die Stärke des Mannes, die Präsenz, alles, die Berührung, die Worte. Er konnte nicht an seinem Entschluss festhalten, so stark er vorher auch daran geglaubt hatte. Nein… es ging nicht. Er war schwach, ja, schwach und mutig, seiner rationalen Seite nicht zu gehorchen. Wortlos vergrub Aya seine Stirn an der Schulter des Telepathen und schlang den freien Arm um Schuldig, zog ihn nah an sich. Schuldig ließ Ran sich umdrehen, umarmte ihn sanft und schmiegte sein Gesicht in dessen Halsbeuge, wie er es so gerne tat, dessen Geruch in sich aufnehmend. Noch immer hatte er Angst. Was wenn es einfach nur die letzte Umarmung für Ran wäre? Wenn er sich so verabschieden wollte? Und wenn er sich gleich von ihm lösen würde… „Wir… finden eine Lösung dafür, Blumenkind, ja?“, murmelte er verhuscht. „Wir… haben doch für so viel einen Ausweg gefunden. Schon… allein, dass wir zusammen sind…“ oder sollte er sagen, waren? „…sollte doch schon Beweis genug sein, dass wir zusammen gehören. Wir haben so gekämpft, so viel ge… litten und jetzt… soll das umsonst gewesen sein? Das ist es doch was uns ausmacht.“ Er strich Ran behutsam über den Rücken, drückte ihn dann an sich. Aya traute sich nichts zu sagen, aus Angst, das Wort ‚nein’ würde doch noch seine Lippen verlassen. So nickte er nur an der Schulter des Telepathen, weinend und zitternd. Schuldig… hatte Recht, mit allem, was er sagte. Er war wirklich feige, wenn er ging. Nein, dieses Leid würde nicht umsonst sein, dieses Leid würde besänftigt werden. Sie gehörten zusammen… daran hatte Aya auch während dieser zwei Wochen festgehalten, hatte Schuldig sich zurückgesehnt mit all dem Chaos. Und nun sollte er ihn verlassen? Gott nein, das konnte er nicht. „Ich habe solche Angst, dass es noch einmal geschieht…“, wisperte er ganz leise… beinahe unhörbar. Schuldigs Hand fand ihren Weg in Rans Haarfülle, schmuggelte sich dazwischen und koste über den Nacken. „Ich doch auch, Ran. Mir geht es genauso. Aber ich weiß nicht was kommt, ich will dich so lange bei mir behalten, wie es nur geht und ich werde alles dafür tun.“ Er löste seine Haltung etwas und schmuste mit seinen Lippen über Rans Schläfe und seine Wange. „Ich wollte dich doch nie alleine lassen. Nie.“ Gott… wie sehr hatte Aya diese Berührungen vermisst, wie sehr labte er sich jetzt alleine von dem Gefühl von Schuldigs Lippen auf seiner Haut… es war das Paradies und gleichzeitig doch die Hölle, da der Kampf in seinem Inneren noch nicht ausgefochten war, denn immer noch schrie etwas in ihm, immer noch war er nicht vollkommen sicher. Aya öffnete seine Augen und starrte blicklos auf einen Punkt an der Wand, seine Nase und seine Lippen wund von dem Salz der Tränen. „Das weiß ich… aber wie lange geht das gut? Bis zum nächsten Auftrag? Sie haben euch jetzt schon verraten… was, wenn der nächste Auftrag endgültig das Ende ist?“, fragte er mit Verzweiflung in der Stimme ob dieser Horrorvision nach. Es war doch nur zu wahrscheinlich. Schuldig löste sich und seine Hand legte sich an Rans Wange, lotste das Gesicht so, dass Schuldig in Rans Augen blicken konnte. „Dann werden wir kämpfen und du… wirst auf mich aufpassen, hmm? Und ich auf dich!“ Er lächelte sanft. „Wenn sie Schwarz zerstören wollen und das von innen heraus, dann schaffen sie es, wenn wir nicht zusammen halten, Ran. Sie können uns nichts wegnehmen, schon gar nicht das, was wir fühlen und sie können sich nicht in unser Herz bohren, weil sie nicht wissen was es heißt… zu… lieben. Wir werden uns nichts von ihnen nehmen lassen. Ganz bestimmt nicht etwas so hart Erkämpftes.“ Wie lange war es her, seitdem Aya in diese Augen gesehen hatte? Wie oft hatte er sich in den letzten vierzehn Tagen eben hiernach gesehnt? Und nun, nun glaubte er an diesem Blick zugrunde zu gehen und sich in ihm zu verlieren… so tief es nur ging. Sie würden gemeinsam kämpfen… das war alles, was für Aya zählte, denn es gab ihm Hoffnung für seine Unsicherheit. Er würde nicht noch einmal hilflos mitansehen, wie jemand starb. Niemals mehr. Ein Versprechen war es. Ayas Mundwinkel zogen sich nach oben… ein Lächeln konnte man das jedoch nicht nennen, dafür war es zu schwach… viel zu schwach. Und eben diese Lippen, die ein so zartes Lächeln wagten, berührte Schuldig sanft mit seinen, küsste sie sacht und entfernte sich wieder. Als würden sie sich zum ersten Mal küssen. Er erwiderte dieses Lächeln wesentlich zuversichtlicher, seine Augen glimmten vor Wärme, vor Liebe für Ran. Konnte er nach diesem Kuss noch nein sagen? Nach diesem Lächeln aus den Augen, von denen er gedacht hatte, dass sie sich nie wieder für ihn öffnen würden? Nein. Nein… dieses Mal nein zum Nein. Er blieb bei Schuldig. Dieses Mal war es Aya, der Schuldig zu sich zog und eng an sich hielt. Jetzt… langsam wurde diese gähnende Leere in seinem Inneren wieder gefüllt und wärmte ihn mit seinem Strahlen, ebenso wie sich seine Augen mit neuen Tränen füllten. „Ich habe dich vermisst… ich habe dich so sehr vermisst…“, flüsterte er rau. „Aber du bist wieder da…“ „Ja.“ Schuldig fühlte diese Wärme und Nähe und labte sich an ihr. „Halt mich so fest du kannst, Ran“, lächelte er im Verborgenen, weil sie sich eng hielten. War es denn möglich, dass er diese Art Worte so einfach, so natürlich aussprechen konnte, ohne dass sie aufgesetzt wirkten… nur… weil es die reine, verzweifelte, elementare Wahrheit war? War es… denn sie hatten sich seit zwei Wochen nicht halten können, die eine Ewigkeit gewesen waren… die beinahe zur Ewigkeit geworden wäre. Aya schluchzte lautlos auf und hielt Schuldig ebenso verzweifelt mit seinen Armen wie auch mit seinen Lippen, die nun ihrerseits die des Telepathen umfingen. Aya weinte, lächelte… alles zusammen in einem Wust und in einem Kuss, der nicht nur sich selbst beweisen sollte, dass er sich für das Bleiben entschieden hatte. Aller Schmerz, alle Müdigkeit und Sorge war fort und Schuldig spürte, wie chaotisch Rans Gefühlswelt sein musste, der in diesem äußeren Ansturm gipfelte. Sie standen da und bezeugten sich ihrer Gefühle mit kleinen Gesten, mit sanften Küssen und Umarmungen, bis Schuldig Ran zum Bett führte und sich mit ihm niederließ. Nur vorsichtig lehnte er sich an die Rückwand an, kuschelte Ran an sich und schmuste sich an ihn. Es schien, als wäre das Bett zentraler Punkt in den letzten Wochen. Wie lange Aya hier und in Schuldigs Wohnung auf dem Bett gelegen und vor sich hingestarrt hatte, wusste er nicht, doch nun war er nicht mehr alleine… jetzt war es nicht mehr Crawford, der neben ihm lag, sondern Schuldig, der sich an ihn ankuschelte. Auch wenn Aya nicht entgangen war, dass er das mit einer Art von…Vorsicht getan hatte. „Was… ist in den zwei Wochen passiert?“, fragte Aya schließlich leise. Schuldig musste für seine Antwort nicht lange überlegen. „Naja, sie haben mich halt ein wenig verhauen, du weißt ja, wie das so ist… als Killerkommando. Die meisten Menschen stehen nicht so drauf, wenn man ihnen ans Leder will. Aber jetzt ist es ja vorbei“, lächelte er sanft und konnte dieses Lächeln fast schon nicht mehr einstellen, so gut fühlte sich Ran in seinen Armen an. Und dieses Mal war es kein Trugbild. „Isst du etwas mit mir? Ich hab einen Bärenhunger…“ Sie hatten ihn nur geschlagen? Es fiel Aya schwer zu glauben, dass diese Männer es dabei belassen hatten, denn wie Schuldig schon sagte, ein Killerkommando fasste man nicht mit Samthandschuhen an. Doch vielleicht hatte Schuldig Gebrauch von seiner Telepathie machen können? Aya wusste es nicht und er würde das Thema auch nicht weiter verfolgen… zumindest jetzt noch nicht. Er würde Schuldig alle Zeit der Welt geben. Er zog den Telepathen wie zur Bekräftigung enger an sich und warf einen Blick auf den Tisch, wo das Essen stand. Eigentlich hatte er keinen Hunger… doch er würde essen… mit Schuldig. „Und wer steht auf?“, fragte er mit einem kleinen Anflug an Humor. „Du natürlich!“, hob Schuldig keck die Brauen. „Rein geographisch bist du näher am Essen als ich! Klarer Fall“, nickte er bedächtig und küsste Ran auf die Nasenspitze. Ein weiteres, vorsichtiges Lächeln stahl sich auf Ayas Lippen. Unter Umständen hätte er protestiert… unter Umständen hätte er Schuldig böse angeschaut, doch nun unterblieb beides und er stand seufzend auf. Er häufte ihnen beiden etwas auf die Teller und stellte fest, dass es genau das war, was er mochte… sicherlich hatte Schuldig das nicht umsonst mitgebracht. Sicherlich nicht. Mit zwei vollen Tellern und den Stäbchen kam er wieder zurück und setzte sich neben Schuldig, reichte diesem seinen Teller. „Bitteschön der Herr, das Essen“, neckte er und es fühlte sich einfach gut an. Es fühlte sich warm und wuschelig in seinem Inneren an. „Aber hey, nicht so weit weg setzen“, maulte Schuldig schon beäugend, dass er nah genug an Ran saß. Schließlich brauchte er diese Nähe für sein Seelenheil und er würde darauf bestehen! Er fing an zu essen als sie Schulter an Schulter saßen, sich kaum rühren konnten, aber das war ihm egal, Hauptsache nahe bei Ran sitzen. „Hat Brad dir wenigstens etwas zu essen gemacht, wenn er dir schon auf die Nerven gefallen ist?“, fragte er ins Blaue hinein. Aya sah von seinem momentanen Bissen hoch. Wusste Schuldig davon? Hatte Crawford ihm etwas von dem erzählt, was passiert war? „Er hat für mich gekocht, ja“, erwiderte Aya mit einem unschönen Blick in die Vergangenheit. „Am Anfang nur alle paar Tage… dann jeden Tag.“ Als er gesehen hatte, dass sich Aya selbst nichts kochen würde. Es schien, als hätte er etwas Verbotenes getan… als er die Nähe des Amerikaners gesucht hatte. Besonders jetzt, da Schuldig doch lebte. „Na, dann ist ja gut“, lächelte Schuldig zu Ran, der ihn mit undurchschaubarem Blick das Gesicht zuwandte. „Wäre ja schlimm gewesen, wenn ihr euch gestritten hättet, oder Schlimmeres“, murmelte Schuldig und schob sich eine Ladung Nudeln in den Mund. Er hatte nicht vor, anzusprechen, dass er bemerkt hatte, dass Brad und Ran nahe im Bett gelegen hatten, schon allein die näher gerückten Kissen hatten ihm das erzählt. Es störte ihn nicht wirklich, aber er hätte gern gewusst, warum das so plötzlich gekommen war… wie war Brad auf die Idee gekommen, Ran Essen zu kochen… „Nein… dazu hatte er keine Gelegenheit. Er war selbst so fertig, dass Anfeindungen das Letzte waren, was wir benötigt haben.“ Wir… Crawford und er… wir… wann wäre es Aya eingefallen, den anderen Mann mit einzubeziehen? Doch nach diesen Tagen war vieles anders. „Er war irgendwann da und hat nicht lockergelassen.“ „Aber warum?“, grübelte Schuldig vor sich hin. Er würde wohl Brad fragen. „Es ist ja nicht wichtig, es war gut so, dass ihr zusammen wart, das hätte ich mir gewünscht, wenn… naja du weißt schon…“, sprach er es lieber nicht aus, wenn er das Zeitliche gesegnet hätte. „Mich wundert es nur, sonst lebt er diesen Umsorgetrieb nur bei mir aus, und das auch nicht so extrem, mit bekochen und… so…“ „Weil du ihn darum gebeten hast“, erwiderte Aya langsam nach ein paar Momenten des Nachdenkens, ob er diesen Satz überhaupt äußern sollte. Zumindest hatte Crawford ihm das als Grund genannt und einen anderen konnte er sich auch nicht vorstellen… nicht wirklich. Dass er ihn vermutlich aus dem einfachen Grund bekocht hatte, damit er etwas aß, verschwieg Aya. Das brachte Schuldig dazu seine Stäbchen sinken zu lassen. Er saß im Schneidersitz da, den Teller in der Hand auf seinen Beinen und sah nun zu Ran. „Ich?“ Er senkte den Blick wieder auf seinen Teller und lehnte sich dann an die Wand an. Er hatte das vergessen… einfach vergessen… So etwas Wichtiges hatte er vergessen… Aya sah auf, als er mit Stille konfrontiert wurde, unguter Stille, wie ihm bewusst wurde. Er legte seine Stäbchen ab und eine Hand schlich sich automatisch zu Schuldigs Haaren, um eine Strähne beiseite zu schieben und dem anderen in die Augen zu schauen. Blau waren sie. Tiefblau. „Es ist vorbei…“, flüsterte er, im Wissen um das, was kurz vor Schuldigs Ohnmacht geschehen war. „Wahrscheinlich tanzt er jetzt vor Freude, sich nicht mehr kümmern zu müssen“, versuchte er sich in einem kleinen Witz. „Na, das mit Sicherheit“, sprang Schuldig auf den Zug auf und versuchte sich an einem winzigen Lächeln. Er drehte den Kopf und küsste Rans Hand, schmiegte seine Wange dann hinein. Seufzend nahm er wieder sein Essen auf, auch wenn ihm der Kloß in der Brust seine Kehle zuschnürte. Fast verbissen schaufelte er sich langsam die Nudeln hinein. „Ich bin froh, dass ihr zusammen wart“, sagte er zwischen zwei Bissen leise in die Stille hinein. Ja, das war er. Was hätte er sich mehr wünschen können, außer dass es Ran gut ging und Brad keine Dummheiten machte, weil er ein Versprechen einzulösen hatte und sie sich beide trösten konnten auf die eine oder andere Art. Welche war doch in diesem Zusammenhang völlig einerlei. „Ich bin mir da nicht ganz so sicher“, brachte Aya die alte Rivalität zwischen Crawford und ihm hoch, wusste jedoch, dass er sich nicht umsonst mit dem anderen Mann so ruhig verstanden hatte. Wie es von nun an jedoch weitergehen würde, stand in den Sternen. Auch Aya aß weiter, bevor er sich an etwas erinnerte… Wie von alleine wanderten die Stäbchen plötzlich zu Schuldigs Teller, bahnten sich einen Weg durch feindliche Linien. Er hatte es mit Crawford getan und wie um sich zu versichern, dass Schuldig da war, musste er es auch mit ihm machen. Dessen Augen quollen schier über vor blankem Entsetzen. „Du… hast sie wohl nicht mehr alle!!“, kabbelten seine Stäbchen mit Rans um ihm die Nudel wieder abzujagen. Und da dies nur bedingt funktionierte ging er zum Gegenangriff über und schnappte sich ein Stück Fleisch von Ran und vertilgte es eilends. „So!“, grinste er hinterlistig und verengte die Augen. Da war doch jemand tatsächlich gewiefter in seinem Spiel! „Das darf ja wohl nicht…!“, empörte Aya sich und startete einen zweiten, erbarmungslosen Angriff, den er gnadenlos ausführte und sich ein Brokkoliröschen sicherte. „Unverschämt wie immer!“, meckerte er und steckte es sich zwischen die Lippen. „Trotzdem habe ich gewonnen! Brokkoli zählt nicht so viel wie Fleisch!“, ereiferte sich Schuldig und grinste tatsächlich unverschämt vor sich hin, Ran erneut ein Stückchen stehlend. „Warum… bist du dir nicht so ganz sicher, Blumenkind?“, hakte er nach und schob zu dem Fleisch noch Gemüse hinterher. Aya sah mit hoch erhobener Augenbraue zu, wie sich seine Nahrung drastisch verringerte. Deswegen nutzte er auch die kleine Unaufmerksamkeit des anderen um ihm den ganzen Teller zu stehlen und ihn für sich zu hamstern. Er räuberte mit seinen Stäbchen, während er über die Frage nachdachte. „Weil… ich ihn eigentlich nicht mag“, gestand er schließlich mit vollem Mund ein. „Aber du… findest ihn anziehend?!“, war sich Schuldig schon beinahe sicher. Denn niemand würde sich nahe zu jemand anderen ins Bett legen, wenn da nicht eine gewisse Anziehung war. Irgendetwas musste da sein. „Ran… du bist gemein!“, quengelte er und blickte zu den beiden Tellern, die nun in Rans Besitz übergegangen waren. Seine Lippen schmollten eindeutig. „Hunger!“ „Na dann hol dir dein Essen!“, forderte Aya Schuldig heraus und wackelte mit seinen Augenbrauen. Natürlich würde er es nicht zu lange herauszögern, denn Schuldig sollte essen… aber wer so gemein sein Fleisch stahl… Über die Frage, ob er Crawford anziehend fand, musste er jedoch länger nachdenken. Vor allen Dingen wollte er wissen, ob Schuldig Angst hatte oder eifersüchtig war. „Körperlich vielleicht“, gestand er schließlich ein. „Aber alles andere reizt mich nicht an ihm. Warum fragst du?“ „Gute Frage“, murmelte Schuldig und senkte den Blick auf die beiden Teller, rutschte näher an Ran, küsste ihn auf die mit Gewürzsoße feurigen Lippen und stahl sich so seinen Teller zurück. „Hmm, lecker wie eh und je“, lächelte er und labte sich wieder an seinen Nudeln. Über die Frage musste er nun ein wenig nachdenken. „Ich weiß nicht, eigentlich bin ich eifersüchtig auf alles, was sich bewegt und das dich anfasst, aber… naja“, druckste er herum. „Ich… also ich hab gesehen, dass ihr zusammen gelegen seid und… naja es hat mir nichts ausgemacht. Vielleicht einfach wegen den Umständen oder weil ich noch etwas verdreht im Kopf bin oder einfach nur hundemüde.“ Das war Aya auch aufgefallen… hätte Youji ihn in dem Maße getröstet und umsorgt wie es Crawford getan hatte, dann wäre Schuldig vermutlich mehr als eifersüchtig gewesen. Doch hier? „Vielleicht bist du es bei ihm nicht, weil du weißt, dass wir uns nicht mögen“, äußerte Aya seine Vermutung. „Youji hätte es nicht so leicht gehabt.“ Dass Schuldig jedoch wusste, dass Crawford und er zusammen im Bett gelegen hatten… natürlich. Sie hatten nicht aufgeräumt, als sie aufgestanden waren… vielmehr waren sie nicht dazu gekommen und Schuldig hatte seine Rückschlüsse gezogen. „Du solltest dich gleich hinlegen und etwas schlafen, wie wäre es?“ „Wäre nicht schlecht, aber nur wenn du mitmachst“, stand auf und lud sich aus den verschiedensten kleinen Behältnissen ein Sammelsurium an Leckereien auf den Teller. „Willst du auch etwas trinken?“ „Gerne“, erwiderte Aya und ließ sich von Schuldig das Mangolassi geben, das er so gerne mochte. „Dann schlaf ich gleich hier. Ich… bin mir nicht mehr sicher, ob meine Wohnung… sicher ist, Ran“, sagte er und wandte sich mit dem Gesicht leicht zum Bett, warf Ran einen nachdenklichen Blick zu. „Ich will es zwar nicht wahrhaben, aber… was wenn es stimmt?“ „Dann musst du untertauchen.“ Die Zelte abbrechen, wie es Schwarz auch tun würden… doch was hieß das für sie beide? Dass Schuldig doch gehen würde? Dass sich ihm dann die gleiche Frage stellen würde wie es Crawford auch schon getan hatte? Würde er mitgehen oder würde er hier bleiben? Was war dieses Mal die Antwort? „Vielleicht steht dieser missglückte Auftrag in Zusammenhang mit den Männern, die mich zusammengeschlagen haben?“, äußerte er seinen Verdacht. Es wäre ein zu großer Zufall, wäre es nicht so. Schuldig kam zurück zum Bett, seinen Teller darauf ablegend und dann die zwei Gläser mit Wasser holend, bevor er sich auf dem Bett niederließ und Ran sein Wasser reichte. „So abwegig ist das nicht“, Schuldig wischte sich mit der freien Hand über die vor Müdigkeit brennenden Augen, fing wieder an zu essen und grübelte darüber nach. Aya nahm einen Schluck und verfiel ebenso in dumpfes Brüten wie Schuldig auch. „Wenn dem so ist, seid ihr hier in Tokyo nicht mehr sicher, denn sie haben euch sowohl im privaten als auch im beruflichen Bereich angegriffen und ihr könnt sie zudem nicht aufspüren.“ Er seufzte hoffnungslos auf. Es schmerzte ihn zu wissen, dass Schuldig wieder hier war, dass er selbst sich zum hier bleiben entschlossen hatte und dennoch führte kein Weg daran vorbei, dass Schwarz untertauchten. Doch Schuldig lächelte nur… man hätte sagen können, böse. „Wir lassen uns diese Stadt nicht nehmen, von keinem“, wisperte er. „Aber wir werden uns zurückziehen müssen, pausieren. Wir können sie nicht aufspüren, aber sie können uns auch nicht aufspüren, wenn wir uns nicht mehr auf unsere Fähigkeiten verlassen wie bisher. Die normalen Methoden der Verschleierung werden bei ihnen anschlagen. Wir ändern die Taktik und den Plan!“ Ayas Blick hob sich und begegnete der Entschlossenheit des Telepathen, die so versichernd schien. Doch Aya hatte seine Zweifel, auch wenn er sie nicht äußerte. „Aber ihr habt immer noch eine Verbindung zu Weiß“, sagte er dann, verschwieg, dass er sich dazu zählte. Wie ihm schon bewiesen worden war, war er nicht mehr gut genug im Training und von daher leicht zu überrumpeln, also eine Schwachstelle für Schuldig. Das durfte nicht sein… das konnte er sich nicht leisten. Doch nicht nur er, sondern auch Omi waren Punkte, über die es nachzudenken galt. „Dann werdet ihr auf Zack sein. Wenn… der Blumenladen ist natürlich ein Problem. Genauso wie ganz Kritiker. Diese Organisation hat ihre Jungs viel zu statisch untergebracht. Bisher hat es funktioniert… aber jetzt…?“ Er stahl sich von Ran ein Fleischspießchen und zupfte an dem zarten in Gewürzsoße eingelegtem Fleisch. „Wir können nur zusammen arbeiten. Nicht wirklich…ich meine nur…was uns betrifft. In diesem Punkt müssen wir an einem Strang ziehen. Brad wird das Haus bald abstoßen und sie werden von dort verschwinden. Nagis Wohnung ist zwar nicht so bekannt, trotzdem wird er in eine andere wechseln. Jeder von uns hat noch einen kleinen Unterschlupf, den er kaum oder wenig oft besucht. Dort ist meist nicht viel, nur in einem Versteck wichtige Dinge… die einem das Überleben erleichtern. Wenn wir jetzt wissen, dass unser Gegner, vor unseren Fähigkeiten gefeit ist… ziehen wir andere Seiten auf.“ Aya nickte und setzte seine Stäbchen wieder an, als er sich bewusst wurde, dass er vergessen hatte zu essen und Schuldig somit die Gelegenheit erhielt, ihm das Essen vom Teller zu klauen. Darauf nahm er sich gleich einmal ein weiteres Gemüsestück von Schuldig. „Weiß werden kooperieren, das Problem ist aber Kritiker. Sie sehen euch lieber tot als lebend, es sei denn, ihr seid ihre Verbündeten.“ Sein Blick schweifte wieder in die Ferne, zurück zu einigen Dingen. „Auch wenn… anscheinend hat sich Manx ihren ‚Preis’ geholt, ohne Crawford zu töten“, rekapitulierte er nachdenklich, was Crawford ihm erzählt hatte. Schuldig blickte auf, legte den Kopf schief, dabei vergessend zu kauen. „Er ist mit ihr ins Bett gesprungen?“, platzte er heraus. So wie Ran das Wort „Preis“ ausgesprochen hatte, konnte es nur etwas Sexlastiges sein. Etwas Abwegiges! „Mit dieser manipulativen Schla…Rothaarigen?“ Der Rest, das magere Hauptproblem schien jetzt eher zweitrangig von Interesse… hinfort waren die Probleme, die Sorgen… weggeweht von dieser anrüchigen Geschichte, die sich ihm hier auftat. „Einzelheiten?!“ „Ich weiß nicht, ob sie miteinander geschlafen haben!“, protestierte Aya schwach. Sicherlich, Crawford hatte gesagt, dass Manx ihn entjungfert hatte, aber das konnte alles bedeuten! Vermutlich hatten sie nur Informationen ausgetauscht. „Ich glaube es auch gar nicht… vermutlich hat er nur übertrieben, als er mich seinen Zuhälter genannt hat!“ „Willst du… wetten?“, schlich sich wie die Grinsekatze bei Alice im Wunderland ein herausforderndes, wissendes Grinsen auf Schuldigs Züge. „Vielleicht… gewinnst du ja… dieses Mal...“, lockte er. „Ja, wir wetten! Hör mal… es ist Manx. Manx würde mit ihm nicht ins Bett steigen, für kein Geld der Welt! Außerdem…“…außerdem würde das seine Theorie der Rothaarigen untermauern. Crawford stand auf Rothaarige, auch auf Schuldig und Schuldig auch auf ihn… was er Crawford auch gesagt hatte. Ayas Augen weiteten sich. Crawford wusste es jetzt. Aber Schuldig wusste es vermutlich nicht, was auch gut so war… denn so sollte es bleiben. „Dein Einsatz?“, knarrte Schuldig mit einem Gesicht, das jedem Bluff beim Poker alle Ehre gemacht hätte. Seine Zockerseele freute sich und… auch etwas anderes… Denn er hatte den Verdacht, dass Brad ganz bestimmt nicht gelogen, sondern sich eher etwas kryptisch ausgedrückt hatte. Er kannte Brads Geschmack und mit großer Wahrscheinlichkeit hatte er die Rothaarige flachgelegt. Aya musste tatsächlich überlegen, was nun denn der Einsatz wäre. Sicher war er sich, dass er Recht hatte, dafür kannte er Manx einfach zu gut - glaubte er, sie so gut zu kennen. „Ein fünf Gänge Menü?“, schlug er vor und lächelte. „Oder willst du etwas Schärferes?“ „Du scheinst dir ja nicht sehr sicher zu sein, wenn du so wenig in den Topf wirfst“, beschwerte sich Schuldig über diesen mageren Einsatz. „Fünf Gänge sind nicht schlecht… aber… nicht gut genug“, seine Augen schmälerten sich. Ihm fiel etwas ein… „Wie wäre es mit einer kleinen Reise in die Arabischen Emirate? Und du bist mein kleiner… Loverboy auf dem Trip?“ Wie Aya dieses Wort hasste! Loverboy… Einmal durfte Schuldig es aber sagen. Er vertraute dem anderen, deswegen nahm er die Wette auch nun an ohne zu fragen. „Abgemacht! Und wenn ich gewinne, wirst du für die Dauer der Reise mein… Boytoy sein“, grinste er mit verschlagenem Einschlag. „Abgemacht!“, Schuldig streckte Ran seine Hand zur Wettannahme an. Aya schlug ein. Was freute er sich schon auf die Reise in warme Gefilde! „Und wer fragt Crawford?“, fiel ihm dann ein, denn dass er den Älteren noch einmal darauf ansprechen würde, schloss sich von alleine aus. Allerdings musste er auch zusehen, dass Schuldig ihn nicht übers Ohr haute. Dieser nutzte den Handschlag um Ran einen Kuss zu rauben. „Ich natürlich!“, grinste er frech und zog ihn schnell über ihre Teller an sich. Er fühlte sich trotz der Müdigkeit sauwohl. Sie saßen hier zusammen wie zwei Ränkeschmiede… von ungefähr maximal zehn Jahren. Maximal! Allerhöchstens… Wie sehr wurde es Aya bewusst, dass er alles an diesem Mann vermisst hatte und alles wieder an seinen Platz gefügt worden war… zumal diese Albereien den Ernst der Lage exzellent zu überdecken wussten. „Und wie kann ich dann kontrollieren, dass du auch die Wahrheit sagst?“, fragte er skeptisch. „Oder dass Crawford die Unwahrheit sagt, weil er mir eins auswischen will?“ „Du glaubst doch nicht, dass ich Crawford erzähle, warum ich es wissen will?“ Im Übrigen kannst du Manx fragen“, grinste Schuldig wissend. Er könnte sie aber auch dazu bringen es auszuplaudern… sofern seine Fähigkeiten wieder da waren und sie mit Brad gepoppt hatte. „Und Crawford wird dir erzählen, dass er mit ihr geschlafen hat, auch wenn du ihn ganz versteckt fragst?“, zweifelt Aya nun offen an den Künsten des Telepathen. Zumal… Crawford es ihm vielleicht auch gar nicht mehr erzählen würde, angesichts dessen, was er von ihm selbst erfahren hatte. Er dachte über die zweite Möglichkeit nach. Er sollte Manx fragen? „Ausgeschlossen! Wie stellst du dir das vor? Soll ich sie anrufen und offiziell anfragen?“, wetterte er. „Wer sagt, dass ich ihn versteckt frage?“, wunderte sich Schuldig und zog dem halb vergessenen Spieß mit den Zähnen das Fleisch ab. „Mir egal, wie du das machst… du hängst in der Wette drin, du hast eingeschlagen und mit einem süßen Kuss wurde dieser Pakt besiegelt“, lächelte Schuldig unschuldig. „Aus diesem Vertrag gibt es kein… Entkommen!“, unheilte er mystisch. „Kein Entkommen, wie wahr, wie wahr…“, stimmte Aya nachdenklich zu und stahl sich nebenher noch etwas Fleisch von Schuldigs Teller. Er war sich vollkommen sicher, dass er Recht behalten würde. Vollkommen, eben weil Crawford sich so eindeutig zweideutig geäußert hatte. Sie verzehrten ihr Mahl und Schuldig erhob sich zwischendrin noch einmal um Rans Teller den kleinen Rest zukommen zu lassen, der sich noch in den Behältnissen befand. Schlussendlich hatten sie alles aufgegessen und Schuldig stellte die Teller samt Stäbchen auf den Tisch zurück, kam wieder zu Ran aufs Bett. Er kniete sich hin und drängte Ran weiter auf das bequeme Lager zurück um sich mit ihm hinzulegen und ihn ein wenig zu bekuscheln. „Wenn wir uns früher schon getroffen hätten… wie wäre das wohl gewesen?“ Aya schmiegte sich an Schuldig und ließ seinen Blick aus dem Fenster gleiten. Er zog nachdenklich die Stirn kraus. „Was meinst du? Vor unserem Kampf… gegeneinander? Meinst du das?“ „Hmm…neeein“, zog Schuldig die Lippen nach unten. „Stell dir mal vor… so als Zehnjährige… meinst du… wir hätten viel Spaß gehabt… oder wärst du eher bei den Draufgängerjungs gewesen?“, sinnierte Schuldig vor sich hin. Er konnte es sich schon vorstellen… er… bei den Außenseitern und Ran bei den Draufgängern… durchaus möglich. „Dann hättest du mich immer verkloppt!“ „Ich habe nie jemanden in der Schule verkloppt!“, empörte sich Aya. „Ich habe mich immer aus diesen Streitigkeiten herausgehalten um nicht selbst mit hineingezogen zu werden.“ Ja, was hätte Aya getan als Zehnjähriger… was HATTE er getan? „Ich hatte immer Angst vor den großen Jungs, die die Kleineren verprügelt haben. Ich hätte dir vermutlich nachher das Pflaster gereicht“, lachte er. „Ein ganz braver Junge also, ein schüchterner kleiner Rotschopf?“, lächelte Schuldig warm und wuschelte Ran durch das Haar, brachte es durcheinander und schnappte sich schlussendlich eine Strähne, die er um seinen Zeigefinger ringelte um daraus in verrückter Absicht Korkenzieherlöckchen zu kreieren. Aya sah diesem Treiben eher skeptisch zu, ließ Schuldig jedoch sein Vergnügen. Er hatte die Haare in den vergangenen Wochen oft offen getragen… sehr oft. Doch auch sein Blick färbte sich mit Sanftheit. Er hatte wieder jemanden, der mit seinen Haaren spielte… und dieser jemand war Schuldig. „Damals war ich schüchtern… damals. Das hat sich aber schlagartig gegeben!“ Spätestens dann, als Youji und Omi in geballter Ladung ihn dazu gebracht hatte, seinem eigenen Team gegenüber aufzutauen, nachdem Ken den Grundstein gelegt hatte. „Hmm, ich frag mich wirklich, wie das gewesen wäre… du und ich… wobei… eigentlich unmöglich.“ Ran wuchs als Kind in einer intakten, nicht unbedingt stinkreichen, aber wohlhabenden Familie auf. Und er..? Hatte nie jemals etwas besessen… und jetzt war es… andersherum? Diese Gedanken verdüsterten sein Gesicht und er zog Ran fest an sich, verbarg sein Gesicht an dem Mann, als wollte er ihn irgendwie dafür entschädigen… „Es tut mir so leid, Ran… wenn ich wüsste wie, ich würde es rückgängig machen…“, flüsterte er. „Was...?“, fragte Aya verständnislos, bevor ihm bewusst wurde, was Schuldig meinte. Zumindest meinte er zu wissen, was das war. Seine Augen weiteten sich und er schüttelte den Kopf. „Sie standen Takatori im Weg… und Aya hat er zum Vergnügen angefahren. Daran lässt sich nichts ändern, das ist eben unsere Welt. Es gibt immer Unschuldige…“ Aya schwieg einen Moment lang. „Du kannst daran nichts ändern und du warst nicht dafür verantwortlich…“ Zumindest dafür nicht, doch das andere hatten sie schon lange hinter sich gelassen. Sie waren hier nicht mehr Schwarz und Weiß, sondern Schuldig und Ran. Ja, er war Ran, auch wenn er es noch nicht über sich bringen konnte, diesen Namen für sich anzunehmen. „Es tut… weniger weh als am Anfang.“ Es machte Schuldig in diesem Moment traurig. Vermutlich lag es an seiner Müdigkeit und weil ihm bereits die Augen zudrifteten. „Du hättest Familie, einen guten Job… ein Leben… weg von diesem ganzen Mist“, zu dem er auch gehörte. Er produzierte diesen Mist… er gehörte hierhin, Ran aber nicht. Ran gehörte nicht hierher… eigentlich nicht zu ihm. Schuldig… hätte alleine bleiben sollen, aber … Takatori… hatte ihm Ran zugespielt hätte man sagen können. Zugespielt… war es wirklich nur Zufall gewesen, dass sie beide in diesem verdammten Keller gelandet waren? Es schien so absurd… jetzt im Nachhinein betrachtet... Schuldig spürte, wie seine Augen zu brennen begannen und er wandte sich von Ran mit dem Gesicht ab, täuschte vor sich einzukuscheln und umarmte Ran fest. „Tja… jetzt gehöre ich aber dazu und werde es auch immer sein. Ich weiß, wie man einen Menschen tötet, ich habe es unzählige Male getan… egal, dass ich jetzt aufgehört habe… meine Hände sind blutbeschmutzt.“ Er schwieg einen Moment und zog Schuldig ebenso sehr in seine Arme wie dieser ihn auch festhielt. „Manx hat zu mir gesagt, dass ich den Killerinstinkt in mir trage und sie hat Recht. Das werde ich nicht mehr los. Vielleicht hätte mein Leben anders ausgesehen, wenn ich kein Mörder geworden wäre. Vielleicht wären wir uns dann nie begegnet oder ich wäre anstelle meines Vaters eines Tages das Opfer geworden. Nein… ich bin glücklich mit dir. Und was hättest du ohne mich gemacht?“ Schuldig schwieg. Es war eine rein rhetorische Frage. In der Zeit mit Kitamura… da hatte sich Hass in ihm gebildet, sein Selbstmitleid, sein sich Vorhalten, wie übel ihm mitgespielt wurde… all dies hatten dazu geführt, dass er anderen Gewalt antun wollte, aber er durfte nicht… durfte Kitamura nicht töten, somit hatte er etwas in sich abgekapselt, seinen Hass auf alles und jeden, seine eigene Leere, die er wie ein dunkles Banner mit sich trug. Ohne Ran… wäre er immer leerer geworden… würde er immer leerer werden, bis nichts mehr übrig blieb, außer seinem Körper, der Hass und dem, was er tat: töten. Aya nahm Schuldigs Schweigen als das, was es war und hauchte einen zärtlichen Kuss auf den Feuerschopf. „Siehst du. Gut, dass ich hier bin“, murmelte er und wurde sich der Ironie dieses Satzes nur zu bewusst. Beinahe wäre er weg gewesen und was wäre dann mit Schuldig passiert? „Aber jetzt wollen wir an etwas anderes denken… schlaf ein wenig. Du bist müde.“ Schuldig drückte nur Rans Arm wie zur Bestätigung und über die angenehme Stille um sie herum schlief er ein, doch der Schlaf war nicht ruhig. Zu viele Ängste tummelten sich in diesen Träumen und er gab wimmernde, ängstliche Geräusche von sich. Hätte er es gewusst… er wäre gar nicht erst eingeschlafen. Aya schlief nicht. Er konnte es nicht, dafür hatte er zuviel Angst, Schuldig zu verlieren, also wachte er über dessen Schlaf, der jedoch keinesfalls ruhig war, wie er es sich erhofft hatte. Aya hatte Schuldig noch NIE wimmern gehört, hatte noch nie diese Angst gesehen, wahrgenommen und gefühlt, die von dem anderen Mann ausging und das verstörte ihn. Es riss an den dünnen Fäden des Glücks, die kurzfristig sein Herz zusammengebunden hatten. Es war mehr passiert, mehr als Schuldig zugeben wollte und das belastete den Telepathen. Vielleicht aber auch die Angst, ihn, Aya, zu verlieren. Sanft strich er ihm über das sorgenvolle Gesicht, über die angespannte Stirn. „Ich bin da… ganz ruhig“, murmelte er. Die Stimme hörte er nicht, aber er fühlte in seinem unruhigen Schlaf die sanfte, schützende Berührung und wurde ruhiger, für einige Zeit und glitt dadurch tiefer in den Schlaf hinein, ein wenig erholsamer als zuvor. Als Schuldig zum ersten Mal aufwachte, begann es bereits dunkel zu werden… er fühlte sich wie erschlagen. „Hey… wieder wach?“, fragte Aya leise aus dem Halbdämmern heraus. Er war nicht dazu gekommen, das Licht anzumachen, so verharrten sie hier in der Dunkelheit… was auch besser für Schuldig war, damit er schlafen konnte. Schuldig brummte nur etwas Zustimmendes und erhob sich dann vorsichtig, setzte sich an die Bettkante und legte die Stirn kurz in die Hände, fuhr sich klärend über die Augen. „Wo ist hier die Toilette?“, fragte er mit kratziger Stimme. „Die einzige Tür rechts“, erwiderte Aya und strich dem anderen Mann beruhigend über den verspannten Rücken. „Komm danach wieder ins Bett, du siehst nicht ausgeschlafen aus, Schuldig.“ „Ja“, bestätigte Schuldig mit resignierendem Unterton. Er fühlte sich schlimmer als zuvor. Jeder Knochen im Leib tat ihm weh, als würde er einen grippalen Infekt bekommen. Er folgte der Weisung und knipste das Licht im Bad an. Nach kurzem Zusammenkneifen seiner Augen, hatten sie sich ans grelle Licht gewöhnt. Gott, sah er beschissen aus. Er trat näher an den Spiegel und runzelte die Stirn über einige Strähnen, die geflochten in seinem Haar hingen. Wer das wohl gewesen war? Das Sandmännchen, dem langweilig war? Oder das ihm den falschen Schlafsand in die Augen gestreut hatte? Vermutlich war es besoffen gewesen und hatte die Beutel vertauscht und Schuldig hatte das mit dem Albtraumsand bekommen. Na herzlichen Dank auch… Er spülte sich den Mund aus, verrichtete seine Toilette und ging nach dem kurzen Erfrischen unter dem Wasser wieder ins Zimmer zurück. „Stell dir mal vor… das Sandmännchen war besoffen und hat mir den falschen Schlafsand reingestreut und weil es ein schlechtes Gewissen hatte, hat’s mir noch Zöpfe geflochten“, murmelte Schuldig verdrießlich und kuschelte sich wieder an Ran. „Na sowas… dann musst du diesem Sandmännchen wohl zeigen, dass man das mit einem Schuldig nicht umsonst macht; falls du es zu fassen bekommen solltest, heißt das. Die sollen verdammt flink sein, habe ich mir sagen lassen und schwer zu fassen. Selbst ICH habe es ja noch nicht einmal gesehen!“ Sein Blick glitt über die wüste, zerstrubelte und geflochtene Masse, die Schuldig Haar darstellte und er fuhr zärtlich darüber. „Du siehst aus, als könntest du tagelangen Winterschlaf gebrauchen“, sagte er sanft. „Ich… fühl mich auch so. Ich glaub… ich werde krank. Vermutlich lässt die Anspannung und der Stress der vergangenen Tage etwas nach… würde mich nicht wundern wenn sich jetzt noch eine Erkältung oben drauf setzt“, seufzte er. „Aber vielleicht ist es jetzt nur eine Verspannung und keine Gliederschmerzen. Ich fühl mich einfach wie einmal durch die Mangel gedreht“, sagte er leise. „Dann solltest du jetzt ruhen und dich vom Meister bekochen lassen, auf dass du viele Vitamine zu dir nimmst!“ Die Schuldig in den letzten Wochen sicherlich nicht erhalten hatte. „Das Essen dort war nicht sehr vitaminreich, oder?“, fragte Aya beiläufig. „Nicht wirklich“, lachte schuldig leise. „Sollen wir heute hier bleiben?“ „Wäre wohl besser, du würdest im Auto nur einschlafen. Allerdings ist das Bett kleiner als deine Liegewiese“, gab Aya zu bedenken und zupfte an der Bettdecke. Es war in der Tat nur auf eine Person ausgerichtet. Schuldig lag halb auf Ran und seine Hände gingen auf Wanderschaft, stahlen sich unter dessen Shirt auf den warmen Rücken. „Das hat auch seine Vorteile“, grinste Schuldig halbherzig. Er war zu müde für Sex, aber der Gedanke hatte trotzdem etwas für sich… Ja… hatte es definitiv, wie Aya nur zu gut bestätigen konnte. Er lehnte sich gegen Schuldig und seine Hände suchten ebenso den Hautkontakt, betteten sich unter dem Rollkragenpullover des anderen auf die Brust, dort, wo sie das Herz schlagen hören konnten. Es schlug…stark und kräftig. Den Einschuss, der Schuldigs Tod bedeutet hatte, den konnte er nicht erfühlen. Es war alles gefaked gewesen. Alles. „Zieh den Pullover doch aus…“, murmelte er leise. „Mir ist… etwas kalt“, fand Schuldig eine Erklärung, zog aber den Pullover aus, er hatte schließlich noch das Hemd darunter. Er musste darauf achten, dass Ran seine Rückfront nicht bemerkte. Es würde sicher bald heilen und Ran brauchte sich darum nicht auch noch sorgen. Er legte sich wieder an Ran, halb auf ihn, schmuste mit seinen Lippen über dessen Wange. „Dann muss ich dich wohl wärmen, was?“, maulte Aya liebevoll und ließ sich beschmusen… schmuste im Gegenzug noch intensiver zurück. Sie waren wieder eins und Aya erlaubte es sich, so etwas wie Glück darüber zu empfinden. Glück, Freude… auch Liebe. Er schloss etwas entspannter als zuvor die Augen und presste seine Stirn gegen den anderen Mann. „Ich… hab dich so vermisst, Ran“, wisperte Schuldig und er ließ seine Hände über den Körper gleiten, nicht in sexueller Absicht - wobei die bei ihm wohl immer eine gewisse Rolle spielte - sondern als wollte er sich versichern, dass es sein Ran war der hier mit ihm lag, der ihn hielt und mit ihm sprach. o~ Sie waren wieder da. Schuldig und er, zusammen in dieser Wohnung, die für zwei Wochen nichts als leere Schatten des Telepathen für Aya geborgen hatten. Nun waren diese Schatten mit Leben erfüllt, mit menschlichem, feuerschopfigem Leben, das hier und da hinwuselte, alles in gemäßigtem Tempo, während Aya Banshee auf dem Arm hielt und sie streichelte. Er hatte einen Moment lang darüber nachdenken müssen, ob er wieder hierhin zurückkommen wollte oder ob er in der kleinen Wohnung blieb, die Youji ihm empfohlen hatte, doch die Entscheidung war mit einem Blick in grüne, ohne ihn doch sicherlich hilflose Augen sehr leicht gefallen. So hatte er noch eben den Mietvertrag zum Ende des Monats gekündigt und war nun wieder hier… hier in dieser Wohnung. Auch wenn er müde war… wie Schuldig selbst auch, denn obwohl sie beide geschlafen hatten, hatten sowohl der Telepath als auch er nicht wirklich tief geschlafen. Es war alles andere als erholsam gewesen, doch vielleicht fanden sie hier Ruhe? Soviel Ruhe man in einer nicht mehr sicheren Wohnung eben finden konnte. Die Unruhe, die den Telepathen erfasst hatte, seit sie hier in der Wohnung angekommen waren, hatte dazu geführt, dass er angefangen hatte, die Wohnung aufzuräumen, in seinen Schränken zu kramen und wiederholt die Waffen zu putzen, sie auseinander zunehmen, sie zusammenzusetzen, immer wieder… wie um sicher zu gehen, dass er es noch drauf hatte, dass er sich sicher fühlen konnte. Momentan kramte er in seinem Schrank herum, durchsuchte alles um ja sicher zu gehen, keine Spuren von sich zu hinterlassen, falls sie hier abhauten. Dann fiel ihm etwas ein und so zerstreut wie er war ging er vor sich hinmurmelnd zum Bücherregal und suchte… jedes einzelne Buch durch. Spätestens jetzt umfing Aya den anderen und zog ihn beruhigend an sich. Schuldig war viel zu hektisch, viel zu umtriebig als dass es gesund sein konnte. „Was suchst du, Schuldig?“, fragte er leise und küsste eines der ansprechenden Ohren. „Du bist nervös…“ Schuldig ließ sich kurz halten, küsste Ran flüchtig um sich von ihm dann zu lösen. Er hatte es nicht gefunden… er wusste doch, es war hier irgendwo. „Keiner darf es finden, weißt du?“, sagte er in Kleinkindmanier, die Augen halb glänzend wie von Fieber. Er hatte nichts geschlafen und sein Gesicht war gräulich, die Augenringe dunkler. Jedes Buch wurde herausgenommen, herumgedreht, aufgeschüttelt und… wieder nichts… Banshee auf dem Arm haltend, die leise schnurrte, runzelte Aya verwirrt die Stirn über das Verhalten des anderen. „Was darf niemand finden? Was suchst du?“, wiederholte er, einen Tick bestimmter als zuvor, weil ihn Schuldigs Verhalten nervös machte. Kurz flammte unbändiger Zorn in Schuldigs Augen über diese Fragen auf. Sie störten ihn… Aber… das war doch Ran!, maßregelte er sich selbst und als er sich zu Ran umwandte war der Ausdruck in seinen Augen der Müdigkeit zuvor gewichen. „Das Bild… ich hab es doch wieder in eines der Bücher gesteckt… weil es mir auf die Nerven gegangen ist…“ „Ich habe es herausgenommen, als du… nicht da warst“, klärte Aya Schuldigs hektische Suche auf und schüttelte den Kopf. „Allerdings weiß ich nicht mehr, wo es ist… Komm zu mir, Schuldig“, befahl er leise und streckte die freie Hand aus. „Nein!“ Schuldig wandte sich ab, ging hektisch in der Wohnung auf und ab. „Ich muss es finden… wenn SIE es finden… sie wissen dann alles von mir, es darf nicht in falsche Hände gelangen… ich hätte es nicht aufbewahren sollen… verdammt!“ Er wusste, dass er irrational wurde, tigerte vor Ran hin und her, warf ab und an einen Blick zu dem ruhig dastehenden Mann, als wüsste er nicht ob er dessen… leisem Kommando folgen sollte oder nicht. Nein. Er würde sich nicht von ihm beruhigen lassen. Nicht jetzt! Nicht jetzt… jeder wollte ihn immer ruhig haben, aber jetzt nicht jetzt wollte er toben… er wollte… „Komm, ich suche für dich mit… sie werden es nicht finden und es wird in der nächsten halben Stunde auch nicht in falsche Hände geraten. Und wegwerfen wirst du es schon gar nicht.“ Aya seufzte leise und machte sich mit Banshee zusammen auf die Suche nach dem Foto. Er hatte keine Ahnung, wo er es abgelegt hatte, doch viele Plätze gab es nicht, wo es sein konnte… er musste sie nur in Ruhe alle absuchen. Sein größeres Problem war momentan eher Schuldig selbst, dessen Unruhe schon fast körperlich spürbar war. Wiederholt rieb Schuldig sich über die Augen. Er hätte heulen können, aber das Foto war weg. „Sie haben es! Sie waren hier und haben es an sich genommen“, sagte er gehetzt, als er wiederholt alles durchsucht hatte und die Wohnung wie ein chaotischer Haufen Wahnsinn aussah. Er wischte den Stapel Bücher aus dem Regal und presste seine Augen zusammen. Er war so unruhig, so unstet im Innern, alles kribbelte in ihm, selbst seine Hände zitterten. Aya konnte genau sehen, wie sich etwas in dem anderen aufstaute und entlud, gerade jetzt in diesem Moment, die am Boden liegenden Bücher anklagende Zeugen des Ausbruchs. „Schuldig!“, sagte er laut und bestimmt um zu dem Telepathen durchzudringen. Er entließ Banshee aus ihrem warmen Tragecomfort und ging zu Schuldig, zog ihn zu sich herum. „Niemand war hier. Niemand hat das Bild mitgenommen, alles ist in Ordnung. Wir werden es gleich finden. Hör auf die Wohnung zu verwüsten und in Panik zu geraten, Schuldig.“ Dieses Etwas schlug sich kurz in einem vernichtenden Blick nieder. „Nein!“, zischte er, bevor er sich abwandte und den Kopf schüttelte, die Terrassentür öffnete und hinaus an die frische Luft ging. Dort ließ er sich an der Mauer hinabgleiten. Er war geflohen vor diesem festen Blick, vor der Ruhe in Ran. Er seufzte, ließ den etwas milderen Wind durch seine Haare fahren und sein Gesicht kühlen. Sein Kopf glitt in den Nacken und nun zitterte er nur wegen der Kälte an seinen Füßen. Er spürte wie er langsam wieder ruhiger wurde. Was war nur schon wieder mit ihm los? Aya wusste, dass es im Moment nichts brachte, Schuldig hinterher zu gehen und die dunkle Seite noch mehr herauszufordern, als er es jetzt schon tat. Also machte er sich daran, die Wohnung aufzuräumen und gleichzeitig das Bild zu suchen, das er nach einigem Hin und Her im Bett fand… vergraben unter den Laken und Decken. Natürlich hatten sie es da auch nicht finden können. Aya besah sich den Jungen auf dem Bild… den Jungen mit dem Teddy, der so verloren aussah. Dann schweifte sein Blick zu dem Mann, dessen angespannte Gestalt auf dem Balkon ausgemacht werden konnte. Als hätte Schuldig diesen Blick gespürt, wandte er das Gesicht ins Zimmer hinein, sah Ran durch die leicht spiegelnde Scheibe auf dem Bett sitzen. Jetzt hatte er ihn wieder zurückerobert und er führte sich auf wie… etwas… unaussprechlich Böses… so war es doch… Er schloss die Augen und senkte das Gesicht. Weshalb konnte er das nicht einstellen? Weshalb konnte er nicht so ruhig wie vorher sein… warum war er nur so verdreht im Kopf? Vielleicht hätte er besser in eine Klinik gesollt und Ran erst… später… aber später wäre er weg gewesen. Für immer. Hatte Aya gedacht, dass sie nun eine Chance hatten um sich zu entspannen und glücklich zu sein, sah er sich mit einem Male getäuscht in seinem Glauben und seinem Hoffen. Schuldigs Unruhe schien einfach überhand zu nehmen, zu stark zu werden, wenn sich nun schon Ansätze der dunklen Seite zeigten. Langsam erhob sich Aya und kam zu Schuldig, blieb jedoch in der Wohnung stehen. „Ich habe das Bild gefunden… es ist alles in Ordnung.“ Schuldig blickte auf, so etwas wie Hoffnung aber auch eine Bitte stand in seinen Augen. „Ich… weiß… dass du das regelst, Ran. Ich meine… dass du es findest. Danke“, er lächelte schmal und sah wieder weg, als konnte er den Blick in diese ruhigen Augen nicht ertragen, als fürchte er sich vor Ran. Aber er liebte ihn doch… …und Aya liebte Schuldig, doch er konnte sich keinen Reim darauf machen, warum Schuldig so dermaßen unsicher und nervös war. Wenngleich es etwas gab, das Aya sich doch denken konnte... „Was haben sie dir angetan, Schuldig?“, fragte er immer noch ruhig und getragen. Irgendetwas lauerte in dem anderen Mann und es schien, als wäre es eine tickende Zeitbombe. „Nichts Schlimmes, Ran“, er sah nun wieder hoch. „An was denkst du?“ Die Wahrheit? Nein. „Dass etwas mit dir nicht in Ordnung ist… und dass du Angst hast“, entschied er sich für die harmlosere, aber dennoch wahre Variante. „Ja… ich… sie haben mir meine Fähigkeiten genommen. Ich… es ist alles wie verschwommen und im Nebel, ich fühle mich nackt… und schutzlos, ich… habe Angst, nackte Angst, Ran. Ich weiß nicht, was ich dagegen tun kann, sie nimmt einfach überhand.“ „Erinnerst du dich, was du gestern zu mir gesagt hast?“, fragte Aya. „Wir kämpfen gemeinsam… und wenn meine Fähigkeiten bei ihnen nicht funktionieren, dann schaffen wir das auf menschlichem Weg. Das hast du gesagt. Und wir werden es auch schaffen, denn obwohl du deine Telepathie momentan nicht zur Verfügung hast, bist du weder schutzlos, noch nackt, noch wehrlos. Du kannst ihnen auch so gehörig in den Hintern treten.“ Er trat nun doch auf den Balkon hinaus und setzte sich neben Schuldig, zog diesen in eine strenge, beschützende Umarmung. „Es wird besser werden mit deinen Fähigkeiten… oder?“ Schuldig nickte, ließ sich ziehen und senkte den Kopf wie ein Welpe, der es brauchte, dass man ihm sagte, was er zu tun hatte, was er zu lassen hatte. Er fühlte sich elend. Und diese Umarmung war Schutz, er konnte sich fallen lassen hier, weil Ran da war und ihm half, ihm einen Rahmen gab. „Ja, du hast Recht. Entschuldige, ich war einfach kopflos.“ „Das ist in Ordnung… dafür bin ich schließlich da… um deinen Kopf zu tragen“, lächelte Aya zuversichtlicher als er wirklich war. Doch was sollte er tun? Er musste Schuldig aufbauen, musste dem anderen Mann sein Selbstvertrauen wieder zurückgeben. „Aber bald wirst du das wieder selbst übernehmen, ist das klar?“ Schuldig hatte besagten Kopf an Rans Brust gebettet und stützte sich nun etwas mehr an ihn, erwiderte die Umarmung. „Ja… ist klar“, murmelte er in Rans Kleidung hinein. Er musste sich zusammenreißen. Aber… wie sollte er?, kam auch gleich der Einspruch. Ran wäre beinahe verloren gewesen, er selbst beinahe tot, seine Fähigkeiten fort, Schwarz in Gefahr, seine Wohnung nicht mehr sicher, irgendjemand war hinter ihnen her und er konnte Ran nicht beschützen… weder sich selbst noch Ran. Wo waren seine heroischen Sprüche von gestern hin? Sie würden zusammen kämpfen… Alles schien so weit weg, denn nur noch Angst kribbelte in ihm wie lauter böse kleine Ameisen. Dass hier nichts klar war, wurde Aya bewusst. Schuldig hatte Angst, war nervös und das brachte ihn an den Rand seiner Nerven. Doch er war stark, stark für Schuldig und dessen Selbstbewusstsein… solange, bis die Fähigkeiten des Telepathen wieder da waren und sich Schuldig sicherer fühlte. Aya zog das Foto hervor und zeigte es Schuldig. „Schau her… den Bären hast du damals doch auch heldenhaft verteidigt, oder? Und da warst du noch klein… jetzt bist du aber groß und stark und weißt, wie man jemandem Benehmen beibringt.“ „So… weiß ich das…?“, schmunzelte Schuldig, doch seine Augen irrlichterten über das Foto, als er den Kopf wandte. „Damals hatte ich meine Fähigkeiten bereits… und jetzt…“ „Und jetzt hast du sie nicht… das heißt, du fühlst wie ein normaler Mensch, ohne die Stimmen in deinem Kopf. Aber das wird sich wieder geben, bald vielleicht sogar. Nimm dir ein Beispiel an mir: ich habe auch die ganzen Jahre ohne Kräfte überlebt.“ Aya seufzte leise und biss Schuldig leicht in das freche Ohr. „Weißt du es nicht? Dann muss ich mich wohl getäuscht haben“, grinste er vielsagend. Schuldig drehte sich nun in Rans Armen, sodass er zu Ran aufsehen konnte. Es war zwar etwas unbequem hier draußen auf den kalten Steinfliesen, aber er brauchte diese Kälte jetzt um sich selbst weh zu tun, um etwas zu leiden. Zu Ran aufblickend lächelte er etwas ruhiger, auch wenn er sich so hundemüde fühlte, war doch diese Unruhe in ihm, oder gerade deshalb? „Und… wenn du mich in den stillen Raum lässt? Meinst du nicht, dass es besser wäre? Irgendwann würde ich schlafen können, ich muss nur lange genug darin bleiben, Ran. Du sperrst mich ein und ich krieg mich dann wieder ein.“ „Du hast einen Vogel, Schuldig, einen ganz großen. Ich werde dich nirgendwo einsperren, damit du dich wieder zusammenraufst, hast du gehört?“, sagte Aya aufgebracht, kaum dass er die Worte des Telepathen gehört hatte. Was wäre er für ein Partner, würde er Schuldig so etwas antun? „Geh in den stillen Raum, so du es denn musst, aber ich werde dich NICHT einsperren!“ Schuldig rappelte sich auf und blickte Ran fast verbissen an, hob dann aber mit einem etwas entspannteren Gesichtsausdruck die Hand und fuhr diesem über die Wange. „Du hättest es mir einfach leichter gemacht, Ran, das ist alles. So… ist es schwierig… sehr schwierig“, sagte er leise und wandte sich aufstehend ab. Er brauchte etwas zum Trinken. Er war verschwitzt… vorhin hatte er vor Angst geschwitzt, vor Unruhe… vielleicht sollte er erst duschen? Zielstrebig ging er ins Badezimmer und schloss die Tür hinter sich, zog sich rasch aus und stellte die Regendusche ab, benutzte nur den Duschkopf damit seine geschundene Rückfront nichts abbekam. Der Schweiß brannte in seinen Wunden. Er musste einen klaren Kopf bekommen. Einfacher gemacht…? Schuldig wollte, dass er ihn einsperrte? Gott… Aya wusste, dass er egoistisch war, doch er konnte es nicht… er konnte Schuldig nicht einsperren. Es ging einfach nicht, auch wenn er alles dafür tun würde, dass es dem anderen wieder besser ging. Er sah auf die geschlossene Badtür, die ihn eindeutig abwies und in seinen Gedanken formte sich ein Vorschlag, den er dem anderen Mann machen würde und der dem Einsperren in etwa gleichkam. Er erhob sich schließlich langsam und schloss die Balkontür, ging in die Küche um ihnen beiden Tee zu machen. Es dauerte länger als geplant bis Schuldig aus dem Bad wieder herauskam, aber er beförderte die Handtücher, mit denen er sich den Rücken vorsichtig und so gut es ging gesäubert hatte, gleich in die Waschmaschine und schaltete sie an. Da er an einige der Wunden nicht selbst hinkam, vor allem die auf dem Rücken, musste er sich auf das Handtuch verlassen. Er hatte bisher auf Verbandsmaterial verzichtet, Ran würde es im Mülleimer entdecken und gerade über seinem Steiß und an seinem Hintern …dort wo die dicken Striemen waren, ebenso wie auf seinen Unterschenkeln, in den Kniekehlen und an den Knöcheln… dort wo die breiten Stellen waren, die noch nässten, musste er etwas drauf machen. Durch die Bewegung rissen die verschorften Stellen wieder und wieder auf. Schlussendlich hatte er sich wieder angezogen und verließ das Badezimmer, noch einen Blick zurück werfend, ob auch alles aufgeräumt war. Er blickte sich um und fand Ran in der Küche. Während seiner Tätigkeit im Bad war er etwas zuversichtlicher, wenn auch nicht ruhiger geworden. Aber schon der Anblick des Sinnbilds der Ruhe übertrug sich auch auf ihn. „Hier riecht es gut…“, schnupperte er und roch den Tee. „Auch einen?“, fragte Aya lächelnd und reichte Schuldig eine Teetasse. Das bleiche Gesicht und die tief liegenden Augen sahen so aus, als ob sie etwas gebrauchen könnten. Fortsetzung folgt… Vielen Dank für’s Lesen. Bis zum nächsten Mal! Diese und unsere anderen Geschichten findet ihr auch unter http://gadreel-coco.livejournal.com Viel Spaß beim Stöbern! Gadreel & Coco Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)