Der Glasgarten von Gadreel_Coco ================================================================================ Kapitel 70: Rastlos in Tokyo ---------------------------- ~ Rastlos in Tokyo ~ Währenddessen nahm sich Aya seine eigene und überlegte, wie er seinen Vorschlag am Besten so formulierte, dass der andere Mann ihm nicht sofort davon - oder Amok lief. „Schuldig… wäre es dir lieber, wenn du alleine in der Wohnung wärst für die nächste Zeit?“, sprach er das für ihn akzeptable Äquivalent zum Einsperren aus. Die Tasse landete just auf dem Boden und Schuldig starrte ihr hinterher, erst aufblickend und dann den Kopf schüttelnd. „Nein, nein, Ran… ich warum… ich meine warum willst du gehen?“ Er sammelte mit zitternden Händen die Scherben ein und entsorgte die größten Stücke im Mülleimer, holte ein Tuch um den Rest aufzuwischen. Was sollte er ohne die Ruhe von Ran tun? Es wäre eine noch schlimmere Katastrophe. „Warum… willst du denn ständig weg von mir? Was… soll ich etwas tun? Ich tue alles, Ran… aber bitte geh nicht weg. Mach ich etwas falsch?“, plapperte er nervös geworden. Ran hatte das Weggehen wieder angesprochen. Schon wieder, dabei war er doch gerade erst wieder mit zurückgekommen. Schuldig holte sich eine neue Tasse heraus. „Ich… du müsstest nur sagen, was ich anders machen soll, dann musst du nicht gehen.“ „Du wirst gar nichts anders machen“, schallte Ayas Stimme wie ein Befehl durch die Angst des Telepathen. Nein… es war wirklich ein Befehl, eine eiskalte Verneinung der Unsicherheit. Vielleicht auch ein Ausdruck von Angst, die Aya angesichts Schuldigs Verhalten befallen hatte. Aya kam zu dem Telepathen und zog ihn an den Oberarmen zu sich herum, hielt ihn eisern fest. „Ich will nicht weg von dir, Schuldig“, sagte er fest. „Aber… wenn du sagst, dass es besser für dich ist, wenn ich dich einsperre, dann willst du Einsamkeit, oder habe ich das falsch verstanden, Schuldig?“ Seine Augen drückten Ruhe, aber auch Dominanz aus, die durch das Kindähnliche des Telepathen dringen sollte. „Aber wie willst du denn auf mich aufpassen, wenn du nicht mehr da bist?“, drang nun eben genau dieses mit fast ruhiger Stimme zu Ran zurück. „Ich brauche dich, Ran.“ „Dann bleibe ich hier, Schuldig“, erwiderte Aya und drückte dessen Oberarme zuversichtlich, bevor er den anderen losließ und ihm durch die wirre Mähne strich. „Ich bleibe hier, weil ich es will… nur wenn du es nicht willst, gehe ich, verstanden?“ Schuldig nickte wie aufgezogen, seine Augen blickten noch immer erschrocken. Nur Rans fester Griff milderte diesen Schrecken etwas, ließ ihn sich sicher fühlen. „Bekomm ich noch einmal Tee?“, fragte er halb lächelnd, um auf gut Wetter zu machen. Aya lächelte und hauchte Schuldig einen Kuss auf die Wange, bevor er sich dessen Tasse stahl und ihm neuen Tee zubereitete. Dabei fiel sein Blick auf eine Scherbe, die noch auf dem Boden lag. Schuldig war so unsicher, dass es Aya beinahe körperlich wehtat. „Komm mit“, sagte er und brachte die Tassen zur Kissenecke, wo er sich setzte und auf Schuldig wartete. Dieser folgte Ran und ließ sich neben ihm nieder, etwas vorsichtiger und auf die Seite, nicht direkt auf die Striemen seiner Kehrseite. Ran hatte noch immer die Tassen und Schuldig lächelte leicht. „Krieg ich eine?“, schmunzelte er und sah Ran mutig in die Augen, was er vorhin gemieden hatte. Er hatte gleichzeitig Angst vor der Stärke in ihnen, andererseits brauchte er sie wie die Luft zum Atmen. Als wenn Aya nicht gesehen hätte, welche Vorsicht Schuldig walten ließ… doch er wollte nicht fragen, jetzt nicht. Später, wenn sich die Wogen geglättet hatten. „Nur… wenn ich einen Kuss bekomme“, funkelte er zu Schuldig und hob erwartend eine Augenbraue. Schuldig setzte sich wieder auf, stützte sich rechts und links von Ran ab und kam näher. „Einen Richtigen?“, fragte er mit der alten Samtigkeit im Unterton. Wenn nicht die Müdigkeit, die Tortur der letzten Tage und Wochen auf seinem Gesicht gestanden hätte, dann wäre es ihm leichter gefallen, sich selbst auch in diese Samtigkeit fallen zu lassen. Doch er fühlte sich immer noch wie zerschlagen. Sie hatten sich bisher nicht richtig geküsst, nicht leidenschaftlich, nicht versengend, sondern versichernd, beschützend, liebevoll. „Einen Richtigen“, bestätigte Aya mit einem ernsten Nicken und einem sanften Lächeln, die Teetassen ruhig, aber sicher in seiner Hand. Sich nähernd schnupperte Schuldig zunächst über Rans Wange, streifte mit seinen Lippen über die samtene Haut, bis hin zu den Mundwinkeln, spitzte mit seiner Zunge darüber und ließ seine Lippen weich aufkommen. Sanft daran zupfend umwarb er Ran, bat um Einlass, spitzte mit der Zunge zwischen die köstlichen Lippen und seufzte vor aufkommenden Gefühlen, als er Rans Zunge berührte, der Kuss inniger wurde. Aya öffnete seine Lippen nun vollkommen und begegnete der forschen Zunge einladend und frech, als er sie anstippte und sich dann wieder zurückzog, bevor er sie zärtlich umgarnte. Die Tassen fanden ihren Weg auf einen sicheren Platz und Ayas Hände umfassten das Gesicht des Telepathen. Das war es, wonach er sich gesehnt hatte… Schuldig ging auf das Spiel ein, welches mal ruhiger, mal lockender, dann wieder wilder wurde und leidenschaftlicher, begehrlicher… Sie lösten sich scheinbar beide nur widerstrebend und verharrten schnell atmend noch an den Lippen des anderen. „Hab ich mir jetzt den Tee verdient?“, wisperte Schuldig im Scherz, doch die aufgewühlten Gefühle ließen nicht zu, dass er lächelte, dazu knisterte es zu plötzlich zu heftig zwischen ihnen. „Ich bin mir noch nicht ganz sicher…“ Aya wollte weitergehen, er spürte die Lust auf den anderen Mann in sich, die Lust, ihn hier nieder zu ringen und weiter zu gehen, als es der Kuss je konnte. Doch er sagte nichts, machte keine Bewegung oder Andeutung in die Richtung, denn er spürte Schuldigs Zurückhaltung und schrieb sie der Gefangenschaft zu, die immer noch wie ein Damoklesschwert über ihnen schwebte. Es war noch nicht Zeit… Er lächelte und griff sich eine der beiden Tassen um sie Schuldig anzureichen. Schuldig griff danach mit beiden Händen, eine Hand unter die Tasse, eine um sie gelegt und wärmte sich an dem heißen Porzellan. Er hob die Tasse an die Lippen, kostete einen vorsichtigen Schluck und schloss dabei die Augen. Wie gut das tat. „Ich… habe dort, wo ich war, jemanden… kennen gelernt…“, fing er an, da er sich nun wohler fühlte. Kennen gelernt… Aya durchfuhr ein eiskalter Schauer, als Schuldig diese Worte äußerte. Er hatte jemanden kennen gelernt… war das der Grund für seine Zurückhaltung? Aber wie passte dann das andere Verhalten des Telepathen zu seinem Verdacht? Gar nicht… und dennoch war Aya eifersüchtig. „Wen?“, fragte er dennoch ruhig. „Er ist so alt wie du und… er war ein Mitgefangener die zwei Wochen über. Hat wohl schon länger für Fei Long seinen…“ Er verstummte kurz und sein Blick wurde kurz abwesend, sein Gesicht fiel etwas in sich zusammen und ein Außenstehender hätte es verhärmt genannt. „…er hat sich an ihm regelmäßig bedient“, schloss er. Aya schalt sich abrupt für seine Eifersucht… für die Wut, die er empfunden hatte, denn er wusste zweifelsohne, was Schuldig mit bedient meinte. Fei Long war es also… Fei Long… was man über ihn hörte, war nie gut. Zu Weiß’ Zeiten hatten sie denn Mann zwar nicht tangiert, das aber aus dem einfachen Grunde, dass dieser sich weitgehend aus den kriminellen Geschäften in Japan heraushielt. Es bedeutete allerdings nicht, dass sie ihn nicht kannten. Fei Long hatte Schuldig gefangen gehalten… in dem Moment, in dem es Schuldig aussprach, wusste Aya, dass nichts so harmlos gewesen sein konnte, wie es hier auf den ersten Blick schien. Doch nicht nur das… jemand, an dem sich bedient wurde… jemand, der wie Schuldig vor sieben Jahren war. Jemand, der wie Schuldig ein Gefangener war, der Gnade dieses Monstrums ausgesetzt. „Was ist geschehen?“, fragte er leise und diese Frage galt für alles: was hatte Schuldig empfunden, hatte er dem anderen helfen können… der so alt war wie er selbst…? Schuldig öffnete die Augen, da er in kleinen Schlückchen an dem Tee genippt hatte und blickte nun von unten herauf Ran an. „Nichts mehr, als ich dann da war. Ich…“ er löschte diesen eindringlichen Blick und wurde verlegen, fast spürte er die Röte im Gesicht. „Du…?“, hakte Aya nach. Fühlte sich Schuldig in die Zeit zu Kitamura versetzt, als er mit diesem Mann gefangen war. War das der Grund für seine Zurückhaltung? Natürlich, was sollte es auch anders sein, nachdem Schuldig wie dieser Unbekannte auch Monate in der Gewalt dieses Sadisten verbracht hatte. „Ich… war anfangs nicht ganz bei mir… die Drogen hatten mir sehr zugesetzt und ich… hielt ihn für dich…“, schloss er und war sich nicht sicher ob er noch etwas anfügen sollte und wenn ja, was er anfügen konnte. Aya lächelte schmerzlich. War das gut oder schlecht? Aber vielleicht war er für Schuldig in diesem Moment eher ein willkommenes Traumgespinst als ein Alptraum gewesen. „Was hast du dann getan?“, bat er sanft um Informationen, die Schuldig ihm bisher nicht gegeben hatte. Er machte dem anderen Mann keinen Vorwurf daraus… nicht, wenn dieser unter Drogen stand und sich vermutlich mit seiner eigenen Vergangenheit konfrontiert sah. „So… so richtig weiß ich das nicht mehr“, sah Schuldig wieder nicht in Rans Augen. „Ich… habe mich ihm glaube ich etwas aufgedrängt…“, grübelte er nach. Nichts Schlimmeres natürlich, aber es hatte wohl schon gereicht, dass er den Jungen an sich geklettet hatte, wie dieser ihm irgendwann erzählt hatte. „Aufgedrängt? Schuldig…“ Ayas Miene drückte vieles aus… Unglauben, Bedauern, Horror… alles in einem, aber alles für Schuldig. Er wollte eigentlich nicht wissen, wie weit Schuldig gegangen war und trotzdem brauchte er auf der anderen Seite dieses Wissen um sich sicher zu sein, dass nichts Schlimmes geschehen war. „Ja… es tut mir auch Leid, im Nachhinein, aber ich hatte einfach Angst um dich. Ich war voll auf einem Trip und da dachte ich eben, du wärst in Gefahr und der Typ wollte dich doch ständig von mir wegholen. Ich dachte, ich würde das Richtige tun. Vermutlich war es das auch.“ Schuldig sprach leise, um Verständnis bittend und er dachte an Takaba. Wie es dem Jungen wohl ging? „Du hast dich ihm aufgedrängt, weil du ihn schützen wolltest? Weil du Angst um mich hattest?“ Was für Drogen hatten sie Schuldig gegeben, damit er sich über jemand anderen hermachte? Wie hatte sich der andere Mann danach gefühlt… nachdem er zu Bewusstsein gekommen war? „So verängstigt wie er war… Ich hab ihn nicht mehr von mir weggelassen, ich glaube fast die ganze Woche lang, zumindest ein paar Tage, hab ich ihn an mich gepresst. Es war ihm denke ich sehr unangenehm, aber besser er quetscht sich an mich, als dass dieser Mistkerl ihn fickt, dachte ich mir im Nachhinein. Für mich warst du er und nur seine Gedanken konnte ich lesen, und nur ihm, also dir zuliebe konnte ich Fei Long manipulieren. Einzig zu der Aufgabe ihn oder dich zu beschützen. Dachte ich an mich, funktionierte das nicht mehr oder erst später bedingt. Es war verrückt.“ Nur festgehalten…, schallte es erleichtert durch Ayas Gedanken. Er hatte ihn nur festgehalten und beschützt. Nicht nur den Mann… sondern auch ihn selbst, Aya. „Er wird es sicherlich geschätzt haben, dass du ihn vor Fei Long beschützt hast…“, meinte Aya nachdenklich. „Konnte er mit dir fliehen oder ist er noch da?“ Schuldig verzog die Lippen zu einem schmalen Lächeln. „Eigentlich ist sein Rettungskommando Schuld daran, dass ich frei kam, sonst würde ich immer noch in diesem Loch sitzen, zumindest bis meine Fähigkeiten wiederhergestellt wären. Naja, anfangs dachte ich, Brad hätte den Rettungstrupp des Kleinen angeheuert. Aber Brad hatte nichts getan und irgendjemand hat mich rausgehauen, mich im Glauben gelassen, ‚meine Leute’ hätten ihn beauftragt und ich hab’s geschluckt. Danach ist der Kerl verschwunden.“ Das ließ Ayas Alarmglocken schrillen. Jemand Unbekanntes, der Schuldig befreite und dann verschwand? Wieder fragte sich Aya, was für ein Spiel mit ihnen getrieben wurde…mit Weiß und mit Schwarz. „Es war derjenige, der euch verraten hat.“ Das war keine Frage, keine Vermutung… es war ein Fakt, denn laut Aya gab es keine andere Möglichkeit. Es waren einfach zu viele Details, die zueinander zu passen schienen. Es konnte natürlich sein, dass er komplett falsch lag, doch daran glaubte Aya nicht… nicht mehr. „Wer war denn der Mann, der mit dir gefangen war?“ Ja, Schuldig war mal wieder jemandem auf den Leim gegangen. Aber zumindest war er jetzt frei. Ob sie hier sicher waren… Er sah aus seinen Gedanken gerissen auf. „Hmm… du meinst den Kleinen? Das Liebchen von Asami Ryuichi. Aber wenn du mich fragst, hat der den Kleinen gar nicht verdient, dieser Arsch.“ Nun schmollte er fast schon. Asami? DER Asami? „Ihr habt in ein Wespennest gestochen…“, stellte Aya mehr für sich als für den anderen Mann fest. Aber genau das war es auch. Wer aus ihrem Gewerbe kannte Asami nicht? Wie oft hatten sie versucht, ihn zu fassen, doch nie war es ihnen gelungen. Und nun hatte Schuldig Kontakt mit dessem… ja, was? Partner? Liebhaber? Sexsklaven? Er konnte sich nicht vorstellen, dass Asami sich eine solche Schwachstelle leistete. Andererseits… „Wieso war er Fei Longs Gefangener?“ „Rache, Vergeltung, Spaß, Wut und… habe ich noch etwas vergessen? Ach ja… Eifersucht.“ Schuldig hob vielsagend eine Braue. „Ich denke nicht, dass der Kerl, der vorgab, dass ‚meine Leute’ mich befreien wollten und damit Asami kontaktierten, um die nötigen Mittel zu bekommen und um den Jungen und mich rauszuholen, etwas mit Asami zu tun hatte. Er hat Asami und mich gelinkt, oder ihm nur die Hälfte erzählt. Das traue ich dem Kerl zu. Ich kann jedoch nicht sagen, ob er ‚lesbar’ gewesen wäre. Dazu bin ich noch nicht wieder gut genug“, gab er halb wütend, halb zähneknirschend zu. „Kannst du dich noch an sein Gesicht erinnern, dass sich vielleicht eine Zeichnung von ihm anfertigen lässt?“ Wenn sie das Gesicht schon einmal hatten, wäre es vermutlich zwar immer noch aussichtslos, den Mann zu identifizieren, aber man konnte für die Zukunft darauf achten… und Indizien sammeln. „Weißt du, wie es dem Jungen geht?“, fragte Aya nach einer kurzen Pause. „Erinnern… ja… vielleicht, natürlich, aber ob wir ihn dann wieder erkennen würden?“, zweifelte Schuldig daran. Das Phantombild hatte er ja schon angefertigt, aber ob sie damit weiterkämen? „Nein, er… Asami hat ihn eingepackt und ist mit ihm abgehauen. Der Kleine wirkte nicht glücklich damit. Aber bei diesem Problem konnte ich ihm nicht helfen, da muss er alleine durch. Ich wollte so schnell wie möglich… zu dir… zu euch zurück.“ „Wird Asami ihn denn gut behandeln?“ Aya glaubte nicht daran, nicht bei einem Mann wie diesem, der abgrundtief böse war. Zumal… wenn der Junge wirklich nicht glücklich ausgesehen hatte? Was dann? Es war schon seltsam… er kannte den Jungen nicht und machte sich doch Sorgen um ihn und sein Wohlergehen. Er bedachte die letzten Worte des anderen mit einem leisen Seufzen. Schuldig hatte nur zu ihnen zurückgewollt und war mit Ablehnung empfangen worden…von ihnen beiden. Doch nun hatte sich alles wieder ins Positive gekehrt…oder? „Keine Ahnung. Der Kleine war etwas kompliziert in seinen Gefühlen zu Asami, wenn du mich fragst. Stell dir vor… jemand von der Statur wie du nur mit kurzen, fransigen braunen Haaren, steht auf einen Kerl wie…“ er dachte wirklich scharf nach… „wie Bradley Crawford. Ich weiß nicht… einerseits findet dieser Typ wie du… nur mit braunen kurzen Haaren, das, was Bradley tut, schlimm, spioniert ihm aber permanent hinterher, linkt ihn, schleicht sich bei ihm ein und führt ihn hinters Licht. Stell dir die verschärfte Version mit Asami vor“, verbildlichte Schuldig alles ganz genau und rückte somit Ran ins Bild der Dinge. „Wenn du willst… sollen wir mal bei dem lieben Herrn Asami einmal reinschneien, wenn ich meine Kräfte wieder habe?“, fragte er mit einem Augenbrauenwackeln, doch einem ernsten Blick. „Da bin ich sehr für“, erwiderte Aya mit dem gleichen Ernst, jedoch mit anderer Intention… Asami war für Weiß immer ein lohnendes, permanentes Ziel gewesen und diese Tradition würde er fortführen. Eine winzige Gelegenheit und es gab einen Yakuzaboss weniger auf der Welt. „Wenn du mich fragst, hat es dieser Mann darauf angelegt, von Asami erwischt zu werden.“ Und wenn Aya weiterdachte, konnte er sich ausmalen, dass Asami das nicht mit Wohlwollen aufgenommen hatte… ein Raubtier, das gereizt wurde, schlug zurück, mit aller Macht. Wie er zurückgeschlagen hatte, wusste nur er und sein Freund… Freund? War er das wirklich? „Wenn er genauso alt ist wie ich und genauso groß, wieso nennst du ihn dann Kleiner, Schuldig?“ „Auch wenn du dafür bist. Asami ist tabu, meine blutige Klinge“, wisperte Schuldig und sah Ran mit offenem Gesicht und unleserlichem Blick an. Er hatte gesehen, auf welchen Wegen Ran gedacht hatte… Er wusste, wie weh es tun konnte, wenn Ran ihn schnitt, wenn er sich an Ran… schnitt. „Und was den Jungen angeht. Er ist schmaler als du, war halbverhungert und sah aus wie ein junges Kätzchen in einem Karton mitten auf der Müllhalde.“ Er nahm einen Schluck Tee. „Denk dir nichts, ich sah nicht besser aus, nur nicht halbverhungert und…“ er grinste halbherzig. „…mein Körper wirkt doch etwas stabiler als der des Jungen. Und weil ihm übel mitgespielt worden ist, wegen seiner Angst und vielleicht wegen seiner schutzlosen Nacktheit… habe ich ihn vermutlich ‚Kleiner’ genannt. Beschützerinstinkt.“ Aya hielt sich zurück, was das Argumentieren mit Schuldig auf dem Gebiet des Tötens anging. Sie hatten beide ihre Art zu leben, zu töten und Gerechtigkeit auszulegen. Er lächelte. Sie würden sehen… er selbst würde sehen, wofür er sich entschied, wenn er tatsächlich einmal in Asami Ryuichis Nähe kam. „Warum sollte Asami tabu für mich sein? Wer sagt mir das?“, schnurrte er schon fast, ganz dem neuerlichen Kosenamen, mit dem Schuldig ihn belegt hatte, blutrünstig. Oha. Da hatte er schlafende Hunde geweckt. Aber… war das nicht seine… Absicht gewesen? Schuldig entsann sich gerade seinem Verhalten und er staunte etwas darüber. Er wollte… Für sich selbst zustimmend blickte er auf, die gefährlich samtene und zu ruhige Stimme kroch in seinen Nacken und schien ihn dort zu packen. „Ich… was, wenn der Junge Gefühle für ihn hat?“, gab er zu bedenken und legte seinen Kopf auf eines der Kissen, stellte die Tasse dabei zur Seite und blickte zu Ran auf. „Was sind die Gefühle des Jungen gegen einen großen Fisch weniger auf dem Tokyoter Markt der Yakuzabosse?“, lächelte Aya und tat das eiskalt. Aus ihm sprach der Killer, der solange Jahre gegen Schuldig gekämpft hatte, der auf der anderen Seite des Gesetzes stand. „Oder was, wenn der Junge keine Gefühle für ihn hat? Wenn er sich vor ihm fürchtet?“ „Und wenn schon…“, Schuldigs Finger schlichten sich zu Rans Tasse, fuhr sanft über Rans Schwerthand, fuhr die Fingerspitzen nach. „Dann kommt ein neuer Asami, vielleicht einer, der nicht alles so gut unter Kontrolle hat, vielleicht einer, der seine Verbindung zu Regierungskreisen lieber knüpft als Asami mit dem Ausland.“ Schuldigs Blick wurde etwas trauriger, als er wieder Rans Blick suchte. Es schauderte ihn innerlich vor dieser Kälte, vor Abyssinian… Schnell wandte er den Blick wieder ab, lächelte traurig und zog seine Finger wieder zu sich um sie im Kissen zu vergraben. Einst hatte Ran ihn gehasst, zumindest… ja doch… verabscheut und nun… aber war er mit Asami zu vergleichen? „Ist Asami mit mir zu vergleichen?“, fragte er leise. Aya lachte leise. „Nein… wie kommst du darauf, Schuldig? Asami ist… böse… du bist aber mein Zackelschaf, mein liebes.“ Wärme schlich sich in Ayas Blick, als er auf Schuldigs Hände sah, die seine Rechte umgarnt hatten. „Ich würde nie jemanden wie Asami so nahe an mich heranlassen, wie es bei dir der Fall ist.“ Nie jemanden so lieben, wie er Schuldig liebte… „Ja, du hast Recht. Es wird immer wieder einen neuen Asami geben und es wird immer wieder jemanden wie Weiß oder mich geben, der Jagd auf ihn macht.“ Während er sprach, sah er langsam, fast irritierend langsam mit einem lauernden Blick zu Ran auf, sein Gesicht neutral haltend. „Hast du vergessen, dass ich… auch böse bin?“, fragte er und lächelte plötzlich einen Tick zu freundlich. Irgendetwas kochte und gärte und schwellte in ihm. Aber nein, hier war Ran und Ran hatte alles im Griff, scheuchte er es wieder zurück. Ayas Blick bohrte sich in den des anderen Mannes. Was versuchte Schuldig ihm damit zu sagen? Er näherte sich den grünen, unsteten Augen. „Nein, das habe ich nicht…“, ließ er seine Stimme zum Ende hin langsam ausklingen ohne sich näher zu erklären. Schuldig tötete… ja. Er tötete grausam und es war für Aya nach wie vor ein Problem. Doch das war eine Seite des Telepathen… die andere hatte er vor kurzem noch in den Händen gehalten; ein kleiner Junge mit einem Teddybären. Die Spannung zwischen ihnen nahm nun noch einmal zu, als Schuldig Ran ein wenig über sich beugen sah. Schuldig stützte seine Unterarme unter sich auf, fiel somit etwas auf den Rücken und stemmte sich leicht nach oben, das Kinn, den Kopf gereckt zu Ran, erhaschte er dessen Kehle, fuhr sanft mit der Zunge und den Lippen darüber. „Weißt du eigentlich… wie sehr ich dich… liebe?“ Seine Stimme war belegt, er fühlte sich von der Nähe des anderen trunken, von dessen Schutz umhüllt und dabei durch das Fehlen seiner Telepathie frei… so frei. Die Gefühle quollen über und er schloss an der Haut die so gut roch die Augen. Da hatte ihn das unterlegene Raubtier aber beruhigt… denn die Geste des Telepathen war eindeutig gewesen. Aya knurrte leise, als er die Worte des anderen hörte und schmiegte sich an den Haarschopf Schuldigs. Was konnte er darauf erwidern? Eine simple Antwort schien zu platt, zu einfach… wusste Schuldig doch um seine Gefühle. Seine Hand stahl sich in die Mähne des Telepathen und massierte dessen Hinterkopf, presste ihn an sich. Schuldig genoss dieses vibrierende Knurren in der Kehle auf die er seine Lippen gesetzt hatte und schmuste dann sein Gesicht unterhalb des Kiefers, seitlich an. „Hmm… das fühlt sich gut an“, murmelte er und genoss diese Streicheleinheiten, saugte sie auf wie ein Schwamm kühles Nass aufnahm. Ja… das fühlte es sich. Aya schloss die Augen und genoss die Nähe, Wärme und das Leben, welches durch Schuldig pulste und ihn sich zweisam fühlen ließ. Seine Hand ließ nicht ab von seiner Tätigkeit, wurde jedoch weniger drängend, sondern zärtlicher und zupfte hier und da an einzelnen Strähnen, bevor sie die Kopfhaut wieder beruhigte. o~ Die Hoffnung, dass der nächste Tag besser verlaufen würde, dass er innerlichen Abstand zu dem Erlebten gewinnen würde oder ruhiger in der Nacht geschlafen hätte, löste sich schon nach dem Aufstehen in Luft auf. Nichts war besser geworden. Ganz im Gegenteil. Schuldig hatte gewartet, bis Ran aus dem Badezimmer draußen war und schlich sich dann selbst hinein. Wo sie sich sonst oft gemeinsam fertig gemacht hatten, sonderte er sich ab. Wütend darüber verzog er sein Gesicht zu einer Fratze und hätte beinahe den Spiegel in einem Anfall zerschlagen. Kleinigkeiten zermürbten ihn, regten ihn derart auf, dass er ausflippen wollte. Er brauchte lange im Badezimmer und als er endlich fertig war, die alten Verbandstreifen in eine Tüte packte und sie im großen Verbandskasten versteckte, von wo er sie später unbemerkt von Ran entsorgen würde, ging er hinaus in den Wohnraum und setzte sich auf die Couch, den Fernseher zwecks Ablenkung einschaltend. Es war noch vor dem Frühstück und Schuldig schaltete schon den Fernseher ein, war das zweite, was Aya an diesem Morgen auffiel. Seit sie hier zusammen wohnten, war das nie geschehen. Wenn, dann immer nur nach dem gemeinsamen Frühstück oder mittags… oder dann, wenn es ihn genauso nervte wie jetzt, aber nie so früh. Aya schrieb das Schuldigs immer noch andauernder Unruhe zugute… dessen Gefangenschaft, über die er zwar gestern mehr erfahren hatte, von der er aber immer noch nicht wirklich viel wusste. Das Erste, was Aya jedoch aufgefallen war, war Schuldigs wiederholte Abschottung gewesen. Er stand immer früher auf als der Telepath, doch Schuldig war schon oft nachgekommen ins Bad und hatte sich ebenso geduscht. Die letzten Tage aber nicht. Nie. Hatte Schuldig Angst, dass er ihn nackt sah? Oder war etwas geschehen, was Aya nicht wissen durfte, was Schuldig unbedingt vor ihm verheimlichen wollte? Während er das Frühstück zubereitete und sinnlose Talkshows im Hintergrund liefen dachte Aya über diese Möglichkeit nach. Schuldig war in Fei Longs Gefangenschaft gewesen, zwei Wochen lang. Laut eigenen Angaben hatten sie ihn nur geschlagen… nur. Als wäre es nicht schon schlimm genug. Was aber, wenn mehr geschehen war? Was, wenn sich Fei Long ebenso an Schuldig wie an dem Jungen bedient hatte, hatte er doch gesagt, dass seine Kräfte nur bei Asamis Kleinem gewirkt hatten. War es das? Ayas Finger erzitterten und er setzte die Kaffeekanne ab. Aber was sollte er tun? Die Badtür aufreißen und schauen, was sich dahinter verbarg? Niemals. Er atmete tief ein und stellte die Kaffeekanne auf den gedeckten Tisch, kam in den Wohnraum. „Frühstück ist fertig“, sagte er lauter als geplant um den Lärm der keifenden Hausfrauen zu übertönen. Schuldigs Kopf ruckte hoch und er blickte in ein unlesbares Gesicht. Fast augenblicklich fand er den Knopf um das Gerät auszuschalten. „Klar, ja“, murmelte er und erhob sich langsam. Wenn er länger gesessen hatte, tat es umso mehr weh aufzustehen, denn die Hautfalten in denen die Striemen noch nicht verheilt waren, nässten und es brannte. Er ließ sich nichts anmerken und rieb sich übers müde Gesicht. „Ich… hab dir nicht geholfen“, stellte er fest, als er auf den gedeckten Tisch sah und blickte schuldbewusst drein. „…fehlt noch etwas?“, fragte er kleinlaut. „Nein, es ist alles da“, erwiderte Aya ruhig und deutete auf Schuldigs Stammplatz. „Setz dich. Willst du Kaffee oder Tee?“ Es stand beides auf dem Tisch, denn Aya hatte die Untätigkeit nicht ertragen, sich wie Schuldig schon am frühen Morgen Talkshows anzuschauen… und sich abzuschotten. „Kaffee, bitte.“ Schuldig setzte sich und nahm sich eines der Brötchen, auch wenn er keinen Hunger hatte. Wirklich so überhaupt keinen, aber vielleicht kam der Appetit mit dem Essen. Er fühlte sich wie gerädert und bereits heute Nacht hatte er Stimmen in seinem Kopf gehört, als käme die Telepathie unkontrolliert zurück. „Du siehst nicht gut aus. Konntest du diese Nacht nicht schlafen?“, fragte Aya, während er Schuldig den gewünschten Kaffee einschenkte. Es war eigentlich eine überflüssige Frage, da er sehr wohl mitbekommen hatte, dass Schuldig sehr unruhig geschlafen und schlecht geträumt hatte. Doch vielleicht war das Gesprächsgrundlage für mehr… hoffte Aya und setzte sich Schuldig gegenüber. „Ich hörte viele Stimmen im wilden Durcheinander und habe sie wohl in Träume eingebaut. Heute Morgen habe ich gemerkt, dass es meine Fähigkeit war, die langsam wieder zu ihrem normalen Stand zurückfindet. Vermutlich habe ich mich treiben lassen und deshalb diese Gedanken gelesen.“ Es war ein Zeichen, dass er sich austoben wollte, oder dass er fliehen… vor sich selbst fliehen wollte. Aber nein, er würde nur zu Ran fliehen und da war stopp. Die Hälfte des Brötchens hatte er vertilgt, als er innehielt und sich überlegte, ob er das Weiteressen auf später verschob. Aya schwieg, auch wenn er Schuldigs Verhalten genau sah. Er schwieg, auch wenn er den anderen Mann anschreien, ihn schütteln wollte, damit dieser zur Besinnung kam oder Aya zumindest nicht im Dunkeln tappen ließ. „Aber wenigstens kehren jetzt deine Fähigkeiten zurück“, versuchte er sich an einem Lächeln. „Bald wirst du sie dann wieder kontrollieren können, richtig?“ „Ja, richtig“, bestätigte Schuldig und mied wieder Rans Blick. Einerseits wurde er von diesem starken Violett magisch angezogen, andererseits ahnte er, wenn er hineinblicke würde, dass ein anderer Teil in ihm rebellieren würde. Schuldig schob den Teller beiseite und zog sich den Kaffee heran. Etwas Warmes, Tröstendes in das er starren konnte, ohne dabei einen Reigen an Gefühlen zu durchlaufen. Die von Lust bis Aggression alles beinhalteten. „Was hältst du davon, gleich spazieren zu gehen?“, fragte Aya, als ihm die Stille zu bunt wurde und sah über den Rand seiner Teetasse hinweg zu Schuldig, der seinen Blick scheinbar auf Gedeih und Verderb mied. „Ein Bisschen frische Luft kann dir nicht schaden, ganz zu schweigen von Bewegung und besser als diese Talkshows ist es alle Male.“ Schuldig schüttelte nur den Kopf. „Nein, mir ist nicht danach. Ich werde mich noch etwas hinlegen oder so…“ Er hatte Angst nach draußen zu gehen. Er wollte nicht nach draußen, viel zu viele Reize, die ihn austicken lassen konnten und selbst Ran konnte dann nichts mehr machen. Nein… er würde nicht raus gehen. „Morgen vielleicht… morgen ist es bestimmt schon besser und dann war die Nacht vielleicht auch besser, ja?“, fragte er beinahe schon hoffnungsvoll und blickte lächelnd auf. Doch Aya lächelte nicht, sondern maß ihn schweigend. Morgen… immer morgen. Er wusste, dass es so weitergehen würde, dass Schuldig Dinge immer auf morgen verschieben würde. „Warum willst du nicht mit?“, fragte er schließlich und widmete sich wieder seinem Brötchen, schmierte bedächtig Butter auf das noch warme Stück. Auch ohne Schuldig würde Aya gehen, zumindest kurz um Luft zu schnappen, denn dieser Druck, diese belastende Stimmung zwischen ihnen, zehrte an seinen angegriffen Nerven, die seit nun mehr zweieinhalb Wochen nicht wussten, wie sie nun reagieren sollten. „Folter mich, dann sag ichs dir, Herr Inquisitor“, lächelte Schuldig fast schon fiebrig, als er die Worte leise… wie im Spaß sagte. Dann zuckte er jedoch als wäre nichts gewesen mit den Schultern. „Ich flipp draußen aus Ran, zu viele Reize. Heute nicht… morgen, ja? Morgen gehe ich einkaufen, ist eh noch nicht alles da. Dann kochen wir morgen etwas hmm?“ Aya zog kritisch die Stirn zusammen und sah dann auf. Nein, foltern würde er den anderen Mann mitnichten. Er nickte wortlos und nahm einen Schluck von seinem Tee. „Gut… morgen. Ich werde aber gleich gehen…“ …denn ich flippe hier aus, vollendete er den Satz in Gedanken und lächelte nun doch kurz. „Ruh dich aus, damit es dir besser geht.“ „Bringst du mir… etwas Süßes mit?“, fragte Schuldig etwas leiser. Die übliche Sorge, dass Ran etwas passieren könnte, wenn er nach draußen ging, war fast verschwunden… Nun lächelte Aya wirklich, war das doch eher der Schuldig, den er kannte, auch wenn er immer noch schrecklich niedergeschlagen schien. „Wirst du denn auch in der Zwischenzeit lieb sein?“, fragte er schelmisch und seine Hand wanderte über den Tisch, pirschte sich an die des Telepathen an und wagte es, sie anzustupsen. Schuldigs Zeigefinger stupste zurück. „Aber sicher doch! Keine Talkshows mehr“, nickte er artig. „Sehr schön… das wollte ich hören!“, wurde Schuldigs Sinneswandlung gelobt, auch wenn violette Augen nicht wirklich an eben diese glaubten. Doch was er nicht wusste… „Bestimmte Wünsche, der Herr?“ „Nein, ich lass mich von dir überraschen. Du weißt schon was gut für mein kleines Leckermäulchen ist“, grinste Schuldig nun doch etwas frech und legte den Kopf schief. „Ein schöner, großer Lutscher….?“, fragte Aya nur zur Sicherheit nach. „Ja, wenn du einen findest? Da hat man länger was davon, das stimmt“, bestätigte Schuldig, als hätte er die Zweideutigkeit nicht verstanden und erhob sich. „Ich werde dann hier abräumen und etwas Sinnvolles tun.“ Schuldig hatte den ersten Satz ohne das übliche Grinsen gesagt, ohne Intonation und war umgeschwenkt. Aya behagte das nicht, zeigte es ihm doch an, dass etwas deutlich nicht in Ordnung war. Schweigend in seine Gedanken versunken blieb er sitzen und sah Schuldig dabei zu, wie er den Tisch abräumte, bis nur noch seine Teetasse und er übrig waren. Es schien Aya wie eine Flucht vor ihm… nur weg hier, weg von dem Mann, den Schuldig wieder zu sich geholt hatte, weil er nicht ohne ihn leben konnte. Kurz, nur für den Bruchteil einer Sekunde wallte ungerechte Wut über Schuldigs Verhalten in Aya auf. Er versuchte doch auch, mit seiner Angst fertig zu werden, der begründeten Angst, Schuldig nun für immer zu verlieren! Das Einsperren schwirrte ihm ein weiteres Mal im Kopf herum. War es das, wonach sich Schuldig wirklich sehnte? Die Spülmaschine war eingeräumt und Schuldig besah sich den Inhalt des Kühlschranks. Morgen, hatte er gesagt, wollten sie kochen und deshalb… sie brauchten noch Gemüse und frisches Fleisch… Er holte sich einen Zettel und setzte sich wieder an den Tisch um alles, was ihnen fehlte, aufzunotieren. Immer mit einem wachsamen Blick auf Schuldig zog sich Aya Schuhe und Mantel über und steckte seine Geldbörse sein… mit Waffe, die er in das Holster, das er aus Schuldigs Tisch geborgt hatte, steckte. Von außen war es versteckt, doch wenn es notwendig war sich zu verteidigen, hatte er sie innerhalb von Sekundenbruchteilen gezogen. Ein letzter Blick ging zu Schuldig, dann verschwand Aya mit einem „Bis später!“ aus der Tür und atmete tief durch. So froh er auch war, dass Schuldig wieder da war… so froh, dass sie wieder beieinander waren, so wenig ertrug er diese Spannung. Mit tief in Schuldigs Schal vergrabener Nase machte er sich durch die milde Kälte auf den Weg. Die gefühlte Temperatur bei ihm ging unter den Gefrierpunkt… angezeigte Temperatur am Hauseingang war vier Grad plus gewesen. Zunächst hatte sich das Sorgenkind auf die Couch plumpsen lassen, doch die Unruhe hatte ihn auf eine Idee gebracht… Schnell war alles installiert und er konnte loslegen. So saß er nun auf dem Boden und beschäftigte sich zumindest nicht mit dem sinnlosen Ansehen von Talkshows. Vier Stunden, ganze vier Stunden hatte es gedauert, bis Aya samt Lutscher und leckerer Schokolade wiederkam und die Karte durch den Leser zog. „Ich bin wieder da“, rief er in die mit lautem Motorengeräusch angefüllte Wohnung und sah Schuldig auch prompt an die Couch angelehnt auf dem Boden sitzen, das Gamepad in der Hand. Als ob das eine lohnende Alternative zu Talkshows war…, schimpfte er stumm vor sich hin und stellte seine Mitbringsel vor der neugierigen, kleinen Nase einer bestimmten Dame weit nach oben, bevor er sich seines Mantels und der Stiefel entledigte und seine Beute wieder aufnahm. „Er hat dich den ganzen Tag nicht beachtet, richtig?“, murmelte er leise zu Banshee, die maunzte und ihm zu Schuldig folgte. Schuldig wandte nur leicht den Kopf, die Augen wissend lächelnd. „Hey“, rief er begrüßend zurück und das Lächeln in seinen Augen fand den Weg auf seine Lippen, bevor er sich wieder dem Motorradrennen zuwandte. Kaum war er aus dem Haus, schon rangierte er hinter der Playstation, sowas. Aya verengte Unheil verkündend seine Augen und kam samt Tüte zu Schuldig, pirschte sich um das Sofa herum um dem Grauen ins Gesicht zu sehen… dem Grauen namens BMW, denn das war Schuldigs momentane Marke, die er in diesem grundlangweiligen Motorradrennen fuhr. Da war es schon verständlich, dass er nur eine Nebenrolle spielte, ganz klar. Dass Aya sie aber nicht spielen wollte, wurde spätestens dadurch deutlich, dass er sich über die Lehne auf die Couch gleiten ließ und seine Beine rechts und links von Schuldig abstellte, diesen so einkesselte und sein Kinn auf dem Kopf des Telepathen abstützte. Schuldig fühlte das Kribbeln in sich, eine gewisse Spannung, die sich in ihm aufbaute und er hoffte, dass sie sich noch… ausbaute… „War’s schön draußen?“, fragte er und schaltete auf eine andere Maschine um, eine von ihm zusammengebastelte Kawasaki. „Sehr lohnenswert…“, erwiderte Aya und löste sein Kinn von seiner bequemen Stütze, nur um wiederum mit seinen Händen in die Mähne zu fassen, die sich ihm so offen und schamlos anbot. „Wie wäre es… du machst die Playstation aus und ich erzähle dir davon?“ „Ich… höre dir doch zu, du… kannst doch auch so erzählen…“, sagte Schuldig leise. Oh… er wusste… hoffte was er hier provozierte. „Genau…“, stimmte Aya dem anderen Mann zu als würde er es wirklich in Erwägung ziehen, Schuldig weiterspielen und ihn ignorieren zu lassen. Doch da hatte sich der Gute ins Fleisch geschnitten, sehr tief sogar. Die Hände, die gerade noch durch die Haare gewuschelt hatten, umfassten nun den Kopf und zogen ihn zurück, sodass Schuldig den Fernseher aus dem Blickfeld verlor und in seine Augen sah… sehen musste. Ein Zischen entglitt ihm als sein Kopf so harsch in den Nacken gezogen und überstreckt wurde. Er öffnete die Lippen und keuchte auf, hörte die Hintergrundgeräusche seines Motorrads welches über die Bergklippe hinunterstürzte und der Kommentar, dass er aus dem Rennen war. Rans Augen waren so unnachgiebig und Schuldig erstarrte wie das Kaninchen vor der Schlange, fühlte mit einem Mal diese Spannung ihren Gipfel erreichen und das Gefühl des Wohlseins durchkroch in. „Spiel… doch… mit mir…“, brachte er heraus. So zweideutig, wie es sich anhörte, so war es auch, nur seine harmlos blickenden Augen, der unschuldige Gesichtsausdruck passte nicht dazu. „Genau das tue ich gerade, mein Lieber“, sagte Aya leise, angestachelt durch die Herausforderung des anderen, durch den Blick. „Doch ich bevorzuge es, wenn mir meine Spielkameraden ihre gesamte Aufmerksamkeit schenken.“ Keinen Widerstand duldend nahm er Schuldig das Gamepad aus der Hand und schaltete per Fernbedienung den Fernseher ganz aus, legte beides beiseite. „Nicht wahr…?“, lächelte er und kam Schuldigs Lippen noch etwas näher, jedoch noch nicht nahe genug. „Ja“, formte Schuldig mit den Lippen, da sein Kopf noch immer überstreckt, seine Lippen geöffnet waren. „Ich… bin ganz Ohr“, sagte Schuldig mit einem Hauch von Stimme. Ran war ihm ganz nahe, dessen Hals, dessen Brust kam immer näher über ihn, aber noch nicht nahe genug. Denn seine Hände schienen auf seinen Beinen wie festgewachsen zu sein. Er wagte es nicht sie zu bewegen oder zu heben. „Augen zu“, befahl Aya, die Stimme zwar immer noch ruhig, in ihrem Klang jedoch etwas Stahlhartes, etwas Unnachgiebiges, das keinen Widerstand zuließ. Und Schuldig folgte diesem Befehl, schloss die Augen und entspannte sich für diesen Moment. Er ließ sich fallen, sein ganzer Körper wurde weicher unter Rans griff unter dieser Stimme. Selbst sein Kopf glitt noch etwas weiter nach hinten, zwischen Rans Schenkel, zwischen denen er gefangen saß. Er brauchte diese Gefangenschaft, die ihn schützte… so sehr. Und niemand anderer konnte sie ihm geben außer Ran. „Sehr folgsam“, lobte Aya sanft und raschelte absichtlich lange und laut in seinem Mitbringsel, aus dem er nun eines der kostbaren Stücke zutage förderte und sie langsam an Schuldigs Wange hinuntergleiten ließ… bis hin zur frechen Nase, die er riechen ließ, was ihn hier erwartete. Schuldig roch die Schokolade, spürte sie auf seiner Haut und doch hörte er nur Rans Stimme in seinem Kopf. Er atmete tief ein, ließ die Luft mit einem sanften, kehligen Geräusch entweichen, das Wohlwollen und ein Gefühl des Gutfühlens ausdrückte. „Sag mir, wonach sie riecht“, forderte Aya und platzierte einen hauchfeinen Kuss auf die Stirn des anderen. Schuldig hier so ausgestreckt und nachgiebig zu sehen, war nicht förderlich, was seine Zurückhaltung anging, soviel konnte Aya sagen. Er hatte Lust auf diesen Mann… Lust, ihn unter sich zu bringen und diese aufmüpfigen Augen nur für ihn leuchten zu sehen. „Nach… herber Süße, nach dir“, brachte Schuldig hervor nach dieser sanften Berührung. Er sehnte sich selbst so sehr nach Ran, aber auf anderem Wege als sonst… „Willst du diese herbe Süße?“, hakte Aya mit einem dunklen Lächeln auf den Lippen nach und umstrich nun das Kinn des Deutschen mit seiner süßen Beute. „Ja“, krächzte Schuldig und konnte schier nicht mehr die Augen geschlossen halten, so sehr musste er sich zurückhalten um nicht aufzuspringen. Aya erwiderte nichts, sondern fuhr mit seinen eigenen, sündigen Lippen die Spur der Schokolade nach, die er auf der bleichen Haut des anderen gelegt hatte um sich schlussendlich diesen zittrigen und gierigen Lippen zu widmen, sie mit den seinen zu umgarnen und in die warme, ihn willkommen heißende Höhle zu stoßen. Seufzend und genießende Laute in den Kuss legend genoss Schuldig diese Eroberung seiner und nun hoben sich doch seine Arme, krallten sich seine Hände in Rans Oberarme, in dessen Kleidung. Doch diese Arme wurden eingefangen und von Händen festgehalten, die schier kein Entkommen versprachen und die Schutz für Schuldig waren. Aya ließ sich Zeit, alles auszukundschaften, das sich ihm hier bot und zu kosten… zu trinken… Schuldig und sich selbst trunken zu machen. „Du schmeckst nach mehr“, seufzte er schließlich leise gegen diese Lippen und löste sich etwas von ihnen. „Ich… will dir mehr geben… Ran…“, wisperte Schuldig und öffnete die Augen einen Spalt breit, seine Hände immer noch gefangen in Rans. Ja… Aya wollte, dass Schuldig ihm mehr gab, als er jetzt bekam. Mehr Vertrauen, mehr Nähe, mehr Offenheit. Doch das hatte Zeit, alles hatte Zeit, denn schon während er über den flachen Bauch des anderen Mannes gestrichen hatte, war ihm bewusst geworden, dass dieser die Gefangenschaft auch nicht unbeschadet überstanden hatte… nein… wie denn auch? Als hätte Schuldig jeden Tag genug zu essen bekommen! „Jetzt wirst du aber erst essen, Schuldig“, bestimmte er mit ernstem Blick, für einen Moment gänzlich von der sexuellen Anspielung weg. „Was?“ kam von Schuldig völlig überfahren und er öffnete die Augen gänzlich. „Ähm.“…er wandte sich etwas um und streifte dabei Ran. „Ich… habe doch vorhin etwas gegessen!“ protestierte er. „Ich bin doch nicht unterernährt.“ „Vorhin war vor fünf Stunden und das war nur ein halbes Brötchen. Gestern war es auch nicht viel mehr und was du in den vergangenen Tagen gegessen hast, will ich gar nicht erst wissen. Jetzt bin ich wieder bei dir und es wird anständig gegessen“, hielt Aya streng dagegen und funkelte Schuldig in die Augen. Er war heiß auf diesen Mann, ohne jede Frage, doch die Gesundheit ging vor. Dass er aber vermutlich ebenso unterernährt wie Schuldig aussah… dagegen konnte man was tun. „Gut… kochen wir etwas?“, fragte Schuldig noch immer etwas überrumpelt, auch wenn er wenig Lust auf Kochen oder irgendeine andere Tätigkeit hatte. Aya lächelte ob dieser Verständnislosigkeit und küsste Schuldig auf die leicht schmollenden Lippen. „Ja, werden wir. Los, steh auf und beweg deinen hübschen Hintern in die Küche.“ Schuldig erhob sich und tat wie ihm geheißen. Sie brauchten die letzten frischen Nahrungsmittel auf und es machte ihm sogar Spaß zu kochen, auch wenn stetig diese Angst in ihm lauerte… Angst wovor konnte er nicht sagen, nur diese Unruhe, diese Angst. o~ Das Gefühl seiner kitzelnden Nase weckte ihn langsam aus seinem Schlaf, der doch tiefer gewesen war als zunächst angenommen. Aya rieb sich über das verbrecherische Körperteil und grub seinen Kopf ein weiteres Mal in die Kissen, glücklich darüber, dass er nicht nach vier Stunden Schlaf schon wieder aufgewacht war. Doch anstelle Ruhe zu geben, zog der unsichtbare Übeltäter nun an seinen Haaren. „Lass… Schuldig“, brummte er verschlafen, doch insgeheim glücklich, eben das wieder sagen zu können. Schuldig war wieder da, er lebte. Sie waren beide wieder hier. Allerdings begrüßte ihn anstelle der Stimme des Telepathen ein empörtes Miauen, begleitet von einem so heftigen Zug, dass Aya genervt die Augen aufschlug und sich zur Übeltäterin herumdrehte, die ihn mit großen, grünen Augen ansah und um Beschäftigung und Aufmerksamkeit bettelte. Er seufzte. „Was ist los, spielt Schuldig nicht mit dir?“, fragte er und holte sie zu sich heran um sie auf seinen Bauch zu platzieren, als er sich auf den Rücken gelegt hatte. „Wo ist der Übeltäter überhaupt, hm?“ Es war selten genug, dass er nach Schuldig aufwachte und noch seltener, dass dieser es schaffte, sich aus dem Bett zu stehlen, ohne dass er es mitbekam. Aber vermutlich lag es an seiner Müdigkeit und der Unterbrechung der letzten Nacht. Schuldig hatte wieder einen Alptraum gehabt. Dieses Mal jedoch hatten ihn dieser aus dem Schlaf gerissen… eigentlich sie beide, denn Aya war von Schuldigs verzweifeltem „Ran!“ ebenso hochgefahren. Ein Alptraum… nichts weiter. Verlustängste vielleicht? Es war schlimm gewesen, vor allen Dingen die Tränen, die durch die Dunkelheit hinweg auf Schuldigs Wangen gesehen hatte. Er hatte Schuldig danach in seine Arme gezogen und dem aufgeregten Mann etwas Ruhe gegeben, die dieser schließlich dazu genutzt hatte, wieder einzuschlafen… eng mit ihm verbunden. Daher wunderte es Aya nur umso mehr, dass er so tief geschlafen hatte. Sein Blick glitt aus dem Fenster, während er darüber nachdachte, wie die Lust und der Beschützerinstinkt in ihm konkurriert hatten, als er Schuldig so nah bei sich gehabt hatte. Natürlich… sie hatten lange nicht mehr miteinander geschlafen und ihre Emotionen waren dabei überzukochen… gefolgt von der latenten Unterordnung des Telepathen, die dieser in den letzten Tagen impliziert hatte und die Aya nur noch umso mehr reizte. In Gedanken versunken kraulte Aya Banshee und schraubte sich schließlich mit ihr in die Höhe, machte sich auf die Suche nach Schuldig… fand ihn jedoch nicht. Die gesamte Wohnung war leer, von Schuldig nichts zu sehen. Aber gleichzeitig auch keine Nachricht, kein Hinweis, wo er sein konnte, nichts. „Scheiße“, flüsterte Aya, als er in der Küche stand, das Telefon schon in der Hand. Schuldig war weg… fort…und würde nicht wiederkommen, flüsterte die kleine Stimme in ihm, die sich nur zu gut an die schrecklichen zwei Wochen erinnerte. Aber das war Schwachsinn, das war… aber wo war Schuldig? Wo konnte der andere Mann sein, ohne Nachricht, ohne alles? Fiebrig ging Aya alle Möglichkeiten durch und blieb schließlich bei dem gestrigen Abend stehen. Schuldig hatte gesagt, dass sie heute einkaufen müssten… vielleicht war er schon einkaufen gegangen. Ganz sicher war er einkaufen gegangen. Was Aya aber nicht minder wütend machte, denn wieso hinterließ Schuldig keine Nachricht? Oder weckte ihn, damit er mitkonnte? Oder wartete auf ihn? Er hatte mitgewollt, ja! Als wenn er den anderen alleine gehen lassen würde… damit dieser schon wieder verloren ging? Aya knurrte unwillig und wusste selbst, dass er kein Recht auf diese Wut hatte und das machte ihn noch umso wütender… ein ewiger Kreislauf, der darin gipfelte, dass er Schuldig an seine Seite bannen wollte… dem anderen zeigen wollte, zu wem er gehörte. Mit allen Mitteln. Wie Gift schlich sich der kaum gefasste Entschluss in seine Gedanken und manifestierte sich dort. Mit dunklem Lächeln fuhr er Banshee durch ihr Fell und setzte sie schließlich in der Kissenecke ab. „Nichts verraten, hörst du?“, flüsterte er verschwörerisch, zum großen Teil auch, um sich von seiner Angst, dass Schuldig doch nicht wiederkommen würde, abzulenken. Aus der gleichen Angst heraus machte er sich auch mit grimmigem Lächeln fertig, duschte sich, rasierte sich, zog sich an. Das Gift hatte mittlerweile auch seinen Verstand erreicht und er stromerte zum Kleiderschrank um dort etwas Passendes auszusuchen. o~ „Oh, Verzeihung“, hörte er neben sich und Schuldig wandte sich in Gedanken um, erblickte eine Frau Mitte Dreißig, die sich gerade lächelnd bei ihm entschuldigte. Im ersten Moment wusste er nicht, was los war, bis er automatisch in ihre Gedanken schlüpfte und las, dass sie ihn kurz gestreift hatte. Er nickte, lächelte pflichtschuldigst und wandte sich wieder dem Regal zu. Gott, er hatte sie nicht einmal bemerkt. Aber… er hatte ihre Gedanken gelesen! Sogleich stellte sich eine Art Beruhigung bei ihm ein, zumindest eine, die er sich selbst einredete. Gleichzeitig gedankenlos durch die Regale gehend und dennoch in den Köpfen der Menschen um ihn herum stöbernd, brauchte er eine halbe Ewigkeit für seinen Einkauf. Er fühlte sich wie ein Alkoholiker, vor allem achtete er darauf, dass seine Hände nicht allzu zitterten wenn er Dinge aus dem Regal oder aus dem Kühlfach nahm. Als er aus dem Supermarkt trat und alles im Wagen verstaute, war es ihm, als wäre er auf Droge. Die Welt kam ihm so fern vor so unwirklich, alles schien zu hell zu sein und viel zu feindlich gesinnt. Die Gedanken der anderen konnte er nur sporadisch lesen, scheinbar nur die oberflächlich gelegenen, die man den meisten Menschen manchmal schon durch ihre Mimik und Gestik ablesen konnte. Hatte er nicht schon Fortschritte gemacht? Er hatte geglaubt, dass es besser gehen würde… Sich noch einmal unauffällig umsehend stieg er in seinen Wagen ein und fuhr vom Parkplatz, fädelte sich in den Verkehr ein und stand sogleich im Stau. Nichts Neues im Lande, sozusagen. Ausgiebig Zeit um über die vergangene Nacht nachzudenken. Wieder Albträume. Aber dieses Mal war es schlimmer gewesen. Peinlicherweise war er sogar aufgewacht und hatte danach dagesessen und nach Ran gerufen wie ein irrer Tölpel. Er hatte minutenlang nicht gewusst, wo er war und er hätte schwören können, dass er geheult hatte. Im Gegensatz zu vielen anderen Menschen konnte er sich immer an seine Träume erinnern, er arbeitete mit ihnen und manchmal schaltete er die Verarbeitung einfach aus, wenn er Lust dazu hatte oder es unnötig empfand. Jetzt konnte er es nicht – das Ausschalten. In seinem Traum hatte er Angst um Ran gehabt. Er hatte zusehen müssen, wie dieser tagelang von Fei Long vergewaltigt oder dazu gezwungen wurde, ihm anderweitig zu Diensten zu sein. Es war schrecklich gewesen, so furchtbar. Und dann plötzlich hatte er sich selbst gesehen und Kitamura war plötzlich so lebendig vor ihm erschienen… Alles hatte sich zu einem hässlichen, grausamen Gemälde verbunden. Natürlich hatte er dann irgendwann, als er in Rans Armen gelegen und sich beruhigt hatte, geahnt und dann gewusst, dass es Takabas Gedanken und seine Erinnerungen gewesen waren, die er über Rans Gestalt gelegt hatte. Schließlich war es Ran gewesen, von dem er geglaubt hatte, dass er bei ihm gewesen war, in den Anfangstagen seiner Gefangenschaft. Die Angst, Ran zu verlieren, mischte sich mit den Erinnerungen von Takaba, dessen Leid mit Schuldigs Leid in der Vergangenheit. Alles reproduzierte sich, als würde man ein Korn in einen fruchtbaren Boden legen und die Saat die aufginge würde groß, stark und… vernichtend sein. Früher hatte er Ruhe gebraucht, hatte sich in der Wohnung eingesperrt, keine Aufträge von Brad bekommen oder wurde gleich in ein „Sanatorium“ zur Erholung gesperrt. War die Akutphase vorbei, war alles wieder in Ordnung. Er hatte das Zuviel an Stress verarbeitet. Nun… quoll alles über. Seine Erinnerungen, die Angst um Ran, die Angst um Brad, dann wieder die Anspannung auf seiner Flucht und vor allem der Verlust seiner Fähigkeiten. Aber das war noch nicht genug um ihn aus der Bahn zu werfen. Ran wollte ihn verlassen, sie waren nicht mehr sicher in ihrem Zuhause und sie hatten sich linken lassen. Wenn er wenigstens keinen psychischen Schaden hätte… Schuldig musste über diesen letzten Gedanken lächeln. Dann hätte er das jetzt alles auf die Reihe bekommen, aber nein, er musste ja langsam ausflippen. Er wollte Ran doch nicht verletzen, ihm doch nicht wehtun. Wenn er es doch aber nicht anders will?, lachte etwas in ihm gehässig und sein Lächeln wurde dreister. Dunkle Gedanken krochen in ihm hoch auf der Heimfahrt, wurden jedoch leiser und verschwanden schließlich, als er auf den Stellplatz fuhr und Rans Porsche zu Gesicht bekam. Wie immer war er zwei ausgewählte Umwege gefahren um sich sicher zu sein, dass ihm keiner folgte. Er glaubte zwar nicht, dass sie deshalb sicher waren, aber er musste ja nicht noch zusätzlich ein Risiko eingehen. Im Gegensatz zu anderen Gruppierungen stand nämlich hinter Schwarz keine große beschützende Organisation, auch wenn einige das glaubten. Die Einkäufe in weißen Tüten in beiden Händen, mühte er sich aus dem Aufzug und stellte eine der Tüten ab um die Karte durch den Schlitz zu ziehen. Er hob sie wieder auf, öffnete die Tür und trat ein. Als die Tür aufging und Aya Schuldigs roten Schopf erblickte, konnte er sich ein kleines, erleichtertes Aufseufzen nicht verkneifen. Er war wieder da und Aya war nicht alleine… nicht mehr. Doch diese Erleichterung wurde durch etwas anderes, Wütenderes abgelöst, das ihn Schuldig stumm mustern ließ, als dieser die Einkäufe in die Wohnung trug. Das Buch auf seinen Knien wurde langsam zugeschlagen. Er hatte es sowieso nicht wirklich gelesen, hatte nicht die Muße dafür gehabt. Schuldig sah nur flüchtig auf, erblickte Ran auf seinem Lieblingsplatz auf der Fensterbank, bevor er die Tür hinter sich schloss und seine Schuhe umständlich abstreifte. „Na, schon wach?“, lächelte er und trug die Einkäufe in die Küche, stellte sie auf dem Tresen ab und zog sich danach die Jacke aus. Er hatte sich über sein langärmliges Shirt nur seinen Mantel übergeworfen. Ihm war kalt… draußen, aber er brauchte dieses Gefühl der Kälte, damit er wusste, dass er lebte und das Unwohlsein und der Schmerz rissen ihn auch von tiefer gehenden Gedanken fort, lenkten seine Aufmerksamkeit auf sich selbst, auf seinen Körper. Es zeigte ihm, dass er sich gefälligst wichtigeren Dingen als seiner inneren Unruhe zu widmen hatte. So hatte er nur ein Shirt und seine Jeans angezogen und war losgezogen. Schuldig wandte sein Gesicht Ran zu, als er damit begann, die Einkäufe zu verräumen. Die Miene war unleserlich und doch… Ran sezierte ihn fast schon. War irgendetwas? Er konnte ihn auf diese Distanz nicht einschätzen… aber… Aya wartete schweigend, bis Schuldig alles eingeräumt hatte und stand dann auf, kam langsam zu dem Ausreißer. Sein Blick streifte die leeren Einkaufstüten und dann wieder Schuldig, als er vielsagend seine Augenbraue hob. „Soso…“, schnurrte er dunkel, lasziv gar. Schuldig kannte diesen Tonfall, diese fast schon schleppende Stimme, aber eben nur fast. Man hätte nicht wirklich sagen können, ob es gewollt so war, es war perfekt… perfekt um ihn anzumachen, ihm die Nackenhaare aufzustellen oder bis hinunter zwischen seine Beine zu kriechen. Gestern schon hatten sie sich herangetastet nur er… nur wegen ihm hatten sie beide gezögert, er war einfach noch zu unstet und sich selbst nicht sicher. Nur jetzt… lag noch etwas anderes in Rans Stimme, vor allem auch in diesen unnachgiebig harten Augen, die ihn maßen, als er sich nun umwandte, seine Hände auf die Theke legend, da er gerade Zucker einsortiert hatte. „Hmm?“, fragte er unsicher, wie sein ganzes Wesen momentan war. Ohne Ziel, ohne Halt, ohne Anker, ohne Richtung. „Da muss ich doch tatsächlich aufwachen und feststellen, dass du nicht da bist… ohne eine Nachricht, ohne alles…“, half Aya eben dieser Unsicherheit etwas auf die Sprünge und strich Schuldig - tadelnd den Kopf schüttelnd - über die Wange. Noch würde er nicht durchziehen, was er vorhatte… noch nicht, dafür waren die Anzeichen noch zu unsicher. Dem Ausgebüxten schlug das Herz sofort bis zum Hals. Ran war angespannt, er war unterschwellig wütend… das spürte und konnte Schuldig in dessen Augen lesen. „Ich… ich dachte, du hättest es gewusst, ich, wir hatten doch gestern darüber gesprochen.“ Ja, das stimmte, aber… er war trotzdem einfach ohne Nachricht abgehauen und das obwohl sie erst vor kurzem der vermeintliche Tod getrennt hatte. „Es… tut mir leid, Ran. Ich dachte, dass ich wieder zurück bin bis du aufstehst, oder dass es nicht so schlimm ist, wenn ich kurz alleine einkaufen gehe.“ Er sah zerknirscht in das harte Violett. Aya lächelte und schüttelte nachsichtig den Kopf… so nachsichtig, wie er sich eigentlich gar nicht fühlte. Seine Hand wanderte von der Wange des Telepathen in dessen Nacken und streichelte dort beruhigend weiter. „Immer büchst du mir aus… sag mir, was soll ich bloß dagegen machen?“, fragte er verschwörerisch. Für einen Moment hielten Schuldigs Gedanken inne, wurden herausgerissen aus ihrer Bahn und sich bewusst, dass sich ihm… dass Ran ihm eine Möglichkeit bot, eine Wahl ließ, die er doch eigentlich nicht haben wollte. Er wollte keine Wahl. Zu wählen hieß sich etwas einzugestehen. Aber gleichzeitig wusste er, dass Ran ihm immer die Wahl lassen würde, schon allein wegen Rans und seiner eigenen Vergangenheit. „Dann bist du wohl zu nachsichtig mit mir, hmm?“, bot er an und alles in ihm schnürte sich zu, kribbelte, schrie auf. Ein Teil in ihm, der die Entscheidung getroffen hatte, glaubte zu wissen, in welche Richtung es ging und beruhigte sich dadurch, der andere Teil in ihm begehrte auf, wurde wild und riss an den Ketten. „Das ist wohl wahr“, lächelte Aya wissend und seine Hand packte fest zu. „Aber noch ist nicht aller Tage Abend nicht wahr?“ Er schwieg einen kurzen, dramatischen Moment und nickte dann unwirsch in Richtung Wohnraum. „Auf dem Bett liegt eine Hose für dich. Zieh sie an, such dir das passende Oberteil dazu aus und mach dir die Haare. Wir fahren weg.“ Das war eine klare Ansage. Eine deutliche unmissverständliche Einwilligung auf sein unterbewusstes Bitten der letzten Tage. Die Hand, die so schleichend wie Gift in seinen Nacken gekrochen war, so täuschend sanft wie ein überdosiertes Schlafmittel, und die nun fest zupackte, wies in an seinen Platz, den er momentan gerne annahm. Er wusste Ran würde alles richten, Ran würde alles wieder gut machen und bei ihm war er so sicher wie nirgends wo sonst. Sein Herz schlug schneller, alle Sinne richteten sich auf Ran, auf seine Körpersprache. „Wohin?“, fragte er neugierig, bewegte sich aber bereits durch die Wohnung in Richtung Bett. „Wenn wir da sind, wirst du es wissen“, gab Aya ruhig zurück und ging zum Kühlschrank, nahm sich einen Schluck Saft, ohne weiter auf Schuldig zu achten. Sie würden ins Blind Kiss fahren und Kim und Toshi einen Besuch abstatten… und ihr Spiel spielen, das schon seit Tagen zwischen ihnen schwelte. Schuldig glaubte zu wissen wohin sie fahren würden, aber er war viel zu sehr schon in seiner Rolle, dass er diese Frage nach dem Wohin unterdrückt hätte. Kurz blickte er in den Kleiderschrank, als er die Hose auf dem Bett erblickt hatte und wählte das dazu passende Oberteil aus. Mit beiden Dingen machte er sich auf und ging ins Badezimmer. Nachdem er sich frisch gemacht hatte, rasiert hatte er sich morgens schon, begann er sich auszukleiden und wieder anzukleiden. Die Unterwäsche ließ er geflissentlich weg, das verstand sich von selbst. Ebenso ließ er die Socken weg, als er in die weichen eng anliegenden Stiefel schlüpfte, die genau für diese Art Veranstaltung gemacht worden waren. Die Hose, die Ran ausgewählt hatte, besaß an der Kehrseite einen Reißverschluss, den man nach Belieben öffnen konnte. Schuldig malte sich nur kurz aus, warum er gerade diese Hose anziehen sollte. Seine Hände zogen das Leder glatt und fuhren noch einmal langsam darüber. Selbst sein Körper wusste um was es hier ging, fühlte alles intensiver, bewegte sich anders. Er zog die alten Verbände ab und entschied sich keine zu tragen. Falls sie sich ablösten… aber wenn Schweiß hinein lief? Egal. Er zog sie ersatzlos ab und entsorgte sie auf die übliche Art. Erst danach zog er vorsichtig die Weste über, legte sie über seinen Rücken und zog den Reißverschluss hoch. Sie saß perfekt, das Leder war weich und angenehm zu tragen. Seine Haare waren heute Morgen frisch gewaschen worden und fielen ausnahmsweise fast glatt um sein Gesicht. Er fasste die langen Strähnen keck am Hinterkopf mit einem breiten Lederband zusammen, sodass nurmehr einige kürzere übrig blieben, die sein Gesicht umschmeichelten. Es ließ es weicher aussehen. Durch die Blässe und Anstrengungen der letzten Wochen wirkte es kantiger und härter. Als er fertig war, atmete er noch einmal tief ein und verließ das Badezimmer. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)