Der Glasgarten von Gadreel_Coco ================================================================================ Kapitel 87: Das Ende der Unschuld --------------------------------- ~ Das Ende der Unschuld ~ Tja wer wusste das schon. Aber Rans Gedankengänge machten sich auf den nachdenklich verzogenen Lippen bemerkbar. „Es hat viel geregnet und wer weiß…den einen oder anderen Tümpel wird es vielleicht geben, oder kleinere Wasserfälle…“, lächelte Schuldig wissend. „Und damit du keine nassen Füße bekommst, werde ich ganz umsichtig sein, wenn du artig bist und meinen Schwanz in Ruhe lässt, bis wir wieder da sind. Oder du bringst es gleich zu Ende…“ „Was soll ich zu Ende bringen?“, fragte Aya eine Spur zu harmlos um nicht als verdorben zu gelten. Er lächelte, den Gürtel des Yukatas um seine Hüften sichernd. „Aber du hast Recht, ich werde deinen Schwanz in Ruhe lassen…“ Selbst in seinen Ohren klang es, als würde in diesen Worten eine eindeutige Drohung mitschwingen. Vielleicht sollte er an seiner Wortwahl feilen. Schuldig bemühte sich, seine Enttäuschung in sich zu verbergen und rappelte sich auf. „Gut, dann auf, die Pfützen…die gute Luft wartet…!“, stichelte er und erhob sich einigermaßen würdevoll. Sein Rücken schmerzte noch etwas, aber im Gesamten fühlte er sich schon besser. Auch wenn er wusste, dass es wohl noch einige Tage dauern würde, bis er wirklich wieder wie vorher war. Er fühlte sich noch sehr schlapp. Aya folgte der Stimme, erhob sich jedoch noch nicht, sondern streckte Schuldig seine Hand entgegen, auf dass dieser ihn führte. Die Hoffnung, trocken wieder in dieses Haus zu kommen, hatte sich relativ schnell verflüchtigt und war nun gänzlich verschwunden. Doch wozu gab es Bäder? Eben. „Dann führe mich ins Ungewisse, mein Luzifer“, lächelte er und schon wieder klangen seine Worte eher versprechend denn jugendfrei. Für Schuldig klang es eher nach einer handfesten Verarschung. Er fasste Ran an der Hand und zog ihn hoch. „Und was bist du dann? Der unschuldige Engel?“ Seine Worte klangen eher nach Skepsis ob dieser Unschuld, als er Ran zu ihren Kleidern zog. „Wir sollten uns wärmer anziehen.“ „Ich? Nein…ich bin der Oberteufel. Aber sag es niemandem“, erwiderte Aya verschwörerisch und wartete, dass Schuldig ihn anzog oder umzog… „Dass du da aber noch fragen musst“, grübelte er. „Liegt vielleicht daran, dass deine Autorität nicht die beste ist“, alberte er. Schuldig zog Ran seinen Yukata aus und schnappte sich Shirt, Hose und Pulli um es diesem anzuziehen. Erst danach gab es einen wärmeren Yukata darüber. Schließlich waren sie gerade aus dem Bad gekommen und Rans Haare waren gerade einmal halb trocken. Was Schuldig dazu veranlasste Ran eine …seine Mütze aufzuziehen. Liebevoll schob er die Haare unter die Jacke und zog Ran die Mütze über, küsste ihn dann auf die Nasenspitze. „So, nicht weglaufen, ich zieh mich schnell um.“ Aya stand in dem Raum, dick eingepackt und warm und fühlte sich…gut. Einfach umsorgt, wenn auch seltsam, so untätig und blind der Umgebung gegenüber. Schweigend nickte er und wartete auf Schuldig, dass dieser fertig wurde und dass sie nach draußen gingen. „Zieh dich warm an, es ist kalt draußen! Denk dran, dass du dich nicht wieder erkältest!“ Schuldig warf Ran einen spöttisch gelassenen Blick zu, während er sich die dicken Socken auf dem Futon überstreifte und sich erhob. „Ja, Herr Oberaufseher“, maulte er spöttisch zurück und beeilte sich. So war es doch in Ordnung, so lobte er sich die Folgsamkeit von Schuldig. Aya grinste und verschränkte die Arme, lauschte auf das leise Motzen des anderen Mannes, das nach einiger Zeit wieder näher kam. Ab nach draußen, hörte er noch, bevor er vorsichtig, aber unaufhaltsam nach draußen bugsiert wurde und seine Hand sich etwas enger um Schuldigs Oberarm klammerte. Er hatte schließlich doch Respekt davor, sehr viel Respekt, blind durch die Gegend geführt zu werden. So verließen sie also das traute Heim - Schuldig samt seinem Klammeräffchen in Richtung Bergpfad. „Meinst du wir sollten uns bevor wir fahren kurz von denen im Dorf verabschieden, die wir oder du öfter getroffen haben?“, merkte Schuldig an. „Ja…das halte ich für richtig. Es scheint mir normal zu sein und erwünscht…Vor allem bei Kazukawa-san. Sie hat dir sehr geholfen…“ Aya setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen und ließ sich durch die Landschaft führen, seine Ohren auf die Geräusche gerichtet, die sich ihm entgegentrugen, während er schnupperte. Es roch nach Frühling, auch noch nach Winter…eine interessante Mischung. Obwohl er diese Hilfe nicht gewünscht hatte, keimte da ein wenig Starrsinn in Schuldig auf. Aber er war froh, dass Ran in dieser Zeit nicht alleine gewesen war. Das war ihm sehr viel Wert. „Dann sagen wir ihr auf Wiedersehen, wenn wir gehen“, sagte er zufrieden mit sich und der Welt und wenn auch nur für einen Augenblick. Er ließ seinen Blick schweifen, der leider getrübt wurde von dichten Bäumen und Gehölz und nur wenig Aussicht auf die Umgebung bot. „Glaubst du, wir können bald wieder hierher kommen?“ Etwas Wehmut lag in seiner Stimme, auch wenn er die Frage neutral formulieren wollte, so barg sie an sich schon dieses Gefühl in sich. Noch immer war ihnen jemand auf den Fersen und sie machten …Urlaub. Die Lage schien sich stetig zuzuspitzen, dennoch fehlte ihr die Dringlichkeit. Es gab keine direkten Angriffe. „Ich hoffe es…aber erst müssen wir diese Wohnung verlassen und zusehen, dass wir sicher sind“, grübelte Aya. „Die Frage ist, wo wir hinziehen…ob Tokyo, was am Sichersten ist…und was mit Weiß ist.“ Denn seine Freunde würde er garantiert nicht zurücklassen…nicht, wenn sie so dermaßen gefährdet waren wie jetzt. Denn wenn sie Youji und ihn angegriffen hatten…dann konnte er für Omis und Kens Sicherheit nicht garantieren. Außerdem musste er sich nach ihrer Rückkehr um Youji kümmern. „Youji…ihm geht es sicherlich nicht gut. Was hältst du davon, wenn er erst einmal zu uns kommt?“, kam Aya auf eine vage Idee, die jedoch noch nicht einmal in Ansätzen ausgereift war. Was Schuldig sofort akute Kopfschmerzen bereitete. Er blieb stehen und hätte am liebsten angefangen, diese Idee komplett in der Luft zu zerfetzen, damit auch nicht das kleinste Fitzelchen davon übrig blieb. Stattdessen zählte er bis zehn. „Findest du das eine gute Idee?“ Die übliche Abwehrreaktion auf Youjis Person… Wie hätte es auch anders sein können bei Schuldigs Eifersucht? „Eigentlich ja…so ist er nicht alleine und ich kann auf ihn aufpassen, dass er sich erholt und Kraft tankt. Ich scheine ihm einfach zu fehlen, weißt du?“ Aya brauchte seine Augen nicht, um sich Schuldig nun vorzustellen, wie er ihn anstarrte. Diese Mischung aus Abwehr, Ekel und Eifersucht, dazu noch das sich sträubende Fell. Wer von ihnen war noch einmal gleich der Kater? „Gut, wenn du meinst“, zuckte Schuldig mit den Schultern. Er wusste zwar, dass er so gut wie nie zuhause sein würde, wenn der Schnüffler hinter ihm und seiner Privatsphäre her schnüffelte, aber wenn Ran meinte, dass er seine spärliche Freizeit mit dem Playboy verbringen wollte… Da strömte der Widerwillen aus jeder Pore und tränkte den Boden unter ihnen. „Wie gut, dass du mir da ohne zu argumentieren zustimmst“, erwiderte Aya und lachte leise. „Ich verstehe nicht, warum du immer noch eifersüchtig bist…es ist ja nicht so, als müsste ich mich noch zwischen dir und ihm entscheiden. Meine Wahl habe ich schon längst getroffen…“ „Ich bin nicht eifersüchtig“, sagte er ruhig und sehr ernst. Er fand es einfach unmöglich, dass Ran auf derartige Ideen kam. Es ging stetig bergauf und Schuldig spürte wie gut es tat, an der frischen Luft zu sein, aber auch, dass die Wunden noch an einigen Stellen zogen. „Wie sieht das dann aus? Ich meine, wie stellst du dir das vor? Während du den ganzen Tag in der Arbeit bist, schlage ich mir mit Kudou die Zeit tot? Und glaubst du, er findet die Idee so toll? Uns dabei zuzusehen, wie wir uns das Hirn rausvögeln? Ach stimmt ja, du möchtest sicher während der Zeit, in der er da ist, auf Sex verzichten, oder?“ Er sagte alles ganz ruhig, aber eine gewisse Spur Zynismus konnte er nicht aus seiner Stimme tilgen. Ran dachte mit seinem Herzen und wenig mit dem Verstand bei dieser Idee. Aya seufzte, sagte aber nichts weiter dazu. Natürlich brachte es einige Schwierigkeiten mit sich, wenn er Youji zu ihnen holte, doch er wollte dem anderen Mann ebenso sehr ein Beistand sein, wie dieser es zu seinen dunklen Zeiten gewesen war. Noch ein Nachteil an einer gemeinsamen Wohnung, wie es Aya auffiel, denn er wurde sich bewusst, dass er Youji selten zu sich holen konnte, sondern immer zu ihm fahren würde. Eben weil es nicht ging, weil er die beiden nicht unter einen Hut bringen konnte, egal, wie sehr er sich anstrengte. Er war zu lange egoistisch gewesen, hatte sich zu lange seinen eigenen Emotionen hingegeben und nun war das Team in Gefahr. Auch wenn er nicht mehr zu Weiß gehörte, so dachte er immer noch als ihr Anführer und er wollte sie aus der Schusslinie haben. Wollte sie schließlich glücklich sehen – ohne Kritiker. Es war schlimmer, als wenn Ran die Schwiegermutter ins Haus holen wollte. Ran wollte seinen Ex-Lover bei ihnen einquartieren und fand es legitim. Nein, er verstand scheinbar nicht, warum Schuldig etwas dagegen hatte. Und reden wollte er scheinbar auch nicht darüber, so wie Schuldig das Schweigen wohl zu verstehen hatte. Es dauerte auch noch seine gewisse Zeit, in der Aya in tiefes Grübeln verfiel, bis er wieder in die Realität zurückkehrte und ein weiteres Mal seufzte. „Ihr beiden könnt euch nicht ausstehen. Ich wiederum würde es gerne sehen, wenn ihr in der Lage wärt, freundschaftlich miteinander umzugehen. Aber das geht nicht.“ Er lächelte kurz bedauernd. „Also bleibt Youji da, wo er ist, und wenn etwas ist, stehe ich ihm zur Seite. Du bist da ganz außen vor…und brauchst dich mit ihm nicht zu belasten.“ Schuldig hatte den immens hohen Drang mit den Augen zu rollen. Er wandte sich vollends Ran zu und seine Hände grabbelten an Rans Ohren zu dem Knoten an Rans Hinterkopf um ihn unter der Mütze zu lösen. Er zog das Band herab und Ran wurde mit einem sehr ernsten, - bei ihm eher seltenen Gesichtsausdruck konfrontiert. Ran blinzelte ihm entgegen und Schuldig genoss den kurzen Moment der Verwirrtheit in dem faszinierenden Violett. „Woher nimmst du die Gewissheit, dass wir uns nicht ausstehen können, oder dass ich eifersüchtig wäre. Hältst du mich für so unsensibel, dass ich dir verweigere, deinem Freund beizustehen, der gerade etwas sehr Übles durchlebt hat? Mein Bedarf an Spielen ist seit einiger Zeit etwas in den Hintergrund getreten, findest du nicht?“ Da es einfach zu hell für seine an Dunkelheit gewöhnten Augen war, belohnte Aya Schuldig auch noch für die nächsten Momente mit einem verwirrten Blinzeln und eulenhaften Augen, die er von Zeit zu Zeit schließen musste um sich langsam an die Helligkeit zu gewöhnen. Auch wenn er sich für den ersten Moment fragte, warum nun ihr Spiel vorbei war, wusste er es, sobald Schuldig den Mund aufmachte. Es stand also eine ernsthafte Diskussion ins Haus, die…so wurde Aya es sich bewusst, schon längst hätte geführt werden sollen. Schuldig schließlich mit großen, fragenden Augen ansehend, musste sich Aya eingestehen, dass er genau das gedacht hatte…zumindest die Sache mit der Eifersucht und dem Nicht Ausstehen könnend. „Ja, ich hatte dich für eifersüchtig gehalten, Schuldig“, gab Aya ehrlich zu. „Aber schön, eines besseren belehrt zu werden…ich freue mich, wenn ihr beiden euch versteht.“ Er lächelte und strich Schuldig über die rechte Wange. Vermutlich hatten die beiden Kontakt gehabt, während er nicht dabei war…und keiner von beiden hatte ihm etwas gesagt. „Nein, unsensibel bist du nicht, das habe ich nicht gemeint…ich wollte es dir eben nur recht machen…aber vielleicht war die Idee mit dem Einziehen auch etwas zu brachial.“ „Nur Recht machen…Ran du bist keine an den Herd gebundene Ehefrau eines Arschlochs von Ehemann“, sagte er mit hochgezogenen Brauen. „Streich das Ehemann und Ehefrau“, schmunzelte er. „Du brauchst mir nichts recht zu machen. Und mich über zu behüten fördert nicht gerade meine Genesung. Ich genieße es, wenn du mich verhätschelst, aber ich muss auch mal den starken Mann raushängen lassen, eh?“, zwinkerte er und stupste Rans Handinnenfläche mit seiner Nase an. „Ich liebe es, wie du dich um mich sorgst, weil ich weiß, dass wir beide viel füreinander empfinden. Ja, ich weiß, so etwas schwafeln die wenigsten einfach so daher, inmitten einer solchen Umgebung“, rollte er mit den Augen um diese Worte nicht allzu hochtrabend klingen zu lassen. „…aber ich kenne deine Gefühle und deine Gedanken. Ich kann es mir leisten so etwas zu sagen“, fand er zu seinem Schmunzeln zurück. Aya lachte, dieses Mal nun wirklich befreit. Ja, Schuldig hatte Recht mit dem, was er sagte. Schuldig wusste, wie er tief in sich fühlte und er selbst sah es in jeder Zelle des anderen Mannes, dass dieser ihm auch nicht abgeneigt war – eine leichte Untertreibung, wie Aya fand. Schuldig brauchte seine Freiheit und seine Stärke, dessen war sich Aya bewusst, doch eine kleine, penetrante Stimme in ihm wollte den anderen Mann nur verhätscheln, ihn versorgen und behüten und dafür sorgen, dass nichts mehr geschah…gar nichts mehr. Doch so würde es nicht funktionieren. „Gut….“, sinnierte er. „Dann nichts wie ab mit dir ins kalte Wasser! Damit du dich auch ja abhärtest und wieder gesund wirst! Das mit der Ehefrau und Ehemann und generell das an den Herd gebunden, vergessen wir ganz schnell, nicht wahr?“ Ayas Zeigefinger stupste Schuldig auf die Nase. „Mir deucht, du hast das …Arschloch vergessen. Soll mir das etwas sagen, Honigkuchenpferdchen?“ lächelte Schuldig fast schon zu liebenswürdig. Aya lauschte auf den Nachklang des deutschen Wortes, das ihm ganz und gar fremd vorkam. Er runzelte die Stirn und war sich schon fast sicher, dass es etwas Böses bedeutete. „Das Arschloch vergessen wir natürlich auch, insofern du es willst! Allerdings dachte ich, dass du dadurch zu deinem starken Ich zurückfindest…also dem Macho, dem bösen Schwarz und ultrabösen Telepathen.“ Alles blieb brav dort, wo es war, sowohl seine Mundwinkel als auch seine Augen, die ein Lächeln oder gar Lachen hätten andeuten können. „Was heißt das…dieses Honigku…“ Den Rest konnte er nicht mehr aussprechen. Die deutsche Sprache war ihm bei solchen Wörtern einfach ein Mysterium. „Das ist das Äquivalent zu Arschloch. Vielleicht noch einen zacken Schärfer. Wenn du jemanden so richtig beleidigen willst solltest du es ihm ins Gesicht schleudern, wie einen Fehdehandschuh“, erläuterte Schuldig gelassen, selbstsicher und seiner Ausführung absolut sicher. Er streute noch etwas Langeweile in seine Wortwahl und etwas Genervtheit, weil er Ran das erklären musste. Schließlich wollte er, dass Ran das schluckte. Zunächst erntete Schuldig jedoch ein dunkles Funkeln aus violetten Augen, das deutlich von Misstrauen sprach. „Das ist also der Lohn dafür, dass ich dir etwas deiner Manneskraft wiedergeben möchte, ja?“, grimmte der Japaner und verschränkte die Arme vor seiner Brust. „Übrigens sagte mir ein ‚weiser Mann’ seinerzeit, dass man dir in solchen Dingen nicht trauen dürfte…siehe dem Apfelstrudel. Ich werde es also nachschlagen, sobald wir nach Tokyo zurückgekehrt sind, mein Lieber.“ Schuldig zog eine Grimasse. „Lass mich raten, das allsehende Auge? Die Brillenschlange Brad Crawford? Du glaubst ihm also mehr als mir?“, tat er beleidigt. Jetzt verschworen sich schon Erzfeinde gegen ihn. Pah, soweit war es schon gekommen. „…wegen einem läppischen Apfelstrudel und einem fiesen Honigkuchenpferdchen“, murmelte er. Sobald er dieses Wort noch einmal gehört hatte, speicherte Aya es sicher und tief in sich ab. Ja, um es in Tokyo nachzuschlagen…wenn er es überhaupt fand, hieß das. „Genau der. Ja, ich glaube ihm mehr als dir…denn er hat mir sachlich einige Situationen geschildert, in denen du versucht hast, ihn übers Ohr zu hauen. Wie mich auch…in so einigen Dingen. Sagen wir so…gebrannte Kinder halten zusammen. Und tauschen sich aus.“ Ein gemeines Lächeln umspielte Ayas Lippen. „Und was habt ihr sonst noch ausgetauscht?“ Gut, er konnte ein durchtriebenes Lächeln nicht unterdrücken. Auch wenn er noch so harmlos dabei aussehen wollte. Aber wie das immer so war mit dem harmlosen Aussehen…in Rans Gegenwart. Je mehr er es wollte desto fieser wurde es. „Das, mein liebes Zackelschaf…“, lächelte Aya liebevoll. „Ist eine Sache zwischen dem allsehenden Brillenschlangenauge und der rothaarigen Raubkatze.“ Damit entfernte er sich mit einem Satz von Schuldig und lachte. „Sagen wir…wir haben Erfahrungen ausgetauscht!“ „Pass auf die Pfützen auf, Hase“, grinste Schuldig eindeutig nicht jugendfrei. „Wenn du nass wirst, weißt du ja wo du landest…da macht dann das bisschen Wasser mehr auch nichts mehr aus.“ „Ach Schuldig…du weißt doch, wie ich es mit Teichen halte, oder?“, fragte Aya spielerisch. Die Drohung, die hinter diesen Worten stand, wiederholte er nicht. Es war schließlich auch nicht nötig. Was ihm jedoch wiederholt auf die Nerven ging, waren diese ständigen Kosenamen. „Weißt du, Schuldig, ich weiß, dass du mich liebst, das brauchst du nicht durch Verniedlichungen zu belegen“, lächelte er, ein minimaler Funken Ernst in seinen Augen. Schuldig stutzte, runzelte die Stirn, aber er verstand. „Gut, klar, kein Problem.“ Er folgte Ran und sah sich genau in der Umgebung um. Bald würden sie wieder in der Großstadt sein, bald würde das Gewusel wieder losgehen. Er hatte bemerkt, dass ihm die Ruhe hier gut getan hatte. Obwohl er anfangs angenommen hatte, dass ein Leben hier draußen ihn wahnsinnig machen würde. Aber vielleicht war dies gar nicht der Fall. Vielleicht war es das, was er brauchte? Ruhe… doch …so sicher war er sich da leider immer noch nicht. Vielleicht würden sie nie wieder hierher zurückfinden? Schweigend gingen sie nebeneinander her und Aya ließ seine Gedanken durch die Natur schweifen, sog die Eindrücke in sich auf, die er mit all seinen Sinnen erfasste. Es wurde wirklich bald Frühling, das merkte er nicht nur an der Temperatur und er konnte nicht erwarten, hierhin zurück zu kehren und sich um diesen verwunschenen Garten zu kümmern, während sich Schuldig in der Sonne herumlümmelte. Aya lächelte bei dieser Vorstellung, die die ganze Spannung, die sie in den nächsten Wochen erwarten würde, außen vor ließ. Es wäre schön…wirklich schön. Er seufzte und maneuvrierte sich vor Schuldig, griff sich dessen Arme und legte sie um sich. „Wenn wir unseren Fuhrpark loswerden müssen, was schaffen wir uns dann an?“ Ein wichtiges Thema. Aha, daher wehte also der Wind. „Ich fürchte wir müssen zunächst auf unauffällige Fabrikate ausweichen. Je teurer der Wagen, desto höher die Wahrscheinlichkeit uns aufzuspüren. Wobei der neue Porsche in schmuckem Weiß es schon in sich hat“, lächelte Schuldig und wackelte mit den Augenbrauen. „Hör auf…außerdem kostet der Wagen ein Einfamilienhaus in der besten Gegend…sowieso unbezahlbar. Was hältst du von einem Kleinwagen, Dreitürer, unauffällig?“, forderte Aya den Teufel namens Luxuskerl heraus und lehnte seine Wange an Schuldigs. Dieser tat es Ran gleich und musste lächeln. „Wir brauchen ohnehin zwei Wagen. Was hältst du davon, wenn wir uns etwas Jeepähnliches zulegen und einen fünftürigen Stadtwagen. Mit dem Tourenwagen können wir hier raus fahren und wir können ihn innen etwas aufmöbeln.“ Klar das Ran wieder auf dem Spartripp war. „Klingt sehr gut. Vorschlag geprüft und angenommen“, kam es von dem Geizkragen und Aya lächelte. „Nächster Punkt…die neue Wohnung. Wo? Wie groß? Welche Aussicht?“ Aya persönlich hatte eine Vorliebe für das Meer, für die Weite des Ozeans. Eine schöne, große Terrasse würde ihm gefallen. Hirngespinste, alle miteinander. „Wo? Nicht in Tokyo direkt würde ich sagen. Aber da ist dein Weg dann weiter zur Arbeit, oder?“ „Ja, das wäre zu bedenken. Aber unsere Sicherheit muss an allererster Stelle stehen.“ Wenn sie das aus sicherheitstechnischen Gesichtspunkten betrachteten, dann wäre es sicherlich besser, sie würden ganz aus Tokyo fortgehen und ein Teil – der rationale – in Aya sagte ihm genau das. Ins Ausland, ohne eine Verbindung zu Japan. Doch…war das möglich? „Okay. Und wie groß? Wie wäre es mit …groß? Und Aussicht…keine Ahnung, müssen wir sehen, wenn wir Angebote sichten. Hast du denn zu Größe und Aussicht Vorstellungen, Ran?“ Gewisse Vorstellungen hatte Aya schon, nur waren die allesamt in Tokyo vermutlich unbezahlbar. Oder nur von Schuldig bezahlbar. Doch er wusste, dass sie keine kleine Wohnung haben durften. Schuldig brauchte viel Freiraum für sich, viel Platz zum Atmen. Ihm hingegen war es egal. Bis auf ein kleines Detail. „Aussicht…das Meer auf der einen Seite, Tokyo auf der anderen. Vielleicht eine Vierzimmerwohnung mit Terrasse…oder fünf Zimmer, je nachdem, ob du auch einen Raum nur für dich willst. Soviel zum Thema Traumwohnung!“ Aya grinste. Okay, also eine Fünfzimmerwohnung mit so ungefähr 200 Quadratmetern, möglichst weit oben, damit man eine gelungene Aussicht genießen kann. Gut damit konnte er leben. Schuldig grinste zurück. „So machen wir´s!“ o~ „Ach komm!“, grollte Aya, während er die Veranda des großen Hauses betrat, über der einen Schulter die mitgenommene Tasche, in der anderen Hand den Schlüssel zum Haus. Schuldig stand neben ihm und sah ihn an, als ob er ihn auffressen wollte. „Wir können doch nicht einfach so von hier verschwinden! Das ganze Dorf kennt uns vermutlich schon!“ Hier standen sie nun, das Haus sorgsam aufgeräumt und abgeriegelt, bereit um zurück nach Tokyo zu fahren. Aya selbst dazu bereit, sich von den Dorfbewohnern zu verabschieden und ihnen gleichzeitig Schuldig vorzustellen. Schuldig selbst aber dazu weniger bereit. Der hatte es sich nämlich anders überlegt. Zwar wusste Schuldig, dass es nötig war, aber er … er wollte es so ausdrücken: Er zierte sich noch. „Keiner kennt uns, die Alte hat bestimmt dicht gehalten!“ Obwohl er in Gedanken bereits spazieren gegangen war und durchaus erkennen hatte müssen, dass dem wohl nicht ganz so war. „Ein Grund mehr, dich vorzustellen!“, konterte Aya und maß Schuldig kritisch, während er den Schlüssel im Schloss herumdrehte. „Außerdem kennen zumindest MICH ihre Tochter und der alte Mann, der das Holz gebracht hat. Es gebietet alleine die Höflichkeit, sich von ihnen zu verabschieden und dich vorzustellen, denn du hast schließlich das Haus hier gekauft! Ich kann mir auch vorstellen, dass sie sich freuen würden, dich kennen zu lernen, du bist schließlich ein ansehnlicher, junger Mann!“ Aya musste lächeln. Er konnte sich gut vorstellen, dass die Tochter der Kräuterfrau – Kazukawa-san – Schuldig schöne Augen machte. Und er ihr auch, davon einmal ganz abgesehen. Schuldig kannte da sicherlich gar nichts. „Oh man“, nuschelte Schuldig und ging die Treppen vom Haus hinab und drehte sich dann noch einmal um, um das Haus ein letztes Mal noch einer Betrachtung zu unterziehen. ‚Bis bald’, wisperte er in Gedanken. Auch Aya verabschiedete sich auf seine ganz eigene Art von dieser Zufluchtsstätte und zog Schuldig an sich, ging mit ihm gemeinsam zum Auto. „Ich wusste, dass du es auch gut findest!“ Und wie da der Teufel in ihm herauskam. „Und ich wusste schon immer, dass du manipulativ bist, aber so …“, spielte er den überrumpelten, überfahrenen arglosen Mitbürger, dem hier vom System übel mitgespielt worden war. Gemeinsam stiegen in den Wagen, nachdem Aya die Tasche sicher im Kofferraum verstaut hatte. Ein letzter Blick auf das Haus und sie fuhren die holprige Straße entlang zum Dorf, hielten schließlich vor Kazukawa-sans Geschäft. „So, auf in den Kampf!“ Erste Station… Während der kurzen Fahrt war es still zwischen ihnen gewesen. Schuldigs Gedanken hatten im vergangenen Tag verweilt, an dem sie noch vieles beredet hatten. Und er musste daran denken, dass ihr Blind Day leider nicht so erfolgreich verlaufen war wie er es sich in sexueller Hinsicht gewünscht hätte. Er musste grinsen, als er ausstieg. Aber sonst… was Rans Ängste anbetraf und seine eigenen Sorgen war dieser gestrige Tag durchaus ein Erfolg gewesen. Diese seltene Zufriedenheit auf Schuldigs Gesicht bemerkte auch Aya, als er einen Blick auf den Telepathen warf und Frieden in dessen Zügen sah. Tiefen Frieden. Er selbst lächelte und betrat dann den Laden. Die altmodische Türklingel erklang und Kazukawa-san trat aus dem hinteren Bereich. Sie lächelte, als sie sie sah. „Fujimiya-san…was führt Sie zu mir? Ah…und auch der genesene Patient, wie ich sehen kann. Sehr gut genesen“, sagte sie und nahm einen Zug der im Mundwinkel hängenden Zigarette. „Roswell-san, Sie sind sehr gut anzusehen mit etwas mehr Farbe im Gesicht!“ Sie lächelte ihr altes, leicht durchtriebenes Lächeln, das so vieles bedeuten konnte. „Wie geht es Ihnen?“ Na die Alte schien ja heute wieder auf Zack zu sein, bemerkte Schuldig und kam sich vor, als wäre das hier seine alte verschollene Großmutter, die er nie gehabt hatte. „Kazukawa-san“, begrüßte Schuldig sie mit gebührender Höflichkeit und freute sich, dass er nicht seine Schlabberklamotten sondern einen Yukatta trug. „Es wird jeden Tag besser, dank ihrer Hilfe.“ Er war noch nicht genesen, aber es wurde besser. „Sehr schön, sehr schön.“ Sie nickte und ließ ihren Blick noch einmal über den ausländischen Mann schweifen, zufrieden mit ihrer eigenen und Fujimiya-sans Antwort. „Wir möchten uns gerne von Ihnen verabschieden, Kazukawa-san. Wir werden heute nach Tokyo zurückkehren“, holte Aya nun ihre Aufmerksamkeit zu sich und er sah kurz Bedauern in ihrem Blick, bevor sie nickte. „Es wird Zeit für Sie?“ „Die Arbeit ruft“, entgegnete er lächelnd. „Deswegen sind wir gekommen um bis bald zu sagen und damit Roswell-san…“, Schuldig hatte den Namen aufgrund seiner telepathischen Antennen gewählt, die er selbst ihm einmal angedichtet hatte – Aya hatte drei Anläufe gebraucht, um sich daran zu erinnern. „…sich auch Ihrer Tochter und Todai-san vorstellen kann. Damit er nicht ganz unbekannt ist in diesem Dorf. Nicht wahr?“ „Ja, ganz recht“, stelzte Schuldig pflicht…schuldigst, da er sich zu einer Antwort bemüßigt fühlte und sah sich neugierig mit Blicken im Laden um. Mizumi lächelte leicht und nickte beflissen, während sie sich den ausländischen Mann ein letztes Mal betrachtete, der auf den Beinen und recht wohlauf doch schon eher nach etwas aussah wie vorher… Was für ein Geheimnis er jedoch mit sich trug, das konnte sie nicht entschlüsseln. Alles, was sie hatte, war eine Intuition, die ihr sagte, dass an diesen beiden nichts war, wie es auf den ersten Blick schien. „Bevor Sie jedoch gehen, habe ich noch etwas für Sie“, sagte Mizumi und verschwand für die nächsten Minuten in ihrer kleinen Kammer, in der sie die Salben und Bäder mischte und ansetzte. Als sie schließlich wieder nach vorne ging, hielt sie einen kleinen Tiegel in der Hand und reichte ihn Schuldig. „Solange es spannt und gerötet ist, einmal am Tag. Nach einer Woche dürfte dann schließlich auch der Rest verheilt sein“, sagte sie mit ernstem Blick hoch in die hellen, fremden Augen. Schuldig berührte die Finger der alten Frau als er den Tiegel in die Hand nahm und schenkte ihr ein echtes, sanftes Lächeln. „Vielen Dank, Kazakawa-san. Ich werde mich an Ihre Anweisungen halten. Und passen sie mir gut auf das alte Haus auf“, lächelte er einen Tick breiter und zwinkerte.“ Sie hatten schließlich ihre ganz eigene Unterhaltung über das Haus und die Erinnerungen darin gehabt. Aber auch ihre ganz eigene Unterhaltung über den Vergleich zu Ran. „Werde ich, werde ich“, nickte Mizumi und wusste um das Wissen und die Erinnerungen in den Augen Roswell-sans. „Wenn Sie beide möchten, kann sich Todai-san auch um den Garten kümmern…dass er nicht so verwildert ist, wenn Sie wiederkommen?“ Aya wechselte einen Blick mit Schuldig. Das Angebot klang zu verlockend um wahr zu sein, doch er wollte nicht ohne Schuldig bestimmen – auch wenn ihm das Haus gehörte…geschenkt von Schuldig. Dieser legte den Kopf leicht schief, lächelte aber aufmunternd. „Es ist dein Haus, Ran. Triff du die Entscheidung.“ Er wollte mit Ran draußen vor der Tür darüber sprechen, nicht in Gegenwart Kazukawas. Er sah Ran zwar lächelnd aber durchaus auch so an, dass dieser verstand, nicht sogleich auf das Angebot einzugehen. Aya verstand, was Schuldig ihm damit sagen wollte, er sah die stille Warnung in den Augen des anderen. „Wir überlegen es uns, Kazukawa-san und werden dann auf Todai-san zutreten, wenn wir zu einer Entscheidung gekommen sind“, nickte er schließlich und die alte Frau lächelte. „Ganz wie Sie es möchten, Fujimiya-san.“ Die beiden hier waren schon etwas Besonderes und der Teufel sollte sie holen, wenn die beiden nicht mehr als nur gute Freunde waren. Städter…ein seltsames Völkchen, so ganz anders als das Leben hier auf dem Dorf. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass zwei der Männer hier im Dorf mehr teilten als Freundschaft. Natürlich war Fujimiya-san attraktiv und wäre ihre Tochter im heiratsfähigen Alter und nicht schon lange darüber hinaus, so hätte sie eine Hochzeit zwischen ihr und ihm nicht ausgeschlossen, doch…wie es das Schicksal so wollte… Ah…so eine alte Kuplerin, amüsierte sich Schuldig insgeheim über die Gedanken der Alten. Seine Fähigkeiten waren wieder vollständig zurückgekehrt und er hatte an dem einen oder anderen Tag in den Köpfen der Menschen gestöbert. „So…wir Städter werden uns dann auf den Weg machen, wir wollen ja noch zu ihrer Tochter in den Laden, einige Kleinigkeiten für den langen Weg zurück einkaufen“, zwinkerte Schuldig ihr zu. Mizumi runzelte ihre faltige Stirn. Fast war ihr, als hätte Roswell-san ihre Gedanken gelesen. Fast… „Sie sind ein Schlingel“, sagte sie, ohne es zu erklären und verengte ihre Augen. „Machen Sie meiner Tochter ja schöne Augen. Sie hat sich schon darauf gefreut, die Familie Fujimiya-sans kennen zu lernen!“ Aya sah von Schuldig zu der Alten und hatte eine Idee, eine flüchtige. Misstrauisch spiegelte er die Geste der alten Frau und kräuselte seine Stirn. Ohje …nicht mal ein bisschen Spaß konnte man sich hier erlauben, meckerte Schuldig über Rans gekrauste Stirn. „Werde ich, Kazukawa-san“, beeilte sich Schuldig zu sagen, verabschiedete sich gebührlich und trat schon mal Richtung Tür. „Auf ein baldiges Widersehen.“ Gemeinsam verließen sie das Geschäft und gingen in Richtung Lebensmittelladen. „Was genau hast du in ihren Gedanken gelesen, Schuldig?“, fragte Aya mit einem kleinen Lächeln um seine Lippen, leise genug, dass niemand es mitbekam. „Ich hab doch nicht in ihren Gedanken gelesen! Wie kommst du denn jetzt da drauf?“, fragte Schuldig ernst mit dem Hauch von Verwunderung. Mal sehen ob es klappte. Er ließ sich von Ran zu dem kleinen Laden führen. „Du könntest mich genauso gut fragen, wie ich darauf komme, dass heute die Sonne scheint.“ Das tat sie übrigens sehr kräftig, sehr auffällig, sehr…hell. Aya wackelte mit seinen Augenbrauen. Und Schuldig konterte mit einem gelangweilten du-weißt-ja-immer-alles-besser-Blick und verzog die Lippen unwirsch. „Na gu~ut“, lenkte er ein. „Sie dachte, dass sie sich ziemlich sicher wäre, dass wir nicht nur Kumpel wären sonder ganz bestimmt mehr am Laufen hätten und dass sie dich gerne mit ihrer Tochter verkuppelt hätte - wenn diese noch im heiratsfähigen Alter wäre.“ So…zufrieden?, meckerte Schuldigs Blick deutlich zu Ran hinüber. Eine rote Augenbraue hob sich im eleganten Schwung und Aya lachte entspannt, gelöst. Die vergangenen Tage hatten ihn ruhiger werden lassen, ebenso wie die Stunden unter der Augenbinde, die ihm gezeigt hatten, dass Schuldig ihm nicht stiften ging und dass er vertrauen musste – und konnte. Ja, er konnte vertrauen. „Sag bloß, du bist eifersüchtig auf Kazukawa-sans Tochter?“ „Ich?“, quiekte Schuldig fast schon vor Empörung über diese infame Unterstellung. „Ich doch nicht! Die ist viel zu alt für dich. Außerdem bist du schon vergeben, da habe ich überhaupt keine Angst!“ Genau so war das nämlich. Angst hatte er dann eher wieder in der großen Stadt, vielleicht wenn Brad wieder …näher ist… „Richtig, ich bin schon vergeben. Da gibt es ja jemanden…“ Aya grinste und nickte zu dem kleinen Lebensmittelladen hin. „Wir sind da…mal sehen, ob sie mir schöne Augen macht“, sagte Aya leise und drückte die Türklinke hinunter. Auch hier kündigte ein leises Klingeln ihre Ankunft an und er betrat den Laden, dicht gefolgt von Schuldig. Besagte Tochter sah ihnen beiden auch schon entgegen, den Blick von ihm auf Schuldig schwenkend. Und Aya erkannte, dass sich Schuldig und damit auch Kazukawa-san geirrt hatten. Sie wollte wenn nicht mit ihm verkuppelt werden, nein. Dafür war viel zu viel Bewunderung für Schuldig. Viel zu viel…was auch immer es war, Schuldig war ihr Favorit. „Guten Tag, Kazukawa-san“, lächelte Aya. Und Schuldig fiel in diese Begrüßung mit ein, trat denselben Gang wie Ran ein, und stellte sich halb seitlich halb hinter ihn. Schuldig war schon gespannt darauf wann sie endlich wieder fahren würden, denn ihm sagte dieses Schwiegersöhnchenvorgestelle ganz und gar nicht zu. Er fühlte sich schlicht unwohl, so begafft, so interessiert beglotzt und vor allem so angelächelt zu werden. Er hatte es nicht umsonst in der Vergangenheit vorgezogen zunächst bewundert zu werden, nur um danach diese Bewunderung aus den Köpfen zu löschen. Dennoch wusste er um seine Manieren. Er stellte sich also brav und wie es sich gehörte vor und fügte noch an, dass er derjenige gewesen war, der das Haus gekauft hatte. „Ein Glück, dass Sie ausgerechnet dieses Haus gefunden haben!“, kicherte die ältere Frau und Aya fragte sich, ob Schuldig sich bewusst war, dass er die Tochter der Kräuterfrau bereits vollkommen in seinen Bann gezogen hatte. Auch wenn Aya den Widerwillen, den Schuldig hier empfand, beinahe greifen konnte. Es war auch nur zu verständlich…sicherlich wollte Schuldig schnell nach Hause. Nach Schwarz. Zu Crawford. „Das ist wohl wahr“, entgegnete Aya anstelle von Schuldig und ging dann mit einem Lächeln zu einem der Regale mit den Wasserflaschen. Sie brauchten noch welche für die Rückfahrt. „Aber wir müssen leider schon wieder fahren. Die Arbeit ruft!“ Kazukawa seufzte. „Wie schade…aber Sie beide beehren uns doch bald wieder, oder?“, fragte sie mit einem Hoffnungsschimmer in der Stimme, der es Aya schwermachte, zu lügen. Trotzdem nickte er und bezahlte währenddessen die Wasserflaschen. „Immer dann, wenn wir Zeit haben“, nickte er schließlich. „Sagen Sie, wissen Sie, wo wir Todai-san finden?“, fragte Aya…die letzte Station ihrer kleinen Abschiedstour und die Frau nickte eifrig. „Er hat dort hinten ein kleines Haus.“ Sie zeigte auf die Straße und dann nach rechts. „Dort ist er meistens, wenn er nicht irgendwelche Erledigungen hat.“ Aya bedankte und verbeugte sich, bevor sie beide sich von der Tochter der alten Kräuterfrau verabschiedeten und sich auf den Weg zu Todai-san machten. Draußen vor der Tür atmete Schuldig auf. „Oh man“, murmelte er verdrossen und zog ein verkniffenes Gesicht. „Ich mag so etwas gar nicht.“ Warum auch immer. Er fühlte sich, als wäre er gerade auf Herz und Nieren geprüft worden. Vielleicht lag es daran, dass er sich hier sehr wohl fühlte und er sich im Haus auch sehr wohl gefühlt hatte. Alles hatte hier einen gewissen Familiencharakter und einerseits war es ihm zuwider, andererseits musste er sich selbst eingestehen, dass ihm so etwas fehlte und dann wieder …wollte er nur weg von hier. Es war nicht so, dass er sich anlügen müsste um zu verdrängen, dass er Angst hatte diesen Leuten zu nahe zu kommen. „Wir sind bald fertig, nur noch Todai-san, dann fahren wir nach Hause“, murmelte Aya liebevoll und warf einen Blick in das gestresste Gesicht des Deutschen. „Sie sind eben alle neugierig auf uns…und auf dich. Du bist quasi ein Blickfang.“ Aya lachte leise. „Ja, das befürchtete ich auch“, seufzte Schuldig und korrigierte seine Mimik, auf freundlich ausdruckslosen Modus um die Sache schnell hinter sich bringen zu können. Er war einfach nicht in der Stimmung für eine harmlose Plauderei. „Ach, Ran…“, hielt er Ran auf und sah in das aufmerksame Gesicht seines Mannes. Hach, das klang doch schon wieder aufmunternder, lobte er seine eigenen Gedanken. „Todai… meinst du es wäre gut, wenn der Alte zusätzlich zu seiner sonstigen Arbeit noch deinen Garten macht? Er hat’s nicht so leicht mit seinem Rücken. Er würde nicht ablehnen, aber ich weiß nicht, ob wir ihn überhaupt fragen sollten, eben deshalb.“ Verwundert bedachte Aya Schuldig mit einem schweigenden Blick. Da war der Telepath doch schneller als gedacht infiltriert worden von der Dorfgemeinschaft, wenn er sich nun um einen Rücken eines Mannes Gedanken machte, den er noch nie persönlich kennen gelernt hatte. „Nein, wir sollten ihn nicht fragen. Unseren Garten machen wir selbst…oder vielmehr ich werde ihn dann im Frühling trimmen, während du dich faul auf der Veranda pfläzt.“ „Echt? Ich darf? Ich muss nicht irgendwelche Lakeienarbeiten machen, wie Äste absägen oder Unkraut jäten?“ Schuldigs Miene hellte sich etwas auf beim Gedanken daran, dass er es sich gemütlich machen konnte. „Du darfst? Du wirst, so wie ich dich kenne. Aber du wirst mich natürlich mit deiner liebreizenden Anwesenheit beehren und mich schon so unterstützen.“ Aya zog sich den wollenen Überwurf enger. Trotz der Sonne war es doch recht kalt. Aber wenigstens lag das Dorf hell erleuchtet vor ihnen, sonnig und wie aus einem Historienfilm entsprungen. Das hatte Schuldig wirklich gut gemacht…es war ein wertvolles und wundervolles Geschenk an ihn. Sie waren vor Todais Haus angekommen und Aya klopfte an die Tür. Es dauerte ein Weilchen bis der alte Herr die Tür öffnete. Es hatte etwas Fragendes an sich wie er aus der Tür trat und sie begrüßte. Ran schien er sofort zu erkennen, bei Schuldig konnte dieser etwas Neugierde aber auch …seltsamerweise so etwas wie das Zusammenfügen zweier Puzzleteile. Hatte sich Ran mit Todai über ihn unterhalten? „Fujimiya-san…schön, Sie zu sehen“, sagte der Alte und verbeugte sich leicht. Aya erwiderte diese Geste. „Todai-san, darf ich Ihnen vorstellen, das ist Roswell-san“, benutzte er Schuldigs Tarnnamen, für den es später noch ein Donnerwetter geben würde. „Ich muss zugeben, dass er die Familie ist, über die wir uns unterhalten haben, als Sie bei uns oben waren.“ Ein entschuldigendes Lächeln traf auf einen fragenden und prüfenden Blick, der über Schuldig glitt und Aya hatte innerlich wirklich Angst vor dem, was als nächstes kam. „Todai-san“, begrüßte Schuldig den alten Kauz - wie er ihn schon einmal bezeichnet hatte - vorbildlich und stellte sich als denjenigen vor, der das Haus gekauft hatte. „…und deshalb werde ich wohl besser auf die Beschreibung des Käufers passen, als Ran“, erklärte er die Umstände soweit er sie erklären wollte. „Ich möchte mich noch einmal für die Holzlieferung bedanken.“ Ein Schmunzeln begleitete diese Worte und Todai nickte bedächtig. Nicht, dass er von der alten Kazukawa nicht schon gehört hätte, um wen es sich dort handelte, nein, doch ihn mit eigenen Augen zu sehen, den stattlichen Ausländer, das war etwas ganz Anderes. Und ja, er passte wirklich besser in diese Beschreibung. „Hat es Ihnen denn oben gefallen?“, fragte er explizit an den großgewachsenen, ihn um zwei Köpfe überragenden Ausländer. Neugierig war er schon etwas. „Ja, sehr“, schwärmte Schuldig und seine Augen leuchteten einen Tick heller. Er war froh, dass er dank …Kitamura so gut japanisch sprechen konnte. Schnell verdrängte er diesen Gedanken daran, der immer wieder aufkam, sobald er an seine Anfangszeit und an die Sprachschwierigkeiten denken musste. Alles war miteinander vernetzt und irgendwie hing immer Kitamura mit in diesem Netz. „Es ist in sehr gutem Zustand, aber der Garten benötigt noch ein kundiges Händchen und das Haus ist noch sehr leer, das werden wir sehr bald ändern, bei unserem nächsten Besuch.“ „Soll ich Ihnen beiden in der Zwischenzeit etwas behilflich sein mit dem Garten? Nicht, dass er komplett verwildert ist, wenn Sie wiederkommen?“ Doch Aya schüttelte nur den Kopf. „Das Angebot ist sehr nett, Todai-san, aber da ich ein Faible für Pflanzen habe“, log er, dass sich die Balken bogen, „würde ich das gerne selbst übernehmen.“ „Ein Pflanzenkenner also?“ Aya nickte beflissen. Konnte man so sagen. Wenn auch nur zur Tarnung. Aber er kannte sich aus. Ran…Ran, seufzte und tadelte Schuldig innerlich. Denn da sah er doch glatt, wie die Pinocchionase länger und länger wurde. Es reizte ihn schon sehr, Todai-san auf die Nase zu binden, wie sehr seine heimischen Pflanzen unter der schändlichen Missachtung des hochwohlgerühmten Fachpflanzenexperten litten. Aber Schweigen war in diesem Fall mehr als nur Gold wert… „Wissen Sie, ich könnte Stunden damit verbringen, unsere Pflanzen zu pflegen. Ein Garten ist da etwas Wundervolles.“ So, damit dürfte gesichert sein, dass sich Todai nicht zu sehr anstrengte, befand Aya und nickte. Unauffällig jedoch schnupperte er. Es roch gut aus diesem Haus, nach Essen, nach Tee, nach Räucherstäbchen. Eine alte, aber heimelige Mischung. „Wem sagen Sie das? Außerdem hält er jung“, lachte Todai und Aya grinste mit ihm. Na da waren sich zwei aber einig, bemerkte Schuldig. Es war aber etwas anderes, das ihm erneut auffiel, aber jetzt stärker als zuvor. Ran grinste. Er freute sich einfach so mit anderen Menschen, fremden Menschen. Er führte ein normales Gespräch, mit stinknormalen Leuten und grinste. Schuldig empfand dies als Fortschritt und ein sanftes Lächeln spielte um seine Mundwinkel, als er den beiden beim Palavern zuhörte. Was die beiden auch ausgiebig taten, bis sie sich verabschiedeten und Schuldig nun wirklich von der Last der Vorstellungsrunde erlöst war. Obwohl er sich gar nicht mal schlecht geschlagen hatte… „Ich bin stolz auf dich, du hast dich exzellent geschlagen“, lobte er, als sie in das Auto stiegen. In seinen Wagen, der bald nicht mehr seiner sein würde. Wehmut beschlich Aya. Der Killer in ihm begrüßte es, den Wagen loszuwerden. Viel zu auffällig war er. Der Teil in ihm, der einmal Ran gewesen war, wollte das Gefährt nicht aufgeben. „Jajaa, das sagst du nur so um mich einzulullen“, meinte Schuldig in dem Ton, in dem man sagt: Ich weiß, dass es keinen Weihnachtsmann mehr gibt, also lass die Geschenke rüberwachsen, Oma. Möglichst gelangweilt, möglichst oberschlau. Aber er sah dieses kleine sanfte Streicheln, welches Rans Hand vollführte, bevor er einstieg, dieses klitzekleine längere Verweilen der Hand auf dem Autodach. „Sag mal …Pinocchio…seit wann kannst du so gut lügen?“, fragte er nun wirklich interessiert an Rans schauspielerischen Talenten. Er schnallte sich an und wandte sich ganz Ran zu, sah ihn fragend an. „Es gab da einen Zeitpunkt, da habe ich jemanden kennen gelernt. Näher kennen gelernt, sozusagen. Bei diesem jemand habe ich mir manche Dinge abgeschaut, weil sie mir als praktisch erschienen. Außerdem stimmt es doch, ich BIN nun einmal Florist! Und dass du DEINE Blumen gnädigerweise, vor allen Dingen noch im stummen Einverständnis mir überlassen hast…“ Aya hob eine Augenbraue. Nicht, dass er Pflanzen hassen würde wie die Pest. Sie waren schön anzusehen. Pflegen…musste er sie nicht freiwillig. „Jetzt hör mal, ich dachte du seist Florist mit Leib und Seele und ich meine …der Bonsai, der gehört schließlich dir. Und jetzt schau du dir das kümmerliche Etwas da mal an. Nur noch Stängel, weit und breit kein Blatt mehr dran“, meinte er in gutväterlichem Tonfall. „Ich übe mich noch in der Pflege dieses mir angetragenen Gewächses! Ich bin schließlich nicht freiwillig zu diesem Bäumchen gekommen, es war irgendwann einmal da! Außerdem…es gibt durchaus Zyklen, wo Bonsais ihre Blätter verlieren“, schimpfte Aya vor sich hin, während er losfuhr und sich langsam die Straße aus dem Dorf zur etwas größeren Landstraße hinunterschlängelte. „Du wolltest …ihn.“ Schuldigs Gesicht fiel in sich zusammen und es bahnte sich ein ausgewachsenes Schmollgesicht an. Aber er konnte nichts dafür… es passierte einfach. Aya kam sich etwas dumm vor mit der Windschutzscheibe zu sprechen, doch eine andere Wahl blieb ihm nicht, wenn er keinen Unfall bauen wollte. Doch der Ton des Telepathen ließ ihn einen kleinen Blick nach links werfen und ausgiebig seufzen. „Also wenn ich dir jetzt sage, dass ich ihn nur wollte um dich zu ärgern und dir Arbeit zu machen, dann sinken deine Mundwinkel sicherlich bis auf den Boden. Aber ich habe ihn lieb gewonnen, auch wenn ich bisher keine Ahnung hatte, wie ich einen Bonsai zu pflegen habe. Doch man lernt nie aus.“ „Du bist ein schlechter Florist.“ Schuldig betonte das schlecht, als ginge es hier um das übelste Übel, was es auf Erden gab. So richtig schlecht eben. Eine Anklage, genau das war es. Es war klar, dass Schuldig sich nicht wirklich darüber aufregte und es kratzte ihn auch nicht besonders was diesem Gewächs widerfuhr und noch widerfahren würde. Es machte lediglich Spaß ein wenig zu schmollen. Es tat gut, wenn Ran sich um ihn bemühte. Und gerade jetzt fragte sich Schuldig, wer hier schlecht war… und er wusste mit Sicherheit, dass es nicht der Bonsai und auch nicht besagter Florist hier waren… Aya ließ diese Worte ein paar Meter lang auf sich wirken, setzte schließlich den Blinker und fuhr an den Straßenrand. Er schaltete den Motor aus und drehte sich langsam zu Schuldig. Die Augen ruhig, ja gar beherrscht und Schuldig bannend, fragte er gemäßigten Tones: „Hast du gerade gesagt, ich sei ein schlechter Florist?“ Schuldig dagegen sah die Katastrophe kommen, wusste aber nicht, ob Ran seine Meldung, zugegeben seine unqualifizierte, aber dennoch sehr emotionale Äußerung, ernst genommen hatte oder …vielleicht …nicht… die Hoffnung starb ja bekanntlich zuletzt. Schuldig wandte sich nicht zur Seite, sondern schickte erst einmal die Augen vor, die sich nach rechts samt nachfolgendem Kopf drehten. „Äh…“ …er entschied sich für …für … „Nein?!“, hakte er nach und lächelte vorschriftsmäßig dümmlich. Marke: Ich bin dumm… ich muss gefördert werden, schlag mich nicht! „Weißt du, was du mir damit antust?“, brach sich der Stress von unzähligen Jahren der Knechtschaft im Blumenladen die Bahn. „Weißt du, was du mir sagst? Du sagst, dass ich ALL die Jahre voller Gekreische, von dem mir abends die Ohren geklingelt haben, von dem ich nachts Alpträume hatte, all die Jahre Pflanzen pflegen und hegen, sich um die Rosen kümmern UND die Orchideen…Blumengestecke anfertigen und diszipliniert arbeiten…weißt du, was du da gerade gesagt hast?“ Ayas Stimme stand kurz vorm Zetern, aber nur ganz kurz. Okay, jetzt war der Zeitpunkt günstig für ein ganz liebes Gesicht. Eines, dem man nicht widerstehen konnte. Einem geknickten kümmerlichen Etwas, mit dem Hauch einer Sorgenfalte und dem Ausdruck von großem Schuldbewusstsein. „Ra~an“ Die passende, total verständnisvolle Stimme eines Psychotherapeuten durfte natürlich nicht fehlen. „Bist du dir ganz sicher, dass es gut ist sich so aufzuregen?“ „Ja!“ Ein inbrünstiges, überzeugtes Ja ertönte Schuldig hier entgegen, aus vollster Brust geschmettert. „Mit diesem einen Satz negierst du all die Qualen, all das Leid, das ich in diesem kalten, noch Blumen riechenden Blumenladen mit beinahe kaum mehr vorhandenem Gehörsinn ausstehen musste und sagst mir, dass ich das für NICHTS getan habe?! Du bist ein solcher Sadist…“ Dem Schuldbewusstsein trat hier das personifizierte Selbstmitleid entgegen. „Stimmt“, meinte Schuldig mit nun - sofort geänderter Mimik - nachdenklich und zog die Stirn in Falten. „Aber …das ist doch nichts Neues, oder?“, fragte er nun doch etwas erstaunt. Es war ein perfekter Schlagabtausch und es tat verdammt gut dass sie ihn gerade jetzt hatten. Bevor es vielleicht ganz schnell sehr unlustig werden konnte in Tokyo. „Stimmt, ich habe es mir ja so ausgesucht. Vermutlich kann ich nicht ohne ein wenig Sadismus in meinem Leben“, grimmte Aya. „Vielleicht sollten wir beide in Tokyo einen Blumenladen eröffnen…es fehlt mir vielleicht. Nein, ganz sicher sogar. Aber ich vergaß, du verdienst dir deine Brötchen ja hart als Friseur!“ Hatte sich Aya doch just an ihr damaliges Treffen erinnert. Jetzt musste Schuldig wirklich lachen und durchbrach somit ihren Schlagabtausch. Er hatte Tränen in den Augen als er zu Ran hinüberblickte. Gern hätte er ihn jetzt Blumenkind genannt, aber er verkniff es sich. „Da lacht die Koralle….“, zitierte er grummelnd einen von Youjis Sprüchen und startete den Wagen, fädelte sie beide wieder in den Verkehr ein. Da hatte jemand wirklich gut lachen, verdammt…das waren harte Jahre gewesen in dem Blumenladen. „Hey“, sagte Schuldig, sanft um damit zu besänftigen, nachdem er seinen Lachanfall ausgekostet hatte und schmuggelte seine Hand auf Rans Oberschenkel, beließ sie dort und blickte in die Gegend durch die sie fuhren. „Hast du denn eine Lieblingsblume?“, fragte er nach einer Weile. „Das gemeine Mauerblümchen. Sehr pflegeleicht“, knirschte es vom halb Besänftigten herüber zu Schuldig. Schuldig lächelte nur zur Antwort und blickte zum Fenster hinaus, zwickte aber Ran in die Innenseite des Schenkels. „Wie wäre es wenn wir anhalten… irgendwo und Blumen kaufen?“, schlug er plötzlich in Gedanken versunken vor. Woraufhin das Auto einen kleinen Abstecher in den Gegenverkehr machte, der zum Glück zu diesem Zeitpunkt ausblieb. Aya wusste im Nachhinein nicht, was es nun gewesen war…der Kneifer oder die Worte, die impertinenten, des anderen Mannes. „Hast du noch einen guten Vorschlag?“, fragte Aya mit klopfendem Herzen. „Sag…kaufen wir nun Blumen?“, fragte Schuldig erneut, wie jemand der in Trance war und monoton das wiedergab, was er in dieser Trance erlebte. Die kleine, blaue Ader an Ayas Schläfe pochte verdächtig laut und stark, als er Schuldig Worte vernahm. Wenn er ein Kessel gewesen wäre, hätte er jetzt schon gepfiffen und das ganz laut. „Ja, Brennnesseln für dich.“ „Und Gänseblümchen für dich!“ Schuldig war aber nicht mehr ganz bei der Sache. Er dachte über etwas nach, über etwas, was …vielleicht jetzt noch wichtig wäre. Er zog vom seitlichen Fach ihre Landkarte heran und suchte nach ihrem Zielort. „Ich stopf dir deine Gänseblümchen sonst wo hin, dann kannst du mal sehen, wo meine kindliche Unschuld geblieben ist!“ Ja, der Schlagabtausch machte Aya Spaß, auch wenn er das Gefühl hatte, nun ein paar graue Haare mehr zu besitzen als vorher. Zumindest die abgestorbenen Zellen dazu. Schuldig lächelte nur wieder. „Wenn ein Blumenladen kommt, halt bitte an“, bat er und meinte dies durchaus ernst. Während Ran sich hoffentlich beruhigte, begann er ihn zurück Richtung Tokyo zu lotsen. „Das meinst du wirklich ernst“, stellte auch Aya nun fest und fuhr schweigend weiter, bis sie schließlich kurz vor Tokyo waren. Bis sie unseligerweise den ersten Blumenladen erreichten, der nicht das Koneko war. Er erwog kurz, daran vorbei zu fahren, hielt schließlich jedoch an. Wehe, Schuldig verarschte ihn. Wehe. Dann wusste zumindest ER, wer alleine nach Hause laufen durfte. Und wie ernst es Schuldig meinte. Er ließ sich von Ran etwas Geld geben und stieg aus dem Wagen aus. In seiner traditionellen Kluft kam er sich nicht nur ein wenig seltsam vor. Er fand auch gleich was er suchte und ließ die Blumen sorgfältig einpacken, bevor er den Laden verließ und wieder in den Wagen stieg. Ein leises Lächeln auf den Lippen. „So und jetzt müssen wir auf den…“, wies er an und begann Ran die Richtung nach ihrem nächsten Ziel zu zeigen. Große, violette Augen hatten vergeblich den verborgenen Schatz auszumachen versucht, der sich seinem Argusblick entzog. So musste er sich notgedrungen auf den Weg machen in Richtung Schwarzhaus, neuem Schwarzhaus, und sich von Schuldig lotsen lassen, der den Weg besser kannte als er selbst. Schuldig lotste …und lotste Ran schließlich dorthin, wo er zuletzt vor einiger Zeit gewesen war Und er fragte sich, wann Ran die Gegend auf dem Weg zu seines Schwester letzter Ruhestätte erkennen würde… Es dauerte noch etwas, bis es Aya auffiel, in welche Richtung sie unterwegs waren. Er brauchte eigentlich sehr lange dafür, aber je mehr er sich sicher war, dass es zum Grab seiner Familie gehen würde, desto beklemmender war das Gefühl, das seine Brust enger werden ließ. „Was wollen wir hier, Schuldig?“, fragte Aya schließlich ernst, ohne jeglichen Spaß in seiner Stimme. „Wir?“, fragte Schuldig sanft nach. „Wir…denke ich nichts. Aber …du vielleicht. Du wirst vielleicht ein wenig mit deiner Familie reden. Erzählen, was so los war die letzte Zeit und ihnen sagen, wie es dir so geht. Und was du dir für die Zukunft so vorstellst. Nichts Besonderes also, nur das was man so sagt, wenn man die Befürchtung hegt, dass man nicht mehr an Orte wie diese kommen könnte in nächster Zeit.“ Er spürte Rans Unbehagen, aber dafür gab es keine Gründe. Es war wichtig, dass Ran diesen Schritt ging, allerdings hatte Schuldig nicht erwartet, dass es Ran erneut so schnell so schwer belasten könnte. Er hatte geglaubt, dass er wenigstens ein bisschen verarbeitet hätte. „Wir können auch umdrehen, Ran. Ich wollte dir keinen Stress machen mit dieser Idee…“, sagte er besorgt und wandte sein Gesicht Ran zu. „Nein, ist schon in Ordnung. Es ist eine gute Idee“, wiegelte Aya ab, wenngleich seine Finger sich um das Lenkgrad gekrampft hatten bei den Worten des anderen Mannes. Mit ihnen reden? Er sprach doch regelmäßig mit ihnen…und jetzt, wo er gerade Schuldig wieder hatte, sollte er sich damit auseinander setzen, dass seine Familie tot war? Er hatte genug Tod erlebt in den letzten Monaten…und war nun endlich dabei, es zu verdrängen, auch Schuldigs Tod zu verdrängen, die Leere, die Hoffnungslosigkeit, die dem gefolgt war. Aya wusste nicht, ob er es schaffte, doch ein Teil von ihm wollte es auch sehen, das Grab. Doch ein Teil von ihm wäre am Liebsten umgekehrt und dieser Teil ließ ihn angespannt am Steuer sitzen. „Bist du sicher?“ Schuldig begriff langsam das ganze Ausmaß der Verdrängung, die Ran in sich losgetreten hatte. Der Telepath spürte fast körperlich, wie Ran innerlich kämpfte. Es war wie ein Schock für ihn. „Ran, soll ich fahren?“, hakte er nach, die Stimme leise. Rans Beherrschung bröckelte langsam. Aya atmete tief ein, ließ seine Atmung innerlich einen Kreis beschreiben, damit er entspannter und ruhiger wurde. Das würde sich hier nicht hoch steigern, er würde verdammt noch mal die Kontrolle behalten. Ein kurzer, versichernder Seitenblick auf Schuldig und er lächelte, schüttelte leicht den Kopf. „Schuldig, es ist alles in Ordnung. Es ist wirklich eine gute Idee, das Grab meiner Familie zu besuchen“, sprach der Teil in ihm, der es wirklich wollte, der nach seiner Familie gierte. Nichts war in Ordnung. Und Schuldig fuhr hart mit sich selbst ins Gericht, dass er Ran nicht auf seine Idee vorbereitet hatte, sondern ihn blind hineinlaufen hatte lassen. Eines war gut daran, er hatte jetzt deutlicher vor Augen gehabt, dass es Ran tatsächlich schlecht ging. Sehr schlecht. „Okay, dann mal los. Die Blumen haben wir ja schon“, lächelte er aufmunternd, auch wenn er in großer Sorge war. Aya nickte lächelnd und fuhr den Weg automatisch bis hin zu dem kleinen Parkplatz, von dem aus er laufen musste um an das Grab zu kommen. Er war den Weg schon so oft gelaufen, viel viel früher sehr oft, hatte sich hier sehr oft Beistand geholt von den Urnen seiner Familie. Seit ein paar Monaten waren es drei gewesen und wenn Schuldig doch gestorben wäre…wenn er der Asche hätte habhaft werden können, hätte er ihn hier bestatten lassen. Aya runzelte die Stirn. Schuldig saß lebend neben ihm, was dachte er da? Aya schaltete den Wagen aus und drehte sich zu Schuldig. „Also für sie…“, sagte er mit einem Blick auf die Blumen. Damals…waren sie durch Takatoris Schuld ums Leben gekommen und Schwarz hatten für den Mann gearbeitet…sie waren nicht direkt am Tod seiner Eltern beteiligt gewesen, aber sie hatten dennoch für ihn gearbeitet. All das schwelte in ihm, hinter seiner ruhigen Fassung. „Ja, für sie. Weil es wichtig für dich ist. Sie sind von deinem Geld. Du hast es dir redlich verdient, mit harter Arbeit, hast du mir erzählt. Das Geld aus deiner Brieftasche war das Trinkgeld aus dem Smile. Du brauchst dir also keine Sorgen machen, dass es schmutziges Geld ist, Ran.“ Er konnte vieles aus Rans Augen lesen, als er das sagte. Ein wenig nahmen sie die Färbung von damals an. Ein wenig kam die Anklage hindurch und noch so vieles andere, was Schuldig in diesem Violett schwer auf sich fallen fühlte. Aya lächelte mit Bedauern in den Augen. „Wärst du in China gestorben…ich hätte dich zu ihnen gebettet“, veräußerte er seine Gedanken von eben. „Wessen Geld…ist doch egal. Sie kommen von dir...von uns. Das ist es, was zählt.“ Ayas Stimme klang nicht rau, noch nicht einmal gepresst, nein, sie klang kontrolliert. Genauestens kontrolliert bis in die kleinste Nuance seiner selbst. „Ist es …schlecht…wenn sie von mir kommen?“, fragte er leise. Schuldig war sich nicht sicher ob er die Worte richtig verstanden hatte, den Sinn des Gesagten. Er war sich nicht sicher ob er das Recht hatte Blumen hier niederzulegen. „Nein, das ist es nicht. Es ist schön, wenn sie von dir kommen.“ Schön und schrecklich, wie sich Aya gestehen musste, denn tief unten in ihm drin brodelte es. Schrie es nach der Erinnerung an die Takatorizeit, an den Hass. Doch das war vorbei und wo sich bei manchen Liebe in Hass verwandelte, war es bei ihnen umgekehrt so gewesen. „Weil sie sich freuen würden, dich kennen zu lernen.“ Ganz leise war das gekommen, nachdenklich und beinahe nicht dazu gedacht, laut ausgesprochen zu werden. Nein. Das war es was Schuldig zuerst dachte. Sie würden sich nicht freuen, Ran. Aber er sagte es nicht, stattdessen schnallte er seine Gurt ab und beugt sich zu Ran, legte seine Hand an dessen Wange und kam dicht mit seinen an dessen Lippen heran. „Shht, Ran. Ist schon gut. Geh jetzt und komm bald wieder. Ich warte hier, okay?“ ^ „Ja, ich beeile mich.“ Ein kurzer Kuss auf Schuldigs Lippen schien wie ein Hauch zwischen ihnen vorbei zu ziehen, bevor auch Aya sich abschnallte und die Wagentür öffnete. Er besah sich schließlich die zwei Päckchen, die dort lagen. „Welches soll ich denn mitnehmen?“ Schuldig besah sich die Päckchen und nahm das linke. „Das hier“, sagte Schuldig und stockte. „Ich denke ich sollte doch mitkommen, wir können nicht mit Sicherheit sagen, dass dieser Ort unseren neuen Freunden nicht bekannt ist.“ Das stimmte und war durchaus möglich, denn wenn Schwarz schon bei einem Auftrag hintergangen worden waren, so war es durchaus möglich, dass auch ihr gesamtes Privatleben bereits bekannt war. Wut erfüllte Aya wie auch Angst. Sie waren alle in Gefahr, Schwarz wie auch Weiß. Sie mussten weg aus ihrem bisherigen Leben, weit weg. „Dann komm mit“, sagte er kurz lächelnd mit dem Blick auf Schuldig und stieg aus, besah sich die stille Umgebung. Was würde sie hier erwarten? Was würde ihn erwarten, denn alles in ihm sträubte sich, zu diesem Grab zu gehen. Es war doch noch zu früh. Er wollte doch nicht schon wieder mit dem Tod seiner Lieben konfrontiert sein. Ein Nicken antwortete Rans angespannten Worten, bevor Schuldig die Sporttasche öffnete und die Waffen herausnahm die oben auf lagen. Er kontrollierte Magazinstärke, während Ran bereits draußen wartete und sich umsah. Schuldig steckte sich eine der Waffen in die Stofffalte seines Yukatas in Höhe seiner Brust und ging um den Wagen herum, reichte Ran die zweite Waffe, die dieser in dem angelegten Holster verstaute. Schuldig besah sich wie Ran die nähere Umgebung, verließ sich dabei nicht nur auf seine Fähigkeiten, ganz im Gegenteil stellte er sie in den Hintergrund und konzentrierte sich auf die normalsterblichen Sinne, die auch jedem anderen auf diesem Planeten als Grundausrüstung zur Verfügung standen. Dabei bemerkte er auch, wie angespannt Ran war. Er war sehr ruhig. Das Holster hatte sich Ran zwar angelegt, aber bei ihrem Rundgang durch das Dorf lieber ohne Inhalt gelassen. Schließlich trug er seinen Anzug und bei diesem konnte eine Waffe schnell gesehen werden. „Gehen wir?“ Nein, tönte es in Aya, doch er nickte nur und ging vor. Er hatte diesen Gang wann das letzte Mal angetreten? Er war trotz des Widerwillens wachsam und kampfbereit, besonders dann, als sie den halboffenen Schrein betraten. Von drei Seiten windgeschützt war die vierte offen für die Angehörigen, um in dem kalten Steinraum zu beten. Er wusste Schuldig direkt hinter sich, als er auf die Grabstätte seiner Familie starrte und spürte, wie sich Druck in seiner Brust breitmachte, der stetig wuchs. Es war kalt hier. Sehr kalt. Schuldig war jedoch nicht mehr direkt hinter Ran. Er hielt sich in der Nähe auf, aber verbarg sich geschickt vor jedem ersten Blick der in die Richtung des Gehölzes gerichtet wurde, welches neben einem anderen Schrein wuchs. Einem zweiten Blick hielt sein Versteck nicht stand, aber es reichte, damit er jemand der ihnen nichts Gutes wollte von ihm zuerst bemerkt wurde. Und er konnte Ran einigermaßen gut sehen. Schuldig verhielt sich wie ein Bodyguard, der er früher einmal gewesen war. Zugegeben damals für Takatori, heute für Ran. Der Himmel war weiß und die Wolken hingen tief. Es war kalt und Schuldigs Atem kondensierte in der kalten Luft. Ran war in dem Schrein und Schuldig wartete. Fortsetzung folgt… Vielen Dank für’s Lesen. Bis zum nächsten Mal! Gadreel & Coco Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)