Der Glasgarten von Gadreel_Coco ================================================================================ Kapitel 89: Schuldig, das Scheidungskind ---------------------------------------- ~ Schuldig, das Scheidungskind ~ Brad hob eine Braue. „Wenn ihr wollt, könnt ihr bleiben.“ Sein Blick ging zu Ran hinüber, der sich in der Nähe seiner Teetasse aufhielt. „Kommt ins Wohnzimmer, dort ist es wärmer“, sagte er ruhig und verließ die Küche in Richtung Arbeitszimmer. In diesem Haus hatte er ein Arbeitszimmer in Verbindung mit Nagis Arbeitszimmer eingerichtet. Sie konnten die Trennwand wegschieben und hatten ein großes Zimmer um sich besser abgleichen zu können. Schließlich wussten sie immer noch nicht, wer hinter ihnen her war. Sie folgten dem Vorschlag des Amerikaners und Aya ließ sich auf die Couch nieder, die schon samt Tisch hier stand. Schuldig tat es ihm gleich und der rothaarige Japaner hatte den Eindruck, dass Schuldig in den nächsten Sekunden einfach einschlafen würde. Nagi kam schließlich ebenso zu ihnen wie Crawford auch und so saßen sie auf der Sitzgruppe…die Stimmung hatte sich allerdings mitnichten geändert. Aya verschränkte die Arme und setzte seinen Tee auf einen Unterarm. Seine Augen schweiften zu Crawford, dann wieder zu Schuldig. „Wo ist Jei?“ Schuldig zog die Beine auf die Couch, soweit es der Yukata zuließ und lehnte sich seitlich an die Rücklehne der Couch. „Habt Ihr die Sachen gut untergebracht? Das Räumungskommando?“ Brad enthielt sich, da er den Sake in die zwei Schalen verteilte. „Jei ist oben. Er gewöhnt sich an dieses Haus…und er hat die Katze bei sich“, antwortete Nagi und beruhigte Aya somit eher unwissentlich, denn der rothaarige Weiß wusste die Kleine in sicherer Obhut. „Das alte Haus ist leer…es ist nichts mehr vorhanden. Wir haben ihnen dafür unseren Fuhrpark geboten.“ Ein kurzes Lächeln huschte über Nagis Lippen und Aya fühlte Sympathie für den jungen Mann. Ja…auch er hatte sein Gefährt abgegeben. Gerade eben. „Ein paar Dinge haben wir auch mit hierhin genommen, aber nur wenige.“ „Können wir die Jungs auch für meine Wohnung anfordern? Sie können meinen Fuhrpark von mir aus auch haben“, brummte er müde und nahm den gereichten Sake von Brad an sich, nickte ihm zu, aber so recht konnte er den Blick nicht lange halten. Brads Gesicht schien ihm anders als vorher. Oder war es nur, weil er Dinge wusste, die er nie hatte wissen wollen? „Ja, wir haben ihnen gesagt, dass der Deal für ein weiteres Objekt gilt. Sie warten lediglich auf meinen Anruf.“ Brad nahm einen Schluck Sake und ließ seinen Blick wieder über Schuldigs Kleidung schweifen. „Die Schlafzimmer sind oben. Es stehen nicht überall Betten darin. Wir haben nur vier. Es macht euch sicher nichts aus, in einem zusammen zu schlafen“, sagte er ruhig, obwohl er die kleine Spitze nicht ganz verhindern konnte. Es war mehr als eine Spitze, es war ein Vorwurf und Ayas Blick verfinsterte sich. Waren sie also wieder zurück zu ihren alten Gewohnheiten gekommen? Doch bis ins Letzte konnte Aya dem anderen Mann nicht böse sein, denn er verstand dessen Zynismus, verstand dessen Schmerz. „Nein, macht es uns nicht. Dir?“, fragte er trotzdem, genau in diesem Moment wissend, dass er provozieren wollte, dass er eine Reaktion vom anderen bekommen wollte. „Ich habe Informationen über die Gegner und ihre Vorgehensweise“, kam jedoch Nagi einer etwaigen Reaktion von Brad zuvor. Nach einem Blick auf den Amerikaner hatte er nämlich beschlossen, das Gespräch in eine etwas andere Richtung zu lenken. „Es sind nicht viele, sehr dürftig, aber es sind schon einmal Informationen.“ Schuldig hatte sein müdes Haupt, das nach dem einsamen Schluck Sake noch müder geworden war, auf der Rücklehne gemütlich abgelegt und die Augen ein wenig ruhen lassen. „Klasse! Ging ja schnell, lass mal hören“, öffneten sich die blauen Augen und Schuldig signalisierte völlige Wachheit. Er versuchte es zumindest, aber die Müdigkeit zog wie Blei an seinen Augenlidern. Brad, der die Informationen bereits kannte, ließ seinen Blick wieder auf Schuldig zum Ruhen kommen, eine Braue skeptisch erhoben. „Was ist mit ihm? Eine simple Grippe…“, ließ er die Frage offen, ob da noch mehr im Raum stand. Er wandte seine Frage an Ran. Schuldig dagegen nervte es ein wenig, dass Brad über ihn mit Ran sprach, sagte jedoch nichts dazu. „Er hat sich durch mein Verschulden verkühlt, kurz nachdem er von der Grippe genesen ist“, erwiderte Aya und lächelte Schuldig liebevoll entschuldigend an. Crawford hatte ein Anrecht darauf, es zu wissen, fand er. Auch wenn Schuldig das nicht so sah, wie er bemerkte. „Außerdem war es eine schwere Grippe.“ Nagi wartete an, bis Ran fertig war und setzte dann an, den anderen beiden die Informationen, die sie zusammengetragenen hatten, vorzulegen. „Fakt ist, dass sie sowohl mit Asami als auch mit Feilong Kontakt hatten und sich in diesen Kreisen auskennen müssen. Es sind wohl Japaner vom Aussehen her. Jei sagte, er kann sie nicht lesen, Schuldig kann es anscheinend auch nicht, Brad kann durch sie nichts vorhersehen. So etwas gibt es eher selten und war sehr begehrt als SZ-Forschungsobjekt. Allerdings hat mich meine Suche in diese Richtung nicht weitergeführt.“ Nagi stockte, als Rans Blick in seiner Aufmerksamkeit zu Schuldig glitt, der müde und abgespannt auf dem Sofa saß und die Augen geschlossen hatte. „Ich denke, das sollten wir auf später verschieben, oder?“, fragte der rothaarige Japaner. „Er ist nicht mehr so ganz aufnahmefähig.“ „Doch bin ich wohl!“, behauptete die raue Stimme in die Sofarücklehne hinein und Schuldig hob tapfer den Kopf. Wobei er seine Haare sortierte und seine Wange rieb, da die Abdrücke des Sofas seine Wange zierten. Er räusperte sich und wischte sich über die Augen, blinzelte. „SZ? Hmm stimmt…“, murmelte er. „Vielleicht sollten wir in diese Richtung auch denken. Alte Verbindungen checken. Oder hast du das schon?“ „Noch nicht in umfangreichen Maße, wir hatten schließlich noch einige Dinge nebenbei zu tun“, sagte Brad daraufhin und irgendwie …warum zum Teufel klang alles was dieser Mann sagte wie eine Provokation für Schuldig? Das empfand auch Aya so. „Manchmal ist Ruhe das Einzige, was man tun kann“, entgegnete er an Schuldigs Statt und runzelte missbilligend die Stirn in Richtung Crawford. „Schuldig, du solltest dich wirklich ausruhen. Morgen ist immer noch Zeit für Informationen.“ Aya hatte seinen Ton neutral gehalten, wollte Schuldig nicht den Eindruck vermitteln, dass er ihn bevormundete. Brads Mundwinkel umspielte ein süffisantes Lächeln, als er Rans Blick erwiderte. Während Schuldig gegen Rans Vorschlag aufbegehrte - vermutlich nur der Form halber - machte sich Brad so seine eigenen Gedanken. Eine schwere Grippe hatte Schuldig während ihres Aufenthaltes, wo auch immer, schwer im Griff? Und er hatte es nicht für nötig befunden, anzurufen um ihnen Bescheid zu sagen… Das war früher anders gewesen, schließlich beeinflussten Krankheiten Schuldigs Fähigkeiten zusätzlich. Die Zeiten änderten sich augenscheinlich und Ran bedeutete vermutlich Unabhängigkeit von ihnen… „…gut …ich gehe schon“, murrte Schuldig nur wieder. Er erhob sich und schmollte Ran müde an. Dieses Schmollen sollte sagen: Jetzt komm gefälligst auch mit, wenn du mich schon ins Bett schickst. „Ich zeige euch, wo die Betten sind“, sagte Brad und erhob sich. „Nagi, stell die Downloads fertig und kontrolliere die neuen Kreditkarten.“ „Natürlich“, erwiderte der junge Schwarz und war erleichtert, dieser illustren Runde nun zu entkommen. Irgendetwas war zwischen den Dreien vorgefallen, etwas hatte Brad und Ran wieder weiter voneinander weggetrieben und Nagi wollte gar nicht wissen, was. Er zog sich in sein Arbeitszimmer zurück und schloss die Tür hinter sich. Aya hatte sich währenddessen ebenso von der Couch erhoben und stand nun neben Schuldig. Sein Blick ruhte grimmig auf Crawford. Ja, sie waren wieder dort, wo sie vorher gewesen waren. Vermutlich war das Ganze auch nur ein Auftrag für den Amerikaner gewesen, der nun beendet war, wo Schuldig wieder hier war. Diese Selbstgefälligkeit, mit der Ran dort stand, brachte Brad innerlich auf. Nach außen hin blieb er jedoch gelassen, als er das Licht löschte und voran in das obere Stockwerk ging. „Wir sind noch nicht sicher, ob wir hier bleiben werden, oder nicht doch lieber nach Kyoto umziehen.“ Schuldig bremste kurz auf einem Treppenabsatz und blickte auf zu Brad, der im Dunkel des oberen Flurs verschwunden war. Er ließ sich jedoch nichts anmerken und folgte ihm. Nach Kyoto? Gut, es war keine große Entfernung, dennoch … sie …wären weiter weg… Er schluckte hart und spürte wie bereits Kopfschmerzen hinter seiner Stirn zu pochen begannen. Brad blieb vor einem Zimmer mit geöffneter Tür stehen. „Du kannst dieses Bett haben, im nächsten Zimmer steht noch eins, das kannst du dann nehmen“, sagte er zu Ran.“ Als er ging klopfte er Schuldig einmal in wohl gutgemeinter Gute-Nacht-Geste auf den Rücken, auf die halbe Schulter. „Schlaft gut und nicht zu laut“, lächelte er stygisch und verschwand wieder hinunter. Schuldig hatte die Zähne zusammengebissen als Brad ihm so unverhofft auf die Schulter geklopft hatte. Du verdammtes Arschloch, es ist noch nicht ganz verheilt, gellte es in ihm, doch er schwieg, legte seine Stirn lediglich gegen den Türrahmen. „Ich erwürge ihn. Irgendwann.“ „Ich möchte ihn jetzt erwürgen“, sagte Aya ruhig und dunkel, die Stimme nur einen Steinwurf entfernt vom Grollen. Er kam zu Schuldig und strich dem anderen vorsichtig über die geschundene Stelle, dann über den flammend roten Schopf, bevor er Schuldig an sich zog, sanft aber doch beschützend. Was sollte das? Konnte sich Crawford nicht denken, dass Schuldig noch verletzt war? Nein…vielleicht nicht. Vielleicht wusste das Orakel auch gar nichts davon. „Blödarsch, der meint wohl wir wollen hier ficken, oder was?“, keifte Schuldig unterdrückt und ging ins Zimmer hinein, sah sich in dem kahlen Raum um. Als er seine Bestandsaufnahme gemacht hatte, blieb sein Blick an Rans hängen. „Du musst wegen mir nicht aufbleiben, Ran. Wird wohl schwer werden diese Nacht, wenn wir nicht wie sonst aneinanderkleben können, hmm?“, lächelte er müde und begann sich aus seinem Yukata zu schälen. „Wo hast du eigentlich die Tasche hin?“ „Sie steht noch unten im Wohnzimmer oder das, was mal das Wohnzimmer darstellen soll“, erwiderte Aya. „Ich hole sie gleich.“ …und werde mich mit Crawford auseinandersetzen. Es würde dem Amerikaner recht geschehen, wenn sie hier Sex hätten und er es hören würde. Ganz recht. Doch auch wenn Schuldig gesund wäre, soweit würde Aya nicht gehen. Er besah sich das schmale Bett, das nur für eine Person reichte. Absicht? Sicherlich nicht. „Wie geht es dir, Schuldig?“ „Hundemüde“ …nein das war untertrieben. „Beschissen ist noch geprahlt“, grinste er schräg und setzte sich auf die Kante des Bettes. „Ich brauche die Tasche nur wegen der Schlafklamotten.“ Auch seine Lieblingsklamotten genannt. Es war warm in diesem Zimmer, angenehm, trotzdem brauchte er diese Kleidungsstücke. „Ich bin eben unten“, lächelte Aya und verließ das Zimmer. Im Gegensatz zum alten Anwesen wirkte dieses ungemütlich und kalt, leer gar. Er stieg leise die Treppe hinunter, auf der Suche nach Crawford. Aya wollte es nicht zugeben, doch unbewusst war er enttäuscht von dem anderen Mann. Diese Kälte, dieser Sadismus…er hatte gedacht, es wäre einfach ausgelöscht. Doch anscheinend ließen sich manche Eigenschaften nicht auslöschen. Er machte sich auf die Suche nach der Tasche, nahm sie hoch und stellte sie auf die Couch, sah sich genauer um. Er lauschte auf die Umgebung und sah schließlich, wie Crawford samt Decke durch die Küche ins Wohnzimmer kam. Schweigend erwiderte er den Blick des Amerikaners. Dieser zog zwischen den Falten der Decke das vieldiskutierte Stofftier hervor und warf es Ran zu. „Willst du mir etwas sagen?“, fragte er ruhig und ging an Ran vorbei, die Decke auf der Couch ausbreitend - sein nächtliches Lager für heute. „Außer dass du dich wie ein Arschloch verhältst?“, hielt Aya dagegen und betrachtete sich den Bären in seiner Hand. Hatte Crawford ihn also doch nicht weggeworfen. Hatte er es sich fast gedacht. Nun sollte er also in Schuldigs Besitz zurückgehen. Seine Augen kamen wieder zurück zu Crawford, musterten diesen. Er opferte sein Bett? „Weshalb verhalte ich mich wie ein Arschloch?“, hakte Brad mit leidlich wenig Elan dahinter nach. Seine Frage barg wenig Interesse an der Antwort, sie kündete davon, dass er überhaupt nicht daran interessiert war, mit Ran zu sprechen. Das erkannte auch Aya und er verspürte nun wirklich Lust, den Amerikaner zu erwürgen. „Schuldig kann nichts dafür, dass er wieder lebt. Er kann auch nichts dafür, dass er krank ist. Und für die Spuren seiner Gefangenschaft, der du dich so frei bedient hast, kann er am wenigsten.“ Aya schnaubte abfällig. Plötzlich wurden Rans Worte doch interessant für ihn, auch wenn Brad ahnte, dass diese Bemerkung nur eine Falle war und er würde hineintappen. Er würde hineinlaufen wie der dumme Tor, der er war. „Welche Spuren?“, wollte er alarmiert wissen und im Halbdunkel konnte er nur die Hälfte von Rans Gesicht erkennen. Es war still im Erdgeschoss, lediglich ihr Atem und ihre Bewegungen verursachten leise Laute. Durch diese Stille trat Aya zu Crawford, kam ganz nah an ihn heran. „Hast du wirklich geglaubt, sie würden ihm nichts tun?“, fragte er gefährlich ruhig. Er hatte es auch nicht geglaubt, doch Schuldig hatte es vor ihm verheimlicht…viel zu lange. „Wenn du ihn weiter verletzten willst, dann klopfe ihm ruhig noch ein paar Mal auf die Schulter.“ Es war paradox, wie sie hier standen, denn vor nicht ganz fünf Monaten hatte Crawford ihn gewarnt, Schuldig noch einmal mit der Erinnerung an sein Vergessen zu verletzen. Brad blickte sein Gegenüber für einige Momente ruhig, fast erstarrt an, bevor er sich abwandte und sich in einer unüblichen Geste durch die Haare fuhr. Er wusste nicht, wie er sich Schuldig gegenüber verhalten sollte… oder wollte. „Nein. Ich habe nicht geglaubt, dass sie ihm nichts tun. Ich wollte einfach nur fühlen, dass er da ist. Oder glaubst du, das ich nach eurem schnellen Abgang …glaubst du dass wir das Gefühl haben, dass er wieder hier ist? Hattest du Zeit genug um dir bewusst zu machen, dass er wieder hier ist, ja?“ Verächtlich verzog er die Lippen. „Schön. Ich nicht. Es geht mich auch nichts an. Ich werde es in Zukunft vermeiden“, gab er zurück, die kurz vernachlässigte Kühle langsam wieder in seine Stimme legend. In seinen Augen jedoch spiegelte sich etwas anderes wider. Er verlor langsam die Kontrolle. „Ich habe mich noch nicht richtig daran gewöhnt, dass er wieder da ist. Und ja, ich verstehe dich.“ Das tat Aya wirklich und dieser emotionale Ausbruch hatte ihm etwas gezeigt, das er bisher mit Freude ignoriert hatte. Crawford war auch ein Mensch, hatte auch Gefühle, liebte Schuldig auch, vermisste ihn auch. Das wusste Aya…schließlich hatte Crawford mit ihm gelitten…genauso wie er gelitten, als Schuldig für tot erklärt worden war. Offen erwiderte Aya diesen ehrlichen, schonungslosen Blick, während sich seine Lippen wie von alleine bewegten. „Er weiß, dass ich dir gesagt habe, dass er dich liebt.“ Es war grausame Ehrlichkeit, aber auch ein Geschenk an Crawford…eine Möglichkeit für den anderen, nun mehr daraus zu machen. Brad spürte wie es in ihm kribbelte und als dieses Kribbeln nach außen drang lachte er. Ein leises und dann immer lauter werdendes volles Lachen durchdrang den Raum. „Was hast du dir dabei gedacht? Dass es ihm damit besser gehen wird?“ Er setzte sich hin und schüttelte über so viel Dummheit den Kopf. „Glaubst du, dass es irgendetwas besser machen wird? Nein, das wird es nicht, im Gegenteil. Er wird durchdrehen, über kurz oder lang“, meinte Brad und legte den Kopf in den Nacken, noch immer zirkelte ein Lächeln um die Mundwinkel. „Was willst du damit erreichen? Dass er sich zwischen uns zerreibt? Schuldig wird zwischen uns zerrieben werden, er wird splittern und bröseln wie zerlöchertes Gestein“, wahrsagte er, während seiner Worte ernster, bitterer wurden. Einer von ihnen musste ihn aufgeben. Und verschwinden. Er dachte für einen Moment nach, betrachtete den Bär in Rans Hand und fuhr sich durch die Haare. „Was haben sie mit ihm gemacht? Hat er darüber geredet?“, schwenkt er das Thema um. „Er soll nicht zwischen uns aufgerieben werden!“, fuhr Aya auf. „Er war sowieso am Rand der Verzweiflung, was dich betrifft, was mich betrifft…da war es egal, ob ich es ihm sage. Nun WEIß er, woran er ist, Crawford und du weißt es ebenso! Was ihr daraus macht, ist euch überlassen, aber meinst du, ich kann mir ansehen, wie du eifersüchtig auf ihn losgehst und wie er darunter leidet, nicht zu wissen, woran er bei dir ist oder ob er dich überhaupt kennt?“ Aya schwieg einen Moment um sich selbst herunter zu bringen. Er musste ruhiger werden…und die Gelegenheit nutzte er, als er über die Frage des Amerikaners nachdachte und abwog, was eine Antwort mit sich bringen würde. „Hat er – oberflächlich. Sie haben ihn ausgepeitscht, das ist es, was man zumindest sieht.“ Da war sie gefallen, die Entscheidung und Aya hoffte, er hatte sie richtig getroffen. Ja, die Entscheidung war gefallen. Das musste aufhören. Es musste aufhören. Brad blickte stumpf vor sich hin. Für einen Moment, bevor er sich wieder fing und sich erhob. „Hat er darüber gesprochen?“, wiederholte er. Aya überlegte. „Nein, das hat er nicht. Er hat mir die Verletzungen verschwiegen die ersten Tage, bis ich sie durch Zufall entdeckt habe. Er hat nur gesagt, dass sie ihm sonst nichts getan haben.“ Warum wollte Crawford das wissen? Aya hatte dieser leere Blick misstrauisch gemacht. Das war nicht Crawford, zumindest nicht der eiskalte Crawford, den er kannte. Das war der Crawford, der auch trauern konnte, der litt. „Typisch“, schnarrte Brad und verzog den Mund verächtlich. „Dieser Idiot.“ Brad sah zu Ran auf. „Er muss darüber reden, sonst gerät er wieder ins Ungleichgewicht. Je länger er darüber den Mund hält, desto explosiver wird der Ausbruch werden. Ihm damit auf den Wecker zu fallen ist eine gute Strategie um ihn zum Reden zu bringen.“ Brad lachte leise auf. „Das wird dir sicher nicht schwer fallen…“ „Idiot? Ich glaube kaum, dass Schuldig in seiner momentanen Situation ein Idiot ist“, zischte Aya. Wie konnte Crawford es wagen? Natürlich war es gut, wenn Schuldig darüber sprach, was in China geschehen war…aber es war ebenso verständlich, dass er es nicht tat. „Und was ist überhaupt mit dir? Du bist sein Anführer, ein Freund für ihn, vermutlich sogar mehr, und jemand, der ihm Halt gibt. Zumindest hatte das in der Vergangenheit den Anschein. Dir wird es vermutlich noch viel leichter fallen, ihn zum Sprechen zu bringen!“ Scheinbar hatte Ran das Recht gepachtet, Schuldig mit unschönen Namen betiteln zu dürfen, denn Brad hätte viel gewettet darum, dass der Rothaarige es sicherlich nicht amüsant gefunden hatte, dass Schuldig ihm seine Verletzungen verschwiegen hatte. "Er will nicht mit mir sprechen. Das ist nicht mehr mein Job. Unser Verhältnis war eher kollegialer, nicht wie du anzunehmen scheinst, freundschaftlicher Natur. Du bist es, dem er es erzählen sollte." „Ist es nicht komisch, dass ihr beide, obwohl euer Verhältnis nur kollegialer Natur zu sein schien, nun Probleme damit zu haben scheint?“, fragte Aya lauernd und ließ seinen Blick durch das Fenster schweifen. Es war schon vollkommen dunkel und die Schwärze kroch zu ihnen in das Wohnzimmer, hatte er das Gefühl. „Zumindest er hat gewaltige Probleme damit. Du bedeutest ihm sehr viel.“ So, jetzt hatte Aya es ausgesprochen, hatte es Crawford direkt ins Gesicht gesagt…vermutlich, dass der andere Mann es sofort verneinte. Doch er wusste es besser, er sah Schuldigs Reaktionen. „Er will nicht mir dir sprechen? Oder KANN er nicht mit dir sprechen, weil Kitamura ihn hindert?“ Brad hatte dieser kleinen Ansprache zugehört. Bis zum bitteren Ende. Kitamura drängte sich in ihre Gegenwart, offenbar ließ er selbst nach seinem Tod keine Gelegenheit aus um Dinge zu zerstören. Und wenn Ran Fujimiya noch immer zu Weiß gehören und den guten, braven, mutigen Anführer dieses lächerlichen Vereins mimen würde…dann wäre Kitamura noch da, wo er hingehörte: in die Vergangenheit, in die Vergessenheit. "Wärst du nicht, dann gäbe es Kitamura für ihn nicht. Also halte mir hier keine Vorträge darüber, was gut für ihn ist und was nicht. Es gäbe kein Einziges dieser Probleme." Er spürte, wie ein heißkalter Sturm in ihm zu Toben begann, den er nur schwer aus seinem Blick heraushalten konnte. "Was willst du mir damit sagen, Fujimiya? Und was willst du damit erreichen? Mit diesem: Ich bedeute ihm sehr viel? Wo soll uns das deiner Meinung nach hinführen? Oder plapperst du gern derartige Dinge vor dich hin ohne nachzudenken?" Brad versuchte sich zu beruhigen, doch der andere Mann im Raum machte ihm dieses Vorhaben wirklich schwer. "Er gehört dir, bist du damit nicht zufrieden? Was willst du noch?", fragte er mit Anklage aber auch mit vor Wut leiser Stimme. Ja, was wollte er noch? Ohne ihn selbst gab es Kitamura für Schuldig nicht? Aya glaubte nicht richtig zu hören, doch als er dann begriff, was diese Worte bedeuteten, hätte er sie am Liebsten aus Crawfords Gesicht geschlagen, immer und immer wieder. Wut beherrschte ihn, eiskalte Wut. „Ich bin schuld, dass Kitamura wieder aufgetaucht ist? Dass er verarbeiten kann, was damals geschehen ist? Dann bist du genauso schuldig, ihn Kitamura überhaupt vorgestellt zu haben und als Anführer in dieser Zeit versagt zu haben. Du hast ihn diesem Monster erst ausgeliefert.“ Ruhige, eiskalte Worte, die nur so vor hartem Zynismus trieften. Wenn sie hier einen Schuldigen an der momentanen Situation suchten, dann konnte er mithalten. Aya reagierte auf die Wut, die er in Crawfords Blick las, mit eiskalter Verachtung. „Was ich noch will? Glück für ihn. Wenn das Opfer bedeutet, so nehme ich sie in Kauf. Er liebt mich, das weiß ich. Er wird mich nicht verlassen. Doch du bist auch noch da und dich kann er ebenso wenig gehen lassen.“ Aya lachte bitter auf, höhnisch gar. „Oh…ich habe in letzter Zeit viel nachgedacht. Über dich, ihn, diese ganze, verdammte Situation. Und der Einzige, der sich hier querstellt, bist du. Der Schuldig wo es nur geht von sich wegstößt. Und dabei ist Schuldig in China bei dem Versuch, dich zu retten, gefangen genommen worden. Aus Kollegialität natürlich“, spottete Aya, die Hände zu Fäusten verkrampft. SZ waren daran schuld, nicht er. Er hatte Schuldig zu seinem Folterer und schlussendlich zum Schafott geführt, aber er hatte nicht den Befehl dazu erlassen. Nein, er nicht. Brad sagte sich das immer wieder, doch er sprach es nicht laut aus. Wie lange hatte er sich mit diesen Vorwürfen herumgeschlagen. Er hatte es satt. Was musste er tun um dies alles abzustellen? Um diese Schuld, die ihm anhaftete wie ein übler Gestank, nicht mehr ständig in Schuldigs Gesicht abzulesen? Denn es war doch die stumme Anklage, die er in den Augen lesen konnte…oder? "Worauf zum Teufel willst du hinaus, Fujimiya?" wurde Brad zorniger und seine Stimme schärfer. "Hast du vor deine Seite des Bettes zeitweise an mich abzutreten, oder was soll all das Gerede um das Querstellen...?" Ein Stockwerk weiter oben jedoch war es sehr leise geworden. Schuldig war nach einer Katzenwäsche unschlüssig im Flur gestanden und hatte gerade in sein karg eingerichtetes Domizil für diese Nacht gewollt, als die Stimmen im Erdgeschoss lauter geworden waren und er aus perfider Neugierde inne gehalten hatte. Doch jetzt stellte sich heraus, dass dies keine gute Idee gewesen war, denn was er dort hörte war zwar vorausschaubar gewesen aber auch . Es tat weh. Es tat weh Ran und Brad so über ihn sprechen zu hören. Die Worte waren unterbrochen, aber die beiden sprachen mittlerweile so laut, dass er sie gut hören konnte. Dort stand er also mit seinem Mickey Mouse Shirt, seiner schwarzen Cordhose mit den vielen Fusseln und einer Schmusedecke und hörte den beiden Erwachsenen zu, wie sie über das unfolgsame Kind debattierten. War er so unmündig geworden? Es hörte sich fast so an. Schwach war er. Körperlich schwach und Seelisch labil, nicht entscheidungsfähig, nicht stark. Aber so fühlte er sich nicht. Mit Ran in seinem Leben hatte sich etwas verändert. Das stimmte. Und er war mehr eingebunden, hatte Gelegenheit und auch Lust sanfter zu sein. Warum hörte sich das bei den Beiden so an als wäre er…unfähig? Er wusste, dass er Wut empfinden sollte. Aber er war schlicht zu fertig dazu. Das Einzige, was er in sich fühlte, war Müdigkeit und eine große Portion Resignation. Schuldig lehnte wie betäubt an der Wand und hörte zu, wie die beiden im Erdgeschoss ihn hin und her schoben, wie ein Kind in einem Scheidungskrieg. Wie auch Crawford war sich Aya nicht bewusst, dass derjenige, über den sie sich so erhitzt stritten, bereits alles hörte, was zwischen ihnen fiel. Doch Aya wollte nur, dass es Schuldig gut ging. Mit dem Wissen, dass Crawford ihn wollte und es nun wusste, dass er vielleicht ebenso wollte, ging es Schuldig aber nicht gut. Aya wollte das nicht, Aya wollte Schuldig nicht unglücklich sehen und es war doch seine Aufgabe, den ersten Schritt zu tun, denn anscheinend war er für Schuldig der Grund, eben nicht mit Crawford anzubandeln. Unter anderem…aber wenn er eben dieses Hindernis doch auslöschen konnte? „Ich habe dich als widerliches, arrogantes, sadistisches Arschloch kennen gelernt“, erwiderte Aya kalt. „Als Schuldig angeblich tot war, habe ich eine andere Seite gesehen, eine MENSCHLICHE. Ich werde meine Seite niemals für dich räumen. Aber wenn du genauso menschlich zu Schuldig bist wie zu mir in diesen zwei Wochen, so bin ich der Letzte, der nein sagt. Mögen muss ich es garantiert nicht, aber wenn Schuldig es will, stehe ich ihm nicht im Weg.“ Menschlich. Aya schnaubte innerlich. Ja, Crawford war menschlich gewesen durch seine Trauer. Und jetzt? Verbittert wie ein alter, verlassener, einsamer Mann. Nur, dass er genau das auch war. Brad lachte auf und verfiel dann in ein leises Lachen, bevor er sich auf die Lehne der Couch setzte und Ran anblickte. „Du willst ihn mit mir teilen? Wie großzügig von dir. Wie überaus großzügig“, sagte er und schüttelte ungläubig den Kopf. „Und schon wieder muss ich mich fragen, wer von uns beiden der Zuhälter ist. Vielleicht solltest du deine neuen Ideen zuerst mit Schuldig besprechen, bevor du ihn mir so großzügig anbietest.“ Brad erhob sich. Aya trat einen Schritt zurück, dann noch einen. „Keine Sorge, ich habe nicht vor, Schuldig zu verschachern oder ihm irgendjemanden anzubieten“, sagte er grollend und drehte sich um. Er hatte genug Crawford für heute, genug Arschloch in einer Portion Mann. Wütend stieg er die Treppe hinauf und blieb wie angewurzelt stehen, als er jemanden dort stehen sah. Sein Herz setzte einen Takt aus, als ihm bewusst wurde, dass es nicht Nagi war, auch nicht Jei. Verdammt. Seine Augen begegneten denen des Telepathen stumm…ja, vielleicht auch schuldbewusst mit einem Male. Schuldig sah langsam hoch und lugte zwischen den Haarsträhnen hindurch wie jemand, der eine Mordslust hatte, wütend zu werden. Seine Augen waren schmal und dunkel. Ebenso dunkel wie es hier im Flur war. Schuldigs Lippen hatten sich zu einem schmalen Strich verjüngt und er starrte. Starrte Ran schweigend an. „Du hast es also gehört?“, fragte Aya, zugegeben recht überflüssig, da alleine schon Schuldigs Augen von einer Wut sprachen, die er schon lange nicht mehr gesehen hatte…eigentlich noch nie ihm gegenüber. Er hatte es doch nur gut gemeint… Das sah er in dieser Wut aber nicht. Vermutlich war es auch das Falsche gewesen, doch er wollte Schuldig nicht in sein Unglück rennen lassen, nicht nachdem, was geschehen war. Nicht, nachdem er beinahe tot gewesen war. Schuldigs Blick lag immer noch schwer auf Ran als er nach hinten griff und die Tür zu seinem momentanen Zimmer öffnete und wartete bis Ran eintrat. Er wollte diese Tür zwischen Brads Ohren und seinen Worten wissen. Aya betrat schweigend das Zimmer und spürte, wie ein schweres Gewicht sich auf seinen Schultern breit machte. Er ging zum Bett und ließ sich darauf nieder, die Augen auf Schuldig gerichtet. Die Tür wurde von Schuldig geschlossen und er wollte etwas sagen, doch er wusste im ersten Moment nicht wo er anfangen sollte. Und dann sah er die Zeichen. Zeichen der Schuld. Ran setzte sich. Er begab sich in die Büßer-, in die Sünderrolle. Er sah zu ihm auf. Machte sich kleiner. „Was machst du da, Ran?“, fragte Schuldig mit dunkel aufgerauter Stimme. Es war nicht nur Wut, es war auch Müdigkeit die sie so werden ließ. „Was ist los mit dir?“ „Ich will dir helfen glücklich zu werden“, erwiderte Aya schlicht und ebenso schlicht war seine Körperhaltung. Er hatte die Hände neben sich auf der Matratze, angespannt aber nicht abwehrend, nicht vor sich gehalten. „Aber irgendwie…geht das daneben.“ Es war diese simple Ehrlichkeit, die Schuldigs Inneres wieder zur zuvor herrschenden Resignation zurückführte. Sein Blick wurde weicher und er … er spürte wie er lächelte. Ein trauriges Lächeln, das Ran erreichte. Ein Lächeln, welches ältere Menschen jüngeren schenkten, wenn diese große Töne vom Leben spuckten. „Man kann nicht alles im Leben haben, Ran. Sei nicht so ein verdammter Samariter. Ich bin mit dir glücklich. Brad wird jemand anderen finden. Und Brad und ich werden uns nach einer gewissen Übergangsphase wieder einkriegen.“ Nun fand zumindest Ayas rechte Hand ihren Weg zu seinem Gesicht, als er sich über die Augen fuhr, mehr in einer verzweifelten als in einer müden Geste. Es wäre schön, wenn es so käme, denn eigentlich wollte er Schuldig mit niemandem teilen, schon gar nicht mit diesem selbstgerechten, arroganten Wahrsagerarschloch. Doch irgendetwas in Aya zweifelte an Schuldigs Worten. Irgendetwas glaubte diesem Frieden nicht. Dieses Irgendetwas hatte einfach zuviel Negatives erlebt um kein Pessimist zu sein. „Ich hoffe, dass es so sein wird“, sagte er und ließ die Hand sinken, richtete den Blick wieder auf Schuldig. Ein guter Samariter. War er das wirklich? „Habe ich irgendwann seit diesen Monaten den Eindruck erweckt, dass ich heimlich Brad bevorzugen würde? Oder hattest du das Gefühl, dass ich nicht glücklich mit dir wäre?“ Schuldigs Blick war forschend, sein Gesicht zeigte jedoch nichts von seinen Gefühlen. Rein gar nichts. „Nein, hast du nicht. Aber das war auch nicht das, was ich gemeint habe.“ Ayas Kiefer knirschten unter der Wucht der Kraft, mit der er sie aufeinander mahlte. „Du bevorzugst ihn nicht und du bist mit mir glücklich. Aber hättest du etwas dagegen, auch mit IHM glücklich zu sein, also mit mir und ihm?“ Mit uns beiden wäre die kürzere Variante gewesen, doch Aya weigerte sich selbst in Gedanken, Crawford ihn sich selbst so zu betiteln. Schuldig sah Ran scharf an, wandte den Kopf zur Seite und ging auf das Bett zu. Er ließ die Decke darauf fallen und setzte sich neben Ran. „Glaubst du, mir würde dein Glück nicht am Herzen liegen? Meinst du ich will, dass du mich mit jemandem teilst, den du nicht ausstehen kannst? Meinst du, ich will,l dass du mit jemanden zusammen bist, dessen Herz zweigeteilt ist? So etwas schmerzt. Ich will das nicht.“ Aya runzelte grübelnd die Stirn und dachte für eine Weile über die Worte des anderen Mannes nach. Schuldig wollte, dass er nicht unglücklich wurde und er wollte, dass Schuldig nicht unglücklich wurde. Schuldig wäre aber unglücklich, wenn es ihm nicht gut ginge. Ihm ging es nicht gut, wenn es Schuldig nicht gut ging. Eine sich in den Schwanz beißende Katze. Aya ließ sich zur Seite fallen, direkt auf Schuldigs Schoß und sah zu ihm hoch, zog wortlos an einer Strähne. „Kannst du ihn einfach so hinter dir lassen?“ „Man kann nicht alles im Leben haben. Und manchmal, wenn man das eine gewinnt, muss man auf das andere verzichten oder man verliert vielleicht durch Gier beides.“ Schuldigs Blick ruhte auf Rans Gesicht, als er seine Hand an Rans Wange führte und seine Daumen über die weiche Haut streichelte. Schuldig wusste nicht, wie das gehen sollte… wenn er Brad ebenso stark in sein Herz ließ, wie Ran dort herrschte. Er konnte doch nicht Ran mit lediglich der Hälfte lieben, weil die andere Hälfte Brad in Beschlag nahm, oder? Oder ging das? Beide mit der gleichen intensiven Kraft zu lieben? Schaffte er das? Schuldig zweifelte daran. Durch Gier beides zu verlieren…wenn Schuldig sie beide wollte und sie sich irgendwann gegenseitig umbrachten, weil sie den Kampf um den anderen Mann nicht ertrugen. Eine durchaus wahrscheinliche Möglichkeit, wie Aya befand, denn wenn Crawford sich so verhielt, wie er es schon immer getan hatte, würde er ihn irgendwann umbringen. „Mich verlierst du nicht.“ Nie. „Du weißt, so gut wie ich, dass wir nicht immer Einfluss darauf haben was wir verlieren.“ Schuldigs Stimme war derart tonlos, dass das letzte Wort nur mehr heißer aus seiner Kehle verbalisiert wurde. Er beugte sich hinab und berührte die weichen Lippen mit seinen, leckte mit der Zungenspitze begrüßend über die feuchtwarme Textur zwischen den Lippen. „Ich habe Angst, alles zu zerstören“, wisperte er wie jemand, der eine große Katastrophe prophezeite. Unheilvoll und bestimmt. „Du wirst nichts zerstören, gar nichts. Dafür hängen wir zu sehr aneinander.“ Optimistische Worte, wirklich optimistisch dafür, dass er die Zukunft nicht kannte, dass er nicht abschätzen konnte, wie es in einem Jahr zwischen ihnen aussah. Ayas Finger strichen über Schuldigs Lippen und ein kurzes Lächeln erschien auf den Seinen. „Den letzten Satz habe ich schon einmal gehört“, lächelte Schuldig unter den ihn berührenden Fingern. „Ich will ganz dir gehören, Ran. Ich habe keine Ahnung wie es ist …sich auf ihn einzulassen. Er ist … wie dunkler Nebel. Ich weiß noch nicht einmal, wo er geboren wurde, oder aus welchen Verhältnissen er kommt. Die paar Mal, in denen ich Zugang zu seinen Gedanken hatte …konnte ich nichts lesen. Nichts, was ihn für mich transparenter machte.“ Er setzte sich wieder auf, lehnte sich an die Wand an und verwob seinen Blick mit Rans. „Keine Erinnerungen an Familie. Keine Gedanken an Kindheit. Nichts.“ „Frag ihn nach seiner Vergangenheit“, erwiderte Aya schlicht. „Ihr seid Arbeitskollegen, Freunde vielleicht. Wieso sollte er es dir nicht sagen?“ Weil Crawford ein kalter Mensch war, der nicht an der Vergangenheit hing. Falsch. Sonst hätte er sich keine Filme über Schuldig angesehen, über dessen Vergangenheit. Ayas linke Hand zog den Bären zu sich auf den Bauch, betrachtete sich das Stofftier. Er hatte es nicht weggeworfen. „Bei ihm… ist das nicht so einfach. Er …zieht die Schotten hoch und er ist so geschickt im Ausweichen, dass es gar nicht wie ein Ausweichen rüberkommt. Er spricht nur mit uns, wenn es um den Job geht und auch wenn es vielleicht ein wenig um andere private Dinge geht, kommen wir trotzdem immer wieder auf den Job.“ „Und ihr beharrt nicht auf seinem Privatleben…“ Aya wusste, dass er Crawford sein Privatleben gelassen hätte, denn er war genauso. Erst durch den unermüdlichen Einsatz seines Teams…ehemaligen Teams…hatte er sich geöffnet – nach zwei Jahren Kälte, in denen er geglaubt hatte, sein Team endlich vergrault zu haben. Doch weit gefehlt. „Vielleicht habt ihr noch nicht den richtigen Weg gefunden, ihn zu knacken.“ „Wenn er es nicht erzählen möchte, dann ist das seine Sache. Wir sind alles so, Ran. Das verbindet uns. Keiner weiß vom anderen mehr, als er mit ihm erlebt und wir akzeptieren jeden vorbehaltlos, denn die Vergangenheit war für jeden von uns schmerzhaft und wir haben ein neues Leben als Schwarz begonnen.“ „Dennoch ist dir seine Vergangenheit wichtig, obwohl ihr ein neues Leben begonnen habt. Dir macht es etwas aus, seine Vergangenheit nicht zu kennen, weil du dadurch IHN selbst nicht kennst.“ Aya lächelte traurig. Eine Zwickmühle war es und es spiegelte das wieder, was sich durch Schuldigs und Crawfords gesamte Freundschaft zog. „Mir macht es erst etwas aus, Ran seit ich dich kenne. Seit ich erfahren habe, dass ich vergessen hatte, dass er mir mit Kitamura sehr nahe stand. Auf die eine oder andere Weise. Erst seither will ich mehr wissen. Erst seit ich mich erinnert habe.“ „Ist das auch meine Schuld?“, fragte Aya mit einem nachdenklichen Stirnrunzeln. Crawford hatte ihm einen ähnlichen Vorwurf gemacht. War er es also schuld, dass Kitamura auch nach seinem Tod diese Probleme mit sich brachte? Nur weil Schuldig er und miteinander geschlafen hatten? War es wirklich so? „Schuld? Weshalb Schuld?“, hakte Schuldig nach. „Hat das etwas mit Schuld zu tun?“ So ganz verstand er Rans Frage nicht. „Es war einfach der Zeitpunkt an dem es mich anfing zu interessieren. Das ist alles.“ „Crawford hat mir die Schuld gegeben, dass du dich erinnert hast, deswegen Schuld“, erwiderte Aya auf Schuldigs Frage. Ob es etwas mit Schuld zu tun hatte, fragte auch er sich und er wusste es nicht. Er hatte es nie als seine Schuld empfunden, sondern als Zufall, einen schlimmen Zufall. „Was würdest du jetzt tun um mehr über ihn zu erfahren, wenn er dir nichts erzählt?“ „Was ich tun würde?“ Schuldig grübelte über die Satzstellung. „Das heißt, was ich tun würde, wenn ich nicht beschlossen hätte es zu lassen? Würdest du etwas aus mir herauszwingen wollen, wenn ich dir nichts freiwillig erzählen wollte?“ „Nein.“ Doch. Nicht direkt herauszwingen, sagte sich Aya, aber solange bohren, bis der andere Mann seinen Mund aufmachte, denn das war etwas, in dem er mit Crawford übereinstimmte. Schuldig musste schließlich über die Dinge in China sprechen. „Er ist ein Arsch“, sagte Aya aus dem Kontext gegriffen, aber mit Inbrunst, eben weil er es gerade sagen wollte…und musste. Schuldig lachte. „Ja das ist er. Du bist ein Sturkopf und ich bin ein Vollidiot. Findest du nicht, dass das gut passt?“ Seine Finger fanden Rans Seiten und pieksten ein paar Mal kitzelnderweise hinein um durch ein paar Zuckungen entlohnt zu werden. Und siehe da, Schuldig hatte Erfolg mit seinem Vorhaben, wenn auch nicht die volle Durchschlagskraft, die solche Attacken schon einmal besessen hatten. Dennoch wand sich Aya auf dem Schoß des anderen und griff wie immer verzweifelt und nutzlos nach den Händen des Telepathen um sie aufzuhalten. „Nein! Das…ist…“, er rollte sich auf eine der Hände und setzte sie eisern fest. „…keine gute Kombination! Ich will nur den Vollidioten!“ Doch Schuldig hörte sogleich auf mit seiner Kitzelfolter. Er war zu müde für diese Art der Unterhaltung. „Hey… komm wir legen uns etwas hin, ich bin fertig.“ Fertig für heute, fügte er in Gedanken an und hing halb liegend halb sitzend da, mit einer Hand unter Rans Seite begraben. Dass Schuldig fertig war, sah man ihm an…Aya sah es, denn die unnatürliche Blässe, die sich unter der Schicht geröteter Wangen verteilte, war Indikator genug für Schuldigs Zustand. Auch für seine emotionale Erschöpfung. Aya rollte sich zur Seite und ließ sich auf der Futonkante nieder. „Du wirst dich schön hier hinlegen und ich werde im Nebenzimmer schlafen. Schließlich brauchst du den Platz zum Ruhen. Morgen sehen wir dann weiter.“ Es dauerte etwas bis Schuldig die Decke unter sich hervorgezogen bekam. Er rollte sich ein und zog die Decke zurecht. „Bleibst du hier, bis ich eingeschlafen bin?“, fragte er bis zum Kinn zugedeckt. „Du bekommst auch ein Stück Decke ab.“ Aya nickte lächelnd und nahm das dargebotene Stück Decke an. Er blieb bei Schuldig, bis dieser tief und fest schlummerte, jedoch unruhig war wie oft in der letzten Zeit. Seine Finger strichen durch das feine Haar, nur leicht nur um Schuldig nicht aufzuwecken und dem anderen Mann nicht den wohlverdienten Schlaf zu rauben. Er selbst zog seine Ruhe daraus, Schuldig dabei zuzusehen, wie er sich ihm anvertraute und sich langsam erholte, bevor er schließlich in das andere Zimmer ging, das eben so karg eingerichtet war wie dieses. Noch karger, als es die japanische Lebensart eigentlich vorlebte. Doch die Lampe aus gelbem Reispapier warf ein gemütliches Licht in den Raum hinein, in dem Aya schließlich einschlief, fest in die Decke gemummelt und die Beine weit von sich gestreckt. o~ Der Radiosprecher kündete den nächsten Song an und Brad warf einen flüchtigen Blick auf die Uhr. Es war neun Uhr morgens und Nagi längst aus dem Haus. Er wollte erst abends wiederkommen, hatte aber vor, sich stündlich per Sms zu melden. Er wollte endlich seinen Abschluss durchziehen und nicht wie von Brad vorgeschlagen die Universität wechseln. Deshalb würde er eher selten hier zu ihnen kommen. Was das Risiko eher erhöhte von diesen Bastarden geschnappt zu werden. Sie hatten heute Morgen eine Diskussion darüber gehabt aber Nagi hatte sich durchgesetzt. Vermutlich lag es daran, dass Brad nicht wirklich bei der Sache gewesen war. Nagi konnte auf sich selbst achten, aber Ran hatte dies damals auch gekonnt und war trotzdem überfallen worden. Er hatte es satt, dass er ständig die Unis wechseln musste nur damit er erneut eine neue Identität annehmen konnte. Er wollte diesen verdammten Abschluss. Brad machte gerade Frühstück und spürte wie etwas weiches um seine Beine strich, nach aufmerksamkeit rang. Das Weiche war nicht Aya, auch wenn Banshee die Vorbotin des rothaarigen Japaners war, der nun frisch aus dem Bett mit durchwühlten Haaren in die Küche schlich, der festen Meinung, dass sie zu diesem Zeitpunkt mittlerweile verwaist sein müsste. Er hatte nach dem Aufwachen ausgiebig mit seiner kleinen Verräterin geschmust, die ihn schier nicht mehr alleine lassen konnte und immerzu raufen wollte. Eine positive Erfahrung…dass er Crawford hier antraf, jedoch weniger. Schweigend ging Aya an Crawford vorbei zur Kaffeemaschine und begann, in den Schränken nach einer Tasse zu suchen. Während sich Schuldig noch unruhig im Bett herumwälzte, noch nicht sicher, ob er tatsächlich aufstehen wollte, wurde ein Stockwerk weiter unter das harmonische Frühstück eingeläutet. Der Telepath räusperte sich und hustete geplagt auf. Sein Hals war trocken und rau und …er schmerzte. Dabei hatte er gedacht, dass seine Grippe vorbei wäre. Setzte es jetzt noch eine Erkältung obenauf? Er ringelte sich wieder in seine Decke ein und zog die Nase hoch. „Hast du schon nach ihm gesehen?“ Brad drehte den Schinken in der Pfanne um, den er gerade anbriet und holte Eier aus dem Kühlschrank. Scheinbar war Ran noch bettwarm, so wie er sich hier präsentierte im Out-of-Bed-Look. „Ich brauche erst meinen Kaffee.“ Außerdem wollte sich Aya beweisen, dass er auch einen Moment lang ohne Schuldig konnte, dass er sich nicht ständig versichern musste, dass der andere Mann noch da war. Außerdem konnte Schuldig seinen Schlaf gut gebrauchen, er musste sich ausruhen und zu Kräften kommen. Das ging nicht, wenn er ihn störte, besonders morgens, wo Schuldigs Schlaf leicht war. Die Tasse Kaffee endlich vor sich, zog Aya das Haargummi aus seinen Haaren und löste sie, flocht sie dann neu. Zu lang. Aber Schuldig liebte diese Länge. Aya besah sich kritisch die roten Zotteln. Manchmal hatte er seinen Frieden mit ihnen geschlossen, manchmal verfluchte er sie aber auch; je nachdem, wo er sich gerade verfangen hatte oder wie lange Schuldig ihm die Wohltat einer Kopfhautmassage samt Ausbürsten zukommen ließ. „Er ist krank“, sagte Brad und holte den angebratenen Schinken aus der Pfanne, bevor er die Eier dort hinein aufschlug. „Ich denke nicht, dass er aufstehen wir…“ Er zuckte zusammen und seine Hand die eines der Eier aus der Schüssel aufgenommen hatten zerquetschte selbiges, als er erneut eine Vision hatte. Die zweite heute morgen schon, doch wie stets schob sich ein Schuss, ein paar Augen und der Tod von Schuldig dazwischen. Als er die Augen aufschlug, stand er noch immer da mit dem Ei, welches durch seine Finger ran und keuchte. Er brauchte ein paar Momente bevor er den Blick überhaupt auf seine Finger festigen konnte und begreifen konnte, dass Schuldig lebte und dass es wieder einmal eine falsche Vision war und nicht tatsächlich die Zukunft. Aya hatte das Ganze mit wachsamen Augen verfolgt und sich seinen Reim darauf gemacht. Crawford hatte ihm erzählt, was er sah…was er nicht sah, nicht mehr sehen konnte. „Er lebt“, sagte er schlicht und verschränkte seine Arme. „Sollte es nicht besser werden?“ Brad kam sich vor, als wäre er behindert. Ein verhinderter oder behinderter Hellseher. Oder ein bestrafter Hellseher. „Ja, sollte es“, antwortete er verzögert. Es sollte, wurde aber nicht. Die Pfanne brutzelte und es wurde Zeit für die Eier, wie er feststellte nach einem Seitenblick auf das Geräusch. So wusch er sich immer noch etwas fahrig die Finger ab und fischte die noch ganzen Eier aus der Schüssel um sie in der Pfanne zu zerschlagen. Die Eierschalen landeten in der Schüssel wo noch immer das zerbrochene Ei lag. Er war nach dieser Vision immer halb gelähmt, unfähig sich zu konzentrieren, doch langsam gewöhnte er sich an das Danach und konnte es kompensieren, überspielen. Crawford litt, was ihn wiederum menschlich machte. Genau das machte es Aya schwer, dem anderen Mann mit der gleichen Abneigung wie früher zu begegnen, mit diesem feurigen Hass, der ein solcher Balsam für seine Seele war. Aya nahm einen Schluck aus seiner Kaffeetasse und sein Blick glitt zu Banshee, die zu Crawford hinaufstarrte und leise maunzte, sich dann wieder an ihn schmiegte. Sie spürte es auch. „Schuldig wird sich über die Eier freuen.“ „Ja, wird er“, gab Brad einsilbig und automatisch zurück, wie in Trance benutzte er dieselben Wörter die er hörte und die ihn erreichten. Sein unfokussierter Blick lag auf den Spiegeleiern, die langsam an Konsistenz gewannen und bereit für die Würzung waren. Ein Vorgang, den er auch automatisch ausführte. Mehr als alles andere machte Aya diese bereitwillige Zustimmung misstrauisch. Crawford war nicht bei ihm, er war völlig in Trance, tat alles, was er machte, in einer Art Tagtraum gefangen. So nahm Aya dem anderen die Pfanne weg und stellte sie ab, schob Crawford zur Seite, die Hand eine feste Konstante auf dem Oberarm des Amerikaners. „Komm zu dir“, drang Ayas Stimme scharf zu Crawford, scharf und gebietend. "Es geht schon, lass mich", gab Brad darauf hin ruppig zurück. Zumindest war das der Plan - der zugegeben automatisiert umgesetzte Plan, wenn Ran ihm gegenübertrat. Dieses Mal jedoch fehlte dem üblichen Tonfall alles an sonstiger Schärfe. Es klang einfach nur müde, tonlos und weit weg. Es war oft so, dass er alleine war, wenn die Visionen kamen, oder er separierte sich von anderen und saß die Nebenwirkungen einfach aus. Nagi und Jei dachten sich nichts dabei. Nur...das Problem hierbei war…Ran wusste von der Tatsache, dass er keine Visionen empfangen konnte, dass er lediglich ständig Schuldigs vermeintliches Ableben vor Augen geführt bekam. Ein Fakt, der es sehr schwer machte sich abzusondern oder es unbemerkt vorübergehen zu lassen. "Erzähl ihm nichts davon." Brad hob seine Hand und fasste an Rans Arm, drückte seine Fingerkuppen hinein. "Hast du mich verstanden? Du erzählst gerne viel, aber das nicht", bestimmte er und sah dem anderen fest in die Augen, auch wenn sein Blick noch etwas verschwommen war. "Du hast nicht das Recht, ihm das zu sagen." „Du hast nicht das Recht, mir Befehle zu erteilen“, gab Aya zurück und zog seinen Arm zu sich, aus Crawfords Griff heraus. Sein Blick war dunkel, jedoch nicht ganz so voller Abneigung, wie er es gerne gehabt hätte. „Aber ich werde ihm nichts sagen“, gestand er Crawford schließlich zu. Nein, das war wirklich Crawfords Sache, Schuldig zu sagen, was mit ihm nicht stimmte. „Du vermutlich auch nicht.“ „Was nicht sagen?“ schlich sich da die gemeine Stimme zwischen die beiden Keifhähne, die ruhig, aber mit etwas schlafesmüder Tonlage wissen wollte, was hier gespielt wurde. Schuldig stand im Eingang der Küche, hatte seine Arme verschränkt und sah sich die beiden an. Ran im Yukata mit augenscheinlich frisch geflochtenem Zopf und Brad am Herd und sie standen sich sehr nahe, es hatte so ausgesehen als hätten sie zuvor gerangelt. Brads Blick ging nicht ganz zu ihm, er wandte nur den Kopf leicht aber seine Augen fanden Schuldigs nicht. Denn Brad wusste, wenn er Schuldig jetzt in die Augen blickte dann würde dieser Lunte riechen. Die Frage stellte sich jedoch jetzt ohnehin schon… Aya drehte sich abrupt um und sah Schuldig im Türrahmen stehen. Sie sollten wirklich besser aufpassen, was sie sagten… Er lächelte leicht, eingedenk ihres gestrigen Gespräches. „Frage das nicht mich, Schuldig.“ Crawford wollte nicht, dass er ihr kleines Geheimnis weitergab, Schuldig wollte nicht, dass er ein guter Samariter war. Aya war erleichtert in diesem Moment. Brad sah zu Schuldig auf, fixierte dessen Blick. „Ich habe starke Kopfschmerzen von Zeit zu Zeit, seitdem du die Verbindung gelöst hast, das ist alles.“ Schuldig kannte seine Abneigung gegenüber, ihnen seine Wehwehchen breit zu treten. Und tatsächlich Schuldig rollte mit den Augen und seufzte. „Das lässt sich doch beheben. Ich wollte mir das ohnehin noch ansehen“, sagte er leise und ein wenig schuldbewusst. Sie waren einfach in den Urlaub gefahren ohne ... wobei …er hätte nichts viel tun können mit seinen reduzierten Fähigkeiten. Jetzt ging es mit Sicherheit besser. „Es geht schon. Stelle sicher, dass deine Fähigkeiten auf einem hohen Level sind, bevor du in einen Geist eingreifst. Solange begnüge ich mich mit Schmerztabletten.“ Damit war das Thema für Brad erledigt und er wandte sich wieder dem Frühstück zu, das er vorbereiten wollte. Schuldig hatte auch schon in seinen Geist eingegriffen, dachte Aya, doch er sagte nichts. Es war besser so. Lieber trat er auf Schuldig zu und strich dem anderen eine Strähne aus dem Gesicht. Er sah wieder schlimm aus, krank und blass…als würde sich eine neue Grippe einschleichen. „Du solltest lieber wieder ins Bett“, murmelte Aya besorgt. „Ich kann nicht mehr schlafen. Außerdem brauche ich etwas zum Essen.“ Gelogen. Aalglatt. „Kannst du mir auch ein paar Eier reinhauen?“, fragte Schuldig an Brad gerichtet, dieser nickte und machte sich wieder ans Werk. Er grübelte darüber nach, wie er Brad helfen konnte. Es war durchaus möglich, dass er in Materie eingreifen musste um Brads Kopfschmerzen zu beseitigen. Und das stellte ein höheres Level dar, als wenn er Rans Gedanken sortierte und dessen Geist zu sich leitete. „Willst du einen Tee?“, fragte Aya und betrachtete sich das nachdenkliche Gesicht, welches auf Crawford ruhte. Niemand konnte ihm sagen, dass da nichts zwischen den beiden schwebte. Es musste nicht unbedingt Liebe sein, aber etwas, das über Kollegialität hinausging. „Ja, wäre wohl nicht schlecht, mein Hals ist ganz ausgetrocknet.“ Schuldig gab Ran einen Kuss auf die Stirn, als er an ihm vorbeiging zum Wasserkocher und diesen mit Wasser füllte. Sie hatten ja noch den Tee aus dem Dorf, den sie mitgenommen hatten. „Sind die anderen beiden ausgeflogen?“ Schuldig fühlte sich unwohl in Brads Nähe. Er wusste nicht, wie er mit all dem umgehen sollte. Mit Brad …Ran und ihm in einem Raum. „Jei ist oben. Und Nagi kommt erst gegen Abend wieder. Er ist in der Uni.“ Brad hatte die fertigen Spiegeleier herausgenommen und schlug noch einmal zwei auf. „Er geht noch zur Uni? Glaubt er nicht daran, dass es zu gefährlich sein könnte?“ Schuldig hielt inne. „Die Diskussion hatte ich heute Morgen schon mit ihm. Er hat gereizt reagiert. Du weißt, wie er ist wenn er …gereizt reagiert.“ Er konnte da schon passieren, dass Brad dann eine kurze Flugstunde durchs Zimmer nahm. Allerdings war das die letzten Jahre nicht mehr vorgekommen. Schuldig blickte zu Ran und zuckte mit den Schultern. Seine Stirn war in Sorgenfalten gelegt. Nein, das alles war nicht spurlos an Schwarz vorbeigegangen…das wusste Aya, dazu brauchte er sich Crawford noch nicht einmal anzuschauen. „Ich hole eben den Tee“, meldete sich Aya ab und verschwand wieder in das obere Stockwerk, suchte dort sehr langsam nach besagtem Tee. Jeder von ihnen suchte ein Stück Normalität, an das er sich klammern konnte. Nagi ging weiter zur Universität, Crawford machte Frühstück…Jei würde wie immer ihre Gefühle beobachten oder gar nicht an ihrem Leben teilnehmen. Schwarz war genauso wenig bereit aufzubrechen und loszulassen, wie Weiß und vor allen Dingen er selbst es nicht waren. Mit dem Tee in der Hand kam Aya wieder nach unten und füllte ihn in eine Tasse, wartete auf das heiße Wasser. Dabei stand er zwischen den beiden Männern, die schweigend ihre Tätigkeiten verrichteten. Schuldig brachte ihre Teller zum Tisch und begann den Toaster zu bestücken. Im Radio kam angenehme Musik und er setzte sich. „Wäre es dir lieber, dass Nagi nicht mehr hier her kommt, solange er studiert?“ Brad holte sich noch eine Tasse Kaffe und kam auch an den Tisch, setzte sich jedoch noch nicht, sondern betrachtete sich Schuldig, wie er dort abwartend saß und auf seinen Toast wartete. „Besser wäre es. Wenn ihm jemand folgt finden sie uns hier.“ Vermutlich würden sie das über kurz oder lang ohnehin tun. Es wäre besser, wenn sie außer Landes gingen, überlegte Aya stumm, während er sich ebenso an den Tisch setzte, sich zunächst aber an seinen Kaffee hielt. Komisch, dass ihm ausgerechnet heute danach war, denn sonst trank er lieber Tee. Es war auch für Weiß besser, wenn sie untertauchten und den Blumenladen aufgaben, doch Aya konnte sich schon fast denken, dass Manx die Einheit zwang, bis zum Letzten zu bleiben…oder sie war sich der Gefahr gar nicht so bewusst. „Es sind noch ein paar Monate bis zu Nagis Abschluss. Es reichen allerdings Tage um uns ausfindig zu machen. Und da wir immer noch nicht wissen wer diese Gruppe ist, können wir uns nicht nach allen Seiten absichern. Denk an die Batim-Gruppe. Sie hatten zwar keine Chance aber sie kamen aus dem Nichts.“ Brad nahm sich eines der Brötchen und pflückte sich ein Stück ab. Schuldig erinnerte sich an Batim. Eine Splittergruppe von SZ, die ihnen kurz nach dem Fall von SZ auf den Fersen war. „Ja, aber Batim waren keine PSI Akteure“, hielt er gegen Brad. „Sie waren lediglich gut vorbereitet…“ Und da war der Haken. Er versank ins Grübeln. „Genau. Sie waren gut vorbereitet. Das alleine reicht um einen Vorteil zu ziehen, der uns ausschaltet“, sagte Brad und begann sein Ei zu zerteilen. Aya zog es vor zu schweigen und so etwas mehr über die beiden zu lernen…und über die momentane Situation, in der sie steckten. Seine Finger spielten mit dem schmucklosen Henkel der Tasse. Gut vorbereitet war diese Gruppe, das konnte man ihnen in der Tat nicht absprechen. Wenn es Weiß nur einmal gelungen wäre, so nah an Schwarz heranzukommen, damals…doch es war nicht der Fall gewesen und heute war er froh darum. Schließlich angelte sich Aya eine Scheibe Toast heran und fing an, sie zu belegen. „Wie habt ihr diese Gruppe dann vernichtet?“ „Wir haben sie gejagt, nachdem einer von ihnen den Fehler gemacht hatte, in unsere Hände zu fallen.“ Schuldig hustete und verzog das Gesicht da sein Hals grausig wehtat. Aya verzog die Lippen zu einem kurzen, freudlosen Lächeln. „Wie lange hat er überlebt?“ „Länger als die anderen.“ Schuldig fischte sich einen Toast heran und bestrich ihn mit Butter, sah danach Ran mit undurchdringlichem Blick für einen Moment an, bevor er eine Ecke des Toastes in seinem Spiegelei versenkte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)