Der Glasgarten von Gadreel_Coco ================================================================================ Kapitel 95: Overload -------------------- ~ Overload ~ „So lieb heute….“ Ein Kuss ereilte Schuldigs Wange und Aya kam zu Banshee auf das Bett gekrochen, legte den Bademantel davor auf den Boden. Fröstelnd vergrub er sich unter der Decke und zog sie bis zum Kinn hoch, scheuchte damit die kleine Rote auf, die sich protestierend ans Fußende platzierte und von dort aus zu Schuldig hochsah… ganz klar um Hilfe bittend. Schuldig blieb jedoch unbeeindruckt von diesen Augen, er ließ die Tür einen Spalt breit auf, falls Banshee nach draußen wollte. Schuldig zog sein Oberteil aus und warf dieses auf den ausladenden Entspannungssessel der in der Nähe des begehbaren Kleiderschranks stand. „Du frierst, willst du nicht doch lieber etwas anziehen?“ Ran pflegte seit neuestem manchmal nackt zu schlafen. Fror zwar erbärmlich zu anfangs, doch war nicht dazu zu bekommen etwas anzuziehen. Warum das so war, hatte Schuldig bisher noch nicht eindeutig herausfinden können. „So ist es besser“, kam die einsilbige Antwort von Aya und er drehte sich zu Schuldigs Seite. Wieso sollte er etwas anziehen, wenn Schuldig ihn wärmte… auf was für eine Art und Weise auch immer. Seine Gedanken glitten wieder zum Kätzchentag zurück, an das klare Machtverhältnis zwischen ihnen beiden. Ein Stich an Lust wanderte gemächlich Ayas Wirbelsäule hinunter… tief in andere Regionen. „Willst du das kleine Licht anlassen?“ Schuldig kam wieder zum Bett und legte sich hinein, Banshee wurde erneut aufgescheucht und floh kurzerhand vom Bett nur um danach sofort wieder hinauf zu springen und sich einen geeigneten Platz zwischen ihren Füßen zu suchen. Den sie ohnehin im Laufe der Nacht zugunsten einer besseren Position aufgeben würde. Schuldig dagegen hatte ein anderes Problem. Er vermutete, dass Ran sich nackt ins Bett legte, weil er ihn nahe an sich fühlen wollte. Aber Nacktsein hatte auch etwas mit Unterordnung zu tun, wenn der andere Partner angezogen war... „Ja, lass es an.“ Kaum lag Schuldig, hatte sich Aya an ihn geschmiegt, ihn mit seinen Armen umschlungen und ganz für sich vereinnahmt. Dabei lag er etwas tiefer als der andere, war somit noch kleiner. Doch zu Schuldig aufsehen war gut, es… passte. Es passte zu seiner momentanen Stimmung. Aya lächelte und strich mit seiner Hand über Schuldigs Rücken. Das war der Beweis, den Schuldig brauchte um für sich sicher zu sein, was Ran von ihm jetzt erwartete. Ran war absichtlich etwas an ihm herabgerutscht, er ordnete sich unter. Aber dass es ihm nicht gut dabei ging erklärte eindeutig der Wunsch, dass Licht anzulassen. Am Anfang, als sie noch nicht wirklich zusammen gefunden hatten, bestand Ran ebenfalls darauf, eine kleine Lichtquelle anzulassen. Es fiel Schuldig etwas schwer Ran zu umarmen, weil er einige Entscheidungen zu treffen hatte. Dennoch tat er es mit vorsichtiger Dominanz. „Soll ich dir eine Geschichte erzählen? Oder bist du zu müde dazu?“ Das war natürlich etwas, was Ran vermutlich gar nicht wollte. Geschichten hören oder schlafen. „Kommt darauf an, ob du mir die Geschichte mit oder ohne körperlichen Einsatz erzählst“, erwiderte Aya und ließ seine Zunge währenddessen auf Schuldigs Haut spazieren gehen. Die Hand auf Schuldigs Rücken schlich sich tiefer, noch nicht ganz eindeutig, jedoch richtungsweisend. Zum ersten Mal geschah etwas, dass es zwischen ihnen noch nicht gegeben hatte. Er lehnte Rans Angebot zum Sex ab. „Nein, Ran, ohne körperlichen Einsatz“, sagte er leise aber bestimmt und fing Rans Hand ein um sie nach vorne zwischen sie zu ziehen. „Dreh dich um, ich möchte deinen Hintern an mir spüren“, setzte er hinzu. Er würde es anders versuchen, denn er fürchtete, dass Ran nicht auf ihn hörte, nicht auf normale Worte. Auf dominierende, aber nicht auf normale. Eine kleine Weile schwieg Aya, dann drehte er sich langsam, verführerisch um und presste sein Hinterteil an Schuldigs Vorderseite. Es passte genau… ganz genau. „Gut so?“, fragte er leise, mit leicht laszivem Unterton. Seine Haut brannte immer noch von Schuldigs dominierender Handhabung. Entweder er trickste Ran aus oder er stieß ihn vor den Kopf. Es war eine schwere Entscheidung die Schuldig zu treffen hatte und er hatte nicht die Zeit dazu sie zu treffen. „Befriedige dich selbst. Jetzt.“ Schuldig hielt seine Stimme betont neutral, kühl. Es würde Ran nur mehr triggern, aber er hatte seine Entscheidung getroffen. Ran würde seinen Höhepunkt haben und ihn dann in seinen Geist lassen, damit er ihn schlafen schicken, oder zumindest beruhigen konnte. Er mochte das nicht. Ganz und gar nicht. Aber er wusste nicht was er sonst tun konnte, damit Ran bekam, was er wollte. Sich selbst befriedigen? Etwas in Aya zögerte trotz der Dominanz in Schuldigs Stimme. Er wollte sich nicht selbst befriedigen ohne dass Schuldig Hand anlegte. „Nur wenn du mithilfst…“, sagte er, die Lust schon dabei, sich zurück zu ziehen. Ob sich Unsicherheit darunter mischte, konnte er nicht sagen… Zumindest flüsterte ihm sein Unterbewusstsein ein, dass er nicht weitergehen sollte… konnte… durfte. Es mischte sich Unsicherheit zumindest in Rans Stimme. „Ich werde nicht mithelfen, denn ich habe keine Lust auf dich. Nicht, wenn du derart unterwürfig bist.“ Jetzt hatte Schuldig es gesagt, wenn auch in einem sanften Tonfall und nicht ruppig wie zunächst geplant. Er wollte Ran nicht verletzen, aber das würde dieser Satz ohnehin. Vielleicht wäre es besser gewesen mit ihm zu schlafen, anstatt ihm das zu sagen. Wären die ihn haltenden Arme nicht gewesen, Aya wäre sicher aus dem Bett geflohen. Zwar erst nach ein paar Sekunden, erst nachdem er wirklich verstanden hatte, was Schuldig ihm sagte, was er wirklich meinte. Er war angespannt, schier verspannt, als er an die gegenüberliegende Wand starrte. Unterwürfig… damals hatte Schuldig nichts dagegen gehabt. Aya schwieg. Und dieses Schweigen wog schwer zwischen ihnen. Schuldigs Hand fand Rans Bauch und legte sich warm darauf. „Missbrauch mich nicht für etwas, das du nicht wirklich willst. Du bist nicht überzeugt davon heute Spielchen durchzuziehen, du brauchst es für etwas, was ich nicht… fassen kann, Ran.“ Schuldigs Hand begann damit auf Rans Bauch Kreise zu ziehen. „Die letzten Tage hast du mich angemacht und fallen gelassen und das innerhalb weniger Minuten. Du schreist mich an und in der nächsten Minute willst du, dass ich dich… unterwerfe. Hilf mir zu verstehen, was los ist, ich mache mir Sorgen um diese Stimmungswechsel. Und ich mache mir Sorgen um dich. Und diese Sorge überwiegt.“ Das waren Worte, die Ayas innerer Wahrheit viel zu nahe kamen, als dass er sie als ungeschehen hätte abtun können. Schuldig sorgte sich um ihn… aufgrund seiner Stimmungsschwankungen, die er die letzten Tage gehabt hatte. Und wollte deshalb nicht mit ihm schlafen. Er missbrauchte Schuldig… stimmte das wirklich? Aya wusste es nicht. Es kam ihm nicht so vor, doch Schuldig sagte es nicht umsonst. Wirklich nicht. „Es ist alles in Ordnung“, sprach er die Lüge aus, die wie die Wahrheit klingen sollte, es aber nicht tat. Gewiss nicht. „Es wird sich schon wieder einrenken.“ Ja, das würde es, irgendwie. Er war momentan nur gestresst, nichts weiter. Vielleicht war gerade das auch der Grund, warum ihm jetzt selbst Schuldigs Hand auf seinem Bauch zuviel wurde und er sie von seiner Haut löste, seine Finger mit ihr verschränkte und sie zusammen mit der seinen auf der Bettdecke platzierte. Ran blockte erneut ab. Nicht nur das… er widersprach sich selbst, denn zum Einen sagte er, es wäre nichts und zum Zweiten, es würde sich alles wieder einrenken. Schuldig kam nicht an ihn heran und das Übelste daran war, dass es weitaus schlimmer als damals war… damals als Rans Schwester gestorben war. „Möchtest… möchtest du alleine schlafen?“, fragte er vorsichtig, da er nicht wusste, wie er Rans Handlung beurteilen sollte. Wollte er allein sein? War es gut, dass er allein war? „Nein, es ist schön, mit dir… mit euch hier zu liegen“, verneinte Aya Schuldigs Vorschlag und schmiegte sich im Gegenzug zu seiner Handlung zuvor an Schuldig. Die Augen schließend, seufzte er leicht. „Es ist gut so.“ Was gut so war, konnte er selbst nicht so wirklich betiteln, geschweige denn veräußern. Also schob er es lieber wieder zurück in die Untiefen seines Geistes zurück. o~ Die Einrichtung des Laughs war dem im Smile vom Stil her nicht unähnlich. Brad erkannte Gabrieles Einfluss und dessen Liebe zu klaren Linien, als er die Mischung aus Bar und Café betrat. Er hatte gestern einen Auftrag zu seiner eigenen grimmigen Zufriedenheit erledigt, obschon es fast schief gegangen wäre. Seine Fähigkeit des Hellsehens hatte sich immer noch nicht eingestellt und die Wut darüber schwelte tief und heiß in ihm. Der Zorn stieg und er entlud diesen Zorn darin, dass er alleine einige Aufträge erledigte. Kleinere Sachen, keine großen Dinger, wie sie sie im Team erledigen konnten. Bisher hatte er zwei Aufträge hinter sich gebracht und das nur mit der Erfahrung der letzten Jahre und einiger Kontakte wie er zugeben musste. Zumindest was die Informationsbeschaffung anging. Brads geübtes Auge fand Gabriele in der Lounge in einer ruhigen Ecke. Es war schon spät und nur noch wenige Gäste waren im Laugh. Gabriele hatte ihn vor Längerem eingeladen mit ihm seinen Weinkeller unsicher zu machen und Brad fand sich in der Stimmung dies zu tun und hatte die Einladung angenommen. Er wusste, dass Ran hier arbeitete und hoffte, dass er ihm heute nicht über den Weg laufen würde. Sein Bedarf an giftigen Blicken war gedeckt, seitdem Schuldig und Ran kurzzeitig bei ihnen eingezogen waren. Und er war umso froher, dass sie wieder weg waren. „Der Laden scheint gut zu laufen“, resümierte er und verzog die Mundwinkel zu einem minimalen Lächeln als Gabriele aufblickte und seiner ansichtig wurde. Gabriele erwiderte dieses Lächeln und erhob sich von seinem momentanen Platz, streckte Brad die Hand entgegen. Sie hatten sich vor Jahren schon auf diese westliche Art des Ehrerbietens geeinigt…da sie beide gebürtig nicht aus Japan kamen. Zugereist, zugeheiratet… wohin sie das Schicksal eben trieb. „Das tut er. Ich habe schließlich auch gutes Personal, das die Gäste bedient. Dein Vorschlag war übrigens ein Glücksgriff.“ Gabriele zwinkerte. „Er arbeitet gut, seine Laune ist besser und er kann gut mit den Gästen.“ Besagter Arbeitnehmer hatte Crawford schon von weitem gesehen und sich an das andere Ende der Bar zurückgezogen. Er hatte heute wenig Lust, dem Amerikaner zu begegnen, schon gar nicht, wenn er freundlich zu ihm sein musste. Aya war unruhig, nicht nur wegen dem Auftauchen des Orakels, sondern wegen Dingen, die er nicht genau spezifizieren konnte. Und vor lauter Unruhe waren ihm Gläser zerbrochen, als er sie hatte fallen lassen… eines von vielen Missgeschicken am heutigen Tage. Er wollte nicht mehr, wollte nach Hause, aber gleichzeitig auch nicht, gleichzeitig wusste er, dass er Schuldigs Stille nicht ertragen würde. Brad setzte sich. „Das freut mich und ich danke dir noch einmal für die Möglichkeit, die du ihm gegeben hast.“ Dass er Ran die Pest an den Hals wünschte - zwar nur in seiner Fantasie - musste er nicht so offensichtlich machen, deshalb war hier ein wenig höfliche Konversation, was dieses Thema anbelangte, durchaus angesagt. „Wie geht es deiner Frau und dem Kind?“ Gabriele gab Brad einen kompletten Abriss, wie es den beiden – seiner Familie – ging, während sie beide sich zunächst an einen Kaffee hielten. Den größten Teil unterhielten sie sich über geschäftliche Dinge, Brad über seine Firma und er über die beiden Bars, sie tauschten Businessklatsch aus und stellten Mutmaßungen über politische Entwicklungen in diesem Land an. „Ich habe da übrigens einen guten Wein… einen exzellenten Tropfen aus Spanien. Ich habe dir ja davon erzählt… Lust?“, fragte er, als sie beim Thema Importieren und Exportieren angelangt waren. „Zu einem guten Tropfen sage ich nicht nein“, stimmte Brad zu. „Hast du noch eine Flasche übrig? Ich dachte du hättest nur wenige Flaschen damals mitgebracht.“ „Für dich habe ich immer eine Flasche“, zwinkerte Gabriele und erhob sich. „Ich lasse sie uns bringen, warte!“ Er hatte schon jemandem im Sinn, der sie ihnen bringen konnte… der perfekt dazu war. Er ging zur Theke und fing Ran ab, der sich gerade um einen der anderen Tische kümmern wollte. „Erinnerst du dich an den Wein aus Spanien?“, fragte Gabriele und Ran nickte irgendwie verbissen. „Tust du mir den Gefallen und holst ihn uns? Also deinem Freund und mir?“ Eine rote Augenbraue hob sich für einen Moment, bevor Ausdruckslosigkeit sich über die ehrliche Reaktion legte. „Ja, gerne“, erwiderte Ran und machte sich auf den Weg in den Keller, wo der Wein fachgerecht lagerte. Michele ging währenddessen zurück zu Brad und ließ sich neben ihm nieder. „Woher kennst du ihn eigentlich?“ Ein Stricher und ich hatte Mitleid mit ihm. Brad fand Erheiterung an dieser Antwort, allerdings behielt er sowohl das eine als auch das andere für sich. „Er ist der Freund meines Geschäftspartners und ich trage ein gewisses Verantwortungsgefühl für ihn. Obwohl… wir uns nicht sehr wohlgesonnen sind. Er mag mich nicht besonders und ich ihn nicht besonders. Allerdings…“ Er atmete tief ein und veränderte seine Sitzhaltung. Das legere Hemd erleichterte ihm diese Unternehmung. „… erkenne ich seine Leistungen an und handele oft im Sinne meines Geschäftspartners, wenn es um Ran geht.“ Gabriele kam der rothaarige Ausländer in den Sinn, der Ran abgeholt hatte. War das Brads Geschäftspartner? Schon möglich… Allerdings überraschte es ihn, dass die beiden sich nicht grün waren, Brad und Ran. „Du hast ein gutes Herz“, merkte Gabriele an. Währenddessen suchte Aya nach dem Wein, den Gabriele meinte und fand ihn. Ganz hinten natürlich… Beinahe hätte er eines der vorderen Weinregale umgestoßen bei seiner Suche, aber nur fast, so ungeschickt war er... er hatte fast das Gefühl, nicht wirklich die Kontrolle über seinen Körper zu besitzen, wenn er nicht genau aufpasste, was er tat. Den Wein in den Händen haltend, erhob sich Aya und starrte auf die Flasche, die ein kleines Vermögen wert war. Seine Hand zitterte leicht, deswegen umfasste er sein kostbares Gut enger. Das Licht löschend verließ er den Weinkeller, ging den langen Flur zum Treppenhaus entlang und war auf eine der Leuchten konzentriert, als ihm plötzlich eben jene Flasche aus der Hand rutschte und zu Boden fiel. Dort in tausend kleine Scherben zersprang. Sie war teuer gewesen. Sehr teuer. Und der Rotwein ergoss sich nun wie Blut über die Steinfliesen. Aya starrte auf die Scherben, auf das Blut des Weines… auf viel Blut... sehr viel Blut... das Blut Unzähliger... „Ich helfe nur dem Freund eines Freundes“, tat Brad derweil die Bemerkung des Italieners mit einer Handbewegung ab. Ein gutes Herz. Ihm wurde schlecht von dieser Bemerkung. Und er wurde wütend darüber, aber er verbarg diese Wut geschickt, in dem er das Thema auf weniger emotionale Gebiete ausweitete. So sprachen sie noch eine Weile über dies und jenes, bis Gabriele einfiel, worauf sie eigentlich warteten. Wo war Ran? Er entschuldigte sich bei der nächsten Gesprächspause und suchte in der Küche nach Ran, da dieser im Rest der Bar nicht zu sehen war. „Ich glaube, er ist noch im Keller“, sagte Satsuki, die gerade Cocktails mixte und Gabriele runzelte die Stirn, folgte aber ihrem Fingerzeig. Siehe da, Ran stand im Keller, mitten in dem Gang und abgewandt zu ihm. Vor sich auf dem Boden befand sich die zerschellte Flasche Wein. „Ran? Was ist passiert??“, fragte er und trat an den rothaarigen Japaner heran, doch nichts tat sich. „Ran?“, versuchte er es noch einmal, doch eine Reaktion blieb erneut aus. „Was ist los mit dir?“ Gabriele schüttelte Ran an der Schulter, doch dessen zu Boden gewandter Blick löste sich mitnichten vom Objekt seines Interesses, er nahm Gabriele gar nicht zur Kenntnis! „Verdammt, RAN!“ Ein weiteres Schütteln, doch wieder keine Antwort. Okay, was war hier los? Was zum Teufel war mit dem Mann passiert? Gabriele hatte keinerlei Idee, musste er sich eingestehen, doch Gott sei Dank war jemand da, der vielleicht mit einer Idee aufwarten konnte. Oder der ihm zumindest sagen konnte, ob Ran ärztlicher Hilfe bedurfte! Doch ersteinmal musste er Ran nach oben bringen… irgendwie. „Komm mit, Ran. Komm, ich bringe dich nach oben“, sagte er und fasste den anderen am Oberarm, führte ihn vorsichtig vom Ort des Geschehens weg. Gabriele blickte zurück in Gedenken an den Wein. Rote Fußspuren führten von der Weinlache fort. Das schmatzende Geräusch von Rans nassem Schuhwerk auf dem gefließten Boden hallte von den Wänden wider, während sie den Ausgang anstrebten. Er würde Satsuki bescheid geben, damit diese hier unten aufräumte. Ran ließ sich ohne Reation mitführen… in den Aufenthaltsraum hinein. Einfach so auf einen Stuhl drücken, als würde es ihn nichts angehen. Gabriele kam zu Brad und erklärte ihm die Situation. Schon als Gabriele sich entschuldigte und sich erhob, spürte Brad, wie die Aura einer Vision näher kam und ihn einnahm. Bilder von Schuldigs vermeintlichen Tod spulten sich nacheinander ab, in einer Schnelligkeit und in verwirrenden Einzelheiten, dass er seinen Kopf zur Seite drehte, damit niemand das Zusammenkneifen seiner Augen bemerkte und er biss die Zähne zusammen. Heftige Kopfschmerzen breiteten sich in seinem Schädel aus und er hatte sich gerade soweit unter Kontrolle, dass er seine Augen wieder öffnen konnte. Er wusste nicht, was diese Vision ihm eigentlich zeigen sollte. Erst als Gabriele vor ihm stand… da war es klar. Aber weshalb würde Rans Problemchen derart beeinflussen? Er wusste es nicht, aber was er wusste war, dass er nicht zu diesem Kerl gehen würde. Gabriele irrte sich nämlich gewaltig. Sein Herz war nicht gut, es war schwarz. Brad zog sein Mobiltelefon hervor und wählte Schuldigs Nummer. „Hallo Raphael. Ich bin es. Ran geht es nicht gut. Hol ihn ab.“ Dann legte er auf. „Mein Geschäftspartner Raphael wird ihn abholen.“ Michele konnte ein Stirnrunzeln nicht ganz unterdrücken. War Raphael der Rothaarige, Rans Freund? Anscheinend… Warum Brad nicht zu Ran gehen wollte, gab ihm ein weiteres Rätsel auf, sogar das Größere. „Willst du dich nicht um Ran kümmern, bis er kommt? Ihr kennt euch… vielleicht kommst du besser an ihn heran als ich?“ o~ Schuldig, der deklarierte Geschäftspartner, starrte das Telefon an als wäre es etwas, das ihm sagte, morgen würde die Welt untergehen. Eine Mischung aus Unglauben, so etwas wie mit Abstand betrachtetes Entsetzen und der grimmigen Bestätigung, dass das, was er befürchtet hatte, endlich eingetroffen war. Ging es jetzt los? Das, was er befürchtet hatte? Ran ging es nicht gut. Was sollte das heißen? Schuldig löste sich vom Anblick des Telefons und warf es auf die Couch. Er schaltete die Sicherheitsanlage ein und löschte das Licht in der Wohnung, bevor er sich seine Waffe nahm, sie in das Holster auf dem unteren Rücken schob und seine Lederjacke überzog. Während er dies tat, wunderte er sich, warum er so ruhig war. Gedanken spulten sich in seinem Kopf ab, die allesamt damit zu tun hatten, wie er Ran wohl vorfinden würde. Es gab einige Szenarien, die zur Auswahl standen. Würde er mit einem tobenden Ran konfrontiert werden? Würde Ran aus dem Laugh geschmissen werden? Machte er sich alles kaputt? Warum zum Teufel hatte Brad ihm nicht mehr erzählt? Dieser Arsch. Die Antwort war klar: damit er ihm eins reinwürgen konnte. Damit Schuldig sich noch mehr Sorgen machte, bis er dort ankam. Die Tür fiel mit Verve ins Schloss und Schuldig nahm gleich mehrere Treppen auf einmal, er sprang die Stockwerke fast schon hinab. Er hatte es verdammt eilig. o~ Brad dagegen hatte es alles andere als eilig. Er machte ein besorgtes Gesicht, beugte sich vor, die Ellbogen auf die Knie gestützt und schüttelte den Kopf langsam, als wäre er nach reiflicher Überlegung zu einem Schluss gekommen. „Nein, Gabriele. Es ist besser wir warten auf Raphael. Wenn es das ist, was ich glaube, dann wäre ich nicht der Richtige, den er jetzt sehen möchte. Warten wir, bis Raphael hier ist, er weiß die Situation besser zu händeln. Ich bin der Falsche dafür. Es hat etwas mit Rans Vergangenheit zu tun“, erklärte er halbseiden. Gut, es gab etwas, das Gabriele nicht wusste… und das nun Brad davon abhielt, zu Ran zu gehen. Gabriele hatte das Gefühl, dass er es gar nicht wissen wollte. Dennoch war der rothaarige Japaner einer seiner Angestellten und er tat, was jeder Chef tun musste. „Kann ich dich für einen Moment hier alleine lassen? Dann kümmere ich mich um Ran, bis dieser Raphael kommt, in Ordnung?“ Brad nickte und hatte eine Floskel bereit um seine selbstverständliche Zustimmung auszudrücken. Als Gabriele gegangen war winkte er die andere Bedienung heran und bestellte sich… einen Wein. Einen guten Wein. Gabriele hatte sich währenddessen in weiteres Mal in den Aufenthaltsraum begeben und den Rest seiner Belegschaft hinausgescheucht. „Ran, hörst du mich?“, fragte er und kniete sich vor dem apathischen jungen Mann, der immer noch nicht wirklich auf ihn reagierte. Seine Hand lag auf Rans linkem Knie und versuchte den anderen durch Körperkontakt zu ihm zurück zu bringen. Nichts. „Was ist los mit dir?“ Nichts. Gar nichts. Voller Sorge lagen seine Augen auf denen des anderen. o~ Schuldig konnte es nicht schnell genug gehen. Der Wagen preschte auf den Bordstein. Er würde nicht lange bleiben. Schnell rein, Ran einsacken und schnell wieder raus war seine Mission. Er musste innerlich selbst über diesen Gedanken zynisch grinsen. Ihm verging es jedoch, als er durch die Eingangstür des Laughs einfiel wie ein Schwarm finsterer Heuschrecken und zunächst sofort Brads Signatur erkannte. Er warf ihm einen angewiderten Blick zu und verzog den Mund abfällig. Es waren nicht viele Menschen hier und schnell waren alle Personen im Raum mittels Telepathie registriert und Gabriele geortet. Schuldig durchquerte zügig das Laugh und ging um die Theke herum zu den hinteren Räumlichkeiten. Zunächst kam er in einen Vorraum, dann in die Küche und schließlich zweigte von dort linker Hand ein weiterer Gang ab der zu… ja da saß Ran und Gabriele harrte neben ihm. Schuldigs Lederjacke knirschte, als er den Reißverschluss öffnete und sich neben Ran kniete, unbewusst Gabrieles vorhergehende Haltung nachahmend. „Hey… Ran, ich bins.“ Er strich ihm die losen Haarsträhnen mit beiden Händen hinter die Ohren und hob Rans Kopf an. „Scheiße.“ Rans Augen waren so leer, als wäre er tot. Nichts war in diesem Moment hinter den violetten Augen, keine Regung, keine Emotion, gar nichts. Aya erkannte weder Schuldig noch Gabriele, er erkannte seine Umgebung nicht, seinen Zustand nicht, nichts. Still saß er da, völlig in sich versunken, völlig in seiner stillen, stummen Welt, in der Blase, die von Minute zu Minute dicker wurde. Schuldig war nichtexistent für ihn, aber Gabriele nahm den rothaarigen Ausländer wahr, den er schon einmal kennen gelernt hatte. „Was ist mit ihm?“, fragte er Raphael. Schuldig wandte den Kopf in einer ruckartigen Bewegung zur Seite als würde er jetzt erst - da dieser sprach - Gabriele wirklich wahrnehmen. „Danke, dass Sie sich um ihn gekümmert haben. Mein Name ist Raphael Laking.“ Er wandte sich wieder Ran zu, sein Daumen strich über die reglose Wange in diesem reglosen Gesicht. „Er ist…“ Schuldig schüttelte den Kopf, als verstehe er es selbst nicht. „…in einem Zustand, der für ihn scheinbar das Ende dessen ist, wovon er die ganze Zeit weggelaufen ist“, murmelte Schuldig wie zu sich selbst. Er blickte Ran einige Minuten still an, streichelte die warme Wange und sah dann wieder zu Gabriele hinüber. Er nahm seine Hand wieder herab, fasste Rans Hände mit seinen. „Um… das vielleicht im Ansatz zu verstehen… müssen Sie einige Dinge wissen…“, er zögerte, weil er Gabrieles Einverständnis wollte um es ihm erzählen zu können. Ran konnte ihm jetzt keine geben. „Was für Dinge?“, gab Gabriele eher unwissentlich sein Einverständnis. Er hätte vielleicht nicht nachfragen sollen, aber er mochte Ran, den stillen, freundlichen Mann, der gut arbeiten konnte und der seiner Frau auf Anhieb sympathisch gewesen war. Er wollte ihm noch eine Chance geben, er wollte ihn nicht einfach so hinauswerfen, denn das musste er zwangsläufig tun, wenn es Ran weiterhin so schlecht ging. Wenn es zu mehrfachen Aussetzern kam. „Wissen Sie… es geht ihm gut heute. Gerade jetzt ist er so etwas wie… glücklich mit dem, was er hat, oder“, Schuldig lachte zynisch voller Bitterkeit auf. „…was ihm geblieben ist.“ Der kümmerliche Rest des mageren Satzes unten… ganz unten in der Tasse war ihm geblieben: die Schuld. Oder… Schuldig. „Und jetzt… kommt das, was er die Vergangenheit nennt, mit einem Schlag zurück und bricht ihm das Genick.“ Schuldig beobachtete Ran genau, aber nichts… nichts regte sich in den Augen. Kein Erkennen war zu sehen. „Ran war sechzehn, als er seine Familie bei einem Unfall verlor. Seine Schwester lag seither im Koma. Ich lernte ihn damals schon kennen. Und er hasste mich.“ Schuldig blieb sehr nahe an der Wahrheit, aber schmückendes Beiwerk und einige Auslassungen waren natürlich inbegriffen. „Brad arbeitete als unabhängiger Berater einer großen Firma zu diesem Zeitpunkt. Ich kam durch ihn in die Firma und war so etwas wie sein Sekretär, für die Übersetzungen und den ganzen administrativen Teil zuständig. Unser Boss plante die feindliche Übernahme der Firma von Rans Vater und wir taten alles um dies durchzusetzen. Sein Vater wehrte sich, aber sie hatten keine wirkliche Chance gegen diesen Hai. Doch sein Mut und vor allem seine Findigkeit hätten ihn tatsächlich durch eine Fusion mit einem anderen Konzern vor unserem Boss gerettet, wenn nicht plötzlich dieser tragische Unfall dazwischen gekommen wäre. Seine Eltern starben sofort und seine Schwester lag über Jahre im Wachkoma.“ Schuldig erhob sich und zog sich einen Stuhl heran, behielt seine Hände mit Rans verschränkt. Gabriele konnte das Unwohlsein nicht wirklich hinter sich lassen, das ihn anhand dieser ehrlichen Worte beschlichen hatte. Sein Blick ruhte auf Ran, dessen Augen auf nichts lagen, das in ihrer Welt verweilte. So war also die Verbindung zwischen diesen drei Männern, auch zwischen Brad und Ran. Vielleicht passte es jetzt, dass Brad Ran nicht mochte, dass sie sich gegenseitig nicht leiden konnten. Es war… verständlich, zum gewissen Teil. „Wie alt ist er jetzt? Er sieht nicht so alt aus…“, fragte Gabriele und hockte sich auf den Boden, setzte sich auf seine Fersen zurück. Wie lange lebte Ran schon mit dieser Trauer, anstelle sie zu verarbeiten? „Er ist gerade erst knapp über zwanzig.“ Schuldig schwieg und sein Blick fiel auf die Haarspange die er Ran erst vor wenigen Tagen geschenkt hatte. „Ich hatte ihn aus den Augen verloren, bis… bis vor ein paar Monaten, als ich ihn auf dem Nachhauseweg auf einer Brücke erkannt habe. Er wollte springen. Seine Schwester war gestorben. Sein einziger Halt und all die Jahre hatte er gehofft und für sie gearbeitet um das nötige Geld für die Krankenhauskosten aufzubringen. Es war umsonst gewesen, sie starb und ließ ihn zurück. An dem Tag habe ich ihn zu mir geholt. Vermutlich das schlechte Gewissen. Zu… einem Teil.“ Er atmete tief ein. Auch wenn es nur ein kleines Märchen war, so stimmte… die Hälfte hinter der traurigen Fassade und verbarg nur geschickt die schlimmere Wahrheit dahinter. „Anfangs war es sehr schwierig. Er gab mir für vieles die Schuld. Für den Tod seiner Eltern, für den Ruin, für… den Tod seiner Schwester, für das… was aus ihm geworden war. Er war mittellos und er war gebunden an… eine… der Organisationen… sie wissen, wen ich damit meine.“ Natürlich… die bösen Yakuza. „Er blieb bei mir, warum auch immer.“ Schuldig zuckte mit den Schultern. „Sie haben sicher bemerkt, dass uns mehr verbindet als nur bloße Freundschaft, Amerati-san. Irgendwann in den letzten Monaten wandelten sich unsere Gefühle füreinander. Auch wenn unser beider Vorlieben nicht in der Männerwelt anzusiedeln wären.“ Schuldig runzelte die Stirn, als würde er das selbst seltsam finden, schließlich spielte er hier eine Rolle. Vielleicht sollte er über eine Karriere in Hollywood nachdenken… „Er verdrängte viele Dinge, versuchte stark zu sein und schaffte es, dies nach außen hin zu zeigen. Auch wenn ihm die Yakuza im Nacken saß und er meine Wohnung so gut wie nie verließ. Ein Gefangener. Es war schrecklich, für uns beide. Schließlich… gingen wir einen Handel ein und er kam frei. Ein wenig Luft für uns beide. Der Tod seiner Schwester geriet weiter in den Hintergrund und verkam wie so vieles zu einem Schatten. Einer Bedrohung.“ Er machte eine wirkungsvolle Pause und blickte für einen Moment zu dem gebürtigen Italiener. „Vor ein paar Wochen… musste ich auf eine Geschäftsreise nach China. Mein Flugzeug stürzte ab, ein kleiner Privatjet und ich galt zwei Wochen als tot. Ich denke… das war der Zeitpunkt, zu dem Sie ihn kennen gelernt haben Amerati-san.“ Diese Wahrheit war zugegeben schlimmer als das, was Gabriele selbst vermutet hatte. Viel schlimmer. Es erklärte einiges. Er dachte zurück an ihr erstes Kennen lernen, an den Mann, der so verschlossen, aber arbeitswillig gewesen war, nie gelächelt hatte. Bis zu den zwei Wochen Urlaub, die er hatte und nach denen er wie geheilt zurückgekehrt war. „Er war zu diesem Zeitpunkt ehrlicher mit seinen Gefühlen meiner Frau und mir gegenüber als jetzt, habe ich das Gefühl“, mutmaßte Gabriele. „Er lächelt zwar seit einigen Wochen, aber dieses Lächeln ist unstet. Als würde noch etwas anderes dahinter stecken. Doch nun war ihm klar, was sich dahinter verbarg. Viel Leid, zu wenig Verarbeitung dessen und der endgültige Zusammenbruch. „Können Sie ihn aus seiner Starre holen?“ „Das weiß ich nicht. Ich bin Psychologe… überwiegend in der Wirtschaft tätig. Er braucht Zeit. Wenigstens für die akute Phase um sich zu erholen. Die Verarbeitung wird jedoch Monate in Anspruch nehmen.“ Schuldig las die Gedanken des Mannes. „Zwei Wochen. Können Sie ihn zwei Wochen entbehren?“ Er blickte auf und fing Ameratis Blick ein. „Er liebt diesen Job und er braucht ihn, damit er das Gefühl hat selbst etwas zu tun.“ Er hatte es nicht nötig, diesen Mann selbst entscheiden zu lassen, er konnte ihm die Entscheidung aufdrängen aber… noch war es offen, noch konnte er dem Mann seinen Willen lassen. Ran würde den Job behalten… so… oder so. Die Stirn runzelnd, dachte Gabriele über diese besagten zwei Wochen nach. Natürlich spielte da sehr mit hinein, dass Ran diese Arbeit gerne machte, was man auch sah. Er konnte für diesen Zeitraum das Personal umschichten, das war kein Problem... nur was war, wenn es nicht funktionierte? Wenn Ran es schließlich nicht schaffte? „Zwei Wochen gebe ich ihm. Danach muss er wieder arbeiten, sonst kann ich den Ausfall nicht tragen. Ich muss an meine Bars denken, Laking-san und dass Rans Stelle dann eine vakante Stelle ist, die ich für diesen Moment nicht nachbesetzen kann. „Denken Sie, dass sie es innerhalb dieses kurzen Zeitraumes hinbekommen, ihn wieder zu sich zu führen?“ „Ich hoffe es. Wenn nicht, dann ist es nur zu verständlich, dass er sich, wenn es ihm wieder besser geht, nach einem neuen Job umsehen muss. Das würde er verstehen.“ Schuldig glaubte, dass es durchaus länger dauern würde, aber die ersten Tage entscheidend waren. Nur selbst er konnte in diesem Fall keine Voraussagen treffen und Brad… der es konnte… der würde es mit Sicherheit nicht tun. Schuldig erhob sich und sah sich um. „Wo hat er seine Sachen?“ Rans Jacke entdeckte er an der Garderobe in diesem Raum und er holte sie sich. Jetzt fehlte nur noch Rans Umhängetasche. „Hinter der Theke, ich hol sie Ihnen, warten Sie“, erwiderte Gabriele und verschwand aus dem Aufenthaltsraum nur um ein paar Sekunden wieder mit Rans Tasche bei Laking-san zu stehen. Es war die mit einer Kirsche im typisch japanischen SD-Format, die ihn angrinste. Warum auch immer Ran diese Tasche besaß… passte sie doch gar nicht zu dem ruhigen, eher biederen Mann… so hatte zumindest Gabriele den Eindruck. Er reichte sie dem Ausländer. „Warten wir die zwei Wochen ab, dann melden Sie sich noch einmal bei mir.“ Schuldig nahm die Tasche an sich und hängte sie sich um. Er spürte allein an der Schwere nach, dass wohl Rans Waffe noch gut verpackt und verborgen in einem der Fächer lag. „Sie werden von mir Mitte der zweiten Woche hören, damit sie Zeit haben Ersatz zu suchen, falls es nicht klappen sollte“, erklärte Schuldig. Ob er Gabriele nicht doch beeinflussen würde, damit Ran seinen Job weiterhin behalten konnte, wusste er nicht. Er würde es spontan entscheiden, doch jetzt hatten sie erst einmal zwei Wochen um das Beste daraus zu machen. Schuldig beugte sich zu Ran hinunter und fasste ihn unter dem Oberarm. „Komm, Ran, steh auf, wir gehen nach Hause. Du bist müde und du solltest dich hinlegen.“ Mit welcher Liebe Laking-san mit Ran umging… Gabriele war kein Mann großer Liebesschwüre, auch nicht seiner Frau gegenüber, doch er war alt genug zu wissen, wenn Menschen zueinander gehörten. „Ich wünsche ihm alles Gute für die Besserung… sagen Sie ihm das bitte, wenn er wieder zu sich kommt“, sagte er mit Sorge in Rans Richtung, in dessen leere Augen, die nichts preis gaben, was hinter ihnen geschah. Er hielt den beiden die Tür auf. „Wenn Sie möchten, können Sie durch die Hintertür hinausgehen. Da erregen Sie weniger Aufsehen mit.“ Schuldig nickte. Ran war problemlos mit ihm aufgestanden und folgte dem Zug seiner Hand. Als Ran stand löste er die schwarze Schürze von dessen Hüften und reichte sie Amerati weiter. Sie verließen das Laugh über den Hintereingang und kamen dann wieder zum Eingang. Schuldig platzierte Ran auf dem Sitz, drehte ihn dann und schob die Beine hinein. Erst dann schnallte er ihn an, legte die Ledertasche mit der daraufgestickten Kirsche auf Rans Schoß. Er griff sich Rans Hand während der Fahrt. Sie war kühl und verschwitzt. Ran hatte Stress. Großen sogar. Aber es zeigte sich nichts. Das war in der Tat der Fall, denn in Ran wirbelte alles, was er in den letzten Monaten und Jahren an Stress und an Trauer angesammelt hatte, einzig und allein durch eine heruntergefallene Flasche Wein ausgelöst, in ihm herum und ließ keinen klaren Gedanken mehr zu. Keinen Einzigen. Seine linke Hand bewegte sich in unregelmäßigen Abständen, während seine rechte ruhig in Schuldigs ruhte… anscheinend besänftigt durch den Körperkontakt, der ihr zuteil wurde. Bilder zogen an ihm vorbei, Gegenwart und Vergangenheit gemischt und stauten sich mehr und mehr zu einem Brei auf, der ihn verschlang und erdrückte, ohne dass er es sich selbst bewusst wurde… ohne dass er je erleben würde, wie sein bewusstes Denken schließlich an dem Overload sterben würde Das Gefühl, dass diese Fahrt ewig dauern würde, ließ Schuldig erst los, als sie auf dem Parkplatz hinter dem Gebäude ankamen und er den Motor ausstellte. Er gönnte sich einen Moment und legte für zwei Atemzüge den Kopf in den Nacken, bevor er den Gurt löste und ausstieg. Er beförderte Ran genauso aus dem Wagen wie er ihm hineingeholfen hatte, er musste erneut darauf achten, dass Ran sich nicht den Kopf stieß. „Wir sind da. Jetzt müssen wir nur noch nach oben, Ran.“ Er sprach Rans Namen häufiger aus, als er es vielleicht sonst tat, weil er ihm das Bewusstsein für sich selbst erhalten wollte. Sie fuhren mit dem Aufzug hinauf und er öffnete die Wohnung. Es roch nach dem was er gekocht hatte und dem vertrauten Geruch ihrer selbst. Er schaltete die verschiedenen Lichter einer gedämmten Beleuchtung an und schon kurz danach war Banshee bei ihnen im Flur. Schuldig zog Ran mit ins Schlafzimmer und ließ ihn sich hinsetzen, gab ihm fast augenblicklich Banshee auf den Arm. Währenddessen sprach er fast unablässig mit ihm und erklärte ihm was er tat. Weiches Fell umstrich Ayas Rezeptoren und löste Bildfetzen in ihm aus. Erst undeutlich, dann immer deutlicher schwammen Eindrücke von Haaren vor seinem inneren Auge vorbei. Immer wieder tauchten sie wie das heimelige Leuchten eines Glühwürmchens vor ihm auf und erloschen schnell wieder… oder vielleicht wie das verführerische Licht des Anglerfisches, der seine Beute lockte und sie dann fraß. Schuldigs Worte erreichten ihn nicht, nur die Laute, die sich irgendwann mit einem Namen verbanden. Y…Yo…Youj… „Youji“, flüsterten seine Lippen, angestrengt, als müssten sie lernen, was sie sonst ohne Probleme konnten. „Youji.“ Probierten sie noch einmal, erfolgreicher dieses Mal. Er dachte diesen Namen und ein Bild zuckte vor seinem inneren Auge. Schuldig blickte von seiner Tätigkeit auf, Ran die Schuhe auszuziehen. Das war etwas was Schuldig ganz und gar nicht hören wollte. Den Namen des Playboys. „Yohji?“ Seine Hand strich über Rans Wange und er versuchte eine Regung in dem Gesicht über sich zu erkennen. So unstet, wie Ayas Gedanken in den letzten Minuten waren, waren nun auch seine Handlungen. Der Berührung Schuldigs löste in ihm eine Reaktion aus, die er weder steuern noch aktiv wahrnehmen konnte… so als hätte sein Instinkt das Leben für ihn übernommen… oder seine Erinnerungen, die fehlerhaft und nur noch in Bruchstücken vorhanden war. Er zuckte zurück, weg von dieser Berührung, die nicht zu dem Namen, zu dem Gesicht zu passen schienen, die Augen immer noch leer. Sein Körper trat den Rückzug an, wollte sich schützen, ohne sich bewusst zu sein, vor wem. „Youji…“ Ran drehte den Kopf und den Oberkörper seitlich weg. Weg von seiner Hand und weg von ihm. Schuldigs Hand erstarrte und er zog sie zurück, erhob sich und setzte sich neben Ran. Er ahnte, dass es Ran nach etwas Vertrautem sehnte… und er wusste, dass er nicht dieses Vertraute war. Nicht für Rans Langzeitgedächtnis. Nichtsdestotrotz tat es ihm weh. Es schmerzte, dass Ran ihn aus seiner Wahrnehmung gelöscht hatte. Vollständig. „Hey… Blumenkind… Ran… sprich mit mir.“ Kein Wort verließ Ayas Lippen. Er schwieg, besänftigt dadurch, dass ihn nichts berührte, nichts anfasste, dass der unmittelbare Reiz nicht da war. Die kleine Rote war schon lange nicht mehr auf seinem Schoß, vertrieben durch sein unzusammenhängendes Wesen. Sie spürte, dass etwas nicht in Ordnung war… und war nun am Rand des Bettes, während ihre grünen Augen beide, sowohl Schuldig als auch Aya betrachteten. Seine Hände krampften hin und wieder in der Decke, sonst war sein Körper still, vollkommen still. „Ran…“ Schuldig versuchte es erneut, löste die Haarspange aus Rans Haar mit einem Klick und legte sie zur Seite. Er öffnete zwei weitere Knöpfe des weißen Hemdes, damit Ran es bequemer hatte und erhob sich dann. Er musste Rans Aufmerksamkeit erregen, aber wenn selbst Banshee dazu nicht fähig war? Schuldig stand da und sah auf Ran hinab. Überlegte fieberhaft wie ihm das gelingen konnte. Ran war gerade vor seiner Berührung geflohen, hatte sich abgewandt. Eine Reaktion. Wenn auch eine negative. Aber es war eine. Schuldig setzte sich wieder neben Ran und nahm ihn in seine Arme, spürte bereits sofort die Anspannung in dem Körper. Aber er hoffte, dass er nicht zuviel Schaden damit anrichten würde. Die Katastrophe näherte sich, kam und überrollte beide, Schuldig bei vollem Bewusstsein, Aya unbewusst. Berührung. Nähe, menschliche. Schuldig hoffte, dass er nicht zuviel Schaden anrichten würde, doch er tat es in diesem Moment mehr, als er befürchtet hatte. Aus Anspannung wurde unterbewusste Angst und daraus der Instinkt, sich gegen all seine Feinde zu Wehr zu setzen. Aya kämpfte mit all seiner Kraft, ohne Rücksicht auf das Wissen, dass es Schuldig war, den er hier bekämpfte. Er wehrte sich, versuchte sich, aus diesen Armen zu winden, dem zu entkommen, was ihn festhielt, ihn fesselte. Neue Bilder drängten sich ihm auf, Bildfetzen über feindliche Berührungen, über Metall. Sie trugen den Beigeschmack Hilflosigkeit und genau dagegen rebellierte sein Körper nun mit all seiner Macht. Schuldig bekam Rans Ellbogen in die Seite und eine Hand gegen seinen Hals bevor er von Ran weg kam und schlussendlich auf dem Boden landete. Ran lag auf der Seite auf dem Bett und keuchte. Sein Atem beruhigte sich kaum als hätte er Panik. „Ist gut… Ran. Ich… ich fass dich nicht mehr an.“ Ein Satz der Schuldig sehr schwer über die Lippen kam. Er rutschte zurück zur Wand und blieb dort sitzen, überlegte wieder. Was konnte er tun? Rans Atmung hatte sich wieder etwas… ein wenig normalisiert. Doch die verkrümmte starre seitliche Lage blieb. Nach etlichen Minuten schloss er die Augen und versuchte Kudou mittels Telepathie zu finden. Kudou war im Koneko und soweit Schuldig das mitbekam lag er auf der Couch und besah sich das vormitternächtliche Fernsehprogramm. „Kudou. Komm her. Ran geht es nicht gut. Er ruft nach dir.“ Etwas weiter in Tokyo entfernt hustete Youji, als ginge es um sein Leben und stellte zitternd das Glas Sherry ab, das er gerade in der Hand gehalten hatte. Er beugte sich zur Seite und blinzelte um den Schock zu vertreiben, der ihn anhand des plötzlichen Überfalls überkommen hatte. ‚Was?!’, dachte er schließlich fassungslos, als ihm bewusst wurde, was Schuldig ihm gerade übermittelt hatte. ‚Was ist mit Ran? Wieso ruft er nach mir?’ Dass Schuldig etwas mit Ran gemacht hatte, drängte sich ihm nur für eine Millisekunde auf, doch der Gedanke war genauso schnell wieder verschwunden, wie er gekommen war… war er doch zu abstrus. Aber was dann? Schuldig gönnte sich ein genervtes Augenrollen und setzte zur Erklärung an. Wenigstens DAS blieb beim Alten und er musste sich auf keine Überraschungen mehr gefasst machen. ,Nein. Ich habe Ran nichts angetan. Immerhin entschädigt mich dein Fasterstickungstod für diese ständige Verdächtigung.' Es gab noch so etwas wie Gerechtigkeit auf diesem Planeten. Und das in der Verkleidung von Sherry. Wer hätte es gedacht? ,Er hat einen psychischen Zusammenbruch. Und jetzt tu nicht so, als wäre das nicht zu erwarten gewesen. Wenn du da bist, erklär ich dir den Rest. Schwing deinen Hintern her. Park den Wagen einige Straßen weiter unten. Ich hol dich dort an dem kleinen Restaurant ab. Keine Mobiltelefone oder sonstigen Schnickschnack.' Er nannte ihm die Straße und verließ den Weiß Agenten. Schuldig erhob sich nach diesem kleinen geistigen Treffen und machte sich daran, Ran den zweiten Schuh vom Fuß zu ziehen. Er deckte ihn zu, ließ die schwache Beleuchtung an und verließ das Schlafzimmer. Als wäre das nicht zu erwarten gewesen… „Als wäre das nicht zu erwarten gewesen!“, äffte Youji Schuldig nach, als er an besagtem Restaurant stand und sich die Zeit damit vertrieb, die Umgebung zu beobachten und sich zu fragen, ob er auch alle möglichen Verfolger abgehängt hatte. Normalerweise hätte er es für zu gefährlich erachtet, direkt in die Wohnung der beiden zu fahren, doch angesichts der noch unklaren Umstände… Für ihn war es nicht wirklich klar gewesen, dass Ran einen Zusammenbruch erleiden würde, dazu schien ihm der andere Mann zu stark gewesen. Doch war es vor ein paar Jahren nicht genau das gleiche gewesen? Von heute auf morgen der Supergau. Er lehnte an der kühlen Mauer des Lokals und malte sich aus, welche Auswirkungen der Zusammenbruch haben könnte… wie schlimm es war. ‚Hat man dir als Kind nicht beigebracht, andere Leute nicht nachzumachen?’ kam die Stimme aus dem schattigen Hintergrund. Schuldig bog gerade um die Ecke und wartete, dass der Blonde sich in Bewegung setzte. Er war den Weg bis hierher gelaufen und sie würden auch den Rückweg zu Fuß zurücklegen. Schuldig trug eine dunkle Mütze und sein „Held“ Shirt, allerdings halb verdeckt von seiner Lederjacke. Auf Schuldig zukommend, verzog Youji spöttisch die Lippen und entließ ein verächtliches Schnauben. Wenigstens sah der Deutsche wieder wohlgenährter aus… ein Vorteil von Rans Küche. Youji erinnerte sich da an das Häufchen Elend, das ins Koneko geschlichen gekommen war um Ran zu suchen, nachdem er diesen herausgeschmissen hatte. Wochen her war es… wie die Zeit verging. ‚Hat man dir als Kind nicht beigebracht, nicht in den Köpfen anderer herum zu schnüffeln?’, kam es postwendend zurück an den Telepathen und gemeinsam traten sie den Weg durch eine der Seitengassen an. Schuldig konnte nicht behaupten, dass er groß in Stimmung für das Gelabere des Blonden war. Denn dieser war auf dem Besten Weg, ihm auf den Sack zu gehen. „Nein, hat man tatsächlich nicht. Vielleicht hätte man es tun sollen. Die Frage ist nur wie. Vielleicht hätte meine Mutter mich gleich auch noch mit erhängen sollen. Dann wäre das Problem gar nicht erst groß aufgekommen“, meinte er gelassen, mit einer großen Portion schwarzen Humors. Er fragte sich tatsächlich, warum Kudou derart schlecht gelaunt war. Schuldig blieb jedoch ruhig, konzentriert und ließ sich nicht provozieren. „Und such dir jemand anderen für deine schlechte Laune.“ „Ich bin nie schlecht gelaunt“, erwiderte Youji und zuckte mit den Schultern, steckte sich im Laufen eine Zigarette an. Wenn Schuldigs Mutter ihn mit erhängt hätte, wäre ihnen einiges erspart geblieben, das stimmte, aber Ran hätte jetzt auch keinen Partner, oder vielleicht doch, wer wusste das schon. Oder sie hätten keinen Stress mit unbekannten Feinden, die sie dazu benutzten, Schwarz zu schaden. Mit Schaudern dachte Youji an die Nacht zurück, wo er die Bekanntschaft… in der Jei ihm aus der Klemme geholfen hatte. Die Gegend war ruhig um diese Uhrzeit, so ganz anders als die belebten Viertel. ‚Was ist mit ihm?’ Sie waren am Haus angekommen und Schuldig deutete auf den richtigen Eingang. Sicher. Nie schlecht gelaunt. Vor allem in seiner Nähe war Kudou nie schlecht gelaunt. Schuldig dachte mit Sarkasmus an einige vergangene Begegnungen zurück, so auch an die vergangenen Minuten, in denen er nichts provoziert, aber dafür einiges geerntet hatte. ‚Das wirst du gleich sehen.’ Sie waren am Hauseingang angekommen und Schuldig sperrte auf, ließ das Licht aus und ging die Treppe hinauf. Youji folgte dem anderen und gemeinsam betraten sie schließlich die Wohnung, die, wie die andere auch, groß und geräumig zu sein schien… zumindest von dem, was er beim ersten Anblick an sah. Leises Maunzen riss ihn aus seiner Betrachtung und er sah sich der kleinen Roten gegenüber, deren grüne Augen erwartungsvoll zu ihm hinaufsahen. Er hob Banshee hoch und schloss die Tür hinter sich. „Wo ist er?“ „Im Schlafzimmer. Zweite Tür rechts. Sieh es dir an, danach komm auf die Terrasse. Ich warte dort auf dich.“ Schuldig ging vor und zur Küche. Dort angekommen holte er aus dem Vorratsschrank einen Sixpack Bier und stellte die Dosen im praktischen Halter auf die Küchenablage. Dann öffnete er die Tür zur Terrasse und ging hinaus. Sein Blick fiel beinahe sofort auf die Zigarettenschachtel auf dem Tischchen neben der Liege und er griff nach ihr. Er überlegte einen Moment bevor er sich eine Zigarette herausklopfte und sie sich mit dem in der Schachtel verstauten Feuerzeug eine anzündete. Sieh es dir an… das Elend namens Ran. Youji seufzte innerlich und folgte Schuldigs Wegbeschreibung mit klopfendem Herzen ins Schlafzimmer. In der Wohnung an sich war es ruhig, doch er hätte sich auch gewundert, wenn Ran getobt hätte… das war nicht seine Art, ganz und gar nicht. Bei ihm kam der Verfall still und leise, so überraschend, dass man kaum Zeit hatte zu reagieren. Das merkte Youji nun auch, wie er die Tür öffnete und sich einer leblosen, aber zitternden Figur gegenübersah, die verkrampft auf dem Bett lag und weinte. Stille Tränen rannen dem langhaarigen Mann aus den Augen, tränkten die Matratze unter ihm. „Nicht schon wieder….“, murmelte Youji liebevoll und kam zu seinem Freund, kniete sich vor das Bett. Rans Augen sahen ihn nicht, sahen gar nichts. Doch vielleicht erreichte er ihn durch äußere Reize, die penetranter waren. „Ran. Ran, hörst du mich? Ich bin es, Youji. Hörst du, Youji… dein Freund… Youji“, sagte er wie eine Beschwörung, doch nichts geschah, nichts, bis auf diese verdammten Tränen, die an Youjis Selbstbeherrschung rissen. „Warum siehst du mich nicht an, Ran, hmm?“, fragte er und berührte den anderen an der Wange, erfuhr jedoch unwissentlich die gleiche Ablehnung wie Schuldig auch. Ran zuckte zurück, weg von dieser Hand. „You… ji… Youji….“ Der blonde Weiß runzelte die Stirn. Zumindest erinnerte sich Ran noch an ihn. „Youji ist hier, Ran. Bei dir. Direkt neben dir. Youji ist bei dir…“ Doch noch einmal wagte es Youji nicht, Ran anzufassen… er musste erst mit Schuldig sprechen, was los war. „Ich komme gleich wieder, keine Sorge, Ran.“ Leise und vor allen Dingen langsam erhob er sich und verließ das puristische Schlafzimmer, kam zu Schuldig auf die Terrasse. Dieser stand auf der stadtzugewandten Seite und bließ den Rauch in den nächtlichen Himmel. Als er bemerkte wie Kudou auf die Terrasse trat wandte er den Kopf für einen kurzen Blick zu diesem. „Und… irgendeine Idee, wie du das wieder hinbiegen willst?“, fragte er in ruhigem Tonfall, eher gelangweilt, fern der Problematik. Er versuchte sich selbst davon abzuschotten. Ran in diesem Zustand zu sehen erinnerte ihn an Vergangenes. Nicht so sehr an die gemeinsame jüngste Vergangenheit mit Ran, sondern eine die länger zurück lag und nur ihn betraf. „Mit Gewalt“, sagte Youji nach einigem Überlegen. „Viel Geduld, keinem Gehör und viel Nähe. Zumindest lautet so mein erster Plan. Wenn das nicht klappt, werde ich mir etwas anderes ausdenken müssen, doch soweit bin ich jetzt noch nicht. Damals war er wenigstens noch ansprechbar gewesen… das ist er heute nicht.“ Youji sah tief in Gedanken versunken hinunter auf den Vorplatz und verschränkte die Arme. „Wie ist es passiert? Gab es irgendeinen Auslöser?“ „Nicht direkt.“ Schuldig schob die Zigaretten mit einem scheinbar achtlosen Schubbs seiner Finger über die gemauerte Brüstung zu Yohji hinüber. „Er sollte eine Flasche Wein aus dem Keller holen. Eine gute Flasche Wein. Die fiel ihm runter und danach war er nicht mehr ansprechbar. Keine Tränen, kein Geheul, kein Geschrei, kein gar nichts. Sein Boss im Laugh war bei ihm, bis ich dort war und ihn mitnehmen konnte.“ Dass Brad dort auch war und die Flasche wohl für ihn war, behielt er besser für sich. Das war wenig. Zu wenig, mochte Youji schon fast sagen, dafür, dass Ran nun so apathisch war. „Hat er sich vorher irgendwie auffällig benommen, irgendetwas getan?“ „…irgendetwas …“, flüsterte Schuldig und verengte die Augen, als konzentrierte er sich auf einen Punkt in der Ferne. „…ist untertrieben.“ Schuldig ließ seine Zigarette im Mundwinkel baumeln während er seine Haare in einem lässigen Zopf zusammenfasste. Als er damit fertig war, nahm er einen tiefen Zug. „In den zwei Wochen, in denen wir weg waren, bin ich… krank geworden. Ich bin selten krank.“ Er sah kurz zu dem Blonden hinüber um klar zu stellen, dass auch wenn er hier aus dem Nähkästchen plauderte, sie keine dicken Freunde waren. Für einen dummen Augenblick, dachte er das tatsächlich und dann seufzte er und wischte diesen Gedanken vom Tisch. „Vermutlich hing es damit zusammen, dass ich zu lange in diesem Rattenloch in China war. Ran hat sich um mich gekümmert, aber es hat ihm wohl den Rest gegeben.“ Die Wunden auf seinem Rücken waren in der Zwischenzeit größtenteils abgeheilt. Jetzt waren dort nur mehr hellrote Streifen zu sehen die neue Hautschichten kennzeichneten. Das war ein Faktor, aber Youji glaubte nicht, dass das alles war… vielleicht war es die verspätete Reaktion auf Schuldigs Tod und Wiederkehr, das konnte sein, aber auch das glaubte Youji nicht. Dafür war Ran trotz allem zu abgebrüht… die Frage war jedoch, was war, wenn sich seine komplette Vergangenheit aufgestaut und entladen hatte… „Er kümmert sich gerne um dich, das würde ihm nicht den Rest geben“, sagte Youji nachdenklich und griff zur Schachtel Zigaretten, zog sich eine heraus. „Feuer?“ „Das alleine nicht. Stimmt.“ Dieses letzte Wort implizierte, dass es viele Dinge waren, die sich gegen Ran verschworen hatten. Nicht nur dieses eine. Schuldig kramte aus seiner Hosentasche sein Sturmfeuerzeug, das er sich vorsorglich schon einmal eingesteckt hatte und klappte es auf, gab Yohji Feuer. „Wir waren allein, Schnüffler. Kein Arzt, kein niemand in der Nähe. Wir saßen in einem Sturm fest und ich war nicht ansprechbar. Es hat ihn mitgenommen. Nachdem er mich ein paar Tage zuvor noch in der Hölle vermutet hatte, war das kein guter Zeitpunkt um halbtoter Mann zu spielen.“ Der letzte Rest der Zigarette wurde inhaliert und ihre fasrigen Überreste dem Aschenbecher zugeführt. „Ich wusste, dass etwas nicht stimmt, als…“, fing er an und schüttelte den Kopf, da er anders anfangen musste. „Wir schliefen. Ich wachte durch ein Geräusch auf. Er musste geschrien haben. Als ich ihn ansprach, hat er mich nicht erkannt. Er hatte eine Scheißangst vor mir. Was aber das Charakteristische an der Sache war, war der Hass in seinen Augen. Klingt pathetisch, es war aber… ätzend.“ Er machte eine Pause und griff zur Zigarettenschachtel. Nahm sich eine neue heraus und zündete sie an. „Ich weiß, dass wir über die letzten Jahre noch nicht hinaus gewachsen sind. Das wird dauern, aber diese Schatten machen mich krank“, gab er bitter zu. „Er stand auf und ging ins Bad. Ich hab gehört wie er sich übergeben musste. Wir haben darüber gesprochen und es schien sich zu geben. Dann kam die Wohnungssuche und die Probleme… mit Crawford, die uns zusetzten. Ran war gut drauf, der Job hat ihm Spaß gemacht. Er hat Berge an Essen in sich hineingestopft nach der Arbeit, war richtig müde und hat gelacht. Dinge, die bei ihm hohen Seltenheitswert haben. Und dann… seit zwei Wochen hat er angefangen mich anzumachen und dann plötzlich aus fadenscheinigen Gründen keine Lust mehr zu haben. Ab da wusste ich, dass etwas Großes auf ihn zukommen würde. Und es würde nicht schön sein. Gestern ist er völlig ausgerastet. Es ging um Zigaretten. Er hat mir den Aschenbecher nachgeworfen und herumgeschrieen. Mords Gezeter um nichts veranstaltet.“ „Das hat er mir alles nicht erzählt“, war das Erste, was Youji dazu einfiel. Ran und er hatten über viele Dinge gesprochen, auch über das, was passiert war, über ihre Zukunft und Rans Probleme, doch darüber nicht. „Er hat dich angegriffen“, wiederholte Youji mit einem Ton an Unglauben in der Stimme. Ran würde Schuldig niemals angreifen, wenn er Herr seiner Sinne wäre, dafür liebte er den anderen zu sehr. Ran war außerhalb ihrer Aufträge sowieso kein gewaltbereiter Mensch gewesen. Dann, wenn es notwendig war, ja. Aber ansonsten nicht. Zumindest was körperliche Gewalt gegen andere anging, von psychischer Gewalt gegen sich selbst wollte Youji nicht reden… die hatte es in den ersten Jahren genug gegeben. „Du gibst ihm Normalität und mit der Normalität kommen die Erinnerungen.“ Ein Teufelskreis, doch auch notwendig. Ansonsten würde Ran schlussendlich erkalten. „Er muss sich da jetzt durchbeißen… das ist sein eigenes Fegefeuer, aus dem er wieder auferstehen kann.“ Wie poetisch, resümierte Youji ironisch und nahm erneut einen tiefen Zug. Aber es stimmte. Entweder das oder Ran ging zugrunde. Doch er hatte es schon einmal geschafft. „Ja, sehr poetisch“, pflichtete Schuldig bei und schmunzelte leicht. Und Schuldig musste zugeben, dass die Sache mit dem Fegefeuer durchaus sein Verschulden war. Hätten sie dieses Tächtel Mächtel nicht begonnen dann gäbe es dieses Fegefeuer jetzt nicht. Diese Normalität war gut. Aber warum musste alles erst immer schlimmer werden bevor es besser werden konnte? Fortsetzung folgt... Vielen Dank für‘s Lesen. Bis zum nächsten Mal! Gadreel & Coco Diese und unsere anderen Geschichten findet ihr auch unter http://gadreel-coco.livejournal.com Viel Spaß beim Stöbern! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)