Der Glasgarten von Gadreel_Coco ================================================================================ Kapitel 123: dead end --------------------- Er steckte ruhig sein Handy ein um zu tarnen, dass er den potentiellen Angreifer bemerkt hatte. In einer Wohngegend wie dieser war nicht jeder Mensch hinter ihm ein Killer. Bei seinem Lebenswandel standen die Chancen aber verdammt hoch. Deshalb war es besser auf Nummer sicher zu gehen. Yohji drehte sich um, den Draht an seinem linken Arm mit der Rechten geräuschlos gezogen und unsichtbar für unaufmerksame Beobachter gespannt. In dem Moment in dem ihm ins Bewusstsein sickerte, dass es nur der übliche Stalker war, der sich zu erkennen gab ließ er den Draht mit einer Handbewegung verschwinden und seufzte um zu kaschieren wie sehr sein Körper auf Autopilot gestellt hatte. „Du weißt schon, dass diese Art des Nachstellens in der jetzigen Situation tödlich ausgehen hätte können?“ Jei wartete geduldig ab, bis der Japaner sich beruhigt hatte. Sie achteten beide darauf, dass sie nicht von den Straßenlaternen ins Visier genommen wurden. Seine Aufmerksamkeit lag primär auf der Umgebung. „Für wen?“, fragte er wenig an der Antwort interessiert. Er fragte sich wie lange Sin brauchten um hier her zu finden. Yohji hörte die Worte, aber er hörte zwischen ihnen heraus: Du wärst zu langsam gewesen. Du bist unaufmerksam. Du bist verbraucht und kaputt. „Wie lange bist du schon hier?“ „Ich bin gerade erst angekommen.“ Jeis Stimme hörte sich abwesend an. Vermutlich lag seine Konzentration auf interessanteren Individuen als ihn. Wieder musste Yohji an Freddy Krueger denken. Es machte ihn wütend. Er war verrückt. Jei war verrückt und gefährlich. Irre. Yohji hatte diese Frage und Antwortspielchen satt. Aber was blieb ihm anderes übrig? Gewalt anzuwenden bei „Berserker“ war wohl doch ein zu blutrünstiger unsauberer Selbstmord. Wobei einige der Narben, die der Ire auf dem Körper trug hatte mit Sicherheit sein Draht zu verschulden. Sie waren sich bei der einen oder anderen Gelegenheit doch schon sehr nahe gekommen. Auf weniger erotischer, denn tödlicher Art. Naja… die Geschichte unter der Dusche vorgestern, war vielleicht… Yohji atmete tief ein, besah sich sein Gegenüber, wie er dort im Schatten stand. „Und was führt dich hier her? Die schöne Aussicht? Der Klang der Wellen wie sie an den Kai platschen?“, fragte er zynisch nach und schlug den Weg zu seinem Wagen ein. Er konnte die Angst, die Wut, die Ablehnung, die mit all seinen beschissenen Gedanken einherging nicht abstellen. Seit er von seinem Einkauf und der Begegnung mit Jei zurückgekommen war kreisten seine Gedanken unermüdlich darum. Seit ihm bewusst geworden war was er beinahe getan hätte und mit wem. Er hatte sich der Faszination nicht entziehen können. Das war selbst jetzt schwer. Wut half ganz gut um dieses Problem in Angriff zu nehmen. Vielleicht sollte er etwas tun was eher der Symbiont, getan hätte. Um sich unliebsame Widersacher vom Leib zu halten. Etwas das Sin tun würden. Vielleicht sollte er sich bewerben. Es war sicher die eine oder andere Stelle frei. Dafür hatte sowohl Jei als auch Schuldig gesorgt. „Das ist die falsche Richtung“, hörte er den Iren hinter sich. Yohji stapfte unerschrocken weiter, bis er den Spielplatz erreicht hatte. Erst da drehte er sich um mit der Wut im Bauch, die er in der Anwesenheit eines Schwarz haben sollte. Er sollte wütend sein, er sollte sie hassen, nicht auf Schmusekurs gehen wie Aya, oder Omi. Was war nur in sie gefahren? „Was? WAS verdammt noch mal? Welche Richtung ist denn die richtige? Deine Richtung? Zu dir?“, schrie er außer sich. Jei blieb stehen, sah ihn nun aufmerksamer an. Das goldene Auge schmälerte sich leicht. Offenbar forderte der Blonde Aufmerksamkeit ein, auch wenn es in einer Situation wie dieser risikoreich und deshalb dumm war. Jei versuchte sich wieder auszuklinken und erkannte, dass sich ihnen jemand näherte... „Frisst du dich wieder an meinen Gefühlen satt? Ist das der perverse Grund dafür, weil du selbst keine hast? Ist es das?“ Er ging auf den stoisch dastehenden Mann einen Schritt zu, im selben Moment ließ er seine Drähte durch die Luft sirren. Er erkannte, dass der Ire mit seinem Angriff nicht gerechnet hatte, denn seine Ausweichtechnik hatte er schon besser gesehen. Nur eines der Messer streifte den dünnen scharfen Metallfaden, winzige Funken zeugten davon. Einer von ihnen traf die Flanke, auf der Seite auf der das Messer nicht schnell genug ihr Ziel zur Abwehr fand. Er hörte keinen Laut, doch der Ire ging zu Boden und blieb verdreht im sandigen Matsch des durchfeuchteten Spielplatzes liegen. Jei keuchte. Für einen nachlässigen Augenblick hatte er die Blockierung der Schmerzweiterleitung unterbrochen. Er hatte sich überraschen lassen. Weshalb reagierte der Blonde nur so unlogisch? Yohji ging näher zu Jei und beobachtete mit widerstreitenden Gefühlen wie sich der Jüngere zur Seite drehte und Schmerzlaute von sich gab. Yohji stand über ihm, heiße Tränen schossen ihm in die Augen. Das Prasseln des Regens auf dem Leder seiner Kleidung und das Rauschen der Wellen drang unnatürlich Laut an seine Ohren. Überall war Wasser. Und er hatte das Gefühl darin zu ertrinken. „Du bist das kranke Kind einer fehlgeleiteten, verlogenen Frau, die ihr Leben einem Gott gewidmet hat, den es nicht mehr gibt. Sie war zu schwach um ihr eigenes Kind zu schützen“, sagte er mit stählerner Stimme in der jedes Gefühl ausgeblendet war. Seine Augen waren weit als könne er es nicht fassen was er sagte, was er getan hatte. Er stand neben sich. Wie in einem Film beobachtete er was er tat als könne er nicht anders. Komm schon… komm schon! Yohjis Atem ging schneller während er in das goldene Auge sah, dass ihn abwesend, verschleiert anstarrte. Ohne Vorwarnung durch eine Bewegung, durch einen Blick oder irgendein anderes Anzeichen zog ihm, der Ire die Füße weg. Er hatte alle Reizwörter genannt. Los tu es. Tu es. Jei kämpfte nur halbherzig. Er hatte die Worte gehört, aber auch die Emotionen dahinter erkannt. Verzweiflung, Ausweglosigkeit und ganz gewiss keine Achtsamkeit seiner Umgebung gegenüber. Es war das Beste, wenn er den Blonden ausschaltete und er ihn von hier wegbrachte, bevor dieser noch mehr Unsinn von sich gab, oder schlimmer: die Schläger von Sin kamen und ihre „Unterhaltung“ störten. Nur das mit dem Ausschalten gestaltete sich zunehmend schwieriger, denn Jeis Körper wollte nicht so wie er sich das vorgestellt hatte. Er war zu langsam, sein Blickfeld grenzte sich ein, die Ränder verdunkelten sich, es war zu anstrengend... Yohji trat gegen die Seite des Jüngeren, doch der wich aus. Sie kämpften auf dem matschigen Untergrund, während von oben sauberer kühler Regen auf sie fiel. „Du…“ Yohji schrie auf als Jei einen empfindlichen Treffer in seinen Magen landete. Yohji klappte leicht zusammen und versuchte sich aus der Reichweite des anderen zu begeben, um seinen Draht ziehen zu können. Was er damit vorhatte war ihm im Augenblick egal. Er sah, von wütender Verzweiflung geblendet, dass Jei förmlich in den Draht, den er durch die Luft schickte hineinlief. „Du hättest sie retten müssen!“, schrie Yohji, so außer sich, dass seine Stimme heißer war, brach und er schließlich zitternd verstummte. Er sah wie durch einen Filter wie Jei zur Seite knickte und schließlich zusammensackte. Stille. Nur sein Atem. Sein schrecklich schmerzhaftes Atemholen in der Brust, die ihm so verdammt eng war. Der Regen verkam zu einem sanften nieseln. Als hätte das Nass gespürt, dass die Verzweiflung, die Wut verklungen waren. Mit dem verblassten Widerstand des Gegners gegangen war. „Du hättest sie retten müssen“, wiederholte Yohji stockend. Er war verwirrt. Von wem sprach er? Er stand Minuten da ohne sich zu bewegen. Sein Kopf war leer. Als er sich bewegte tat er dies wie eine Marionette, der man die Fäden durchgeschnitten hatte, die zum ersten Mal selbst durch die Welt wandelte. Müdigkeit bemächtige sich ihm erneut. Sie war zurück. Diese schwere bleierne Müdigkeit, die auf ihm lag. „Lass mich endlich in Ruhe“, sagte er zu niemand bestimmten. Unsicher sah er auf den jüngeren Mann, der immer noch still dort lag, während die feinen Regentropfen auf seine Wangen fielen. Yohji legte den Kopf in den Nacken, öffnete seinen Mund, ließ Regenwasser seine aufgeplatzte Lippe nässen und spuckte zur Seite das Blut in seinem Mund aus. Sein Kiefer schmerzte. „Vielleicht sollte ich überlaufen. Die richtige Tätowierung hätte ich schon vorzuweisen. Schließlich hat Schuldig einen von denen kalt gemacht. Die brauchen sicher Nachschub“, sagte er müde und drehte sich um. Er schlug nicht den Weg zu seinem Wagen ein sondern trottete zur Uferpromenade. Er ging sie entlang, bis er zu einem Stück Strand kam, das er über eine Treppe erreichen konnte. Die Luft tat ihm gut. Die Weite des Meeres lag als schwarze Masse vor ihm. Er lehnte an der befestigten Mauer, neben der Treppe, rutschte diese mit einem schmerzgeplagten Stöhnen hinunter und zündete sich eine Zigarette an. Nach mehrmaligen Versuchen klappte es, trotz Wind, trotz Regen. Er inhalierte den Rauch tief. Sie wussten nicht wo Ken war, Omi ging nicht an sein Mobiltelefon, Aya… war hoffentlich bei Schuldig und er hatte sich mit dem Berserker angelegt. Wollte er nicht… Ja was eigentlich? Hatte er nicht gehofft, dass der Ire sich zu erkennen gab um ihn zu fragen ob er wusste wo Aya war? Wollten sie nicht nach Osaka um die Morde zu untersuchen? Waren sie noch dort? Was war nur in ihn gefahren? Was für ein Chaos. Die Zigarette ging aus. Er seufzte und schnippte sie weg und… erhob sich. Er musste nach oben, zurück, zu dem was er hinterlassen hatte. Wie war er dazu gekommen diese Worte zu sagen? Welcher hässliche Teil von ihm hatte das getan? Der verzweifelte Teil, beantwortete er sich selbst die Frage. Er konnte nicht ertragen, dass er sich von Jei angezogen fühlte. Der Draht war zwar extrem scharf, aber Yohji hatte nur oberflächliche Kratzer verursacht. Er musste nach dem anderen sehen. Zur Vernunft kommen. Sich vermutlich einige Messerstiche einfangen. Taub für diese Warnung betrat er die erste Stufe der Treppe. „Ah… haben Sie sich endlich dazu durchgerungen ihrem sicherlich schlechten Gewissen nachzugeben?“, hörte er da eine samtene Stimme über sich. Er zog den Draht und noch bevor er etwas anderes tat, sah er eine Bewegung aus dem Augenwinkel und etwas schweres Dunkles fiel von oben herunter. Plastik rutschte mit einem schleifenden Geräusch die Kaimauer entlang. „Es ist schwer an Sie heran zu kommen, Kudou-san. Ihr Aufpasser leistet gute Arbeit – Korrektur: wenn Sie ihn nicht sabotieren!“ Er hörte ein amüsiertes Lachen und trat einen Schritt zurück, blieb den Lichtkegeln der Promenadenbeleuchtung aber möglichst fern. Es war ein Sack mit menschlichen Umrissen. Yohji erkannte einen Leichensack wenn er einen vor sich hatte. „Den Einsatz ihrer Waffe würde ich Ihnen in Anbetracht Ihrer Lage nicht empfehlen, Kudou-san. Sehen Sie im Grunde genommen bin ich ein umgänglicher Mensch.“ „Das sagen die Bösen in den Filmen auch immer...“, brummte ein Riese mit träger Stimme neben dem Sprecher. Woraufhin kurzes Schweigen eintrat. „Halt den Rand“, war die wenig begeisterte Replik. Yohji trat noch einen Schritt zurück, erkannte fünf Männer im Gegenlicht der Laterne. Leider keine Gesichter. Zwei der Männer trugen Masken. Filigrane Masken. Und er kannte diese Kabuki-Masken wieder. Die Maske des Sprechers hatte einen Riss und ein Einschussloch. Sie wurde noch vor kurzem von der Frau getragen, die ihn gequält und die Jei erschossen hatte. Der schmalere der Anzugträger war der Redner, mit der kultivierten sanften Stimme. Die anderen vermutlich seine Schläger. Die zwei Männer mit den Masken gehörten zu Sin. Er hatte seinen Fuß auf dem Seil, sodass der wirkungsvolle Eindruck entstand, dass er Jeis Körper vor dem Fall bewahrte. Sie mussten es aber irgendwo festgemacht haben, denn der Mann war zu schlank um mit einem lässig abgestellten Fuß einen bewusstlosen Körper vor den Auswirkungen der Schwerkraft zu bewahren. Yohji überlegte fieberhaft wie sie aus der Sache wieder herauskamen. Wenn es Sin war... Die anderen Typen sahen eher so aus als gehörten sie zu einer der lokalen Gruppen. „Aber?“ „Aber Ihre Unfähigkeit macht mich ein klein wenig wütend. Ich sehe mich daher gezwungen zu diesen unfeinen Maßnahmen zu greifen um mir Gehör zu verschaffen.“ „Was haben Sie mit ihm gemacht?“ „Das meiste davon hat er sich selbst zuzuschreiben, ein Bisschen davon waren wir Kudou-san und dann haben Sie noch nachgeholfen. Sie haben uns Arbeit erspart. Sie wissen doch: Der erste Eindruck sollte perfekt sein und vor allem möchte ich nicht, dass Sie mich missverstehen.“ Yohji verzog die Lippen angeekelt. „Sie meinen, Sie wollten mir den Ernst der Lage klar machen?“, sagte er mit mühsam unterdrückter Wut. „So ist es“, kam es begeistert, so als habe er eine schwierige Frage auf Anhieb bei einem Quiz beantwortet. Der Typ war verrückt, schoss Yohji ein Gedanke durch den Kopf. Wie alle von ihnen. Sie waren alle verrückt. Das hatte er damals in der Lagerhalle gedacht und es bestätigte sich wieder. „Meinen Sie nicht, dass mir der Ernst der Lage nach der letzten Begegnung klar wurde?“, antwortete er gemäßigt. Mit Verrückten musste er vorsichtig sein. Er neigte dazu sie zu provozieren. Einen Moment lang war ohrenbetäubende Stille um sie herum, selbst das Meer war für Yohji in den Hintergrund getreten. Er sah nur Jei vor sich, der dort im Leichensack verborgen hing. „Dafür möchte ich mich entschuldigen“, sagte der Mann mit der zersprungenen Maske im ernsten Tonfall. „Die Verursacherin ist bereits zur Rechenschaft gezogen worden. Wenn ich mich Recht entsinne war es dieser hier, oder nicht?“ Er tippte mit einem Schuh - einem auffälligen, weil roten Sportschuh - an das Seil. „Was wollen Sie von mir? Soll ich wieder eine Botschaft überbringen?“, knurrte Yohji. „Warum nicht? Wir hatten kurz die Idee, diesem hier einen Job anzuvertrauen, aber er wollte uns kein Gehör schenken. Ich vermute, dass er Sie um Hilfe bitten wollte, als wir ihm ein wenig zu sehr zugesetzt haben. Sie sollten übrigens nicht wieder in Ihren Blumenladen zurückkehren. Ein kleiner, gut gemeinter Rat von mir, um Ihnen mein Wohlwollen zu zeigen.“ Yohji starrte den Sack an. Seine Atmung wurde schneller, ihm wurde schwindlig. Jei war auf dem Weg zu ihm gewesen? Er war auf dem Weg zu ihm weil er Hilfe gebrauchte hatte? Sollte er das glauben? Und wenn ja, warum zum Teufel konnte der Ire das ihm nicht einfach sagen? Und warum war er unfähig in dem Empathen zu lesen? Konzentriere dich auf das Wesentliche, mahnte eine resolute Stimme in ihm. „Was wollen Sie von mir?“, wiederholte er und richtete den Blick hinauf in die weißen Gesichter der beiden Masken. „Ich möchte, dass Sie, Ihre Kollegen und Ihre ... wie soll ich sagen... „Partnerorganisation“ einer Freundin helfen.“ „Warum glauben Sie sollte ich oder sollten wir das tun?“ „Oh Sie werden es tun. Glauben Sie mir. Nur sind sie alle mehr damit beschäftigt unterzutauchen, als Ihren Arsch zu bewegen. Sie wurden nicht dafür geboren um unterzutauchen. Das ist nicht ihre Natur“, sagte der schmale Mann, mit der zerbrochenen Maske in ungehaltenem Tonfall. „Ganz ruhig!“, mahnte die brummige Stimme des Hünen, neben dem schmalen Mann. „Schon gut, schon gut. Ich rege mich nur schon wieder auf, du hast Recht“, beschwichtigte der und wandte sich wieder dem eigentlichen Problem zu. „Der Anreiz, der Ihre Entscheidung sicher erleichtern wird ist in diesem hübschen Leichensack inbegriffen. Also nichts wegwerfen, Kudou-san. Wer weiß für wen das Teil noch nützlich sein wird. Das Ding ist weit gereist und viel benutzt.“ Yohji hörte das Lächeln förmlich durch die Worte tropfen, wie vergifteter Sirup. „Jungs!“, rief er und nahm seinen Fuß vom Seil. Es surrte die Kante hinab und Yohji sprang vor um den Fall abzubremsen. Während er das tat hörte er das sich entfernende Gespräch mit. „Solltest du sie derart gegen dich aufbringen?“ Ein kurzes Schnauben war zu hören. „Was soll’s. Es wird ohnehin nur auf ein Ende hinaus laufen…“ Mehr war nicht zu hören. Yohji suchte den Reißverschluss und öffnete den Sack. Für einen kurzen Moment hatte er die Hoffnung besessen, dass der Anzugträger nicht von Jei gesprochen hatte. Aber diese Hoffnung war wirklich kaum als solche zu bezeichnen, vielleicht eher als Wunschdenken zu benennen. Aufgrund der spärlichen Lichtverhältnisse konnte er wenig erkennen. Das Licht der Straßenlaterne war unzureichend hier unten. Das für ihn so faszinierende graue Haar klebte an der rechten Kopfseite und im Gesicht des Iren. Seine Augen waren geschlossen. Die obligatorische Augenbinde war weggerissen worden, die Narbe, die vertikal über das geschlossene und etwas eingefallene Auge lief deutlich zu sehen. Während sein Gehirn eine schwere Verletzung registrierte zog sich Yohji seine Handschuhe von den Händen und tastete nach dem Puls. Er fühlte sich etwas schneller als normal unter seinen Fingern, aber stark an. „Jei!“ hauchte er wenig hilfreich und entsetzt über das was so schnell geschehen war. Seine Hand fuhr über die Wange, legte sich unter die Nase und versuchte zu fühlen ob Jei atmete. Die andere Hand legte er auf den Brustkorb. Er fühlte den warmen Atem, an seiner feuchten Haut. Soweit so gut. Er setzte sich auf seine Fersen zurück, die vermeintlich blutigen Hände auf den Oberschenkeln und starrte auf das schlafend wirkende Gesicht. Seine Hände zitterten. Seine Gedanken wollten nicht mehr stillstehen. Er fühlte wie Panik sich seiner annehmen wollte, diese unterdrückend griffen seine Hände nach dem Reißverschluss, zogen ihn ganz nach unten, wickelten das Seil von den zusammengebundenen Knöcheln. Er pellte Jei aus der makabren Ummantelung, tastete in dem Ding herum, bis er einen Beutel aus Stoff fand, den er zusammen mit dem Seil wieder hineinstopfte und den Reißverschluss wieder nach oben zog um ihn zu verschließen. Das alles machte er so hastig um bloß nicht darüber nachdenken zu müssen, wie viel Schuld er vor seiner inneren Rechtsprechung auf sich geladen hatte Dann tastete er, den Iren nach äußerlichen Verletzungen ab, immer mit einem Ohr auf die Umgebung lauschend. Sie waren an einem ungünstigen Ort, zwar konnte sie von der Promenade keiner sehen, es sei denn er stellte sich direkt an die Mauer, oder er kam die Treppe hinunter, dennoch wussten die Typen von vorhin wo sie waren. Sie mussten weg hier. Unter dem dunklen Shirt fühlte er ebenso eine klebrige Nässe, die er als Blut einstufte und auf seinen Angriff zurückführte. Sie brauchten einen Arzt, etwas zum Nähen, Verbandsmaterial, Schutz, ein Dach über dem Kopf. Manx war die nächsten 12 Stunden nicht zu erreichen, wie er wusste. Er zog sein Telefon aus dem Mantel, wählte erneut Omis Nummer. Mit dem gleichen Misserfolg wie zuvor. Wenn er Aya anrufen würde, dann wäre diese innerhalb einer halben Stunde hier. Und ebenfalls in Gefahr. Zumal er mit seiner Dummheit vermutlich deren Wohnung enttarnt hatte. In den Blumenladen konnte er nicht zurück. Die Vermutung lag nahe, dass sein Wagen verwanzt war. In seiner Not begann er Jeis Jackentaschen zu untersuchen und fand dessen Mobiltelefon. Die PIN Nummer, die einzugeben war brachte seine Finger zum Stillstand. „Verdammt“, rief er aus. Er gab trotz allem irgendeine Nummer ein, nur um eine Reaktion von dem Ding zu bekommen. Mit ein wenig Glück war das Mobiltelefon so aufgerüstet, dass es Nagi eine Meldung schickte über einen unerlaubten Nutzer. Er versuchte es erneut, gab wieder eine Nummer ein und beließ es dann jedoch dabei. Er nahm das Telefon an sich. Dann kniete er sich zu Jei, faltete dessen Arme über der Brust und richtete den Oberkörper auf. Der Körper des Iren war zwar ohne eigene Bewegung, aber die Muskeln hatten Tonus. Er zog ihn zur Kaimauer und lehnte ihn an. „Jei…“ Seine klammen, feuchten Finger strichen die Haare aus dem Gesicht, tasteten erneut nach dem Puls, kontrollierten die Atmung. Unverändert, als würde er schlafen. Yohji atmete tief ein, zog sein Prepaid Mobiltelefon aus dem Mantel und wählte Rans Nummer. Vielleicht konnte er ihn davon abhalten, sofort zu kommen und wusste eine andere Möglichkeit wie sie aus der Sache herauskamen. Er selbst hatte nicht den Eindruck als würde er in nächster Zeit zu einem Entschluss, oder zu einer Lösung kommen. Und Jei musste sowohl aus diesem Nieselregen heraus, als auch zu einem Arzt und das schnell. Oder… eine bessere Möglichkeit wäre… Er hörte auf das Freizeichen und hoffte inständig, dass mit Ran alles in Ordnung war. Dieser nahm ab und hörte sich sehr verschlafen an. Gott sei Dank. „Ja?“ „Aya? Ist…“ seine Stimme brach ab und er räusperte sich. Die Erleichterung die Stimme des anderen in einem so normalen Kontext wie der nächtlichen Ruhestörung zu hören löste in ihm den Knoten der Verzweiflung. „…alles in Ordnung? Wo bist du? Seid ihr noch in Osaka?“ Aya musste sich aufgesetzt haben, denn er hörte, wie Stoff raschelte. „…Ja…Nein ich meine, wir sind nicht mehr in Osaka. Ich bin bei Schuldig. Ist alles okay bei dir? Du hörst dich nicht danach an“, hörte Yohji die aufgeraute so charakteristisch dunkle Stimme des Jüngeren. „Es geht um… Jei… um Berserker. Ich… kannst du mir Schuldig geben. Ich … brauch ihn kurz.“ „Hat er dir was getan? Gott, Yohji. Du hättest dich von ihm fernhalten sollen. Welcher Teufel hat dich geritten, dass du dich mit ihm eingelassen hast? Wo bist du?“ Aya war jetzt hellwach, wie Yohji feststellte, gut an Vorwürfen, die der Besorgnis geschuldet waren und der gefestigten Stimme zu hören. Yohjis Finger ruhten immer noch an Jeis blutverschmierten Hals. Er lachte düster auf. „Nein. Unsinn. Er hat mich nicht verletzt. Ich brauche nur einen Ratschlag.“ Für einen Moment herrschte Stille in der Leitung. „Jetzt sag nicht, es geht um einen Ratschlag wie du ihn am besten flachlegen kannst. Es ist mitten in der Nacht, Youji. Und glaub mir, mich nervt das Thema Sex heute schon so sehr, dass ich es mir genau überlege ob ich überhaupt noch…“ zu mehr kam der Japaner nicht, denn es raschelte kurz und nach mehrmaligem Gezeter hatte Yohji den offenbar sehr erzürnten Schuldig in der Leitung. „Blondie. Ich sag dir das nur einmal. Wenn du Ran in diese Null-Bock-auf-Sex-Stimmung bringst, dann knöpf ich mir dich vor. Also was willst du? Machs kurz“, bellte der Deutsche ungehalten in die Leitung. Yohji versuchte sich zusammenzureißen und sich nicht provozieren zu lassen. Auch wenn er in einer beschissenen Situation war hatten Aya und Schuldig wenig damit zu tun. Er hatte sie mitten in der Nacht geweckt, vermutlich ihren neuen Aufenthaltsort enttarnt, Jei verletzt… Was sollte er anderes erwarten? „Ich… habe Jei schwer verletzt. Er ist bewusstlos. Ich weiß nicht wie wir von hier wegkommen sollen.“ Es war totenstill in der Leitung. Yohji schluckte und erwartete den Blitz, der vom Himmel geschossen kommen würde. „Wo seid ihr?“ Wollte Schuldig beinahe beiläufig wissen, doch Yohji ließ sich von derart harmlos formuliert und vorgetragenen Frage nicht hinters Licht führen. „Warum willst du das wissen? Damit du mir das Gehirn weich kochen kannst?“ blaffte Yohji zurück. Seine Finger strichen behutsam über die Haut unter seinen Fingern, die ihm warm schien. Aber vielleicht lag das einfach daran, dass seine Finger so kalt waren. „Das besorgst du schon ganz alleine, Kudou. Dein Gehirn ist bereits weich wie Weißbrot, wenn du glaubst Jei so stark verletzen zu können, dass er bewusstlos ist. Denn das muss er offenbar sein, wenn wir hier das zweifelhafte Vergnügen eines Telefongesprächs haben“, giftete Schuldig. „Entweder du erzählst mir jetzt die ganze Story…“, begann Schuldig mit einer Drohung. „Schon gut. Hör auf.“ Yohji nickte, strich Jei übers Gesicht. Gott. Er hatte einem schrecklich, schönen, einzigartigen Wesen etwas angetan, was er sich nicht verzeihen konnte: Er hatte ihm misstraut als es ihn schützen, warnen wollte. Warum hatte Jei sich nicht klarer ausgedrückt? Warum war er immer so wortkarg? Warum… hatte er ihm nicht zugehört? Warum konnte Yohji nicht verstehen wann Jei ihm etwas Wichtiges mitteilen wollte? „Das ist eine längere Geschichte. Geht es schneller wenn du dich bei mir einklinkst?“ Yohji hatte zwar Angst davor, aber er wollte weg hier. „Das tut es. Es ist präzise. Dazu muss ich wissen wo ihr seid“, wiederholte Schuldig spöttisch. „Bei euch. In Yokohama. Der Kai, unten am Strand, nach dem Park.“ Yohji griff hektisch mit seiner freien Hand eine von Jeis, hielt sich an ihr fest und noch während er daran dachte, dass er einem Albtraum die Hand reichte und einem Verrückten seinen Geist freiwillig öffnete hatte er das Gefühl, jeden Halt und jeden bewussten Gedanken zu verlieren… o~ Aya hatte sich kurz nachdem sich Schuldig das Telefon erkämpft hatte ins Badezimmer geflüchtet. Er wusch und rasierte sich, putzte sich die Zähne, stahl sich von Schuldig ein Haargummi und fasste seine Haare in einen losen Zopf zusammen. Als er danach ins Zimmer zurückkam warf er einen flüchtigen Blick zu Schuldig der am Fenster saß und immer noch telefonierte. Es war inzwischen kurz nach halb vier und ihm war nicht mehr nach schlafen zumute. Vor allen Dingen, weil er immer noch nicht wusste was los war. Er schob einen der Wandschränke auf, suchte sich eine blaue Jeans, klaute sich von Schuldig ein weißes Shirt – dieses Mal ohne Aufdruck und streifte es sich noch während er näher kam über. Sie mussten heute unbedingt zu Banshee nach Yokohama fahren. Die Kleine hatte seit gestern keinen Besuch und folglich auch keine Streicheleinheiten mehr bekommen. Nagi hatte ihnen versichert sich um sie gekümmert zu haben – im positiven Sinne – bemerkte Aya zynisch. Außerdem fühlte er sich ohne seine Klinge halb nackt. Der Alltag kam wieder näher und dieser beinhaltete auch seine Arbeit im Laugh. Seine freien Tage waren um. Schuldig sah zu Ran hoch, der sich angezogen hatte. „Hier“, er hielt ihm das Telefon entgegen. Kudou will dir was sagen.“ Aya hob eine Braue. „Was? Das er mit Jei durchbrennen will?“, brummte er und nahm das Telefon an sich. „Youj?“ Schuldig stand auf, küsste Rans auf die Schläfe. Er wollte nach unten gehen und Brad kontaktieren, wo auch immer der stecken mochte. Sie brauchten ihn. „Aya. Wir haben den Kontakt zu Ken verloren. Er hat sich freiwillig für einen Job gemeldet.“ „Wo? Und Wann?“ „Kyoto. Gestern Abend.“ Da hatte er gedacht, er hätte den Aufprall auf die Ziegelsteinmauer nach dem Gespräch mit Schuldig hinter sich gebracht, da rannte er tatsächlich gegen das nächste gemauerte Stück Wand. „Sieh an. Kyoto also“, murmelte Aya. Jetzt wurde ihm klar, dass sie Crawford besser und härter auf den Zahn hätten fühlen müssen. „Ist das alles?“, riss ihn Youjis fassungslose Stimme aus seinen Gedanken. „Nein…“, Aya schüttelte den Kopf. „Nein. Es tut mir Leid, Youji. Es ist nur so, dass Crawford… können wir später darüber sprechen? Wo steckst du? Und was ist überhaupt los?“ Einen Moment knackte es in der Leitung und Aya umfasste das Mobiltelefon fester, die Angst im Nacken, dass die Verbindung unterbrochen werden könnte. „…kann dir Schuldig erklären, okay? Ich… muss mich um Jei kümmern. Wir kommen zu euch. Schuldig sagte, dass wir abgeholt werden.“ „Wo seid ihr, Youji?“ „Bei euch in der Nähe. Ich erklärs dir später. Weißt du wo Omi ist? Ich konnte ihn nicht erreichen und befürchte das Schlimmste. Er geht immer an sein Handy.“ „Omi?“, fragte Aya verdutzt nach. „Der ist hier.“ Aya griff sich an die Stirn und rieb sich die Sorgenfalten. „Oh man, das ist ein ziemlich bescheuerter Tag, Nacht … was auch immer.“ Aya ging barfuß über die Tatamimatten, öffnete die Tür vollständig und trat auf den Flur hinaus als Youji auflachte. „Das kannst du laut sagen.“ Das Lachen hörte sich fast wie ein Schluchzer an. Aya blieb aufhorchend im dunklen Flur stehen. Was war nur passiert? „Youji. Sag mir was los ist. Und bevor du wieder darauf hinweist, dass ich Schuldig fragen soll – ich will es von dir hören.“ Ayas Stimme war leise, aber eindringlich. Aya hörte Youji tief Luft holen, dann ein leises, fast schon trauriges Lachen. „Ich…“ Er brach wieder ab. „Youji!“, mahnte Aya. Er ging langsam die Stufen in die unteren Stockwerke hinunter um ins Erdgeschoss zu gelangen. „Ich war zu Hause. Ken war seit ein paar Tagen vielleicht schon Wochen mit irgendwas beschäftigt, dass ihm Manx aufgehalst hat. Er sagt freiwillig. Ich sage: Er hatte keine Wahl. Aber lassen wir das. Die Stimmung war mies als er ging. Omi war nicht da, als ich gestern ins Hauptquartier kam. Ich hab mir nichts dabei gedacht, doch als Manx anrief und erzählte, dass sich Ken nicht zur vereinbarten Zeit gemeldet hatte und danach auch nicht begann ich mir Sorgen zu machen. Während Aya telefonierte stand Schuldig in der Küche und setzte gerade eine Kanne Kaffee auf. Es war noch dunkel, aber ihr Generator tuckerte fleißig vor sich hin und produzierte ihnen etwas Licht in die Küche, unter einem der Küchenschränke über der Spüle. Rans Tee war schon vorbereitet. Er lehnte an der Küchenzeile und wählte wiederholt Brads Nummer. Als das nicht sofort zum Erfolg führte stellte er sich auf mehrere Versuche ein, stemmte sich hoch auf die Anrichte und ließ die nackten Füße baumeln. „Wieder nichts“, brummte er. Kaffeeduft zog an ihm vorbei und lockte hoffentlich sein Blumenkind von oben herunter. Diese Weiß Agenten waren wirklich die Pest. Schuldig verzog das Gesicht. Naja. Eine Ausnahme gab es ja. Diese zuvor gedanklich benannte Ausnahme kam gerade den quadratisch angelegten Treppenaufgang herunter und ging in den hinteren Bereich in Richtung Küche, wo Aya Schuldig vermutete, da ein matter Lichtschimmer und der Duft von frisch gebrühten Kaffee ihn führte. Schuldig wählte erneut Brads Nummer. Er hatte Glück, der Amerikaner ging an sein verdammtes Telefon. „Na, endlich“, seufzte Schuldig. „Wo treibst du dich herum?“, denn Schuldig hatte zur Begrüßung ein eher nüchternes gar alertes „Ja?“ erhalten, dass ihm sagte, dass der Amerikaner nicht im Bett weilte und geschlafen hatte. „Ich bin auf dem Weg. Im Wagen.“ „Auf welchem Weg?“, Schuldig wischte sich über die müden Augen und gähnte. „Hab ich was nicht mitgekriegt? Wolltest du nicht in Roppongi bleiben?“ „Wollte ich. Aber ich dachte mir, da du mich ohnehin bald anrufen und mit ungeheurer Ausdauer Nerven würdest, dass ich dringend nach Yokohama fahren sollte um Jei aus den Klauen eines vielköpfigen Ungeheuers zu retten, warum also nicht gleich losfahren und mir das Ganze Drama ersparen?“, sagte Brad so kalt und gefühllos als würde er mit jemand anderem reden. Jemand den er nicht kannte, jemand den er nicht mochte, jemand der ihn nicht kümmerte. Aber das war für Schuldig nur das Zeichen, dass alles in Ordnung war. Ein Lächeln schlich sich auf seine müden Gesichtszüge. Es war die spezielle eisige Tonlage, die ihn zur Hochform trieb um ihr etwas Wärme, etwas Gefühl zu verleihen auch wenn es Wut oder Zorn und Verachtung waren, die statt dessen für ihn heraussprangen. „Hmm“, brummte er deshalb, holte tief Luft und ließ sie entweichen. „Also. Ja. Genau. Das wollte ich in etwa sagen. Natürlich viel ausdauernder… und auch nerviger selbstverständlich“, fügte er sarkastisch hinzu. „Du hast offenbar gerade einen guten Lauf was die Zukunft angeht, hmm?“ „Ja, es bewegt sich etwas. Irgendetwas oder Jemand bringt Impulse rein, die eine rasche Veränderung bewirken, bei zuvor schwer veränderbaren Abfolgen.“ „Geht’s genauer? Was läuft da in Kyoto?“ Schuldig verstand nur Bahnhof. „Später. Genaues weiß ich nicht.“ „Wo bringst du Jei hin?“ „Zum Doktor meines Vertrauens.“ „Vergiss das vielköpfige Ungeheuer nicht mitzunehmen“, murrte Schuldig unwillig. Was für ein Schlamassel. Er wusste wo Brad Jei hin bringen würde. Es gab nur einen Ort an dem er sicher sein konnte, dass Jei in ...vernünftiger Obhut war. „Ich habe einige Möglichkeiten durchgespielt. Ihn einzutüten und per Flaschenpost zu verschicken würde nicht sonderlich viel bringen. Auch die Sache mit dem Kopfabschlagen wäre nutzlos. Das Problem ist nicht Kudou.“ „Ich weiß. Ich weiß“, wiegelte Schuldig ab. „Es ist Jei. Wir warten auf euch. Pass…auf dich auf.“ „Sicher. Bis dann.“ Schuldig flippte das Handy zu und warf es auf die Anrichte neben sich. Er hopste von seinem erhöhten Sitzplatz herunter, als er Ran dabei beobachtete wie er in typischer Schwertkämpfermanier in die Küche tappte, das Telefon wie ein Rettungsanker am Ohr. Sein Blick war wachsam, die Linie über den weichen Lippen ein Tick zu gerade. Ran hatte diesen ganz typischen Gang drauf, den nur Schwertkämpfer hatten, geschmeidig, fest, lautlos. Obwohl der Japaner von sich selbst behauptete, er wäre kein Schwertkämpfer, sondern nur jemand, der sich einer Klinge bediente, wenn er sie brauchte. Ein Stümper. Schuldig wagte die Gegenthese. Er musste jedoch zugeben, so wie ihnen ein Lehrer, ein Mentor fehlte, so wünschte er sich für Ran ebenso einen. Er sah ihm oft nach seinem eigenen, oder ihrem gemeinschaftlichen Aufwärmtraining zu und liebte dies zu tun. Aber er sah auch wie unzufrieden Ran mit sich war. Und das lag daran, dass er niemanden hatte, der ihn leitete. Ran hatte eine bewundernswerte Disziplin, aber das ersetzte keinen Mentor. Kein Tee, sagte Schuldig die Körperhaltung, der minimal angespannte Kiefer und holte eine große Kaffeetasse aus dem Schrank auf der anderen Seite der Küche und schenkte ihm heißen Kaffee ein. Er stellte die Tasse neben den zuvor eingeschenkten Tee in Rans Nähe, der sich zu ihm an die Anrichte gesellt hatte. „Was war das für ein Auftrag?“ Aya griff zu dem frischen Kaffe, warf Schuldig einen flüchtigen Blick zu, der ihn mit der üblichen machohaften Genugtuung beobachtete. Trotz der Situation tauchte ein Lächeln in den violetten Augen auf, das sich nur dort zeigte, bevor sich Aya wieder ihrem aktuellen Problem widmete. Er wollte Youji in der Leitung behalten, solange bis derjenige kam, der ihn von dort wegholte. Derjenige welcher Brad sein würde, so wie er Schuldig kannte. Dieser nahm den Tee an sich und ging hinüber zum Kühlschrank, öffnete beide Türen und kam zum Schluss, dass es für eine Miso und Sushi zum Frühstück reichen würde. Er schloss die Türen nacheinander wieder, nahm einen Schluck des heißen Tees in seiner Hand und kam wieder zu Ran um sein Mobiltelefon und die Uhr darauf zu inspizieren. Er würde den ‚Kindern‘ noch genau zwei Stunden geben, bevor er sie aus dem Van trieb. Sich wieder auf die Anrichte hievend vertrieb er sich die Zeit damit Ran dabei zuzusehen wie er Kudou auseinandernahm. Er ließ die Hände um die Tasse Tee gleiten und behielt sie in seinem Schoß, während er sich an einen Hochschrank anlehnte, der sich an die Arbeitsplatte anschloss. Yohji war nicht sonderlich versessen darauf Ran Rede und Antwort zu stehen, aber es tat gut ihn zu hören. Es lag nicht daran, dass er es nicht wollte, sondern, dass er so gut wie nichts wusste über das er etwas erzählen konnte und Ran war manchmal wie ein Bluthund wenn es darum ging jemanden Informationen zu entlocken. Er war beharrlich und sehr geduldig. Das Erlebnis, das er mit Jei gehabt hatte in dem Lagerhaus war noch zu gegenwärtig, als das er nicht an die Parallelen denken konnte. Yohji versuchte trotzdem Ran so viele Informationen wie möglich zu geben. „Genau weiß ich es nicht. Als die Sache hier brenzliger wurde und andere Teams ausradiert wurden hat Manx uns gefragt ob wir einen Spezialjob annehmen könnten. Sie brauchte nur einen von uns um ein anderes Team einzuarbeiten. Der, der den Job annehmen sollte würde als eine Art Berater fungieren.“ „Berater“, wiederholte Ran. „Ein dehnbarer Begriff.“ „Ja, wir dachten uns, dass sie etwas mit den Amerikanern oder anderen ‚Interessenten‘ am Laufen hatte.“ „Agenten?“ „Vielleicht. Sie sagte, dass nur derjenige, der den Job machen würde auch Informationen erhalten würde. Ken nahm den Job sofort an. Er hatte ein Problem mit der Fallakte Schuldig und dir. Dann war da noch Nagi, der sich an Omi ranwarf.“ Yohji lachte bitter auf. „Das Ganze hier machte es nicht besser. Er hatte wohl das Gefühl, dass wir nicht mehr auf derselben Seite stehen.“ „Hat er das so gesagt?“ „Nein. Nein, hat er nicht. Er war wie immer.“ Yohji setzte sich neben Jei, bettete dessen Kopf an seine Schulter und nahm ein Handgelenk in seine Hand, versuchte in der verdrehten Haltung den Puls zu fühlen. Der Daumen war dafür nicht sonderlich gut geeignet, denn er hegte den Verdacht, dass er nur seinen eigenen Puls darunter fühlte. Während er telefonierte, versuchte er ein besseres Ergebnis zu erreichen und strich mit etwas Druck zart über die Haut. „Wenn ich mich zurückerinnere war ich wohl zu sehr mit mir selbst beschäftigt um zu sehen, dass er reizbarer war und für seine Verhältnisse schweigsam.“ „Ich hätte euch nicht allein lassen dürfen“, sagte Ran plötzlich und die Stimme klang selbstanklagend. „Ran. Das ist Unsinn und das weißt du. Die Zeit war einfach reif. Sieh dir an was aus den Weiß- und Schwarz Agenten von damals geworden ist. Die Zeit hat uns verändert und vielleicht wird es jetzt Zeit für etwas Neues. Keine Ahnung was“, lachte Yohji spöttisch auf. Es war still in der Leitung. „Ran?“ „Ich bin noch da. Du sagst es könnten Amerikaner gewesen sein, die mit Manx gemeinsame Sache machen?“ „Könnte sein. Kann auch sein, dass Manx sie erst mit ins Boot geholt hat.“ „Manx und der CIA? Ich weiß nicht.“ Ran bezweifelte das offenbar. „Wenn sie verzweifelt genug ist…“ „…würde sie sogar mit dem Teufel höchstpersönlich ins Bett gehen, ja… so etwas dachte ich auch schon.“ Yohji musste unwillkürlich lachen, wenn auch leise und ein wenig zynisch. „Ich hoffe nur, dass sie Ken dafür nicht geopfert hat – für ihr Stell-dich-ein mit dem Teufel.“ „Sie weiß, dass jede Verbindung gefährlich ist, egal zu welcher Organisation. Selbst innerhalb von Kritiker gab es undichte Stellen zu den lokalen Gruppen der Yakuza.“ Yohji hörte Schritte näher kommen. Er ließ Jeis Handgelenk los. „Kudou. Dein Taxi ist hier“, hörte er die kalte Stimme des Orakels von Schwarz. Und auch wenn er den Amerikaner lange nicht gesehen hatte, er erkannte die kalte Verachtung. Er schloss für einen kurzen Moment vor Erleichterung, die Verantwortung nicht mehr allein tragen zu müssen die Augen. „Ran. Crawford ist da. Ich leg auf, wir sehen uns später.“ Während Ran sich mit einem nüchternen „Beeilt euch“, verabschiedete hörte Yohji wie das Orakel die Treppe hinunter kam. Er sah flüchtig auf und drehte sich dann zu Jei um, die Hand an dem schnellen Puls des Halses gelegt. „Wohin?“, fragte Yohji wortkarg. „Zu einem Arzt“, bekam er die Antwort. Brad nahm das Stück Plastik hoch, faltete es und sah währenddessen zu Kudou. „Worauf wartest du?“ Yohji hatte nicht erwartet, dass er noch ein Anrecht auf den Verletzten hatte. Er kam auf die Beine und nahm Jei mit hoch, hievte ihn sich über die Schulter. Das Orakel tat immer das was er nicht erwartete und das hasste Yohji. Er konnte ihn nicht einschätzen. „Ich hätte von dir erwartet, dass du mir verbietest ihn überhaupt anzufassen“, brachte Yohji spöttisch hervor. „Das hätte die Konsequenz einer feurig, leidenschaftlichen Ansprache gehabt, die mir eine derartige Übelkeit verursacht hätte, dass ich unfähig gewesen wäre die Lenkung meines Wagens zu übernehmen. Darauf will ich verzichten. Davon einmal abgesehen hast du das Ganze zu verantworten, also liegt der Schluss nahe, dass du auch die Konsequenzen trägst.“ Brad ließ ihn voran gehen und besah sich den Sack, den er in der Hand trug. Ein Leichensack. Wie originell, bemerkte er in Gedanken. Sie gingen zum Wagen - einem alten Toyota - und legten Jei auf den Rücksitz ab. „Setz dich neben ihn.“ Yohji runzelte die Stirn. Er kam sich verschaukelt vor, denn er hatte eher erwartet hier zurück gelassen zu werden, anstatt beteiligt. „Warum?“, fragte er mehr aus Gewohnheit misstrauisch nach, denn aus wirklicher Neugierde. Brad sah in den Rückspiegel. Das Hellbraun seiner wissenden Augen traf Yohji bis ins Mark. Er wandte den Blick ab. „Falls er aufwachen sollte, braucht er etwas auf dass er einstechen kann. Ich fahre den Wagen.“ Yohji wusste beim besten Willen nicht wie er das Gesagte einordnen sollte also schwieg er dazu. Er lehnte seinen Kopf auf die Rücklehne, tastete nach dem Gesicht des Iren und verhalf dem Oberkörper zu einem bequemen Liegeplatz in seinem Schoß. Er schloss die Augen, die Hand wieder am Handgelenk des anderen. Er hatte immer noch den erstaunten oder war es ein ungläubiger Blick des Jüngeren Iren vor sich, als er ihn angegriffen hatte. Jei hatte damit nicht gerechnet. Er hatte von ihm keinen Hinterhalt erwartet. Er hatte ihm vertraut. „Wo fahren wir hin?“ Yohji öffnete die Augen, da er dieses Bild nicht mehr sehen wollte, dass ihm im Kopf herum spukte. „Shinjuku. Erzähl mir was passiert ist.“ „Weißt du das nicht schon längst?“, erwiderte Yohji spöttisch. „An deiner Stelle würde ich den Rand halten, Kudou. Ich weiß genug, um dir die Schuld an diesem riesigen Haufen Scheiße zu geben. Du hast keine Ahnung was du angerichtet hast. Du hast vielleicht die Arbeit von Jahren zunichte gemacht. Und du wirst es ausbaden. Ich werde dich an ihn ketten und zusehen wie er dir die Knochen vom Leib kaut wenn er durchdreht.“ „Warum sollte er das?“, blaffte Yohji überheblich. „Hast du ihn schon einmal schlafend gesehen?“ Yohji konnte sich nicht erinnern, ob das schon einmal der Fall gewesen war. Er überlegte noch während ihm das Orakel die Antwort gab. „Er hat seit über drei Jahren nicht mehr geschlafen. Kein Schlaf wie man ihn kennt. Er erholt sich auf andere Weise und das reicht ihm. Eine tiefe Bewusstlosigkeit ist gleich bedeutend mit einem möglichen Kontrollverlust und dem Rückfall in alte Verhaltensmuster.“ „Deshalb ist er euer Wachhund?“ „Es gibt keinen Besseren.“ „Das heißt er flippt wieder aus, wenn er aufwacht?“ Jetzt erklärte sich einiges. Warum der Ire mehr als über fünfzig Stunden observieren konnte und danach lediglich aussah wie unter der Brücke wohnend, aber nicht wie Yohji aussehen würde, wenn er dieselbe Zeitspanne wach wäre. „Ja.“ Er wusste nicht was er davon halten sollte, was er denken sollte. Sie schwiegen während der restlichen Fahrt und er erwischte seine Hand dabei wie sie die behandschuhten Finger des Iren umfasst hielt. Er musste die Suppe auslöffeln, nur schmeckte diese bitter und war vermutlich vergiftet. Ein Vorkoster wurde ihm nicht gestellt. Leider. Crawford hielt vor einer Tiefgarageneinfahrt mit Gegensprechanlage an. Das Tor war geschlossen. Er fuhr das Fenster runter, drückte auf den Knopf und wartete. „Gibt es ein Problem?“, fragte eine Dame höflich. Yohji vermutete eine Sicherheitsfirma welche die Garagen überwachte. „Ja.“ „Welcher Art?“ „Schussverletzung, Blutverlust, Bewusstlosigkeit.“ „Wie viel Personen?“ „Eine. Zwei Begleitpersonen.“ „Waffen?“ „Vorhanden.“ „Fall bekannt?“ „Ja.“ „Nummer?“ „XUJ“ Es herrschte Stille in der Leitung. Crawford wartete. „Sie werden erwartet. Verzeihen Sie die Verzögerung. Bitte fahren sie zum ersten Kontrollpunkt und geben Sie dort Ihre Waffen ab.“ Yohji staunte nicht schlecht. Oberhalb dieser Parkgarage war ein Hochhaus mit Bars, Diskotheken und anderen Vergnügungstempeln. „Ist das nicht Asami Ryuichis Revier?“ „Ist es.“ Sie fuhren die Rampe hinunter, das Tor ging langsam auf und Yohji erwartete, dass sie in das Parkhaus hinunterfuhren, einige Wagen parkten in den abgegrenzten Bereichen, doch Brad blieb direkt hinter dem Tor stehen. Das Tor ging knapp hinter dem Wagen zu, als der Boden plötzlich ruckte und sie nach unten transportiert wurden. Es ging zwei Stockwerke nach unten, dann fuhr Brad weiter einen Tunnel entlang, bis zu dessen Ende. Yohji drehte sich um und sah wie der Aufzug wieder nach oben fuhr. Sie hielten wenige Minuten später an. Brad stieg aus. Männer kamen an und er übergab ihnen zwei Waffen und ließ sich klaglos abtasten. Yohji tat es ihm gleich, auch wenn er seinen Draht nicht preisgab. „Sind das alle Waffen meine Herren?“, fragte einer der drei Männer höflich. Crawford sah zu Kudou hinüber, als dieser sich bereits in den Wagen beugte um Jei herauszuholen. Der Japaner hatte seinen Draht nicht abgegeben. Crawford verzog keine Miene, amüsierte sich aber über so viel Misstrauen. „Der Verletzte könnte noch Waffen bei sich tragen.“ „Das ist kein Problem.“ Der Mann ging einen Flur entlang und brachte eine Liege mit sich, auf die Yohji Jei ablegte. Sie fuhren diesen langen schwach beleuchteten Korridor entlang. „Benötigen Sie einen Rundumservice?“ Brad ging hinter Yohji und den Männern. Einer dieser Männer war bei ihm und notierte etwas auf einem Pad. „Ja. Im Wagen ist ein Plastiksack. Entfernen Sie bitte alle Spuren, die ihn verunreinigen und überprüfen Sie den Inhalt. Dafür wäre ich Ihnen sehr dankbar. Und die Entsorgung eines Wagens, der vermutlich verwanzt ist.“ „Nennen Sie mir bitte den Standort.“ Yohji lauschte den Angaben und verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Wo waren sie hier? Im Verbrecher-Wünsch-Dir-Was-Land? Sie gelangten in einen Raum, in dem grelles Licht ansprang als sie ihn betraten. In der Mitte angekommen, verschlossen sich beide Türen und sie fuhren eine Etage nach unten. Dann jedoch gelangten sie in eine Umgebung, die ihn fast schon an ein Krankenhaus erinnerte. Zumindest eine Station davon. Ein Mann trat ihnen entgegen. Er trug blaue OP Kleidung und war um die Vierzig. „Ich hatte nicht erwartet je wieder etwas von Schwarz zu hören, geschweige denn zu sehen, Mr. Crawford“, sagte der Mann. „Wir haben uns bedeckt gehalten, Doktor.“ „Das ist ihnen offenbar nicht gut gelungen.“ Er trat um den Tisch herum, inspizierte die Wunden. Dann sah er zu Crawford. „Und wer ist der junge Mann hier zu meiner Rechten?“ Er deutete auf Yohji, während er sich das blutgetränkte Tuch am Oberschenkel besah. „Ein Mitglied von Weiß.“ Der Doktor stoppte in seiner Arbeit, sah von Crawford zu Yohji und lachte auf. Es klang nicht erfreut. „Ach wirklich? Es ist lange her, dass ich Jungs von Kritiker behandelt habe. Bringt ihn in die drei“, wies er die Männer an. Yohji fragte sich warum Crawford so brav Rede und Antwort stand, wo war die Überheblichkeit hin? „Ich brauche Fuma und Yume.“ Die Männer brachten Jei weg und Crawford und Yohji folgten ihnen und dem Doktor in ein Zimmer mit der Nummer Drei. Es war eher ein großer Saal und Yohji fühlte sich an einen Operationssaal oder an eine Leichenhalle erinnert. Aber es war nicht kalt, nur durch glatte Wände gut abwaschbar und zweckmäßig. Zwei große OP Lampen waren von der Decke mit schwenkbaren Teleskopstangen befestigt. Die Männer fuhren ihn darunter, justierten die Lampen in die gewünschte Richtung und verließen sie. „Schwarz tauchen immer dann auf wenn die Zeiten schwierig werden.“ Der Doktor, dessen Name Yohji nicht kannte und wohl auch nie erfahren würde, nahm eine Schere in die Hand und begann damit Jeis Kleidung zu zerschneiden, um an die Verletzungen zu kommen. Eine Frau und ein Mann kamen herein. Sie rollten eine Überwachungseinheit vor sich her, die sie an Jeis Kopfende stellte und ihn untersuchte. Bald schon erfüllte das akustische Signal von Jeis Herzschlag den Raum. „Sättigung 88 Prozent.“ „Geben Sie ihm sechs Liter Sauerstoff, das sollte vorerst genügen. Sichern Sie Kreislauf und Atmung, wenn nötig werden wir eine Narkose einleiten“, sagte er zu der Frau, die wohl Yume war. Fuma war der Mann, der einen Tisch zu dem Arzt rollte, er deckte das Grüne Tuch ab, Instrumente in verschiedener Ausführung und Größe kamen zum Vorschein. Fuma half dem Doktor Jei zu untersuchen, sie drehten ihn auf die Seite, während sich Yume um den Kopf kümmerte, den sie in den Händen hielt. „Er hat zwei Schussverletzungen. Ein glatter Durchschuss, der den Oberschenkel betrifft und ein Streifschuss an der Flanke. Oberhalb davon hat er eine Schnittverletzung, die relativ tief ist. Wir müssen beides operativ versorgen. Das sieht nicht frisch aus, wie lange ist es her?“ Er wies Fuma an Jei zurück auf den Rücken zu legen. „Die obere Schnittwunde eine Stunde. Die beiden Schusswunden kann ich nicht sagen, vielleicht zwei, drei Stunden.“ Yohji starrte auf Jeis Gesicht, das zart und verletzlich wirkte. Er sah so verdammt viel jünger aus als Yohji. Die unnatürliche Blässe wurde durch das blutgetränkte Haar verstärkt. „Hat er am Kopf auch noch eine Verletzung?“ Die Frau, die am Kopf stand untersuchte Jei. „Eine Kopfplatzwunde. In der Regel bluten diese stark, sind aber vorerst nicht lebensbedrohlich. Ich werde mich darum kümmern“, sagte sie leise und ihr taxierender Blick verharrte kurz auf Yohji. „Fuma, lege ihm drei Zugänge, er braucht Volumen. Seht euch die Blutgasanalyse an und wir brauchen eine Computertomographie. Ich bereite alles vor. Bringt ihn dann rüber. Meine Herren…“, bedeutete der Doktor ihm zu folgen. „Wir legen ihm zunächst provisorisch Verbände an, bis wir geklärt haben ob die Kopfplatzwunde nur eine Begleiterscheinung zu einem Schädel-Hirn-Trauma darstellt. Wie sieht es mit der Gabe von Transfusionen aus, Mr. Crawford?“ „Immer noch schlecht. Ich weiß nicht was passiert.“ Sie waren im Vorraum zum Computertomographen angekommen und der Doktor setzte sich außerhalb des Raumes vor das Sichtfenster um die Einstellungen vorzunehmen. „Am besten Sie setzen sich in den Raum nebenan, trinken Sie etwas und ruhen Sie sich aus. Das wird lange dauern. Ich weiß was zu tun ist wenn er aufwachen sollte.“ Brad wandte sich ab, denn er wusste, dass Jei beim Doc in den besten Händen war. Er kannte die Problematik, die Jei hatte, wenn er das Bewusstsein verlor und er wusste um ihre speziellen Fähigkeiten, die einer besonderen Behandlung bedurften. Yohji jedoch stand immer noch wie angewurzelt hinter dem Arzt. Er hatte nicht vor sich ‚auszuruhen‘ oder ‚etwas zu trinken‘, er musste hier bleiben. Er wusste nicht was er sonst tun sollte. Und er musste etwas tun. Doch er hatte nicht mit Crawford gerechnet, der ihm derart hart in den Nacken griff, dass er sich vor Überraschung fast auf die Zunge biss. Er war zu sehr auf die zerbrechlich wirkende Gestalt fixiert, sodass er den heimtückischen Angriff nicht hatte kommen sehen. Wie eine Katze im Nacken hatte Crawford ihn gepackt, wirbelte ihn herum und schubste ihn aus dem Raum hinaus. „Wenn der Doc sagt ‚raus‘ dann gehen wir raus. Verstanden?“, er fand sich an der Wand wieder, das Orakel an der gegenüberliegenden Seite des Flurs neben der offenen Tür zum Vorraum. Yohji musste sich zusammenreißen um nicht einen Gegenangriff zu starten. Crawford gab ihm nichts was darauf schließen ließ, dass der Amerikaner sich um Jei sorgte, er war nur das arrogante eiskalte Arschloch wie er es von früher kannte. Nur, dass er… höflich und folgsam das tat was der Arzt ihm auferlegte. Das passte nicht zusammen. Crawford beugte sich niemanden, war das nicht einmal so der Fall gewesen? Ja war es, es sei denn er tat es aus einem bestimmten Grund: Damit der Arzt Jei wieder zusammenflicken konnte ohne dass er gestört wurde. Yohji griff sich in den Nacken und massierte ihn. „Das wäre nicht nötig gewesen“, knurrte Yohji. In Brads bernsteinfarbenen Augen flackerte kalte Verachtung auf. „Oh, das war es. Und noch viel mehr wäre nötig.“ Brad ging vor und Yohji folgte ihm in einigem Abstand. Offenbar kannte sich Crawford hier sehr gut aus, sie gingen einen Flur entlang, der sich zu einem hellen Raum öffnete. Angenehmes Licht flutete die breite Wand vor ihnen. Es sah eher nach einem Raum aus ‚schöner Wohnen‘ als einem Warteraum in einer Klinik aus. Weiche Teppiche, zwei riesige Couchlandschaften, sogar ein Kamin, eine offene Küche, Steinboden, ebensolche Fließen an den Wänden, die den Raum Wärme und dem Betrachter das Gefühl von Heimeligkeit gaben. Yohji blieb im Eingang stehen. Crawford lief die drei Stufen in den weitläufigen Raum hinunter und in Richtung Kaffeeautomat. Er lockerte seine Krawatte, öffnete den Knoten und zog sie sich vom Hemd um sie neben die Kaffeemaschine zu legen. Danach zog er sich das Jackett aus und warf es dazu. Crawford hätte gut als Schläger durchgehen können was Körperbau und Muskelmasse anbelangte. Die Brille verpasste ihm leider einen intellektuellen Touch, was durch die irritierenden wissenden Augen verstärkt wurde. Yohji schnaubte und rieb sich den Nacken. „Bastard“, murmelte er der Form halber und ging die Stufen hinunter, den Teppich vermeidend. Seine Stiefel waren voller Schmutz und seine Kleidung hatte etwas von Jeis Blut abbekommen. Das erinnerte ihn an die Schlammschlacht auf dem Spielplatz, die er veranstaltet hatte. Wenn Jei schon verletzt gewesen war dann erschwerte der Dreck, der in die Wunden gekommen war Jeis Überlebenschancen. Als er am Tresen ankam suchte sich Crawford eine Tasse aus den Schränken und stellte sie unter den Vollautomaten. Yohji drehte sich um als einer der Männer in den Raum kam, der sie abgetastet hatte. Er trug eine Tasche in der Hand. „Mr. Crawford. Kein Sender, nur ein Datenträger.“ Er stellte die Tasche auf dem Tresen ab und ging. „Du hast veranlasst, dass die das Zeug überprüfen?“, fragte Yohji und griff zur Tasche. Er öffnete den Verschluss und fand sich konfrontiert mit dem Leichensack, obenauf lag der Stoffbeutel mit noch unbekanntem Inhalt, vermutlich der zuvor erwähnte Datenträger. Beides gereinigt. Crawford fand es nicht nötig zu antworten also zog Yohji den Stoffbeutel hervor und öffnete ihn. Ein Datenkristall fiel heraus. „Wow!“ entfuhr es Yohji und er nahm ihn auf. „Da muss ziemlich fiel drauf sein. Haben wir hier eine Möglichkeit ihn zu lesen?“ „Selbst wenn wäre es nicht sehr ratsam. Der Doc wünscht das nicht. Wir werden das respektieren.“ „Was ist das hier alles?“ Yohji legte den Datenkristall zurück und ging zum Waschbecken um sich die Handschuhe zu reinigen. Noch bevor er den Wasserhahn öffnen konnte, tauchte Crawfords Pranke in seinem Sichtfeld auf und hinderte ihn daran. „Wir werden das professionell machen, nicht wahr?“ Das war keine Frage, soviel stand fest. „Werden WIR?“ Yohji sah ihn genervt an. „Meinst du ich bin selbst zum Putzen nicht tauglich?“ „Oh ich denke DAFÜR bist du gerade gut genug.“ Crawford nahm seinen Kaffee und den Datenkristall an sich. Letzteren ließ er in seiner Hosentasche verschwinden. „Komm mit.“ Yohji fühlte sich gegängelt, aber in Anbetracht der Tatsache, dass er nichts tun konnte, da er sich zu sehr in den Fängen dieser seltsamen Untergrundwelt befand gab er nach und folgte wieder einmal dem Amerikaner. Auf dem Flur, der sie zurück zu den Behandlungsräumen führte kam ihnen wieder der Mann entgegen, der sie gefilzt hatte. Yohji legte die Vermutung nahe, dass er ihr Ansprechpartner war und da überall Kameras in den Ecken auf sie starrten wusste er wann sein Auftritt von Nöten schien. „Mr. Crawford?“ „Wir benötigen Ihre Unterstützung bei einer Säuberung. Ich möchte keine DNS mehr an der Kleidung sehen, wenn Sie mit ihm fertig sind. Tilgen Sie alle Spuren.“ „Natürlich“, sagte der Mann Typ Aufpasser. „Würden Sie mir bitte folgen?“ Und das tat Yohji. Wieder einmal. Doch erneut wurde er aufgehalten. Und wieder von diesem verdammten Orakel. Jetzt tat er doch schon alles was von ihm verlangt wurde, also was war denn jetzt noch? Yohji wandte sich wütend um. „Was?“ Das Orakel stand geduldig da, die Tasse Kaffee in der Hand und krempelte sich vorsichtig damit er nichts verschüttete, die Ärmel nach oben. „Dein Armband. Es ist sauber. Es wäre sicher schade wenn es nass werden würde.“ Amüsement blitzte in den bebrillten Augen auf und Yohji hätte vor Wut kotzen können über so viel Arroganz. Aber er löste beide Armbänder, sodass der Mann hinter ihm es nicht deutlich sehen konnte und warf sie dem Amerikaner zu. So hatte er zumindest die Chance sie wieder zu bekommen. Wenn der Typ sie ihm abnahm, dann bestimmt nicht mehr. Crawford fing beide auf und wandte sich ab um zurück in den Aufenthaltsraum zu gehen. Er ließ die Vorrichtungen auf seine Anzugjacke fallen und stellte seine Tasse ab um sie näher in Augenschein zu nehmen. Auf den ersten Blick Schmuckbänder aus Stahl für einen selbstverliebten Playboy. Aber es war kein Stahl, eher eine Edelmetalllegierung. Wie die Dinger zu einer Waffe wurden war so nicht festzustellen. Es musste einen Mechanismus geben, der auf den ersten Blick nicht zu sehen war. Er legte sie wieder zurück. Sie mussten herausfinden was auf diesem Datenkristall war und er musste das Team zusammenrufen. Es wäre wirklich interessant gewesen was Jei zu dem Ganzen zu sagen gehabt hätte. Das würde er so schnell nicht erfahren, wenn er es denn je erfuhr. Kudou war ein Vollidiot, das war ihm bekannt, aber was er sich hier geleistet hatte war mit nichts mehr zu toppen. Nun ja, es war noch nicht klar ob Kudou die nächsten Tage überlebte, also wozu sich aufregen? Vielleicht erledigte sich das Problem von ganz allein. Da Jeis Erinnerungsvermögen momentan ein reset erfuhr würde sich die weitere Beeinflussung durch den Weiß Agenten bald erledigt haben. Und wenn Jei ihn dabei in einem unglückseligen Moment tötete war das zwar bedauerlich aber schnell vorbei. Er hatte im Augenblick keine Sicht auf diese Zukunft da andere Dinge wichtiger waren. Er wartete noch eine halbe Stunde bis der hochgewachsene, blonde Japaner zurück kam. Sie hatten ihm seine Kleidung abgenommen und er fühlte sich sichtlich nackt unter dem was er jetzt trug. Das Leder war ersetzt worden durch ein langärmliges Shirt, darüber ein Kassack- Oberteil und eine Hose mit Stoffband zum schnüren. Dazu frische Socken und OP schuhe. Das ganze Ensemble in Weiß gehalten. Wie passend. Crawford lächelte spöttisch in seine zweite Kaffeetasse hinein. „War das deine Idee?“, schnarrte es ihm missgelaunt entgegen. Kudou verschränkte während er näher kam die Arme vor der Brust. „Was genau?“ „Die FARBE! Oder das Fehlen selbiger.“ „Nein, diese geniale Idee kann ich nicht für mich verbuchen. Das Personal trägt Blau. Die Patienten Weiß, ansonsten unterscheiden sich weder Schnitt, noch Stoff.“ Yohji stützte die Hände auf die Anrichte zwischen ihnen und beugte sich vor. „Und was willst du jetzt mit mir hier machen? Mich in eine Zelle sperren? Auf einer Liege festbinden und mich mit Medikamenten ausschalten?“ Seine Kiefer mahlten, die grünen Augen leuchteten vor unterdrückter Wut. „Ja. Das würde ich gern“, sagte Brad langsam und betrachtete sich das zornige Bündel attraktiver Mann. „Aber da ich den Datenkristall zu Schuldig und Nagi bringen muss und ich sonst niemanden habe dem genug daran liegen könnte, dass Jei überlebt werde ich wohl auf dich zurückgreifen müssen. Ich frage mich, wie du es geschafft hast, dass jemand wie Jei, der einzige mir und SZ bekannte Empath, der bisher je existierte und der bisher noch keine nennenswerten Verletzungen davon getragen hat hier liegt und sich einer Operation unterziehen muss, die sein Leben vielleicht rettet. Vielleicht. Kannst du mir sagen wie das passiert ist? Jei ist nicht nachlässig.“ Yohji hielt den sezierenden Blick stand, auch wenn es schwer war in diese schwefelgelben Augen zu blicken und die Worte dazu in sich sickern zu lassen. „Ken ist verschwunden“, eröffnete er. „Manx hat ihn auf eine Mission geschickt, anders gesagt, er hat sich freiwillig gemeldet, weil ihm unser Kontakt zu euch auf den Magen geschlagen ist. Er hätte sich gestern melden müssen, doch dazu kam es nicht. Auch zu den anderen vereinbarten Zeiten meldete er sich nicht. Zuletzt war der Kontakt in Kyoto zustande gekommen.“ „Weiter“, sagte Crawford zu ihm, seine Miene unbewegt, aber etwas in den Augen hatte sich verändert. Ein Schatten hatte sich über sie gelegt. „Ich versuchte vergeblich Omi zu erreichen. Nichts. Also fuhr ich zu Ran und Schuldig. Sie waren nicht da. Ich drehte mich um und da stand Jei. Er stand einfach da. Ich war sauer, weil er mich schon seit Wochen stalkt.“ Yohji seufzte, wischte sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und wandte sich seitlich, eine Hand auf dem Tresen abgestützt. „Es… es machte mir meistens nichts aus. Aber heute… ich war sauer und wollte das er verschwindet.“ „Was er nicht tat.“ „Nein. Er ging mir nach, als ich zurück zum Wagen wollte.“ „Hat er irgendetwas gesagt? Über das was vorher vorgefallen war?“ „Nein, nichts. Er sagte nur: Das ist die falsche Richtung. Und das war alles. Das machte mich rasend. Er drückt sich nie klar aus. Dann flippte ich aus und… ja… wir kämpften. Er lag am Boden, als ich ging aber er war wach. Ich wollte mich abreagieren und ging runter zum Kai an den Strand. Ich rauchte eine, dann kamen diese Typen. Fünf. Vier Schlägertypen, wie diese hier und einer, der sich als der Boss der Truppe rausgestellt hat. Schlank, groß, der Sprache nach hier in Japan geboren. Keinerlei Akzent. Die Männer ohne Masken waren Japaner. Alle trugen die typischen Yakuzauniformen. Der Boss der Truppe und ein anderer trugen Kabuki Masken. Dieselben die sie in dem Lagerhaus beim Angriff auf mich getragen hatten. Die Maske des Anführers hatte sogar noch das Einschussloch, dass Jei der letzten Trägerin verpasst hatte. Die Maske war fein säuberlich in Stand gesetzt worden. Offenbar hängt der Typ an dem Teil.“ „Verstehe.“ Brad entsann sich an die Tatsache, dass das Schuldigs Verwandte gewesen war. Wer steckte jetzt hinter der Maske? Eines war dadurch klar geworden: Es war Sin. Yohji drehte sich wieder zu dem Amerikaner um. „Der Typ war angepisst weil wir unseren Job nicht machen. Er meinte, dass er sauer wäre weil wir uns lieber aus dem Staub machen, als dass zu tun was unser Job wäre. Es sei nicht unsere Natur ruhig zu halten. Dann sagte er noch, dass es schwer wäre an mich heranzukommen und mein Aufpasser – Jei gute Arbeit leistete – wenn ich ihn nicht sabotieren würde.“ Yohji verzog das Gesicht zu einer wütenden Grimasse. „Je mehr Details du mir lieferst, desto besser kann ich damit arbeiten, Kudou“, forderte Crawford Kudou auf weiter zu sprechen. Der ehemalige Schnüffler war eine gute Informationsquelle. Eine Quelle die hier unten sprudeln oder versiegen würde. Für Kudou war das hier eine Sackgasse. Oder sein Grab. Fortsetzung folgt… Vielen Dank für’s Lesen. Bis zum nächsten Mal! Gadreel Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)