Der Glasgarten von Gadreel_Coco ================================================================================ Kapitel 130: Devils Playground ------------------------------ Devils Playground Brad wurde von dem Sog der Erinnerungen in die Tiefen seines Bewusstseins gezogen. Die sich einstellende Verwirrung löste in ihm ein Gefühl der Vertrautheit aus und er wehrte sich nicht dagegen. Er spürte die vertraute Verbindung zu seiner Schwester, die er in ihrer Nähe und die der Kontakt zu ihr stets ausgelöst hatte. Er erinnerte sich... Erinnerte sich an den Tag... An den Tag an dem er sich mit jemanden treffen wollte um einen Auftrag abzuschließen, den sie noch offen hatten seit Schuldig in China umgekommen war... Umgekommen... nein... Er war am Leben. Und er war zurückgekommen... nur hatte er das Gefühl nicht, dass Schuldig wieder am Leben war... Er war zurück... aber für ihn noch tot. Hatte er deshalb diesen Fehler gemacht? War es deshalb dazu gekommen? Er ließ sich durch die Erinnerung treiben und öffnete die Augen in den geschäftigen Alltag eines Cafes in Tokyo hinein... „Schön festhalten, hörst du?“ „Jaaa!“ Finn lachte ob der aufgeregten, blauen Augen, die ihm von unten entgegenstrahlten und den Lippen, die sich sogleich ins Eis versenkten. Eine der kleinen Hände schob sich währenddessen in die seine und machte es ihm umso einfacher, den Flohzirkus - Lilly und Gabriel - gebändigt zu halten, mit dem er heute unterwegs war. Es stand nichts an, keine Termine, keine Aufträge, nichts, so konnte er wenigstens heute mit den beiden Kleinen, die er in der letzten Zeit sowieso sehr vernachlässigt hatte, etwas unternehmen. Er musste sich ja auch immer das Schwierigste aussuchen. Und wenn Finn ehrlich war, so war ein kleiner Auftragskill hier oder ein Betrug dort nichts gegen diese beiden Rabauken, besonders… „LILLY!“ Sich überhaupt nicht schuldbewusst, drehte der dunkelhaarige Wirbelwind sich zu ihm um und lachte vergnügt, wollte sie doch gerade die andere Richtung anstreben, wieder zurück zur Eistheke. „Du bekommst kein anderes Eis, ich hab deins hier!“ Mit gutem Grund…Finn wusste genau, dass es irgendwo anders landen würde nur nicht da, wo es sollte. Ihr Bruder war da anders. Gabe war vorsichtig, beflissen mit allem, was er tat und wenn es nur das tragen eines kleinen Hörnchens war. Selbst die Sache in Hongkong war einfacher gewesen. Chaos zu stiften war für ihn eine Leichtigkeit, dabei die Fäden im Hintergrund zu ziehen und dieses Chaos dort hin zu führen, wo er den größten Nutzen für seine Unternehmungen daraus ziehen konnte, ebenso. Es lag ihm im Blut sozusagen. „Finni, Finni!“, krähte die Kleine vergnügt und heftete sich an sein Bein, ließ sich von ihm mitziehen. Wie gut, dass sie es nicht weit hatten und er die Kinder ordentlich auf die Bank platzieren konnte, dabei keinen Blick für einzelne Gesichter hatte wie manchmal sonst. Es war voll heute, voll von lauter Tokyotern und Touristen, die nichts besseres zu tun hatten, als sich diese Stadt anzuschauen... und mittendrin die Kinder und er. „Finni! Gabe kleckert!“ Das wusste jetzt auch die ganze Umgebung anhand von Lillys Lautstärke. Finns Blick ruckte dennoch zu ihrem Zwillingsbruder, dessen unglücklicher Blick auf dem großen Eisfleck auf seinem T-Shirt ruhte. „Finni…“ Ah je, da war das Drama aber wieder groß. „Warte… er ist gleich wieder weg!“, versuchte eben dieser Mut zu machen und rückte dem Fleckenzwerg mit einem Taschentuch und etwas Spucke zuleibe, ebenso wie dem tropfenden Eis, das über Gabes Finger tropfte, auf die Hose… „…och nein…“ Es schien, als wäre er wirklich außer Übung. „Macht nichts Gabe, macht nichts“, sagte er liebevoll und strahlte den schüchternen Augen zuversichtlich entgegen, der kleinen Patschehand, die versuchte, den Fleck wegzumachen. Dass Lilly sich währenddessen selbstständig gemacht hatte, da ihr langweilig war und sie ein weitaus interessanteres Objekt als ihren Bruder gefunden hatte, bemerkte er nicht. Sie rutschte auf der Bank nach links, hinter Finns Rücken zu dem großen Ausländer, der dort saß. „Guck…Eis!“, sagte sie strahlend und das Eis, das auch schon bei ihr Spuren hinterlassen hatte, verlor in diesem Moment die Balance und fiel auf die Hose. Der Mann hatte die strahlenden Augen gerade erst mit seinen eingefangen, als auch schon das Unvermeidliche geschah. Die ungeschickte, unaufmerksame Kinderhand hielt das Eis möglichst schräg, als wäre es pure Absicht gewesen, die kalte, hellgrüne Süßspeise zur Aufhellung auf der trüben, anthrazitfarbenen Hose zu verteilen. „Eis ist aber nicht zum… Gucken… Kleines, sondern zum Essen“, schmunzelte der Mann nachsichtig, innerlich sehr schwer seufzend, sich bereits eine Serviette nehmend. Lilly starrte den großen Fremden mit noch größeren Augen an. Dann wanderte ihr Blick auf das Eis, das sich nicht mehr im Hörnchen befand und anschließend abrupt zu ihrem Begleiter. „FINNII! Mein Eiiiis!“, schallte es durch das ganze Eiscafé und Finn fuhr blitzartig herum, das Schlimmste ahnend und nur ein leeres Hörnchen und tief verzweifelte Augen wahrnehmend. Er seufzte tief und sah ein Stück nach links, um festzustellen, dass das Eis nicht auf dem Boden gelandet war, wie erst angenommen… nein, ausgerechnet auf einer Hose… Finn sah hoch. Er blinzelte. Ausgerechnet auf DER Hose. DIE Hose. Oh nein. Oh Gott. Finns Augenlid zuckte. „Finni, mein Eiiis!“ Ja, das sah er! Musste es ausgerechnet diese Hose sein? In ganz Tokyo ausgerechnet… „FINNI!“ „Ja ist gut, Kleines… sofort“, lächelte er und sein Blick huschte in die braunen Augen, huschte wieder zurück auf das Eis, zur Hose. „Serviette…?“, fragte er nervös. Er erkannte ihn nicht, oder? Brad Crawford wusste nicht, dass er es war, oder? ODER? Sie kannten sich offiziell nicht. Wo war der Rest von Schwarz? Hier? Alle? War er alleine? Ach du Scheiße, schoss es Finn durch den Kopf. Ach du heilige Scheiße. Mit innerlich hilfloser Skepsis betrachtete Brad sich das unglücklich blickende Gesicht der Kleinen und winkte der Kellnerin. Sein Finger stippte in das Eis und er schmeckte kurz nach. „Bringen sie der jungen Dame noch einmal ein Eis mit einer Kugel Waldmeister“, bestellte er und nahm dankend die Serviette des Mannes an, um sich des Eises zu entledigen. Dank seines dunklen Anzuges würde wenig zurückbleiben, so hoffte er und er hatte heute keine weiteren Termine mehr. Ja aber… oh Gott, er hatte ihn erkannt, das konnte nicht anders sein! Woher sollte er?, hielt schließlich - endlich - Finns rationale Seite dagegen und verschaffte ihm etwas Beruhigung. Woher sollte dieser Mann hier ihn mit Sophie in Verbindung bringen? TROTZDEM!, kreischte es in ihm. Beruhige dich!, mahnte seine innere Stimme. Weshalb musst du in seiner Gegenwart derart nervös sein? Schön cool, wie immer... „Das… das ist aber nicht nötig, also ich meine, das hätte ich auch getan, nachdem ich der guten Dame hier einen ordentliche Standpauke gehalten habe!“, kam er zum momentan Wesentlichen. „Los, hinsetzen, Lilly, aber brav und OHNE Widerrede! Da siehst du, was passiert, wenn du stiften gehst! Dein Eis hast du verloren und nun auch noch die Hose dieses Mannes hier...“ …Brad Crawford, hätte er auch sagen können. Seines Zeichens Orakel und Anführer von Schwarz. „…bekleckert! Und nur, weil du nicht auf mich gehört hast!“ So nahe war er ihm in den letzten Jahren nur als Sophie gekommen. Aber Sophie war nicht hier. Hier war nur er selbst und DAS war das Problem. Das war nicht der Plan. „Schade um das Eis ist es schon, es schmeckt köstlich“, schmunzelte Brad während er abschließend über seine Hose rieb und die Serviette, nachdem er sich die Finger daran abgewischt hatte, in einer elegant lässigen Geste auf den Tisch ablegte. Er wandte sich leicht zur Seite und fing den Mann samt der Kinder mit seinen aufmerksamen Augen ein. „Sie sind sehr lebhaft, oder?“ Wenn er sich das Mädchen so ansah, vielleicht so fünf Jahre alt, dann war das eine himmelschreiende Untertreibung. Finn starrte den anderen Mann an, als würde er vom Mars kommen. Jetzt begann er auch noch eine Konversation mit ihm? DER Crawford? Er blinzelte. „Lebhaft…ja“, lachte er unsicher und war für einen Moment von Gabe abgelenkt, der schüchtern an seinem Pullover - dem Ältesten, den er in seinem Kleiderschrank hatte, wohlgemerkt - zupfte. „Finni…mein Eis. Hilfst du mir?“ Der um Hilfe gebetene seufzte. „Warte, Spatz.“ Wie gut, dass es hier noch mehr Servietten gab, zusätzlich zu denen, die er sich schon wohlweißlich mitgenommen hatte und er putzte die Finger den Jungen sauber, umschlang dessen Hörnchen mit einer sauberen Serviette und leckte es am Rand sauber. Alles unter dem beleidigten, schmollenden Blick Lillys, die sich zwar fügte, der aber der Schalk quasi auf der Stirn stand. „Hier, Gabe, schön schlecken, okay? Kein Eis mehr verkleckern!“ Erst jetzt wandte er sich wieder zu Crawford. „Was….“ …machen Sie hier, hatte er fragen wollen, stellte aber fest, dass das KEINE gute Frage war. „…kostet die Reinigung für Ihre Hose?“, platzte es dafür umso eiliger und im Nachhinein auch unüberlegter aus ihm heraus. Er hatte nicht soviel Bargeld bei. Verdammt! „Lassen sie nur. Ich habe heute keine Termine mehr und meine Geschäfte sind für heute erledigt.“ Brad nahm einen Schluck seines Kaffees, als die Bedienung an ihren Tisch kam und sie mit einem Lächeln dem Mädchen das Eis hinhielt. Geschäfte… jahaha, er wusste ganz genau, was für Geschäfte!, hielt Finn stumm dagegen und sah mit Argusaugen zu, wie Lilly das Eis in Empfang nahm. „Bleib ja brav!“, brummte er nicht wirklich böse und sie kicherte, streckte ihm die Zunge heraus. „Freches Ding…“ Finn sah zur Seite und stellte mit Erleichterung fest, dass auch bei Gabe alles soweit klappte. Liebevoll wuschelte er dem rotblonden Schopf durch die schon längst wieder überreifen Haare. Sie mussten zum Frisör. Gabe lächelte, alles um den Mund voller Schokolade. Momentan schien keine Bedrohung von dem Amerikaner auszugehen, geschweige denn von jemandem seines Teams, so hoffte Finn, denn er war unbewaffnet und hatte zwei Kinder, die er koordinieren musste. An eine effektive Flucht war nicht zu denken. Unruhig ließ er sich neben Gabe auf einen Stuhl nieder und wagte einen Blick zu Crawford. Brad sah diesen Blick und fixierte die dunklen Augen des Mannes, dessen Aufmerksamkeit kurz von den Kindern zu ihm glitt. „Sie scheinen nervös zu sein“, sagte er mit unlesbarem Blick wie stets, auf dem man nur reservierte Freundlichkeit erkennen konnte. „…doch ich denke, dass das Eis nun seinen Bestimmungsort finden wird…“, prophezeite er ins Blaue hinein, denn seine Fähigkeiten waren noch immer stark beeinträchtigt. Schuldig war zwar wieder da - momentan im Erholungsurlaub mit seinem Rotfuchs – aber deshalb blieb er dennoch nicht verschont von den Visionen. Den Visionen von Schuldigs Tod, die noch immer erfolgreich jede andere Vorhersage überblendeten. „Ich? Ja… das Eis. Das Eis…sollte dableiben, wo es jetzt ist!“, versuchte Finn sich möglichst unelegant herauszureden. Nun, eigentlich versuchte er es nicht absichtlich, es rutschte ihm in Gegenwart dieses Mannes einfach so heraus. Er wollte nur zusehen, dass er möglichst schnell von hier wegkam. Was musste der blöde Amerikaner auch hier einfach aufkreuzen, wenn er in seinen Alltagssachen, ohne drum und dran, sogar noch mit zusammengebundenen Haaren hier mit den Kindern unterwegs war? Ausgerechnet hier! Das konnte kein Zufall sein… Erfrischend chaotisch dieser junge Mann, resümierte Brads Verstand verspätet, denn die ganze Art seines Gesprächspartners wirkte so natürlich und ihr fehlte so gänzlich das Affektierte. „Es war nur Eis. Das lässt sich leicht entfernen“, sagte Brad leise lachend über den verhaltenen Ärger in der Stimme des Mannes. Crawford lachte. Er tat es nicht nur bei Aufträgen als Tarnung, er tat es auch so im normalen Leben. Finn stierte den anderen Mann mit großen Augen an, bevor er den Blick abwandte. „Und… was treibt Sie hierher?“, fragte er nun dennoch, Lilly einen Moment lang mit ihrem Eis helfend, das sich wieder auf den Weg bergab begeben wollte. „Halt es gerade, Lilly-Schatz!“, mahnte er liebevoll. „Ins Icebreak? Ich denke der Kaffee und die angenehme Atmosphäre. Heute scheint einiges los zu sein.“ Brad warf einen zufällig erscheinenden Blick auf seine Uhr. Er musste noch an die Daten im Safe herankommen und dafür hatte er noch etwas Zeit, die er vertrödeln musste. „Verzeihen Sie die Unhöflichkeit. Mein Name ist Christopher Bradford.“ Gelogen, gelogen!, schrie es in ihm und Finn verdammte die Höflichkeit des Schwarz. Nun war er zwangsläufig auch dazu verpflichtet, sich selbst vorzustellen. Wie gut, dass er zumindest mit seinem Nachnamen kreativ sein konnte. „Sehr erfreut, Cr….Bradford-san. Mein Name ist Kimura….Kimura Finn.“ „Ich darf annehmen Kimura-san, dass sie den ersten wärmeren Tag dieses Jahres dazu genutzt haben, um hier her zu kommen?“ Die Kinder schienen ihrer Unterhaltung mit plötzlich aufmerksamer Neugierde zu folgen. Sie aßen geschäftig ihr Eis, nur hin und wieder wurde Brad mit großen fragenden Kinderaugen bedacht. Er wusste… dass er auf Kinder eine magische Anziehung ausübte. Und er dieser auch nicht Herr werden konnte. Warum dies so war, hatte er nicht herausgefunden, aber er hatte dies schon in seiner Jugend bemerkt. Auch Finn bemerkte dieses Interesse der Kinder und wollte damit gar nicht zurechtkommen. Auch wenn es sich für später vielleicht als nützlich herausstellen könnte. „Ja, die beiden kleinen Wichte hier müssen auch mal frische Luft tanken.“ Gabes Blick schoss vorsichtig zu Crawford, bevor er zu Finn kam und ihm das halb fertig gegessene Hörnchen hinhielt. „Mag nicht mehr.“ Finn nahm es ihm mit einem Lächeln ab und zückte aus seiner Tasche ein Frischetuch, putzte dem Jungen die Hände ab. „Aber heute ist es einfach zu chaotisch.“ Brads Adlerblick kreiste kurz über die Gäste. „Da haben sie Recht.“ Ihm passte das sehr gut ins Konzept. Die einzige Unsicherheit stellte der Verlust seiner Fähigkeiten dar, den es auf normalem Wege auszuschalten galt – so fern möglich. Dass es aufgrund des erlebten Verlustes von Schuldig zu einem inneren Konflikt gekommen, dem er aber immer noch nicht wirklich Herr geworden war …dass verdrängte er. Er war risikoreich geworden seit Schuldig plötzlich wieder aufgetaucht war. Die Schuld in ihm, dass er ihn auf irgendeine Weise im Stich gelassen hatte, quälte ihn. „Passen Sie auf die beiden nur auf, oder sind es Ihre eigenen Kinder, Kimura-san?“, fragte er, den Blick wieder zu dem Mann wendend. „Ich bin der Babysitter sozusagen…“, erwiderte Finn. „Er ist Finni-chan! Und ganz lieb!“, krähte ihm Lilly dazwischen und Finn hätte sie am Liebsten in die Botanik gesteckt. Das ist Crawford…da sagt man sowas nicht!, meckerte er in Gedanken, augenscheinlich immer noch nervös. „Er geht raus mit uns und lässt uns gaanz viele tolle Dinge tun!“ „Pshht Lilly, das interessiert Bradford-san sicherlich nicht!“ „Doch!“ Sie schmollte. „Guck!“ Nein, das wollte Finn nicht. Lässig und tatsächlich bis auf das übliche Maß an Vorsicht entspannt hatte Brad seinen Arm auf die Rücklehne der Bank gelegt, die Uhr halb im Blick. „Natürlich interessiert mich das, da muss ich der jungen Dame beipflichten“, lächelte er und das gemeine Funkeln in seinen Augen blitzte amüsiert hindurch. Er konnte die Nervosität des Mannes beinahe schmecken, wie ein Raubtier die Angst der Beute roch. „GUCK!“ Ja, rottet euch zusammen, ihr beiden, treibt mich in mein Verderben!, grollte Finn innerlich, nach außen hin trug er aber ein Lächeln. „Wir haben Spaß“, entschied Finn sich letzten Endes für die harmloseste Variante. Wieder ließ Brad seinen Blick über die Leute gleiten, bis er an einer Frau hängen blieb, die ihm flüchtig zulächelte und sich dann wieder ihrem Gespräch am Mobiltelefon widmete. Das Päckchen war also geliefert. Er würde noch ein paar Minuten warten und dann zum Safe gehen. „Waren Sie schon im großen Sea-Aquarium? Das würde den beiden Herrschaften sicher gefallen“, schlug er vor, seine Aufmerksamkeit auf den Mann gerichtet. „Da waren wir in der Tat noch nicht…Sie etwa?“ Wollen wir zusammen hingehen?, fragte Finns innere, teuflische Seite, die er niemals veräußern würde - so dachte er. De facto hatte er just diese Worte gerade freimütig ausgeplaudert, wie er entsetzt feststellte. „Also… ich…“, versuchte er zu einer Erklärung anzusetzen, die Augen weit und schier verzweifelt. Warum sagte er nur derlei unvernünftige Dinge in der Nähe des Amerikaners? Er war doch sonst nicht so... bescheuert. Das war nun wirklich herzerfrischend spontan und… ein wenig selbstüberrumpelnd. Brad schmunzelte amüsiert. Da war wohl der Mund schneller gewesen als der hübsche Kopf, so erschreckt wie der junge Mann ihn nun ansah. „Ich war zwar dort schon einmal, aber es ist immer einen Besuch wert. Heißt das, Sie laden mich ein?“ Er war schon mal dort?, fragte sich Finn um sich gleich zu schelten, dass das NICHT die erste Frage war, die er sich in dieser Situation stellen sollte! Und erst dieses Lächeln. Ein Zupfen an seinem Ärmel ließ ihn zu Gabe sehen, der mit schüchternen Blick auf Crawford zu ihm kam und ihm ins Ohr flüsterte: „Was ist ein Aquarium?“ „Das sind große Becken, in denen Fische schwimmen… große Fisch, kleine Fische, Haie…“ so welche wie Crawford… „und ganz bunte Pflanzen gibt es dort.“ „Zeigst du uns die Fische?“, kam die hoffnungsvolle Antwort mit leuchtenden Augen, denen Finn ja so gar nichts abschlagen konnte. Verdammt. „Ja, das werde ich…“ Und nun zum Amerikaner… was machte er jetzt? Nein sagen wäre das Beste… und wie sich danach herausreden? Finn schlug innerlich verzweifelt die Hände über dem Kopf zusammen. „Er kommt mit! Er kommt mit!“, krähte es begeistert von der Seite und Finns Augen wurden noch einen Tacken größer. „Lilly! So etwas macht man nicht! Vielleicht möchte Bradford-san gar nicht mit Wildfremden ins Sea-Aquarium!“ Die feurige Betonung lag auf Wildfremden, so als wolle Finn geradewegs betonen, dass sie eben nicht fremd waren. „Aber Sie sind natürlich gerne eingeladen!“ Wie gut, dass das Zähneknirschen aufschiebbar war, das diesen Satz begleitete, und sich erst heute Abend vor dem Schlafen gehen bemerkbar machen würde. Wenn sie irgendjemand der Familie dort sehen würde, wäre er geliefert… es könnte natürlich auch sein, dass er schon so geliefert war, wie er hier saß, denn alleine mit zwei Kindern… Und dabei war er momentan gar nicht darauf aus, mit dem Feuer zu spielen, nicht nach der Sache mit Fei-Long in Hongkong, verdammt! Ein sanftes Vibrieren und ein flüchtiger Blick auf seine Uhr später musste er ihr Gespräch kurz unterbrechen. Mit einem „Einen Moment bitte“, zog er aus seiner Innentasche sein Mobiltelefon heraus. „Ja“, drang seine Stimme schwer wie Blei und kalt wie Eis zu seinem Gesprächspartner. Sein Freundlicher-Mitbürger-Modus perlte an ihm ab wie Wassertropfen. „Ich komme.“ Er legte auf und verstaute das Mobiltelefon wieder in der Innentasche seines Jackets und wandte sich wieder zu den Dreien um. „Leider kann ich Sie heute Nachmittag nicht begleiten, auch wenn die Einladung der reizenden Dame und ihrer Begleiter durchaus lohnend ist. Ich stehe wohl erst heute Abend wieder zur Verfügung und zu so später Stunde werden die beiden jungen Herrschaften sicher schon sehr müde sein und im Bett liegen, um zu schlafen. Nicht wahr?“ Die Kellnerin kam und er verlangte die Rechnung. Da war er gewesen, der Crawford, der besser zu diesem Menschen passte als die äußerliche Maske der Höflichkeit. Gewisse Dinge konnte man nicht verneinen und diese enorme Emotionskälte erst recht nicht. Ein leichter Zug an seinem Ärmel ließ ihn auf Gabe sehen, der sich an ihn gedrückt hatte, dessen kleine Händchen sich in den Stoff seines Pullovers krallten. Der Kleine war sensibel genug für solche Töne. „Nicht du, Schatz“, schmatzte er Gabriel einen Kuss auf die rotblonde Mähne und wuschelte ihm durch die Haare. Es war, als schien diese dunkle Seite seinen Spieltrieb zu locken, denn er erwog für einen kurzen Moment die Möglichkeit, das Treffen auf heute Abend zu verschieben. Im zweiten Moment fragte er sich, warum er es nur erwog… wenn sie sich an einem neutralen Ort trafen, den er vorher aussuchen und überblicken konnte, so war das ganz sicher ein netter Nervenkitzel… aber es war Crawford! Und? Sophie hatte ihn soweit gehabt und sie hatte Spaß daran gehabt… „Wie wäre es mit einem Abendessen?“ Da war sie gefallen, seine Entscheidung. Es war kein verstecktes Angebot hinter dieser Frage, die in intimere Zweisamkeiten enden sollten. Nein, lediglich eine höfliche Frage. „Sie kochen?“ Ein Abendessen also, resümierte Brad für kurze Augenblicke den Ausgang des Gesprächs seiner flüchtigen Bekanntschaft. Der junge Mann entsprach nicht ganz seinem sonstigen Beuteschema, dass durchweg weiblich war, wenn man mal von Schuldig absah, der außer Konkurrenz lief. Das Outfit des Mannes - Cargohosen, Boots und ein weiter Pulli der schon bessere Tage gehabt hatte - war auch nicht gerade dass, was ihn magisch anzog. Nur… die Augen, dieses offene Gesicht waren etwas, das ihn einnahm. Brad ging selten mit anderen Menschen Essen. Geschweige denn mit Männern, es sei denn es waren Geschäftsessen. „Ich?“, fragte Finn eine Tonlage höher als eigentlich beabsichtigt. Genau… am Besten er lud Crawford noch zu sich nach HAUSE ein. „Finnis Essen schmeckt doof!“, kam ihm prompt auch Lilly zu Hilfe, die über das ganze Gesicht strahlte. Finn wusste nicht, ob er sie schimpfen oder ihr dankbar sein sollte. „Sie hören es… nein, ich dachte an Essen gehen.“ Die Rechnung kam und Brad bezahlte seine Getränke und Lillys Eis. „Haben Sie an etwas Bestimmtes gedacht?“, fragte er, nachdem die Kellnerin seinen Tisch verlassen hatte. Das Mädchen erinnerte ihn da an jemand ganz bestimmten, der ebenfalls zu den unmöglichsten Zeitpunkten seinen Mund kaum halten konnte. Etwas Überschaubares, leicht zu Überwachendes, Offenes, das ihm die Möglichkeit zur Flucht gewährte, wenn etwas schief laufen sollte. „Wie wäre es mit der Alpha Lounge, dort kann man sehr gut essen“, schlug Finn vor. Unwissend bedachte auch Crawford dieselben Gesichtspunkte und nickte zustimmend einmal, mit einem undurchschaubaren angedeuteten Lächeln. Er erhob sich. „Ist Ihnen 20.30 Recht?“ „Das ist eine gute Zeit. Ich werde da sein.“ Und da hatte er seine Verabredung für den heutigen Abend… Finn schlug erneut die Hände über seinem Kopf zusammen - innerlich. „Kommst du wieder?“, fragte Lilly an Crawford gewandt und Finn lächelte. Kinder und ihre vorlauten Mündchen. Brad zwinkerte der jungen Dame zu. „Ich habe das unbestimmte Gefühl, dass wir uns noch einmal sehen werden, ja“, prophezeite er das Blaue vom Himmel herunter. In Wirklichkeit hatte er keinen blassen Schimmer, ob er die beiden noch einmal wiedersehen würde. Seine Voraussicht schwieg sich dazu aus, denn auch wenn er jetzt gerade eine Überlagerung zweier Realitäten vor Augen hatte und Schuldigs Tod sich ihm wieder vor Augen schob, behielt er seinen ruhigen Gesichtsausdruck bei, nur seine Augen flackerten kurz, ohne dass er blinzelte. Die eigentliche Vision wurde wie schon oft zuvor von Schuldig überlagert. Er wusste somit nicht, ob er die Kinder oder Kimura-san wiedersehen würde. Er verabschiedete sich von dem Trio. „Bis heute Abend Kimura-san.“ Das unbestimmte Gefühl. Finn wollte heute Abend da nicht hingehen… denn was sagte ihm, dass dieser gefährliche Killer - und nichts anderes war Crawford - keine Vision hatte. Nicht von ihm, sondern von den Kindern, die nicht mit seiner Fähigkeit ausgestattet waren? Gab es irgendetwas in der Zukunft zur Zufriedenheit des Orakels und zu seinem Verderben? Vielleicht war er schon viel zu weit im Feuer und es gab nur noch den Weg zurück oder seinen Untergang. Finn sah Crawford hinterher, überdachte dessen Blick, der nur für den Bruchteil einer Sekunde in dessen Augen gestanden hatte. „Das ist ein toller Onkel!“, proklamierte Lilly begeistert. „Find ich nicht…“, kam es von seiner Seite. „Er ist ein seltsamer Onkel“, sagte Finn in Gedanken versunken. „Was bedeutet seltsam?“, fragte die Kleine und sie kam auch zu ihm. „Onkel Kiguchi ist auch seltsam.“ Ein zweifaches „Oooh!“ kommentierte seinen Vergleich und Finn musste schmunzeln, über die Kids wie auch über sich selbst. Was hatte er sich nur eingebrockt? o∼ Trotz der noch nicht wiederhergestellten Fähigkeit der Voraussicht hatte Brad beschlossen die noch ausstehenden Aufträge auszuführen. Auf eigene Faust. Schuldig und Ran waren irgendwo im Urlaub wie sie sagten und seit Schuldigs Wiederauferstehung waren ein paar Tage vergangen, in denen er sich seine Gedanken hinsichtlich ihrer Teamstruktur machen konnte. Vor allem auch in Hinblick auf einen Umzug und der Neuerstellung möglicher neuer Zweitidentitäten. Darauf hatte er Nagi angesetzt. Er selbst hatte in zwei Tagen einen Auftrag auszuführen. Allein. Ohne seine Fähigkeiten, was einen erhöhten Schwierigkeitsgrad zur Folge hatte. Doch etwas in ihm verbat ihn sein Team momentan zu fordern. Und da er die Aufträge nicht abgeben wollte, würde er sie alleine ausführen. Heute Abend jedoch hatte er etwas anderes vor. Ein angenehmes Abendessen mit einem interessanten jungen Mann, der ihn nicht nur wegen seiner Attraktivität anzog, sondern auch wegen seiner Ausstrahlung. Hinzu kam die erfrischende Natürlichkeit und seine gestresst wirkende und daher unfreiwillig komische Art, wobei er dennoch die Ruhe selbst war im Umgang mit den Kindern. Ein netter Zeitvertreib, redete er sich ein und verdrängte die Gedanken an Schuldig. Crawford lächelte, als er aus dem Taxi stieg und die Alpha Lounge bereits in angenehm intimer Beleuchtung ein Stück weit die Straße hinab sehen konnte. o~ Finn stand vor seinem Kleiderschrank und war schier am Verzweifeln. Das, was er heute Mittag angehabt hatte, lag auf seinem Bett und wartete darauf, das abendliche Spiegelbild zu bekommen. Nur… sein Kleiderschrank gab dazu nichts her! Die Sachen, die ihm entgegen sprangen, waren schreiend auffällig. Nichts im Vergleich zu den bequemen Sachen von heute. Das durfte doch wohl nicht wahr sein! Da war er mit den Kindern unterwegs… OHNE eine seiner Masken wohlgemerkt, nur als er selbst und schon wurde er vom Orakel erwischt. Und das Beste… er lud ihn auch noch zum Essen ein. Verdammt. Finn zog nach und nach Kleidungsstücke aus dem Schrank und stopfte sie wieder hinein, bis er einen schlichten, schwarzen Pullover erwischte, der etwas enger als der Rollkragenpullover anlag. Dazu noch eine passende, schwarze Hose - außer der Cargohose, die auf dem Bett lag - das einzig legere Kleidungsstück, das er zu bieten hatte. Zumindest Crawford zu bieten hatte, ohne dass der andere Mann misstrauisch wurde. Die Schuhe jedoch waren eine einzige Katastrophe. Er hatte einfach keine! Außer… Finn schielte zu seinen Chucks. Nicht einfach in Schwarz, nein. Das wäre ja zu langweilig. BUNT. Sehr bunt. Aber zu schwarz würden sie passen. Dazu zog er sie noch gerne an, eigentlich jeden Tag, wenn er nicht gerade in Lederstiefel oder schwarzen Schuhen passend zu irgendeinem Anzug herumlief. Aber das waren Stunden, in denen er nicht er selbst war. Er verkörperte Rollen und dazu brauchte er passende Kleidung. „Gehst du weg?“, fragte es hinter ihm und er fuhr herum. „ONKEL Kiguchi“, lächelte er dem Hünen spöttisch entgegen und dieser hob eine seiner buschigen Augenbrauen. Der große Mann marke Schrankwand hatte die Tür zu seinem Domizil geöffnet und kam nun herein. „Hast du was genommen?“ Finn schnaubte und zog sich seine Sachen über. Es wurde doch langsam kalt hier, frisch nach der Dusche nur in Unterwäsche und dicken Socken. „Ja, ich habe ein Date.“ Kiguchi ließ die Antwort in sich wirken und sah ihm zu, wie er sich anzog. „Und da gehst du SO hin?“, fragte Kiguchi, nachdem der fertig angezogen war und Finn knurrte. „Was dagegen?“ Schweigen. In den schwarzen Augen stand, dass da noch etwas Entscheidendes fehlte. Finn zuckte mit den Schultern. „Erklär ich dir später. Wenn du mich suchen solltest oder suchen möchtest… ich bin in der Stadt, Großer!“ Er warf sich einen grünen Mantel über. „Warum bist du derart aufgekratzt?“ Finn warf ihm einen Blick zu, der nichts mit ihm selbst zu tun hatte. „Halt dich aus meinen Angelegenheiten heraus, Großer“, sagte er ruhig und sah den langjährigen Gefährten an. Kiguchi zeigte ein träges Lächeln. „Nicht, wenn du dich in etwas hineinmanövrierst, aus dem du nicht mehr herauskommst. Mit wem triffst du dich?“ „Mit einem Schulfreund“, sagte Finn langsam und er erwiderte das Lächeln, spiegelte es mit der gleichen Trägheit. Er drehte sich um und verschwand aus seinem Domizil. Kiguchi starrte die Tür an, durch die Finn gerade sein kleines Reich verlassen hatte. Ein Schulfreund? Es gab keinen Schulfreund im Leben eines intrigierenden, Chaos stiftenden Killers, wie Finn einer war. o∼ Finn machte sich auf in Richtung Stadt. Er fuhr mit dem Zug, dort konnte er Verfolger einfacher abhängen. Brad ließ sich Zeit, sich der Alpha Lounge zu nähern. Er war circa eine Stunde zu früh dran und hielt sich für eine kleine Weile in einer Nebenstraße auf, beobachtete die Lokalität aus dem Schatten. Zwei mal während dieser Zeit überfielen ihn Visionen, noch immer überlagert von Schuldigs Tod. Er fühlte sich miserabel und die Kopfschmerzen, die ihn die Kiefer zusammenpressen ließen, jagten ihm Schauer über den Rücken. Von dem allem nichts ahnend, wartete Finn genau in der entgegengesetzten Richtung und sah sich um. Als sich jedoch zehn Minuten vor der verabredeten Zeit immer noch kein Schwarz blicken ließ, machte er einen kleinen Bogen und kam dann auf dem direkten Weg zur Lounge, sein grellgrüner Wollmantel ein leuchtendes Signal in der Dunkelheit. Er betrat die gemütlich beleuchtete und offene Lounge, deren Tische durch weiße Gazevorhänge voneinander abgetrennt waren… dahinter die große Liegefläche mit kleinen Holztischen auf den Kissen. „Ich habe einen Tisch reserviert, für Kimura“, sagte er dem ihn anstierenden Kellner kalt, die innere Nervosität überspielend. Crawford war noch nicht da…. würde aber gleich hier sein. Was hast du dir nur dabei gedacht? Wo hast du dein Hirn gelassen, eh? Der Grund von Kimura-sans Nervosität wartete noch einige Augenblicke ab um sicher zu gehen, dass dem Mann niemand gefolgt war, bevor er selbst die Alpha Lounge betrat und sich mit gewohnt ruhigem Blick umsah. Er fand den jungen Mann noch bevor ihm ein hilfreicher Kellner zur Seite eilen konnte. Dennoch entledigte er sich seines Mantels und drückte ihm diesen in die Hand. „Vielen Dank“, lächelte er mit einer Mischung aus Selbstverständlichkeit und dem Hauch von Souveränität, bevor er sich zu Kimura-san begab. Er war da. Finn fühlte sich, als wenn gerade seine Schlachtbank zu ihm gelaufen kam, doch Angst war nicht wirklich das, was seinen Zustand beschrieb. Es war eher… völlige Aufregung vor dem, was noch kommen mochte. Zumindest konnte er sich JETZT sicher sein, dass er Crawfords seherische Kräfte blockierte und der andere Mann nichts auf ihn bezogen sehen würde. Er lächelte und erhob sich, warf dabei fast seinen Stuhl um. „Hallo!“, huschte es über Finns Lippen, gefolgt von einem Lächeln „Guten Abend, Kimura-san“, begrüßte Brad den langhaarigen jungen Mann, dessen Lächeln das ganze, aparte Gesicht zu erhellen schien. „Aber setzen Sie sich doch bitte wieder“, Crawford deutete die übliche Begrüßung an und sie setzten sich. „Warten Sie schon lange? Ich muss mich entschuldigen, dass ich mich um ein paar Minuten verspätet habe.“ Er war überpünktlich. Auch Finn wusste das, doch sie blieben bei ihren Höflichkeiten. „Macht nichts!“, lachte er und setzte sich wieder auf seinen Platz, nachdem er sich fast daneben gesetzt hätte. Reiß dich zusammen, verdammt!, herrschte er sich selbst an und knurrte innerlich. Das ist nur Crawford. Nur. Ihr habt euch doch schon mal kennen gelernt. Haha. „Ich bin auch erst seit wenigen Minuten hier!“ „Wissen Sie dann schon, was sie möchten?“ Brad fragte sich gerade, warum dieser Mann derart… nicht direkt nervös… aber doch angespannt wirkte. Seine Augen lächelten sein Gegenüber warm an, sodass er hoffte, er würde sich etwas entspannen. Unbemerkt jedoch über diesen Umstand ließ sich Brad die Karte vom Kellner reichen. Dass eben dieses warme Lächeln die Nervosität in Finn um eine kleine Idee anheizte, wusste er ebenso nicht. Denn dieses Lächeln war das Letzte, was er von diesem Mann erwartet hatte. Gut, als Keith Martinez… sehr kreativ der Name… hatte er einen ähnlichen Gesichtsausdruck, doch so wie hier… nicht. Finn atmete tief ein und lächelte selbst. Langsam könntest du dich wieder beruhigen, als Sophie hat es schließlich auch geklappt, ihn zu becircen. „Ich warte noch auf Sie“, erwiderte Finn und schloss seine Karte. Er war gespannt, was Crawford nehmen würde. Dieser hielt sich an italienische Pasta, die hier in der Alpha Lounge sehr gut zubereitet wurde. Dazu noch eine wirklich raffinierte Soße. Und die italienische Vorspeise durfte natürlich nicht fehlen. „Trinken Sie ein Glas Rotwein mit?“ Brad schloss seine Karte und legte sie ab. „Gerne!“ Langsam bildete sich in Finn der feste Vorsatz, sich das zu gönnen, was auch Sophie sich ihrerzeit gegönnt hatte. Denn die Anwesenheit des anderen Mannes war durchaus angenehm, das hatte er schon in Shanghai erkannt, so gefährlich das Orakel auch war. Er wurde von sich aus nun wirklich ruhiger und stand nicht mehr ganz so stark unter Strom. Finn bestellte sich das Känguru-Steak mit frischem Salat und einen kleinen, erlesenen Vorspeisenteller aus ziemlich allem, was diese Lokalität hier zu bieten hatte. Er hatte den ganzen Tag noch nichts gegessen und war dementsprechend hungrig. „Sie sehen mir gar nicht so wie der italienische Typ aus“, merkte Finn an, als der Kellner verschwunden war. „So? Und wie sieht der italienische Typ aus? Oder bezieht sich Ihre Frage lediglich auf das Essen?“ „Ja… eigentlich nein!“ Finn zuckte etwas ratlos mit den Schultern. „Sie selbst sehen nicht italienisch aus, aber das ist für einen Japaner wie mich sowieso schwer zu beurteilen. Es hat mich sowieso verwundert, dass Sie derart fließend Japanisch sprechen.“ Das weich aussehende dunkle Haar schien die Textur von Seide zu haben, so weich schmiegte es sich bei diesem ratlosen Schulterzucken um die Wange des Mannes. „Ich lebe schon seit einigen Jahren hier. Und habe zugegebenermaßen ein Faible für Sprachen.“ Das glaubte Finn doch aufs Wort. „Was hat Sie denn nach Japan getrieben? Das Land? Dass sie hier der Größte sind?“, spielte er mit einem frechen Lächeln auf die Größe des anderen an und nahm die Gelegenheit wahr, sich Crawford einmal genauer anzusehen. Natürlich trug dieser Mann wie immer einen Anzug, doch im Gegensatz zu heute Mittag war er leger und nahezu lässig mit dem leicht aufgeknöpften, weißen Hemd zum schwarzen Jackett. Es kam nicht ganz an das heran, was ihm Keith Martinez in Shanghai hatte vorspielen wollen, war dem aber schon ziemlich nahe. Zumal es einen leichten Einblick auf die Muskeln gewährte. Oh ja, Crawford WAR gut gebaut, das hatte schon Sophie zu spüren bekommen. Charmant dieses Lächeln, bemerkte Brad. Jungenhaft und natürlich frech. „Ich fürchte es war doch etwas Unspektakuläres wie lukrative Geschäftsangebote, die mich hier her getrieben haben.“ Die Frage sollte eher lauten, warum er von dort, wo er ursprünglich zuhause gewesen war, abgehauen war. Aber solche Fragen würde Kimura-san nicht stellen und wenn, dann nur in harmloser Weise. „Und Sie? Kümmern Sie sich hauptberuflich um die Kinder, oder sind es die Zöglinge eines befreundeten Ehepaares?“ Finn lachte. „Eigentlich sind es die Kinder meiner Chefin, auf die ich ab und zu aufpassen darf, wenn die Bagage zu wild wird. Dann darf Onkel Finni für Ordnung sorgen!“ Er schwieg, als der Kellner den Rotwein brachte und ihn ihnen zum Kosten reichte. Er war genehm. Finn nickte dem Ober zu und wandte sich schließlich wieder an Crawford. „Haben Sie Kinder, Bradford-san?“ Sehr einfallsreich, der Tarnname, und sehr tückisch. „Nein. Dazu ist mein Leben zu ungemütlich. Zuviel Stress, zu viele Reisen, zu wenig Zeit“, zu viel bleihaltige Luft, fügte er in Gedanken an und lächelte zynisch. „Kinder brauchen Ruhe, einen festen Ort, eine Heimat und Zeit. Das alles kann ich ihnen nicht bieten, also keine Kinder.“ Crawford stellte sein Weinglas ab und sein Blick verlor sich für kurze Momente auf dem dunklen Schimmer des langen Haars seines Gegenübers. „Und wie sieht es bei Ihnen aus? Die Kinder mochten Sie sehr gern. Sie scheinen oft auf sie aufpassen zu müssen.“ „Mittlerweile mach ich es freiwillig. Die Beiden sind ja auch herzallerliebst, wenn auch etwas anstrengend.“ Finns Blick streifte die hinter der randlosen Brille verborgenen Augen, so als ob sie sich zum ersten Mal ansehen würden. Und irgendwie war es das ja auch… Irgendwie. Jahre hatte er ihn aus der Ferne beobachtet. Gelegentlich waren sie sich begegnet aber Finn war nie er selbst gewesen. Verborgen hinter Masken, hinter erfundenen Figuren, gespielt von ihm wie in einem Theaterstück. Und die alles entscheidende Frage die bitter wie Galle in seinem Rachen schmeckte: War er jetzt er selbst? Konnte er es sich leisten? Es war doch so, dass nicht einmal dieser Name, den er momentan trug sein richtiger war. Hatte er sich schon in seinen Rollen verloren? Seine Lippen zogen sich schon wieder nach oben. „Kinder sind etwas Wunderbares, sie sind so rein. Sie haben ja gesehen, dass sie im Gegensatz zu uns nicht wirklich ein Blatt vor den Mund nehmen.“ Das war nicht gelogen, denn so dachte Finn wirklich über die beiden. „Ja und nur das Kindchenschema hält uns davon ab, sie für diese Wahrheiten zu bestrafen.“ Brad schüttelte amüsiert den Kopf. Schuldig dagegen machte das heute noch und manch einer hätte ihn dafür schon oft gerne getötet. Davon abgesehen, dass er mit vielen der Zielpersonen spielte und ihnen gerne ihre Gedanken vorhielt, ihnen die Wahrheit um die Ohren schlug und sie so innerlich verzweifeln ließ. Schuldig fiel nicht mehr unters Kindchenschema, höchsten unter Artenschutz. Bestrafen? Oh ja für ihn stand auch noch eine Bestrafung an, wenn Schwarz ihn zu fassen bekam. Finn wollte lieber nicht daran denken, sonst würde er keinen BISSEN mehr hinunterbekommen. „Das nicht unbedingt, es tut auch mal gut, die Wahrheit gesagt zu bekommen.“ „Da gebe ich ihnen Recht. Aber ständig? Stellen Sie sich jemanden vor, der ihre Gedanken kennen und Ihnen auf Schritt und Tritt die Wahrheit vor Augen führen wollen würde? Unser Gehirn braucht ab und an etwas Schein, um Ruhen zu können“, meinte Brad und nahm einen Schluck seines Weines, als auch schon die Vorspeisen kamen. „Deswegen habe ich die Kleinen auch nicht 24 Sunden, sieben Tage die Woche“, lächelte Finn und toastete Crawford zu. „Es gibt ja Menschen, die behaupten, dass es so etwas wie Gedankenleser gäbe. Ich halte das für Humbug. Die Gedanken eines anderen Menschen lesen - das geht doch gar nicht!“ „Nein, es wäre auch zu grausam, wenn es jemanden gäbe, der dies könnte und diesen ganzen Unsinn aushalten müsste. Ich denke dieser Mensch würde wahnsinnig werden“, sagte Brad leichthin in einem Ton, der dem seines Gegenübers ähnlich war. Sie redeten hier über Fantastereien und entsprechend war auch der Wahrheitsgehalt des Themas. Wahnsinnig? So schien ihm Mastermind zwar nicht gewesen, aber das musste die Folter gewesen sein, die den Schwarz so ruhig hatte werden lassen, so vorsichtig ihm gegenüber. „Da haben Sie wohl Recht, mit all den Gedanken um ihn herum, die nur er kennen würde. Nein, eine schreckliche Vorstellung!“ Finn lachte auf. „Auf seltsame Themen kommen wir hier, Bradford-san!“ „Dann lassen Sie uns essen, Kimura-san. Ich wünsche guten Appetit“, Brad hob das Weinglas und toastete Kimura zu, als dessen Vorspeisenteller kurz nach seinem kam. Er zog seine Serviette auf seinen Schoß und brach etwas von dem Weißbrot, das zu seinen Antipasti gereicht wurde, ab. „Was arbeiten Sie, wenn sie nicht gerade für Ihre Chefin die Kinder hüten?“ Finn überlegte sich, was genau er auf diese Frage antworten sollte. Er konnte ja kaum sagen, dass er Menschen betrog, belog, mit ihnen spielte und sie nach seinem Gutdünken lenkte. „Ich arbeite als freier Mitarbeiter, Mädchen für alles, könnte man auch sagen. Meistens mache ich Kurierfahrten, dann aber auch Buchhaltung, je nachdem, was gerade anfällt.“ Er nahm ein Häppchen und schwelgte für einen Moment in dem reichhaltigen Geschmack. Brad ließ sich gerade die gefüllten Pilze auf der Zunge zergehen, zupfte mit zwei Fingern Weißbrot ab. „Schmeckt Ihnen der Wein?“, fragte Brad, als die weich aussehenden Lippen das Glas verließen und eine vorwitzige Zunge dem Wein nachschmeckte und kurz über den inneren Rand der Lippen fuhr. Dies war ein wirklich guter Wein, nicht zu teuer aber gut, und er hatte es in sich. Nicht, dass er das bezweckte … …aber wenn er ehrlich zu sich selbst war, dann hatte er Lust, es sich heute gut gehen zu lassen. Schuldig war gerade erst wieder von den Toten auferstanden und er hatte ihn erst zweimal gesehen, als dieser schon wieder in den Urlaub aufgebrochen war. Wer wusste schon, ob die nachfolgenden Aufträge gut ausgingen, wenn er sich doch meist auf seine Gabe verlassen hatte. Und diese jetzt nicht zur Verfügung stand. Also konnte er doch heute von seinem üblichen Credo abweichen und etwas Spaß haben. „Er ist sehr bekömmlich und vollmundig“, lächelte Finn und spürte, wie sich der starke Alkohol in seinem Magen setzte. Zuviel würde er nicht von dem Zeug trinken können, ansonsten würde er sich womöglich noch in Gegenwart dieses Wolfes gehen lassen. „Sie sehen aus, als würden Sie das Essen genießen?“ Die Zähne des Wolfes, diese weißen, strahlenden Zähne, umrahmt von den Lippen, die so gut küssen konnten. Finn verschluckte sich dezent an seinem Wein und tupfte sich die Mundwinkel mit der Serviette ab. „Auch wenn ich italienisches Essen selten außerhalb von Italien genieße, muss ich zugeben, dass sie hier einen sehr guten Koch haben, der es versteht, italienische Genussart in die Gerichte zu zaubern. Waren Sie schon einmal in Italien, Kimura-san?“ Brad fragte sich langsam, woher diese erneute Unsicherheit beim anderen kam. Sollte er sich trotz aller Unwahrscheinlichkeit sorgen darüber machen, ob der andere sauber war, oder nicht? Sich mittels Kinder an einen Observanten heranzumachen war keine neue Masche. Eine dreckige aber keine neue. „Einmal, ja!“ Finn nahm einen kleinen Bissen, in den er sich vertiefte, während er sich die wahre und doch gelogene Antwort zurechtlegte. „Für die Firma... in der ich arbeite. Ich habe eine Ware begleitet, die geliefert werden sollte. Ein tolles Land, sehr offene Menschen.“ „Ware? Das klingt, als hätten sie jemanden in einer Kiste dorthin transportiert“, lächelte Brad leise in sich hinein. „Sie waren doch nicht in Sizilien?“ „Warum nicht?“, zwinkerte Finn. „Dort ist der Beton so schön günstig, den man an die Füße der 'Ware' hängt.“ Er lachte amüsiert, als hätte der Amerikaner nicht gerade sehr richtig gelegen mit dem, was er sagte. Wieder ein Anzeichen dafür, dass er wusste, wen er vor sich hatte. „Nein, Bradford-san, ich fürchte, für so etwas bin ich nicht der Richtige. Ich habe lediglich ein paar Schmuckstücke für eine italienische Dame begleitet, die ihrem neuen Besitzer übergeben werden sollten. Derlei Geschäfte würden mir niemals in den Sinn kommen!“ In seiner Stimme schwamm die Ungläubigkeit mit, die die Worte des Amerikaners in ihm auslösen sollten - wäre er ein unbescholtener Bürger gewesen. „Schon gut, schon gut“, lachte Brad nun wirklich überzeugt von seinem Gegenüber, mit der sizilianischen Mafia nichts zu tun zu haben. Dieses verwirrt entrüstete Gesicht war wirklich nicht mit Gold aufzuwiegen. „Wie lange waren sie dort? Konnten sie wenigstens Land und Leute auf sich wirken lassen. Oder mussten sie nach Beendigung der Transaktion wieder zurück?“ „Ein wenig war ich noch da, aber nicht viel! Ich hatte leider auch nur die Gelegenheit, den Strand von Ostia zu sehen, nicht viel mehr. Ein schönes Fleckchen, so wie man es aus den Filmen kennt! Aber die Dame war sehr einnehmend.“ Ihr Transportgut hatte ihnen Probleme bereitet... „Aber dann war es wirklich Zeit, zu gehen. Leider.“ Ihr Transportgut hatte schließlich das Zeitliche gesegnet, auf Wunsch besagter Dame im echt sizilianischen Stil. „Ja…Rom hat viel zu bieten. Ich habe es immer noch nicht geschafft, alle Museen, Kirchen und sonstige Sehenswürdigkeiten zu besichtigen, dabei war ich schon sehr oft in Italien. Falls ich mich einmal zur Ruhe setze, dann sicher dort.“ Brad legte die Serviette beiseite und nahm einen Schluck seines Weines. „An einem lauen Sommerabend dem Rauschen der Blätter im Wind zuzuhören und einen guten Tropfen Wein zu trinken, hat schon etwas. Dabei ist noch nicht einmal viel Geld von Nöten, um so etwas genießen zu können.“ Fast, ja fast hätte Finn das Gefühl gehabt, dass der andere Mann es ernst meinte, was er hier sagte. Das klang nicht nach einem eiskalten Killer, doch man hatte ja seine Fassade nach außen hin zu tragen und zu wahren. Doch was, wenn es ernst war? Was, wenn das wirklich Crawfords Vorstellung von Glück war? Interessant und angenehm. „Da haben Sie wohl Recht und es ist ein ansprechendes Ziel im hohen Alter..." Wenn er soweit kam und nicht vorher Schwarz zum Opfer fiel. Doch soweit würde es nicht kommen. Das würde er zu verhindern wissen. Er hatte schließlich noch viel vor. Außerdem hatte er eine Aufgabe – eine Lebensaufgabe. Er würde seine Pflicht erfüllen. Dieses Treffen war eine nette Auszeit davon und Finn fragte sich in diesem Moment, ob das hier nur ein Wink des Schicksals war auf die Bremse zu drücken, was seine Unternehmungen anbelangte. „Was machen Sie eigentlich beruflich, Bradford-san?“ Brad stellte das Weinglas ab und griff nach der Weinflasche, hob sie fragend, um seinem Gegenüber das leere Glas bei Bedarf zu füllen. „Ich bin in der Versicherungsbranche tätig. Lebensversicherungen. Nichts Spannendes.“ Lebensversicherungen? Finn musste sich zusammenreißen, um über diesen Scherz nicht laut loszulachen. Versichern Sie sich bei uns - wir bringen Sie zuverlässig um die Ecke. So oder so ähnlich könnte ein etwaiger Werbespruch von Schwarz lauten. Anstelle dessen lächelte er und strich sich eine vorwitzige Strähne aus seiner Stirn. „Aber doch sehr spannend, wenn man die Schicksale, die dahinter stehen, betrachtet, oder?“, fragte Finn, sein Glück herausfordernd, während Crawford ihm nachschenkte. Der Wein war wirklich gut. „Nicht wirklich. Ich habe mit den Kunden nicht viel zu tun. Meine Arbeit läuft meist im Hintergrund ab. Und dafür bin ich dankbar. Außerdem haben wir generell bei der Auszahlung der Versicherungssumme nur kurzen Kontakt mit den Hinterbliebenen, wenn überhaupt. Spannend wird es eher dann, wenn wir Nachforschungen anstellen müssen und die Polizei eingeschaltet wird. Aber damit habe ich, wie gesagt, wenig zu tun.“ Mit der Polizei wohlgemerkt, fügte er in Gedanken zu und lächelte nach außen hin gelassen, als er den Wein wieder abstellte. Finn machte sich für einen Moment einen Spaß daraus, sich vorzustellen, wie es wäre, wenn der andere Mann nur die Hälfte von dem ernst meinen würde, was er sagte. Doch dem war nicht so - mit hoher Wahrscheinlichkeit, dafür hatte er Schwarz zu genau beobachtet - im Privaten wie im Beruflichen. Aber dass es spannend wurde, wenn die Polizei mit hinzukam, das konnte Finn sich vorstellen. Aber wohl eher für die Polizei als für Schwarz selbst. Wozu hatten sie schließlich einen Telepathen? Gut, vielleicht mochte der Mann etwas angeschlagen sein nach dem, was in Hongkong passiert war, aber seine Stärke büßte er dadurch nicht ein, höchstens seine Fähigkeiten. Finn fragte sich, ob die Drogen immer noch wirkten, die Mastermind verabreicht worden waren. „Das klingt nach einem gut bezahlten, aber langweiligen Job“, lächelte Finn und nahm etwas Wein zu sich. „Warum haben Sie sich ausgerechnet den ausgesucht und nicht etwa...“, er überlegte. „...Modell oder ein Fernsehstar?“, meinte er nicht ganz ernst. Denn schlecht sah der Mann hier vor ihm bei weitem nicht aus. Das war das Problem. „Das schmeichelt natürlich ungemein, Kimura-san, allerdings stehe ich nicht gerne im Mittelpunkt. Ich pflege lieber hinter den Kulissen zu arbeiten. Wenn im Showbiz, dann doch eher als Kabelträger oder als Platzanweiser“, hob Brad vielsagend eine Braue und die Andeutung eines Lächelns kappte den Ernst dieser Jobvarianten. Platzanweiser mit Knarre und tödlichem Ernst. Finn lehnte sich zurück, als ihre leeren Vorspeisenteller abgeräumt wurden und nippte an seinem Wein. Noch ein Glas durfte er nicht davon trinken, das würde ihm nicht bekommen. „Dann wären Kinder wirklich nichts für Sie, nicht wahr? Denn dort stehen Sie auch immer im Mittelpunkt, wenn sie einmal Vertrauen zu Ihnen gefasst haben.“ „Wobei das zwei verschiedene Dinge sind, die man miteinander nicht - oder sagen wir, die ich miteinander nicht vergleichen möchte. Im Showbusiness wären mir die Menschen, die mir zusehen, völlig egal. Mir liegt nicht viel daran, was andere von mir denken, Kimura-san. Allerdings wäre das bei meinen Kindern anders. Sonst hätte ich mir wohl keine Kinder zugelegt. Aber das ist alles rein hypothetisch, schließlich sind bei meinem momentanen Job Kinder ohnehin nicht geplant.“ Wie kam der junge Bursche nur ständig auf das Thema Kinder? Brad lachte innerlich über seine Paranoia, der auch ein wenig seine Unsicherheit geschuldet war. Ohne seine Fähigkeiten war er nur halb er selbst. Als fehlten ihm seine Augen. „Außerdem sagen Sie es schon richtig. Sie können Ihre beiden Kleinen wieder abgeben, aber eigene Kinder fordern einen 24 Stunden am Tag. Da sollte man sich schon gut überlegen, was man sich da antut.“ Brad nickte gewichtig, in seinen Augen jedoch blitzte es amüsiert. „Antut! Sie sagen es, ganz meine Rede! Lieb sind sie, die kleinen Racker. Aber wehe, man hat sie mehr als ein paar Stunden am Tag unter den Fittichen.“ Oder bei ihm, wenn plötzlich ein Amerikaner auftauchte. Dann konnte sehr schnell sehr viel schief gehen. „Sagen Sie, was haben Sie für Hobbys?“, fragte Finn mit abrupten Schwung im Themenwechsel. Er hatte genug über das Thema Kinder erfahren. „Keine, deshalb würde mich interessieren, wie sie es damit halten? Ihr Job hört sich stressig an, da gibt es doch bestimmt das eine oder andere, dass sie tun, um einen Ausgleich dazu zu finden…?“, stellte Brad in den Raum und lehnte sich entspannt zurück. Langweiler!, schrie es in Finn, doch das glaubte er nicht. Ein Mann wie Crawford musste Hobbys haben, und wenn es nur war, dass er seine Beretta pflegte und hegte oder dass er jeden Morgen die Zeitung las - wenngleich sich da bei einem Orakel vermutlich erübrigte. „Ich treibe ein Bisschen Kampfsport nebenher - Kyudo, Judo, eigentlich nicht viel und nur, wenn ich dafür Zeit habe.“ Also jeden Tag, exakt sieben Uhr zwei Stunden lang, um sich in Form zu halten. Nahkampf war schließlich seine Stärke. Es sei denn, er traf sich wie heute mit dem Feind. „Ansonsten entspanne ich mich eigentlich gerne vor dem Fernseher, ganz in Ruhe für mich alleine.“ Der letzte Satz… Den ließ sich Crawford extra langsam durch den Kopf gehen. Seine Rechte fand das Weinglas und er nahm einen Schluck, den Blick immer auf die dunklen Augen gerichtet, die so harmlos verführerisch auf ihn wirkten. „So“, resümierte er leise mit einem eindeutig – zumindest für die, die ihn kannten – hintergründigen Lächeln auf den Lippen. Nur ein kleiner Zug um die Mundwinkel, der alles beherrschend, alles sagend war und doch nichts preisgab. „…ganz alleine machen sie das. Nun…ab und an muss man sich auch alleine etwas Gutes tun, nicht?“, fragte er wie nebenbei und stellte das Weinglas ab, da der Kellner mit dem Hauptgang nahte. ...aber zu zweit konnte man noch viel mehr tun. Genau DAS und nichts anderes schwebte hier zwischen ihnen und Finns leicht geweitete Augen verrieten seine Schlussfolgerungen, ebenso wie seine leicht getönten Wangen, wobei man diese Schatten auch dem Alkohol hätte zuschreiben können. Dieses Lächeln... DIESES LÄCHELN... Finn fühlte sich vom Raubtier eingekreist, das ihn nun gleich verspei... vernaschen würde. JA, vernaschen. Wenn da nicht Lust und Gier durchschimmerte, dann wusste er es auch nicht. Und was jetzt?, fragte er seine innere Rationalität, die eigentlich nur mit den Schultern zuckte. Und? Hast du etwas dagegen? Jetzt bist du du selbst und nicht Sophie. Jetzt kannst du ihn ficken, schon mal darüber nachgedacht? Finn griff unwirsch zu seinem Weinglas und stürzte noch einen Schluck hinunter, „Sie sind ein Schelm! Das weiß ich genau!“, behauptete Finn und nickte gewichtig. Lachend schüttelte der Amerikaner den Kopf leicht und der Kellner servierte ihnen den Hauptgang. Brad war tatsächlich ehrlich amüsiert. Herzerfrischend offen und einfach nur köstlich anzuschauen, diese geröteten Wangen. Da hatte er scheinbar ins Schwarze getroffen. „Sie scheinen durstig zu sein Kimura-san. Vielleicht noch ein Glas Wein? Oder möchten Sie lieber etwas anderes?“ „Wasser!“, platzte es aus Finn heraus. Er würde den Teufel tun und noch ein Glas trinken, da konnte er sich besser gleich ausziehen und schmutzige Lieder singen, während er auf dem Tisch tanzte. Und wer wusste es schon, was er hier ausplauderte, wenn er von diesem Wein lahmgelegt war, und was Crawford damit bezweckte, ihn abzufüllen. „Sie lachen doch nicht über mich, oder, Bradford-san?" Diese Entrüstung brachte Crawford dazu, wieder zum Ernst des Lebens zurückzufinden und sein Amüsement auf ein minimales Lächeln in seinen Augen zu reduzieren. „Nein, Kimura-san. Das würde ich nicht wagen. Ich lache über ihre sichere Annahme, ich wäre ein Schelm.“ Er bestellte noch eine Flasche Wasser für sie beide. „Ich hoffe ihr Steak schmeckt Ihnen!“, wünschte er dem anderen noch einen Guten Appetit bevor er sich über seine Nudeln hermachte. „Es schmeckt sehr vorzüglich! Und Ihr Gericht? Sind Sie zufrieden?" Und ob du ein Schelm bist, meckerte Finn innerlich. Wenn auch ein böser, kalter, ruchloser... „Ja Inoubu-san hat den Dreh heraus, was die italienische Küche anbetrifft. Und Ihr Steak? Ist das ihr Lieblingsgericht? Arme, süße kleine Kängurus verspeisen?“, Brad lachte leise über sein vertrauliches Sticheln. Warum dies so war, dass er das Bedürfnis hatte, die braunen Augen zum Glimmen zu bringen, das ahnte er, aber momentan konnte er nur sagen, dass es ihm Spaß machte und dass es Schuldig verdrängte. Wann hatte er sich das letzte Mal so gut amüsiert? Wann das letzte Mal so oft gelacht? Die letzten Jahre nicht. Wäre da nicht der Sarkasmus gewesen, der leicht durch diese doch sehr irritierenden Worte klang, hätte Finn den anderen Mann wirklich für voll genommen. Jetzt lachte er nur und nahm sich zur Belohnung gleich nochmal ein Stück Känguru. „Vermutlich ist an mir ein halber Australier verloren gegangen und ich esse es deswegen so gerne!“, spaßte er, auch wenn an diesem Spaß etwas Ernstes dran war. Er war nicht reinen Blutes wie ihm die Familie gerne vor Augen hielt. Ein Mischling. „Sie kennen den Koch persönlich?" „Ich hatte kurz das Vergnügen.“ Irgendetwas in dem Gesicht des anderen zog Brad an, vielleicht waren es die Augen, die nicht nur japanisches Blut erkennen ließen, oder der sanft geschwungene Mund, der sich in Verbindung mit einem frechen Blick zu einem unternehmungslustigen, aber nichts versprechenden Lächeln verziehen konnte. „Sagen Sie, Kimura-san, leben Sie schon immer in Tokyo? Sind Sie hier aufgewachsen?“ Finn überlegte. Die Wahrheit oder eine galante Lüge, die nicht noch mehr entblößte als ihn selbst, wie er hier vor Crawford saß, ohne Verkleidung, nur er selbst. Er war nicht sehr gern er selbst. In Crawfords Nähe schien dieses Selbst zu einem furchtbar nervösen Bündel zu verkommen. „Schon immer, ja. Ich wurde hier geboren, habe aber eine ausländische Mutter.“ Dass er viele Jahre seines Lebens in Amerika verbracht hatte, erwähnte er nicht. Viel lieber beobachtete er sich jedwede Regung auf diesem ebenmäßigen Gesicht, auf den kleinen Lachfalten, die sich um die Augen kräuselten, wenn Crawford lachte. Diese Lippen, die gut küssen konnten. ‚Was würde passieren, wenn ich dich jetzt einfach über den Tisch ziehe und wir hier miteinander schlafen?’, fragte er Crawford in Gedanken und lächelte. Wie gut, dass der Amerikaner kein Gedankenleser war. Wie gut, dass selbst Mastermind im Normalzustand seine Gedanken nicht lesen konnte. Brad betrachtete sich für einen Moment das Gesicht vor sich. Diese gelassene, in sich ruhende Äußerlichkeit, während die Augen eine andere Sprache sprachen. Sie leuchteten geradezu und Brad war sich nicht sicher, ob es der Wein war, der dieses Leuchten in die braunen Augen gezaubert hatte. Er begegnete diesem Blick und wusste, dass es nicht nur bloßes Interesse an ihm war. Es war noch etwas anderes, was dieses Glimmen hervorbrachte. Bei dunklen Augen verkam ein Leuchten stets zu einem Glimmen. „Haben Sie etwas gefunden, das Ihnen gefällt?“, fragte Finn und lachte vergnügt, konnte die Lust auf Crawford nicht ganz aus seiner Stimme tilgen, wenngleich sie nur ein schwaches Nachglimmen der ursprünglichen Empfindung war. Ich will dich, schrie es in ihm. Ich will das, was Sophie nicht haben durfte! Wieso kam es, dass dieses Gefühl von Minute zu Minute stärker wurde? Fortsetzung folgt… Vielen Dank für’s Lesen. Bis zum nächsten Mal! Mein Beta-Dank geht an ‚snabel’! ^____ Coco & Gadreel (Dieser und die zwei folgenden Teile wurden von Coco und mir vor ein paar Jahren verfasst. Sie mussten bis zu diesem Zeitpunkt warten.^^) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)