Neue Wege? von Anuri ================================================================================ Kapitel 1: Endloses Warten -------------------------- Ich musste mich setzten. Meine Beine fühlten sich an wie Pudding. Langsam schloss ich die Augen, doch das Bild verfolgte mich. Immer wieder sah ich die Trage an mir vorbei fahren. Ich wollte nicht daran denken. Ich wollte nicht daran denken was passieren könnte. Was es für mich bedeutete. All diese Gefühle, die ihn mir aufstiegen, überforderten mich. Ich wollte sie nicht! Ich bin damals doch vor ihnen geflohen. Warum war ich jetzt hier? Warum wartete ich hier auf eine gute Nachricht? Warum ging ich nicht nach Hause? Mein Kopf dröhnte. Was sollte ich nur tun? Ich ging auf das Telefon zu. Meine Finger bewegten sich wie von selbst. Bitte lass einen von ihnen da sein! Ich konnte die Schwestern reden hören. "Es gibt scheinbar niemanden, der sich für ihn interessiert!" Irgendwie war mir klar, dass sie über ihn reden. Ich wusste es. Aber warum hatte er niemanden mehr? Was war passiert, als ich weg war? Hatte sich wirklich so viel geändert? "Soma-san! Kennen sie den Patienten, der eben eingeliefert wurden ist?", fragte die Schwester von der Rezeption. Ich nickte nur. Muss ich mich um ihn kümmern? Ich glaube kaum, dass ich dazu in der Lage bin. Meine Hände zitterten. Verzweifelt versuchte ich mich auf das Telefon zu konzentrieren. Ich hörte das Feizeichen. Einer von ihnen musste doch zu Hause sein. "Hikari am Apparat!" Erleichtert atmete ich auf. "Hikari! Wie geht's dir?", fragte ich mit zitternder Stimme. Eine Stimme im meinem Kopf wiederholte immer wieder den gleichen Satz: Er wird sterben! "Yuki-chan? Alles in Ordnung? Geht's dir gut?", kam es besorgt von ihr. Ich wollte antworten aber ich brachte keinen Ton raus. Dann fing Hikari an zu reden: "Mir geht's gut! Ich war gestern beim Friseur. Du solltest mal meine neue Frisur sehen. Sie sieht klasse aus. Außerdem sind meine Haare jetzt Lila. Sota war nicht ganz so begeistert wie ich. Seine Band hat heute einen Auftritt! Er ist deswegen ziemlich durch den Wind...Ich hab auch schon meinen Urlaub beantragt! Dann kommen wir dich besuchen. Wir freuen uns schon dich zu sehen...Yuki-chan?" "Ich...er ...darf nicht sterben!" "Wer? Was ist überhaupt passiert?" "Er hatte wohl einen Unfall oder so! Er ist gerade im OP. Scheinbar will sich niemand von der Familie um ihn kümmern...Was soll ich tun?" "Yuki, könntest du mir sagen von wem du redest?" Ich wollte es ihr sagen, aber es kam mir nicht über die Lippen. Es war als würde es erst real werden, wenn ich es ausspreche. So viel war damals zwischen ihm und mir vorgefallen. Ich wollte nicht, dass ihm etwas passiert. "Yuki-chan? Du solltest auf dein Herz hören! Es wird dir sagen, was du tun sollst. Alles wird gut! Wir sind für dich da!" "...Danke...Ich...bin so durcheinander. Er sah so..." Eine einzelne Träne lief über meine Wange. Es war zu viel. "Es wird alles wieder gut!" Ich wollte ihr so gerne glauben aber es ging nicht. Sie hatte ihn nicht gesehen. Doch sie wiederholten den Satz immer wieder. Es war fast so als ob sie hier wäre. Aber sie war nicht hier. Ich wünschte mir nie zurückgekommen zu sein und gleichzeitig wollte ich ihn nicht alleine lassen. Niemand hatte es verdient allein zu sein. Alte Erinnerungen kamen widerhoch. Wie wir gemeinsam gelacht hatten und uns gestritten. Ich sah ihn genau vor mir. Obwohl sein Gesicht vorhin so vertraut gewesen ist, so war es auch so fremd. Wie er heute wohl so war? Ich hatte mich nie gefragt was aus den anderen geworden ist. Doch jetzt schien die Frage an Bedeutung zu gewinnen. Nervös begann ich auf und ab zu tigern. Ich konnte nicht mehr sitzen. Warum war es so wichtig? Ich wusste einfach keine Antwort. Immer wieder zogen Erinnerungsfetzen an mir vorbei. Damals als sie noch da war. Als Toru noch bei uns gewohnt hatte, war das Haus irgendwie fröhlicher gewesen. Wir konnten lachen und traurig sein. Doch nachdem Hatori ihr Gedächtnis gelöscht hatte, hatte sich alles verändert. Das Haus war kalt geworden. Die Wärme war mit ihr verschwunden. Es war als ob sie nie existiert hatte. Ihre Existenz sollten wir so gut es ging vergessen. Hatori hatte angeboten auch uns vergessen zu lassen. Ich weiß nicht warum die anderen es nicht wollten. Doch die Erinnerungen an ihr Lächeln war mein größter Schatz. Alle schönen Erinnerungen hingen mit ihr zusammen. Ob er sie auch so vermisst hatte wie ich? Manchmal frage ich mich wovor ich eigentlich geflohen bin. Langsam ließ ich mich wieder nieder. Mein Blick fiel zu Uhr. Er musste doch schon ewig im OP sein. Doch die Zeit schien zu kriechen. Der Zeiger wollte sich einfach nicht weiterbewegen. Ich konnte nur hier rumsitzen und warten. Es machte mich fertig nichts tun zu können. Ich fing an mit einem Stift zu spielen. Wieso dauerte das so lange? Er darf einfach nicht sterben. Er darf nicht! Ich weiß nicht was mit mir los ist. Ich bin so durcheinander. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen. Der Stift glitt mir aus der Hand. Das Geräusch des Aufpralls kam mir unnatürlich laut vor. Ich musste irgendwas tun. Meine Hände zitterten. Das Krankenhaus schien plötzlich so leise. Niemand war hier. Ich sprang auf und begann wieder den Gang hoch und runter zu laufen. Irgendwann müssen die doch fertig werden oder waren Komplikationen aufgetreten? In Gedanken ging ich alle möglichen Situationen durch. Das beruhigte mich nicht wirklich, sondern machte mich nur noch nervöser. Viele Stunden saß ich hier schon? Langsam müsste jemand kommen. Eine Schwester kam und redete auf mich ein, aber ich bekam nicht mit was sie sagte. Ich sah sie einfach nur an. Kaum war sie gegangen erinnerte ich mich nicht einmal mehr an ihr Gesicht. Ihre Worte waren einfach an mir vorbei gegangen. Nervös begann ich wieder herumzulaufen. Irgendwie stieg in mir ein seltsames Gefühl auf. Etwas stimmte nicht. Ich fühlte mich beobachtet und unwohl. Meine Handflächen waren feucht und das Zittern hörte nicht auf. Dann lief sie an mir vorbei. Was machte Toru im Krankenhaus? Sie blieb kurz vor mir stehen und schaute mich an. Sie schaute mir in die Augen. Ich hatte das Gefühl, dass sie mir in die Seele schaute. Für einen kurzen Moment glaubte ich, dass sie mich erkannte. Doch sie lächelte mich mitfühlend an und ging. Sie blieb noch mal stehen und drehte sich zu mir um. "Es wird bestimmt alles gut. Sie dürfen nur nicht die Hoffnung aufgeben.", sagte sie und verschwand nach draußen. Wieder stiegen längst verdrängte Gefühle wieder auf. Ich beruhigte mich ein bisschen und setzte mich. Die Hoffnung nicht aufgeben? Hatte er damals die Hoffnung aufgegeben? War er deswegen geflohen? Vielleicht war auch die Hoffnung auf ein Leben mit Toru verschwunden. Toru... Ich war noch nicht lange hier und schon hielt mich meine Vergangenheit in einem Klammergriff gefangen und ich könnte mich einfach nicht daraus befreien. Es war als ob ich nie weg gewesen bin. Diese Gefühle hatte ich schon ganz vergessen gehabt. Ich wollte nicht zurück in mein altes Leben. Warum war ich nur zurückgekommen. Andererseits quälte mich der Gedanke, dass mein Verschwinden schuld an dem war, was ihm passiert ist. Eigentlich ist es mehr als dumm sich für so etwas die Schuld zu geben. Aber irgendwo tief in mir wusste ich, dass es so war. Wahrscheinlich würde er mich gar nicht sehen wollen. Aber ich konnte nicht nach Hause gehen. Etwas hielt mich hier fest. Ich könnte nicht erklären was es war. Es war nicht unbedingt die Angst um ihn, die ich aber definitiv hatte. Diese ganze Situation überforderte mich. Ich fühlte mich so hilflos. Die ganzen Ängste, die Toru für einen Moment verschwinden lassen hat, kamen wieder. Alles in mir schrie nach Hilfe, nach ihrer Hilfe. Aber ich musste alleine damit klarkommen. Es war niemand in der Nähe, der mir helfen konnte. Ich fühlte mich allein. Ich konnte nicht mehr. Langsam musste die Operation doch zu ende sein. Schließlich kam die Schwester erneut. Vielleicht war es aber auch eine andere. Ich hatte keine Ahnung. Wider gingen ihre Worte an mir vorüber. Ich hörte deinen Namen. Langsam begannen auch die anderen Worte zu mir durch zu bringen. Aber ich brauchte eine Weile um zu begreifen, was sie bedeuteten. Ich saß hier und wartete immer noch auf den Ausgang der Operation. Die Schwester hatte mir erzählt, dass sie Shigure Soma angerufen hatte. Aber er hatte kein Interesse und hatte sofort wieder aufgelegt. Auch im Haupthaus hatte man sofort aufgelegt, als der Name erwähnt wurde. Es muss wirklich eine Menge vorgefallen sein. Dann endlich kam der Arzt. Er erzählte wie die Operation verlaufen war. Doch ich hörte ihm nicht wirklich zu. Ich wollte zu ihm, wollte sehen, dass es ihm gut geht. Der Arzt schien endlos zu reden. Ich hörte zwar die Worte, doch den Sinn erfasste ich nicht. Es war mir auch egal. Ich wollte ihn sehen. Jetzt! Ich hatte schon solange warten müssen. "Sie können jetzt zu ihm. Die Chancen das er durchkommt stehen gut!" Ich nickte geistesabwesend und folgte den Arzt auf das Zimmer. Innerlich versuchte ich mich für das was mich erwartete zuwappnen. Doch es gelang mir nicht. Der Anblick war grausam. Irgendetwas veränderte sich in mir. Es war gar nichts. Ich fühlte mich einfach vollkommen leer als ich ihn sah. Die ganzen Gefühle waren verschwunden und hinterließen eine riesen Leere. Er lag da auf dem Bett und wirkte irgendwie zerbrechlich. Sein rechtes Auge war stark angeschwollen. Sein ganzes Gesicht war mit blauen Flecken und Schrammen übersäht. Seine Lippen waren aufgeplatzt. So hatte ich ihn noch nie gesehen. Langsam ging ich näher ans Bett, zog einen Stuhl ans Bett und setzte mich. Tiefe Schnittwunden waren an den Armen zu erkennen, die älteren Datums waren. Was hatte man ihm nur angetan? Er wirkte so verloren und schwach. Das passte gar nicht zu ihm. Der Arzt war hinter mich getreten und begann zu sprechen: "Er wird wieder gesund...zumindest körperlich. Er war schon öfter hier, aber so schlimm wie heute war es noch nie. Er braucht jemanden, der ihm hilft...werden sie ihm helfen?" "Wenn er meine Hilfe annimmt..." "Sie müssen ihn vor sich selbst beschützen..." Mein Herz zog sich Schmerzhaft zusammen als ich hörte was er sagte. "Das...sie glauben er hätte sich die Wunden selbst zugefügt hat?" "Diesmal wohl nicht, aber die Male davor...wahrscheinlich." "Das...würde er nie tun! Niemals!", meine Stimme zitterte. Er war doch immer stark gewesen. Aber vielleicht hatte der Arzt Recht. Ich schüttelte den Kopf. Nein. Niemals. "Ich verstehe sie ja, aber..." Ich unterbrach ihn: "Wenn sie sich so sicher sind...warum helfen sie ihm nicht?" Der Arzt schaute mich traurig an und verabschiedete sich. Ich konnte es einfach nicht glauben, was er gesagt hatte. Das würdest du nie tun, da bin ich mir sicher. Die Worte des Arztes hatten wehgetan. Wenn er sich das wirklich selbst angetan hatte, war ich dann schuld an diesen Zustand? Wäre es nicht geschehen, wenn ich geblieben wäre? Hätte ich dich davor bewahren können? Hätte es mich damals überhaupt interessiert? Hätte ich es überhaupt mitbekommen? Hätte ich es verhindern können? Immer wieder stellte ich mir diese Fragen, dabei wusste ich doch nicht mal, was überhaupt passiert war. Langsam trat ich noch näher ans Bett und betrachtete ihn. Er sah so hilflos aus. Konnte ich ihm überhaupt helfen? Ich zog einen Stuhl ans Bett und setzte mich. Ganz leise flüsterte ich: "Kyo" Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)