die Ärzte - das Parfum von abgemeldet (deep throat) ================================================================================ ichi ---- Nur Menschen die etwas zu verbergen haben, etwas von sich nicht preisgeben wollen, benutzen Parfums. Das dachte Bela oft, wenn ihm eine Dunstwolke billigen Duftwässerchens entgegen kam. Die meisten Menschen wussten offenbar nicht, dass der viel zu großzügig aufgetragene Geruch von Veilchen oder Zitronen geradezu widerlich abstoßend wirkt. Über solche Leute hatte er sich schon oft genug lustig gemacht. Umso überraschter war er als Farin eines Tages von eben solch einer Duftglocke umgeben den Proberaum betrat. Die nächste Tour stand praktisch vor der Tür. Die Sonne schien. Alles war bis dato in bester Ordnung gewesen. Prüfend blickte Bela, der ausnahmsweise früher zu den Proben erscheinen war, Farin an. Dieser war leicht federnden Schrittes zu seinem Gitarren-Verstärker gegangen und hatte ein freundliches "Hi." in die Runde geworfen. Rod hatte sich daraufhin von seiner auf-der-Couch-rumlunger-Stellung erhoben und sich seinen Bass geschnappt. Soweit alles normal. Nur dieser penetrante süßliche Geruch, der irgendwas Undefinierbares zwischen Blumenwiese und Zuckerwasser darstellte, war total fehl am Platz. Bela drehte seinen Kopf fragenden Blickes zu Rod, der bereits Farins Begrüßung erwidert hatte. Die Blicke des Schlagzeugers und des Bassisten kreuzten sich. Rod hob die Augenbrauen, schnitt eine Grimasse, rümpfte seine Nasen und deutete stumm auf Farin, welcher nichts davon mitzukriegen schien. Binnen von Sekunden brach Bela in laut schallendes Gelächter aus, Rod stimmte kurz darauf mit ein. Farin stand etwas perplex da und sah zu wie seine beiden Bandmitglieder scheinbar grundlos einem Lachanfall erlagen. "Ääääh, Leute??? Hallo, kann mir mal einer den Witz erklären?! Ich glaub ich hab da gerade nicht so ganz mitgeschnitten...", meinte der große Blonde etwas irritiert, als nach ungefähr zehn Minuten anhaltenden Lachens immer noch keiner der Beiden Anstalten machte sich zu erholen. Dabei waren es doch sonst immer er und Bela, die sich ohne Worte verstanden und auf Kosten des Bassisten lustig machten. Eben dieser schien allerdings langsam Mitleid mit ihm zu haben und holte tief Luft um ein paar erklärende Worte beizusteuern: "Du... riechst wie eine... ausgebombte Seifenfabrik...", stieß Rod zwischen immer wieder aufkeimendem Gekicher hervor. Daraufhin prustete Bela, der bis dahin versucht hatte sich wieder einigermaßen zu beruhigen, mit Tränen in den Augen wieder los. Der Gitarrist bedachte das Ganze nur mit einem überlegenen Grinsen Marke: mindestens-58-strahlendweiße-Farin-Urlaub-Zähne-geeignet-für-Zahnpasta-Werbung™. Der weitere Verlauf der Proben war gespickt mit zahlreichen verbalen Seitenhieben auf den Blonden bezüglich seines "Mädchenparfums", welcher diese aber unkommentiert wegsteckte. Insgesamt herrschte eine angenehm produktive Stimmung. Als Bela sich nach diesem amüsanten Nachmittag in seiner Wohnung auf die Couch setzte, grübelte er noch ein Weilchen über die Tatsache, wie Farin ihn nach all dieser Zeit doch noch verblüffen konnte. Obwohl sie sich schon seit Ewigkeiten kannten gab es immer wieder Seiten an ihm, die er noch nie gesehen hatte. Okay, vielleicht waren es nicht immer so obskure Sachen wie das Benutzen von Duftwässerchen, aber die ein oder andere Kleinigkeit viel ihm erst nach und nach auf oder hatte sich sein bester Freund einfach nur ständig verändert? Irgendwie war Bela unwohl bei dem Gedanken, Farin gar nicht so richtig zu kennen oder zumindest selbst nicht so vielschichtig zu sein wie er. Immerhin hatten sie schon tausende von Kilometer im Tourbus miteinander verbracht, stundenlang zusammen in Tonstudios rumgehockt und sogar eine Zeit lang in derselben Wohnung gelebt. Ihn beschlich das Gefühl, dass der große Blonde ihn in- und auswendig kannte, er selbst aber den Durchblick verloren hatte. Und überhaupt, was sollte das alles? Ständig in den Urlaub fahren um dann als Vegetarier oder sonst was wiederzukommen... Unfähig, sich weiter über das so gar nicht "rock'n'roll"-mäßige Leben seines Freundes den Kopf zu zerbrechen, schlief Bela ein. Während seine Bandmitglieder sich den halben Tag über ihn lustig gemacht hatten, war Farin insgeheim schon dabei seinen neuen ultimativen Plan in die Tat umzusetzen. Sein Auftritt bei den Proben ist natürlich nur ein Experiment gewesen. Es galt zu prüfen, ob die Nasen der beiden anderen Herrschaften überhaupt noch funktionstüchtig waren oder ob diese durch den Genuss von Rauschmitteln zu sehr abgestumpft wurden. Schelmisch in sich hineingrinsend durchstöberte Farin nun seinen alten Reisekoffer auf der Suche nach einem kleinen Fläschchen ominösen Inhalts, welches er bei seinem letzten Besuch in Japan erworben hatte. Sein Grinsen wurde immer breiter als er mit einem triumphierenden "Ha!" das gesuchte Gefäß, auf dem in verschnörkelter Schrift die Worte "deep throat" eingraviert waren, herauszog. Schnell verstaute er es in seiner extra für die Ärzte-Touren vorgesehene Reisetasche, damit er es nachher beim Packen auch ja nicht vergessen würde. Der Blonde freute sich schon diebisch auf den ersten Einsatz der von ihm erworbenen Rarität. Beruhigt und in höchstem Maße zufrieden mit sich selbst genehmigte sich Farin noch eine heiße Dusche bevor er zu Bett ging. Mit eher nassen als trockenen Haaren kuschelte er sich in sein orange geblümtes Kissen und warf noch einen vorfreudegefüllten Blick auf den Terminkalender auf seinem Nachttisch. Am nächsten Tag waren die letzten Proben angesetzt, übermorgen hatten sie einen Tag frei um ihre sieben Sachen zusammenzupacken. Das darauf folgende Datum war mit einem roten Filzstift umkringelt und als "Begin der Tour" gekennzeichnet. Mit einem erwartungsvollen Seufzer knipste der Gitarrist seine Nachttischlampe aus und entschlummerte friedlich. * Es war soweit. Pünktlich um 9.00Uhr früh stand Rod mit seinem Gepäck am vereinbarten Treffpunkt vor dem abreisefertigen Tourbus. Farin lehnte sich aus einem der hinteren Fenster und Begrüßte den Bassisten lautstark. Typisch Jan, der alte Frühaufsteher, dachte sich Rod mit einem schiefen Grinsen in Richtung seines Lieblingsgitarristen. Nachdem er seine Sachen einem Roadie anvertraut hatte rauchte der Chilene noch in aller Ruhe gemütlich eine Zigarette. Er wusste, dass sie noch mindestens ein kleines Weilchen auf ihren Schlagzeuger warten mussten. Schließlich erschein auch dieser etwas außer Atem mit einem entschuldigenden Lächeln auf den Lippen und einer total niedlich verstrubbelten Frisur am Treffpunkt. "Sorry, ich hab vergessen meinen Wecker zu stellen...", meinte Bela mit einem zuckersüßen seid-bitte-bitte-nicht-böse-auf-mich Augenaufschlag. Die meisten Leute der Crew waren an seine Unpünktlichkeit gewöhnt und ließen ihm das Ganze ohne weitere Kommentare durchgehen. Jene, die bereits genervt von einem Bein aufs Andere gehüpft sind, konnten ihm bei diesem Lämmchen-Blick die zusätzliche Wartezeit dann doch nicht übel nehmen und murrten nur unverständlich vor sich hin. Rod nickte Bela zur Begrüßung aufmunternd zu, schnippte seinen Zigarettenstummel weg und stieg schließlich dicht gefolgt von dem Zuspätkommer in den Tourbus. Farin hatte sich, mit einem Buch in der Hand, bereits auf der hintersten Bank breit gemacht. Er blickte kurz auf als die Anderen sich zu ihm gesellten. Mit einem übertrieben theatralischen Blick auf die Armbanduhr legte er sein Buch zur Seite und klopfte Bela auf die Schultern. "Hey Felse, hast mal wieder verschlafen?", meinte der Gitarrist wohlwollend, einen gekünstelt entrüsteten Gesichtsausdruck tragend. "Also eigentlich kann ich ja gar nichts dafür! Meine Katze hat vorgestern den Wecker gefressen, der zufällig unter ihr Gulasch gemischt war... Keine Ahnung wie der dahin kam!", rief Bela daraufhin mit ebenso gekünstelter Empörung. Seine beiden Bandmitglieder schauten sich wortlos an. Mittlerweile war der Bus unbemerkt losgefahren. "Ja und da hattest du gestern natürlich keine Zeit dir einen ordentlichen Wecker zu kaufen?", erwiderte Rod, wobei er die Augen verdrehte und sich ein Lachen verkneifen musste. "Na... gestern, da landeten grüne Marsmännchen auf meinem Balkon! Sie entführten mein Portemonnaie und veranstalteten fragwürdige Experimente damit!" - "Sexuelle Experimente?", warf Farin ein, er bemühte sich dabei todernst zu bleiben, was ihm aber nicht sonderlich gelang. "Ja genau! Woher weißt du das?", fragte der kleine Schlagzeuger, während er den Gitarristen misstrauisch ansah, als könnte der etwas dafür, dass seine Brieftasche von Außerirdischen missbraucht wurde. Nur mit Mühe unterdrückte Farin das Grinsen, welches sich auf sein Gesicht geschlichen hatte. Rod ging jeglichem Blickkontakt aus dem Weg um nicht der erste zu sein der losprustete. "Jedenfalls... als ich es dann wieder zurückerobert hatte, da löschten die Aliens aus Rache mein Gedächtnis... also was meine Katze und den Wecker betraf. So war das. Also kann ich da echt nichts für.", schloss Bela seine Erzählung mit wichtigtuerischer Mine. Die drei schwiegen für ein paar Augenblicke, bevor sie gleichzeitig anfingen zu lachen. Die Tour hatte begonnen. * Beim Soundcheck waren alle bester Laune. Das Konzert war ausverkauft, der Ausblick auf eine schon bald bis zum Platzen gefüllte Halle animierte zu einer reibungslosen Vorbereitung. Rod bemerkte allerdings, dass Farin etwas aufgeregter war als sonst, doch er dachte sich nichts weiter dabei. Nach und nach rückte der Auftritt näher, die Ärzte zogen sich in ihre Garderobe zurück, damit der Einlass der Fans beginnen konnte. Nun hieß es warten. Der große Blonde verkrümelte sich heimlich. Erst kurz bevor die Show anfing, als sowohl Bela als auch Rod bereits in den Startlöchern standen, erschien der Gitarrist wieder. Auf die Frage, wo er denn die ganze Zeit gesteckt hätte, antwortete er nur mit einem mysteriösen Grinsen und machte sich in Richtung Bühne auf. Bela, ziemlich irritiert von diesem Getue, wollte sich nicht so leicht abschütteln lassen. Er folgte Farin, doch der hatte schon einen kleinen Vorsprung, also musste der Schlagzeuger genervt seine Schritte beschleunigen. Womit er nicht rechnete war, dass der Blonde kurz vor der Bühne abrupt anhielt und sich blitzschnell umdrehte. Bela stolperte überrascht, wäre beinah hingefallen, konnte sich jedoch im letzten Moment noch fangen indem der sich am T-Shirt des Anderen festhielt. Er stand jetzt nur wenige Zentimeter von Farin entfernt und schaute zu ihm hoch. Bela holte tief Luft, doch verunsichert von seiner Ungeschicktheit fehlten dem Kleinen die Worte für die Fragen, die er eben unbedingt noch loswerden wollte. Was ihn noch mehr aus der Fassung brachte war der amüsierte Blick seines Gegenübers. Aus irgendeinem Grund konnte er seine Augen aber nicht mehr von diesem abwenden. Die Schreie der Fans aus der Halle nahm der Schlagzeuger immer weniger war. Die Sekunden schienen sich ins unendliche zu dehnen, zäh tröpfelte der Moment dahin. In Belas Kopf herrschte absolute Lehre, in die sich das Bild seines besten Freundes einbrannte. Nicht nur das Bild an sich, auch das Gefühl so nah an ihm zu stehen, dass er die Wärme des anderen Körpers spüren konnte. So nah, dass er den Herzschlag des Anderen erahnen konnte. Und sein Geruch... süßlich-geheimnisvoll, dezent und doch überwältigend, kaum fassbar, flüchtig leicht zugleich aber auch betörend... hatte er schon immer so verführerisch geduftet? Benommen schloss Bela die Augen, unfähig einen klaren Gedanken zu fassen. Plötzlich spürte er wie eine warme Hand seinen Arm packte und sanft vorwärts zerrte. Erschrocken blickte Bela in das viel zu grelle Licht der Scheinwerfer, Farin hatte ihn mit auf die Bühne gezogen. Wie eine Flutwelle brach das Getöse der Menge über ihn ein. Etwas desorientiert schaute der Schlagzeuger sich nach Rod um, der scheinbar von der anderen Seite her die Bühne betreten hatte. Im nächsten Augenblick hatte der Blonde sich auch schon von Bela gelöst und hängte sich seine Totenkopf-Cyan-Gitarre um. Endlich erwachte der kleine Schwarzhaarige aus seinem tranceartigen Zustand. Er setzte sich das Headmikrofon auf und mit ein paar flotten Schritten war er hinter dem Schlagzeug angelangt. Bela griff nach seinen Sticks, er war bereit sofort loszulegen, diesen seltsamen Moment mit Farin eben versuchte er aus seinem Kopf zu verbannen. Jetzt musste er sich erstmal auf das Konzert konzentrieren. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)