die Ärzte - das Parfum von abgemeldet (deep throat) ================================================================================ Die Tour war noch lang. Das dachte sich Bela auch. Nachdem er sich ein wenig bei Rod ausgeweint hatte, war ihm so zu sagen sonnenklar geworden, dass er auf keinen Fall und schon gar nicht jetzt seine Freundschaft zu dem blonden Halbgott durch miese Laune riskieren wollte. Außerdem formte sich nun so langsam ein genialer, wenn nicht sogar ultimativer Plan in seinem Köpfchen. Er würde Jan verführen. Soweit war er mit seinem Plan schon. Noch nicht wirklich ausgereift, aber immerhin. Wozu war er sonst der absolut anbetungswürdige Schlagzeuger der besten Band der Welt? Wenn tausende von Mädchen alles geben würden, um eine Nacht mit ihm zu verbringen, wie sollte ein einzelner Mann ihm dann widerstehen können? Okay, tausende Mädchen, die alles geben würden, war jetzt vielleicht ein klitzekleines Bisschen übertrieben, aber wenn er Farin so ansah, dann standen seine Chancen gar nicht so schlecht. Hoffte er zumindest. Einen Versuch war es wenigstens wert. Danach konnte er immer noch in Selbstmitleid versinken, wenn es nicht klappte. So kam es, dass sie nach ungefähr einer Stunde bei der ersten kleinen Pinkelpause an einer Raststätte hielten, an der es zufällig auch würzige Curry-Würstchen käuflich zu erwerben gab. Dies deutete Bela als ein positives Omen, da besagte heiße Mahlzeit definitiv zu seinen Lieblingsgerichten gehörte. Erwartungsfroh erhob er sich von seinem Sitzplatz, ließ jedoch dem Gitarristen den Vortritt, hauptsächlich weil der Große näher am Gang saß, allerdings auch um noch einen unauffälligen Blick auf seinen knackigen Hintern zu erhaschen. Dummerweise hatte der Schlagzeuger das Gefühl, als ob Rod seine Hintergedanken nicht entgangen waren, denn dieser schaute ihn kurz darauf mit unergründlichen, schokoladenbraunen Augen durchdringend an. Einen Moment lang fühlte sich der Kleine entlarvt und fürchtete von seinem Freund verachtet zu werden. Diese Besorgnis schob er dann aber schnell von sich, schließlich gehörte der Chilene zu den tolerantesten Personen die er kannte. Möglicherweise würde er mit ihm sogar über sein Vorhaben reden, denn vielleicht kam irgendwann der Zeitpunkt, an dem Bela sich mit dem Bassisten verbünden müsste. Eigentlich konnte er jeden vertrauenswürdigen Komplizen für seinen waghalsigen Plan gebrauchen, es stand immerhin eine freundschaftliche Beziehung zu dem Gitarristen, wenn nicht sogar die Existenz der ganzen Band auf dem Spiel. Den Blickwechsel seiner Kollegen nicht mitbekommend, stieg Farin mit seinem überirdischen 1000-Watt-Grinsen auf den Lippen aus dem Bus und der Himmel erhellte sich auf wundersame Weise. Ob dieser Wetterumschwung allerdings etwas mit den blitzend weiß glänzenden Zähnen des großen Blonden zu tun hatte oder nicht, wird für immer ein Geheimnis bleiben. Während der Schlagzeuger nun Rod schnappte und ihn zu einer leckeren Curry-Wurst einlud, begnügte sich der übrig Gebliebene mit einem vegetarischen Sandwich. Insgeheim hoffte der Gitarrist allerdings, dass sie schon bald an ihrem heutigen Reiseziel ankommen würden, damit Jörg und Ole etwas Ordentliches für ihn kochen konnten. Ein läppisches Toastbrot mit einem lauen Salatblatt und etwas Butterkäse konnte seiner Meinung nach einfach nicht mit dem Essen der Roten Gourmetfraktion mithalten. Er beschloss, so bald wie möglich einen Aufstand wegen mangelnder Pflege seitens des Personals zu proben. Es konnte ja nicht angehen, dass sie sich ihre Pausenverpflegung selbst organisieren mussten. Das Catering konnte mit einem Boykott rechnen. Oder zumindest mit einem lautstarken Protest. Schließlich, nachdem alle ihre mehr oder weniger vollen Blasen entleert hatten, rollte der Tourbus fröhlich und munter weiter. Das Gespräch zwischen den drei Bandmitgliedern drehte sich während der Fahrt um dies und das, hauptsächlich um Wahlwitze, Horrorfilme und die Setlist des Abends. Letzteres wurde zwar immer wieder angesprochen, doch kam es vorerst zu keiner Einigung. Jenes lag vor allem an einem fehlenden Blatt Papier und zugehörigen Stift, mit denen man die Reihenfolge der Songs hätte notieren können. Schlechtgelaunte Zeitgenossen könnten an dieser Stelle behaupten, dass die Beschaffung eines banalen Zettels plus Kugelschreiber in der heutigen Ära der Kommunikationsgesellschaft absolut kein Problem darstellt. Vor allem wenn es um eine Band geht, die bereits einen Vertrag auf Serviettenpapier abgeschlossen hatte, also in diesem Punkt eher nicht zur wählerischen Sorte gehörte. Doch um entsprechendes Schreibmaterial besorgen zu können, hätte sich einer der Drei von seinem Sitzplatz erheben müssen. Aus unerfindlichen Gründen wollte allerdings niemand eben dieses tun. Vielleicht weil es gemeinsam auf der Rückbank so schön gemütlich und kuschelig war. Sicher spielte auch Farins Befürchtung, seinen hart erkämpften Platz in der Mitte seiner Freunde durch kurzzeitiges Verlassen komplett zu verlieren, eine tragende Rolle. Es wäre schließlich nicht das erste Mal, dass sich Bela trotz seiner überschaubaren Körpergröße auf mehrere Sessel oder Sofas oder sonstige Sitzgelegenheiten ausbreitete, nur um entweder Jan oder Rodrigo, manchmal sogar beide, zu ärgern. Zwar war es durchaus recht süß, wenn sich der Schlagzeuger mit scheinheiliger Unschuldsmine so weit wie möglich ausstreckte, um eine ganze Sitzreihe zu okkupieren, aber diesmal würde der Blonde ihm dazu keine Gelegenheit bieten. Er konnte natürlich nicht ahnen, dass Bela alles andere als darauf bedacht war, Farin von der Rückbank zu verbannen. Ganz im Gegenteil. Der Kleine nutzte die Chance sich unauffällig anzulehnen, genoss die Wärme des Anderen und badete in einem seligen Glücksgefühl. Dem zufolge dachte auch er nicht im Traum daran einen blöden Stift oder sonst irgendwas holen zu gehen. Rod hingegen war einerseits zu faul zum aufstehen, andererseits quälte ihn seit einiger Zeit das Bild eines niedlichen Bela-Teufelchens mit Gabel in der Hand, auf welcher er selbst in Form eines Würmchens aufgespießt war. Vor seinem geistigen Auge entfaltete sich ein Höllenszenario in Miniformat und er empfand höchstes Mitgefühl für alle über einem offenen Feuer gegrillten Insekten der Welt. Da also aus verschiedenen Bedenken keinerlei Motivation bestand, die gemütliche und vor allem kuschelige Rückbank zu verlassen um den vorderen Teil des Busses nach Schreibutensilien zu durchforsten, blieb die Reihenfolge der Lieder bis dato ungeklärt. Außerdem gab es interessantere Sachen zu bequatschen als eine schnöde Setlist. Erstaunlich viel trug der sonst doch eher zurückhaltende Bassist zum selbst gewählten Thema: ,Macht es Sinn Regenwürmer zu rösten und wenn ja, bei wie viel Grad?' bei. Dies führte zu einigen mental aufblinken Fragezeichen über den Köpfen von Bela und Farin, dennoch entschlossen sie sich, ebenfalls ihren Senf zu der Sache hinzu zu geben. Im Endeffekt kamen sie zu dem Schluss, dass der Schlagzeuger ein Kochbuch über die vielseitige Zubereitung von jeglichem Insektengekreuch herausbringen wollte, wofür Rod dann allerdings als Vorkoster herhalten müsste, was der Gitarrist wiederum als schlechte Idee bezeichnete. Dabei wies er auf die gemeinsam mit Bela durchlebte WG-Zeit und die Tatsache, dass der Abwasch kurz davor gewesen war, ein demokratisches System zu gründen, hin. Der Kleine aber wies jegliche Verantwortung für das Geschirr von sich, konnte aber nicht bestreiten, dass sich seine Kochkünste doch eher in Grenzen hielten. Trotzdem einigten sich alle Beteiligten auf ein gemeinsames Treffen nach der Tour, bei dem jeder etwas selbst Gemachtes zum Essen mitbringen sollte. Als Bela dann anfing verschiedene DVDs, welche man bei einem solchen Anlass seiner Meinung nach prima gucken könnte, vorzuschlagen, begann ein allgemeines Kopfschütteln seiner Zuhörer. Es fielen unter anderem Filmtitel wie ,Angriff der Killer-Maden'; ,Bandwurmmörder' und ,Blutrünstige Obstfliegen in Texas'... Auf diese harmlose Art ging die Busfahrt recht schnell vorüber und schon bald standen sie vor der Halle, in der sie heute spielen würden. Die Roadies räumten die Instrumente in Windeseile auf die Bühne, während Farin im Backstagebereich einen "Wir haben Hunger!" -Chor anstimmte, in den die anderen Beiden sogleich einfielen. In der Hoffnung, dass ihr Wunsch schon bald erhört würde, setzten sich die drei Herren Musiker um einen kleinen Tisch, welcher ursprünglich zum Schminkkram Ablegen gedacht war, doch der nun von ihnen zum Anti-Null-Service-Protest-Objekt umfunktioniert wurde. Bela schnappte sich dazu ein Paar Essstäbchen, die er dem Blonden beim letzten Sushi-Snack vor drei Tagen entwendet hatte, und trommelte auf einigen herum stehenden Blechbüchsen zum ausufernden, die Cateringleute anklagenden Gesang seiner Bandkollegen. Jenes hatte zur Folge, dass sich mehrere Crewmitglieder bei der Roten Gourmetfraktion wegen des Lärms beschwerten, was wiederum deren Delikatessenproduktion beschleunigte. Schon bald brachte Jörg, mit tatkräftiger Unterstützung von Ole, verschiedene Gerichte auf großen und kleinen Tellern in den Umkleideraum der Band. Dies taten sie auf äußerst geduldige Art und Weise, ohne eine Schnute zu ziehen, obwohl Rod mittlerweile dabei war einen Reim auf ,chronisch überbezahlte Köche' zu suchen. Im Endeffekt bedankten sich dann doch noch alle brav bei ihren Küchenmeistern für das herzhafte Essen und ihre Mühe. Immerhin ist es ziemlich unklug, jemanden zu erzürnen, von dessen Wohlwollen deine Ernährung in der nächsten Zeit abhängig ist. Nachdem sich jeder mit mehr oder weniger vegetarischen Köstlichkeiten von Fischsuppe bis Hühnerfrikassee eingedeckt hatte, blieb ihnen noch reichlich Zeit bis zum Auftritt. Farin nutzte diese, indem er es sich nun satt und zufrieden auf einer Bank ihm Umkleideraum bequem machte, die Augen schloss und wenig später entschlummerte. Bela hingegen blieb am Tisch sitzen um weiter an seinem ultimativ-genialen Plan zu schmieden, wobei er dem Blonden beim Schlafen zuschaute. Rod wiederum beobachtete den Schlagzeuger und den Gitarristen aus den Augenwinkeln. Doch da das Ganze auf die Dauer langweilig wurde, machte er sich schon mal daran, ihr Zeug für den Gig aus dem Tourbus zu holen. Warum kein Roadie bis jetzt auf diese Idee gekommen war, entzog sich seiner Vorstellungskraft, aber so hatte er zumindest etwas zu tun. Um den Prozess so unkonventionell wie möglich zu gestalten, kippte der Bassist nacheinander alle Koffer-, Tüten- und Taschen-Inhalte auf einem Haufen, um kurz darauf etwas desinteressiert ihre Sachen zu sortieren. Dabei stieß er beim Durchwühlen auf das Parfumfläschchen des momentan schlummernden Bandmitgliedes. Neugierig beäugte er seinen Fund. Dann drehte er sich zu dem Kleinen, welcher immer noch höchst unkonzentriert mit verschleiertem Blick in Richtung des Blonden schaute. "Hey Bela, gehört das dir?", fragte Rod leise, damit er den Großen nicht aus Versehen weckte und hielt besagtes Objekt in die Höhe. Es dauerte einen Moment bis sein Ansprechpartner auf ihn reagierte, denn nur widerwillig löste der Schlagzeuger seine Augen von Farins Hals, an dem er gerade eine wunderschön pulsierende Ader bewundert hatte. Die von Vampirismus durchtränkten Fantasien beiseite räumend, widmete er nun seine Aufmerksamkeit dem Bassisten, obwohl ihm seine Frage recht nebensächlich und überhaupt unrelevant erschien. Was konnte schon wichtig genug sein um zu rechtfertigen, ihn aus seinen Tagträumen gerissen zu haben? Stumm erblickte er das mysteriöse Fundstück. "Nee. Wieso?", antwortete der Kleine verwirrt dreinschauend, stand daraufhin auf und ging zu dem Chilenen um das Fläschchen näher zu begutachten. Die Inschrift auf dem Glas erinnerte ihn an den Titel eines Pornofilms aus den Siebzigern, aber sonst kam ihm das Alles irgendwie spanisch vor. Gleichgültig zog er die Augenbrauen hoch und zuckte die Schultern. "Hab das Ding nie gesehen.", meinte er einen kurzen Augenblick später. "Muss dann wohl Farins sein...", ergänzte Rod. Die Beiden sahen sich an. In den Köpfen der Beide entfaltete sich die Erinnerung an die Szene von vor ein paar Tagen im Proberaum, in welcher der Gitarrist stark einparfümiert aufgekreuzt war. Und sie grinsten. Ohne Worte waren sie zu der Vereinbarung gekommen, dem Schlafenden einen kleinen Streich zu spielen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)