Müde... von fukuyama (... lebensmüde?) ================================================================================ Kapitel 1: Vom Ende des Karusells --------------------------------- Müde So unheimlich müde. Die Augen wollen mir nicht zufallen, obwohl ich so müde bin. Vielleicht liegt es daran, dass ich nur in der Seele müde bin. Zu viel erlebt habe. Zu viel auf ein mal. Warum muss sich alle so überstürzen? Erst ist das Leben so lange so langweilig. Und dann kommt es. Schlag auf Schlag. Immerheftigere Schläge. Bis sich alles dreht. Ich schreie stumm. Ich will nicht mehr. Stop! Es ist wie ein Karussell. Alles dreht sich. Dreht sich nicht um mich. Ich bin nur ein Mitfahrer. Dreht sich. Mir wird schlecht. Warum hilft mir niemand? Ich will nicht. Die Welt dreht sich vor meinen Augen. Ich übersehe Dinge. Ich sage falsche Dinge. Ich treffe falsche Entscheidungen. Aber davon lebt mein Karussell. Es dreht sich nur noch schneller. Und noch schneller. Warum kann ich nicht aussteigen? Ich ... kann nicht mehr. Ich ... will nicht mehr. Aber es geht immer weiter. Massenträgheit. So sagt man in der Schule. Bin ich träge? Ich versuche doch zu kämpfen. Mit ganzer Kraft kämpfe ich. Mit allem was ich habe. Ich kann nicht mehr geben. Mir ist schlecht. Ich kann nicht mehr. Ich will nicht mehr. Warum hilft mir niemand? Warum sieht mich niemand? Ihr könnt euch doch nicht alle von meinem aufgesetzten Lächeln täuschen lassen! Das könnt ihr doch nicht wirklich. Sie sagen, man muss hinsehen. So viele sagen stolz, dass sie hinsehen. Dass sie helfen. Warum seht ihr dann nicht mich? Lügt ihr am Ende auch? Seid ihr auch auf einem Karussell? Warum tut niemand etwas? Mir ist schlecht. Ich kann nicht mehr. Ich will nicht mehr. Ich will mich wehren können. Mein Karussell geht in eine neue Runde. Es scheint mir so kampflustig. Vielleicht ist es nicht mein Karussell. Vielleicht bin ich sein Mensch. Eine Art Eintrittskarte in die Arena. Ich habe längst die Übersicht verloren. Kontrolliere es längst nicht mehr. Ich bin willenlos. Ich lasse mich herumschleudern wie eine billige Keule. Oh, mir ist schlecht. Ich kann nicht mehr. Ich will nicht mehr! Ich ... werde in eine neue Runde geschleudert. *~*~ Die Gegend fliegt an mir vorbei. Eine neue Runde. Ich sehe besorgte Gesichter. Rund um mich herum. Mein Gott, ist mir schlecht. Sie sehen mich so betrübt an. Und so überrascht. Ach! Sagt nur, euch ist nicht eher aufgefallen, dass ich nicht mehr Herr meines Lebens bin. Meines Karussells. Das nicht mir gehört. Sagt nur, ihr hättet nicht bemerkt, dass mein Lächeln gezwungen war. Sagt nur, ihr hättet meine Schreie nicht gehört. Oh, ihr habt sie überhört? Ich bin nicht laut genug gewesen? Sagt nur, ihr wisst nicht, dass das alles billige Ausreden sind. Ausreden, damit ihr euch besser fühlt. Ausreden, damit ihr euch an eurem Karussell festhalten könnt. Euch daran krallen könnt, wie Ertrinkende an einen Rettungsreifen. Und ich werde unter Garantie die Letzte sein, die euch sagt, dass ihr das nicht tun dürft, wenn ihr nicht zur Keule eures Karussells werden wollt. Hilflos herumgeschwungen werden. Ja, seht mich nicht so entsetzt an. Ich bin nicht so vermessen, zu behaupten, ich sei besser als ihr. Oh nein, ich bin nicht besser als ihr. Aber ich bin auch nicht bösartig. Nicht ganz jedenfalls. Dies hier ist meine ganz eigene Rache dafür, dass ihr mich nicht schreien hören wolltet. Dass ihr nicht unter mein Lächeln geschaut habt. Dass ihr euch hastig weggedreht habt, wenn ich mein Lächeln einmal verloren habe. Dass ihr nicht nachgefragt habt. Ja, fallt nur. Ich werde euch nicht aufhalten. Es wäre längst zu spät. Ihr wolltet nicht sehen, wie ich mich verändert habe und das hat euch verändert. Ich bin längst nicht mehr die einzige, die herumgeschleudert wird. Längst nicht mehr. Auch ihr habt dieses Lächeln im Gesicht. Dieses Lächeln, das mir sagt, dass ihr schreit. Dass ihr in Wahrheit weinen möchtet. Euch an meinem Bett festhalten wollt, damit ihr nicht so herumgeschleudert werdet. Aber natürlich tut das niemand von euch. Und das ist euer großer Fehler. Das macht es aus. Ihr seid verschlossen. Und das ist so falsch. Aber das werde ich nicht sagen. Dieses Lächeln in euren Gesichtern, das mich fast zu einem ehrlichen Lächeln treibt. Es kann schon sein, dass ich etwas bösartig geworden bin, aber wer will mir das vorhalten? Wo sich doch alle abgewandt haben, wenn ich geschrieen habe. Das ist der Preis für eure Blindheit. *~*~ Oh, es dreht sich wieder. Ich habe es längst aufgegeben, zu schreien. Selbst mich zu wehren. Ich beginne, mit meinem Karussell in Eintracht zu leben. Wenn ich mich nicht wehre, wird es nicht schneller. Man könnte sagen, wir haben einen Lebensrhythmus gefunden. Ich erwische mich teilweise dabei, wie ich lächle, wenn es zu einer neuen, atemberaubenden Runde aufgeht. Ich gewöhne mich daran, dass sich mein Magen umdreht. Ich esse schon seit einiger Zeit nichts mehr. So lässt es sich besser aushalten. Nur, dass ich jetzt manchmal dieses bohrende Gefühl habe, etwas essen zu müssen. Ich denke, dass das mein Überlebenswille ist. Aber natürlich esse ich nichts. Das wäre ja noch schöner! Ich müsste wieder ganz von vorne anfangen. Außerdem wüsste ich dann, dass ich nicht in der Lage bin, meine Selbstbeherrschung zu bewahren. Ich wäre schwach. Und wer will schon schwach sein? Ich nicht. Eine neue Runde. Mir wird schlecht. Am Anfang dachte ich noch, das läge an meinem Karussell, aber mit der Zeit habe ich heraus gefunden, dass es verschwindet, wenn ich esse. Ich muss lächeln. Mit welchen Tricks mein Körper doch versucht, mich am Leben zu halten. Erfrischend. Ich esse nichts. Aus Erfahrung weiß ich, dass der Schmerz bald nachlassen wird. Ich frage mich, wie lange es wohl noch dauern wird, bis mein Körper mich aufgibt. Wahrscheinlich noch eine Weile. *~*~ Ich habe angefangen, mir über den Tod Gedanken zu machen. Nicht, dass ich ihn nicht wünschen würde, aber wie werde ich wohl beseitigt werden? Eigentlich finde ich die Vorstellung, in einer dunklen, abgeschlossenen Kammer, sprich einem Sarg, dahin zu modern, nicht sehr ansprechend. Es gäbe natürlich die Möglichkeit, sich einäschern zu lassen. Eine interessante Vorstellung eigentlich. Ich würde allerdings wahrscheinlich wieder in einer dunklen, abgeschlossenen Kammer liegen. Diesmal in einer Urne. Nun ja. Ich könnte mich natürlich auch einäschern und dann im Meer verstreuen lassen. Aber dummerweise finde ich die Vorstellung beunruhigend, dass erstens ich in Wasser liegen werde und zweitens alle zwei Kilometer ein anderes Stück von mir herumschwimmen wird. Das sieht alles nicht gut aus. Dumm, dass man noch keine andere Möglichkeit gefunden hat, sich beerdigen zu lassen. Ich könnte in der Bücherei nachsehen. Wir haben in der Schule eine sehr gute Bibliothek. Allerdings müsste ich dann erst mal hier raus. Aus meinem Karussell. Und zweitens müsste ich wahrscheinlich wieder was essen. Ich befürchte nämlich, dass ich umkippen werde, sobald ich mein Bett verlasse. Und meine Sprachbänder sind dieser Sprache wahrscheinlich auch nicht mehr mächtig. Nicht, dass mir das alles etwas ausmachen würde. Geredet habe ich auch noch nie so viel und mein Leben spielt sich sowieso nur in mir drin ab. Das Äußere sind doch alles Nichtigkeiten. Was interessiert es mich oder mein Karussell, ob ich Markenklamotten trage oder ob ich meine Haare gekämmt habe? Wäre ich nicht so entkräftet, würde ich jetzt lachen. Noch so eine Sache. Ist es nicht belustigend, dass jetzt, wo sich mein Leben dem Ende neigt, ich lachen könnte? Ehrlich lachen? Doch, ich finde schon. *~*~ Schon wieder diese Bauchschmerzen! Also, langsam langweilen sie mich. Man könnte sogar so weit gehen, zu sagen, sie nerven mich. Allerdings werden sie langsam schlimmer. Vielleicht ist es bald so weit, dass mein Körper mich aufgibt. Meine Mitmenschen... nein, die Menschen um meinen Körper herum haben mich ja schon aufgegeben. Im Gegensatz zu vor noch drei Wochen ist fast niemand mehr da. Allerdings bin ich in dieser Zeitangabe sehr unsicher. Ich habe mal gehört, dass man nicht mal eine Woche lang ohne Nahrung leben kann. Das müsste dann bedeuten, dass man mich an Maschinen angeschlossen hat. Oh Mann! Warum werden Komapatienten eigentlich nie gefragt, ob sie weiter leben wollen? Oh ja, ich liege im Koma. Das ist mir gerade klar geworden. Ansonsten hätte ich schon sterben müssen. Wer weiß? Vielleicht war ich auch schon tot und diese Idioten haben mich wiederbelebt? Tot bin ich aber definitiv noch nicht. Hab noch nicht diesen langen Tunnel gesehen, von dem die Leute mit Nahtoderfahrungen immer reden. Wirklich zu beneiden, diese Leute. Ich will auch endlich sterben. Aber ich hänge ja an den Maschinen. Dann war diese Zeitangabe vorhin natürlich auch Quatsch. Hoffentlich bin ich in einem veralteten Krankenhaus mit alten Maschinen. Dann geben die vielleicht den Geist auf und ich kann endlich sterben. Was ich von dieser Welt gesehen habe, reicht mir für die nächsten Jahrhunderte vollkommen! Dummerweise ist das sehr unwahrscheinlich. So, wie ich meine Erzeuger kenne, bin ich an das Neuste vom Neusten angeschlossen. Wie fürsorglich von ihnen! Weil ich sonst ja auch so sehr interessiert habe! Ich meine: Nicht, dass sie sich je um mich gekümmert hätten oder so, aber den ganzen Schnickschnack, den sie immer für mich ran gekarrt haben! Die feinste Elektronik und das Neuste vom Markt. Das, von dem andere nur träumen konnten. Aber ich habe von etwas ganz anderem geträumt... Das war, als sie gemerkt haben, dass ich nicht mehr so wie die anderen verwöhnten Gören war. Aber Fürsorge war zu diesem Zeitpunkt schon fehl am Platz. Ich hatte mich schon seit einiger Zeit meinem Karussell hingegeben. Es war immer für mich da. Ich konnte mich in es vertiefen. Die Runden spüren, das Gefühl haben, zu fliegen. Das war zu einer Zeit, als ich meine Umwelt schon lange nicht mehr aktiv und mit allen Sinnen wahr nahm. Zu einer Zeit, wo ich immer mehr wahrgenommen wurde, weil ich anders war. Weil ich nicht mehr mit der großen Masse mitschwamm. Weil ich verachtend auf sie hinuntersah, weil ich das Gefühl hatte, über ihnen zu stehen. Weil ich über ihnen stand. *~*~ Es dreht sich alles. Wuaah! Schon seit Ewigkeiten hatte ich nicht mehr das Gefühl, mit meinem Karussell nicht mehr mithalten zu können. Und noch eine Runde! Es wird immer schneller! Fühlt sich so jemand, der ohnmächtig wird? Man sagt, dann drehe sich alles. Ich habe das dringende Gefühl, mich irgendwo festhalten zu müssen. Aber wo? Und noch eine Runde! Haben sie mich etwa endlich von den Maschinen genommen? Ich verspüre wilde, unbändige, unendliche Freude. Sie haben es endlich begriffen! Ich gehöre nicht mehr in diese Welt. Schon nicht mehr, seit der erste sich weggedreht hat. Seit mein Herz sich zum ersten Mal selbst verletzt hat. Es dreht sich. Das ist kein Karussell! Das ist ein Übungsraum für Astronauten! Ich lache. Ich weiß nicht, ob man es in der realen Welt, die für mich längst nicht mehr real ist, hört, aber ich lache. Es befreit mich irgendwie. Von was auch immer. Diese Menschen da draußen haben verstanden. Haben endlich verstanden, dass sie mich nicht festhalten können. Sie haben mich frei gegeben. Endlich! Nach so langer Zeit, die ich gewartet habe. Die ich still gewartet habe. Die verstreichenden Tage nicht gezählt habe. Es dreht sich immer schneller. Immer, wenn ich denke, ich werde wegen der Massenträgheit hinausfliegen, immer dann dreht es sich noch schneller. Ich wusste nicht, dass es so lange dauert, zu sterben. Für mich war das eher ein Zustand denn eine Handlung. Ich fühle mich wie ein Vogel. Obwohl ich natürlich nicht weiß, wie sich ein Vogel fühlt. Ich schreie. Vor Glück. Schneller und schneller dreht sich meine Welt. Meine. Dreht. Schneller. Noch schneller. Wuaaah! Ich sehe einen Tunnel. Ich hatte recht. Sie haben aufgegeben! Mein Körper hat aufgegeben und die Menschen haben aufgegeben. Ich bin stark. Ich bin stärker. Ich habe sie alle geschafft. Ich bin frei. Ade, Menschen. Ade, Schöne Welt. Ade, ihr alle da draußen. Ich bin frei! Der Tunnel kommt immer näher. Er verschlingt mich. Ich rase durch Licht. Durch unendliches Licht. Und ich bereue nichts. Nicht eine einzige Tat bereue ich. Ich liebe es, zu sterben! Der Tod ist doch eine erlösende Sache. Ein aufregendes Ding. Wie wird die Welt danach aussehen? Nachdem man die Erde verlassen hat? Wird sich etwas ändern? Oder wird vielleicht alles so bleiben, mit dem Unterscheid, dass man nicht mehr gesehen wird? Was ist das Nirwana? Was ist der Himmel? Was ist das Universum? Was ist Gott? Ich weiß jetzt, was es heißt, zu sterben. Aber ich werde euch nicht sagen, wo ich bin und was ich bin. Dahinter müsst ihr selbst kommen. Hinter dieses ungelöste Rätsel. Ich wünsche euch viel Glück. ------------------------------------------------------------------------------------------------ Ich hab mein Bestes gegeben. *seufz* Gut genug? Wäre schön, wenn ihr mir ein Kommi dalassen würdet. Fukuyama PS: Bitte, bitte! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)