Vankylan von watersoul ================================================================================ Chapter One ----------- „SOHN UND TOCHTER DES BÜRGERMEISTERS VERMISST“, stand in großen Buchstaben auf der Titelseite der Zeitung. Robin griff danach. „… seit vier Tagen verschwunden. Die Suche läuft auf Hochtouren. Beide waren sechzehn Jahre alt. Bürger, die Hinweise haben …“ Das Foto, dass von den Schriftbalken eingerahmt wurde, zeigte zwei Teenager mit einer gepflegten Erscheinung. Beide lächelten in die Kamera. Robin legte die Zeitung weg. Das gezwungene Grinsen der beiden Figuren da war ihr zu nervenraubend. Alle in der Stadt rannten mit so einer aufgesetzten Maske rum, es war belastend. Robin lebte allein. Ihre Eltern waren nie ihre Eltern gewesen. Letztendlich kam sie allein am besten zurecht. Auch wenn sie selbst erst sechzehn war … Ihre Gedanken kehrten zu den beiden Vermissten zurück. Sie wagte zu bezweifeln, dass die zwei lebend zurückkehren würden. Viel wahrscheinlicher war es, dass sie gar nicht oder nur teilweise auftauchten. Aber jetzt war es ja sowieso zu spät. Robin verließ den Laden, in dem sie gerade war. Die Zeitung nahm sie zwar mit, aber die landete im nächsten Mülleimer. Wahrscheinlich würde sie irgendein Obdachloser später mit einer dankbaren Mine rausfischen. Robin lief durch die Straßen. Ihr weiter Umhang wehte gespenstisch. Die Leute machten einen Bogen um sie. Ob es nun daran lag, dass sie eine unangenehme Aura ausstrahlte (die diese trotteligen Dorftapse sowieso nicht wahrnahmen) oder sich nicht so konservativ und grell bunt kleidete wie die anderen feinen Damen, sei mal dahin gestellt. Aber rein optisch hob sich Robin tatsächlich von der Masse ab. Anstatt eines übertriebenen, weit gestellten Kleides und einem Hutkäppchen trug sie eine eng anliegende schwarze Hose, die in den überkniehohen, flachen Stiefeln verschwand. Ein schwarzes Lederkorsett über einer weitärmligen, hellen Leinenbluse, Schnallen an Stiefeln und Korsett und ein langer schwarzer Umhang lieferten den herausgeputzten Damen auf der Straße immer wieder Gesprächsstoff. Und im Gegensatz zu denen trug Robin auch kein Schirmchen über der Schulter sondern ein Schwert am Gürtel und noch so andere kleine feine Waffen. Für diese Kleidung hatte sie lange suchen müssen – immerhin war sie nicht unbedingt Standart. Aber dafür liebte sie sie umso mehr. Langes dunkelblau-schwarzes Haar machten sie vollständig zur Außenseiterin. Mit dieser Farbe war sie genauso normal wie eine Palme am Nordpol. Aber warum eine solche? Sie wusste es nicht, aber es war ihr auch egal. Im Gegenteil, sie fand es schön und dass sich die Weiber darüber die Mäuler zerrissen, war sogar ein wenig amüsant. Wie hysterisch sich manche darüber aufregten, legte Robin des Öfteren ein ironisches Grinsen aufs Gesicht. Gedankenverloren lief sie durch die Straßen. Die Abenddämmerung hatte eingesetzt, es begann zu regnen. Innerhalb von zehn Sekunden entwickelte sich ein Wasserfall. Das Wasser prasselte auf sie herab, es goss in Strömen. Robin störte das nicht weiter. Sie liebte den Regen. Es war, als ob Gott – nein, der Himmel weinte. An Gott glaubte sie schon lange nicht mehr, denn ein Gott würde niemals solche Kreaturen erschaffen wie die zwei Personen, die andere Kinder Eltern nannten. An sich wäre alles halb so schlimm gewesen, aber … nun ja, ihre Mutter war Prostituierte, ihr Vater arbeitslos. Man sagt zwar Liebe überwinde alle Grenzen, aber nachdem Robin auf die Welt gekommen war, stellte sich heraus, dass die zwei Geschwister waren, die sich durch elterliche Scheidung aus den Augen verloren hatten. Wie grausam der Zufall doch sein kann … Ihre Mutter hatte das psychisch nicht verkraftet. Sie ist verrückt geworden. In ihrem Wahn ist sie dann eines Tages aus Panik vor einer Halluzination durch ein Fenster im vierten Stock gerauscht. Sie war sofort tot – Genickbruch. Und ihr Vater … nun, er gab Robin die Schuld dafür. Halb tot geprügelt ist sie dann irgendwann abgehauen. Bis jetzt hielt sie sich mit allen möglichen Arbeiten über Wasser. Damals hatte sie sich geschworen, nie wieder wehrlos verprügelt und erniedrigt zu werden. Das war vor acht Jahren. Seitdem hatte sie trainiert, hart, tagelang, Nächte durch. Manchmal war sie vor Erschöpfung zusammengebrochen. Oft wachte sie dann erst am nächsten Tag auf, mal auf der Straße, mal auf dem Trainingsplatz (der des Öfteren auch im Wald war) oder in einem Haus, in das sie aus Mitleid geschleppt worden war. Aber dort verschwand Robin immer so schnell wie es ging und möglichst unbemerkt. Nichts hasste sie mehr als Mitleid. Okay, sie war nicht kaltblütig und sie half auch wenn es nötig oder nichts anderes möglich war. Aber Mitleid mit anderen war so eine Sache … Es hatte einfach nichts mit Gefühlen für die Person selbst zu tun, es war lediglich erniedrigend. Deshalb hätte sich Robin auch lieber die Hand abgehackt als in Selbstmitleid zu versinken. Denn das war nicht wirklich was anderes, bis auf die Tatsache, dass es vielleicht noch erbärmlicher war? Damit lechzte man doch geradezu nach Aufmerksamkeit, fast so, als hätte man Minderwertigkeitskomplexe. Und Unsicherheit die eigene Person betreffend konnte sich Robin beim besten Willen nicht leisten, wenn sie in dieser rauen Gesellschaft überleben wollte. Mal ganz abgesehen davon ließ es ihr Stolz einfach nicht zu. Was sollte sie auch machen? Life goes on! Und Motivation holte sie sich aus der Tatsache, dass alles, was sie nicht umbringt, einfach nur stärker machte. Der Regen ließ nach und Robin sah sich erstaunt um. Sie hatte nicht bemerkt, dass sie unbewusst aus der Stadt in den nahe gelegenen Wald zu ihrem Trainingsplatz gelaufen war. Die Lichtung hatte etwas an sich, was Robin jedes Mal sentimental werden ließ. Auf dem Boden wuchs kein Gras, es war die blanke Erde. Die Bäume, die die Lichtung säumten waren kahl und spröde, das Holz knarrte beim kleinsten Windhauch. Wahrscheinlich waren sie längst tot. Trotzdem standen sie kerzengerade und ließen nur wenig Licht auf den Boden. Alles in allem war der Anblick reichlich trostlos und er erinnerte Robin auf merkwürdige Weise an ihre Kindheit. Auch diese war von Trostlosigkeit durchzogen, aber das war wiederum nicht die gleiche wie hier. Damals war sie geflohen – weil sie es wollte – hier allerdings fühlte sie sich wohl. Das war ihr Revier und jedem, der es ohne ihre Erlaubnis betreten sollte, würde sie ganz direkt ihre über die Jahre geschärften Zähne zeigen! Warum auch nicht? Freundlichkeit?! Warum? Ihr wurde auch nie welche zuteil. Warum um alles in der Welt sollte Robin der Welt etwas zurückgeben, das sie nie von ihr erhalten hatte?! „Leben und leben lassen“ – das war das Motto für naive Optimisten, denen es früher oder später sowieso das Genick brechen würde. Nein, in dieser Welt hieß es „Fressen oder gefressen werden“! Und so schnell würde sich das nicht ändern. Es sei denn, die da oben bekämen endlich die Erleuchtung. Aber warum sollten sie? Denen geht es doch gut. Die brauchen sich keine Gedanken zu machen, was am nächsten Tag auf dem Tisch stehen soll oder ob sie schon Fensterkitt fressen müssen um nicht vor Hunger wahnsinnig zu werden! Im Gegenteil: Die machen sich noch das Leben schwer, indem sie sich nicht entscheiden können, was sie dieses Mal aus ihren ohnehin schon aus allen Nähten platzenden Kleiderschränken anziehen sollen. Versteh einer die Adligen. Geld ohne Ende aber sich beschweren… Es dauert echt nicht mehr lange und Robin würde Amok laufen! Diese Welt war so ungerecht… Viele solcher Gedanken schwirrten ihr beim Training durch den Kopf. Folglich bemerkte sie meist nicht, wie sie schon wieder dabei war, einen toten Baum zu Kleinholz zu verarbeiten. Manchmal verfiel Robin in einen Kampfrausch, der sie alles um sich herum vergessen ließ – und ständig fand sie sich in einer Szene der Verwüstung wieder. Aber was soll’s! Je mehr Platz desto besser. Hier konnte sie sich austoben, sich im Umgang mit Waffen üben, ohne dass jemand dazwischenfunkte. Erst kürzlich hatte sie auf einem Streifzug über die Felder ein Schwert entdeckt. Es schien schon ziemlich alt zu sein, wahrscheinlich aus einem Krieg, der hier mal vor vielen Jahren getobt haben musste. Aber es war dennoch gut erhalten. Zwar schon leicht verrostet, aber die Klinge war noch in vollständigem Zustand und auch der Griff war noch ganz. Den Rost kratzte Robin vorsichtig ab. Darunter kam das blanke Metall zum Vorschein. Der Griff zeigte nach intensiver Reinigung und eingehender Betrachtung sehr kunstvolle Verzierungen. Dieses Schwert musste einem von der reichen Sorte gehört haben, dachte Robin mit Abscheu. Nichts desto trotz war es die Handarbeit eines Meisters. Sie behielt es, denn an ein solch gutes Schwert kommt man nicht so günstig – vor allem nicht heutzutage!! Damit besaß sie jetzt zwei Schwerter, vier Dolche und sechs Messer! Aber Robin übte sich nicht nur im Umgang mit Waffen, sondern auch ihre körperlichen Kräfte mussten trainiert werden. Vor allem ihre Schlagkraft ließ noch sehr zu wünschen übrig. Wie besessen drosch sie auf ein Stück Totholz ein, wahrscheinlich noch von dem geborstenen Baum. Ihre Knöchel waren bereits blutig, sie hatte Splitter in ihren Handrücken und Fingern. Sie machte weiter. Schmerzen war sie gewohnt, daran lag es nicht. Es gab einen anderen Grund, warum ihr jetzt die Tränen in die Augen stiegen: Die Welt, deren Grausamkeit und Robins gottverdammte Ohnmacht gegenüber dieser Tatsache! Wie oft hatte sie über ihre Existenz nachgedacht und wie oft hatte sie diese verflucht… Warum zum Henker gibt es den Menschen überhaupt?! Was er anrichtet, kann doch kein noch so existierender Gott wieder ins Reine bringen, am wenigsten der Mensch selbst. Alle halten sie sich doch für so schlau aber im Endeffekt zerbrechen sie gerade den letzten Strohhalm, der sie im Ozean der Zerstörung noch hätte retten können. All diese Dinge brachten Robins Blut jedes Mal zum Kochen! Alles drehte sich im Kreis. Sie dachte nach, wurde wütend, zerschlug alles um sich herum, wachte auf, sah den Schaden, dachte wieder nach, wurde wieder wütend … Ein Hoch auf das Leben! Ein Hoch auf den idyllischen Garten, der sich Paradies nennt und dessen Teich gerade kippt, dessen Blumen welken, dessen Bäume brechen, dessen Vögel tot zu Boden fallen, weil die Luft verpestet ist! Jaaaa, ein Hoch auf Gott, der den größten Fehler seiner verdammten und noch nicht mal bewiesenen Existenz gemacht hat!! Reden wir miteinander – I hate you … … to be continued … Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)