Verliebt in Transsilvanien von abgemeldet (eine Fortsetzung von Tanz der Vampire) ================================================================================ Kapitel 4: Rumänischer Wein --------------------------- Langsam schlug ich die Augen auf. Ich fühlte wie sich neben mir etwas regte und sich enger an mich schmiegte, als es bemerkte, dass ich aufgewacht war. „Gute Nacht, Liebster.“ – Sarah. „Auch dir eine wunderschöne Nacht, Sternkind.“ Sanft strich ich ihr über Haar und Wange. Als Dank dafür erhielt ich einen zärtlichen Kuss. Ich zog sie enger an mich heran und legte meinen Arm um sie, sodass sie ihren Kopf darauf betten konnte. Ich hätte mir nie träumen lassen, dass so ein blutjunges Geschöpf mich – den Grafen – je in seinen Bann ziehen konnte, aber Sarah hatte einfach eine Art an sich, die ich – und mit Sicherheit auch jeder andere Mann – sehr schätzte. Plötzlich beugte sie sich über mich, wobei mir ein paar ihrer Haarsträhnen ins Gesicht fielen. Sie kicherte. Sorgfältig umfasste sie ihre Haare und band sie mit einem Tuch zurück. „Du bist so wunderschön…“, flüsterte ich und strich ihr sanft über die Wange. Lächelnd schmiegte sie daraufhin ihren Kopf an meine Brust und summte leise. Entspannt schloss ich die Augen. Auch wenn sie wohlmöglich mit ihrem vollen Körpergewicht auf mir lag, wog sie, meines Erachtens nach – nicht mehr als eine Feder im Wind. Völlig ruhig lauschte ich ihrem leisen Summen. Eine schöne Melodie, wie ich fand. Ich schloss wieder die Augen. Vielleicht würde ich ja noch einmal einschlafen, denn, ehrlich gesagt, war ich noch ziemlich erschöpft. Ah! Was war das? Ich riss die Augen wieder auf. Jemand hatte mich gerade ziemlich unsittlich berührt! Ich starrte direkt in das verschmitzt grinsende Gesicht meiner Gefährtin – Sarah. „Sarah… was…?!“, ich versuchte, sie von weiteren Aktivitäten abzulenken, jedoch wollte mir dies nicht so recht gelingen… Irgendwie musste sie es wohl geschafft haben den Gürtel meiner Hose zu lockern. „Sarah, nicht!“, ermahnte ich sie und schob ihre Hände beiseite – oh Luzifer… wie viele Hände hatte diese Frau?! Kaum hielt ich sie davon ab, meine Hose zu entwenden, wandte sie sich auch schon meinen Hemdknöpfen zu. „Sarah, ich bitte dich! Herbert wird uns hören!“ „Na und? Das macht doch nichts…“, schnurrte sie und umklammerte mit ihrem Bein das meine. Oh… wenn nicht gleich etwas passieren würde, könnte ich für nichts mehr garantieren… Verzweifelt versuchte ich ihre Hände zu fassen zu bekommen, damit sie mir nicht noch mehr meiner Kleidung entwendeten, leider vergebens… Plötzlich jedoch, vernahm ich vor unserem Sarg ein Heidenspektakel! In Windeseile öffnete ich den Sargdeckel um mich wegen des ‚unerträglichen Lärmes’ zu beschweren. **************************************** Gerade hatte ich es geschafft Alfred zu überwältigen, so dass er auf dem Rücken lag und ich über ihm kniete und so seine Arme festhalten konnte – er war überraschend kräftig – als ich hörte, wie sich der Sargdeckel meines Vater bewegte… Kaum hatte ich einen Moment nicht aufgepasst, da bekam ich prompt ein Kissen ins Gesicht. „Ha, das kriegst du zurück!“, rief Alfred. Schon war ich es, der auf dem Rücken liegend unter einem Berg von Kissen begraben wurde. Gut, dass Vampire nicht ersticken konnten. Doch neben Alfreds Gelächter hörte ich, gedämpft durch die vielen Kissen, noch eine Stimme – meinen Vater. Er klang nicht gerade begeistert über das, was wir hier veranstalteten… Schnell wühlte ich mich durch die Kissen nach oben, wobei das ein oder andere schon mal aus dem Sarg flog. Als ich dann endlich wieder Sauerstoff bekam, sah ich, was nebenan vor sich ging. Noch immer auf mir, saß ein knall roter Alfred, im Sarg nebenan saß eine bis über beide Ohren grinsende Sarah… und vor mir stand – mein Vater; und er sah ziemlich schlecht gelaunt aus! „Ups, ’Tschuldigung.“ Soeben hatte er eins der Kissen voll abbekommen. Tja, wer konnte auch ahnen, dass er direkt neben mir stand. „Herbert! Bitte was soll das hier werden?!“ „Ähm, wonach sieht es denn aus?“ „…das will ich glaube ich gar nicht wissen… Also?“ „Wir haben nur eine kleine Kissenschlacht gemacht.“ „Und das muss so laut sein?!“ „Wieso waren wir zu laut? Wobei haben wir euch denn gestört?“ Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen, angesichts der Tatsache, dass der werte Herr Graf lediglich mit einer offenen Hose und einem halb aufgeknöpften Hemd bekleidet war sowie mit völlig zerzaustem Haar da stand. „…Bei…ähm… Das ist völlig unwichtig, seid gefälligst leiser – und jetzt raus hier!“, versuchte er in einem strengen Tonfall zu befehlen… so streng es unter gegebenen Umständen eben möglich war. „…Ja, Paps…wir sind schon weg…“, ein Lachen konnte ich mir kaum noch verkneifen. Alfred saß noch immer mit hoch rotem Kopf in meinem Sarg, allerdings grinste auch er jetzt. Kurz entschlossen griff ich nach seiner Hand und zog ihn mit mir aus der Gruft. Hinter uns zogen wir rasch die Türen zu, damit mein Vater nicht hörte, wie wir uns vor Lachen kaum noch auf den Beinen halten konnten. Es war wirklich schön jemanden zu haben, mit dem man nicht nur Spaß haben konnte, sondern der auch für einen da war. Jemanden wie Alfred eben. Wie hatte ich es nur ohne ihn ausgehalten in den vielen Jahren davor? Nachdem wir uns etwas beruhigt hatten und wieder in der Lage waren geradeaus zu laufen machten wir uns auf den Weg in das Ankleidezimmer. Es wurde Zeit, dass Alfred mal so richtig eingekleidet wurde. **************************************** Meine Güte… was veranstaltete Herbert nur geschlagene eineinhalb Stunden im Badezimmer? – Halt! Wollte ich das wirklich wissen? ...Nein… eigentlich nicht… Während ich gerade einmal fünfzehn Minuten benötigte… Wenn er sich nicht bald beeilte, würde in wenigen Minuten bereits der nächste Tag anbrechen und wir könnten nicht mehr ins Dorf gehen, wie wir es in dieser Nacht eigentlich vorhatten. Ah, endlich öffnete sich die Türe und ein, mit einem Bademantel bekleideter Herbert, trat aus dem Bad. Er musterte mich. „Der Morgenmantel steht dir gut.“, grinste er und ging vor in Richtung Ankleidezimmer, wie er mir mitteilte. Fragend sah ich ihn – oder wohl besser seinen Rücken – an. Hatte er die gestrige Nacht etwa schon vergessen? Wie er sich an meiner Schulter ausgeweint hatte und ich ihn schließlich zu seinem Sarg brachte – ja sogar mit ihm zusammen den Tag über darin geschlafen hatte. Wenn er jedenfalls daran dachte, so ließ er sich nicht das Geringste anmerken. „Alfred, kommst du?“ Er riss mich aus meinen Gedanken. „Ähm…ja, natürlich!“ Ich ging an ihm vorbei, hinein in ein riesiges Zimmer, das ausschließlich mit Schränken möbliert war. „So! Dann wollen wir dich doch mal einkleiden!“, frohlockte Herbert und öffnete die zwei Türen des ersten, riesigen Schrankes. Diejenigen, die diese Möbel tragen mussten, taten mit wirklich sehr, sehr leid, denn sie erweckten nicht gerade den Eindruck, als seien sie leicht… Der Anblick der vielen Kleidungsstücke verschlug mir beinahe die Sprache! Röcke in allen Variationen und Farben, ebenso wie Hosen und Hemden. Selbst ein paar violette Schuhe konnte ich entdecken – war aber nicht unbedingt erpicht darauf diese zu tragen! Herbert jedoch sah so aus, als wüsste er genau, was er tat, denn er ging schnurstracks auf den rechten Schrankflügel zu, suchte einen samtgrünen Gehrock, eine schwarze Satinhose, ein weites, weißes Seidenhemd und passend dazu ein paar schwarze, polierte Schuhe heraus, legte alles sorgfältig über seinen Arm und kam zurück zu mir. „Hier, zieh das an. Wenn ich dir bei irgendetwas helfen soll, sag Bescheid.“, grinste er und fuhr mit seinem Zeigefinger über meinen Oberkörper. Ungewollt errötete ich ein wenig, drehte mich dann jedoch um und verschwand hastig hinter dem Paravent. Mit der Hose hatte ich noch keine Probleme, aber schon, als es ans Hemd ging, bekam ich Schwierigkeiten… Es war ziemlich kompliziert zuzuknüpfen… Es schien, als müsste ich doch Herberts Hilfe in Anspruch nehmen. Ich räusperte mich leise. „Ähm…Herbert…?“ „Ja, Alfred?“, flötete er. „Könntest du mir mal bitte eben helfen?“ „Aber natürlich!“ Er schien hocherfreut, wenigstens etwas. Zum Glück war er nicht mehr so niedergeschlagen, wie am gestrigen Abend. Ich stutzte, als er zu mir hinter den Paravent trat. Er war perfekt gekleidet: Über seinem schwarzem Hemd trug er einen glatten, tiefroten und sehr schön taillierten Brokatgehrock. Dazu, ebenso wie ich, eine schwarze Satinhose – wahrscheinlich hatte er ein Faible für derlei Hosen – und rote Ausgehschuhe. Außerdem hatte er ein schlohweißes Halstuch umgebunden, welches von einer Rubinbrosche noch zusätzlich geziert wurde. Seine Haare hatte er mit einer Samtschleife zurückgebunden. Doch, ich musste sagen, dass er schon irgendwie anziehend auf mich wirkte. Wohl musste er meine musternden Blicke auf ihm bemerkt haben, denn als ich wieder zu ihm aufsah, grinste er mich nur an. Schließlich schaffte ich es mit seiner Hilfe in das Hemd zu schlüpfen und es zuzuknüpfen. Den letzten Schliff verlieh Herbert mir, als er auch mir ein Halstuch umband – sattgrün, ebenso, wie mein Gehrock. Ich sah in seine Augen, als er sehr sorgfältig das Tuch knotete und anschließend einen Smaragd am Knoten befestigte. Dann half er mir schließlich noch in meinen Gehrock und begutachtete mich kritisch. Ich errötete. Gefiel ich ihm? Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Wunderbar! Hinreißend! Entzückend!“, rief er aus und klatschte in die Hände, als wolle er sich selbst applaudieren. Gerne hätte auch ich mich begutachtet, aber da war ja leider dieses kleine Hindernis mit den Spiegelbildern… also musste ich mich wohl auf Herberts Geschmack verlassen, der wohl nicht so schlecht sein konnte, wenn man ihn selbst einmal betrachtete. Schließlich zogen wir uns noch ein paar warme Mäntel über, bevor wir das Schlosstor öffneten und in die recht kühle Nacht hinaustraten. **************************************** Man kommt hier ja wirklich zu gar nichts. Erst will er nicht so recht und dann kommt mal wieder Herbert dazwischen… Wobei es eigentlich ganz nett ist, wenn er nicht immer sofort auf meine Annäherungsversuche eingeht – so bleibt ein gewisser Reiz. Jetzt sah es allerdings ganz so aus, als hätte er angebissen. Wir waren gerade dabei uns aus der Küche etwas Essbares zu holen. Mein Blick fiel auf eine Schüssel mit Erdbeeren. Es wäre doch zu schade, wenn die hier stehen blieben… Ein kurzer Seitenblick zu Breda bestätigte mein Vorhaben, denn er hatte bereits den Schokosirup in der Hand. „Breda, Liebling… Wollen wir nicht im Kaminzimmer essen? Dort ist es viel gemütlicher.“, bat ich ihn. „Nun ja, sollte man nicht im Speisesaal essen, wenn man schon mal einen hat?“, versuchte er auszuweichen. Aber so leicht würde ich nicht aufgeben. „Du willst doch nicht an dieser riesigen Tafel essen, wenn nur wir beide im Schloss sind?! Was wäre das denn für eine Atmosphäre?“, beharrte ich. Fast hätte ich geglaubt, er würde es wirklich vorziehen, in einem großen, kalten Saal zu essen, wenn er doch mit mir vor dem wärmenden Kamin Platz nehmen konnte. Doch als ich ihm in die Augen sah, war da wieder dieses undefinierbare Leuchten… Langsam ging ich um ihn herum und stellte mich dicht hinter ihn. Dann legte ich meine Arme um ihn, hielt ihm verführerisch eine der leckeren Erdbeeren vor die Nase. Meinen Kopf hatte ich auf seine Schulter gelegt. Als er nach der Erdbeere beißen wollte, zog ich sie wieder weg, um selber genussvoll hinein zu beißen, wobei ich ihm tief in die Augen sah. „Wenn du unbedingt willst, kannst du ja im Speisesaal essen. Wo du mich findest, weißt du ja…“ Mit diesen Worten, einem Lächeln und den restlichen Erdbeeren verschwand ich in Richtung Westflügel des Schlosses, wo sich auch das Kaminzimmer befand – das meiner Meinung nach schönste Zimmer des ganzen Anwesens. Wo blieb er nur? Schon eine ganze Weile saß ich auf dem großen, kuscheligen Bärenfell, welches vor dem lodernden Kaminfeuer ausgebreitet war. Hoffentlich saß er jetzt nicht wirklich allein im Speisesaal… nein, das würde er nicht machen. Dafür genoss er meine Gesellschaft viel zu sehr, auch wenn er es nicht immer offen zugab. Wenn man vom Teufel sprach… Hatte er es sich also doch noch anders überlegt. Ich grinste, als er den Raum betrat und…mit einem Buch in seinem Sessel platz nahm?! Verwirrt sah ich ihn an. Nach einer gewissen Zeit blickte er fragend von seinem Buch auf. „Ist irgendetwas nicht in Ordnung, Sternkind?“ „Doch, doch, Liebster.“ Mal abgesehen davon, dass jetzt mein eigener Liebhaber noch nicht einmal mehr Lust hat, mit mir Liebe zu machen! Es war einfach nur frustrierend! Aber na warte… Ich wusste schon, wie ich ihn kriegen würde… Vorsichtig erhob ich mich von meinem bequemen Platz auf dem Bärenfell und ging auf ihn zu. Auf diesem Weg jedoch, seufzte ich und hielt mir die Stirn. Als ich merkte, dass er den Kopf hob, um nach mir zu sehen, stieß ich einen erneuten Seufzer aus. „Mir ist so seltsam…“, murmelte ich gespielt und sah, dass mein kleiner Trick seine volle Wirkung erzielte! Im Nu sprang Breda von seinem Sessel auf und fing mich, da ich drohte, umzufallen. „Sarah! Geht es dir gut?“, rief er besorgt und sank mit mir in den Armen auf den Boden, um mich hinlegen zu können. Ich grinste innerlich… und nun das Sahnehäubchen… „Mein Mieder… ich glaube, es ist zu fest…“, künstelte ich und versuchte schwer zu atmen. „Soll ich es dir öffnen?“ Ich nickte – musste jedoch aufpassen, mich durch ein herzhaftes Lachen nicht zu verraten. Mit zitternden Händen löste er den Knoten an meinem Korsett und lockerte sie. Doch dann drehte er sich plötzlich zu mir und sah mich misstrauisch an. „Sarah?!“ – Oh oh… diesen Unterton kannte ich… er lag immer dann in seiner Stimme, wenn er wütend war… „Dein Mieder KANN dir nicht zu eng sein… du bist tot. Du brauchst keinen Sauerstoff…!“ Ich unterbrach ihn und drückte ihm meine Lippen auf die seinen. „Tut mir leid, Liebster… aber du hast mich gar nicht bemerkt… und hattest mal wieder nur Augen für dein Buch…“, jammerte ich – diesmal nicht gespielt! Und schmiegte mich an ihn. Er sog scharf die Luft ein. War ich ihm etwa zu aufreizend mit offenem Mieder?! Ich legte es drauf an und presste meine Brüste gegen seinen Oberkörper. **************************************** „Und hast du sein Gesicht gesehen, als ich ihn darauf angesprochen hatte?!“ Wieder brachen Alfred und ich in gellendes Gelächter aus. Er hat wirklich eine sehr schöne, sehr klare Stimme, stellte ich nicht ganz neidlos fest… Die übrigen Gäste um uns herum musterten unser Äußeres. Ob sie wohl wussten, was wir waren? – Bestimmt nicht, dachte ich mir. Sicherlich hätten sie sonst bereits eventuelle Maßnahmen ergriffen. Aber ich musste schon sagen, dass ich und ganz besonders Alfred sehr, sehr elegant in unseren Garderoben wirkten. Vielleicht hielten uns die Gäste auch für irgendwelche adligen, jungen Herren, die nichts Besseres zu tun hatten, als sich ihre Zeit mit dem besten Wein in diesem Hause zu vertreiben. Apropos Wein… wie viel hatte ich eigentlich schon getrunken? Es konnte noch nicht viel gewesen sein, beschloss ich. Immerhin brachte der Wirt erst die zweite Flasche. Und den größten Inhalt der ersten hatte eindeutig Alfred intus. Wo blieb denn der Wirt nun?! (Die letzte Flasche galt nicht Alfred und mir.) Auch Alfred schien bereits ungeduldig zu werden und so bot ich mich an, die Flasche selbst mit etwas Nachdruck beim Wirt abzuholen. Alfred bejahte dieses Angebot dankend und lächelte. Hach! Für dieses Lächeln würde ich ALLES tun! Also erhob ich mich und war im Begriff auf die Theke zuzusteuern. Doch plötzlich traf es mich wie ein Schlag mit dem Hammer! Ich schwankte leicht und musste mich an meiner Stuhllehne festhalten, um nicht zurückzutaumeln. Was war plötzlich bloß los mit mir? War das etwa schon der Alkohol, der da seine Wirkung zeigte? …Unmöglich! „Herbert? Alles in Ordnung?“, hörte ich Alfred fragen und drehte langsam meinen Kopf in seine Richtung. Vorsichtig nickte ich und tastete mich vor. War der Weg dorthin schon immer so lang gewesen? Warum konnte dieser Wirt sich denn auch nicht beeilen mit unserem Wein? Endlich an der Theke angekommen fragte mich der Wirt, ob ich sicher sei, noch eine weitere Flasche Wein leeren zu wollen. Was glaubte er, warum ich extra von meinem Platz aufgestanden war?! Ich winkte nur desinteressiert ab und nahm die Flasche an mich. Wieder an unserem Tisch angekommen füllte ich zuerst Alfreds und schließlich mein Glas wieder auf. Dummer Weise verschüttete ich den einen oder anderen Tropfen – lag das an der Flasche oder war der Tisch schief? **************************************** Nie hätte ich auch nur im Entferntesten daran gedacht, dass ich mal mit Herbert gemeinsam in einer Kneipe sitzen und Wein trinken würde. Der Abend verlief bisher sogar überraschend angenehm, Herbert hatte noch nicht einmal versucht, mich anzubaggern. Wir unterhielten uns über viele verschiedene Dinge, Dinge von denen ich nie gedacht hätte, dass sie Herbert interessieren könnten. Wenn man sich länger mit ihm unterhält, ist er eigentlich gar nicht so…unsympathisch… im Gegenteil. Aber vielleicht lag das auch nur daran, dass er bereits nach der ersten Flasche Wein leicht beschwipst war. Na ja, das war ja kein Wunder, wenn man den Wein in so einem Tempo in sich hinein schüttete… Da kam er auch schon zurück, mit einer Weinflasche in der Hand. Schon ist gut gesagt, fast zehn Minuten hatte er gebraucht, um diese Flasche von der Theke zu holen, wobei die Theke keine 20 Meter von unserem Tisch entfernt war. Kurzerhand füllte er unsere Gläser wieder auf – was ihm sichtlich Mühe bereitete. Kaum hatte er sich hingesetzt, war sein Glas auch schon wieder leer. So langsam machte ich mir wirklich Gedanken um ihn. Wollte er sich etwa betrinken, oder worauf legte er es an? „Ähm, Herbert?“, versuchte ich ihn vom Trinken abzulenken. Er sah vom Glas auf, „Ja, Alfie?“. „Trinkst du immer so viel …und so schnell?“ Nachdem er noch einen großen Schluck des – durchaus wohlschmeckenden – Rotweines genommen hatte, antwortete er. „Ich trinke niiiee…un auch nich viel!“ „Aber heute trinkst du viel?“ „Neee, heute tringe ich mit dia… „ „Und das ist dann was anderes?“ „Ja, kla is das was anneres! Auff dich, Alfie – auf unss! Schiieers!“ Mir blieb nicht viel was anderes übrig, als erneut mit Herbert anzustoßen. Kurz darauf war auch diese Flasche leer. „Herrr Wird! Nochne Flaschsche von dem rotn Zeuch hier! Aba schschnell!“ Die paar Leute, die noch in der Kneipe saßen sahen uns bereits skeptisch an. „Herbert, bitte. Nicht ganz so laut. Die Leute gucken schon alle.“ Ich hätte auch gegen eine Wand reden können, er hatte seinen Verstand wohl schon mit einem der letzten Gläser runtergespült. „Dann lasssie hald gukkn!“ Vergebens versuchte ich Herbert dazu zu bewegen, leiser zu sprechen – sofern man das noch sprechen nennen konnte. Wir unterhielten uns mittlerweile fast brüllend; Herbert, weil er nicht anders konnte und ich, damit er mich überhaupt wahrnahm. Als Herbert sich mit dem Wirt angelegt hatte, weil dieser ihm keinen Wein mehr geben wollte, hielt ich es für besser zu gehen – und zwar mit Herbert, auch wenn dieser sich sträubte. „Herbert, bitte! Es ist wirklich besser, wenn wir uns jetzt wieder auf den Rückweg machen!“ „Nein! Isch will aba noch nich surück nachhausee…“ „Aber es wird bald hell draußen!“ „Na undd?!“ „Herbert!“ „Ja, Alfie?“ Es war zum aus der Haut fahren! Wieso musste er sich gerade in meiner Begleitung voll laufen lassen?! „Komm jetzt, wir müssen los!“ „Wohin den?“ „Nach Hause!“ „Warum jez schon?“ „…Weil du betrunken bist, die Sonne bald auf geht und dein Vater uns wahrscheinlich in der Luft zerreißen wird!!!“ „…“ Oh, nein… Ich hatte doch glatt vergessen wie sensibel Herbert war. Er konnte aber auch wirklich äußerst anstrengend sein… „Es tut mir leid, Herbert. Ich wollte dich nicht so anschreien.“ „Hassdu mich den ganich lieb?“ Was für eine Frage…was erwartete er jetzt von mir? „…aber natürlich hab ich dich lieb.“ „…un warum hasstu dann soooo langejebraucht?!“ „Ähm, weil – “ „Du hasstmich übahaubdnich liiiiieeeb…!!!“, heulte er auf einmal los. Allmählich begann ich die Beherrschung zu verlieren – das war sonst nicht meine Art, aber Herbert hatte es tatsächlich geschafft! „Du kommst jetzt mit. Wir gehen nach Hause – keine Widerrede!“ Ich bezahlte schnell die Rechnung, packte Herbert am Arm und zog ihn nach draußen. Obwohl er gerade mal zwei Flaschen Rotwein getrunken hatte, war sein Gang recht wankend, sodass ich ihn stützen musste, damit er nicht völlig das Gleichgewicht verlor – ganz zu schweigen vom Verlust seiner Muttersprache. Der Weg zurück zum Schloss erschien mir mindestens doppelt so lang wie der Weg vom Schloss ins Dorf. Aber das lag wohl an Herberts gelegentlichen motorischen Totalausfällen… Was würde der Graf wohl sagen, wenn er seinen Sohn so erlebte? Aus Herberts momentanem Zustand war zu entnehmen, dass er noch nicht oft in Kontakt mit Alkohol gekommen war; zumindest nicht in größeren Mengen. Endlich war das Schlosstor in Sicht! Ich atmete erleichtert auf. „Na los, Herbert. Nur noch ein paar Meter. Du hast es gleich geschafft.“, versuchte ich ihn bei Laune zu halten. Denn wie ich in den vergangenen 60 Minuten erfahren durfte, war ein betrunkener Herbert noch launischer als ein nüchterner. So leise wie möglich betraten wir das Schloss und machten uns auf direktem Weg in die Gruft, in der Hoffnung, dass der Graf schon tief und fest schlief. Schnell war ich Herbert behilflich dabei, sich zu entkleiden und ihm in seinen Sarg zu helfen, um danach in meinen zu steigen. Doch Herbert hatte offenbar andere Pläne – mit mir! Erst versuchte er, mich mit in seinen Sarg zu ziehen, dann wollte er wieder raus aus seinem, um mit in meinen zu kommen… und dann sagte er etwas, was sich anhörte wie „Wozu brauchen wir auch einen Sarg?!“. Aus diesem Mann soll einer schlau werden. Doch dann packte er mich an den Schultern und drückte mich zu Boden – jetzt lag er mit seinem vollen Körpergewicht auf mir. Ich versuchte ihn von mir runter zu rollen, doch er war einfach zu kräftig. „Herbert, was soll das?!“, fuhr ich ihn an. Dieses Szenario kam mir erschreckend bekannt vor! Verzweifelt versuchte ich mich irgendwie zu befreien. Hatte ich mich so in ihm getäuscht? Nur diesmal war kein Professor in der Nähe, der die Begegnung hätte auflösen können. Mittlerweile saß Herbert auf mir und entwendete mein Hemd. Ich bekam es mit der Panik zu tun. Es war ja nicht so, dass ich ihn nicht mochte – aber unter diesen Umständen wollte ich nur so weit weg von Herbert sein, wie nur irgend möglich! Er war in dem Zustand einfach unberechenbar – noch mehr als sonst. „Herbert! Lass das!!!“ „Warum?“ „Geh sofort runter von mir!!!“ „Abas macht doch solchn Spasss!“ War es die Möglichkeit? Jetzt konnte er nicht mal mehr die Hände bei sich behalten! Während die eine in meinen Haaren spielte, wanderte die andere langsam aber zielstrebig immer weiter runter… und er hatte es geschafft, meine Hose zu öffnen! Jetzt reichte es wirklich! „Wenn du nicht sofort von mir runter gehst…!“ „Wasn dann, Alfie?“, grinste er seelenruhig. Er trieb mich zur Weißglut! „Zwing mich nicht dir weh zu tun…“, drohte ich – teils in der Hoffnung es würde Wirkung zeigen – teils aus Überzeugung. „Pah, du mir wetun…das trausstu dich doch ganich!“, spottete Herbert immer noch grinsend. Ich plädierte an meine Selbstbeherrschung, nicht auszurasten. Es war eben Herbert – er war betrunken… und er hatte gerade mein bestes Stück in der Hand!!! Reflexartig stieß ich ihn mit ganzer Kraft und unter vollem Körpereinsatz von mir weg. Ich atmete schwer. Nicht nur die Last seines Gewichts lag nun nicht mehr auf mir, auch seine Hände hatte Herbert jetzt wieder bei sich. Der erwartete Wutausbruch Herberts blieb überraschenderweise aus… Als ich mich wieder soweit gefangen hatte, dass ich in normalem Ton hätte mit Herbert sprechen können, drehte ich mich um zu der Seite, auf der ich ihn vermutete. Meine Vermutung stimmte, Herbert saß rechts von mir an seinen Sarg gelehnt; das Gesicht in die Hände vergraben. Eine Weile saßen wir beide auf dem Boden der Gruft und sagen gar nichts. Dann brach ich das Schweigen, „Herbert?“. Keine Antwort. Er war also sauer auf mich – verständlich. Allerdings hatte ich genauso gut das Recht darauf, sauer zu sein. Warum sollte ich dann den ersten Schritt machen? Also wartete ich… Plötzlich hörte ich Schritte auf der Treppe, die hinunter zur Gruft führte – der Graf! Er war also noch nicht in seinem Sarg und schlief. Wie auch, er wäre sicher aufgewacht… „Herbert, komm schnell, dein Vater! Wir müssen uns in die Särge legen!“, flüsterte ich ihm zu; schon halb auf dem Weg in meinen eigenen Sarg. Immer noch keine Reaktion. „Herbert! Was ist denn?“ Endlich sah er mich auch mal an, wenn ich mit ihm sprach… Was war das denn? Mit Tränen in den Augen sah er mich an… ein saftiges Feilchen. War ich das etwas gewesen?! Langsam erinnerte ich mich. Als ich ihn von mir runter gestoßen habe, muss ich mit dem Ellenbogen wohl sein Auge erwischt haben… Auf einmal tat mir das alles schrecklich Leid. Ich wollte zu ihm gehen, mich entschuldigen – doch da stand schon der Graf in der Tür. „Was zu Hölle…“ Ein letzter Blick zu Herbert bestätigte meine Befürchtung. Ich würde das ganze allein auszubaden haben. Herbert hatte sich soeben in seinen Sarg verzogen und den Deckel geschlossen. „Ähm, wir…ich…entschuldigt die Störung! …Es ist nur so…also Herbert und ich, wir…nun – es war so…“ **************************************** Was in allen drei Teufels Namen war hier bloß wieder los? Hier konnte man noch nicht einmal mehr in Ruhe ein Buch lesen! Erst hielt Sarah mich davon ab – nun ja… darüber konnte ich durchaus hinwegsehen – und jetzt DAS hier! Es war doch wirklich zum Haare raufen! Als Alfred mir dann auch noch das Spektakel so schonend wie nur eben möglich erklärte, wich meine Selbstbeherrschung vollends! „Herbert!“, brüllte ich und stürmte auf den Sarg meines Sohnes zu. Wütend stemmte ich den Sargdeckel hoch und zog ihn an seinem Hemdkragen aus seiner Schlafnische. Er schlief. Ich rümpfte die Nase. Er roch bestialisch nach Wirtshaus und Wein! Eine Schande für einen Grafensohn sich so in der Öffentlichkeit aufzuführen, aber das würde ich ihm morgen schon noch selbst sagen. Gedanklich rieb ich meine Hände aneinander. Ich hoffte, dass man mir meine Schadenfreude nicht ansah, immerhin stand Alfred noch immer in unmittelbarer Nähe zu mir und beobachtete mich. Murrend ließ ich Herbert wieder in seinen Sarg zurücksinken und schloss den Deckel. Dann wandte ich mich wieder Alfred zu, der ängstlich einen Schritt zurückwich. „Leg dich auch schlafen. Ich denke, du wirst morgen mehr als genug zu tun haben. Sammle also ausreichend Kräfte und Geduld.“, grinste ich verschwörerisch. Ich denke, dass sollte Strafe genug für ihn sein, sich morgen Nacht um meinen verkaterten Sohn kümmern zu müssen. Er nickte flüchtig und verzog sich dann mit einer schrecklichen Hast ebenfalls in seinen Sarg. Ich lachte innerlich. Also war ich noch immer Furcht einflößend. Hoch erhobenen Hauptes schritt ich wieder aus der Gruft in Richtung Kaminzimmer, in dem, wenn mich nicht alles täuschte, noch immer Sarah auf mich wartete. **************************************** Langsam und träge schlug ich meine Augen auf. Ich wurde von einem schleifenden Geräusch aus meinem Schlaf gerissen. Mein Sarg wurde geöffnet. Verdammt! War es schon immer so hell in unserer Gruft, oder war es vielleicht noch Tag? War der Professor etwa wieder zurückgekommen? – Nein. Ich blickte in das besorgt dreinblickende Antlitz meines Vaters. Er legte mir seine kühle Hand auf die Stirn. „Herbert? Ist alles in Ordnung mit dir? Es ist schon mitten in der Nacht.“, sprach mein Vater wie durch einen Schleier zu mir und runzelte die Stirn. „Ich habe Kopfschmerzen…“, jammerte ich. „Wovon?“, fragte er und reichte mir eine Hand, um mir aus dem Sarg zu helfen. „Ich…weiß nicht?!“ Oh, oh… hoffentlich hatte er mich gestern Abend nicht mehr gehört… „Komm erst einmal mit in den Speisesaal zum Frühstücken.“, lächelte mein Vater und öffnete die Tür. Frühstück! Schon allein der Gedanke an dieses Wort verursachte bei mir Übelkeit. Zum Glück hatte mein Vater nichts von der gestrigen Nacht mitbekommen. Sonst hätte es wohl ein gewaltiges Donnerwetter gegeben. Unsere Schritte hallten in dem langen Korridor wider und brachten meinen Kopf beinahe zum Zerspringen…! Aber ich versuchte so gut es eben ging nicht nach Kater, sondern nach Migräne auszusehen. Was auch wohl ziemlich gut klappte, wenn ich meinen Vater so ansah. Er öffnete die Tür zum Speisesaal und ließ mich eintreten. Der Tisch war reich gedeckt, bereitete mir jedoch trotzdem ein flaues Gefühl im Magen. Ich setzte mich auf den Stuhl zur Linken meines Vaters. Neben mir saß Alfred und zur Rechten meines Vaters saß Sarah und grinste mich an. „Guten Abend, Herbert!“, trällerte sie in einer bestialischen Lautstärke, „Hast du also auch endlich ausgeschlafen?!“. Ich nickte nur stumm – dumme Idee, jetzt war mir schwindelig. Kaum war Sarah ruhig, wenn man dieses lautstarke Zersägen des Brötchens als ruhig bezeichnen konnte, meldete sich mein Vater wieder zu Wort. „Heute so still, Herbert? Sonst redest du doch schon früh am Abend wie ein Wasserfall.“, seine Stimme war wirklich durchdringend… „Ich sagte doch, ich habe Kopfschmerzen…“, erwiderte ich leise und fasste mir an die Schläfe. „Ach ja, stimmt… Wieder diese Migräne?“, hakte er nach und sah mich mitleidig an. Wenn er Mitleid hatte, warum brüllte er dann so? Kam es mir nur so vor, oder sprachen heute alle viel lauter als sonst? „Willst du nicht auch mal was essen, Herbert?“, rief Sarah mir zu, „Besonders die Erdbeermarmelade ist köstlich!“. „Ja, das ist sie wirklich!“, stimmte auch mein Vater mit ein. Das Glas wurde über den Tisch geschoben, und als ob das noch nicht laut genug gewesen wäre, wurde es aufgeschraubt und der Deckel auf den Tisch fallen gelassen, was wiederum von einem fiesen Scheppern begleitet wurde. Mein Kopf dröhnte. Dann hielt mein Vater mir ein, bereits mit Marmelade bestrichenes, Brötchen vor die Nase, „Na los, versuch mal – das ist wirklich lecker!“. Allein bei dem Gedanken, auch nur einen einzigen Happen dieses Brötchens zu essen, drehte sich mir der Magen um. Was sollte das hier werden? Eine Folter?! Endlich Ruhe… bis auf das Klirren der Gläser und das Quietschen des Bestecks auf den Tellern. Noch immer versuchte ich die Übelkeit zu verdrängen und durch Stillsitzen die Kopfschmerzen nicht noch weiter zu verschlimmern. Vergebens! „Sag mal, Herbert. Hast du da etwa ein blaues Auge?!“, bemerkte Sarah mal wieder viel zu laut. „Kann schon sein…“, brachte ich gequält hervor. „Wie ist das denn passiert?“, fragte jetzt mein Vater. Ups, was sollte ich ihm denn jetzt erzählen? Das ich betrunken war und das auch nicht mehr so genau weiß? Unmöglich! „Entschuldige, Paps. Können wir das später klären? Mir geht es gar nicht gut… Ich würde mich gern etwas hinlegen.“, versuchte ich auszuweichen. Aber da war Sarah auch schon aufgesprungen – wobei ihr Stuhl einen schrecklichen Lärm machte – und zu mir rüber gelaufen. „Zeig mal her… das sieht ja übel aus…“, betrachtete sie mein Gesicht und – betrachtete es dann noch etwas genauer. „Aaaauu, nicht anfassen! Das tut doch weh…“, quengelte ich und zog meinen Kopf weg. Doch das war gar keine gute Idee… der Raum begann sich zu drehen. Mir war unglaublich übel und mein Kopf tat noch mehr weh als zuvor. „Herbert…?“, hörte ich eine Stimme dicht neben mir, „Kannst du mich hören?“. Ich versuchte die Augen zu öffnen, um zu erkennen, wer dort mit mir sprach. Langsam klärte sich mein Blick, „Papa…?“. Allmählich registrierte ich, dass ich nicht mehr im Speisesaal, sondern in einem der Lesezimmer war – ich lag auf einem Sofa. Liebevoll strich mein Vater mir über den Kopf, „Deine Migräne scheint ja schlimmer zu sein, als ich gedacht habe.“. „…Was ist denn passiert?“, wandte ich mich an meinen Vater. „Nun, das würde ich gern von dir wissen, mein Sohn.“, sagte er mit einem vorwurfsvollen Unterton. Hatte er etwa doch etwas mitbekommen gestern Nacht? Scheinbar schien er mir das mit der Migräne abzukaufen, also konnte er das nur auf mein Feilchen beziehen… „Ähm, Paps?“, druckste ich herum. „Ja, Herbert?“, fragte er mit ruhiger Stimme. „…Könntest du mir bitte ein Glas Wasser bringen?“, bat ich ihn. „Aber natürlich – wünscht der Herr sonst noch etwas…?“ Nett, dass er so besorgt um mich war, „Vielleicht was zum Kühlen, für mein Auge…“. „…Oder doch lieber eine Flasche Rotwein – nein, zwei…! Was hast du dir eigentlich dabei gedacht?! Das ist doch kein Benehmen für einen erwachsenen und dazu noch adligen jungen Mann! Da hätte wer weiß was passieren können! Wie kommst du nur immer auf solche Ideen?! Hast du denn keine zwei Sekunden nachgedacht, bevor du dich betrunken hast? Und dass du auch noch Alfred mitnehmen musstest! Er hat doch noch keine Ahnung wie er sich verteidigen muss – stell dir vor, da wären Vampirjäger im Dorf gewesen!!!“, donnerte er. Mein Kopf fühlte sich an, als würde er jeden Augenblick explodieren… Doch mein Vater setzte neu an: „Hätte ich mir früher bei meinem Vater derlei Sachen erlaubt, hätte er mich achtkantig aus dem Schloss geworfen und mich in die Sonne gestellt!“, brüllte er. Am liebsten hätte ich jetzt irgendeinen schnippischen Kommentar von mir gegeben, aber in meinem Zustand brachte ich wohlmöglich noch nicht einmal mehr einen Satz zustande… „Wie kannst du dich auch nur so schamlos betrinken? Ich versteh’ es einfach nicht!“ – Zum Glück hatte mein Vater keinen Blutdruck mehr, sonst wäre dieser jetzt wahrscheinlich bei 230 angelangt… Wütend stürmte er dann schließlich aus dem Zimmer. **************************************** Ich hörte Schritte. Oh, Breda kam aus dem Zimmer! Schnell huschte ich um die nächste Ecke und tat dann so, als würde ich den Gang entlanggehen. Wutschnaubend lief er in einem Tempo an mir vorbei, dass ich wenige Sekunden später den Luftzug noch deutlich spüren konnte. Soso, der kleine Herbert hatte sich also gestern Nacht wortwörtlich die Kante gegeben… Ich grinste hinterhältig… „Dann wollen wir doch mal da weitermachen, wo Breda aufgehört hatte…“, sprach ich zu mir selbst und öffnete die Türe zu dem Zimmer, in dem noch immer Herbert lag. „Alfi? Bist du das?“, stöhnte er und versuchte seinen Kopf in meine Richtung zu drehen. „Nein, ich bin nicht dein ‚Alfi’.“ „Sarah…“, seufzte er und ließ sich wieder in die Kissen sinken. „Was machst du hier?“ Ich überlegte kurz. „Das hier ist mein Probenraum.“, gab ich ihm bekannt und grinste von einem Ohr hin zu anderen. „Probenraum wofür?!“, hakte er misstrauisch nach – und sein Misstrauen war berechtigt. Ohne eine Vorwarnung fing ich an, eine Oper zu trällern. Ich war Sopranistin und somit war meine Stimme entsprechend hoch. Zudem war die Rolle des Gretchens aus der Oper „Faust“ mir stimmlich wie auf den Leib geschnitten. Nun, Herbert teilte meine Meinung wohl nicht. Als ich die erste Strophe gesungen hatte, hörte ich nur leises Wimmern von ihm. „Gnade…“, jaulte er stimmlos und sah mich aus großen Augen an – aus großen, glasigen Augen. Hach, wie ich es liebte die Oberhand zu haben! „Sagtest du etwas?“, fragte ich in lautem Sprechgesang – sehr hoch, versteht sich. „Bitte, Sarah… ich tue alles was du willst…“, wimmerte er und kauerte sich noch mehr auf dem kleinen Sofa zusammen, als es sowieso schon der Fall war. Wieder grinste ich überlegen. „Wirklich ALLES?!“, hakte ich nach und ging ein paar Schritte auf ihn zu. Er nickte nur vorsichtig. „Gut, dann…“ Ich sagte ihm alles, was ich für die morgige Nacht von ihm verlangte und ging dann, fair, wie ich nun einmal war, wieder aus dem Zimmer. Natürlich nicht, ohne nicht vorher die Tür mit einem gewaltigen Knall hinter mir zugeschlagen zu haben! Wenn mein Plan aufging, dann würde ich die folgenden beiden Nächte noch einiges mehr zu lachen haben. Summend lief ich den Korridor entlang auf der Suche nach Breda – lief allerdings bloß Alfred über den Weg. „Du solltest dich wohl besser ein wenig um Herbert kümmern… ich glaube, er fühlt sich nicht sonderlich wohl.“, riet ich ihm und eine Spur von Mitleid wurde in mir ausgelöst, als ich in Alfreds trauriges Gesicht sah. Nun, wie dem auch sei, mir war langweilig! Ich hatte also die Wahl zwischen Bad und Breda – aber halt! Warum sich für eines entscheiden müssen, wenn man auch beides gleichzeitig haben konnte?! **************************************** Erst hätte mich auf dem Weg zu Herbert fast der Graf umgerannt und dann kam mir auch noch Sarah entgegen, beide waren wohl soeben bei Herbert gewesen. Also schien es ihm ernsthaft nicht gut zu gehen…wie Sarah ja auch zu mir gesagt hatte. Und das war alles meine Schuld! An dem Zimmer, in dem Herbert sich befand blieb ich vor der Tür stehen. Sollte ich anklopfen, oder einfach leise reingehen? Auf Höflichkeit sollte man ja immer anklopfen, bevor man einen Raum betrat – aber wenn Herbert doch solche Kopfschmerzen hatte, wäre er sicher nicht erfreut über den Lärm… Ich entschied mich, die Tür leise zu öffnen, in den Raum zu schleichen und die Tür dann hinter mir lautlos wieder zu schließen. Herbert lag auf einem Sofa, die Augen geschlossen, einen Arm über die Stirn gelegt. Eine Weile stand ich in dem kleinen Zimmer, konzentriert darauf, keine unnötigen Geräusche zu machen und betrachtete das Bild, welches sich mir bot. Ich musste schon zugeben, Herbert hatte einen beneidenswerten Körperbau… schlank… durchtrainiert… und groß war er noch dazu. Aber das gehörte jetzt nicht hier her. Schließlich war ich nicht ganz unbeteiligt an seinem Zustand. Leise räusperte ich mich. „Was ist denn jetzt schon wieder? Hast du mich noch nicht genug gequält?!“, stöhnte Herbert, machte sonst aber keinerlei Anstalten sich zu bewegen oder die Augen zu öffnen. Er war also noch sauer auf mich – was man ihm aber nicht verdenken konnte. „Es tut mir Leid, Herbert. Ich wollte das nicht…es ist einfach so passiert. Ehrlich, ich würde dir nie absichtlich wehtun!“ Verwundert sah er mich jetzt doch an, „Alfred, du bist das… Ich dachte Sarah wäre schon wieder hier…“. Zögerlich ging ich ein paar Schritte auf ihn zu. Er sah wirklich ziemlich fertig aus. Ob er überhaupt wollte, dass ich hier war? Wahrscheinlich würde er mich nach dieser Aktion so bald nicht wieder sehen wollen… Ich beschloss besser wieder zu gehen. Halt! So einfach war das nicht. Es ging Herbert nicht gut, und ich war daran schuld. Also war es auch meine Pflicht, mich um ihn zu kümmern. Kurz vor der Tür machte ich auf dem Absatz kehrt, „Herbert?“. Stille. Ein schwaches Stöhnen. „Was denn, Alfred?“, Herbert drehte den Kopf zu mir. „Brauchst du etwas?“, ich sah ihn entschuldigend an. Wieder Schweigen. „Wie fühlst du dich?“ Mein Gewissen wurde nur noch schlechter, als Herbert immer noch nicht antwortete. Allmählich machte ich mir Sorgen um ihn… „Ich fühl mich scheiße – und wenn du mir ein Glas Wasser holen könntest, wäre das nett.“, entgegnete Herbert auf einmal. „Ja, gern. Ich bin sofort wieder da.“, beeilte ich mich zu sagen. Bereits in der Tür stehen wurde ich von Herbert aufgehalten, „Alfred! – Noch etwas… du brauchst dich nicht zu entschuldigen, wenn dann sollte ich das tun.“. Ich hätte mit vielem gerechnet, aber damit ganz sicher nicht! Das hieß er war nicht böse auf mich. Oder? Verwirrt sah ich ihn an, „Wie meinst du das?“ „Ach Alfred, komm doch mal her…“, etwas gequält lächelnd bedeutete er mir, mich zu ihm auf das Sofa zu setzen. Nach kurzer Zeit stellte sich raus, dass ihm die Situation genauso unangenehm war wie mir. Letztendlich entschlossen wir uns, die gestrige Nacht als Erfahrungswert abzutun. „Könntest du mir einen Gefallen tun, Alfred? Bekomm ich jetzt noch ein Glas Wasser…?“, lächelte Herbert mich an. „Aber natürlich.“, lächelte ich zurück und machte mich sogleich auf den Weg in die Küche. Wieder zurück im Zimmer mit einem Glas Wasser setzte ich mich zu ihm. Bevor ich es ihm zum trinken reichte, musste ich ihm helfen, sich aufzusetzen. Doch kaum war er in einer halbwegs aufrechten Position, verzog er das Gesicht, „Aauuuua…so ein Mist.“. „Was ist denn?“, fragte ich besorgt. „Mein Auge… es tut weh…“, erklärte er. „Darf ich mir das mal ansehen…?“, bat ich und neigte seinen Kopf ganz vorsichtig leicht zur Seite, um besser sehen zu können. „Aber du musst ganz vorsichtig sein…und nicht anfassen!“, ermahnte mich Herbert. So wie sein Auge aussah, musste es wirklich überaus wehtun. Davon würde er sicherlich noch ein paar Tage länger gut haben. Bei dem Gedanken, dass ich ihm diese Unannehmlichkeit bereitet hatte, errötete ich leicht. Das war wirklich nie meine Absicht gewesen. „Bleib einfach hier sitzen – oder leg dich besser wieder hin, ich werde nachsehen, ob noch ein wenig Eis da ist.“, beruhigte ich ihn. Warum musste ich auch immer so ungeschickt sein… und der arme Herbert musste mein Ungeschick jetzt ausbaden… Zum Glück fand ich in der Küche noch einen Eisbeutel. Vielleicht würde sein Auge ja weniger wehtun, wenn man es kühlte. Ich beeilte mich, zurück zu gehen. Herbert sollte nicht länger als notwendig warten müssen. Er hatte sich erneut hingelegt und bemerkte mich nicht sofort. Sanft strich ich ihm die Haare aus dem Gesicht und legte vorsichtig den Eisbeutel auf sein Auge, woraufhin er kurz die Augenbrauen zusammen zog und scharf die Luft ein sog. „Es wird gleich besser.“, versicherte ich ihm. „Na hoffentlich…“, jammerte er und griff nach meiner Hand. „Warum geht es dir eigentlich so unverschämt gut heute? Du hast doch mindestens genauso viel getrunken wie ich.“, maulte er. Das war eine gute Frage. „Na ja… der Professor und sein selbst gebrannter Kräuterschnaps…sagen wir mal ich bin gut in Übung.“, grinste ich ohne das Thema weiter ausführen zu wollen. Tröstend streichelte ich über seine Wange, „Morgen Nacht geht es dir sicher wieder gut.“. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)