Verliebt in Transsilvanien von abgemeldet (eine Fortsetzung von Tanz der Vampire) ================================================================================ Kapitel 9: Frühstück bei von Krolocks ------------------------------------- Frühstück bei von Krolocks Es war bereits weit nach Mitternacht, als ich mich auf den Weg ins Badezimmer machte, um noch ein heißes Bad zu nehmen, bevor ich mich in meinem Sarg zur Ruhe legte. Ungeduldig drehte ich die Wasserhähne auf. Erstaunt darüber, wie schnell das herausströmende Wasser heiß wurde, saß ich auf dem Wannenrand und begutachtete die Serie von bunten, glitzernden Fläschchen, die an der Wand auf der anderen Seite der Wanne aufgereiht waren. Sie verströmten einen sehr angenehmen Geruch, ohne dass man eines davon öffnen musste. So nahm ich wahllos irgendeines von ihnen und ließ ein paar Tropfen des wohlriechenden Inhalts ins Badewasser fließen. Erst jetzt spürte ich, dass ich die ganze Zeit über gefroren hatte, seitdem wir in dieser Höhle geschlafen hatten. Doch das war egal, nun konnte ich mich ja in einer riesigen Wanne voll heißen Wassers entspannen. Ich streifte meine Kleider ab, legte sie sorgfältig über den Stuhl, der neben der Wanne stand, und ließ mich dann genüsslich durch die dichte Schaumdecke ins heiße Nass gleiten… Wie angenehm es war, diese wohlige Wärme. Völlig entspannt lag ich in der Wanne voll Schaum und sog mit geschlossenen Augen diesen interessanten Duft ein, der von diesem Badezusatz ausging. Lavendel, vielleicht ein Hauch von Rosenduft… Die genaue Zusammensetzung ließ sich nicht bestimmen. Irgendwie geheimnisvoll und doch anziehend und überaus angenehm. Wahrscheinlich gehörte dieser Badezusatz Herbert, denn der Graf bevorzugte vermutlich eher maskuline Düfte wie Moschus oder ähnliches; dass Sarah bereits dazu gekommen war, ihre Kosmetika hier im Schloss zu drapieren, bezweifelte ich. Herbert. Hoffentlich hatte er sich nicht auch noch erkältet, schließlich hatte er genau wie ich den Tag in dieser eiskalten Höhle verbracht, in der der Wind um alle Ecken pfiff. Ein verstauchter Knöchel war schon Strafe genug für ihn. Ich war ja die ganze Nacht in Bewegung geblieben, da es immerhin eine ganze Menge zu tun gab und konnte mich so einigermaßen warm halten. Aber was war mit ihm? Gut, es war nicht gerade kalt im Salon, allerdings war ihm sicher auch nicht besonders warm nach diesem Tag. Die halbe Nacht nur rumzusitzen war nicht gerade förderlich für den Kreislauf und hielt einen auch nicht warm. Nun ja, er würde sich in den kommenden Nächten ohnehin noch schonen müssen. Spaziergänge in fortwährend frischen Frühlingsnächten oder ähnliche Aktivitäten kamen für ihn also nicht in Frage. Außerdem hatte er als Vampir ein stärkeres Immunsystem als ein Mensch. Mit ein bisschen Fürsorge und Zuneigung – was er ja immer schätzte – ging es ihm ganz bestimmt schon sehr bald wieder besser. In Gedanken versunken spielte ich mit den Schaumbergen, die sich aufgetürmt hatten. Wann hatte ich zuletzt so entspannt gebadet? Wenn ich ganz ehrlich war, vermisste ich die Zeit mit dem Professor immer weniger. Natürlich hatte er mir viel beigebracht und ich hatte in der ganzen Zeit auch viel fürs Leben dazu gelernt – doch was genau hieß jetzt noch ‚fürs Leben’?! Allmählich kühlte das Badewasser ab, sodass ich beschloss, mich in die Gruft zu begeben um zu schlafen. Mittlerweile war auch ich sterbensmüde – wie gut, dass ich schon gestorben war… **************************************** Bereits kurz nach Sonnenuntergang wurde ich geweckt – von einem leidenschaftlichen Kuss. Ach ja, die Vorzüge eines gemeinsamen Sarges… „Guten Abend, mein Sternkind.“, hörte ich sie samtige Stimme dicht neben meinem Ohr. Ich antwortete mit einem weiteren Kuss… Wenn man so geweckt wurde, war man auch gleich gar nicht mehr müde. Uuuhh, das konnte ja noch interessant werden heute Nacht… Ich grinste in die Dunkelheit des Sarges. So leidenschaftlich hatte ich meinen Breda nicht mehr erlebt seit – seine Eltern hier waren! Ein leises Kichern konnte ich mir nicht verkneifen, als dieser mich nur etwas verwundert ansah, „Was ist, mein Schatz?“. „Ach nichts…!“, bevor er weiter fragen konnte, versiegelte ich seine Lippen mit den meinen. „Schatz?“ „Ja?“ „Du liegst auf meinen Haaren!“ Ups! Dieser Sarg war aber auch klein. „Tut mir leid, hier ist einfach zu wenig Platz.“, vorsichtig drehte ich mich um und gewährte ihm so den nötigen Freiraum. „Du hast recht, lass uns woanders hingehen!“ Nanu, auf einmal so entschlossen? Mir sollte es recht sein, „Und wohin gedenkst du zu verschwinden? Alfred und Herbert werden uns hören.“. „Lass das mal meine Sorge sein.“, entgegnete Breda mit verführerischem Lächeln, während er auch schon den Deckel des Sarges öffnete und mir heraus half. Wie gut, dass die beiden anderen Särge noch geschlossen waren, obwohl Alfred uns in dieser Holzkiste ganz sicher hören konnte, wenn er wach war… Doch bevor ich dazu kam, mir Gedanken darüber zu machen, warum Alfred immer noch lieber in diesem Ding schlief, anstatt bei Herbert einzuziehen – wieder musste ich grinsen – zog mein Liebster mich auch schon die Stufen aus der Gruft hinauf, um dann mit mir über endlose dunkle Gänge zu verschwinden. „Wo gehen wir hin?“, fragte ich erstaunt, als wir an einer Reihe von Türen vorbeiliefen, die ganz sicher zu Schlafzimmern gehörten. „Lass dich einfach überraschen, Sternkind.“ Und wie überrascht ich war, als wir auf einmal in einem großen dunklen Saal standen. Unsere Schritte hallten von überall her wider, ich war überwältigt. Plötzlich gingen wie auf einen lautlosen Befehl hin die Lichter im ganzen Saal an. Ja, das alles hier kam mir bekannt vor – der Ballsaal! Leer wie er war, wirkte er fast unheimlich, wenn auch prunkvoll und schön. Eine Weile standen wir nur da und ich sah mich fasziniert um. Hatte sich hier nach dem letzten Mitternachtsball einiges verändert, oder war es letztlich nur mein Blick, der sich geändert hatte? „Wollen wir tanzen?“, holte mich die tiefe Stimme meines Liebsten wieder in die Wirklichkeit zurück. Ich nickte. War das hier tatsächlich die Wirklichkeit? Es kam mir vor wie ein Traum. Von irgendwoher dran leises Klavierspiel und die Lichter im Saal schienen mit uns im Takt zu tanzen. Es war wie in jener Nacht… nur schöner! Breda kam mir noch verführerischer vor, als damals… wie er mich so über das Parkett wirbelte, dann wieder sanft in den Armen wiegte… Es war so romantisch – zweifellos – aber etwas fehlte. Nur was? „Wann findet hier eigentlich der nächste große Ball statt? So richtig mit allen Vampiren aus deinem Gefolge und so?“, ja, das war es, was fehlte – die neidischen Blicke der übrigen Gesellschaft! **************************************** Als ich aufwachte, war die Sonne bereits untergegangen. Wahrscheinlich schon seit einer ganzen Weile, denn ein Frühaufsteher war ich noch nie gewesen. Bestimmt waren alle anderen schon aufgestanden und hatten die Gruft verlassen… Langsam hob ich den Deckel meines Sarges an und schob ihn zur Seite. Ich rieb mir kurz den Schlaf aus den Augen, setzte mich auf und warf einen Blick durch die Gruft. Der Sarg meines Vaters war tatsächlich schon leer. Alfreds hingegen war noch immer geschlossen – oder schon wieder, er war eben sehr ordentlich. Bevor ich aus dem Sarg stieg, gähnte ich noch einmal herzhaft und streckte mich. Ahh, wie gut das tat… endlich einmal wieder ausschlafen. Doch nun wurde es Zeit, aufzustehen und die Nacht mit einem guten Frühstück zu beginnen. Plötzlich holte mich die Erinnerung an die vergangenen beiden Nächte zurück auf den Boden der Tatsachen. Wie konnte ich das nur vergessen…?! Ein heller Schmerz durchzuckte meinen Fuß und mir entfuhr kurzer Aufschrei, den ich dann aber zu unterdrücken schaffte, indem ich mir auf die Unterlippe biss. Verdammt, tat das weh! Vor Schmerz leise stöhnend hielt ich mich am Rand meines Sarges fest, darauf wartend, dass die Schmerzen in meinem Fuß nachließen. Es kam mir vor wie eine halbe Ewigkeit, die ich darauf wartete. Memo an mich selbst: Gewicht NICHT mehr auf den rechten Fuß verlagern! „Sag doch was, ich hätte dir geholfen!“, erklang eine bekannte Stimme hinter mir – eindeutig Alfred. War er also doch noch nicht aufgestanden. „Ist ja nichts passiert.“, beschwichtigte ich ihn. Nicht zu ertragen, wie besorgt er mich ansah. Reichlich verschlafen war er außerdem – wie süß! Die blonden Locken fielen ihm ungeordnet ins Gesicht und nun gähnte er auch noch verstohlen hinter vorgehaltener Hand – wie wohlerzogen. Er war ja so niedlich! Ich kicherte innerlich, „Habe ich dich geweckt?“. „Schon gut… Jetzt lass dir aber helfen.“, er schlang seinen Arm um meine Taille und ich den meinen um seine Schultern, „Wo wolltest du denn hin?“. Oohhh, wenn er einen so ansah, konnte man glatt die Welt um einen herum vergessen… „…Erst ins Bad oder gleich Frühstücken?“ „Ähm… erst ins Bad…“ So fürsorglich… Nicht mal schlechte Laune hatte er, weil ich ihn geweckt hatte… Einfach liebenswert! Langsam hinkte ich neben ihm her aus der Gruft. Über diese dämliche Treppe hatte ich mir jedoch noch keine Gedanken gemacht – wie sollte ich da jetzt rauf kommen? Zögerlich versuchte ich nun doch, mit dem rechten Fuß aufzutreten… Ich sollte mir meine Memos auch öfter anhören…! Wieder dieser unendlich besorgte und mitfühlende Blick, „…Soll ich dich tragen?“. Erstaunt hielt ich inne, „Was?“. „Ob ich dich tragen soll?“, wiederholte Alfred schüchtern. Wie wollte er das bitte anstellen? Ich war gut einen halben Kopf größer als er. „Nein, das schaff ich schon, Chérie.“, lächelte ich. Es musste einfach gehen. Ganz vorsichtig einen Schritt nach dem anderen. Tief durchatmen – Zähne zusammenbeißen… „Bitte, Herbert. Es reicht…!“, Alfred blieb stehen, „Mag sein, dass ich kleiner bin als du, aber du wiegst doch kein Gramm mehr als ich… wenn überhaupt. Und nun stell dich nicht so an – halt dich lieber fest!“. Völlig verblüfft spürte ich, wie er mich scheinbar ohne größere Mühe auf seine Arme hob und Stück für Stück die Treppe hinauf trug. „Du darfst deinen Fuß noch nicht belasten, aber das hast du ja selber gemerkt.“, bemerkte Alfred beiläufig, als er mich am oberen Ende der Treppe wieder absetzte, „Und jetzt hör bitte auf, mich so anzugucken – ich habe es immerhin überlebt, dich zu tragen.“. **************************************** „Ja, Schatz…“, hörte sie denn nie auf zu fragen? „Und du lädst auch wirklich alle ein? Auch diesen merkwürdigen Typen mit der Ritterrüstung?“ „Ja, Schatz…“, wenn ich ihr sagte alle, dann meinte ich wohl auch ALLE… „Und was ist mit Napoleon?“ „Ja, Schatz.“, am besten ich hörte gar nicht mehr hin…! „…Der hatte ja so einen knackigen Hintern…“ „Ja, Schatz.“ „Du hörst mir überhaupt nicht zu!“ „Ja, Schatz!“ „Breda!!!“ „Was?!!“ Allmählich überlegte ich ernsthaft, ob ich mir nicht die Gewohnheiten meines Sohnes zueigen machen und eine Migräne oder besser noch eine Ohnmacht vortäuschen sollte, um aus dieser Situation möglichst schnell wieder heraus zu kommen. Leider war es unter meiner Würde, ein solches Schauspiel aufzuführen, schließlich musste ich ein gewisses Niveau wahren. „Tut mir leid, Sarah. Wir werden den Ball ganz nach deinen Vorstellungen abhalten. Aber lass uns doch zuerst eine Kleinigkeit essen – ich habe schrecklichen Hunger.“, das war es – Unterzuckerung – ich KONNTE ihr gar nicht zuhören! Brillant. Plötzlich begann sie wieder zu strahlen und setzte ihr bezauberndes Lächeln auf, „Oh ja, dann findet der Ball schon morgen Nacht statt?!“. Morgen Nacht schon?! Das war nicht ihr Ernst… Wer sollte das denn bitte alles in der kurzen Zeit organisieren? „Natürlich, wenn du es so möchtest?“ „Sehr schön, Liebster.“, sie gab mir einen Kuss, „Dann lass uns gleich anfangen, die nötigen Vorbereitungen zu treffen.“, und schleifte mich hinter sich her aus dem Saal. Und was war jetzt mit Frühstück?! „Was soll ich eigentlich anziehen?!“ Diese Frage musste ja früher oder später kommen! Jetzt war guter Rat teuer – wie machte ich das noch gleich, wenn Herbert diese Frage stellte… „Wie wäre es, wenn du schon mal deinen Kleiderschrank begutachtest und ich währenddessen was zu Essen mache? Dann kannst du mir deine engere Auswahl beim Frühstück präsentieren.“ „In Ordnung, wir treffen uns dann in einer halben Stunde im Kaminzimmer. Da ist die Beleuchtung am besten.“, antwortete Sarah still vergnügt im Plauderton und war auch schon verschwunden. Hatte ich diese heikle Lage nicht genial gemeistert? Eine halbe Stunde – wer es glaubte! Alles unter einer Stunde war utopisch, wenn man eine Frau vor einen Kleiderschrank stellte… oder eben Herbert. Zudem war noch einiges zu erledigen, wenn der Ball schon morgen stattfinden sollte. Erstmal war Koukol zu informieren, damit er den großen Saal herrichten konnte für die anstehenden Festlichkeiten, dann mussten noch sämtliche Vampire eingeladen werden… und was würde ich überhaupt anziehen? Alsbald die tratschsüchtigsten unter den Vampiren unterrichtet waren, beschloss ich, es dabei zu belassen und darauf zu hoffen, dass sich die Nachricht schnell verbreitete. Nun noch schnell Koukol gesucht und instruiert und dann würde einem Frühstück nichts mehr im Wege stehen… Wo trieb der sich schon wieder rum? Ständig musste man ihn suchen, wenn man etwas von ihm wollte! Gutes Personal ist wahrhaftig schwer zu finden. Um diese Uhrzeit war er vielleicht schon in der Küche – mal nachsehen… Je näher ich der Küche kam, umso kälter wurde es. Was zum Teufel war hier schon wieder los? Da sah ich auch schon den Grund für die kalte Zugluft: eine weit offen stehende Hintertür! Hatte er schon wieder vergessen, sie zu schließen… Ich sollte mir ernstlich Gedanken über einen neuen Bediensteten machen! „KOUKOL! …Was wird das hier?!“, erkundigte ich mich ungehalten. Die wie immer nahezu unverständliche Antwort ließ mich zu der Annahme kommen, es handle sich hierbei um den Frühjahrsputz, bei dem eben auch alle Räume gelüftet werden mussten, während Koukol die Fenster putzte. Ich seufzte mental – unter diesen Umständen musste ich mich wohl ein Wenig beeilen mit dem Frühstück, wenn ich nicht erfrieren wollte. **************************************** Endlich waren wir am Badezimmer angekommen. Gut, dass Herbert sich nun die ganze Nacht auf dieser Ebene des Schlosses bewegen konnte, ohne irgendwelche Treppen passieren zu müssen – er war nicht schwer, aber oft würde ich es nicht mehr schaffen, ihn zu tragen. Oh, ich war noch immer so unglaublich müde. Dabei hatte ich relativ lange schlafen können. „So, da wären wir. Ich warte dann hier auf dich.“ „…“ „Was ist denn?“ „Nun ja…“ Natürlich, wie konnte ich so blöd sein – wenn er bis hierher meine Hilfe gebraucht hatte, würde er sie auch noch bis ins Bad brauchen. Ich war einfach nicht ganz bei der Sache heute… Standen wir nun also vor dem großen Waschbecken. Den Rest würde er hoffentlich alleine hinbekommen. Demzufolge ließ ich ihn los und wollte gerade gehen, als ich an der Hand festgehalten wurde, „Alfred?“. „Ja?“ Herbert lehnte am Waschbecken, an welchem er sich mit der anderen Hand festhielt, und sah mich schon wieder mit diesem Bambi-Blick an, „Wärst du vielleicht so nett und könntest mir helfen?“. „Helfen?!“, entfuhr es mir. „Nun ja… also ich meinte…“, er zog mich näher zu sich hin, bis ich direkt hinter ich stand, „Da du mich sicher nicht waschen möchtest, wäre es ganz praktisch, wenn du mich wenigstens festhalten könntest…?“. Er griff hinter sich, nahm meine Hände in seine und legte sie an seine Hüften, „Es steht sich so schwer auf einem Bein.“. Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken. Es war alles in bester Ordnung, er betrachtete dabei nur den rein praktischen Wert – oder zumindest redete ich mir das ein, „…Na schön.“. Ich schloss die Augen, als er anfing, sein Hemd auszuziehen. Wie gut, dass er mich nicht im Spiegel sehen konnte; und ich uns auch nicht! Anderenfalls wäre ich wohl am liebsten im Boden versunken… Ich hörte, wie der Wasserhahn geöffnet wurde und das Wasser zu fließen begann. Gleichmäßiges Plätschern; gelegentlich bekam auch ich ein paar Spritzer ab. Herbert hatte sich über das Waschbecken gebeugt, wobei ich ihn nun wirklich festhalten musste, damit er nicht das Gleichgewicht verlor. Seine Hüften waren aber auch schmal… und diese engen Hosen betonten seine schlanke, muskulöse Figur noch mehr… Mein Gott, wo war ich nur mit meinen Gedanken?! Das Plätschern wurde leiser bis es schließlich ganz verstummte. Ein leises Räuspern. Ich öffnete die Augen. „…Könntest du mir bitte mal ein Handtuch reichen?“ Kommentarlos angelte ich nach einem Handtuch und drückte es Herbert in die Hand. „…Danke…“ Sollte nicht ich derjenige sein, der in dieser Situation rot wurde? Eilig zog Herbert sein Hemd wieder über, nachdem er sich abgetrocknet hatte. Beinahe hektisch begann er, es zuzuknöpfen. Ich ertappte mich selber, wie ich meinen Blick auf seine Finger geheftet hatte, die am Hemd nestelten. Hastig, aber bemüht unauffällig, wandte ich mich von ihm ab und sah zu Boden. „Ich wäre dann fertig…“, durchbrach Herbert nach einer kurzen Weile die bedrückende Stille im Raum. Ohne ihm in die Augen zu sehen, legte ich wieder einen Arm um ihn, damit ich ihn stützen konnte. Auch er wich meinen Blicken aus. Warum geriet ich nur immer wieder in so unangenehme Situationen? Warum war an diesen Situationen immer Herbert beteiligt? Da ich annahm, er hatte vor zu frühstücken, gingen wir über die schier endlos langen Flure ins Kaminzimmer. Die Mahlzeit würde ich ihm servieren, denn in der Küche oder auch im großen Speisesaal war es definitiv zu kalt. Nicht, dass er sich doch noch erkältete. **************************************** Ich wusste, er würde meinem Blick nicht lange standhalten können. Schon früher hatte ich immer bekommen, was ich wollte. Wenn nicht auf dem direkten, dann auf dem indirekten Weg – aber das hier war bald zu einfach gewesen… Oder hatte ich mehr Macht über Breda als ich glaubte? Tja, die Waffen einer Frau… Über diese Frage nachdenkend begab ich mich ins Ankleidezimmer, wo mehrere überdimensionale Kleiderschränke prall gefüllt mit den schönsten Kleidungsstücken auf mich warteten. Nicht einfach, da ein passendes Kleid für den Ball zu finden. Schließlich wollte ich auffallen! Alle anderen Gäste sollten neidisch und in stiller Bewunderung ansehen. Ach was, stille Bewunderung – ich wollte in Komplimenten baden! Man musste es doch ausnutzen, die Geliebte des Grafen zu sein und somit ein gewisses Ansehen zu haben. Ein Privileg, das ich durchaus zu schätzen wusste. Den ersten Kleiderschrank hinter mich gebracht, war alles, was ich gefunden hatte, ein paar lange schwarze Samthandschuhe… Drei weitere Schränke hatte ich noch vor mir. Am Inhalt des zweiten Schrankes hielt ich mich schon länger auf; hier gab es neben unzähligen Kleidern auch noch diverse Accessoires. Breda würde warten könne. Etwa eine Dreiviertelstunde später umfasste meine Beute neben den Samthandschuhen und einem Paar roter Lackschuhe noch einen kleinen Karton mit schwarz glänzenden Seidenrosen und ein prachtvolles Collier, bestehend aus einer Vielzahl von irisierenden Edelsteinen. Auch im letzten der Kleiderschränke fand ich nichts, was meinen Vorstellungen von einem Ballkleid entsprach. Für einen Augenblick überlegte ich, was ich nun machen sollte, bis mir einfiel, dass ich ja ein durchaus hübsches Kleid besaß. Zwar würde ich nicht ein und dasselbe Kleid zweimal tragen können, doch mit etwas Kreativität und Geschick wäre es eine Kleinigkeit, es mit diesen Fundstücken aufzupeppen. Ich stellte mir vor, wie das rote Kleid wohl mit den schwarzen Blüten auf dem Rock aussehen würde… Doch, es erschien mir annehmbar. Wenn ich dazu noch die schwarzen anstelle von roten Handschuhen und die Lackschuhe trug… Das sollte wohl gehen. Breda erwartete zwar eine engere Auswahl, bei der er mitentscheiden durfte, aber es wäre wohl nicht weiter verwerflich, wenn ich die Entscheidung ohne ihn traf. Musste ist bloß noch jemanden finden, der mir diese ganzen Rosen auf das Kleid nähte – ich selbst würde das ganz gewiss nicht tun. Arbeiten wie diese waren einfach nicht angemessen für eine angehende Gräfin wie mich… Oh, das würde eine unvergessliche Nacht werden. Breda und ich als Mittelpunkt dieses großen Balles… in wunderschöner Garderobe. Wir würden über die Tanzfläche schweben, von allen bewundert werden… Ja, das würden wir! Dafür musste ich aber erstmal jemanden für mein Kleid finden, dann wurde in aller Ruhe gefrühstückt… und dann war Breda dran mit der Auswahl seiner Garderobe – diese sollte immerhin zu meiner passen, wir wollten doch das perfekte Paar abgeben. Wer kam in Frage für die Näharbeiten an meinem Kleid? Koukol – sicher nicht! So wie es um seine Grobmotorik bestellt war, wollte ich mich nicht von seiner Feinmotorik überzeugen lassen. Das Kleid zu einem Schneider ins Dorf bringen? Dafür war nicht mehr genug Zeit. Selbermachen wollte ich es nicht… Wer war noch übrig? Mir unbekanntem Schlosspersonal wollte ich das Kleid auch nicht überlassen, wer konnte ahnen, was dann damit passieren würde… Hmm… Magda konnte nähen! Sie musste irgendwo unten auf dem Friedhof bei den anderen Vampiren sein…bei den anderen Vampiren. Niemand sollte das Kleid sehen, bevor ich morgen Nacht meinen großen Auftritt hatte. Grübelnd saß ich in Mitten von diesem Chaos bis mir einfiel, dass Alfred doch ganz sicher gelernt hatte, zu nähen. Ja, Alfred! Das war es. Bei Professor Abronsius musste er sicher auch gelegentlich mal etwas nähen – auch wenn es nur ein Knopf ans Hemd war. So schwer konnte es ja nicht sein, diese Blüten auf meinem Kleid zu befestigen, oder? **************************************** Ich hätte ahnen müssen, dass die Situation im Bad unangenehm werden könnte. Hoffentlich war Alfred nicht aufgefallen, wie ich errötete. Wenn ich nur daran dachte…! Endlich waren wir im Kaminzimmer, wo Alfred sich von mir löste, als ich mich auf eine Ottomane am einen Ende des großen Sofas niederließ. Scheinbar war ihm das eben im Bad nicht so unangenehm wie mir, denn er war bereits dabei, zwei Kissen unter meinen Fuß zu legen, als ob nichts gewesen wäre, „Du solltest den Fuß lieber ruhig halten, sonst dauert es noch länger, bis du wieder laufen kannst.“. Vielleicht sollte ich die Sache auch einfach abhaken… „Ich werde uns gleich Frühstück machen…“, sagte er und ging zum Kamin, entfachte ein Feuer, kam wieder und ging an mir vorbei in Richtung Tür, „Wenn du frieren solltest, nimm dir bitte diese Decke dort, ja?“. Er deutete auf eine zusammengelegte Steppdecke neben mir. Ich nickte. Wirkte ich so elend? Sofern das der Fall war, stand mir eine ganze Nacht voller Fürsorge und Zuneigung bevor. Ein Lächeln stahl sich auf meine Lippen. Es wäre doch dumm, das nicht auszunutzen, denn wann hatte man schon mal die ungeteilte Aufmerksamkeit aller, wenn man nicht gerade krank war?! Okay, direkt krank war ich ja nicht… Aber wenn ich ein wenig leidend schaute… Den Luxus wollte ich mir nicht entgehen lassen! Lang ausgestreckt lag ich auf der Ottomane, das linke Bein angewinkelt, entspannt zurückgelehnt und ein paar mehr Kissen um mich herum verteilt. Hach, einfach nur nichts tun und darauf warten, dass man umsorgt wurde. Herrlich! Plötzlich ging die Tür auf und mein Vater trat herein. Der Härtetest – wie überzeugend war ich wirklich? „Guten Abend, Herbert.“ „Guten Abend, Paps.“, antwortete ich leiser. Mit gleichmäßigen Schritten kam er auf mich zu und setzte sich neben mich auf das Sofa, „Wie geht es dir?“. „Schon besser, danke.“ Nur nicht zu überschwänglich klingen… „Hast du Schmerzen?“, erkundigte er sich, nicht ohne einen Hach von Besorgnis in seiner Stimme. Jetzt musste die Antwort taktisch gut überlegt sein, „…Es ist erträglich.“. Eigentlich sehr gut sogar, aber die halbe Wahrheit würde hier auch reichen. „Brauchst du etwas zum Kühlen?“, bot er an. „Nein, danke, das geht schon…“ Geschafft, sogar mein Vater war überzeugt von meiner Darbietung. „Wenn du etwas brauchen solltest, scheu dich nicht, mich zu fragen, in Ordnung?“ Es wurde immer besser! Mein eigener Vater hatte sich soeben selbst bereiterklärt, als mein Laufbursche zu agieren! …Doch so weit würde ich es lieber nicht treiben. „…Ach, Paps…“ Mitleidig legte er mir einen Arm um die Schultern, „Du siehst müde aus…“. Ja? Das war ich eigentlich überhaupt nicht, aber auch gut. Ich hätte heute Abend nicht auf das Abdeck-Make-up verzichten sollen… Statt zu antworten, ließ ich meinen Kopf auf seine Schulter sinken und schloss für einen Moment die Augen. „Alfred wird uns gleich Frühstück bringen. Ich habe ihn eben in der Küche getroffen.“, erwähnte mein Vater Alfred, den ich beinahe vergessen hätte; aber auch nur beinahe. „Du hast doch Appetit, oder?“ „Um ehrlich zu sein, habe ich sogar ziemlichen Hunger.“, gestand ich. „Das ist schön – ich nämlich auch.“, lachte mein Vater fast etwas beschämt. Keine Minute später stand mein blond gelockter Engel auch schon in der Tür, schwer belanden mit einem riesigen Tablett voll bepackt mit allerlei Leckerbissen. Mit bedachten Schritten balancierte er seine Fracht zu dem Couchtisch, der sich zwischen Sofa und Kamin befand, um das Tablett erleichtert abzustellen, „Bitteschön, die Herrschaften, das Frühstück.“. Alfred hatte wirklich an alles gedacht! Da waren frische Croissants, Erdbeermarmelade, Café au Lait… was wollte man mehr? Für Sarah und meinen Vater hatte er zusätzlich Honig, weitere Marmeladensorten, schwarzen Kaffee und eine Karaffe Blut mitgebracht. Vielleicht sollte er Kellner werden, wenn er das alles auf nur einem Tablett transportieren konnte. ***************************************** In seinem früheren Leben musste der Junge Kellner gewesen sein, oder so was – war er doch im Verhältnis zum Tablett relativ klein. Jedenfalls hatten wir jetzt alles, was wir für das Frühstück benötigten. Und wie der Kaffee duftete! Ich sollte Alfred öfter das Frühstück machen lassen. Gerade wollte ich mich fragen, wo Sarah wohl blieb, als sie auch schon hereingestürmt kam, „Ach hier bist du, Alfed!“. Alfred?! Ich saß hier drüben! „Was auch immer du vor hast, lass uns bitte erst essen.“ „So viel Zeit wird wohl sein.“, gab sie gnädiger Weise zu und setzte sich neben mich, um sich ein Brötchen zu nehmen. Indes schenkte Alfred Kaffee ein und reichte auch Herbert etwas herüber, der es dankend annahm. „Warum hast du mich denn gesucht, Sarah?“, erkundigte er sich dann, bevor auch er sich was zu Essen nahm. „Stimmt ja, du weißt noch gar nichts davon…“, ohne lange nachzudenken holte sie kurz aus, „Wir haben beschlossen, morgen Abend einen Ball abzuhalten.“. Nun, genauer gesagt, hatte Sarah das beschlossen… „Morgen schon?“, fragte Alfred erstaunt nach. „Ja, morgen. Darum brauche ich auch jemanden, der mir mit dem Kleid hilft.“ Sie hatte also schon ein Kleid gefunden? Schön, dass ich das auch erfuhr – sollte ich ihr nicht bei der Auswahl helfen? „Ein Ball? Morgen?!“, rief Herbert dazwischen und verschluckte sich dabei fast an seinem Milchkaffee. „Wenn ich auch mal was sagen darf…?!“ Stille. Der gute, alte, autoritäre Befehlston… „Was denn, Liebling?“ …und die Immunität aller Frauen gegen selbigen… „Könnten wir bitte einfach nur ganz in Ruhe Frühstücken?“, bat ich. „Aber natürlich.“, erwiderte sie mit Engelsstimme, „Ich möchte nur kurz Alfred über den Stand der Dinge informieren, damit er dich dann bei der Organisation unterstützen kann.“. Ich kapitulierte, „Ja, Schatz.“. Dann frühstückte ich eben in der Atmosphäre eines Marktplatzes. „Also, Alfred… Das rote Ballkleid kennst du ja sicher noch?“ Die Wahl war also auf das rote Kleid gefallen. „Ja, klar. Wie könnte ich das vergessen haben?“ Wie auch, so wie er sie angestarrt hatte – meine Sarah! „Jedenfalls habe ich jetzt ein paar Stoffblüten, die ich gern auf dem Kleid angebracht hätte…“ Oh, sie hatte diese gefährliche Art an sich, jeden einzuwickeln. „Verstehe, dabei soll ich dir dann helfen?“ Nein, Probestehen, während Sarah sie annäht… Viele Frauen hatte er wohl noch nicht kennen gelernt. „Du hast es erfasst. Das wäre wirklich total lieb von dir.“, bei diesem Blick würde auch er zu ihrem Sklaven werden… Diesem Gespräch folgend trank ich nach und nach meinen Kaffee aus und aß eins dieser Croissants. Auch Herbert hatte das Gespräch offenbar verfolgt, während er gegessen hatte. „Morgen findet hier also ein Ball statt, habe ich das richtig mitbekommen?!“, meldete er sich zu Wort. „Ja, morgen Abend findet in diesem Schloss ein großer Ball statt, zu dem das gesamte Gefolge eingeladen ist.“, fasste ich leicht genervt alle wichtigen Informationen zusammen. Man konnte förmlich sehen, wie sich Herberts Augen zu weiten begannen, „So richtig mit Déco und allem drum und dran?“. „Genau, und es wird wunderbar!“, nahm Sarah jetzt wieder an unserem Gespräch teil, „Oh, du wirst ja gar nicht mittanzen können… Tut mir leid für dich, daran habe ich überhaupt nicht gedacht.“ Damit hatte sie einen wunden Punkt bei Herbert getroffen – er und nicht tanzen können. Als wäre es sein Stichwort gewesen, setzte er sich auf und versuchte aufzustehen, „Ich denke, bis morgen krieg ich das hin. Mein Fuß tut auch schon fast gar nicht mehr weh…“. Was er jetzt wohl vor hatte… Was für eine Frage! Er war aufgestanden und humpelte einige Schritte zur Tür, wo er sich jedoch bereits wieder festhalten musste. An ihm war wirklich ein Schauspieler verloren gegangen, wie er versuchte, sich die Schmerzen nicht anmerken zu lassen. „Herbert! Setzt dich sofort wieder hin.“, fast zeitgleich eilten Alfred und ich zu ihm, um ihm zurück aufs Sofa zu helfen. „Aber ich muss mir noch was zum Anziehen raussuchen für morgen!“, protestierte er. „Das kannst du auch später noch tun. Mit einem verstauchten Knöchel ist nicht zu spaßen!“, mahnte Alfred. Interessant, er nahm mir die Worte aus dem Mund. „Aber morgen kann ich ganz bestimmt schon wieder richtig laufen!“, war der letzte Einwand von Herbert, bevor ein helles Gelächter alles übertönte. Was fand Sarah bitte so lustig? Meiner Meinung nach war die Lage eher ernst. „Du hättest dich mal sehen sollen!“, lachte sie, „Und du willst morgen tanzen?!“. Sie kriegte sich kaum mehr ein, „Mit der Nummer könntest du Koukol Konkurrenz machen!“. Wenn man es recht bedachte – auch ich musste schmunzeln. Nur Herbert fand das ganz offensichtlich kein bisschen witzig, „Ihr seid ja so fies! Ich habe Schmerzen und muss hier leiden und ihr lacht mich auch noch aus!“. **************************************** Sarah hatte Recht, es sah wirklich ziemlich amüsant aus, wie Herbert uns stark humpelnder Weise davon überzeugen wollte, dass er morgen Abend auf einem Ball würde tanzen können. So wie er das Bein nachzog, hatte es tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit mit Koukol – aber das war hier nicht der Punkt. Es war nicht gerade nett von Sarah, ihm das auch noch so ganz direkt ins Gesicht zu schleudern. Wenn Herbert gekonnt hätte, wäre er sicherlich aus dem Zimmer gestürmt und hätte die Tür hinter sich zugeknallt. Doch diesmal musste er mit ansehen, wie sich Sarah nur langsam beruhigte und sich auch der Graf ein kleines Grinsen nicht verkneifen konnte. „Sarah, wolltest du nicht, dass ich dir mit dem Kleid helfe?“ Irgendwer musste die unangenehme Situation für Herbert ja auflösen, wenn er selber dazu nicht im Stande war. „Ja, es wäre toll, wenn du mir die paar Blüten annähen könntest.“ „Das kann ich gern machen. Dann lass uns gehen.“ „Ähm, ja. Moment…“, etwas überrascht, weil ich plötzlich so darauf drängte zu gehen, stellte sie ihre Tasse wieder auf das Tablett zurück und folgte mir auf den Flur. „Also, wo hast du dein Kleid und die Blüten?“, fragte ich, sie mit einem zumindest ein klein Wenig bösen Blick bestrafend. „Komm mit, ich zeig dir alles. Nähzeug müsste auch irgendwo in dem Zimmer rum liegen.“, antwortete Sarah, als wäre nichts gewesen. Kurz drauf befand ich mich in einem kleinen Zimmer mit einem Tisch, einem Stuhl und einer mit Kleiderschränken zugestellten Wand und war damit beschäftigt, schwarze Seidenrosen an Sarahs Ballkleid zu nähen. Sarah hatte sich mit der Entschuldigung, noch eine Menge zu tun zu haben verdrückt. Diese ‚paar’ Blüten schätze ich so auf drei Duzend und die Erinnerung an die Hemdknöpfe des Professors holte mich wieder ein – wie ich es gehasst hatte. Nicht, dass ich es nicht hinbekommen hatte – im Gegenteil, in der Schule war ich immer einer der Besten in Handarbeit, aber es machte mir einfach keinen Spaß. Ein Grund dafür war wohl die Tatsache, der einzige Junge im Handarbeitskurs einer Dorfschule gewesen zu sein… “Haatschi!“ Ich hatte zwar keine Uhr bei mir, doch es waren wohl gut drei Stunden, die ich mit diesen dämlichen Blüten zugange war. Sie wollten einfach nicht dort halten, wo sie hinsollten und der Stoff war einfach zu glatt und fließend. Letztendlich war es mir irgendwie gelungen, jede einzelne von ihnen zu befestigen. Das Kleid würde ich hier hängen lassen und Sarah einfach bescheid sagen, dass ich fertig war. Wie hinreißend sie darin aussehen würde… Als ich das Kaminzimmer wieder betrat, um zu sehen, wo sich Sarah gerade aufhielt, entdeckte ich nur Herbert, der es sich verkehrt herum auf der Ottomane bequem gemacht und den rechten Fuß oben auf der Rückenlehne platziert hatte. In den Händen hatte er irgendein Buch, das er über seinem Gesicht hielt und gelegentlich umblätterte. Leise räusperte ich mich, „Hast du Sarah gesehen?“. „Nein und die kann mir auch gestohlen bleiben.“, Herbert ließ das Buch sinken und drehte den Kopf zu mir, „Was willst du denn von ihr?“. „Das Kleid ist fertig…mehr wollte ich ihr nicht sagen.“, erzählte ich. „Na dann kannst du ja jetzt mir wieder Gesellschaft leisten?“, fragte er mit erwartungsvollem Blick. „Sobald ich Sarah gefunden habe, gern.“, mit diesen Worten verließ ich den Raum und begab mich weiter auf die Suche nach ihr. Zu meiner Erleichterung traf ich sie zusammen mit dem Grafen auf dem Korridor vor dem Ballsaal, den die beiden gerade hergerichtet hatten, und berichtete ihr von der Vollendung des Kleides, was sei dankend zur Kenntnis nahm. Unglaublich, wie anstrengend es sein kann, stundenlang an einem Tisch zu sitzen und zu nähen… Eine kleine Pause würde mir gut tun und Herbert wäre nicht mehr so allein. Außerdem war ich viel zu erledigt, um noch irgendetwas anderes zu tun, als mich nur noch in einen Sessel fallen zu lassen. Heute würde ich mit Sicherheit früher schlafen gehen, denn morgen musste ich schließlich ausgeruht sein. Gerade, als ich mich zu Herbert auf das Sofa gesetzt und alle Viere von mir gestreckt hatte, fiel ihm ein, dass ihm langweilig war, „Du, Alfi?. Fing es nicht immer so an? „Was denn, Herbert? „Ich würde gern noch etwas an die frische Luft gehen. Ich musste ja schon die ganze Nacht hier rumhocken…“, argumentierte er. „Es ist viel zu spät, um noch das Schloss zu verlassen, das weißt du doch.“, war mein rettender Einwand. „Wir müssen das Schloss doch auch gar nicht verlassen. Wozu gibt es denn hier Balkone?“, setzte er zwinkernd nach. Okay, so rettend war mein Einwand doch nicht. „Aber nicht zu lange, du musst deinen Fuß immer noch schonen…“, versuchte ich, zumindest einen Kompromiss zu schließen. Belohnt wurde ich mit einem strahlenden Lächeln, „Klar doch, ich verspreche dir auch, mich gleich danach in den Sarg zu legen! …Nur zehn Minuten!“. Gott sei Dank, es war ein Ende in Sicht. Auch wenn ich nicht wusste, warum er ‚nur zehn Minuten!’ auf mich gestützt auf dem Balkon stehen und die Sterne betrachten wollte, war ich froh, als wir wieder in der Gruft angekommen waren und schlussendlich auch ich in meinem Sarg lag. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)