Schwarze Wolken von --Shiranui-- ================================================================================ Kapitel 2: Die Stimme --------------------- Denk an den Tod, wenn Leiden kommen; Sprich: Alle Trübsal eines Frommen Ist zeitlich, und im Glauben leicht. Ich leide; doch von allem Bösen Wird mich der Tod bald, bald erlösen; Er ist's, der mir die Krone reicht. (Christian Fürchtegott Gellert) (Beständige Erinnerung des Todes) Was für eine Ironie des Schicksals es doch gewesen war zu erfahren, dass sein eigener Bruder Shay sozusagen verraten hatte. Ja, Jack hatte so gut wie nie Geld und er griff nach jedem Strohalm, der ihm gereicht wurde, was das Geld anging. Aber, dass er nun auch noch Shay, seinen eigenen Bruder, ausspionierte traf den Künstler noch mehr. Er wünschte Jack jedes Schuldgefühl, das es gab. Für einen Moment hatte Shay daran gedacht ebenfalls eine Beleidigung an die Wohnungstür seines Bruders zu schreiben, dann verscheuchte er aber den kindischen Gedanken, denn so wie Jack sich verhalten hatte, als er bemerkt hatte dass Shay Wind von der Sache bekommen hatte, konnte er sich denken dass die Schuldgefühle durchaus vorhanden waren. Viel eher stieg nun die Wut über Freddie in Shay auf. Was dachte sie sich dabei, den Bruder ihres Mannes für so eine Aufgabe zu beordern? Sie hätte jeden anderen Schnüffler arrangieren können, aber nein, sie hatte sich für Jack entschieden. Die Rache einer Frau, sie war herzlos und traf den Mann garantiert. Trotzdem war es das erste Mal, dass irgendeine Frau ihn auf so eine Art bestrafte. Aber eigentlich hatte Freddie ja Recht. Schön, jetzt fängst du auch noch an dir selbst die Schuld zu geben... sprach Shay in Gedanken mit sich selber. Du hast ja auch Schuld. Wieso gehst du ihr auch immer wieder fremd? Sie ist eine hübsche Frau und hat dir zwei Kinder geboren. In Shay´s Kopf begann ein beinahe schon schizophrenes Gespräch, was aber zu keinem Ergebnis kam. Immer und immer wieder drehten sich die Gedanken im Kreis. Auf seinem Weg aus dem Haus hinaus und draußen über die Gehwege, achtete er nicht auf seine Umgebung. Er ging einfach den sowieso stark begangenen Bürgersteig entlang. Jeder Schritt endete in einer Pfütze, die von Sekunde zu Sekunde größer wurde. Es regnete unablässig weiter und Shay hatte keinen Schirm dabei. Warum war er auch mit dem Taxi zu seinem Bruder gefahren? Dabei hatte er doch ein eigenes Auto. Du warst letzte Nacht zu betrunken und hast vergessen wo du geparkt hast. antwortete ihm die unscheinbare Stimme im Hinterkopf. War es jetzt soweit? Wurde er wahnsinnig, bloß weil seine Frau ihn verlassen hatte? Dieses Selbstgespräch in seinem Kopf machte Shay nervös. Dabei stand ja noch in den Sternen, ob Freddie ihn für immer verlassen hatte. Schließlich hatte sie doch gesagt, sie würde nur zur ihrer Mutter fahren, solange bis er seinen schwanzgesteuerten Körper unter Kontrolle gebracht hatte. Shay rempelte ab und an einige Leute an, die sich gegen den Strom bewegten. Immer wieder wurde er von jemanden beschimpft. Dann sah er auf und bemerkte, dass er es war der sich gegen den Strom bewegte. Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom. Shay schmunzelte und sah zur Straße. Sie war überfüllt. Der Marsch zum Plaza würde noch ziemlich lange dauern. Zumindest glaubte Shay, dass er irgendwo dort den Wagen abgestellt hatte. Er war sich sogar ziemlich sicher. Eigentlich wäre es am einfachsten, sich in eine Ecke zu setzen und zu warten bis die Rush Hour vorbei war und sich dann wieder ein Taxi zu rufen. Er wusste schon, warum er New York City nicht mochte, auch wenn es ein Sprungbrett seiner Karriere bedeuten konnte (If I can make it there...). Alles ging zu schnell und hektisch vorran. Manchmal konnte man das Gefühl haben, dass man sich schon im letzten Jahrhundert befand, sobald man auch nur für eine Sekunde stehen blieb und egal, ob man nun weiter mit oder gegen den Strom schwamm, die Zeit war sowieso schneller als man selber. Das war überhaupt die Erklärung: Shay würde in einigen Monaten 36 Jahre alt werden und eigentlich hatte er noch nichts vom Leben gehabt, wollte noch ein wenig Spass mit den Frauen haben. Natürlich hatte er seine Frau und Kinder... (Ja, hatte trifft es sehr gut. Du hattest deine Frau und Kinder!). Shay blieb an einer Ampel stehen und raufte sich die Haare. Was war nur los mit ihm, heute? Es konnte einfach nur mit Stress erklärt werden, dass er sich dieses Selbstgespräch zusammenreimte. Die letzten Tage waren einfach purer Stress gewesen. Mit jedem Tag, an dem die Ausstellung näher rückte, war er angespannter gewesen und hatte noch nicht einmal mehr den Nerv gehabt sich mit seinen Kindern zu beschäftigen. "Für mich hast du ja eh keine Zeit mehr...." hatte Freddie gesagt und kümmerte sich auch nicht weiter darum, dass es für Shay kein anderes Thema mehr gegeben hatte als die Kunstausstellung. Trotzdem hatte sie sich immer geduldig angehört, wenn er sich mit ihr darüber unterhalten hatte. Immer wieder hatten ihn die Selbstzweifel geplagt. "Ich schaff das nicht!" "Doch, du schaffst das. Hey, kennst du nicht das Märchen von Aschenputtel?" "Dann sieh mal zu wie du mir eine gute Fee beschaffst. Und achte bitte drauf, dass der Zauber länger als bis Mitternacht andauert. Schließlich will ich noch ne Menge Geld verdienen." An der Stelle hatten beide immer angefangen zu lachen und Shay schöpfte wieder Mut. Manchmal hatte er das Gefühl, er sei ein übergroßes Kind, wenn er sich so anstellte. "Nein, du bist kein Kind. Denn Kinder versuchen immer erwachsen zu sein." Freddie hatte zu jeder Lebenssituation einen passenden Spruch zur Hand gehabt. Auch als die Ampel Grün zeigte, blieb Shay am Rand des Bürgersteig stehen, wurde von Menschen angerempelt und zur Seite gedrängt, die sich murmelnd darüber beschwerten, dass er nicht endlich seinen Arsch in Bewegung setzte. Shay kämpfte gegen die Tränen an. Das tat er wirklich. Ihm war als habe er einen riesigen Kloß im Hals, den er verzweifelt versuchte herunter zu schlucken. Er blinzelte einmal und versuchte das Regenwasser aus seinen Augen zu bekommen, welches seinen Blick verschleierte. So ging er über sie Straße und bemerkte nicht, dass es schon längst rot gewesen war, aber das war auch eigentlich egal, der Verkehr war auch weiterhin sehr träge und zähflüssig. Zwar hupten auch diesmal wieder einige Idioten, die ihm wahrscheinlich auch noch die Schuld daran gaben, dass es nicht weiterging im Verkehr. "Halts Maul du verdammter Pisser!" gab Shay irgendwann zurück, als ein besonders junger Autofahrer - wahrscheinlich grad mal um die siebzehn - ihn als senilen alten Sack beschimpfte, der sich gefälligst in den Bus setzen sollte. Die Menschen hier in New York City waren viel zu unfreundlich. Kein Wunder bei den grauen Hochhäusern, die teilweise so hoch standen, dass sie der Sonne kaum noch Möglichkeit gaben den Boden zu bescheinen. Das war ebenfalls eine Ironie. Sie versuchten der Sonne näher zu sein, aber sie entfernten sich so immer mehr von ihr. Ganz anders als in Utica. Dort wirkte die Umgebung nicht unfreundlich und beengend. Eher genau das Gegenteil, so kam es Shay zumindest vor. Die Gegend wirkte beruhigend und manche hatten auch das Gefühl es sei das letzte Hinterweltlerkaff. Aber genau das mochte Shay an seiner Heimat. Wenn er im Laufe des Tages seinen Wagen wiedergefunden hatte, dann würde er so schnell wie möglich von hier verschwinden und sich ersteinmal einige ruhige Stunden machen. Danach würde er seiner Schwiegermutter einen Besuch abstatten... Es war früher Abend und Shay war nicht losgefahren, um Freddie zurück zu holen. Stattdessen war er alleine durch jedes einzelne Zimmer gegangen, hatte sich alles angesehen wie jemand der das letzte Mal durch sein Zuhause wanderte. An der Hand hatte Shay eine Flasche Bier und gedankenverloren nahm er immer wieder einen leichten Schluck aus der Flasche. Für einen Moment hatte er sogar gedacht, dass diese Ruhe doch mal eine angenehme Abwechslung zu dem normalen Familientreiben war. Dass ihm dieser Gedanke unter anderen Umständen doch falsch vorkommen würde, realisierte Shay nicht und nahm eine kleine Schatulle zur Hand. Er befand sich nun im Zimmer seiner Tochter. Die Kleine war erst acht Jahre alt und genau zu diesem Alter passend, war auch das Zimmer eingerichtet. Weiße Wände mit einem leichten Stich Rosa. Stofftiere und Puppen reihten sich auf einem langen Regal und in einer Ecke war ein kleiner Tisch, mit einer Miniaturversion von einem Teeservice. Das Bett war klein. Sarah wünschte sich schon seit langer Zeit ein großes Bett, so wie das von Mummy und Daddy hatte sie immer gesagt. Shay und Freddie hatten schon einige Zeit darüber nachgedacht ein größeres Bett zu kaufen. Zwar nicht so groß wie das Ehebett, aber eins in Jugendgröße. Als Shay die Schatulle, auf dem kleinen Nachtschränkchen öffnete, erklang eine leise Melodie. Er hatte dieses Stück schonmal gehört. Da war er sich ziemlich sicher, aber es wollte ihm beim besten Willen nicht einfallen woher er die Melodie kannte. Damals, als er die Schatulle gekauft hatte, da hatte er sich schon gefragt woher er die Melodie kannte. Bisher war er aber zu noch keiner Lösung gekommen. Und Freddie, sie kannte die Melodie gar nicht. Irgendwann hatte sie gesagt es sei für sie nur ein sinnloses Geklimper. Nur Menschen mit besonders starker Fantasie würden da eine Melodie raushören. Was sich im ersten Moment ziemlich hart anhörte, war in Wirklichkeit das, was Shay auch sehr an Freddie schätzte. Sie hatte so gut wie immer die Füße auf dem Boden und betrachtete alles aus einer rein objektiven Perspektive. Sie war ziemlich anders als Shay, eigentlich der komplette Gegensatz. Wärend er das Leben noch im ziemlichen Saus und Braus lebte, hatte Freddie eine ausgeglichene, nüchterne Sichtweise. Wahrscheinlich hoffte sie selbst heute noch, dass er, Shay, bald ruhiger werden würde. Aber bisher hatte es sich noch nicht so ergeben. Was war den auch so schlimm daran, Abends nochmal etwas trinken zu gehen? Schlimm daran ist, Shay Brown, dass du nach fast jeder Saufparty eine andere Frau abschleppst! Er hielt sich den Kopf, entleerte die Bierflasche und ging aus dem Zimmer herraus. Für einen Moment hatte er sogar geglaubt Sarah lachen zu hören, obwohl die Kleine gar nicht hier war. Waren das also die ersten Anzeichen dafür, dass er irre wurde? Shay beschloss, damit zu einem Arzt zu gehen. Aber erst musste er zusehen dass Freddie wieder zurück kam. Dieses Haus wirkte auf einmal nämlich gar nicht mehr so ruhig und friedlich. Die drückende Stille machte Shay sogar Angst. Früher hatte er sehr lange alleine gelebt und er hatte keine Probleme damit gehabt. Ganz im Gegenteil: Er konnte sich noch nicht einmal vorstellen mit irgendwem zusammen zu leben, geschweigedenn Kinder zu haben. Das war jetzt mindestens zehn Jahre her. Shay erinnerte sich nicht mehr genau daran. Irgendwie erbärmlich wenn er darüber nachdachte. Letztendlich schob er es dem Alkohol in die Schuhe, dass er sich nicht daran erinnerte. Du hast diese eine Flasche grad ausgetrunken und dann sagst du, du könntest dich deshalb nicht daran erinnern? Lass dir eine bessere Lüge einfallen, Shay Brown. "Hör auf mit mir zu reden!!" rief Shay in den leeren Raum, aber es kam keine Antwort. Ob er sich jetzt darüber freuen sollte, oder aber nicht wusste er nicht. Fest stand, dass er sowas noch nie erlebt hatte. Klar, jeder redet im Kopf mal mit sich selber, aber diese Stimme in seinem Kopf... das war nicht seine Stimme. Diese Stimme gehörte jemand anderem. Fast schon glaubte Shay, dass wenn er jetzt in einen Spiegel sah, dass er einem anderen Gesicht entgegen blickte, aber als er seinen Rundgang durch das Haus im Badezimmer beendete, starrten ihn die selben, müden Augen an die er schon seit einigen Jahren kannte. Keine Veränderung. Der Eichelhäher war tot. Er hatte nicht flüchten können, trotz seiner Flügel. Aber Kuroi hatte sich rechtzeitig in Sicherheit bringen können. Nicht unweit der Stelle, wo er vorher noch gestanden hatte und der Vogel ihn ausgelacht hatte, hatte er eine verlassene Bärenhöhle gefunden. Dort war Kuroi bis in den hintersten Winkel geflüchtet, bloß um den schwarzen Wolken nicht in die Fängen zu geraten. Ja, Fänge waren das richtige Wort. Es waren zwar Wolken, aber normalerweise blieben keine zerstörten Städte und Landschaften da zurück wo Wolken weiter gezogen waren. Aber hier war es so. Kuroi hockte sich auf den Boden und hob das zerzauste Federknäul hoch. Der Kopf des Vogels hing schlaff herunter und auch der Ansatz seiner Zunge war zu sehen, wie er aus dem Schnabel hervorragte. Wie eine gefräßige Masse hatten sich die Wolken über das Land gezogen und hatten erneut eine verwüstete Landschaft zurück gelassen. Bäume, die in ihren besten Jahren waren und vor weniger als einer halben Stunde noch gegrünt hatten, waren nun wie verdorrt und schon seit Jahren tot. Kuroi wusste, dass sich in den südlichen Ländern Heuschrecken, ähnlich wie die schwarze Wolken, durch das Land fraßen und so gut wie nur Einöde zurück ließen, aber das hier war nicht das Werk eines Schwarm von Heuschrecken. Ein Krächzen ließ Kuroi aufschrecken. Raben! Raben flatterten in einem großen Schwarm über ihn hinweg und suchten Schutz vor... Kuroi drehte sich um. Die Wolken hatten sich am Horizont zu einer riesigen Masse aufgestaut und ähneltem nun einem riesigen Monster. Gefolgtes Donnergrollen ließen den Anschein erwecken, dass das riesige Monster brüllte und Kuroi bekam es mit der Angst zu tun. Etwas traf ihn am Kopf und mit Schrecken stellte er fest, dass es ein Rabe war der tot vom Himmel gefallen war. Der Boden unter dem leblosen Wesen färbte sich blutrot, als der Körper in sich zusammensackte wie ein Hefeteig, in dem man ein Loch gestochen hatte. Wenige Sekunden später lag vor Kuroi nichts anderes als eine leere Hülle, die nur erraten ließ, dass es sich vorher um ein lebendes Wesen gehandelt hatte. Es schien als wenn sich das Knochengerippe in Luft aufgelöst hätte, mitsamt sämtlichen Eingeweiden, nur Blut kam aus nicht vorhandenen Wunden geflossen. Die Hand des Mannes wurde warm. Dem Eichelhäher passierte das selbe. Das noch warme Blut floss an Kurois Hand herab, zwischen seinen Fingern herunter und landete mit kaum hörbarem Platschen auf dem, vom einsetzenden Blutregen, dunkelroten Boden. Als die restlichen Raben unter dumpfen Plomp zu Boden fielen, hätte Kuroi am liebsten geschrien, aber Kuroi war stumm. Lediglich in seinen Gedanken konnte er der Panik Laute verleihen. Als Shay am frühen Mittag des nächsten Tages mit dem Auto über die Landstraße fuhr, um zu seiner Schwiegermutter zu kommen, bemerkte er die ungewöhnliche Menge an Raben, wie sie auf den Bäumen saßen. Es war schönes Wetter. Die Sonne strahlte heiß auf den Asphalt und Shay hatte die Fenster des Wagens, wärend der Fahrt geöffnet. Die schwarzen Vögel krächzten laut und wild miteinander. Shay konnte noch nicht einmal verstehen, was das Radio von sich gab. Verwundert über das merkwürdige Verhalten und darüber nachdenkend, ob es da nicht irgendeine Verbindung zu seinem Traum in der heutigen Nacht gab, kurbelte er die Fensterscheiben wieder hoch und drehte das Radio etwas lauter auf. Anscheinend befand er sich in einem Funkloch, denn der Ton kam rauschend und leise aus den Lautsprechern. Als es keine Veränderung gab, drosselte Shay das Auto ein wenig und fuhr langsamer auf der leeren Straße entlang, um nach einem anderen Sender zu suchen. Plötzlich gab es wieder einen Ton, durchgehend und kaum zu identifizieren, aber nach kurzer Zeit merkte er dann, dass es sich nicht um das Radio handelte, welches wieder Laute von sich gab. Es waren die Raben die lauthals am Krächzen waren. Selbst im Auto klang es unerträglich. Begleitet von einem kräftigen Windzug, der die Bäume am Straßenrand sich biegen ließ erhob sich die Masse an schwarzgefiederten Wesen in die Lüfte und flatterte davon, dem Horizont entgegen. Das Krächzen verklang in der Ferne und nach weiteren Sekunden, in denen das Radio noch immer statisches Rauschen von sich gab, erfüllte auch wieder Musik das Auto. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)