Fade to grey von Deikith ================================================================================ Kapitel 1: Fade to grey ----------------------- Fade to grey Dunkelheit umringte ihn wie einen schwarzen Mantel. Und doch fürchtete er sich nicht vor ihr, sondern fühlte sich mit der wabernden Schwärze verbunden, wie es wahrscheinlich kein anderer war. Seine Schritte waren fast lautlos und niemand, der ihn hätte angreifen wollen, wäre unbemerkt an ihn heran gekommen. Doch hier, an diesem Ort, hatte er keine Gefahr zu erwarten, auch wenn er sich bisher nie an einem Ort wirklich sicher gefühlt hatte. Das Auto wurde vom weißen Mond angestrahlt, der durch die leichten Wolken fast milchig wirkte. Sein Weg führte ihn gradewegs zu dem Wagen, doch kurz bevor er sein Ziel erreichen konnte, zog etwas anderes seine Aufmerksamkeit auf sich. Er wunderte sich über das, was er sah. Er konnte sich nicht vorstellen, dass dieser Ort ideal zum Schlafen war und doch lag auf der Bank, direkt neben dem kleinen Restaurant auf dem dreckigen Rastplatz ein junges Mädchen. Er konnte ihr Gesicht nicht sehen, sie trug eine Kapuze und lag mit dem Rücken zu ihm. Langsam, ohne das leiseste Geräusch zu verursachen trat er an die Bank heran, beugte sich über das junge Mädchen. Vorsichtig, um sie nicht zu erschrecken, berührte er sie an der Schulter und rüttelte sie wach. Zuerst schien es ihm so, als würde sie gar nicht auf seine Berührungen reagieren, doch dann regte sich der Körper ganz leicht. Sie drehte den Kopf um und öffnete die Augen. Schnell schien sie zu realisieren wo sie war und fuhr mit einem erstickten Keuchen hoch. „Lassen Sie mich in Ruhe!“ rief sie aus, auch wenn ihre Stimme bei weitem nicht so fest und bestimmt klang, wie sie es wahrscheinlich gern gehabt hätte. Ihre Augen waren dunkel und voller Angst. Er hatte keine Ahnung, was diese Augen schon alles mit angesehen hatten und was dieses Mädchen schon erlebt hatte. „Keine Angst,“ sagte er leise, um sie nicht noch weiter zu ängstigen, „ich tue dir nichts, aber es ist seltsam, ein junges Mädchen in einer so einsamen und gefährlichen Gegend allein anzutreffen.“ Sie setzte sich auf, zog die sich die Kapuze etwas weiter ins Gesicht und starrte an ihm vorbei in die Dunkelheit des Waldes, an dessen Rand der Rastplatz gelegen war. „Und? Ist es neuerdings modern, dass alte Männer Mädchen in meinem Alter ansprechen?“ Er musste grinsen, schüttelte dann aber den Kopf. „Wie gesagt,“ seufzte er, „ich habe mich nur gewundert, dass ist alles.“ Sie zuckte mit den Schultern, so als wolle sie sagen, dass es ihr eigentlich egal war, welche Beweggründe ihn dazu gebracht haben mochten, sie aufzuwecken. Er musterte sie eine Weile. Seiner Einschätzung nach musste sie vielleicht 16 oder 17 Jahre alt sein, vielleicht auch etwas jünger. Durch ihre abgenutzte Kleidung wirkte sie vielleicht etwas älter. „Was ist, überlegst du grade, ob du mich mit zu dir nach Hause nehmen willst?“ Sie warf ihm einen bösen Blick zu, doch er schüttelte nur den Kopf. „Nein... nicht ganz, ich will doch schon mitnehmen, aber der Ort, an dem ich fahre ist nur mein momentanes zu Hause.“ Sie stand auf und klopfte sich ein paar Blätter von ihrer Hose, dann wandte sie sich an ihn, verbarg ihr Gesicht aber weiterhin unter der Kapuze, so dass ihr Blick nur zu erraten war. Er schaute an ihn herab. Ihre Hände hatte sie ebenfalls in dem viel zu großen Pullover verborgen. Wenn er länger über diesen Anblick nachdachte, musste er zugeben, dass von ihrer Haut so gut wie nichts zu sehen war. Nur die helle Haut ihres Gesichts schimmerte ein wenig im Licht des Mondes. „Ist dir kalt, Kleine?“ Sie warf ihm wieder einen bösen Blick zu, den er aber auf Grund seiner Äußerung mehr erahnen, als wirklich sehen konnte und schüttelte dann aber letztendlich doch den Kopf. „Und warum versteckst du dich dann unter diesem riesigen Pullover?“ fragte er verwundert. Sie senkte den Kopf, schwieg eine lange Zeit, dann schaute sie ihn wieder an. „Weil... weil es besser so ist. Für mich und für andere.“ Sie wehrte seinen fragenden Blick irgendwie ab. Er spürte, dass sie nicht darüber reden wollte und respektierte den Wunsch des Schweigens ihrerseits. „Ich dachte, du wolltest mich mitnehmen, fremder Mann.“ Sie schaute ihn fragend an. Er winkte sie in Richtung des Wagens, blieb auf halbem Wege aber nochmals stehen und wandte sich an sie, streckte ihr seine Hand hin, die sie allerdings nur mit der mit Stoff bedeckten Hand ergriff. „Logan,“ sagte er, „mein Name ist Logan.“ Sie nickte langsam und schob sich mit der freien Hand die Kapuze ein wenig aus dem Gesicht. Der Blick auf ihre Augen lag nun frei. „Mein Name ist Rogue.“ Logan zog eine Augenbraue in die Höhe. „Ich will dich ja nicht beleidigen, aber was soll das für ein Name sein?“ Sie seufzte leise. „Mein richtiger Name ist Marie. Reicht dir das als Antwort?“ Er nickte nur, sagte aber nichts mehr, sondern ging nun auch noch die letzten Schritte zum Wagen und hielt ihr die Beifahrertür auf. Sie nahm Platz, sagte nun aber auch nichts mehr. Er setzte sich auf den Fahrersitz, startete den Motor und lenkte den Wagen auf die Straße. Wieder umhüllte ihn die Dunkelheit, auch wenn er diesmal noch durch den Wagen von der direkten Berührungen mit dem Schwarz dort draußen getrennt war. Noch einmal warf er einen Blick auf das Mädchen, Marie, neben sich, die sich ganz eng an den Sitz gekuschelt hatte und scheinbar zu schlafen schien, dann konzentrierte er sich vollkommen auf die Straße vor ihm. Erst weit nach Mitternacht passierten sie die Grenze zum Staat New York. Marie schlief schon die ganze Fahrt über neben ihm auf dem Beifahrersitz. Logan fragte sich, wo sie herkam und wie weit ihre Reise wohl schon gewesen sein mochte. Es dauerte noch weitere zwei Stunden bis Logan den Wagen vor einem riesigen Anwesen zum Halten brachte und den Motor abstellte. Marie regte sich leicht, schlug die Augen auf und sah sich um. Ein großer Park mit einem riesigen alten Haus erstreckte sich vor ihr. „Hier wohnst du?“ fragte sie erstaunt. „Nicht allein, aber ja, zur Zeit wohne ich hier.“ Sie ließ ihren Blick voller Verwunderung über die Mauern des Hauses gleiten, dann wandte sie sich an ihn. „Was ist das hier?“ Er lächelte leicht. „Eine Schule. Nun, Schule drückt es vielleicht nicht ganz passend aus. Weißt du, hier kommen die Personen hin, die anders sind als all die Menschen dort draußen. Sie finden hier Zuflucht und sind in Sicherheit. Hier muss niemand Angst haben, gejagt und diskriminiert zu werden.“ Ihre Augen weiteten sich, als er ihr das erzählte. „Was sind das hier für Leute?“ Logan stieg aus dem Auto aus und sie tat es ihm nach. „Mutanten. Auch wenn ich diesen Begriff an sich schon ziemlich abwertend finde. All die Leute hier haben Fähigkeiten, die weit über das Verständnis der einfachen Menschen hinausgehen und deshalb verachten sie Personen wie uns.“ Er hatte „uns“ gesagt. Absichtlich. Sie schaute ihn fragend an, doch er ging nicht weiter darauf ein, sondern bedeutete ihr, ihm zu folgen. Er führte sie eine Treppe hinauf, in eine riesige Halle. Marie sah sich staunend um. Das Haus musste riesig sein, wenn allein schon die Eingangshalle solche Ausmaße hatte. „Ich werde dich dem Professor vorstellen. Ihm gehört dieses Institut hier. Ich weiß nicht, wie man hier auf normale Menschen reagiert, aber ich denke, dir wird schon nichts geschehen.“ Marie senkte nun wieder den Blick. „Logan... ich ... ich bin kein so normaler Mensch wie du vielleicht denkst. Auch ich... habe Kräfte, auch wenn ich sie nicht verstehe.“ Mit diesen Wort schob sie den Ärmel ihres Pullovers hoch und fasste vorsichtig mit ihrer Hand auf seinen Unterarm. Zuerst schien es fast so, als würde nichts passieren, doch dann hatte Logan auf einmal das Gefühl, dass irgendetwas aus ihm herausgesaugt wurde, auch wenn das noch so seltsam klang. Marie ließ seinen Arm ruckartig los, sie atmete schwer. „Siehst du was ich meine. Ich weiß nicht wie, aber irgendwie bin ich in der Lage, anderen Menschen ihre Lebenskraft zu nehmen, einfach nur, indem ich sie berühre.“ Sie verbarg ihre Hand wieder im Ärmel des Pullovers und wandte sich von ihm ab. Logan musste zugeben, dass ihm eine Person wie dieses Mädchen noch nie begegnet war. „Aber grade dann bist du hier am richtigen Ort, denkst du nicht?“ Sie zuckte mit den Schulter. Vielleicht hatte er da sogar recht, aber wer würde ihr schon helfen können. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass er wusste, wie es war, wenn man niemals einen Menschen berühren konnte. Wie man sich fühlte, wenn man verliebt war und dem Geliebten nicht nahe sein konnte. „Hey, Kleine, komm mit, du solltest schlafen. Und morgen bringe ich dich zum Professor.“ Sie nickte langsam. Ihren Bewegungen nach zu urteilen hatte sie ein paar Stunden Schlaf in einem weichen Bett dringend nötig. „Ich hoffe es ist okay, wenn ich dich erst mal in mein Zimmer bringe. Ich habe keine Ahnung, ob ich dir einfach so ein Zimmer zuweisen kann,“ wandte er sich an das junge Mädchen. Sie nickte wieder. Er führte sie ein Treppe hinauf und zu einer Holztür. Als er sie öffnete gab sie den Blick auf ein großes gemütliches Zimmer frei. Logan wies auf das Bett. „Leg dich ruhig hin. Ich werde auf der Couch schlafen.“ Sie folgte der Aufforderung und legte sich in ihrer Kleidung auf das Bett. Logan lächelte, beugte sich über sie und zog die Decke über den zierlichen Körper. Gerade, als er sich wieder aufrichten wollte, rutschte die Kette, die er um den Hals trug aus seinem Hemd. Marie fasste danach, betrachtete das Metall. „Wolverine? Warum steht dieser Name auf dieser Plakette? Warst du mal in der Armee?“ Logan nahm den Anhänger vorsichtig aus ihrer Hand und versteckte ihn wieder und seinem Hemd. „Nein, ich weiß nur, dass ich diesen Anhänger und den Namen von den Personen habe, die mir das angetan haben.“ Er deutete mit diesen Worten auf seine Hände, aus denen plötzlich Krallen fuhren. Marie schrie auf, schlug dann aber die Hände vor den Mund und erstickte den Laut. Logan zog seine Krallen wieder ein. „Keine Angst, ich habe diese Waffe unter Kontrolle. Aber warum ich sie habe, weiß ich nicht. Auch hier konnte man mir nicht viel weiterhelfen. Es heißt nur, dass ich die Geschichte verdrängt habe und, dass das menschliche Gehirn nicht zu Erinnerungen gezwungen werden darf.“ Marie schaute ihn an. Die Angst aus ihren Augen war wieder fast gewichen. Es verwunderte Logan nicht, dass sie Angst hatte. Er hätte das auch, wenn er auf ein Wesen, das ihm ähnlich war, getroffen wäre. „Okay, wenn du willst, erzähle ich dir morgen mehr über mich, aber nun solltest du schlafen.“ Er wollte aufstehen, doch sie hielt ihn am Ärmel fest. „Logan... kannst du... kannst du hier bleiben, hier, bei mir?“ Ihre Stimme war ein Flüstern. Er nickte, legte sich neben sie auf das Bett und zog eine weitere Decke über sich. Sie schmiegte sich an ihn, wohlbedacht, ihn nicht mit ihrer Haut zu berühren. „Danke, es fühlt sich gut an, in deiner Nähe zu sein.“ Dann war sie schon eingeschlafen. Es war noch nicht sehr spät, als sie am nächsten Tag wieder erwachte. Das Bett neben ihr war leer und sie brauchte erst einige Augenblicke, ehe sie wusste, wo sie sich befand. Sie stand auf, schaute sich im Zimmer um. In diesem Augenblick öffnete sich die Tür und Logan kam herein. „Guten Morgen, Marie.“ Sie lächelte ihn an. Er trug ein paar Kleidungsstücke im Arm. „Ich dachte vielleicht, du willst Duschen und ein paar andere Sachen anziehen. Hier, ein paar lange Handschuhe habe ich auch finden können.“ Sie trat einen Schritt auf ihn zu und legte ihre Arme, die immer noch von dem Pullover verdeckt wurden, um seinen Hals. Vorsichtig erwiderte er ihre Umarmung. „Danke Logan, vielen Dank für alles,“ flüsterte Marie. Er nickte, dann zeigte er auf eine Tür. „Dort geht es ins Bad, Ich warte hier auf dich. Der Professor weiß schon bescheid. Er will dich nach dem Frühstück gerne sehen.“ Marie nickte und betrat das Bad. Logan blieb erst noch eine Weile auf dem Bett sitzen, dann trat er hinaus auf den Balkon. Es versprach ein schöner Tag zu werden. Aber er wusste auch, dass er noch in der Nacht das Haus wieder verlassen werden müsste. Der Professor hatte ihm gesagt, dass er für ihn einen Ort suchen sollte. Doch um die Kleine brauchte er sich keine Sorgen zu machen, sie war hier in Sicherheit und schließlich wollte er auch nicht ewig wegbleiben. Ganz in seine eigenen Gedanken versunken merkte er nicht, dass Marie hinter ihn getreten war. „Hey, Logan.“ Er fuhr herum. Sie wirkte ganz anders ohne den viel zu großen Pullover und die weite Hose. Die Kleidung die sie jetzt trug machte sie zu einem ganz normalen Teenager, bis auf die Handschuhe, die sich aber trotzdem nahtlos in das Bild einfügten. „Hübsch siehst du aus, Kleine. Und nun komm, lass uns essen.“ Mit diesen Worten führte er sie hinaus auf den Flur und zu einem großen Raum, der als Speiseraum diente. Er war fast leer. „Die anderen sind alle schon im Unterricht. Ich denke der Professor wird es gerne sehen, wenn auch du so bald wie möglich am Unterricht teilnimmst.“ Dann führte er sie an einen der kleinere Tische und bot ihr einen Stuhl an. Sie lächelte dankend und nahm sich die Zeit, ihn etwas näher zu betrachten. Er war groß, hatte braune Augen, die jede seiner inneren Regungen verrieten. Seine Statur war beruhigend für jemanden, der sein Freund war und beängstigend für seine Feinde. Logan seinerseits brauchte sie nicht zu beobachten. Jede ihrer Bewegungen und ihre Gestalt hatten sich gleich beim ersten Anblick in seinen Kopf gebrannt. Die braunen langen Haare und die rehgleichen braunen Augen waren genauso in seinem Kopf gespeichert wie das verlegene Lächeln. Er schüttelte leicht den Kopf als er sich bei diesen Gedanken erwischte. Marie könnte vom Alter her seine Tochter sein. „Okay Marie, was willst du essen.“ Sie wandte sich direkt an ihn. „Egal, ich könnte alles essen.“ Er nickte lächelnd und ging in einen Nebenraum, aus dem er nach einigen Augenblicken mit zwei Tellern wiederkam. „Du kannst essen soviel du willst. Wir haben genug.“ Eine Weile saß er schweigend neben ihr, sie aß langsam und nach ein paar Minuten schob sie den Teller von sich und atmete schnaufend aus. „Okay, ich glaube ich bin satt. Da waren die Augen größer als der Magen.“ Sie grinste frech. Nun wirkte sie tatsächlich wie ein ganz normaler Teenager. Logan stand auf. „Gut, dann kommen wir zum offiziellen Teil des Tages. Der Professor wartet.“ Er wollte sich umdrehen, doch sie hielt ihn am Handgelenk fest. Erstaunt drehte er sich um, doch ehe er etwas sagen konnte, hatte Marie sich auf die Zehenspitzen gestellt und ihn flüchtig auf den Mund geküsst. Der Augenblick war zu kurz, als das ihre Kräfte zum Tragen hätten kommen können und doch reichte die Berührung um sie zu verwirren. Auch Logan hatte damit nicht gerechnet. „Wofür war das denn?“ Sie errötete. „Nun... ein kleines Dankeschön. Dafür, dass du mir geholfen hast.“ Er nickte. Dann griff er nach ihrer Hand und führte sich hinter sie her. Vor einer großen Tür blieb er stehen, klopfte und ein paar Sekunden später wurde die Tür geöffnet. In dem dahinterliegenden Raum standen eine Frau und in einem Rollstuhl ein älterer Mann. Beide schauten den Besuchern entgegen. Der ältere Mann, von dem Marie annahm, dass es sich um den Professor handelte, rollte ihnen langsam entgegen. Auf seinem Gesicht lag ein freundlicher Gesichtsausdruck. Die junge Frau kam ebenfalls auf sie zu, lächelte Logan zu und streckte dann Marie die Hand hin. „Ich bin Jean Grey, die Ärztin des Hauses.“ Ihre Stimme war sympathisch und auch sie blickte Marie freundlich an. „Ich bin Rogue... ähm... Marie.“ Sowohl Jean als auch der Professor lachten leise. Nun streckte auf der Professor seine Hand aus. „Wer ich bin, kannst du dir sicher denken, ich bin Charles Xavier, Leiter dieser Schule und auch Leiter der X Men.“ Marie schaute ihn fragend an. „Nun ja, wir sind nicht nur eine Schule, sondern haben auch eine Truppe von Mutanten, die gegen das Unrecht dort draußen vorgehen. Logan gehört auch zu ihnen.“ Marie nickte langsam. „Ich... können Sie mir helfen? Ich meine, mir helfen damit umzugehen. Mit dieser Gabe, die es mir unmöglich macht, Menschen nahe zu sein?“ Ihre Stimme klangt traurig. Der Professor zeigte auf einen Sessel. „Setz dich Marie und dann reden wir.“ Er nickte Logan zu. „Ich warte draußen auf dich,“ sagte Logan zu Marie und wandte sich um. Sein Weg führte ihn zurück auf den Flur. Seufzend setzte er sich auf einen der Sessel und starrte aus dem gegenüberliegenden Fenster. Er hoffte inständig, dass Jean oder Xavier ihr irgendwie helfen konnten. Das Gespräch dauerte lange. Marie erzählte von ihrer Vergangenheit, davon, wie sie von zu Hause weggelaufen war und wie wegen ihr der Junge, in den sie verliebt gewesen war ins Koma gefallen war, nur weil sie sich geküsst haben. Der Professor und Jean hörten schweigend zu, unterbrachen sie nicht und ließen sie ihre Geschichte bis zum Ende erzählen. Xavier kam rollte langsam auf sie zu. „Deine Kraft ist eine der außergewöhnlichsten, die es unter uns Mutanten gibt, auch wenn du das noch nicht siehst. Du hast die Macht Menschen nicht nur ihrer Lebenskraft, sondern auch ihrer Erinnerungen zu berauben. Ich denke, die Steuerung dieser Kraft liegt nur in deiner Hand. Es muss im Kopf geschehen. Wenn du einem Menschen richtig vertraust, dann wirst du merken, dass du diese Kraft unter Kontrolle hast und sie nicht gegen ihn anwenden wirst. Ich kann dir nicht mehr sagen, da ich selbst auch erst einmal ein paar Nachforschungen anstellen muss, aber hier, wo du in Sicherheit bist, wirst du schnell merken, dass du deine Kraft kontrollieren kannst.“ Marie nickte. Es war mehr, als sie erwartet hatte, aber es war noch nicht ganz die Antwort, die sie hatte haben wollen. „Ich weiß, du hattest dir mehr erhofft, aber mehr kann ich dir nicht sagen, im Moment zumindest nicht.“ Sie schaute ihn erstaunt an. Wie hatte er wissen können, was sie dachte. Der Professor und auch Jean lächelten. „Ich kann deine Gedanken lesen. Keine Angst, ich nutze diese Fähigkeit nicht ständig, nur lagen deine Gedanken auch ziemlich Nahe.“ Marie seufzte. „Ich möchte nur einfach einmal einem Menschen Nahe sein, ohne ihn zu verletzen.“ Jean nickte leicht. „Das ist verständlich, aber du musst auch hier Geduld haben. Nichts geht von heute auf morgen.“ Marie stand auf. „Danke, danke für eure Hilfe.“ Die beiden nickten und damit war sie entlassen. Logan stand auf, als sich die Tür wieder öffnete. Marie kam auf ihn zu. Sie lächelte. Er schaute sie fragend an. „Es liegt an mir. Der Professor hat gesagt, dass es eine Frage des Vertrauens ist, ob ich meine Kraft unter Kontrolle habe oder nicht,“ seufzte sie. Er nickte. Eine ähnliche Antwort hatte er erwatet. Ähnliches hatte man auch ihm gesagt. Den Weg musste man am Ende selbst finden. „Komm mit, ich zeige dir das Gebäude und dann kannst du mich weiter ausfragen, was meine Vergangenheit angeht.“ Sie nickte lächelnd. Die nächsten Stunden verbrachten sie damit, sie das Haus anzusehen, durch die Gärten zu wandern und einfach nur zu reden. Logan wusste nicht woher dieses Gefühl kam, doch er hatte eine seltsame Verbundenheit zu dem Mädchen. Und auch Marie ging es so. Sie fühlte sich Logan näher, als manch anderer Person früher. Er erzählte ihr von seinem Leben, bevor er in diese Schule gekommen war. Von den wenigen Erinnerungsfetzen, die er an den Eingriff hatte und von seinen Monaten hier in diesem Haus. Marie bekam den Eindruck, dass diese Institution wirklich ein Ort der Sicherheit und Ruhe war. Gegen Mittag setzten sich die beiden unter einen der vielen riesigen Bäume. Marie schaute in den Himmel. „Es ist komisch, aber ich habe das Gefühl, dass ich hier endlich zu Hause bin.“ Dann schaute sie ihn eine Weile an. „Logan... der Professor hat gesagt, dass es etwas mit der Person zu tun hat, ob ich meine Kraft unter Kontrolle habe oder nicht.“ Logan nickte. „Darf... darf ich etwas ausprobieren?“ Logan schaute sie erstaunt an, nicht ganz wissend, worauf sie eigentlich hinaus wollte. „Ja... sicher,“ sagte er verwundert. Vorsichtig zog Marie einen ihrer Handschuhe aus. Zaghaft streckte sie die Hand aus, legte sie auf seinen nackten Oberarm, schaute ihn dabei aber die ganze Zeit an, damit sie ihn sofort loslassen konnte, sollte etwas passieren. Doch es geschah nichts. Marie zuckte zusammen. Ihre braunen Augen weiteten sich. Sie hatte einen Menschen berührt und nichts war geschehen. Auch Logan wirkte überrascht. Marie zog ihre Hand zurück. „Ich... seit so vielen Jahren wünsche ich mir, dass ich jemanden berühren kann, ohne ihm wehzutun und nun kann ich es zumindest bei einer Person.“ Tränen glitzerten in ihren Augen. Eine einzelne Träne lief fast perlengleich ihre Wange hinab. Verlegen wischte sie die Träne weg. „Kein Grund zu weinen, du solltest dich freuen.“ Sie lachte. „Das tue ich auch, glaub mir, es ist nur so unwirklich.“ Ein Leuchten ging von ihren Augen aus. Beide merkten nicht, dass der Professor und Jean sie von einem der Fenster aus beobachteten. „Sie hatten Recht Professor. Woher wussten Sie, dass es Logan ist, den sie berühren kann?“ Der Professor wandte sich um und schaute Jean an. „Ich konnte es sehen, in ihrem Kopf. Es braucht nicht viel Wissen um zu erkennen, wann jemand wirklich beginnt zu vertrauen,“ sagte er leise. Jean nickte. Er hatte Recht, viele Dinge begannen in erster Linie mit dem Vertrauen. Logan hatte Marie währenddessen in den Arm genommen. Sie schmiegte sich an ihn, genau wie in der Nacht zuvor, doch diesmal musste sie nicht darauf achten, seine Haut nicht zu berühren. Sie sog seinen Duft ein. Den Duft seiner Haut. Strich mit den Fingerspitzen über seine Wangen. Nach einigen Augenblicken nahm Logan ihre Hand in seine und schaute sie eine Weile an. „Wollen wir noch ewig hier sitzen bleiben, oder kommst du mit und ich stell dir ein paar andere Schüler dieser Schule vor.“ Marie lächelte. „Eigentlich würde ich lieber noch hier sitzen bleiben, aber du hast ja Recht. Lass uns reingehen.“ Sie stand auf, klopfte sich das Gras von der Hose und schaute ihn erwartungsvoll an. Er erhob sich ebenfalls, ging aber nicht gleich auf das Haus zu, wie sie es scheinbar erwatet hatte, sondern strich Marie ein paar Strähnen aus dem Gesicht und schaute sie ernst an. „Eigentlich sollte das die Aufgabe deines Freundes sein, aber....“ Anstatt den Satz zu beenden, beugte er sich zu ihr und küsste sie. Kein Kuss, wie Liebende ihn sich geben würden, aber doch intensiv genug, um Marie zu zeigen, wie es sein musste, seinen Freund küssen zu können, ohne ihn fast zu töten. Als er sich wieder von ihr löste, schaute sie ihn an. Es war kein Vorwurf in ihren Augen und auch keine ausgesprochene Frage, sondern einfach nur Ruhe und Glück. Er nahm sie bei der Hand und führte sie zurück in das Haus und in einem Gemeinschaftsraum. Der Reihe nach stellte er ihr die Jugendlichen vor und sie alle nahmen Marie sofort auf. Logan war immer wieder erstaunt darüber, wie schnell Fremde hier aufgenommen wurden. Keiner wurde gefragt wo er herkam und wieso er hier war. Denn sie alle hatten den gleichen Grund hier zu sein. Logan warf einen Blick auf die Uhr, die an der Wand hing. Es war schon Nachmittag. Langsam wurde es Zeit, sich auf die Tour vorzubereiten, zu der er in dieser Nacht aufbrechen wollte. Er schaute sich zu Marie um, die grade mit zwei Mädchen in ein Gespräch vertieft war. Eine gute Gelegenheit, alles zusammenzupacken, ohne, dass Marie etwas davon mitbekam. Langsam ging er zu seinem Zimmer, vertieft in Gedanken. Es gab nicht viel, was er zusammenpacken musste. Aber er wollte auch nicht weiter in Maries Nähe sein. Noch immer hatte er keine Ahnung, wie er ihr sagen sollte, dass er das Haus erst einmal für einige Zeit verlassen musste. Seufzend setzte er sich an den Schreibtisch. Vielleicht sollte er einfach gehen und gar nichts sagen, nur ein paar Zeilen zurücklassen und dann in einigen Wochen einfach wieder vor der Tür stehen. Es war schon gegen Abend und die Dämmerung setzte draußen schon ein, als Logan sich wieder zu Marie gesellte. Sie schaute ihn strahlend an. „Es ist unglaublich, was einige hier schon erlebt haben.“ Er nickte. „Natürlich, nicht alle sind auf dem direkten und einfachen Wege hier gelandet. Viele hatte etliche Strapazen auf sich zunehmen.“ Sie schaute ihn fragend an. „Wo warst du die ganze Zeit?“ Er lächelte. „Ich hatte noch einiges zu erledigen,“ antwortete er seufzend. Sie nickte einfach nur und Logan war erleichtert, dass sie nicht weiter nachfragte. Er brachte Marie wieder in den Speisesaal, setzte sich diesmal aber nicht zu ihr, sondern zu Jean und den anderen. „Du hast ihr nicht gesagt, dass du heute Nacht weg musst oder?“ Jeans Augen waren auf ihn gerichtet. Logan schüttelte den Kopf. „Also wirst du einfach abhauen und sie hier allein zurücklassen.“ Scotts Stimme war schneidend wie immer, wenn er mit Logan redete. Die beiden hatten sich meistens nicht allzu viel zu sagen. „Nein, sie wir wissen, wo ich bin, warum ich gehen musste und das ich wiederkomme. Und allein ist sie hier nicht.“ Scott sagte nichts zu dieser Antwort und auch die anderen sprachen das Thema nicht weiter an. Nach dem Essen kam Marie direkt auf Logan zu. „Logan, kann ich heute Nacht noch einmal bei dir schlafen? Ich meine, mir wurde zwar ein eigenes Zimmer zugewiesen, aber...“ Sie schaute auf den Boden. Logan lächelte und nahm sie einfach in den Arm. „Natürlich kannst du bleiben,“ flüsterte er. Er musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass die Blicke von Jean und Scott auf sie gerichtet waren. Logan reagierte nicht darauf, sondern bedeutete Marie, ihm zu folgen. Sie gingen nach draußen auf die Terrasse. „Ich habe wirklich das Gefühl, dass du dich hier wohlfühlst. Ich nehme an, du bleibst hier?“ Sie schaute ihn von der Seite an. Einige Lampen erhellten den Park, der sonst aber schon in vollkommener Dunkelheit lag. „Ja, ich werde hier bleiben, schon allein weil ich keinen anderen Ort kenne, an den ich gehen könnte. Und außerdem sind die Leute hier so unglaublich nett.“ Marie lächelte verträumt. Wären nicht die Lichter des Hauses, so hätte die Dunkelheit sie wieder umhüllt, so wie bei ihrem ersten Treffen, dass nicht einmal 24 Stunde zurück lag. Marie war erstaunt, wie viel sich in solch kurzer Zeit im Leben ändern konnte. Sie musterte Logan, die Dunkelheit umschloss ihn, schloss ihn ein. Er schien mit ihr vertraut zu sein, so albern dies auch klang. Er sah die Dunkelheit nicht als etwas bedrohliches, sondern als Freund. Langsam wurde es still um sie herum, die Jugendlichen hatten sich in ihre Zimmer zurück gezogen und auch die wenigen älteren gingen ihren eigenen Beschäftigungen nach. Logan wusste, dass es nun wirklich Zeit wurde, aufzubrechen. Er schaute Marie an. „Du solltest schlafen gehen. Morgen ist dein erster Schultag hier.“ Sie nickte langsam. Es war komisch, aber obwohl es noch nicht einmal sehr spät war, breitete sich Müdigkeit in ihr aus. Marie folgte ihm hinauf in sein Zimmer. Nur eine kleine Lampe erhellte den Raum. Sie gähnte leise. „Gute Nacht Logan.“ Sie legte sich auf das Bett und zog die Decke über ihren Körper. Er beugte sich zu ihr und küsste sie auf die Stirn. Obwohl Marie es nicht zeigte, erschrak sie. Ein Kuss auf die Stirn stand als Symbol für den Abschied. Schon den ganzen Tag hatte sie ein komisches Gefühl gehabt und auch vorhin, als Logan so lange fort geblieben war, hatte sie sich seltsam gefühlt. Logan blieb eine Weile still am Fenster stehen. Er hoffte, dass Marie schnell einschlafen würde. Nach einer Weile nahm er die Tasche, die er versteckt hatte und legte einen weißen Zettel auf das Kissen neben Marie. „Wir sehen uns wieder, Kleine,“ sagte er fast tonlos. Er war einen letzten Blick auf das schlafende Mädchen, dann wandte er sich um und verließ das Zimmer. Marie setzte sich auf. Sie hatte keine Sekunde geschlafen. Ihr Blick fiel auf den Zettel neben ihr. Sie nahm ihn an sich, stand auf und ging auf den Balkon. Nur wenige Zeilen hatte Logan auf das weiße Papier geschrieben. Manchmal ist ein Augenblick länger als das ganze Leben. Du bist hier gut aufgehoben. Ich hatte keine Ahnung, dass mir das Schicksal eine Person wie dich über den Weg laufen lässt. Aber ich habe erst einmal eine Aufgabe zu erfüllen. Marie, ich werde wiederkommen. Mach dir keine Sorgen. Logan Sie schluckte. Kaum war jemand, dem sie Nahe sein konnte, in ihr Leben getreten, schon verließ die Person sie wieder. Aber es erleichterte sie, dass er wiederkommen würde. Das er nur etwas zu erledigen hatte, was ihm wahrscheinlich der Professor aufgetragen hatte. Sie schaute auf den Kiesweg der unter ihr lag und sah seine Gestalt durch die Dunkelheit gehen. Kaum sichtbar, aber doch erkennbar. Die Dunkelheit wie ein schützender Mantel um seine Gestalt. Er stieg in den Wagen, mit dem er sie hierher gebracht hatte und fuhr davon. Erst als die Dunkelheit den Wagen verschluckte, ging sie zurück ins Zimmer. Eine einzelne Träne fand ihren Weg über ihre Wange. Diesmal wischte sie sie nicht weg. Diesmal ließ sie den Tränen freien Lauf. Die Dunkelheit hatte ihr diesen Menschen gebracht und die Dunkelheit, die Schwärze der Nacht hatte ihr diesen Menschen auch wieder genommen, wenn auch nur für bestimmte Zeit. Ende ~~~ Kommentare und Kritik sind herzlich willkommen Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)