Awaken von Bina-chan86 ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Sion lag reglos auf dem Waldboden und starrte in den Himmel, während Regentropfen sein Gesicht benetzten. Seine Kleidung war mittlerweile vollkommen durchnässt, ebenso wie seine rabenschwarzen Haare, doch er schien sich daran nicht zu stören. Noch immer schlug ihm das Herz bis zum Hals und er konnte nicht ausmachen, welche Feuchtigkeit nun vom Regen und welche von seinen Tränen stammte. Instinktiv tastete er nach seinem Schwert, bekam erst nur modriges Laub zu fassen, aber als seine Finger letztendlich den Schwertgriff umfassten, wandte er den Blick von den Sternen ab und sah zur Seite. Die spitz zulaufenden Ohren des Elfen zuckten, als er jemanden seinen Namen rufen hörte. Er wollte antworten, aber seine Stimme versagte ihm den Dienst. So konnte er nur liegen bleiben und darauf hoffen, dass man ihn fand. Seine Augenlider schlossen sich und ihn umfing eine alles verzehrende Schwärze. „Sion? Wach endlich auf...“ Die Stimme klang schwach und kratzig, trotzdem erkannte Sion sie. Er blinzelte und öffnete ganz langsam seine Augen. Ein mattes Lächeln schlich sich auf seine Gesichtzüge. „Hm, ich könnte mir einen schöneren Anblick am Morgen vorstellen, als dein unrasiertes Gesicht, Zarrag.“ „Morgen?“ Brummend lehnte sich der hünenartige Kämpfer zurück. „Es ist bereits Mittag. Ich dachte schon, du wachst überhaupt nicht mehr auf.“ „Hab ich dir Sorgen bereitet?“ Sion setzte sich auf und fuhr dann fort, ohne eine Antwort abzuwarten. „Verzeih.“ Er fühlte sich leicht schwindelig. Seine magischen Reserven hatten sich weitgehend erholt, nur sein Kreislauf war noch geschwächt. Vorsichtig tastete er über seinen Körper und stellte beruhigt fest, dass er außer ein paar Kratzern keine ernsthaften Verletzungen hatte. Zarrag winkte mit einer Mischung aus Verlegenheit und Ungeduld ab. „Vergiss es einfach. Das ist jetzt nicht so wichtig.“ Sions Mine wurde ernst. „Dann hat sonst keiner überlebt? Nur wir zwei?“ Sein Gegenüber nickte. „Niemand konnte entkommen.“, sagte Zarrag mit verbitterter Stimme. „Du weißt, was das bedeutet, nicht wahr?“ „Natürlich weiß ich das, aber zunächst...“ Sion deutete bei seinen Worten auf Zarrags Arm. „... sollte ich mich um deine Wunde kümmern. Andernfalls kommen wir nicht weit.“ Zarrag wusste, dass Sion recht hatte, dennoch widerstrebte es ihm noch mehr Zeit zu verlieren. Denn Zeit war etwas, wovon sie vielleicht nicht mehr viel hatten. Drei Tage später hatten die beiden Kameraden die Stadt Argath erreicht, eine blühende Handelsstadt direkt am Meer gelegen. Die salzige Meeresluft wehte ihnen entgegen und stieg in ihre Nasen. Zarrag verzog das Gesicht, aber Sion atmete tief ein. „Wir waren lange nicht mehr hier.“, sagte der Elf unvermittelt und ließ seinen Blick schweifen, über die massive Stadtmauer hinweg bis zum Hafen hin. Zarrag kratzte sich übers Kinn und die rotbraunen Bartstoppeln. „Etwa zwei Jahre... wenn nicht länger...“ Sion war ein paar Schritte voraus gegangen. Seine ledernen Stiefel machten fast kein Geräusch auf dem sandigen Boden des Weges. Mit einem Mal hielt er inne und drehte sich zu seinem Begleiter um. „Willkommen Zuhause, Zarrag!“ Der große Mann stieß einen verächtlichen Laut aus. „Dies ist schon lange nicht mehr mein Zuhause. Und nun komm! Ich will nicht ewig hier herumstehen. Das zögert das Unausweichliche nur hinaus.“ Sion wagte nicht ihm zu widersprechen oder eine schnippische Antwort zu geben, weswegen er Zarrag stillschweigend folgte. Die Gaststube, die sie betraten, war schon alt, aber in der Luft hing der stechende Geruch von Farbe, was darauf schließen ließ, dass sich endlich jemand um die Renovierung kümmerte. Tische standen ohne Ordnung verteilt und ein großer Kachelofen rundete das urige Aussehen ab. Der Wirt zog skeptisch die Augenbrauen zusammen, als Zarrag sein Gasthaus betrat. „Was verschafft mir die seltene Ehre?“, fragte er mit beinah boshaftem Unterton. Das gedämpfte Licht in der Stube warf Schatten auf sein Gesicht. Hier und dort blickte Gäste auf, schienen sich jedoch nicht sonderlich für das Geschehen zu interessieren und so wandten sie sich alsbald wieder ab. Zarrag wischte die Bemerkung der Hausherren mit einer Handgeste beiseite. „Bring uns einfach was zu trinken.“, entgegnete er, als er sich mit Sion an einen der Tische setzte. „So wirst du dir keine Freunde schaffen.“, gab Sion flüsternd zu bedenken. Sorgenvoll rutschte er auf seinem Stuhl hin und her. „Lass das meine Sorgen sein.“ Gleichgültig schaute Zarrag aus dem Fenster, wobei er seinen Kopf auf die Hand stützte. Sion schüttelte gereizt den Kopf. „Jetzt ist es aber nicht länger nur dein Problem. Vergiss das ja nicht! Andernfalls war unsere Reise umsonst.“ Der Braunhaarige schnaubte, verstand aber. Für sein verletztes Ego war hier kein Platz. Nicht hier und nicht jetzt! „Schon klar! Kein Grund mir gleich wieder Vorträge zu halten, finde ich.“ „Irgendwer muss es ja tun.“, gab Sion zurück und verschränkte die Arme. „Verdammt, Sion! Halt endlich den Rand! Es ist so schon schwer genug für mich, auch ohne deine blöden Bemerkungen.“ Zarrag und Sion saßen sich gut eine Stunde gegenüber, hatten kaum ein Wort miteinander gewechselt, als ein hagerer Mann mit strengen Gesichtzügen und flachsblonden Haaren an ihren Tisch trat. Das Knarren der Dielenbretter machte auf ihn aufmerksam. „Seid gegrüßt! Wie ich hörte verlief eure Reise nicht ganz so, wie geplant. Meister Gwyldis ist nicht sehr erfreut darüber.“ Zarrag hätte ihm am liebsten das höhnische Grinsen aus dem Gesicht geprügelt, doch er hielt sich zurück und überließ Sion das Reden. „Es war nicht unsere Schuld.“, setzte der Elf an. „Es war ein Hinterhalt, den wir nicht haben kommen sehen... oder sollte ich sagen: ein Hinterhalt, über den Ihr uns nicht informiert habt, Bryn?“ „Aber, aber.“ Beschwichtigend hob Bryn die Hände in die Luft. „Das klingt ja wie eine Anklage.“ „Gut, denn so sollte es auch klingen.“ Sions Augen verengten sich zu Schlitzen. „Ihr wusstet doch bestimmt davon, dass eine andere Söldnertruppe engagiert wurde, um uns auf unserem Weg zu behindern. Ist es nicht so?“ „Nun, sagen wir so: Ich ahnte von den Gefahren, aber gewusst habe ich nichts.“, sagte Bryn aalglatt. Zarrag schlug so heftig auf den Tisch, dass das Geschirr klirrte. „Ihr habt uns eiskalt in diese Falle tappen lassen! So sieht es doch aus. Keine Eurer Ausflüchte kann das beschönigen, also haltet uns nicht zum Narren.“ Seine Hand glitt zu seinem Schwert, aber Sion hielt ihn zurück, suchte seinen Blick und schüttelte dann den Kopf. „Wie sehen die weiteren Pläne aus?“ Mühsam kämpfte Zarrag seine Wut nieder. Seine geballten Fäuste ruhten aber immer noch als drohendes Mahnmahl auf der Tischkante. Bryn strich raschelnd sein Gewand glatt, bevor er schließlich eine versiegelte Schriftrolle hervorholte. „Hört mir gut zu, denn ich werde mich nicht wiederholen!“ Er breitete das Papier mit einer verschwörerischen Geste aus und überbrachte seine Nachricht, die wohl nicht gerade Freude bei Zarrag und Sion auslösen würde. „Dieser Mistkerl! Für wen hält er uns eigentlich? Für seine Diener?“, fluchte Zarrag. „Nun, im Grunde genommen sind wir das momentan sogar.“, gab Sion zu bedenken, bereute seine Worte jedoch sogleich wieder. Zarrag funkelte ihn angriffslustig an. „Ich sag dir, was wir für ihn sind. Kanonenfutter und nichts weiter. Aus diesem Grund hat er uns auch über den Pass geschickt. Damit wir als Ablenkung dienen.“ Er spie diese Worte förmlich aus. „Drei unserer Leute haben diesen irrsinnigen Plan mit ihrem Leben bezahlt.“ „Ja, aber unsere nächste Aufgabe dürfte sich als weniger gefährlich erweisen, denkst du nicht?“, versuchte Sion etwas einzulenken. Zarrag wollte sich offensichtlich nicht beruhigen lassen. „Ja, und weswegen? Weil wir Aufpasser spielen sollen.“ Dieser neue Auftrag und seine eigenen Rachegefühle ließen sich nicht vereinbaren. „Reg dich nicht auf. Es ist doch eh vergebens.“, meinte Sion nur und ging an seinem Freund vorbei, die Stufen einer breiten Treppe hinauf, bis er vor einer Tür mit schweren Eisenbeschlägen stehenblieb. „Komm!“ Während er Sion folgte, sah Zarrag flüchtig nach links und rechts. Eine lange Ahnengalerie erstreckte sich über den Flur, welchen sie entlanggingen. Gesichter aus längst vergangen Zeiten verfolgten ihren Weg. „Hm, hier muss es wohl sein.“, meinte Sion. Am Ende des Ganges befand sich ein Durchgang, der in ein weitläufiges Arbeitszimmer führte. „Und wie es aussieht, werden wir bereits erwartet.“ „Ich kann diesen Kerl nicht leiden.“, zischte Zarrag zwischen seinen Zähnen hervor. Gwyldis, Meister der Magie, dessen einzige Gefühlsregung ein ewig gleichbleibendes Lächeln war, winkte sie zu sich an seinen Schreibtisch. „Ich bin froh, wenigstens euch lebend wiederzusehen.“, begrüßte er sie. „Aber bitte: Setzt euch doch erst mal!“ Sion und Zarrag taten, wie ihnen geheißen. Gwyldis faltete sine Hände und fuhr dann fort. „Sehr schlimme Sache, die dort passiert ist. Allerdings ein notwendiges Opfer, um unser eigentlich Ziel zu erreichen.“ Zarrag spürte, wie der Zorn in ihm hochstieg und er stellte fest, dass es Sion da nicht anders erging. Gwyldis’ Worte waren eine einzige Provokation und eine Beleidigung für ihre toten Freunde. „Kommt bitte zur Sache.“ Sions Stimme zitterte, obwohl er sich so sehr bemühte ruhig zu klingen. „Gewiss doch.“, entgegnete Gwyldis. „Ich möchte – und das ist von allergrößter Wichtigkeit -, dass ihr meine Schülerin zum magischen Orden in Sykant bringt. Wie Bryn euch ja sicherlich erklärt hat, konnte wir endlich ein Gefäß finden.“ Sion erschauderte. Sie arbeiteten für einen Wahnsinnigen. Der Schwarzhaarige wusste genau, was die Magier hier getan hatten. Sie hatten eine Seele quasi gefiltert und in einen menschlichen Körper verpflanzt. Allerdings war es nicht irgendeine Seele... Kurz darauf führte Gwyldis eine Person ins Zimmer und vor ihnen stand nun eine junge Frau, von Anfang zwanzig. Ihr Blick ging ins Leere und doch schienen ihre Augen alles durchschauen zu können. Ihre langen, braunen Haarsträhnen wurden von Bändern zusammengehalten und ihre blasse Haut war fast vollständig von minzegrünem Stoff bedeckt. „Meine Schülerin, Alia.“, stellte Gwyldis selbstzufrieden vor. „Bringt sie wohlbehalten nach Sykant.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)