Awaken von Bina-chan86 ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Sion lag reglos auf dem Waldboden und starrte in den Himmel, während Regentropfen sein Gesicht benetzten. Seine Kleidung war mittlerweile vollkommen durchnässt, ebenso wie seine rabenschwarzen Haare, doch er schien sich daran nicht zu stören. Noch immer schlug ihm das Herz bis zum Hals und er konnte nicht ausmachen, welche Feuchtigkeit nun vom Regen und welche von seinen Tränen stammte. Instinktiv tastete er nach seinem Schwert, bekam erst nur modriges Laub zu fassen, aber als seine Finger letztendlich den Schwertgriff umfassten, wandte er den Blick von den Sternen ab und sah zur Seite. Die spitz zulaufenden Ohren des Elfen zuckten, als er jemanden seinen Namen rufen hörte. Er wollte antworten, aber seine Stimme versagte ihm den Dienst. So konnte er nur liegen bleiben und darauf hoffen, dass man ihn fand. Seine Augenlider schlossen sich und ihn umfing eine alles verzehrende Schwärze. „Sion? Wach endlich auf...“ Die Stimme klang schwach und kratzig, trotzdem erkannte Sion sie. Er blinzelte und öffnete ganz langsam seine Augen. Ein mattes Lächeln schlich sich auf seine Gesichtzüge. „Hm, ich könnte mir einen schöneren Anblick am Morgen vorstellen, als dein unrasiertes Gesicht, Zarrag.“ „Morgen?“ Brummend lehnte sich der hünenartige Kämpfer zurück. „Es ist bereits Mittag. Ich dachte schon, du wachst überhaupt nicht mehr auf.“ „Hab ich dir Sorgen bereitet?“ Sion setzte sich auf und fuhr dann fort, ohne eine Antwort abzuwarten. „Verzeih.“ Er fühlte sich leicht schwindelig. Seine magischen Reserven hatten sich weitgehend erholt, nur sein Kreislauf war noch geschwächt. Vorsichtig tastete er über seinen Körper und stellte beruhigt fest, dass er außer ein paar Kratzern keine ernsthaften Verletzungen hatte. Zarrag winkte mit einer Mischung aus Verlegenheit und Ungeduld ab. „Vergiss es einfach. Das ist jetzt nicht so wichtig.“ Sions Mine wurde ernst. „Dann hat sonst keiner überlebt? Nur wir zwei?“ Sein Gegenüber nickte. „Niemand konnte entkommen.“, sagte Zarrag mit verbitterter Stimme. „Du weißt, was das bedeutet, nicht wahr?“ „Natürlich weiß ich das, aber zunächst...“ Sion deutete bei seinen Worten auf Zarrags Arm. „... sollte ich mich um deine Wunde kümmern. Andernfalls kommen wir nicht weit.“ Zarrag wusste, dass Sion recht hatte, dennoch widerstrebte es ihm noch mehr Zeit zu verlieren. Denn Zeit war etwas, wovon sie vielleicht nicht mehr viel hatten. Drei Tage später hatten die beiden Kameraden die Stadt Argath erreicht, eine blühende Handelsstadt direkt am Meer gelegen. Die salzige Meeresluft wehte ihnen entgegen und stieg in ihre Nasen. Zarrag verzog das Gesicht, aber Sion atmete tief ein. „Wir waren lange nicht mehr hier.“, sagte der Elf unvermittelt und ließ seinen Blick schweifen, über die massive Stadtmauer hinweg bis zum Hafen hin. Zarrag kratzte sich übers Kinn und die rotbraunen Bartstoppeln. „Etwa zwei Jahre... wenn nicht länger...“ Sion war ein paar Schritte voraus gegangen. Seine ledernen Stiefel machten fast kein Geräusch auf dem sandigen Boden des Weges. Mit einem Mal hielt er inne und drehte sich zu seinem Begleiter um. „Willkommen Zuhause, Zarrag!“ Der große Mann stieß einen verächtlichen Laut aus. „Dies ist schon lange nicht mehr mein Zuhause. Und nun komm! Ich will nicht ewig hier herumstehen. Das zögert das Unausweichliche nur hinaus.“ Sion wagte nicht ihm zu widersprechen oder eine schnippische Antwort zu geben, weswegen er Zarrag stillschweigend folgte. Die Gaststube, die sie betraten, war schon alt, aber in der Luft hing der stechende Geruch von Farbe, was darauf schließen ließ, dass sich endlich jemand um die Renovierung kümmerte. Tische standen ohne Ordnung verteilt und ein großer Kachelofen rundete das urige Aussehen ab. Der Wirt zog skeptisch die Augenbrauen zusammen, als Zarrag sein Gasthaus betrat. „Was verschafft mir die seltene Ehre?“, fragte er mit beinah boshaftem Unterton. Das gedämpfte Licht in der Stube warf Schatten auf sein Gesicht. Hier und dort blickte Gäste auf, schienen sich jedoch nicht sonderlich für das Geschehen zu interessieren und so wandten sie sich alsbald wieder ab. Zarrag wischte die Bemerkung der Hausherren mit einer Handgeste beiseite. „Bring uns einfach was zu trinken.“, entgegnete er, als er sich mit Sion an einen der Tische setzte. „So wirst du dir keine Freunde schaffen.“, gab Sion flüsternd zu bedenken. Sorgenvoll rutschte er auf seinem Stuhl hin und her. „Lass das meine Sorgen sein.“ Gleichgültig schaute Zarrag aus dem Fenster, wobei er seinen Kopf auf die Hand stützte. Sion schüttelte gereizt den Kopf. „Jetzt ist es aber nicht länger nur dein Problem. Vergiss das ja nicht! Andernfalls war unsere Reise umsonst.“ Der Braunhaarige schnaubte, verstand aber. Für sein verletztes Ego war hier kein Platz. Nicht hier und nicht jetzt! „Schon klar! Kein Grund mir gleich wieder Vorträge zu halten, finde ich.“ „Irgendwer muss es ja tun.“, gab Sion zurück und verschränkte die Arme. „Verdammt, Sion! Halt endlich den Rand! Es ist so schon schwer genug für mich, auch ohne deine blöden Bemerkungen.“ Zarrag und Sion saßen sich gut eine Stunde gegenüber, hatten kaum ein Wort miteinander gewechselt, als ein hagerer Mann mit strengen Gesichtzügen und flachsblonden Haaren an ihren Tisch trat. Das Knarren der Dielenbretter machte auf ihn aufmerksam. „Seid gegrüßt! Wie ich hörte verlief eure Reise nicht ganz so, wie geplant. Meister Gwyldis ist nicht sehr erfreut darüber.“ Zarrag hätte ihm am liebsten das höhnische Grinsen aus dem Gesicht geprügelt, doch er hielt sich zurück und überließ Sion das Reden. „Es war nicht unsere Schuld.“, setzte der Elf an. „Es war ein Hinterhalt, den wir nicht haben kommen sehen... oder sollte ich sagen: ein Hinterhalt, über den Ihr uns nicht informiert habt, Bryn?“ „Aber, aber.“ Beschwichtigend hob Bryn die Hände in die Luft. „Das klingt ja wie eine Anklage.“ „Gut, denn so sollte es auch klingen.“ Sions Augen verengten sich zu Schlitzen. „Ihr wusstet doch bestimmt davon, dass eine andere Söldnertruppe engagiert wurde, um uns auf unserem Weg zu behindern. Ist es nicht so?“ „Nun, sagen wir so: Ich ahnte von den Gefahren, aber gewusst habe ich nichts.“, sagte Bryn aalglatt. Zarrag schlug so heftig auf den Tisch, dass das Geschirr klirrte. „Ihr habt uns eiskalt in diese Falle tappen lassen! So sieht es doch aus. Keine Eurer Ausflüchte kann das beschönigen, also haltet uns nicht zum Narren.“ Seine Hand glitt zu seinem Schwert, aber Sion hielt ihn zurück, suchte seinen Blick und schüttelte dann den Kopf. „Wie sehen die weiteren Pläne aus?“ Mühsam kämpfte Zarrag seine Wut nieder. Seine geballten Fäuste ruhten aber immer noch als drohendes Mahnmahl auf der Tischkante. Bryn strich raschelnd sein Gewand glatt, bevor er schließlich eine versiegelte Schriftrolle hervorholte. „Hört mir gut zu, denn ich werde mich nicht wiederholen!“ Er breitete das Papier mit einer verschwörerischen Geste aus und überbrachte seine Nachricht, die wohl nicht gerade Freude bei Zarrag und Sion auslösen würde. „Dieser Mistkerl! Für wen hält er uns eigentlich? Für seine Diener?“, fluchte Zarrag. „Nun, im Grunde genommen sind wir das momentan sogar.“, gab Sion zu bedenken, bereute seine Worte jedoch sogleich wieder. Zarrag funkelte ihn angriffslustig an. „Ich sag dir, was wir für ihn sind. Kanonenfutter und nichts weiter. Aus diesem Grund hat er uns auch über den Pass geschickt. Damit wir als Ablenkung dienen.“ Er spie diese Worte förmlich aus. „Drei unserer Leute haben diesen irrsinnigen Plan mit ihrem Leben bezahlt.“ „Ja, aber unsere nächste Aufgabe dürfte sich als weniger gefährlich erweisen, denkst du nicht?“, versuchte Sion etwas einzulenken. Zarrag wollte sich offensichtlich nicht beruhigen lassen. „Ja, und weswegen? Weil wir Aufpasser spielen sollen.“ Dieser neue Auftrag und seine eigenen Rachegefühle ließen sich nicht vereinbaren. „Reg dich nicht auf. Es ist doch eh vergebens.“, meinte Sion nur und ging an seinem Freund vorbei, die Stufen einer breiten Treppe hinauf, bis er vor einer Tür mit schweren Eisenbeschlägen stehenblieb. „Komm!“ Während er Sion folgte, sah Zarrag flüchtig nach links und rechts. Eine lange Ahnengalerie erstreckte sich über den Flur, welchen sie entlanggingen. Gesichter aus längst vergangen Zeiten verfolgten ihren Weg. „Hm, hier muss es wohl sein.“, meinte Sion. Am Ende des Ganges befand sich ein Durchgang, der in ein weitläufiges Arbeitszimmer führte. „Und wie es aussieht, werden wir bereits erwartet.“ „Ich kann diesen Kerl nicht leiden.“, zischte Zarrag zwischen seinen Zähnen hervor. Gwyldis, Meister der Magie, dessen einzige Gefühlsregung ein ewig gleichbleibendes Lächeln war, winkte sie zu sich an seinen Schreibtisch. „Ich bin froh, wenigstens euch lebend wiederzusehen.“, begrüßte er sie. „Aber bitte: Setzt euch doch erst mal!“ Sion und Zarrag taten, wie ihnen geheißen. Gwyldis faltete sine Hände und fuhr dann fort. „Sehr schlimme Sache, die dort passiert ist. Allerdings ein notwendiges Opfer, um unser eigentlich Ziel zu erreichen.“ Zarrag spürte, wie der Zorn in ihm hochstieg und er stellte fest, dass es Sion da nicht anders erging. Gwyldis’ Worte waren eine einzige Provokation und eine Beleidigung für ihre toten Freunde. „Kommt bitte zur Sache.“ Sions Stimme zitterte, obwohl er sich so sehr bemühte ruhig zu klingen. „Gewiss doch.“, entgegnete Gwyldis. „Ich möchte – und das ist von allergrößter Wichtigkeit -, dass ihr meine Schülerin zum magischen Orden in Sykant bringt. Wie Bryn euch ja sicherlich erklärt hat, konnte wir endlich ein Gefäß finden.“ Sion erschauderte. Sie arbeiteten für einen Wahnsinnigen. Der Schwarzhaarige wusste genau, was die Magier hier getan hatten. Sie hatten eine Seele quasi gefiltert und in einen menschlichen Körper verpflanzt. Allerdings war es nicht irgendeine Seele... Kurz darauf führte Gwyldis eine Person ins Zimmer und vor ihnen stand nun eine junge Frau, von Anfang zwanzig. Ihr Blick ging ins Leere und doch schienen ihre Augen alles durchschauen zu können. Ihre langen, braunen Haarsträhnen wurden von Bändern zusammengehalten und ihre blasse Haut war fast vollständig von minzegrünem Stoff bedeckt. „Meine Schülerin, Alia.“, stellte Gwyldis selbstzufrieden vor. „Bringt sie wohlbehalten nach Sykant.“ Kapitel 2: ----------- Alia saß hinter Zarrag auf einem Pferd, welches Gwyldis ihnen zur Verfügung gestellt hatte. Seit ihrer Abreise aus Argath hatte sie kaum ein Wort gesprochen. Sion ritt ihnen mit unverkennbar schlechter Laune hinterher. Langsam beschlich ihn das Gefühl, dass diese Aufgabe nicht so leicht werden würde, wie er anfangs angenommen hatte. Darüber hinaus gab Alia ihm weitere Rätsel auf. Vor mehr als fünfhundert Jahren hatte es einen Magier gegeben, mit schier unermesslichen Fähigkeiten. Seine Kraft war so groß gewesen, dass andere begannen ihn zu fürchten, was letzten Endes dazu führte, dass man ihn mit vereinten Kräften tötete und seine Seele bannte. Und dieser Geist sollte nun in Alia stecken?! Sion konnte es eigentlich nicht glauben, denn die Frau machte einen alles andere als starken Eindruck, obgleich auch in ihr etwas von Gwyldis hochmütigen Gebaren steckte, den dieser offensichtlich an seine Schülerin weitergegeben hatte. Alia war schön, aber ohne besondere Ausstrahlung. Eine hübsche Puppe, menschlich und doch irgendwie auch wieder nicht. Sion seufzte und trieb sein Pferd an, sodass er nun auf gleicher Höhe mit Zarrag ritt. „Lass uns hier das Lager aufschlagen. Um diese Jahreszeit wird es schnell dunkel.“ Zarrag nickte zustimmend und saß ab, bevor er auch Alia hinabhalf. Ein gleichgültig dahingemurmeltes „Danke“ war alles, was er daraufhin zu hören bekam. Sie gehört zweifellos zu Gwyldis bei dem Benehmen, dachte Zarrag, als er sich das Gepäck locker über die Schulter warf. Sion hatte sich zum Feuerholzsammeln angeboten und vertrat sich nun etwas die Beine im Wald. Gerade, als er einen Ast aufheben wollte, vernahm er in unmittelbarer Nähe ein Knacken. Unsicher, ob das Geräusch von ihm selbst oder von jemand anderem stammte, blickte er sich um. Es war nichts in dem Dämmerlicht des Abends zu erkennen und trotzdem – vielleicht auch gerade deswegen – beschlich den Elf ein mulmiges Gefühl. Er umfasste das Holz in seinen Armen etwas fester und ging dann einen Schritt zurück. Zu spät, wie sich wenige Sekunden darauf herausstellen sollte. Er wurde von einem Mann umgerannt, der orientierungslos und gehetzt auf die Lichtung gestolpert kam. „Was zum Teufel...“, keuchte Sion, als er unsanft auf dem Waldboden landete. Mit unverhohlener Verwirrung starrte er den hochgewachsenen Fremden an. „Ehe...“, gab dieser verlegen von sich. „Ich hatte nicht gedacht hier jemanden anzutreffen.“ Er klopfte sich etwas Erde von der Hose und grinste leicht. Mit seiner schlichten, aber offenbar hochwertigen Kleidung wirkte er glücklicherweise nicht wie ein Wegelagerer. Zumindest diese Tatsache beruhigte den Elf etwas. Sion setzte zu einer Frage an, wurde jedoch von einem Grollen unterbrochen, das um einiges bedrohlicher klang, als das vorhergehende Knacken. „Ich war wohl etwas langsam.“ Der andere Mann richtete sich neben Sion auf und wirkte in Anbetracht der Situation relativ entspannt. Sion sog erschrocken die Luft ein, als eine weitere Gestalt hinter den Brombeerbüschen auftauchte. Haradan. Das waren wolfsähnliche Geschöpfe mit messerscharfen Zähnen, die bis zu drei Meter groß werden konnten. Eines dieser Exemplare kam mit kraftvollen Bewegungen auf sie zu, langsam aber stetig. Es bestand kein Zweifel daran, dass diese Kreatur auf der Suche nach Beute war. Sion verspürte keine große Lust im Magen eines sabbernden Ungetüms zu landen und so setzte er zu einer schützenden, magischen Beschwörung an. Doch der Haradan bewegte sich bereits nicht mehr. Der Elf blinzelte ein paar mal, um die Sachlage zu erfassen, was ihm aber nicht gelang. Erst als er sich zu dem Fremden umsah, begann er zu ahnen. Der Mann war mit seinem Zauber schneller gewesen. Anscheinend hatte er den Schatten der Kreatur an den Boden geheftet. Er kniete und hatte eine Hand aufs Gras gelegt, wobei er lächelte. Der... der muss übergeschnappt sein! Die Sonne geht gleich unter und dann wird kein Schatten mehr da sein, den man fangen könnte, dachte Sion. Schnell wurde klar, dass es bei dieser Aktion mehr ums Zeitschinden, als um einen ernsthaften Angriff handelte. Ein Pfeil zischte durch die Luft und traf den Haradan zielsicher ins Herz, woraufhin er einen röchelnden Kehllaut von sich gab und schließlich zusammenbrach. Sions Selbstbeherrschung hatte sich verabschiedet. Er starrte mit heruntergeklappter Kinnlade auf das Bild, welches sich ihm bot. „Entschuldige! Haben wir dich erschreckt?“ Sion sah erstaunt denjenigen an, der sich daraufhin höflich als Niall vorstellte– ein Elf mit wasserblauen Augen und ehrlichem Lächeln. Zu diesem gesellten sich zwei weitere Personen. Der eine war gut 1,90 Meter groß und hatte eine ruhige Ausstrahlung. Der andere war ein Bursche, klein, eher zierlich gebaut. Um seinen Kopf hatte er ein Tuch gebunden, das auch einen Teil des Gesichts verdeckte. Niall half Sion auf, da dieser noch immer im Gras gesessen hatte. „Vielleicht sollten wir dich zu deinen Freunden bringen. Wer weiß, wie viele Haradan sich hier noch herumtreiben.“, bot der blonde Elf an. „Meine ähm...“, murmelte Sion. Niall nickte und schaute in die Richtung, in der sich das Lager befinden musste. „Ich seid zu viert... nein, zu dritt.“, stellte er im Plauderton fest. „Ja, das... stimmt. Aber woher weißt du das?“, erkundigte sich Sion. Niall kicherte. „Ich habe eben eine sehr gute Beobachtungsgabe.“ Sion bezweifelte, dass das alles war, aber er begnügte sich erst mal mit dieser Antwort. Zumal es in diesem Moment auch keine primäre Rolle spielte. Mit einer Handgeste bedeutete Niall den anderen ihm zu folgen. Zarrag brach in schallendes Gelächter aus und kriegte sich beinahe nicht wieder ein. „Also ich muss schon sagen...“, brachte er nach Luft schnappend hervor. „Das hätte ich zu gern gesehen. Allein schon, wenn ich mir deinen Blick beim Anblick eines Haradan vorstelle, Sion.“ Der Schwarzhaarige errötete und biss sich auf die Unterlippe. Ihm war das ganze furchtbar peinlich, aber zum Glück schien Zarrag nicht allzu lange auf dem Thema herumzureiten. Dieser wandte sich nämlich neugierig um. „Dein Name ist also Niall, richtig? Und wer sind die anderen. „Meine Gefährten, Dalach und Creya.“, erklärte Niall höflich. Sion stutzte, als er das hörte. „Moment mal, sagtest du... Creya?“ Das war doch ein Frauenname. Er blickte zu demjenigen, den er für einen Jungen gehalten hatte. Creya lehnte mit verschränkten Armen an einem Baum und tippte mit dem rechten Fuß ungeduldig auf die Erde. „Hm?“ „Nun ich dachte...“ Sion kratzte sich am Hinterkopf. „Ich hielt dich für einen Jungen.“, gab er zu. Creyas Blick verfinsterte sich und sie machte einen Satz auf Sion zu. „Wie-war-das?“, fragte sie verärgert. Ihre Stimme klang lebhaft und unter normalen Umständen hätte Sion sie gewiss als angenehm empfunden. Aber jetzt machte der Tonfall den Elf eher nervös. Er schluckte. „Tut... tut mir leid.“ „Das ist ja wohl eine Frechheit!“, schmollte Creya und wickelte das Tuch von ihrem Kopf ab. „Du solltest mal besser hingucken.“ Silberne Strähnen fielen ihr ins Gesicht und zwei eisblaue Augen sahen Sion angriffslustig an. Überrascht zog Sion die Augenbrauen hoch. Diese Frau war kein Mensch, denn ihre Ohren liefen ebenso spitz zu, wie seine eigenen. Aber eine Elfe war sie auch nicht. Creya rollte genervt mit den Augen. „Ich kann mich nicht entsinnen etwas von anstarren gesagt zu haben.“ „Ver... Verzeihung...“ Der Elf fühlte sich ertappt und schlug bedächtig die Augenlider nieder. Lediglich gegen seine Neugier konnte er nichts ausrichten. Was für ein Wesen war sie? Niall hatte belustigt gelauscht, wechselte jetzt allerdings das Thema. „Ganz schön riskant, nur zu dritt durch die Wald zu reisen, obwohl...“ Er sah sich zu seinen Kameraden um. „Vielleicht bin ich nicht unbedingt derjenige, der das sagen sollte.“ Zarrag zuckte grinsend mit den Achseln. „Nein, nicht unbedingt.“, bestätigte er. „Und wohin seid ihr unterwegs?“, erkundigte sich Niall. „Nach Westen.“, entgegnete Zarrag knapp und ausweichend. Niemand sollte wissen, wohin und vor allem mit wem sie reisten. Unwillkürlich glitt sein Blick zu Alia, die unterdessen teilnahmslos am entfachten Feuer saß. Die neuen Bekanntschaften kümmerten sie gar nicht. „Können wir jetzt endlich weiter, Niall?“, schaltete sich Creya plötzlich ein. Sions Worte waren nicht gerade zuträglich für ihre Laune gewesen. Nialls Mundwinkel umspielte ein Lächeln. „Ja, sicher. Wir sollten keine Zeit vertrödeln.“, erwiderte er und zog seinen grünen Umhang etwas enger um die Schultern. „Ihr wollt doch nicht bei Nacht weitergehen, oder?“ Sion blickte ungläubig auf. Seiner Ansicht nach war das viel zu gefährlich. „Natürlich wollen wir das.“, antwortete Creya an Nialls Stelle. „Nachts herrscht hier reger Betrieb unter den Geschöpfen des Waldes und den dämonischen Kreaturen. Da fallen wir gar nicht weiter auf. Wenn es hell wird, ist unsere Anwesenheit viel zu offensichtlich. Macht nicht den Fehler und vergleicht diesen Wald mit anderen. Der Forst von Areas ist vergleichsweise unerforschtes Gebiet.“ Sie sah den Elf spöttisch an. „Hierher kommen eigentlich nur diejenigen, die etwas zu verbergen haben.“ „Oder Leute, die es besonders eilig haben, so wie wir.“, ergänzte Niall ruhig. „Oder so...“ Creya schnaubte. „Nun, wenn ihr nach Westen geht, könnten wir euch eine Weile begleiten.“, bot Niall Zarrag an. „Unser Ziel ist die nächste Stadt, Perreys. Das ist gut zwei Tagesmärsche von hier entfernt.“ Zarrag nickte zustimmend. „Das liegt auf unserem Weg. Ich bin einverstanden.“ Es waren ja nur zwei Tage. Nicht genug Zeit, um ihr eigentliches Ziel zu enthüllen, so hoffte er zumindest. „Wunderbar! Dann wäre das ja geklärt.“ Niall klatschte in die Hände und brachte das Feuer mit einem Fingerschnippen zum erlöschen. „Sucht eure Sachen zusammen. Ich kenne einen geeigneteren Ort zum Rasten.“ Alia starrte noch eine Moment lang auf die verwaiste Feuerstelle, bevor sie sich erhob. „Behindert uns nur nicht.“, sagte sie kühl zu Niall. „Wir können unsere Zeit nicht mit Söldnern vertrödeln.“ „Oh, das habt Ihr aber scharfsinnig erkannt, Fräulein.“, kicherte der blonde Elf. Niall ging voraus. Zarrag, Alia und Sion folgten auf den beiden Pferden, während Creya und Dallach zu Fuß gingen. Sion hatte der Silberhaarigen sein Pferd angeboten, aber diese hatte nur verärgert abgelehnt. Der Elf kam letztendlich zu dem Schluss, dass verletzte Eitelkeit wohl doch etwas schwerwiegender war. Na, das kann ja heiter werden, dachte er. Trotz dieser Annahme gestaltete sich die Weiterreise zum nächsten Rastplatz eher unspektakulär, um nicht zu sagen friedlich. Nur bei Zarrag und Niall kam keine Langeweile auf, da sich die beiden schon seit einer ganzen Weile angeregt unterhielten. Kein Wunder, Zarrag liebte Geschichten und der Elf konnte zweifellos gut erzählen. Bei ihren Gefährten war die Situation allerdings etwas anders. Creya war dickköpfig und schmollte noch immer, Sion schämte sich, Alia war sich zu fein, um dem Rest der Truppe Aufmerksamkeit zu schenken und Dallach sprach sowieso fast nie. „So, ihr Trantüten!“, rief Niall munter. „Wir sind da!“ „Wir sind da?“, wiederholte Zarrag mit fragendem Blick und hob die Augenbrauen leicht an. „Aber hier ist doch nichts weiter.“ Er blickte sich ernsthaft überrascht um. Bäume, Sträucher, ein Flussbecken und ein kleiner Wasserfall, mehr war dort nicht. Zumindest nicht sichtbar. Niall hob mahnend, aber belustigt den Zeigefinger. „Man sollte nicht immer so eindimensional denken. Nicht alles ist gleich sichtbar.“, erklärte er. Er legte eine bedeutungsvolle Pause ein und kletterte über ein paar Felsen, bevor er weitersprach. „Hier legen wir Rast ein.“ Dann verschwand er hinter dem Wasserfall. „Oh... eine Höhle?“ Zarrag drehte sich sogleich zu Creya und Dallach um. Die Silberhaarige nickte bestätigend, Dallach hingegen zog es vor zu schweigen. Wie immer. Er war eben einfach gestrickt. Sion war derweil vom Pferd abgestiegen und zum Bach getreten, wo er sich etwas Wasser ins Gesicht spritzte, um die in ihm aufkeimende Müdigkeit zu vertreiben. Er hielt es für besser in diesem Wald wachsam zu bleiben. Möglichst genau versuchte er sich die Umgebung einzuprägen und folgte erst dann den anderen in die verborgene Höhle. Niall breitete summend sein Gepäck in einer Ecke aus. „Es ist vielleicht etwas feucht hier, aber wenigstens kann man unsere Fährte nicht bis hier hinein verfolgen. Das ist doch auch schon was wert, nicht wahr?“ Nichts schien seine Laune trüben zu können. Alia kräuselte pikiert die Nase. „Und hier sollen wir bleiben?“, fragte sie geringschätzig. „Warum können wir nicht einfach draußen rasten?“ „In diesem Wald? Klar, allerdings dürfte das dann unter die Kategorie Selbstmord fallen.“ Creya machte eine ernste Mine, doch ihr Tonfall war spöttisch. „Da draußen sitzen wir auf dem Präsentierteller.“ „Aber hier drinnen hocken wir in der Falle. Das ist eine Sackgasse.“, konterte Alia. „Wenn ein Ausgang fehlt, macht man sich eben einen.“ Creya zuckte desinteressiert mit den Schultern. „Mit Magie lässt sich das leicht bewerkstelligen.“ Sion hörte aufmerksam zu und kam zu dem Schluss, dass wohl auch Creya Magie beherrschen musste, ebenso wie Niall. Ansonsten würde sie wohl kaum so daherreden. Alia zupfte an ihrem Umhang herum und verfiel wieder in ihre Lethargie. Flüchtig schaute sie sich um. Die Höhle war nicht sonderlich groß, bot aber genug Platz für sechs Personen. Die Steine waren teilweise eigentümlich geformt und die, welche sich weiter am Eingang befanden glänzten vom Wasser. Ein gutes Versteck, aber kein sehr einladender Ort, wenn man es genau nahm. Zarrag hatte sich auf einem der Felsen niedergelassen und sein Schwert abgelegt. „Warum seid ihr eigentlich auf dem Weg nach Perreys?“, fragte er beiläufig, während er versuchte die Kälte zu ignorieren, der langsam seine Glieder empor kroch. „Wie das Fräulein bereits treffend bemerkt hat, sind auch wir Söldner.“, erklärte Niall. „In Perreys hoffen wir neue Aufträge zu bekommen. Sagen wir es so, dort wo wir herkommen, ist es momentan ziemlich ruhig. Das ist schlecht fürs Geschäft.“ Der Elf lächelte verschmitzt, was die Wirkung seiner Worte etwas abschwächte, die sonst zweifellos makaber geklungen hätten. „Ruhig?“ Zarrag stieß einen belustigten Laut aus. „Das kann ich mir kaum vorstellen, so wie es in letzter Zeit um unser Land bestellt ist.“ „Nun, so ist es aber.“, entgegnete Niall schlicht. Sion blickte flüchtig auf. „Ihr müsst großes Vertrauen in eure eigenen Fähigkeiten haben, wenn ihr so leichtfertig nach Gefahr sucht.“ Creya rümpfte die Nase und wechselte einen Blick mit Niall, woraufhin dieser antwortete. „Ebenso wie ihr, hm?“ Nun schwieg Sion, so als ob ihm gerade erst bewusst geworden wäre, in welcher Situation er selbst sich befand. „Entschuldigt wenn ich das sage, aber wie ein harmloser Ausflug erscheint mir eure Reise nicht.“, fuhr Niall salopp fort. „Es scheint wichtiger zu sein...“ Für den Bruchteil einer Sekunde streifte sein Blick die teilnahmslose Alia. Zarrag zupfte leicht nervös an seinem Kragen. Die Bemerkungen seines Gegenübers waren ein wenig zu scharfsinnig für seinen Geschmack gewesen. „Was bringt dich zu dieser Annahme?“ „War bloß geraten.“, erwiderte Niall, als wäre es nur ein Zeitvertreib, mit dem man die Langeweile überbrücken wollte. „Es ist pures Glück, wenn ich mal richtig dabei liege.“ Zarrag glaubte ihm keine einzige Silbe. Das war nicht bloß geraten gewesen. Nein, vielmehr musste es etwas geben, das der Elf wusste. „Niemand will dein albernes Gerede hören, Niall.“, ging Creya dazwischen und zog missbilligend eine Augenbraue hoch. Sie saß mit verschränkten Armen dicht neben Dallach und sah die anderen aus ihren aufmerksamen blauen Augen an, realisierte dabei jede noch so kleine Bewegung. Diese Aufmerksamkeit schien bei ihr bereits Routine zu sein. Zu diesem Schluss war jedenfalls Sion gekommen, der sich den ein oder anderen Gedanken über seine neuen Wegbegleiter gemacht hatte. Von keinem der drei konnte man behaupten, dass er leicht zu durchschauen wäre. Im Gegenteil, jeder von ihnen war mysteriös auf seine ganz eigene Art und Weise. Dallach durch seine Schweigsamkeit, Niall durch sein Verhalten und Creya durch ihr ungewöhnliches Aussehen. „Du starrst schon wieder!“, bemerkte Creya nüchtern. Sion wandte das Gesicht ab und nuschelte ein paar Worte zu seiner Entschuldigung. Warum musste sie ihn auch immer ertappen? Er wurde das Gefühl nicht los, dass man von jedem seiner Schritte Kenntnis nahm, was ihn erheblich verunsicherte, denn bisher hatte er geglaubt, dass er sich recht gut aufs Verbergen verstand. Zu seiner großen Überraschung lächelte Creya jetzt. „Was soll’s, ich bin es gewohnt.“, meinte sie schulterzuckend. „Gewohnt?“, hakte Sion nach. „Du weißt, wovon ich rede.“ Natürlich wusste Sion es. Er kam sich vor wie einer kleiner Junge, den man belehrte. Dieses Gefühlt hatte er schon ewig nicht mehr verspürt. Es war doch so offensichtlich, dass die Blicke an Creya hängen blieben bei ihrem nichtmenschlichem Erscheinungsbild. Weder Menschen noch Elfen sahen so aus. Hin und wieder erschien es gar so, als würden sich ihre Pupillen zu Schlitzen verengen. Doch gleichzeitig war Sion fasziniert von ihren klaren Augen, deren Blau immer neue Facetten annahm. Symbolisch schüttelte er den Kopf, um diesen Gedanken schnellstmöglich zu vertreiben. Creya konnte ihn nicht leiden, dessen war er sich sicher. Just in diesem Moment erhob sich Dallach vom Boden. „Schlaft jetzt besser. Ich halte derweil Wache.“ Seine Stimme, die man so selten hörte, klang kräftig aber ruhig. Niall nickte zustimmend, wobei ihm einige der hellen Haarsträhnen ins ebenmäßige Gesicht fielen. „Ich löse dich später ab.“ Dallach nahm vor der Höhle auf einem entwurzelten Baumstumpf platz. Sträucher und Felsen schützen ihn vor möglichen Blicken, obgleich er bezweifelte, dass sie noch mit Besuch zu rechnen hatte. Kurz darauf ließ ihn ein Rascheln aber tatsächlich aufblicken. „Ich dachte, du könntest vielleicht Gesellschaft vertragen.“, sagte Zarrag, als er hervortrat. Dallach war gelassen sitzen geblieben und auch seine Augen verrieten keine Überraschung. Anscheinend hatte er den nahenden Schwertkämpfer früh genug bemerkt. Auch Zarrag war bereits aufgefallen, dass der schweigsame Mann über erstaunlich gute Sinne verfügte. Besser als er selbst, wie er sich eingestehen musste. Dallach bedeutete ihm mit einem Nicken sich zu setzen. „Du kannst nicht schlafen.“ Das war keine Frage, sondern vielmehr eine sachliche Feststellung. „Ja, da hast du recht.“ Langsam fuhr sich Zarrag mit der Hand durch seine rotbraunen Haare. Sorgenvolle Gedanken ließen ihn keinen Schlaf finden. „Ich traue diesem Wald nicht und schon gar nicht den Wesen, die hier Leben.“ „Du und deine Gefährten, ihr tut gut daran niemandem zu vertrauen. Hier kann jede Unachtsamkeit zu einem schnellen Tod führen.“ Zarrag hegte keinen Zweifel an diesen Worten. Seinen Umgang zog er sich enger um die Schultern. „Damit bestätigst du nur, was ich bereits vermutet habe.“ Endlich sah Dallach ihn direkt an. Im Dunkel der Nacht schienen seine Augen fast schwarz zu sein. „Nun, vielleicht vermutest du nicht genug.“ Auf Zarrags fragenden Blick hin zuckte sein Gegenüber nur mit den Achseln. Als Zarrag wieder erwachte, brachen bereits vereinzelt Sonnenstrahlen durch eine regenverheißende, graue Wolkendecke. Letztendlich war er doch trotz seiner Sorgen im Schlaf versunken. Und jetzt saß nicht mehr Dallach sondern Niall neben ihm. Der Elf begrüßte ihn mit einem spöttischen Lächeln. „Nun, Meister Zarrag, habt Ihr wohl geruht?“ Verschlafen grummelte Zarrag etwas vor sich hin und gähnte. „Wie spät ist es?“, fragte er dann, ohne eine verständliche Antwort zu geben. Niall sah zum Himmel hinauf. „Hm, acht Uhr, schätze ich.“ Er sah zu Zarrag zurück. „Lasst uns frühstücken und danach weiterziehen.“ „Heute wird wohl Regen unseren Weg begleiten.“, überlegte Sion, der gerade die Höhle verließ. Ihm folgten Creya und Alia. „Ach, eins vergaß ich zu sagen...“ Niall stand auf und sah Zarrag, Sion und Alia abwechselnd an. „Es werden nur wir sein, die weiterziehen.“ Sion begriff die Bedeutung seiner Worte nicht gleich. Im Gegensatz zu Zarrag, der sogleich zu seinem Schwert greifen wollte. Plötzlich fluchte Zarrag laut, denn sein Schwert war nicht mehr dort. Dallach stand mit unbewegter Mine hinter einem der Büsche hervor, beinahe lautlos. „Vermisst du das hier?“ Er hielt die verschwundene Hiebwaffe in der Hand und hob sie ungeniert hoch. Sion traf die Erkenntnis und er wirbelte herum. Er begegnete Creyas Blick mit Entsetzen und schnappte nach Luft. Die Silberhaarige stand halb hinter Alia, hielt dieser einen langen Dolch an die Kehle. Aber sie beachtete ihre Geisel kaum, stattdessen sprach sie zu Sion. „Nehmt das bitte nicht persönlich!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)