Onones Kinder von Gurgi ================================================================================ Kapitel 4: Träumer ------------------ Träumer (18 Jahre zu vor) "Sie ist noch ein Kind, Ryan." Bestimmt hallte die Stimme Ayeshas durch das kleine Arbeitszimmer, und Ryan musterte ihr Gegenüber schweigend. Schon seit geraumer Zeit saßen sie sich gegenüber, und immer wieder kehrte ihre Konversation zu diesem Punkt zurück. Sie spürte wie Aufregung ihre Glieder befiel, bemerkte wie sich ihre Hände kaum merklich zu Fäusten ballten um den Druck in ihren Gliedern ein Ventil zu geben. Schweigend musterte sie Ayesha, ihr waren die dunklen Schatten unter ihren Augen nicht entgangen, sie hatte vesucht in den grünen Augen Verständnis zu finden, doch dieses Mal sah sie nichts als Zorn. Tief amtete Ryan durch, sie hasste es die kostbare Zeit welche sie zusammen verbrachten mit Streit zu verschwenden, doch sie wusste, dass sie in diesem Augenblick nicht in der Lage war ihn abzuwenden. All zu deutlich hatte sich diese Konfrontation abgezeichnet seit sie hier war. "Sie ist kein Kind mehr", erklärte sie bestimmt und richtete sich in ihrem Stuhl auf. "Alessa ist dreizehn Jahre alt, und sie möchte lernen, sie muss lernen, wenn sie in dieser Welt überleben will." "Dreizehn", flüsterte Ayesha leise und schüttelte missmutig ihren Kopf. "Sie ist noch so jung." "Ich war viel jünger als mein Training begann..." "Ja, und wir beiden wissen, wohin dich das geführt hat." Scharf sog Ryan die Luft in ihre Lungen, die Anspannung in ihrem Körper verwandelte sich mit jeder Sekunde mehr in heiße Wut, doch sie versuchte sie in sich zu ersticken, sie würde nicht auf Ayesha Worte eingehen. Nicht wenn sie in Zorn gesprochen waren, und darauf abgezielt hatten, sie zu verletzen. Ayesha war nicht entgangen, wie sich Ryans Körpersprache verändert hatte. Sie selbst konnte sich nicht erklären, warum sie dieses Thema so sehr aufwühlte. Seit Ryan ihr von ihrem Plan erzählt hatte, ihre älteste Cousine als ihre Nachfolgerin auszubilden befiel Ayesha bei diesem Gedanken eine unglaubliche Kälte. "Verzeih," flüsterte sie und suchte Ryans Blick. "Ich wollte dich nicht verletzen." "Doch," entgegnete Ryan hitzig. Sie senkte leicht ihre Blick und starrte auf ihre zusammen geballten Hände. "Genau das wolltest du." Es war kaum mehr als ein Hauchen, und doch konnte Ayesha deutlich die Verletzlichkeit in der Stimme wahrnehmen. "Ich weiß, dass du die Bräuche meiner Leute nicht billigst," erklärte Ryan und hob leicht ihr Kinn, über ihr Gesicht hatte sich die Maske des Oberhauptes ihres Stammes gelegt. Ein Gesicht, das so unbewegt und frei jeder Emotion war, dass es Ayesha schwindelte. Sie hasste es, wie Ryan so einfach in diese Rolle fallen konnte, in diesem Moment war sie nicht sie selbst. Nur für Ayesha und wenige weitere Vertraute legte sie diese stoische Maske ab, und es brach Ayesha das Herz, dass Ryan es für nötig hielt sich nun vor ihr auf diese Art und Weise zuschützen. "Meine Leute haben leider nicht das Glück ihre Kinder vor der Welt verstecken zu können, bis sie erwachsen sind. Wir müssen früh lernen uns zu verteidigen, sonst sterben wir. Wir müssen lernen unsere Gabe unter Kontrolle zu halten, sonst verlieren wir uns in ihr. Alessa muss lernen was es heißt zu führen, und sie muss lernen was es heißt Onone zu dienen. Ich wünschte ich hätte jemanden gehabt der mir hätte helfen können all das zu verstehen und zu bewältigen. Es ist unser Weg. Meiner und der meiner Leute, und du hast nicht das Recht über mich zu urteilen, Ayesha." Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus, und Ayesha spürte wie sich Ryans Worte auf sie legten wie tausende von Gewichten. Erschöpft senkte sie den Blick, ihre Hand ruhte auf ihrer Stirn, als könnte sie so ihre rasenden Gedanken ordnen. Sie hörte wie die Beine des Stuhls auf dem harten Steinboden knarrten, sie fühlte Ryans sanfte Hand auf ihrem Kinn und sie ließ es zu, dass Ryan ihr Gesicht in ihre Richtung drehte. "Ich tue das für uns. Alessa ist meine einzige Möglichkeit irgendwann bei dir zu sein, für immer. Wir träumen schon so lange davon, ich möchte nicht das es irgendwann nichts mehr als das ist. Ein Traum..." Ayesha starrte Ryan ungläubig an, ihr Mund presste sich zu einer scharfen Linie zusammen und sie entwand ihr Gesicht Ryans Hand. "Und du verdammst dafür ein Kind zu einem Leben voller Entbehrungen? Nur weil wir beide nicht fähig sind dieses Leben zu leben? Wenn das der Preis für unseren Traum ist, dann will ich ihn nicht." Langsam ließ Ryan ihre Hand sinken, sie fühlte wie in ihrem Inneren Enttäuschung, Angst und Wut sich zu einer gefährlichen Mischung zusammen brauten. Sie trat einen Schritt von Ayesha zurück, und sie wusste bereits wie sehr sie die nächsten Worte bereuen würden, bevor sie ihre Lippen verlassen hatten. "So wie ich das sehe, träumst du schon lange einen anderen Traum..." "Wovon redest du, Ryan" erwiederte Ayesha und fuhr sich abermals über ihre müden Augen, sie hatte keinen Funken Kraft mehr in ihren Gliedern für einen erneuten Schlagabtausch. "Glaubst du wirklich ich bin so dumm? Glaubst du etwa, ich wüsste nicht warum er hier ist? Glaubst du wirklich ich wüsste nicht was hier vorgeht?" "Er ist hier um seinen Sohn zu sehen," spie ihr Ayesha entgegenen und erschrack wie scharf und hart ihre Stimme in ihren eigenen Ohren widerhallte. "Wie oft hat er dich gefragt? Wie oft, Ayesha?" "Und du weißt wie oft ich nein gesagt habe" Mit einer schnellen Bewegung war Ayesha von ihrem Stuhl aufgesprungen und die Fucht ihrer Bewegung ließ diesen mit einem lauten Krachen umkippen. Sie fühlte wie sich in ihren Augen Tränen sammelten, doch sie kämpfte mit all ihrer Willenskraft darum ihre Schwäche nicht zuzeigen. Sie sah wie sehr Ryan darum kämpfte die Kontrolle über sich nicht zu verlieren, sie fühlte wie sich eisige Kälte in ihren Gliedern ausbreitete und sie wusste, dass der kleine Stein über ihrem Herzen diese Kälte nur verstärkte. "Ryan..." sie suchte in ihrem Kopf nach den richtigen Worten um die andere Frau zu beruhigen, doch in diesem Moment wurde die Tür zu ihrem Arbeitszimmer aufgestoßen und ohne dem Neuankömmling einen Blick zu schenken wusste sie wer es war. "Alles in Ordnung, Ayesha?" Angespannt entwich ihr Atem ihrer Kehle und ihr Blick richtete sich auf Torat, welcher mit ihrem schlafenden Sohn in seinen Armen in der offenen Tür stand und Ryan feindsellig musterte. Sie öffnete ihren Mund, doch die Worte blieben aus, welche hätte sie auch wählen sollen? Sie hatte keine Kraft mehr zu kämpfen. Ihre Augen suchten die Ryans und ein leises Wimmern entwich ihrer Kehle, als sie in diesen nichts mehr fand als Enttäuschung. "Ja," erklärte Ryan und wandte Ayesha ihren Rücken zu. "Alles in Ordnung." Mit schnellen Schritten durchquerten sie das Arbeitszimmer, kurz hielt sie inne, ihre Schultern senkten sich niedergeschlagen. "Wenn es Onone will, sehen wir uns wieder. Lebwohl..." Kraftlos sank Ayesha auf den kalten Boden hinunter, fest umklammerten ihre Hände ihre Knie. Sie hörte die eiligen Schritte Ryans und das zuschlagen der Tür zu ihrem Haus. Erst in diesem Moment fiel ihr auf, wie leise Tränen ihre Wangen hinabflossen.... Mit einem schmerzverzehrten Gesicht richtete sich Cale in seinem Bett auf. Selbst drei Wochen nach seinem zusammentreffen mit Naya in Kalmas schmerzten seine Rippen immer noch. Er wusste, dass er ihre Wut verdient hatte, doch er hätte auch sehr gut auf eine gebrochene Rippe verzichten können. Erschöpft rieb er sich über seine Wangen, und spürte die harten Stoppeln auf seinen Handflächen, der Morgen war noch jung und die Sonne war nur ein roter Schimmer hinter dichten Wolken. Nachdenklich blickte er ins Leere, immer noch hatte er dieses kalte Gefühl in seiner Bauchgegend, wenn er an Naya dachte. Wie vertraut waren sie einst gewesen? Sie waren den Großteil ihrer Kindheit zusammen aufgewachsen, sie beide und Ragans jüngster Sohn Ty waren eine eingeschworene Gemeinschaft gewesen. Nichts hätte damals zwischen sie kommen können... Nur meine eigene Dummheit, dachte er bitter und schlug die Bettdecke von sich. Still saß er in den weichen Laken, es hatte keinen Sinn mehr noch einmal zu versuchen Schlaf zu finden, spätestens jetzt war er mit seinen Gedanken an vergangene Zeiten nicht mehr in der Lage dazu. Mit einem leisen Seufzer schwang Cale seine Beine über den Rand des Bettes und begann sich anzukleiden. Das Zimmer war klein, die Einrichtung spartanisch, bis auf wenige kleine Erinnerungsstücke hier und da hätte niemand gedacht, dass dieses Zimmer jemanden gehörte. So sehr es diesen Wänden an Wärme mangelte, so sehr schätzte er es dafür, dass es wenigstens ein kleines Stückchen Zuhause für ihn darstellte. Er hatte sich, nach dem sich die Lage in Kalmas nach Ragans Ausbruch wieder beruhigt hatte, von Eylon verabschiedet. Er wusste, dass sein Freund und Partner wieder zu seiner Familie wollte, und Cale hatte ihn ziehen lassen. Welche Arbeit jetzt auf ihn warten würde, konnte er alleine erledigen. Doch auch er hatte sich nach allem was in Kalmas passiert war, nach einer kurzen Zeit für sich selbst gesehnt. So war er an den einzigen Ort zurückgekehrt, welchen er als Zuhause bezeichnen konnte. Immer noch leicht benebelt vom Schlaf der vergangenen Nacht, trat er an den kleinen Waschkrug am Fenster und benetzte sein Gesicht mit kühlem Wasser in der Hoffnung, das es den letzten Rest der Müdigkeit aus seinen Gliedern vertreiben würde. Sein Blick fiel auf die kleine Kette die auf dem Tisch neben ihm lag. Für jeden anderen mochte sie unscheinbar wirken, doch für Cale war sie das kostbarste in seinem Besitz. Sanft umfingen seine Finger das alte Lederband, der kleine weiße Stein funkelte leicht im Licht der jungen Sonne. Als Kind hatte er sie jeden Tag um den Hals seiner Mutter gesehen, sie hatte sie nie abgelegt. Nie... Onone wird dich beschützen. Auf diese Weise bin ich und sie immer bei dir, du wirst niemals alleine sein. Möge Onone dich schützen... Leg sie niemals ab...Ich liebe dich, mein Sohn... Immer noch klar hallte die Stimme seiner Mutter in seinen Gedanken, sie war so schwach in diesem Moment gewesen, doch in seinen Erinnerungen so deutlich. Mit all seiner Kraft drängte er die Erinnerung an sie zurück. Er konnte sich nicht mehr erlauben schwach zu sein, er war kein Kind mehr. Sanft strich er mit dem Zeigefinger die Linien des Steins nach, spürte wie er sich unter seinen Berührungen erwärmte. Er kannte diesen zaghaften Versuch Kontakt aufzunehmen, er wusste wem dieser Stein eigentlich gehörte und er ließ seinen Finger sinken. Tief amtete Cale durch, und zog das Lederband über seinen Kopf, bis der Stein in der Nähe seines Herzens ruhte. Als er die Tür seines Zimmers aufstieß, umfing ihn Stille. Niemand schien bereits auf den Beinen zu sein. Langsam stieg Cale die Stufen der Treppen hinunter, im großen Raum des Wirtshauses loderte noch die Gluht der letzten Nacht, einige dreckige Krüge standen auf der Theke, er seufzte erneut, sammelte sie ein und durchquerte den Raum um in die kleine Küche zu gelangen, die an den Raum angeschlossen war. Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, als ihm wohlige Wärme entgegen schlug und er das leise singen vernahm. Unbewegt verharrte er in der geöffneten Tür und in seinem Blick lag eine Zärtlichkeit, die er sich nur selten erlaubte. Stumm sah er der Frau zu, wie sie das noch heiße Brot von der Feuerstelle holte, einen großen Kessel aufsetzte und dabei nie ihren Gesang unterbrach. Er kannte das Lied, er hatte es unzählige Male gehört als er noch ein Kind war. Immer dann, wenn die Alpträume zu schrecklich wurden, er aus seinem Schlaf geschreckt war, in diesen Momenten hatte es nur diese Stimme vermocht ihn zu beruhigen. Langsam wandte sich die Frau um, und nahm erst jetzt den immer noch andächtig lauschenden jungen Mann im Türrahmen wahr. Ein sanftes Lächeln umspielte ihre Mundwinkel und sie wischte sich einige blonde verwirrte Haarsträhnen, die aus ihrem Zopf gefallen waren zur Seite. "Guten Morgen, Cale. Du bist früh auf den Beinen." Cale erwiderte das sanfte Lächeln, stellte die Krüge auf den kleinen Tisch in der Mitte der Küche und lehnte sich gegen die Kante des Tisches. "Das gleiche könnte ich über dich sagen," entgegenete er. "Mir bleibt ja auch nichts anderes übrig. Wenn ich mich hier um nichts kümmere, hätten unsere Gäste nichts zu essen, und das wäre mehr als schlecht für das Geschäft. Setzt dich, Frühstück müsste gleich fertig sein." Dankend nahm Cale den Becher mit heißer Milch entgegen, und als der Geschmack von Honig seine Zunge berührte lächelte er versonnen. Gedankenverloren blickte Cale der Frau zu, wie sie ihrer Arbeit nachging, er konnte nicht mehr genau sagen wie viele Male er schon hier gestanden und ihr bei ihrer Arbeit zugesehen oder geholfen hatte. "Ich hoffe du hast gut geschlafen, Kleiner," sagte die Frau und mit einem spöttischen Lächeln fügte sie leise hinzu. "Und ich hoffe alleine." Cale entfuhr ein leises Lachen und er nahm ihr die Schüssel mit Haferbrei aus der Hand, die sie im Begriff war ihm zu reichen. "Ja, danke, ich habe gut geschlafen. Und natürlich alleine, Teleri." "Wenn ich nicht wüsste, dass Sia eine Schwäche für dich hat, müsste ich nicht immer nachfragen, wenn du hier bist, mein Junge," erklärte Teleri und setzte sich ihm gegenüber. Ihre blauen Augen funkelten immer noch schelmisch, und Cale konnte sich in diesen Momenten ein sehr gutes Bild davon machen, wie Teleri gewesen sein mochte als sie in seinem Alter gewesen war. Ein angenehmes Schweigen legte sich über sie, während sie ihr Frühstück aßen. Immer wieder sah Cale von seiner Mahlzeit auf um Teleri anzusehen. Die ältere Frau war eine Vertraute seiner Mutter gewesen, er wusste aus Erzählungen dass diese Beziehung keine einfache gewesen war und es hatte lange gedauert, bis beide Frauen sich mit Respekt und Zuneigung behandelt konnten. Häufig fragte er sich, wie tief diese Freundschaft hätte reifen können, wenn seine Mutter noch am Leben gewesen wäre. Er war Teleri unendlich dankbar, wie offen sie ihm ihre Vergangenheit erzählt hatte, eine Vergangheit die so verflochten mit seiner Mutter und Ryan gewesen war, dass er sich in stillen Momenten immer gefragt hatte, wie Teleri in der Lage gewesen war zu verzeihen, und seiner Mutter bis zum Ende beizustehen... "Du bist unglaublich still heute Morgen. Alles in Ordnung, Cale? Seit du aus Kalmas zurückgekehrt bist, bist du noch mehr am grübeln als sonst." "Ich bin nicht am grübeln, ich bin nur nachdenklich." Scheu senkte Cale seinen Blick und stocherte in seinem Frühstück herum, um seinen Händen eine Tätigkeit zu verschaffen. Das laute Lachen Teleris ließ ihn aufblicken, sein Gegenüber hielt sich die Hand vor den Mund, und schüttelte sacht ihren Kopf. "Nachdenklich ist nur ein schöneres Wort für grübeln, Kleiner. Also, spuck es aus, was lässt deine Stirn so Falten schlagen?" Argwöhnisch nahm Cale einen weiteren Bissen, kaute langsam und bedächtig. "Wenn du es nicht sagen willst ist es..." "Ich habe Naya gesehen." Mit einem lauten Klappern fiel Teleri der Löffel aus der Hand, sie machte keine Anstalten ihn vom Boden aufzuheben. Stattdessen blickte sie Cale schweigend an, ihr Mund war leicht geöffnet, als suche sie nach den richtigen Worten. "Wann? Wo?" fragte sie schließlich und hatte sichtlich Mühe das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken. Sie hatte das Mädchen schon seit Jahren nicht mehr gesehen. Seit dem Tag, an welchem sie Cale hier einen Zufluchtsort gewährt hatte erschien es Teleri, als hätte Naya nicht nur mit Cale abschließen müssen... "In Kalmas," erklärte Cale und hielt seine Stimme so neutral wie möglich. "Lass mich raten, die gebrochene Rippe und das blaue Auge waren ihre Art dich zu begrüßen?" Schweigend nickte er und blies nervös die angestaute Luft aus seinen Lungen. Er spürte den bohrenden Blick Teleris und schaute auf. Die ältere Frau hielt seinem Blick schweigend stand, lehnte sich leicht in ihrem Stuhl zurück und verschränkte ihre Arme vor der Brust. "Hast du auch Ryan gesehen?" fragte sie schließlich und er schüttelte verneinend seinen Kopf. Nicht einmal in seinen kühnsten Träumen vermochte er sich auszumalen, was geschehen wäre, wenn er Ryan dort getroffen hätte. "Cale," bei der Erwähnung seines Namens hob er den Blick. Teleris Augen waren sanft geworden, sie löste ihre verschränkten Arme und ihre rechte Hand legte sich sacht über seine zusammengeballte Faust. "Warum tust du dir das schon so lange an? Du vermisst Naya, du vermisst Ty... Ich weiß, dass du auch sie vermisst..." "Nein," erklärte er schnell, und in seine Stimme hatte sich Bitterkeit geschlichen. "Selbst wenn es jemals einen Weg zurück gegeben hätte... Nein, es ist besser so wie es ist. Ryan und ich, das ist Vergangenheit." "Ach, Kleiner. Weißt du wie häufig ich diesen Satz in meinem Leben schon gesagt oder gedacht habe?" Teleri hielt immer noch seine Faust mit ihrer Hand umschlossen, ihre Finger gaben einen leichten aufmunternden Druck an seine Haut ab, und sie lächelte ihn an. "Ich selbst habe schon so häufig gedacht, dass sie nur noch ein Teil meiner Vergangenheit ist, sie ist es nie lange geblieben. Ryan hat ein Talent dafür nie wirklich zu gehen." Cale war nicht entgangen wie sich das Lächeln auf Teleris Lippen verändert hatte. War es vor wenigen Augenblicken noch aufmunternd gewesen, so hatte sich kaum merklich Wehmut über Teleris Antlitz gelegt. Er ahnte warum, und löste seine bis zu diesem Moment immer noch zusammen gekrampfte Faust, sanft umfing seine Hand die Teleris und gab ebenso sacht den aufmunternden Druck an sie zurück. Ein Weg zurück, dachte er und schüttelte abermals leicht seinen Kopf. Unmöglich... nachdem was ich getan habe, gibt es keinen Weg mehr zurück. Niemals... "Was willst du jetzt tun?" fragte ihn Teleri und brach das Schweigen, das sich über sie gelegt hatte. "Ich weiß es noch nicht. Ich werde morgen nach Aranei aufbrechen, dann sehe ich weiter. Arbeit gibt es für mich dort immer." "Schade, dass du direkt wieder verschwinden willst, aber das meinte ich nicht mit meiner Frage, Cale," erklärte Teleri, erhob sich von ihrem Stuhl und drückte sanft seine Schulter. "Ich hoffe du weißt, was du tust." Cale spürte, wie sie ihm einen flüchtigen Kuss auf seine Stirn hauchte und sich dann wieder ihrer Arbeit widmete. Ja, das hoffe ich auch, dachte er und blickte Gedanken verloren der Sonne zu, wie sie immer höher wanderte und ihre Strahlen das Blattwerk der Bäume vor dem Fenster zum leuchten brachten. Das hoffe ich auch... Angespannt rieb sich Ryan über die Stirn, die vielen unterschiedlichen Stimmen in dem Raum ließen sie schwindeln. Gefühlt seit einer kleiner Ewigkeit saß sie in Mitten ihrer Leute, hörte wie die jeweiligen Sippenoberhäupter gegeneinander redeten, doch keines der Worte erreichte die Ohren des anderen. Diese Zusammenkünfte waren für sie jedes Mal von neuem ein Kraftakt, und sie wusste nicht, wie ihr Onkel es all diese Jahre durchgestanden hatte ohne auch nur einmal die Kontrolle zu verlieren, und diesen Narren die Wahrheit ins Gesicht zu schreien... Aus den Augenwinkln nahm sie die Gestalt wahr, die sich auf leichten Sohlen einen Weg durch die Menschen bahnte und dicht neben ihr zum stehen kam. "Matena (*)," kaum merklich zuckte Ryan bei der Erwähnung ihres Titels zusammen. Wie sehr hasste sie ihn, wieviel hatte sie diesem Titel geopfert und wieviel war sie ihm noch schuldig? "Er ist zurück." Ohne ein Wort zu sprechen nickte Ryan sacht und hob gebieterisch ihre linke Hand. Augenblicklich verstummten die Stimmen und Ryan war dankbar für den kurzen Moment der Stille. "So informativ diese Zusammenkunft auch war, ebenso kurz wird sie auch sein." Einer der Männer furchte seine Stirn und erhob sich von seinem Platz an der langen Tafel. "Matena, die Angelegenheit ist noch nicht beendet und im Namen der Sanaa (*) erwarte ich Klärung. Die Sippe der Banei (*) schuldet uns Kompensation!" Eine ältere Frau war nun ebenfalls aufgesprungen und funkelte den anderen feindselig an. "Kompensation? Für wen haltet ihr euch Odwyn?" "Ihr wisst genau was ihr uns schuldig seit, Auciet. Ich erwarte von unserem Oberhaupt einen Rechtsspruch." Ryan war der Missmut in der Stimme des Mannes nicht entgangen und für einen kurzen Moment ließ sie es zu, dass der Geräuschpegel anwuchs. Fest umklammerten ihre Finger die Armlehne ihres Stuhls am Kopf des Tisches, immer deutlicher nahm sie die Anspannung in ihrem Körper wahr. Fühlte wie ihre Geduld immer mehr schwand. "Genug!" Laut hallte ihre Stimme von den Wänden wieder, und mit Genugtung sah Ryan wie die Oberhäupter erschrocken zusammenfuhren. Schon vor Jahren hatte sie gelernt ihre Stimme zu kontrollieren, mit den Jahren war sie zu ihrem wichtisten Instrument geworden und sie wusste es gezielt einzusetzen. Langsam richtete sie sich zu ihrer vollen Größe auf und ließ ihren Blick über die nervösen Männer und Frauen gleiten. "Es geht hier nicht um die Erhaltung unserer Gemeinschaft, es geht nicht um Krieg oder das Leben eurer Menschen. Das Gebaren was ich hier sehe ist erbärmlich!" "Bei allem Respekt, Matena..." "Schweigt, Odwyn." Langsam glitt der ältere Mann wieder auf seinen Sitzplatz zurück und legte seine Hände in den Schoß, seine Lippen waren zu einer dünnen Linie zusammengepresst als müsse er die Worte, die sich bereits auf seiner Zunge geformt haben krampfhaft zurückdrängen. "Bei all eurem Zwist geht es um fünf Schafe, die vielleicht und möglicherweise versprochen waren oder auch nicht und ich werde keinen Augenblick länger damit zubringen euch dabei zu zuhören, wie ihr euch anschreit wie kleine Kinder." Für einen kurzen Moment holte Ryan tief Luft, und winkte dann die Gestalt zu sich, welche immer noch dicht neben ihrem Stuhl Position bezogen hatte. "Reder, gib Odwyn genau fünf Schafe aus unseren Stallungen." "Ja, Matena," erwiderte der Mann und verbeugte sich leicht. "Mit dieser Geste sehe ich die Angelegenheit als erledigt an. Geht eures Weges. Möge Onone euch segnen." Der leise Gruß schallte von unterschiedlichen Lippen ihr entgegen, und langsam leerte sich der Raum. Als die schwere Tür endlich hinter dem letzten Oberhaupt ins Schloß fiel, sank Ryan müde auf ihren Stuhl zurück. "Narren," dachte sie und nahm einen Schluck aus ihrem Becher. Das leise Knarren der Tür drang an ihre Ohren und innerlich rüstete sich Ryan für das wohl bedeutungsvoller Gespräch, was ihr nun bevor stand. "Matena", hörte sie die Stimme des jungen Mannes in ihren Ohren und erneut schloß sie kurz ihre Augen. "Bitte, nenn mich nicht so, Ty," sagte sie leise und hörte wie die schweren Schritte neben ihr zum stehen kamen. Sie blickte auf, das junge Gesicht zierte ein dichter, dunkler Bart den ihr Gegenüber bei seiner Abreise noch nicht getragen hatte. Die dunklen Haare waren länger geworden und doch hätte Ryan dieses Gesicht unter tausenden erkannt. "Ich wusste nicht wie formell dieses Treffen werden würde oder auch nicht," erklärte Ty und setzte sich auf den nun leeren Stuhl zu ihrer rechten. "Es tut gut dich zu sehen," sacht umfing Ryans Hand die des jungen Mannes und ihre angespannten Nerven beruhigten sich, als er ihr das Lächeln zurück gab. "Ja, dich auch, Ryan." "Auch wenn ich überrascht davon bin, dass du schon wieder zurück bist. Deine Mission war noch nicht beendet." Ein leiser Laut entrann Tys Kehle und er schüttelte leicht seinen Kopf. "Ich weiß nicht, ob ich drei Monate als kurz erachte," sagte er schließlich und schenkte sich einen Schluck Wein in einen der Becher. "Als ich Nachricht von der Gefangenschaft meines Vaters erhielt war ich schon im Hafen von Helton angekommen. Ich war viel zu lange weg, wenn du mich nach meiner Meinung fragst." Schweigend blickte Ryan in die Flammen des Kamins, sie suchte in ihrem Kopf nach den richtigen Worten, doch ihr Geist schien wie ausgelaugt. "Hast du etwas heraus gefunden," fragte sie schließlich. "Gerüchte," erwiderte Ty und ließ sich gegen die Lehne des Stuhls sinken. "Schauergeschichten, die man einem Kind erzählt wenn es nicht gehorcht. Ich bin selbst über die Grenze zum Eismeer gereist, doch ich habe keine Spur von ihm gefunden. Er ist ein Geist, Ryan. Nicht mehr und nicht weniger." Tief amtete Ryan durch und dennoch beruhigte diese Antwort nicht dieses immer noch nagenden Gefühl in ihrer Brust. Sie wusste nicht, warum ihr Onone jede Nacht den gleichen schrecklichen Traum schenkte, doch sie konnte diese Kälte in ihrem Inneren nicht ignorieren. "Und von ihr, irgendwelche Spuren?" Nachdenklich setzte Ty seinen Becker an die Lippen, trank einen Schluck und schwieg bedächtlich."Nein," sagte er schließlich und seine dunklen Augen suchten die Ryans. "Warum suchst du immer noch?" "Ich habe es versprochen, Ty. Ich halte mein Wort," sagte Ryan bestimmt und schloß für einen Moment ihre müden Augen. Sie hatte mit dieser Antwort gerechnet, und dennoch war sie schwer zu akzeptieren. "Es ist schon so viele Jahre her, es gibt von ihr keine Spur. Wir haben jeden Winkel dieses Landes nach ihr durchsucht, sie ist tot, Ryan." Schweigend saßen beide neben einander, das leise Knacken des Feuers war das einzige Geräusch und Ryan sehnte sich nach der Ruhe der Nacht, auch wenn sie bereits wusste, dass sie ihr keinen Frieden schenken würde. Mit einem kräftigen Zug leerte Ty seinen Becker und erhob sich. "Wenn es in Ordnung ist, würde ich jetzt gerne zu meiner Frau. Ich bin froh rechtzeitig hier zu sein, bevor mein Kind das Licht der Welt erblickt. Ein Vater sollte dabei sein, wenn sein Kind geboren wird." Sanft lächelte Ryan und nickte, doch bevor Ty sich zum gehen abwenden konnte, umfingen ihre Hand seinen Unterarm. "Naya braucht dich, Ty," leise war ihre Stimme geworden. Ihre Cousine hatte seit Kalmas kein Wort über ihr Zusammentreffen mit Cale gesprochen, doch Ryan musste, dass Naya litt. Sie vermochte es nicht dies zu zeigen, hielt es womöglich für eine Schwäche, doch Ryan ahnte, dass sie nur bei ihrem ältesten Freund diese Maske fallen lassen würde. "Cale?" "Ja, sie hat ihn gesehen. Sie braucht dich." Kaum merklich nickte Ty und drückte sacht ihre Hand. "Ich kümmere mich um sie. Gute Nacht, Matena." Mit einer leichten Verbeugung ließ Ty Ryan zurück. Die plötzliche Stille legte sich wie eine Decke über sie, ausgelaugt blieb Ryan in ihrem Stuhl sitzen. Sie spürte wie sich eine kleine Stelle dicht über ihrem Herzen kaum merklich erwärmte und sie legte beschützend ihre Hand dort ab. Es wird ihr wieder gut gehen. Mach dir keine Sorgen, ich passe auf sie auf... Mit zitternden Händen hielt sie die kleine Papierrolle in den Händen. Ihr Daumen strich über das dunkle Siegel aus Wachs. Jede einzelne Nervenende in ihrem Körper vibrierte vor Anspannung, als das gehärtete Material endlich unter ihren Fingern nachgab. Eilig strich sie den Brief glatt, zog die fast herunter gebrannte Kerze näher zu sich um die Worte besser entziffern zu können... Es ist Zeit. Halte dich bereit, unsere Zeit ist endlich gekommen... Es waren nur wenige Worte, doch für sie waren sie alles, was sie wissen musste. Kaum merklich zuckten ihre Mundwinkel und in ihren dunkelblauen Augen machte sich Erkenntnis breit. Wie lange hatte sie auf diese Nachricht gewartet? Es ist Zeit... © 2018 L. Petri *Matena/Mateno: Titel des Oberhauptes der Vereinigung des weißen Steines (Onones Kinder). Die weibliche Form ist Matena, die männliche Mateno. *Onones Kinder: Die Vereinigung gliedert sich in insgesammt sechs Stämme. Die Sanaa, die Banei, die Harlau, die Taeseli, die Lanida und die Kouangu. Unterstellt sind sie nur dem Oberhaupt Onones. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)