Onones Kinder von Gurgi ================================================================================ Kapitel 6: Erinnerungen ----------------------- (18 Jahre zuvor) Dunkle Wolken verhüllten die Sonne, der mächtige Wind peitschte die Äste der Trauerweide am Ufer des Sees über dessen Oberfläche. In den letzten Monaten hatte sich das Wetter zu verändern begonnen. Die Luft war schleichend immer kälter geworden, das dichte Blattwerk der Bäume hatte sich zu beginn in wunderschöne Farben gehüllt, um nun leblos zu Boden zu sinken. Die Natur hatte Schritt für Schritt begonnen zu sterben, umhüllte die Welt in eine trügerische Stille. Müde fuhr sich Ayesha durch ihre schwarzen Haare, schon seit den frühen Morgenstunden befand sie sich in ihrem Arbeitszimmer und die Mauern des Zimmers schienen sie mit jedem Augenblick mehr zu erdrücken. Wie sehr hatte sie als Kind dieses Zimmer gehasst. Es war in diesen Jahren der Ort gewesen, an welchen ihr Vater für sie unerreichbar war. Den Großteil des Tages hatte sich Arlon in dieses Zimmer zurückgezogen, und es war Ayesha nie gestattet gewesen ihn während dieser Zeit zu stören. Welche Ironie war es, dass nun sie selbst in diesem Zimmer gefangen war? Missmutig fiel ihr Blick auf die unzähligen Briefe auf ihrem Schreibtisch, Leta hatte es sich nicht nehmen lassen sie immer wieder von neuem mit Arbeit zu versorgen. „So kommt Ihr wenigstens nicht zum nachdenken,“ hatte die alte Frau ihr aufmunternd erklärt, doch Ayesha war das spöttische Lächeln auf ihren Lippen nicht entgangen. Sie wusste nur zu gut, dass Leta mit den Ereignissen der letzten Monate mehr als zufrieden war. Tief amtete Ayesha die Luft in ihre Lungen, seit jenem Abend hatte Ayesha nichts mehr von ihr gehört. Sie wusste nicht wie es ihr ging, wo sie war, ob Ryan sie womöglich ebenso sehr vermisste wie es Ayesha jeden Moment tat. Sie sehnte sich nach ihrer Stimme, ihren Händen die es vermochte sie im Hier und Jetzt zu halten, ihrer Präsenz in welcher nur sie selbst sein konnte... Gedankenverloren wanderten ihre Finger das dünne Lederband hinab zu dem kleinen Anhänger, umfassten ihn beinahe zärtlich, doch erneut fühlte sie nur die kalte Oberfläche des Steins. Er bescherte ihr keine Botschaft, kein Zeichen. Sie ahnte wie viel Kraft es Ryan kosten mochte sich vor ihr derart zu verschließen. „Wo bist du nur?“ flüsterte sie leise und umklammerte für den Bruchteil einer Sekunde den kleinen Anhänger. „Ich weiß, dass du mich fühlst. Wo bist du nur?“ Seufzend richtete Ayesha ihren Blick wieder auf das Pergament, welches vor ihr lag, und begann des Brief Torats zu ende zu lesen. Sie lächelte leicht, als sie den Abschnitt über Cale erreichte. Sie war froh zu hören, dass es ihm gut ging. Er würde noch einen weiteren Monat bei seinem Vater und dessen Leuten weilen, er vermisste sie, doch Ayesha wusste wie wichtig es für ihm war Zeit bei seinem Vater zu verbringen. Sie wäre niemals in der Lage dazu ihm diese Zeit zu stehlen, sie selbst wusste was es bedeutete wenn einem dieser Teil auf ewig fehlte. Leise öffnete sich die Tür zu ihrem Arbeitszimmer, ohne den Blick vom dem Brief zu nehmen, verfinsterte sich Ayeshas Miene und sie ließ die Person ungerührt das Zimmer betreten. „Lass mich alleine, Leta. Für heute brauche ich weder neue Ermahnungen noch dich in meiner Nähe,“ erklärte sie bestimmt, erschrak jedoch im nächsten Moment, als das klare Lachen einer jungen Stimme die Stille des Zimmers durchschnitt. „Was du auf jeden Fall brauchst sind neue Wachen, Kleine. Sie sollten wissen, dass man nichts von Fremden, seien sie auch noch so charmant, annehmen sollte.“ „Was willst du hier, Teleri?“ fragte Ayesha ohne ihren Blick von dem Brief zu nehmen. Sie hatte versucht ihre Stimme fest und gebieterisch klingen zu lassen, und betete zu Moya (*), das es ihr gelungen war. Unbekümmert zog sich ihr ungebetener Gast einen Stuhl heran, ließ sich mit einem zufriedenen Seufzer nieder und beäugte interessiert die ihr unbekannte Umgebung. „Nett hast du es hier, etwas kahl und unpersönlich, aber sicherlich einer Frau deines Standes würdig,“ bemerkte Teleri und griff nach dem unberührten Becher auf Ayeshas Schreibtisch. „Du erlaubst?“ Ohne eine Antwort abzuwarten schenkte sie sich aus dem daneben stehenden Krug ein. „Fühle dich ganz wie zuhause,“ schneidend war Ayeshas Stimme geworden und sie verschränkte abwehrend ihre Arme vor der Brust. Schweigend musterten sich beide Frauen, schienen abzuwarten wer als erstes die erdrückende Stille zwischen ihnen beenden würde. Deutlich fiel Ayesha auf, wie wenig sich Teleri seit ihrer letzten Begegnung verändert hatte. Sie umgab immer noch die gleiche Aura wie damals. Unbeugsam, schön und dem Leben, was ihr nur all zu häufig den Boden unter den Füßen fort gezogen hatte trotzend. In den blauen sie musternden Augen konnte Ayesha den Hauch von Missbilligung erkennen. Kaum merklich räusperte sich Ayesha und fixierte Teleri mit einem forschenden Blick. „Was willst du hier?“ fragte sie erneut und spürte wie sie unter dem spöttischen Blick Teleris immer unruhiger wurde. Nachdenklich nahm Teleri einen weiteren Schluck aus dem Becher, ließ sich leicht im Stuhl zurück sinken. „Kannst du dir das wirklich nicht denken?“ „Ich wüsste nicht, was wir beide zu sprechen hätten,“ entgegnete Ayesha leise. „Ich will wissen, wann du mich von dem Häufchen Elend, das bei mir seit Monaten ihr Leid ertränkt endlich erlöst. So amüsant diese Pose vielleicht noch vor ein paar Wochen für die Götter gewesen sein mochte, sie wird mit jedem Tag mehr schlecht für mein Geschäft.“ „Ryan? Sie... sie ist bei dir,“ wild rasten die Gedanken in Ayeshas Geist, all die Monate der Ungewissheit, der Sorge verwandelten sich in kalte Enttäuschung. „Natürlich ist sie bei mir, wo soll sie sonst hin. Wen hat sie denn außer uns beiden,“ erklärte Teleri spitz. „Nima und Ragan haben bereits versucht sie zum gehen zu bewegen, aber der störrische Esel lässt sich ja von niemanden etwas sagen.“ „Und warum glaubst du, sie würde auf mich hören?“ Teleri war die Veränderung in Ayeshas Stimme nicht entgangen, sie konnte die Kränkung deutlich in jedem einzelnen Wort vernehmen. Sie hatte bereits während ihrer Reise zum Katzenstein geahnt, dass dieser Kampf kein einfacher werden würde. „Du machst Witze, oder?“ fragte sie irritiert und faltete sacht ihre Hände ineinander. „Ayesha, sie liebt dich, ein einziges Wort von dir und sie wäre schneller aus der Tür als ich Cipos Arsch sagen könnte. Glaubst du ich wäre aus irgendeinem anderen Grund hier?“ Argwöhnisch runzelte Ayesha ihre Stirn, richtete sich in ihrem Stuhl auf und funkelte Teleri aus zornigen Augen an. „Sie ist bei ihr...“ dachte sie und spürte wie Eifersucht durch jede Faser ihres Körpers wie Gift zu ihrem Herzen wanderte. „Ich denke, sie ist genau dort wo sie sein möchte. Du hast also das wieder, was du schon so lange zurück wolltest. Glückwunsch, sie gehört dir.“ Kopfschüttelnd barg Teleri ihr Gesicht in ihren Handflächen. Wie konnte diese Frau nur so töricht sein? „Zum einen kann mir nichts gehören, was es schon seit Jahren nicht mehr tut,“ begann sie mit ruhiger Stimme zu erklären und ließ Ayesha keinen Moment aus den Augen. „Und zum anderen, nehme ich mir nichts, was bereits jemand anderem gehört. Das Ayesha ist wohl eher dein Gebiet, wenn ich mich recht erinnere...“ Die trotzige Antwort erstarb in Ayeshas Kehle und sie senkte beschämt ihren Blick. Nur all zu gut wusste sie, dass Teleris Worte nicht darauf abgezielt hatten sie zu verletzen, sie waren die Wahrheit. Eine Wahrheit, die Ayesha nur all zu gerne versuchte in den tiefsten Winkeln ihrer Vergangenheit zu verbannen. Sanfte Finger umfingen ihre Hand und die blauen Augen Teleris suchten ihren Blick. „Ayesha, ich habe bestimmt nicht den weiten Weg auf mich genommen um Spielchen mit dir zu spielen. Wenn du mich fragst ob ich sie liebe, dann ja, ich liebe sie und genau aus diesem Grund bin ich hier. Ich will und kann nicht einen Moment länger zu schauen, wie sie sich quält. Es ist mir egal ob du mir glaubst oder nicht, aber ich kann nicht tatenlos zu sehen wie sie sich wegen dir zugrunde richtet.“ Die Aufrichtigkeit in Teleris Worten traf Ayesha mit der Wucht eines gigantischen Schlags. Sie kämpfte darum ihre Fassung zu bewahren, versuchte sich hinter der unnahbaren Fassade die sie sich über die Jahre aufgebaut hatte zu verstecken. Es war zwecklos, Tränen glitzerten in ihren Wimpern und sie verstärkte den Druck um Teleris Hand. „Ich vermisse sie,“ gab sie schließlich zu und spürte wie die Last der letzten Monate von ihr abfiel. „Was sitzt du dann noch hier?“ fragte Teleri leise... Ein dumpfes, tiefes Schlagen drang an seine Ohren, ein tiefer Atemzug füllte seine Lungen und seine Kehle brannte von dem Sauerstoff der jede Faser seines Körpers zu versengen schien. Keuchend versuchte Cale seine Augen zu öffnen, doch ihn umgab nur Dunkelheit. Panisch versuchte er sich aufzurichten, doch seine Beine gaben unter dem Gewicht seines Körpers nach als wäre er ein Neugeborenes, das versuchte seine ersten zaghaften Schritte in dieser Welt zu vollführen. Deutlich spürte er sein hämmerndes Herz in der Brust, die Atemzüge wurden unregelmäßig, er schüttelte seinen Kopf. Vorsichtig versuchte er seine Hände zu bewegen, doch seine Finger waren taub und unbrauchbar, er konnte ein unbekanntes Gewicht um sie fühlen, stöhnend ließ er seinen Rücken gegen die kalte Wand aus Stein sinken. Noch nie in seinem Leben hatte er sich so hilflos gefühlt, das kalte Gefühl von Panik befiel seine Glieder und Cale versuchte abermals sich aufzurichten, um nur erneut wieder hart auf dem nach faulen Stroh riechenden Boden aufzuschlagen. Kaum merklich spürte er wie der Boden unter ihm leicht zu vibrieren begann, Schritte kamen näher und ein fester Griff umfing seine Oberarme. Er versuchte sich zu wehren, immer noch gefangen in der Dunkelheit seines erloschenen Augenlichts. Der Griff verstärkte sich und er spürte wie er gegen die Wand des Raumes gelehnt wurde. Er versuchte zu sprechen, doch aus seiner Kehle entrann nur ein gurgelnder Laut. „Spare dir deine Kräfte, du wirst sie noch brauchen.“ Kalt war die Stimme über ihm, als wäre aus ihr schon vor Jahren alle Wärme gewichen, ein Schauer jagte seinen Rücken hinunter und er fühlte wie sich die feinen Härchen in seinem Nacken aufrichteten. Sein Körper spürte die Gefahr die von dieser Frau ausging, auch wenn seine Augen sie nicht erblicken konnten. Tief atmete er durch, brachte seine rasenden Gedanken unter Kontrolle. „Wo... wo bin ich,“ krächzend war seine Stimme, als hätte er sie seit Wochen nicht benutzt. Rau war seine Kehle und er bemerkte erst jetzt das unangenehme Gefühl der Trockenheit in seinem Mund, als wäre er Tage lang ohne Wasser gerannt. Das leise Kratzen von Stiefelsohlen kam immer näher, er hörte das Plätschern von Wasser, ein kaltes Metall drückte auffordernd gegen seine Lippen. Er fühlte das kühle Wasser an seinen aufgesprungenen Lippen, und es kostete ihn all seine Willenskraft den Mund nicht zu öffnen. Ein leises Lachen durchschnitt die Stille des Raumes und der Druck gegen seine Lippen intensivierte sich für den Bruchteil eines Momentes. „Trink,“ hörte er die Stimme nun sanfter sprechen. „Wenn ich dich hätte tot sehen wollen, hätte ich es in Aranei bereits erledigt.“ Zögernd öffnete Cale seine Lippen, doch als die ersten kühlen Tropfen seine Zunge benetzten, verließ ihn seine Willenskraft und er trank gierig das ihm dargebotene Wasser. Immer schneller rann das kühle Wasser seine Kehle hinunter, bis er seinen Kopf prustend der Kelle entwand. „Langsam, du hast seit Tagen keine Flüssigkeit zu dir genommen.“ Seit Tagen... wie lange bin ich schon hier? Fragte er sich und öffnete hoffnungsvoll seine Augen, doch wie zu vor umfing ihn nur beklemmende Dunkelheit. „Ich, ich kann nicht sehen“, keuchte er atemlos. „Ein unerwünschter Nebeneffekt,“ erwiderte die Frau ungerührt, und er hörte wie sie sich in seiner Nähe auf den Boden niederließ. „Du wirst bald wieder sehen können.“ Stöhnend setzte sich Cale auf, froh, dass ihm seine Beine für diese so kleine Bewegung gehorchten. Deutlich vernahm er den Atem der Frau, die stumm in seiner Nähe verweilte. „Wo bin ich,“ fragte er erneut, seine Stimme klang fester und er spürte wie die Taubheit mit jedem Augenblick mehr aus seinen Gliedern zu weichen begann. „Im Norden,“ gab ihm die Frau zur Antwort und er konnte das spöttische Lächeln förmlich fühlen, das von ihr auszugehen schien. „Alles weitere wirst du erfahren sobald du wieder mehr unter den Lebenden weilst als unter den Toten.“ Mit einer schnellen Bewegung erhob sich die Frau, ihre Schritte hallten sacht auf dem Boden wider und ein dumpfes Klopfen ließ Cale kaum merklich zusammenzucken. „Openian (*),“ das Knarren der schweren Tür ließ Cale aufhorchen und ohne ein weiteres Wort verschwand die Frau aus dem Raum, laut fiel die Tür ins Schloss. Ogronier , dachte er und hielt sich seine schmerzende Seite. Ich stecke dieses Mal ziemlich tief im Dreck... Erschöpft ließ Cale seinen Kopf gegen die Wand sinken, die Ausweglosigkeit seiner Situation erdrückte ihn mit jedem Atemzug. Tief holte er Luft, konzentrierte sich darauf seinen Geist über die Grenzen seines Gefängnisses hinweg treiben zu lassen. Er fühlte wie sich ein Teil seiner Präsenz von ihm löste, er biss seine Zähne zusammen und konzentrierte seine Gedanken auf die letzte Person auf dieser Welt die er um Hilfe anflehen wollte. Ich stecke ziemlich in Schwierigkeiten... Ryan... ich brauche Hilfe... Hilfe... Bitte... Ogronier... Ich weiß nicht was ich tun soll...Bitte...Norden... Das sanfte Rauschen der mächtigen Weide war das erste was ihr Gehör wahrnehmen konnte. Der sanfte Nebel begann sich im aufkommenden Wind immer mehr in Nichts zu verwandeln. Deutlich konnte sie nun ihre Umgebung wahrnehmen, und die Erkenntnis wo sie sich befand ließ ihr Herz schwer werden vor Trauer. Zögernd lief sie die ersten Paar Schritte in Richtung des Ufers, der Kies knirschte unter ihren Füßen, sie roch den Duft der Wälder der sie wie eine schützende Decke umhüllte. Leise plätscherten die Wellen des Sees und umspülten ihre Füße, deutlich spürte sie die Kälte des Wassers auf ihrer Haut. Es war so wirklich, und doch wusste sie, dass es sich hier nicht um die Wirklichkeit handeln konnte, so sehr sie sich auch danach sehnen mochte. Aus ihren Augenwinkeln hatte sie die zwischen den Wurzeln der Trauerweide sitzende Gestalt bereits wahrgenommen, doch sie verbot sich mit all ihrer Willenskraft sie anzusehen. „Es ist lange her,“ Zärtlichkeit lag in der Stimme, Sehnsucht und Traurigkeit. Tief amtend schloss sie ihre Augen, es war einfacher es über sich ergehen zu lassen ohne den Blick auf die Person zu richten nach der sie sich jeden Augenblick verzehrte. „Ich weiß, dass du nicht wirklich hier bist,“ erklärte sie bestimmt und richtete ihren Blick wieder auf den See, nur um ihre Augen erneut niedergeschlagen zu schließen. „Warum straft mich Onone mit diesen Träumen?“ Sie hörte wie sich die Gestalt von ihrem Sitzplatz erhob und erst dicht vor ihr zum stehen kam, sie konnte den Duft des anderen Körpers deutlich riechen. Lavendel, Wildkräuter und etwas unvergleichliches, was nur diese Person ausgemacht hatte. Immer noch hielt sie krampfhaft ihre Augen geschlossen, wollte nicht sehen, was im Morgen wieder verschwunden war. Eine sanfte Hand legte sich auf ihre Wange, und sie erschrak über die Wärme die sie deutlich auf ihrer Haut fühlen konnte. Es war so wirklich... „Ryan, ich bin hier. Sieh mich bitte an.“ Verzweifelt schüttelte sie ihren Kopf, sie konnte sich diesen Moment der Schwäche nicht erlauben. Sie wusste, dass sie dafür am Ende nur mit mehr Schmerz bezahlen würde. Die zweite Hand umfing ihre andere Wange, hielt sie gefangen und warme Lippen pressten sich fordernd auf die ihren. Ein leiser Seufzer entfuhr ihr, Tränen brannten auf ihren Wangen als sie sich endlich dem Gefühl tief in sich nachgab. Fest umschlangen ihre Arme den anderen Körper, zogen ihn so dicht an den ihren, dass die fremde und doch so bekannte Wärme jeden Millimeter zu versengen schien. Zögernd öffnete sie ihre Augen und ihr Atem stockte in ihrer Kehle, als sie nach so langer Zeit endlich die so vertrauten Augen erblickte. Sanft lehnte sie ihre Stirn gegen die der anderen, klar hörte sie ihren Atem der über ihre Lippen streichelte. „Ayesha“; flüsterte Ryan und erlaubte sich zum ersten Mal die Person in ihren Armen anzublicken. „Wie, wie ist das möglich“, flüsterte Ryan leise und hörte das klare Lachen Ayeshas dicht an ihrem Ohr. „Es ist nicht das erste Mal, dass ich versuche dich zu sehen. Bis jetzt warst du sehr beharrlich darin es nicht geschehen zu lassen.“ „Ayesha, es tut mir so leid,“ stammelte Ryan und vergrub ihr Gesicht in Ayeshas Schulter, gierig sog sie den Duft ihrer Haut in ihre Lungen, beinahe hätte sie ihn in all den Jahren vergessen. „Ich hab versagt, in so vielen Belangen... Es tut mir so leid...Verzeih...“ Sanft legte Ayesha ihren Zeigefinger auf ihre Lippen und schüttelte sacht ihren Kopf. „Es gibt nichts, für das du dich entschuldigen müsstest. Hörst du Ryan? Nichts!“ Ungläubig nickte Ryan, nahm das Gesicht Ayeshas sanft in ihre Hände. „Bei Onone, warum bist du nicht hier?“ „Ich bin immer bei dir“, erklärte Ayesha zärtlich und umfing ihre Lippen abermals mit den ihren. Sacht legte sie ihre Handfläche auf die Stelle über Ryans Herzen. „Ich bin immer genau hier.“ Sanft zog Ayesha Ryan in ihre Arme, stumm schien sie die andere eine Ewigkeit zu halten. Der Wind begann allmählich abzuflauen, der Nebel kroch lautlos über den See, hüllte die eng umschlungenen Körper ein. „Ryan,“ flüsterte Ayesha leise und suchte ihren Blick. „Ich habe nicht mehr viel Zeit. Höre mir gut zu, es kommt etwas auf euch alle zu was ich in seinen Ausmaßen nicht in der Lage bin zu beschreiben. Wir haben vieles zusammen durchgestanden, und es tut mir leid, dass ich für all die anderen Dinge nicht an deiner Seite war...“ „Ayesha...“ „Lass mich bitte aussprechen“, bestimmt war Ayeshas Stimme geworden und Ryan gehorchte ihr ohne Widerworte. „Aber das ist eine Gefahr, die weder du noch ich jemals gesehen haben. Cale ist in großen Schwierigkeiten, er braucht Hilfe. Unser... unser Sohn braucht dich, vielleicht mehr als jemals zu vor.“ Immer dichter wurde der Nebel, und mit jedem Moment verstärkte Ryan den Druck um Ayeshas Körper, versuchte ihn festzuhalten, sie nicht wieder aufzugeben. Sanfte Hände lösten ihren Klammergriff und Ayesha führte ihren Handrücken an ihre Lippen. „Es ist Zeit...“ „Bitte,“ stieß Ryan hervor. „Bitte lass mich nicht wieder alleine... Ich will genau hier bleiben, hier bei dir.“ „Die Zeit ist dafür noch nicht gekommen“, Traurigkeit ließ Ayeshas Stimme leicht zittern, sacht strich sie Ryan über die Wange und sie lächelte schief. „Und ich hoffe, dass dieser Moment noch eine ganze Weile dauert.“ Niedergeschlagen schloss Ryan ihre Augen, kämpfte gegen die erneut in ihr aufsteigenden Tränen. Wie unfair war es einen geliebten Menschen zwei Mal zu verlieren, und auch dieses Mal nichts dagegen tun zu können. „Aber wenn dieser Moment gekommen ist, dann werde ich genau hier auf dich warten...“ „Ayesha...“ mit einem gellenden Schrei fuhr Ryan aus ihrem Schlaf empor. Stille schlug ihr entgegen und sie konnte nur ihren keuchenden Atem vernehmen. Schmerz brannte in jedem Winkel ihres Körpers. Immer noch glaubte sie Ayeshas Wärme zu spüren, gedankenverloren strich sich Ryan über ihre Lippen. Es war so wirklich gewesen, so greifbar, beinahe so als hätte Onone ihr nicht wieder einen grausamen Streich gespielt. Stöhnend ließ sie sich in die Kissen zurück sinken, feine Schweißperlen liefen ihren Nacken hinunter, wütend schlug sie die Bettdecke von sich und setzte sich an den Rand des Bettes. Es war nicht das erste Mal gewesen, dass sie von Ayesha geträumt hatte, doch noch nie waren diese Träume so real gewesen wie dieser. In ihrem Geist begann Ryan zu zählen, versuchte so ihren panischen Atem unter Kontrolle zu bringen. Ihr Kopf dröhnte und sie hörte deutliche Worte in ihrem Geist widerhallen. Hilfe...Ryan...Ogronier... Hilfe... Norden... So sehr sie sich auch bemühte, sie konnte die Stimme in ihrem Geist nicht zum schweigen bringen. Sie konnte die Angst in ihr beinahe fühlen. „Cale,“ flüsterte sie leise und wischte sich erschöpft den Schweiß von der Stirn. Ein lautes Klopfen riss sie aus ihren Gedanken . Mit einem tiefen Atemzug erhob sie sich, schlang den Mantel neben ihrem Bett über ihre Schultern und trat aus ihrem Schlafzimmer in den Flur hinaus. „Herein.“ Mit einem Ruck öffnete sich die Tür des Hauses und Reder stand mit gezückter Waffe im Türrahmen. „Verzeiht, Matena. Ich habe Schreie gehört, ist mit euch alles in Ordnung.“ Ein spöttischer Laut entrann ihrer Kehle, wie konnte überhaupt irgendetwas in ihrem Leben in Ordnung sein, wenn sie sich mehr nach der Traumwelt verzehrte als nach dem wahren Leben? „Reder, schlag Alarm. Bring Ragan, Ty und Naya zu mir.“ Gebieterisch war ihre Stimme geworden, sie erkannte die Verwirrung in dem Gesicht des jungen Mannes, doch sie wusste, dass sie für Erklärungen keine Zeit hatte. „Und beeil dich!“ „Ja, Matena,“ ohne ein weiteres Wort verschwand Reder in der dunklen Nacht. Im nächsten Moment ertönte das dumpfe Dröhnen eines Horns und Ryan konnte von der Tür ihres Hauses sehen, wie in den umliegenden Häusern der flackernde Schein von Kerzen die Fenster erhellte. Schwer amtend krallten sich ihre Finger in das Holz des Türrahmens. Ich hoffe du hast Recht, Ayesha... Ich hoffe du hast Recht, dachte sie, während um sie herum die Stille der Nacht von dem erneuten Klang des Hornes durchzuckt wurde. Worterklärungen: * Moya: Durch die Ehe von Zert (Nacht) und Moya (Tag) wurde am Anbeginn der Zeit das Land geschaffen. Durch die Verbindung der beiden Gegensätze entstanden das Leben und die Götterwelt Barolons. * Openian: aufmachen, öffnen (ogronische Sprache) © 2018 L. Petri Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)