Onones Kinder von Gurgi ================================================================================ Kapitel 2: Der Weg zu goldenen Stadt ------------------------------------ Der Weg zu goldenen Stadt (13 Jahre zuvor) Mit heftigen Stößen trommelte der Sturm gegen die Fensterscheiben, Blitze zerrissen den schwarzen Nachthimmel und ein deutlicher Donner grollte in der Ferne. Vorsichtig drückte die kleine Kinderhand die schwere Holztür einen Spalt auf, sorgsam darauf bedacht von niemandem bemerkt zu werden. Der helle Schein von Feuer stach ihm in die Augen und der Junge blinzelte leicht, bis sich seinen Augen an das helle Licht angepasst hatten. Leise atmete er ein und aus, und lugte durch den Spalt hindurch. Zwei Frauen saßen dicht am Feuer, eine von ihnen leicht zusammen gesunken, er konnte deutlich erkennen, dass ihr Körper zitterte. Zaghaft streckte die blonde Frau eine Hand aus, ließ sie dann jedoch sofort wieder sinken, ihr Blick – ihre Augen schienen traurig, fast geschockt. „Es tut mir leid, Ryan.“ Die Stimme klang rau, bebte leicht als sie die Worte sprach, kaum merklich wischte sich die Frau über ihre Augen. „Du - Du kannst wirklich nichts mehr tun? Ich meine, wir können nichts mehr tun?“ Mit schrecken erkannte der Junge, wie die andere Frau leicht den Kopf schüttelte, plötzlich drang ein Laut an seine Ohren, der sein Mark erschaudern ließ. Es war kein Schrei gewesen, viel eher war es einem verwundeten Tier ähnlich, dass sich in gigantischer Agonie wand. Seine kleinen Händen klammerten sich am Türrahmen fest, ein Holzsplitter drang in einen seiner Finger, doch er bemerkte es kaum, still stand er da, und hörte diesem erstickten Laut zu, während sich in seinen grünen Augen Tränen zusammeln begannen. „Es tut mir so leid,“ stammelte es wieder, und dieses Mal nahm die andere Frau die zitternde Hand ihres Gegenübers in die ihre und drückte sie sacht. „Ihre Wunden sind zu schwer, die Entzündung in ihrem Körper bedingt das hohe Fieber, und die inneren Blutungen… Ich kann nichts tun.“ „Bei Onone,“ wisperte es leise. „Warum tust du mir das an? Warum? Wie soll ich es ihm nur erklären – Wie soll ich es ihm nur erklären?“ Vorsichtig wurde der bebende Körper in einer Umarmung gefangen, ersticktes Schluchzen verlor sich mit den Geräuschen des Sturms. „Wie lange?“ fragte die größere der beiden Frauen und wischte die Spuren der Tränen von ihren Wangen. „Ich weiß es nicht,“ erklang die ehrliche Antwort. „Vielleicht ein bis zwei Tage… Ich kann es nicht genau sagen.“ „Ich-Ich kann sie doch nicht verlieren, nicht jetzt, nicht so… Ich…“ die letzten Worte wurden von einem erneuten Schluchzen verschluckt, durch einen dicken Tränenschleier hindurch sah der Junge, wie sich der Körper der Frau nach vorne bog, und dieser mit Wogen von Trauer durchgeschüttelt wurde. Langsam ließ er seine Hand sinken, trat mehrere Schritte zurück und schluchzte leise. „Mama,“ dachte er nur und dann traf ihn der gesammelte Schmerz wie ein einziger gigantischer Schlag, seine Beine gaben nach, und er rutschte die kalte Steinwand hinter sich kraftlos hinunter. Tränen überspülten sein kindliches Gesicht, und er vergrub es in seinen angezogenen Beinen… Kaum merklich begannen die Augenlider des jungen Mannes zu flattern, mit einem erstickten laut öffneten sie sich vollständig, rasche Atemzüge entglitten seiner Lunge und er setzte sich verstört auf. Der sanfte Schein des Feuers erhellte die kleine Waldlichtung nur minimal, Schatten tanzten an den mächtigen Baumstämmen und erweckten den Eindruck, als würde hinter jedem dieser möglichen Verstecke ein potenzieller Feind lauern. Erneut blies er die Luft durch seine Zähne hindurch, und fuhr sich schlaftrunken über die Augen. „Nur ein Traum,“ flüsterte er sich selbst aufmunternd zu. „Nur ein Traum...“ Es war schon eine sehr lange Zeit her gewesen, dass er von solchen Träumen heimgesucht worden war, es war lange her, dass er ihr Gesicht gesehen, ihren Blick auf sich gespürt oder ihre Stimme vernommen hatte. Für einen kurzen Moment schloss Cale noch einmal seinen Augen, und versuchte seine ungleichmäßige Atmung unter Kontrolle zu bringen. Immer noch glaubte er diese Augen auf sich gerichtet zu spüren, diese seltsamen Augen – Augen aus Bernstein.... Ein leichtes Gähnen entfuhr ihm, und er richtete sich mit einem Ruck auf, merkwürdig taub fühlten sich seine Glieder an, während er versuchte sich zu strecken. Das gleichmäßige schnarchen von Eylon drang an seine Ohre, sein Weggefährte schlief tief und fest, sein Kopf ruhte an einem Stamm und die schlaffe Hand hielt immer noch den Knauf seines Messers umschlossen. „Schlechte Träume, Kleiner?“ Argwöhnisch wandte sich Cale ihrem Gefangenen zu, er bemerkte wie sich der Blick des älteren Mannes in diesem Moment veränderte. Er konnte nicht deuten was sich genau in diesen abspielte, doch er bemerkte genau, wie sich der Schein des Feuers für einen kurzen Augenblick in den Augen des anderen brach. „Habe ich dir nicht schon einmal gesagt, dass ich es nicht leiden kann, wenn du mich so nennst?“ fragte Cale und ließ sich dicht neben Eylon nieder sinken. Der Schlafende zuckte kurz, und gab einen laut des Missmutes von sich, doch er schlief weiter. „Und außerdem,“ fuhr Cale fort und stocherte nachdenklich mit einem Ast in die Glut des Feuers hinein. „Es geht dich nun wahrlich nichts an, von was ich geträumt habe“ „Wahr,“ bemerkte Ragan und setzte sich ein wenig auf. Er spürte, wie seine alt gewordenen Knochen schmerzten. „Allerdings weißt du genauso wie ich, deinen Kumpanen lasse ich hier außen vor, dass ich dich schon lange genug kenne um dich so anzureden.“ Ein kaltes Lächeln stahl sich über Cales Lippen, zaghaft wandte er dem älteren Mann wieder seinen Blick zu. „Ich muss wirklich sagen, für einen Gefangenen bist du verdammt vorlaut,“ ein leichtes Lachen erklang von seinem Gegenüber und Ragan nickte sacht. „Ja, das bin ich wohl. Ich habe irgendwie nie verstanden, wie man sich als Gefangener verhalten soll. Immerhin es ist das erste Mal für mich. All die Jahre habe ich es immer geschafft Leuten wie euch zu entkommen. Ich werde wahrlich alt.“ Ein lautes Seufzen begleitete Ragans letzte Worte. Er fühlte sein alter mit jedem Tag mehr und mehr, wie viel hatte er schon gesehen, ertragen müsse, doch er konnte nicht einfach los lassen, sie brauchte ihn mehr als es ihr womöglich selbst bewusst war. „Hätte ich gewusst, dass es sich um dich handelt, hätte ich den Auftrag nicht angenommen.“ Die unvermittelte Ehrlichkeit in dieser Äußerung traf Ragan unerwartet, verstohlen betrachtete er den jungen Mann, welcher das absolute Ebenbild seiner Mutter war, ob ihm dies bis jetzt als Segen oder Fluch erschienen sein mochte, konnte Ragan nur erahnen. „Ich weiß, Cale,“ antwortete Ragan ebenso leise und starrte Gedanken verloren in die Flammen des Feuers. Schweigend saßen beiden neben einander, ein leichter Windstoß ließ das Geäst über ihnen ächzen und stöhnen, der schwarze Nachthimmel zeigte an einigen wenigen Stellen bereits die Spuren des Morgens. „Wird es so ablaufen wie immer?“ Tief atmete Cale durch, vergewisserte sich mit einem verstohlenen Blick, dass Eylon immer noch fest schlief. Es behagte ihm nicht, dass er vor seinem Freund solch ein Geheimnis verbergen musste, insbesondere ein solches, welches sie beide den Kopf kosten könnte. Auf der anderen Seite wusste er genau, dass der ältere Mann gewiss Einspruch erhoben hätte, sobald Cale ihm alles erklären würde, und es war nicht von der Hand zu weisen, dass sie beide gut von diesem „Handel“ lebten. Schweigend blickte Cale Ragan an, erst jetzt fiel ihm auf, wie alt dieser Mann geworden war, seid dem er ihn das letzte Mal gesehen hatte, was sich für ihn wie eine kleine Ewigkeit angefühlt hatte. „Ich denke schon,“ erklärte er leise, und ein sachtes Nicken begleitete seine Worte. „Ich meine, keiner von euch war lange in Gewahrsam. Du wirst da keine Ausnahme sein, außer sie möchte dich loswerden, alter Mann.“ „Warum benutzt du nie ihren Namen?“ fragte Ragan ebenso leise, während er sein Gegenüber sorgsam musterte, doch er konnte keine Gefühlsregung in der Körperhaltung des Jungen ausmachen. Ein leises Lachen entfuhr Cale, und er schüttelte leicht seinen Kopf. „Weil es gefährlich ist ihren Namen auszusprechen,“ erklärte er und seine Stimme nahm einen eisigen Ton an: „Manch einer hat für weniger seinen Kopf verloren, ich persönlich mag ihn an dem Platz, an dem er im Moment sitzt. Außerdem seid ihr in den Augen von vielen nichts weiter als eine Bande von Meuchelmördern, wie töricht wäre es da herum zu prallen wer ich bin und was ich alles weiß, und wen ich alles kenne oder auch nicht?“ Sprachlos nickte Ragan, und starrte gedankenverloren auf seine Handflächen. Fast hatte er vergessen, was dieser Junge von ihnen eigentlich hielt, doch warum ließ er sich dann immer wieder von neuem was diese zwielichtigen Geschäfte mit ihr ein? Er kannte sie noch aus der Zeit als Markos, sein bester Freund und ihr Anführer, ihre Geschickte gelenkt hatte, dennoch hatte er sie nie verstanden. „Warum tust du dann, was du tust?“ fragte er schließlich und sah dem Jungen zu, wie er sich aufrichtete und sich katzengleich streckte. „Es bringt mir viel Geld,“ gab er knapp zurück und begann sein Nachtlager zusammen zu packen. „Außerdem muss man sich ja irgendwie die Freiheit von euch erkaufen, da lasse ich mich lieber auf einen Handel ein. Steh jetzt auf, wir müssen los, in 3 bis 4 Tagen sind wir in Kalmas.“ Schweigend erhob sich Ragan, ließ sich von dem Jungen seine Fesseln richten, und sah zu, wie dieser seinen Begleiter sacht weckte. Augenblicklich schloss Ragan seine Augen, mit aller Macht konzentrierte er sich auf das Gesicht und die Präsenz einer Person. Er spürte, wie sich der kleine weiße Stein über seinem Herzen langsam erwärmte. Er keuchte leise, als sein Geist sich für einen kurzen Moment von ihm löste, davon trieb, als wäre er eine Rauchschwade im Wind. Unangenehm begannen sich seine Gesichtszüge zu verkrampfen, als sein Geist den der anderen Person berührte, er fühlte diese bekannte Präsenz mit einer Mischung von Chaos, Schuld und Sorge so deutlich, dass seine Knie leicht zu zittern begannen. Kaum merklich versuchte sein unsichtbares Gegenüber ihn zu beruhigen, er hörte sanfte Worte in Freundschaft und Sorge gesprochen, und er riss sich für diesen Moment zusammen. „In drei Tagen,“ flüsterte er in seinen Gedanken der Person zu. „Kalmas – In drei Tagen – Ich warte – Er ist auch da...“ Schnelle Schritte durchschnitten die Stille, welche über dem kleinen versteckt liegenden Dorf lag. Am Himmel zeigten sich die ersten Spuren des heranbrechenden Tages, und der feine Schimmer des Morgens tauchte die Landschaft in ein diffuses Licht. Dumpf hallten die Schritte der jungen Frau auf dem mit Tau bedeckten Gras wider, immer noch dröhnte ihr Kopf vor Schmerz. Selten hatte sie solch starke Empfindungen gespürt, und noch nie hatte sie sich bewusst in solch eine Angelegenheit eingemischt… Auch aus diesem Grund trugen sie ihre Füße nun umso schneller, und ihr schlechtes Gewissen schlug mehr als heftig. „Sie wird mich bestimmt einen Kopf kürzer machen,“ dachte Naya, jüngste Tochter des Markos, und blieb kurz unentschlossen stehen. Ihr Blick fixierte die Tür, welche zu einer der größeren Hütten eintritt gewährte, und sie trat nervös von einem Bein aufs andere. Nur ungern zog Naya den Ärger oder Zorn ihrer Base auf sich, doch in diesem speziellen Moment war es Naya unmöglich gewesen ihrer Neugier zu widerstehen. Sie war einfach zu stark gewesen, von dieser Empfindung war für sie eine nie geahnte Anziehungskraft ausgegangen, dass es sie sehr viel Willenskraft gekostet hätte ihr zu widerstehen, Willenskraft die sie in diesem Augenblick nicht gewillt gewesen war aufzubringen. Tief atmete Naya die kühle Morgenluft in ihre Lungen, und blies sich dann einige verirrte braune Haarsträhnen aus den Augen. „Bei Cipos (*) Arsch,“ presste sie genervt durch ihre Zähne hindurch. „Benimm dich nicht wie ein feiges Huhn, es ist nur Ryan. Nur Ryan...“ Noch einmal atmete Naya tief durch, räusperte sich, und klopfte drei Mal an die schwere Holztür. Sie lauschte angespannt, doch es ertönte keine Stimme, niemand öffnete die Tür, leise drehte sie den Knauf und das Schloss schnappte ächzend auf. Zögernd betrat Naya das innere der Behausung, eine wollige Wärme schlug ihr entgegen, die einen starken Kontrast zu ihren durchgefrorenen Gliedern zeichnete. Leise schloss sie die Tür hinter sich, und sah sich für einen kurz um, ihre Augen benötigten einen Moment um sich an die hellen Lichtverhältnisse zu gewöhnen, doch dann sah sie die zusammen gesunkene Gestalt, welche dicht vor dem Feuer saß. „Seit wann betritt man einfach ein Haus, ohne das eine Zustimmung gegeben wurde?“ Die Stimme wirkte ruhig, doch Naya erkannte den tadelnden Unterton in ihr sofort. Augenblicklich sträubten sich die feinen Härchen in ihrem Nacken, ihre Haut begann zu prickeln, als würde sie mit tausenden von Nadelstichen traktiert werden. Sie sog scharf die Luft ein, ihr schwindelte. Irgendetwas in diesem Raum ließ ihren Geist unstet werden, sie spürte deutlich das heiße glühen ihres Anhänger durch ihre Kleidung hindurch. „Was, was ist das?“ dachte sie, und stützte sich sacht am Rahmen der Tür ab. „Naya? Ist alles in Ordnung?“ hörte sie diese ruhige Stimme sprechen, sie schluckte hart, sah auf, und bemerkte, dass sich ihre Base erhoben hatte. Hoch gewachsen war sie, ihre ebenfalls langen braunen Haare fielen ihr zottelig über die Schultern, und ihr Blick haftete mit einer Mischung aus Ärger und Sorge auf ihr, deutlich konnte Naya die schwarzen Schatten unter den sonst so wunderschönen Augen sehen. Sie hatte schon seit Wochen geahnt, dass Ryan kaum noch schlief. Langsam fühlte Naya, wie sich ihr Körper wieder normalisierte, der Schwindel verfolg so schnell wie er gekommen war. „Es geht schon wieder...Ich, ich wollte mich entschuldigen,“ erklärte sie, allerdings hoffte sie, dass ihre Stimme etwas fester in den Ohren Ryans geklungen hatte, als es ihr erschien. Sie setzte sich auf, und begegnete dem spöttischen Lächeln ihrer Base mit gehobenen Augenbrauen. „Was?“ fragte sie unwirsch, und wischte sich einige lästige Haarsträhnen aus der Stirn, während sie Ryan anfunkelte. „Wenn das der Anfang deiner Entschuldigung werden sollte, dann würde ich diesen lieber noch überdenken. Er taugt nämlich nicht wirklich viel,“ gab Ryan nun mit einem noch breiteren grinsen zurück, während sie die junge Frau vor sich musterte. Zufrieden stellte sie fest, dass die Wangen des Mädchens nun ein leichter rötlicher Schleier zierte, und sie betreten den Blick senkte. Ryan seufzte leise, und kehrte wieder an ihren Platz am Feuer zurück. Sie wusste, dass Naya noch sehr jung war, und allzu oft ertappte sie sich dabei, wie sie feststellte, dass sie selbst nicht anders gewesen war, als sie so alt gewesen war wie Naya heute. „19 Sommer,“ dachte sie und starrte gedankenverloren in die Flammen des Feuers. „Sie ist noch so jung...“ „Es tut mir leid,“ langsam ließ sich Naya neben Ryan am Feuer nieder, und spielte nervös mit ihren im Schoss liegenden Händen. „Ich weiß, ich hätte nicht...Ich hätte euch nicht ausspionieren dürfen...“ „In der Tat hättest du das nicht tun dürfen,“ fiel ihr Ryan ins Wort. Ihr Ton hatte an Schärfe zugenommen, doch während sie die jüngere Frau ansah, lag in ihren Augen keine Spur von Zorn. „Naya, so etwas kann mehr als gefährlich sein, nicht nur für dich, auch für andere. Du besitzt noch nicht vollkommen Kontrolle über diese Fähigkeiten, es wäre ein leichtes für dich gewesen dich dort zu verlieren als ich dich von mir wegstieß.“ „Aber er ist auch mein Freund,“ entgegnete das Mädchen und ballte ihre Hände zu Fäusten. „Ich mache mir auch Sorgen um ihn.“ „Ich weiß,“ sanft umschlossen Ryans Hände die ihrer Base, und drückten sie sacht. „Es ist nur, du bist die einzige die mir aus meiner Familie übrig geblieben ist. Ich könnte es mir niemals verzeihen, wenn ich dich durch so eine Dummheit verlieren würde.“ Die letzten Worte Ryans waren kaum mehr als ein Hauchen. So viele Menschen waren bereits von ihr gegangen, unwiederbringlich fort, und schmerzlich wurde ihr bewusst, dass selbst geliebte Erinnerungen langsam mit der Zeit zu verblassen begannen. „Das Rad der Zeit hört niemals auf sich zu drehen, jeder nimmt irgendwann seinen Platz dort ein, wohin wir alle eines Tages gehen müssen.“ Ein bitteres Lächeln huschte über Ryans Lippen, erst jetzt nach so vielen Jahren war sie in der Lage die Worte ihres verstorbenen Onkels zu verstehen. Erst jetzt, wo soviel bereits verloren war... „Ryan?“ Die zitternde Stimme Nayas holten Ryan aus ihren düsteren Gedanken, sie schüttelte sacht ihren Kopf, und sah ihr Gegenüber lange schweigend an, wieder einmal traf es Ryan wie ein Schlag, wie sehr dieses Mädchen ihrem Vater ähnelte. Es ging dabei für Ryan nicht einmal um Äußerlichkeiten, welche zweifelsohne eher nach Nayas Mutter Nima geraten waren, allerdings glich die gesamte Körpersprache des Mädchens ihrem verstorbenen Vater. Das spöttische Lächeln, das leichte anheben der Augenbrauen wenn sie überrascht oder skeptisch dreinschauen wollte. Ihre Augen, sie besaß die gleichen unergründlichen Augen wie ihr Vater, sie waren beinahe kristallklar, nur der feinste Hauch von blau durchzog ihre Iris, auf Ryan hatten sie immer wie Spiegel gewirkt. „Erschrecken dich deine Augen?" wieder hörte Ryan die Stimme ihres Onkels in ihrem Gedächtnis. „Meine haben mich mein ganzes Leben lang erschreckt. Eine Laune der Natur, nichts, vordem man sich fürchten muss, Ryan.“ „Welch ein Irrtum,“ wisperte sie so leise, dass es kaum zu vernehmen war, doch Naya hob argwöhnisch ihren Blick. „Was hast du gesagt?“ fragte sie, und setzte sich etwas auf, um Ryan besser ansehen zu können. Ihr Gesicht lag im Halbschatten, deutlich konnte Naya die lange Narbe auf der rechten Wange Ryans erkennen. Sie kannte die Geschichte, wie Ryan zu ihr gekommen war, und dennoch hatte sie es immer vermieden Ryan direkt darauf anzusprechen. Es war, als würde man einen Teil ihrer Erinnerung berühren, welchen sie lieber für immer vergessen wollte, und diesen stummen Wunsch hatte Naya immer respektiert. „Entschuldige, ich habe nur laut gedacht“ urplötzlich klang die Stimme Ryans rau in den Ohren des Mädchens und ihr Blick wurde prüfender, irgendetwas stimmte nicht mit ihr, doch es lag nicht in Nayas ermessen diese Ahnung zu bestätigen. „Es tut mir wirklich leid, Ryan,“ erklärte Naya aufrichtig. „Es wird nicht wieder vorkommen, ich verspreche es.“ „In Ordnung,“ zum ersten Mal seit dem Beginn ihres Gesprächs lächelte Ryan das Mädchen warm und fürsorglich an. Es war diese Art und Weise zu lächeln, an was sich Naya immer erinnern würde. Auf diese Wiese war es Ryan in Nayas Kindheit mehr als einmal gelungen das Kind von einem bösen Traum zu beruhigen oder Trost zu spenden. Stumm saßen beide nebeneinander, verstohlen blickte Naya zu Ryan hinüber, fieberhaft überlegte sie nun, wie sie ihr zweites Anliegen so vorbringen konnte, dass Ryan keine andere Wahl übrig blieb, als sie mitzunehmen. „Warum drängt sich mir der Gedanke auf, dass die Entschuldigung nicht alles war, weswegen du hier bist?“ fragte Ryan und seufzte leise, innerlich darauf gefasst, was gleich folgen würde. „Ich, ich möchte mit euch gehen, wenn ihr Ragan da raus holt. Bitte, lass mich mitgehen, Ryan. Bitte.“ Müde fuhr sich Ryan über die Augen, sie war darauf gefasst gewesen, dass Naya bald mehr Verantwortung tragen wollte. Sie war auch darauf gefasst gewesen, dass sich dieser Wunsch für Naya typischer Art und Weise in größeren Dimensionen manifestieren mochte, doch niemals hätte sie mit dieser Bitte gerechnet. „Ich kann dir deine Bitte aber nicht erfüllen,“ sagte Ryan ernst, und hielt die sich windenden Hände Nayas in ihren fest. „Versteh doch, du bist einfach zu wichtig. Was würde passieren wenn sowohl dir als auch mir dabei etwas passieren würde? Was wird aus unseren Leuten, wer kümmert sich um sie? Es tut mir leid, aber es geht nicht, versteh mich doch...“ „Immer soll ich verstehen,“ schrie Naya, ihre Stimme hatte nun einen eisigen Tonfall angenommen, und in ihren Augen blitzte es gefährlich auf. „Warum verstehst du mich nicht? Ich möchte endlich helfen, nicht immer nur hier warten, und hoffen dass ihr alle gesund zurückkommt. Ich bin es leid, immer raus gehalten zu werden, ich kann gut auf mich selbst aufpassen.“ Zornig starrte Naya in die Glut des Feuers, die Holzscheide waren beinahe ganz runter gebrannt, und alles was von dem eben noch prasselnden Kaminfeuer übrig geblieben war, lag nun als rot glühende Glut am Boden des Kamins. Mit sanfter Gewalt drehte Ryan ihr Gesicht in ihre Richtung, forschend blickte sie in die Augen des Mädchens, und erkannte, was in ihnen so sorgsam verborgen lag. „Du möchtest ihn wieder sehen, nicht wahr?“ fragte sie und strich sanft mit ihrem Daumen über die Wange Nayas. „Es geht hierbei nicht nur um Ragan, du möchtest mit Cale sprechen.“ „Ja,“ so simpel diese Antwort sich auch in den Ohren Ryans anhörte, so wusste sie doch sehr genau, was sich hinter dieser einfachen Aussage alles verbarg. Sie konnte sich noch sehr genau an die Zeit erinnern, in welcher Naya und Cale unzertrennlich gewesen waren. Sie waren beste Freunde, Vertraute, fast wie Bruder und Schwester. Ryan wusste genau, wie sehr es Naya damals gekränkt hatte, dass er ohne ein Wort des Abschiedes an sie davon gegangen war. Sie selbst erinnerte sich noch sehr genau an diesen Tag, an sein wütendes Gesicht, seine Anschuldigungen und seinen Zorn, nichts hatte sie ihm entgegen zu setzen, nichts außer, dass sie seiner Mutter, Ayesha, ein Versprechen gegeben hatte. „Ayesha...“ dachte sie wehmütig und sog scharf die Luft in ihre Lungen, als habe man sie geschlagen. „Ich darf jetzt nicht an sie denken,“ ermahnte sich Ryan und versuchte die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. Sie dürfte jetzt nicht an sie denken... Ein gequälter Laut entrann ihrer Kehle, und sie biss sich hart auf die Unterlippe, der schale Geschmack von Blut berührte ihre Zunge. Sie spürte den bestürzten Blick Nayas auf sich, tief atmete sie durch, ermahnte sich immer wieder und wieder, doch sie spürte immer deutlicher, wie sich ihre Kehle zusammen schnürte. „Du darfst mitkommen,“ stieß sie plötzlich hervor, vermied es jedoch Naya dieses Mal direkt in die Augen zu sehen, zu sehr war die Furcht sie könnte sie Spuren von Tränen in ihren Augen erblicken. „Wirklich?“ fragte das Mädchen ungläubig, und löste ihre Hände aus denen Ryans. „Ja, aber du musst mir versprechen, dass du genau das tust, was ich dir auftrage, hast du verstanden? Du tust genau das, was ich sage, Naya.“ „In Ordnung, danke, danke,“ sanft küsste Naya ihre Base auf ihr Haar, drückte ihr noch einmal sacht die Hand. „Du solltest jetzt besser gehen,“ sagte Ryan, und wischte sich kurz über die Augen, vernichtete die feinen Spuren von Tränen aus ihren Augen. „Wir müssen heute aufbrechen, wenn wir rechtzeitig in Kalmas eintreffen wollen. Du solltest deine Sachen jetzt zusammen packen, ich rede mit Bal wegen einem Pferd für dich. Los, du solltest keine Zeit verschwenden, solltest du nicht fertig sein, bleibst du hier.“ Sie hörte die eiligen Schritte Nayas hinter sich, das zu schlagen der Tür, dann nur noch Stille. Zitternd saß Ryan vor dem nun verloschenen Feuer, stoßweise entrann ihr Atem nun ihrer Kehle. Heiße Spuren von Tränen liefen ihr nun frei über die Wangen, sie schluchzte leise und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen. „Ich habe versagt,“ stammelte sie, ihr Körper wurde von Wogen des Schmerzes hin und her geschüttelt, wie ein Blatt im Wind. „Ayesha,“ flüsterte sie leise, und es überwältigte sie, welchen Schmerz sie bei der Erwähnung dieses Namens verspürte. Sacht wiegte sie ihren Oberkörper hin und her, vergrub abermals ihr Gesicht in ihren Händen, und weinte in der Einsamkeit ihres Hauses, wie sie es in den letzten Jahren so viele unzählige Male getan hatte. *Cipo: Eine junge Göttin des Frohsinns und der Ausschweifung. Sie ist es, welche die Netzte der Irrungen und Wirrungen strickt und darin arme Seelen einfängt, aus welchem sich ein Verirrter niemals wieder befreien kann. Nachwort: Ich hoffe dem einen oder anderen hat dieses neue Kapitel gefallen. Ich habe am Anfang versucht mal etwas Neues einzubringen, und hoffe, es hat niemanden allzu sehr verwirrt. Ich trage mich mit dem Gedanken, immer an jedes neue Kapitel so einen Teil dran zu setzen, ich hoffe, es ist im Sinne der Leser. Vielen Dank fürs lesen! © 2011 Lena Petri Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)