Brennendes Wasser von Sennyo (Engel der vergessenen Zeit) ================================================================================ Kapitel 18: Engel der vergessenen Zeit - 18 ------------------------------------------- Alles war so leer, alles war so kalt, alles war so absurd, so völlig irreal streifte die Wirklichkeit immer wieder Lydias Gedanken und konnte sie doch nicht erreichen. Die Temperaturen fielen weiter, das Wasser bot keinen ausreichenden Schutz für die verzweifelte Wächterin, konnte sie nicht warm halten, doch sie merkte davon nichts. Die Kälte und das Eis waren allgegenwärtig, füllten jeden Raum aus, sowohl in dem Turmzimmer als auch in Lydias Herzen. Vereinzelnd rieselten Kristalle auf sie herab, Kristalle mit messerscharfen Kanten, Kanten, die ohne weiteres in ihre zarte Haut schnitten. Lydia zuckte immer wieder zusammen, zitternd, frierend, die Welt und alles Leben verachtend. Sie hörte Stimmen voller Hass und Abscheu, Verachtung und Hohn gaben sich die Hand. Was sie sagten, konnte sie nicht verstehen, es war, als stammten sie aus einer anderen Zeit, ein Raum weit weg von dem Ort, an dem sie sich befand. Die Stimmen hatten unterschiedlicher nicht sein können, doch klangen sie in demselben Ton, wirkten kalt und befremdlich. „Du solltest mich nicht unterschätzen, du wirst schon sehen was du davon hast...“ Grimmig sprach die Frau, drohte, durstete nach Vergeltung. Lydia versuchte zu verstehen, worum es ging, doch sie konnte sich nicht konzentrieren, ihre Gedanken drifteten immer wieder ab, landeten bei ihrer Schwester, schnürten ihr die Kehle zusammen. Es war, als risse man ihr das Herz aus dem Leib, immer und immer wieder, mit einem Skalpell, mit einem einfachen Messer, mit bloßen Händen. Lydia konnte nicht begreifen, was sie fühlte, ebenso wenig verstand sie, dass sie im Begriff war, Lenya zu folgen. „Gib doch endlich auf, Hexe!“, forderte eine finstere Stimme, „Du konntest beim letzten Mal nichts gegen mich ausrichten, du wirst es auch dieses Mal nicht schaffen!“ War er sich sicher? Die Wächterin hätte am liebsten laut aufgeschrien, doch sie brachte keinen Ton heraus. Das Eis auf ihrer Haut brannte, die feurige Magie in ihr ließ sie erstarren. Die Schnitte wurden immer tiefer, immer schmerzhafter, die Wunden waren bedeckt von Blut und Wasser. Lydia konnte nicht länger an sich halten, sie erbrach sich bei dem Anblick des verhassten Mannes, der ihr alles genommen hatte, verstand schließlich wo sie war. Ihr Blick verschleierte sich hinter Tränen, die sich ihre Wege über ihre Wangen bahnten und schließlich ins Wasser fielen. Glitzernde Tropfen des Eises, das in dem Mädchen langsam schmolz und sie zittrig und schwach zurücksinken ließ. Aufgeben. Es kam nicht in Frage, nicht nach all der Zeit, nicht nachdem Lenya sie so selbstlos befreit hatte. Oder war es Leichtsinn gewesen? Xilia glaubte nicht an Vorhersehung, doch die Wächterin hatte es offensichtlich getan. Was auch immer letztendlich der Grund gewesen sein mochte, darum konnte die Göttin sich nicht sorgen, doch aufgeben durfte sie deswegen nicht. Zu viel Zeit hatte verstreichen müssen für diesen Moment. Wenn er glaubte, sie würde das alles einfach so hinnehmen, dann war er nicht nur naiv, sondern auch dumm. Dem Eis, das sie ohne Unterlass auf ihn schleuderte, war kein Ende gesetzt, und auch die Temperaturen konnten noch weiter fallen. Sollte er sie nur auslachen, er würde schon sehen, was er davon hatte. Xilia wusste genau, was sie tat, wusste genau, dass es ihm nichts ausmachte, doch sie tanzte weiter, lenkte ihre gefährlichen Geschosse weiterhin auf ihn und schwieg dabei. Im ganzen Zimmer ertönten Geräusche, die unheimlicher nicht hätten klingen können. Der Wind heulte über das brausende Wasser hinweg, ließ den Nebel umher wirbeln, das Eis knisterte, die Kristalle schlossen. Untermalt von kaltem blauen Licht, das nun nicht mehr aus der Amphore schien, sondern den Raum durch Xilias peitschende Lichtfäden hell erleuchtete. Der Tanz der Göttin wurde wilder, je kälter es wurde und so wurden auch die Eiskristalle größer und schärfer. Während er ihnen noch auswich und das Wasser von seiner Haut strich, knüpfte Xilia mit geschickter Hand ein enges Netz aus ihren Fäden. Ein Netz, das jedem nachempfunden war, welches sie in der Amphore gespannt hatte. Sie tanzte um ihn herum, flocht das Licht gekonnt zu Fäden, lenkte ihn weiterhin mit dem Eis ab. Doch noch immer lachte er bestialisch, herablassend, voller Hohn. Xilia ließ sich davon nicht aus der Fassung bringen, sie kannte dieses Verhalten bereits, es war nicht anders gewesen vor so vielen Jahren. Doch dieses Mal würde sie nicht darauf hereinfallen, auch wenn er es immer noch glaubte. Die Maschen des Netzes wurden mit jeder Sekunde enger, berechnend sah die Nixe zu ihm, ließ ihn nicht aus den Augen. Es gab nur eine einzige Möglichkeit, sie hatte weder Zeit zu zögern noch durfte sie scheitern. Im Augenblick konnte sie nur hoffen, doch selbst dazu blieb keine Zeit. Ihr Volk eines Tages rächen zu können, war all die Zeit ihr einziger Halt gewesen, doch nun, da es soweit war, da der langerwartete Augenblick endlich gekommen war, hing es nicht von ihr ab, was geschah. Xilia kämpfte, zog ihr Netz um ihm immer enger, doch trotz allem konnte sie ihn nicht angreifen, während sie sich verteidigte. Ohne das Netz und die Eiskristalle jedoch wäre sie ihm schutzlos ausgeliefert, seinen Kräften absolut nicht ebenbürtig, das wusste sie. Eigene schmerzliche Erfahrungen hatten es sie gelehrt, ihn nicht zu unterschätzen. Ihr Blick fiel auf Lydia und ein tiefsitzender Schmerz durchzog ihre Brust. Blutverschmiert lag sie da, kauerte sich neben ihrem Erbrochenen. Sie war nicht imstande gewesen, sich zu rühren. Sie zitterte vor Kälte, zuckte bei jedem neuen Eiskristall, der auf sie einschlug zusammen, gab leise Schreie von sich. Doch es waren ihre Tränen, die die Wassergöttin so sehr bewegten, dass sie erschauderte. Sie musste alles geben, für Lenya, die ihr die Freiheit wiedergegeben hatte, und besonders nun für deren Schwester. Die Eiskristalle konnte sie dennoch nicht umlenken. Das Eis war nicht ihr Element, sie konnte zwar das Wasser kontrollieren, doch seine Bahnen waren auch für sie nicht immer einfach zu deuten. Aber die Eiskristalle waren fester Bestandteil in ihrer Verteidigung, allein sie waren der Grund, weswegen die tiefen Temperaturen nötig waren, die der Wächterin so zu schaffen machten. Die einzige Hoffnung, die Xilia für Lydia aufbringen konnte, war jene, dass es schnell ging. Der Kampf durfte nicht lange dauern, das würde keine von ihnen durchhalten können. Zu viel Kraft steckte auch für Xilia in dem Verteidigungsnetz, das nun den gesamten Raum ausfüllte. Enge Maschen aus leuchtenden Fäden, Fäden, die vor einiger Zeit auch Lydia gefangen gehalten hatten. Doch nun sollten sie einen anderen Zweck erfüllen. Die Nixe blickte immer wieder zu Lydia. Ihr blieb nichts anderes übrig, als zu hoffen, dass diese ihren Plan schnell durchschaute, und ihrer Schwester damit die letzte Ehre erweisen würde. Sie sollte auf keinen Fall umsonst gestorben sein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)