Dunkelheit von Nochnoi ================================================================================ Kapitel 9: Neyos Geheimnis -------------------------- So, hier ist schon das neue Kapitel ^^ Eigentlich hatte ich nicht gedacht, dass ich es so schnell schon fertigbekomme, aber als ich einmal angefangen hatte zu schreiben, konnte ich nicht mehr aufhören ^^ Ich hoffe, es gefällt euch ^^ _________________________________________________________________________ Im ersten Moment war Claire wie versteinert. Fassunglos starrte sie auf den bewusstlosen Neyo hinab, welcher zu ihren Füßen lag. Schwer atmend und mit einem glänzendem Film auf der Stirn, der eindeutig vom hohem Fieber zeugte. Schwach und entkräftet. Aber schnell fasste Claire sich wieder. Mitilfe ihrer Magie sandte sie eine Druckwelle aus, die die zahlreichen Glocken in der ganzen Villa betätigten. Diese erfüllten das Anwesen mit ihrem ohrenbetäubenden Lärm, dass es selbst Tote hätte aufwecken können. Innerhalb kürzester Zeit traf der erste aus dem Schlaf Gerissene bei ihr auf. Es war Marie, die schon etwas in die Jahre gekommene Magd, die nun mit einem Krückstock bewaffnet in Claires Zimmer auftauchte und sich suchend umschaute. Ihre Augen glitzerten gefährlich, sie schien zu allem entschlossen. Jeden Einbrecher hätte sie zu Tode geprügelt, da war sich Claire sicher. Die junge Magierin hätte bei diesem Anblick sicherlich gelacht, wäre ihr danach zumute gewesen. Es sah einfach viel zu komisch aus, wie diese kleine rundliche Frau den Stock schwang und nach Schwerverbrechern Ausschau hielt, die sie vermöbeln konnte. Dann jedoch fiel ihr Blick auf den bewusstlosen Neyo und ihre Wut war vergessen. „Was ist geschehen?“, fragte sie sorgenvoll. „Er ist einfach zusammengebrochen“, erklärte Claire. Sie war erstaunt, dass ihre Stimme zitterte. „Ich weiß auch nicht genau, was geschehen ist.“ Nur wenige Augenblicke später kamen weitere Rettungstruppen an. Fünf der grimmigen Wächter Te-Kems, die ebenfalls nach mutmaßlichen Eindringlingen zu suchen begannen, und einige neugierige Diener und Mägde. Das größte Theater veranstaltete wohl Catherine, die freizügige und hübsche Tochter des Kochs. Bei Neyos Anblick heulte sie hemmunglos drauflos und versuchte, ihn durch kräftiges Rütteln wachzubekommen. Als dies nicht gelang, fixierte sie Claire mit einem zornigen Blick und machte sie für die ganze Miesere verantwortlich. Sie brabbelte irgendetwas von Flüchen und Eifersucht, während ihr Vater sein völlig aufgelöstes Kind aus dem Zimmer schaffte. „Was ist denn hier los?“ Claire atmete erleichtert auf, als sie Jylieres Stimme hörte. Augenblicklich machten alle Bediensteten Platz, um ihren Herrn durchzulassen. Dieser hatte sich wohl in aller Eile einen Morgenmantel übergezogen und war losgestürmt, ohne noch einen kurzen Blick in den Spiegel zu werfen. Seine Haare waren dermaßen zerzaust, als wäre er vom Blitz getroffen worden. Jyliere starrte seine Ziehtochter fragend an, doch als er Neyo entdeckte, welchen zwei der Wachposten auf Claires Bett gelegt hatten, riss er erschrocken die Augen auf. „Was ...?“ Er stockte, schien keine Worte zu finden. Fassungslos starrte er auf den bewegungslosen Körper vor sich hinab. „Er ist einfach plötzlich hier aufgetaucht“, berichtete Claire. „Hat wie ein Verrückter gegen meine Tür gehämmert. Und dann hat er das Bewusstsein verloren.“ „Ihm ging's schon heute Mittag nicht besonders gut.“ Calvio war es gelungen, sich durch die Schar Schaulustiger zu quetschen. Mühevoll rang er daraufhin nach Luft, als hätte er einen langen Marsch hinter sich. „Er war ziemlich blass. Er hat versucht, es zu verbergen, aber es war ziemlich offensichtlich.“ „Vielleicht ... eine Grippe?“ Marie hatte eine Schale klares Wasser und ein frisches Tuch besorgt und stellte dies nun vorsichtig neben Claires Bett. „Immerhin wird es Winter. Zwei der Küchenjungen haben im Moment auch eine ziemlich schlimme Erkältung.“ Jyliere nickte, obwohl er immer noch etwas perplex wirkte. „Ja ...“, murmelte er. „Das wird es sein. Nichts weiter.“ Es klang beinahe so, als wollte er sich selbst beruhigen. „Aber warum redet er dann von irgendwelchen Stimmen?“, fragte Claire. Jyliere warf ihr einen Blick zu, der undeutlicher nicht hätte sein können. Nichts war daraus zu lesen und gleichzeitig auch irgendwie alles. Claire fand es auf gewisse Weise unheimlich. Fast schon automatisch wich sie ein Stück von ihm zurück. „Stimmen ...?“, fragte Jyliere fast schon zaghaft nach. Er wirkte angespannt. Claire nickte eifrig. „Er hat gesagt, dass die Stimmen in meiner Nähe stumm wären.“ Sie krauste ihre Stirn. „Ich hab nicht ganz verstanden, was er damit gemeint hat. Aber gestern in der Bibliothek hat er mich noch gefragt, ob die Opfer von Vampiren im Nachhinein irgendwelche Stimmen gehört hätten. Ich fand diese Frage zwar sehr merkwürdig, aber ich habe mir nichts dabei gedacht.“ Jyliere wandte sich plötzlich zu der versammelten Mannschaft hinter ihm. Alle Anwesenden zuckten bei dieser unvermittelten Bewegung zusammen, selbst die Wächter Te-Kems, die sich noch vor gar nicht allzu langer Zeit damit gerühmt hatten, dass sie sich vor nichts und niemanden überraschen ließen. „Geht bitte!“, sagte Jyliere. „Geht bitte alle!“ Einige warfen sich erstaunte Blicke zu, doch niemand wagte es, dem Magier zu widersprechen. Selbst Calvio, der sonst kein Blatt vor den Mund nahm, hielt sich dieses Mal zurück und verschwand mit den anderen. Er schien wohl gespürt zu haben, wie ernst es Jyliere damit war. „Was ist denn los, Jyliere?“ Claire hatte sich das feuchte Tuch genommen und tupfte behutsam Neyos fiebrige Stirn ab. Der junge Mann stöhnte kurz auf, ansonsten zeigte er keinerlei Reaktion. „Ich kann fühlen, dass was nicht stimmt. Was bedrückt dich?“ Jyliere starrte geradezu widerwillig zu dem ehemaligen Dieb, den er einst aus dem Gefängnis befreit hatte. „Er hört Stimmen ... er bricht zusammen ...“ Der alte Mann seufzte schwer. „Es ist wohl soweit.“ Claire konnte hingegen nur verwundert dreinschauen. „Was ist soweit?“ Jyliere starrte sie eine Zeit lang durchdringend an, dann fasste er plötzlich ihre Hände und drückte sie fest. „Willst du es wirklich wissen? Es könnte dein Leben für immer verändern ... so wie es meins verändert hat.“ Claire legte ihren Kopf schief. Sie verstand zwar immer noch nicht, worauf Jyliere hinauswollte, aber sie konnte spüren, wie sehr es ihn quälte, dieses Geheimnis mit niemanden teilen zu können. Ein Teil von ihm wollte Claire schonen und ihr nichts erzählen, doch andererseits schien er diese drückende Last unter allen Umständen abwerfen zu wollen. Er war hin- und hergerissen. „Hast es denn dein Leben zum Negativen verändert?“, erkundigte sie sich. Jyliere musste über diese Frage eine Zeit lang nachdenken. „Ja ... und Nein.“ Viel schlauer war Claire nun auch nicht, aber dennoch nickte sie. „Erzähl's mir. Was ist los?“ „Es geht um Neyo. Um sein Geheimnis.“ Damit hatte Claire schon gerechnet. Sie strich ihm eine Haarsträhne aus dem Stirn und musterte sein blasses Gesicht. Normalerweise hatte seine Haut eine gesunde Brauntönung, nun aber war er weißer als die Unschuld selbst. „Du weißt, warum das passiert ist, nicht wahr?“ Im Grunde war es keine Frage, sondern eine Feststellung. „Du weißt, wieso er plötzlich Stimmen hört.“ Jyliere senkte seinen Blick. „Ja“, flüsterte er. „Und warum?“, wollte sie wissen. Der Magier zögerte einen Augenblick und betrachtete Neyo mit leidlicher Miene. Dann antwortete er: „Er ist ein Sa'onti.“ Claire hob eine Augenbraue. Diesen Begriff hatte sie noch nie gehört, dessen war sie sich absolut sicher. „Und was bedeutet das?“ Jyliere presste die Lippen aufeinander. „Wir haben es mit 'auserkoren' übersetzt“, erklärte er. „Aber wörtlich heißt es ... 'geboren, um zu sterben'.“ Claire schaute ziemlich verdattert drein. Immer noch konnte sie sich keinen rechten Reim daraus machen, was Jyliere ihr eigentlich sagen wollte. „Ich verstehe nicht“, gestand sie. „Das wundert mich auch nicht“, meinte der Magier. Die Sa'onti werden in keinem uns bekannten Werk erwähnt – nur im Buch der Zukunft.“ Claire zuckte unwillkürlich zusammen, als Jyliere diesen Namen aussprach. Sie selbst hatte das Buch in Händen gehalten und dabei etwas Böses gespürt, dass es ihr den Atem geraubt hatte. Als würde es irgendwie leben. „Sa'onti sind ... Menschen, die ...“ Jyliere schien nicht so recht zu wissen, wie er es erklären sollte. Seine Stimme klang brüchig. „Menschen, die im Grunde keine Menschen sind.“ Er rieb sich an den Schläfen und seufzte schwer. „Sie sind ... anders.“ „Anders? Inwiefern?“, fragte Claire. Irgendwie fürchtete sie sich ein wenig vor der Antwort, doch andererseits wollte sie es unbedingt erfahren. „Sie werden geboren wie Menschen. Sie leben wie Menschen. Aber irgendwann ... irgendwann beginnt es.“ Jyliere nagte nervös auf seiner Unterlippe wie ein kleiner Junge. „Plötzlich vollbringen sie Dinge, die man nicht für möglich gehalten hätte. Sie bewegen sich schneller. Sie können nachts nicht mehr schlafen.“ Claire erinnerte sich daran, wie sie kurz vor Gorscos Auftauchen Neyo in der Bibliothek begegnet war. Er hatte ihr erzählt, dass er öfters in der Dunkelheit durchs Haus streifte. Vollkommen gelassen hatte er es gesagt, hatte gleichgültig mit den Schultern gezuckt. Er hatte wohl gedacht, dies sei völlig normal ... „Und weiter?“, drängte Claire. Immer noch hatte sich ihr nicht der Sinn des Ganzen erschlossen. „Was hat das alles zu bedeuten?“ Jyliere zögerte einen Moment, schließlich aber meinte er: „Sa'onti sind Menschen, die vom Schicksal auserkoren wurden.“ Er warf einen geradezu verzweifelten Blick zu Neyo. „Auserkoren, um Vampire zu werden.“ Claire verschlug es die Sprache. Fassungslos weiteten sich ihre Augen, ungläubig starrte sie Jyliere an. Hatte sie das gerade richtig verstanden oder erlaubte er sich nur einen üblen Scherz mit ihr? Das konnte doch alles nicht wahr sein! „W-was ...?“, stotterte sie vollkommen durcheinander. Es war viel zu spät in der Nacht für solch abstrusen Geschichten. Sie hoffte inbrünstig, dass sie noch am schlafen war. Dass sich das alles nur als ein verrückter Traum entpuppte. Aber tief in ihrem Inneren wusste sie, dass dem nicht so war. Es war die Realität – so verquer ihr das auch erschien. „Irgendwann nehmen diese Menschen die Eigenschaften von Vampiren an“, fuhr Jyliere fort. „Es ist kein bestimmter Zeitpunkt, bei manchen geschieht es schon recht früh, bei anderen wiederum sehr spät. Der ausschlaggebende Auslöser bei Neyo war wohl die Begegnung mit diesem Gorsco.“ Nun, wo Jyliere dies erwähnte, wurde es auch Claire bewusst. Seit diesem Ereignis war Neyo um einiges stiller und zurückhaltender geworden, er hatte mit jedem Tag ein wenig kränklicher gewirkt. Selbst seine frechen Bemerkungen waren seit dieser Nacht vollkommen ausgeblieben. Eigentlich hatte Claire angenommen, dies sei nur eine Art Trauma. Dass er etwas Zeit bräuchte, um sich von dem Erlebten zu erholen. Auch sie selbst war darüber noch nicht hinweg, oft genug sah sie Gorscos funkelnde Augen vor sich. Es würde wahrscheinlich eine Weile dauern, bis sie diesen Kerl endgültig vergessen würde. Aber dass Neyos Gemütswandel auf etwas ganz anderes zurückzuführen war, hätte Claire nie für möglich gehalten. „Und ... was heißt das jetzt?“, fragte sie zaghaft nach. „Was sind das für Stimmen, die er hört?“ Jyliere setzte sich ächzend auf die Bettkante. „Das weiß ich auch nicht genau. Es handelt sich um eine weitere Eigenschaft der Vampire. Manche vermuten, es seien Stimmen aus dem Jenseits. All die Opfer dieser Monster. Andere wiederum behaupten, es seien die Stimmen der Natur. Dass die Untoten die Bäume reden und die Flüsse flüstern hören könnten.“ „Und was glaubst du?“ Claire sah ihn erwartungsvoll an. „Vampire verfügen über ein ausgesprochen gutes Gehör“, meinte Jyliere. „Sie selbst sind in der Lage, es zu kontrollieren, aber Neyo ... er hört die Stimmen von anderen Menschen, vielleicht aus hundert Kilometer Entfernung, und er hat keine Ahnung, wie er sie abstellen kann. Ich denke, er ist dazu auch gar nicht in der Lage.“ Claire beschlich ein ungutes Gefühl. „Was willst du damit sagen?“ „Sa'onti sind zwar auserwählt, aber sie sind in dem Sinne keine Vampire. Die Fähigkeiten der Untoten, die irgendwann bei ihnen erwachen, überfordern ihre schwachen, menschlichen Körper. Wenn sie also nicht rechtzeitig in Vampire verwandelt werden ...“ Jyliere verstummte. „Was? Was passiert dann?“ Eine einzelne Träne glitzerte im Augenwinkeln des Magiers. „Dann gehen sie zugrunde“, erklärte er matt. „Ihre Körper sind für so was nicht geschaffen, kein Mensch könnte das aushalten.“ Wie zur Antwort stöhnte Neyo plötzlich auf. Claire legte ihm hastig das kühle Tuch auf die Stirn und redete ermunternd auf ihn ein. Binnen weniger Augenblicke beruhigte er sich auch schon wieder. „Und ... was hat das alles für einen Zweck?“ Claire spürte einen Knoten im Hals. „Was soll das Ganze?“ „Du erinnerst dich doch sicher noch an Sharif und Alec?“, erkundigte sich Jyliere. Sicher, wie könnte sie die vergessen? Diejenigen, die vorhatten, Te-Kem zu ermorden und Mystica ins Chaos zu stürzen. Obwohl Claire diese beiden noch nie zu Gesicht bekommen hatte, wusste sie instinktiv, dass sie sogar noch um einiges gefährlicher waren als Gorsco. Nicht nur Jylieres düstere Erzählungen hatten sie davon überzeugt, sondern auch ihr eigenes übersinnliches Gefühl. Allein bei der Erwähnung ihrer Namen zog sich Claires Magen zusammen. „Was ist mit den beiden?“, wollte sie wissen. Jylieres Miene wurde finster. „Sie sind auch Sa'onti!“ Claire blinzelte mehrere Male perplex. „Wie bitte?“, stammelte sie. Jyliere nickte eifrig. „Es ist wahr. Auch sie sind vom Schicksal erwählt worden, Vampire zu werden. Und so ist es schließlich auch geschehen. Ich weiß zwar nichts genaues, aber zumindest Alec war kurz vorm Sterben, ehe man ihn verwandelte. Er befand sich wahrscheinlich damals in einer ähnlichen Situation wie Neyo.“ Claire wurde mit einem Mal richtig schlecht. Der Vergleich zwischen Alec und Neyo gefiel ihr absolut nicht. Die beiden waren so unterschiedlich wie Tag und Nacht. „Sharif und Alec werden als außergewöhnliche Vampire beschrieben“, erklärte Jyliere. „Als Wesen, die den anderen Untoten bei weitem überlegen sind. Eine völlig neue Gattung, wenn du so willst. In ferner Zukunft werden sie große Herrscher sein.“ Claire hob eine Augenbraue. Sie hoffte bloß, dass sie nicht lang genug leben würde, um das mitzubekommen. Wenn die Welt von Vampiren beherrscht würde, dann wäre das das Ende. „Und was machen wir jetzt? Sollen wir Neyo von einem Vampir beißen lassen, damit er nicht stirbt?“ Claire zog ihre Mundwinkel nach unten. Diese Situation missfiel ihr sehr. Bei Jyliere jedoch schien kurz ein Hoffnungsschimmer aufzuleuchten. „Ich glaube, das ist gar nicht nötig.“ „Ach nein?“ Claire legte ihren Kopf schief. „Aber sagtest du eben nicht –?“ „Ja ja, ich weiß“, unterbrach Jyliere sie. „Aber ich glaube, wir können Neyo retten, ohne diesen Schritt zu wagen. Magie ist der Schlüssel.“ „Magie?“ „Ganz recht“, stimmte der alte Mann zu. Sogar ein leichtes Lächeln stahl sich auf seine Lippen. „Die Stimmen in Neyos Kopf verstummten, als er in deiner Nähe war. Das hat er doch gesagt, nicht wahr? Außerdem konnte er Gorscos Attacke ausweichen, als er an der Türschwelle stand. Als er jedoch bei dir gewesen ist, hat der Vampir ihn erwischen können. Verstehst du, worauf ich hinauswill?“ Claire legte ihre Stirn in Falten, dann nickte sie zögerlich. „Ich glaube schon“, meinte sie. „Du denkst, dass die Magie, die wir ausstrahlen, diese Vampireigenschaften in irgendeiner Weise unterdrückt. Nicht wahr?“ Jyliere schien stolz, dass sie seinen Gedankengängen so ohne weiteres hatte folgen können. „Genau das denke ich. Hast du eine andere Erklärung?“ Nein, die hatte sie nicht. Es klang sogar irgendwie logisch – sofern man davon absah, dass das Ganze sowieso eigentlich total verrückt war. „Das heißt, Neyo muss jetzt immer in unserer Nähe bleiben?“, hakte sie nach. Ein Traum wird wahr, dachte sie frustriert. „Vorerst ja.“ Jyliere rieb sich nachdenklich am Kinn. „Aber auf Dauer werden wir eine andere Lösung finden müssen. Doch ich bin zuversichtlich, dass uns das gelingt. Neyo wird kein Vampir werden.“ „Deinen Optimismus möchte ich haben“, brummte Claire. „Das ist kein Optimismus, das ist eine Tatsache“, erwiderte Jyliere. „Neyo wird nämlich mit keiner Silbe im Buch der Zukunft erwähnt.“ Claire runzelte die Stirn. „Und das heißt?“ „Jeder andere Sa'onti, der verwandelt worden ist, ist dort aufgelistet“, meinte der Magier. „Jeder einzelne. Angefangen von Sharif bis hin zu Sa'onti, die erst Jahrtausende später erschaffen werden. Neyo hingegen ist dort nirgends zu finden. Entweder er wird nie zu einem Vampir oder ...“ „Oder er stirbt, bevor es dazu kommen kann“, vollendete Claire den Satz. Diese Variante sagte ihr am wenigsten zu. „Er wird überleben!“, entgegnete Jyliere. Er klang zwar über alle Maßen überzeugt, dennoch entging Claire nicht der kurze Funke des Zweifels, der in seinen Augen aufblitzte. „Und was unternehmen wir jetzt wegen der Vampire?“, erkundigte sich die junge Magierin. „Sie werden sicher zurückkommen, um Neyo zu holen.“ „Oh, sie wissen gar nicht, wer oder was Neyo ist“, widersprach Jyliere. „Also sind sie gar nicht seinetwegen hier?“, fragte Claire überrascht. „Aber weswegen dann?“ Nun zögerte Jyliere erneut. Man sah ihm an, dass er es bereute, dies überhaupt angesprochen zu haben. Er hätte sich wahrscheinlich liebend gerne selbst geohrfeigt. „Nun spuck's schon aus!“, drängte Claire. „Weswegen sind sie hier? Wegen dem Buch?“ „Nein.“ Jyliere schüttelte den Kopf. Sein Blick war hinüber zum Fenster gewandert, welches einen herrlichen Ausblick über Rashitar bot. Te-Kems Palast leuchtete in der Ferne. „Zumindest nicht, dass ich wüsste.“ „Und weswegen dann?“ Jyliere schluckte schwer. „Wegen dem Geheimnis, welches tief unterhalb des Schlosses verborgen liegt.“ Claire stutzte einen Moment. Mit jeder Minute schien es verworrener zu werden. „Und was liegt dort verborgen?“ Jyliere senkte den Kopf. „Asrim.“ Claire blickte verwundert drein. „Und wer oder was ist das?“ Als der Magier sein Haupt ganz langsam wieder hob und seine Ziehtochter ansah, zuckte diese zusammen. Jylieres Gesichtsausdruck war einfach nur erschreckend. Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit hatten sich seiner bemächtigt. „Asrim ist der Schöpfer von Sharif und Alec. Der älteste und gefährlichste Vampir, den die Welt jemals zu Gesicht bekommen hat.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)