Eines Tages wird die Welt untergehen von june-flower ================================================================================ Und bis dahin... ---------------- Wir sassen am selben Tisch, an dem wir immer sassen. Mit den selben Leuten um uns herum, die immer um uns herum waren. Am selben Ort, an dem wir uns immer trafen. Wir hatten Arbeit vor uns, wie immer. Und du hast wie immer mit deinem Stift gespielt. Ploetzlich hast du aufgeschaut. „Glaubst du an Schicksal?“ Deine Frage war ueberraschend. „Glaubst du, dass Menschen immer wiedergeboren werden?“ Ich musste ueberlegen. „Auf eine Art..... Ja.“ „Wenn du wiedergeboren werden koenntest, welchen Ort wuerdest du dir aussuchen? Oder“, hast du praezisiert, „Wieder diesen Planeten? Diese Land? Diese Stadt? Diese Menschen? Oder irgendwo, wo Frieden herrscht und man keine Angst haben muss, wo Menschen friedlich und freundschaftlich miteinander umgehen, wo kein Hunger und eine Not herrscht? Du glaubst doch an verschiedene Welten. Warum nicht in einer anderen wiedergeboren werden?“ „Eines Tages wird die Welt untergehen. Ich bin mir ziemlich sicher. Eines Tages wird die Sonne erkalten und die Erde verwuestet und leer sein. Eines Tages werden die Menschen nicht mehr existieren, ausgeloescht von ihrer eigenen Dummheit. Von ihrer Arroganz, geglaubt zu haben, dass sie es besser wuessten als unsere Vorfahren. Dass sie gelernt haetten, richtige Enscheidungen zu treffen, in jedem Fall. Von ihrem Bewusstsein, dass sie keine Fehler mehr machen koennten. Eine wunderschoene Schoepfung wird dann dahin sein. Weisst du, wie klein die Wahrscheinlichkeit war, dass du ueberhaupt geboren wurdest und noch lebst? Unwahrscheinlich klein. Winzig klein. So klein, dass du sie nicht einmal errechnen wuerdest, denn sonst wuerde dein festgefahrenes Bild der Welt gehoerig ins Schwanken geraten. Du lebst, weil eine Substanz in den unendlichen Weiten des Weltalls beschlossen hat, genau in einem bestimmten Moment mit einer anderen Substanz zu reagieren und diese Welt erschaffen hat. Du lebst, weil unser Planet eine Atmosphaere gebildet hat, die dich vor der Kaelte des Weltraums und der Hitze der Sonne und der Gefaehrlichkeit ihrer Strahlen beschuetzt. Weil irgendwann aus dem Weltall ein Komet auf unser lavaueberstroemte Welt fiel, der das erste Wasser entstehen liess. Und weil in dem Wasser Bakterien leben konnten. Du lebst, weil diese Bakterien, diese winzigen, unbedeutenden Einzeller, sich weiterentwickelt haben. Zu Reptilien und Wasserwesen. Zu Dinosauriern. Weil diese Bakterien den Einschlag der Meteoriten ueberleben konnten, der den Tod der Urgiganten verursachte. Weil sich aus diesen Bakterien Fische und Voegel und Saeugetieren entwickelt haben, mit unvorstellbarer Langsamkeit und Praezision. Du lebst, weil irgendwann eine Urform des Menschen Nachkommen gezeugt haben. Weil diese sich nicht durch die harten Winter, die heissen Sommer, die Hungerperioden und langen Wanderungen nach Wasser haben entmutigen lassen. Weil nicht alle ihres Stammes von Wilden Tieren oder Krankheiten oder anderen Menschen getoetet wurden. Weil sie ueberlebt haben und sich weiterenwickelt haben. Von Jaegern und Sammlern zu Bauern. Sie haben Kriege um Land und um Macht ueberlebt, schlechte Ernten und Kaelte, Wanderungen, Tiere, Pluenderungen, Sklaverei, Zwang, Armut, Klassengesellschaften, Imperialismus, Marximus, Industrialisierung, Aufklaerung und noch mehr Krieg. Deine Familie hat den ersten Weltkrieg ebenso ueberstanden wie den Zweiten, den Koreakrieg, Vietnam, Tyrannei und Sklaverei unter Diktatoren wie Familienfehden, Krankheit und Tod. Und immer wieder gab es Tote, aber sie hat niemals aufgegeben. Deine Vorfahren haben gekaempft. Und die Wahrscheinlichkeit, dass ausgerechnet deine Grosseltern, zwei ganz normale Menschen unter Millionen von Menschen auf der Welt sich trafen und sich ineinander verliebten, ist ebenso klein. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich zur selben Zeit in der selben Stadt, im selben Land, im selben Haus befanden, ist winzig. Und doch haben sie sich getroffen. Und wiederum die Wahrscheinlichkeit, dass deine Mutter so wurde wie sie ist, als Kind der Eltern, die deine Grosseltern waren, ist winzig. Genauso wie die Wahrscheinlichkeit, dass irgendwo auf der Welt ein Junge geboren wurde, dessen Eltern sich irgendwo auf der Welt zufaellig trafen, und der spaeter genauso zufaellig deine Mutter irgendwo treffen sollte, aus einer Laune des Schicksals heraus. Und dass ausgerechnet du aus der Verbindung hervorgehen solltest, so wie du bist, dass sich die Zellen deiner Eltern so verbunden haben, wie es noetig war, um ausgerechnet dich zu schaffen, ist ein Wunder. Genauso, wie es ein Wunder ist, dass ausgerechnet wir zwei uns hier getroffen haben, in dieser Stadt, in diesem Land, in dieser Zeit. Ein kleines Wunder inmitten der grossen, weiten Welt. Ob ich an Wiedergeburt glaube? Warum nicht. Vielleicht ist es den Menschen vergoennt, noch einmal auf die Erde zurueckzukehren und ihre Fehler wieder gut zu machen, sie zu wiederholen und neue zu machen. Vielleicht treffen sie auch Menschen wieder, die sie frueher einmal gekannt hatten. Vielleicht werden sie sogar in der selben Stadt, im selben Haus wiedergeboren und wachsen nur mit anderen Menschen auf. Wenn ich die Chance haette, wiedergeboren zu werden, wuerde ich diesen Weg waehlen. Mein Leben mag lang und steinig gewesen sein, aber ich habe viele schoene Sachen erlebt, mit vielen Menschen an meiner Seite, die mit der Zeit gehen mussten oder die ich verlassen habe. Ich liebe diesen Planeten, und ich liebe dich. Ich wuerde niemals irgendwo sein wollen, wo du nicht bist. Egal, wo ich wiedergeboren werde, egal, in welcher Gestalt, mit wechen Eltern und mit welchen Freunden – es waere nicht vollstaendig ohne dich. Etwas Wichtiges wuerde fehlen. Deshalb hoffe ich, dass ich an dem Ort wiedergeboren werde, an dem du auch sein wirst. Dann kann ich dich aufwachsen sehen, mit dir lachen und die Zeit verbringen und gluecklich sein. Warum sollte ich eine andere Welt waehlen? Du waerest doch nicht da. Frieden, Reichtum, Ewigkeit – was macht das alles, wenn man nicht gluecklich ist. Ich glaube, die Menschen denken nicht genug ueber den Sinn des Lebens nach. Oder sie tun es im Gegenteil zu viel. Was ist der Sinn des Lebens? Gluecklich sein? Reich sein? Einflussreiche Freunde haben? Die Natur schuetzen? Vieles mag gut und nobel klingen. Vielleicht meinen es auch einige ehrlich. Aber warum sich solche Gedanken machen? Ich bin geboren worden, um zu leben. Ich habe bereits viel hinter mir, und noch mehr vor mir. Ich lebe, weil ich lebe. Niemand, der das Recht dazu nicht hat. Niemand, der das Recht hat, fremdes Leben in seine eigenen Haende zu nehmen. Niemand. Ich moechte sein, wo immer du bist. Ich moechte mit dir gehen, wo immer du hingehst. Wann immer du Hilfe brauchst, ich moechte da sein. Wenn du wiedergeboren wirst, moechte ich auch wiedergeboren werden. Bis dahin habe ich nur einen Wunsch: Ich moechte mit dir zusammen sein.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)