Strangers von NaokoSato ================================================================================ Kapitel 4: Geburtstag --------------------- Hallo! Also erstmal das Übliche: Alle meine. Ähnlichkeiten mit Lebenden, Toten, Orten und sonstigen Begebenheiten sind rein zufällig und keineswegs beabsichtigt. Das wäre das, und viel Spaß beim Lesen. Eure Naoko Geburtstag Victor Herbstferien. Sie würden am Montag beginnen und so wäre ich den ganzen Tag über Dominik und seiner Mutter ausgeliefert. Und schon jetzt konnte ich nicht mehr. Der Kleine hätte wohl seine gesamte Freizeit mit mir verbracht, hätte ich ihn nicht von Zeit zu Zeit aus meinem Zimmer gejagt. Aber das wäre ja noch leicht gewesen. Ich hätte ihn ohne Probleme am Kragen packen und raus werfen können, allerdings ist das auf offener Straße ein wenig problematischer. Fast immer, wenn ich nach der Schule noch irgendwo hinging, klebte er mir an den Fersen. Selbst an den Wochenenden, an denen ich mich ab und zu aus dem Haus schlich, hatte er mich an der nächsten Ecke eingeholt und quatsche mir die Ohren voll. Wobei das Gequassel noch erträglich war, da ich es schon früh gelernt habe, die Ohren auf Durchzug zu stellen. Mittlerweile hätte ich ihm seinen eigenen Lebenslauf rückwärts aufsagen können, hätte ich ihm zugehört. Seine Mutter war da etwas erträglicher, wenn auch nicht viel. Sie kam immerhin nicht einfach in mein Zimmer, wenn ich allein sein wollte, oder redete sinnloses Zeug. Bei ihr war es eher die Fürsorglichkeit, die nervte. Immerzu fragte sie, ob man irgendetwas brauchte, und wenn man mal schlecht gelaunt war, machte sie sich gleich Sorgen und fragte tausende von Fragen. Offensichtlich machte ich oft den Eindruck, mir ginge es nicht gut, denn ständig fragte sie mich aus. Ob ich meine Eltern denn vermisste, oder meine Freunde von der alten Schule, oder was weiß ich. Natürlich vermisste ich meine Eltern nicht, schließlich bin ich quasi ohne sie aufgewachsen, und Freunde hatte ich an keiner Schule gehabt, auf der bisher war, auch die jetzige war da keine Ausnahme. Aber so sagte ich ihr das nicht, es hätte nur noch mehr Fragen hervorgerufen. Es war Freitag, und im Gegensatz von Dominik freute ich mich herzlich wenig auf die Ferien. Noch dazu hatte ich Geburtstag. Ich hatte mein bestes getan, dass die Schäfers nichts davon erfuhren, aber irgendwie hatten sie es herausgefunden, vielleicht sogar von meinen Eltern, was zwar unwahrscheinlich, aber dennoch nicht unmöglich war. Als ich also zum Frühstück kam erwarteten mich ein Geschenk und ein Blumenstrauß. Brav bedankte ich mich und packte das Geschenk aus. Ich konnte mich nicht mehr daran erinnern, wann ich das letzte Mal Kleidung geschenkt bekam, nur noch dunkel daran, dass sie von meiner Großmutter waren, und die war zehn Jahre zuvor gestorben. Wenigstens war der Pullover schwarz, so konnte ich ihn auch anziehen, sonst hätte ich leider keine Verwendung dafür gehabt. Wir verließen das Haus mit der Ankündigung, am Nachmittag gäbe es einen Kuchen zur Feier des Tages. Was es zu feiern gab, war mir nicht wirklich klar, da ich Geburtstage hasste. Nach der Schule dann die eigentliche Überraschung des Tages. Dominik ging nicht mit mir zur S-Bahn. Er müsse noch etwas besorgen und würde später nachkommen. „Passt schon“, entgegnete ich, innerlich machte ich Freudensprünge. Unsere Wege trennten sich das erste Mal seit Wochen. Zum Bus fahren war das Wetter viel zu schön, also lief ich zum Bahnhof, auch wenn ich verständnislose Blicke erntete, schließlich versteckten sich die meisten vor dem Herbstwind. Außerdem hatte ich keine Lust nach Hause zu kommen. Ich wollte Frau Schäfer so lange wie möglich aus dem Weg gehen. Vielleicht hatte ich auch Angst davor, was die Post gebracht hatte. Fast hatte ich schon vergessen, wie ruhig es sein konnte, wenn der Kleine nicht unentwegt neben mir vor sich hin plapperte, irgendwie schien es mir schon zu ruhig. Ich erwischte mich doch glatt dabei, wie ich mir vorstellte, was er denn als nächstes von sich geben würde. Mir fehlte irgendwie, dass er mich nicht ständig nervte. Schon merkwürdig, was man alles vermissen kann. Diesen Gedanken verdrängte ich so schnell wie möglich wieder, das konnte doch nicht war sein. Vierte Station. Nichts wie raus aus dieser sauerstofffreien Zone mit Namen S-Bahn. Sie war wieder einmal voll gestopft mit Schülern, Studenten und Rentnern, als Zugabe gab es zwei Kindergartengruppen und einen schreienden Säugling. Ich lief gerade in Richtung Ausgang, als… „Hey, Victor, warte mal!“ Axel. Na toll, und ich dachte Geburtstage an sich wären schon Strafe genug. Ich lief weiter, tat so als hörte ich ihn nicht. In der S-Bahn hatte ich ihn nicht gesehen, was nicht weiter überraschend war, da er immer in die andere Richtung fuhr. Das nächste, was ich hörte waren schnelle Schritte auf dem Bahnsteig. Es waren mehrere Personen. Unwillkürlich lief ich auch schneller. Nicht schnell genug. Ein Tritt traf mich im Rücken, kurz bevor ich die Treppe zur Straße erreicht hatte. Fast gleichzeitig stellte sich meinem ein anderer Fuß in den Weg, ich verlor das Leichgewicht und fiel vorn über. Leider hatte ich keine Zeit mich umzudrehen bevor weitere Tritte folgten, so dass ich nicht sah, wie viele seiner Schränke Axel dabei hatte. Wahrscheinlich alle drei, zumindest schienen acht Füße auf mich einzutreten. So richtig bekam ich aber nicht mehr mit, die Schmerzen benebelten mir alle Sinne. Was für ein mieser Feigling, noch nicht mal das bekommt er alleine hin. Langsam wurde der graue Steinfußboden immer dunkler, bis er irgendwann schwarz war und ich nur noch die Schmerzen spürte, bis auch diese vergingen. Augen öffnen. Ganz langsam. Eigentlich hätte ich das auch schon früher tun können, aber warum? Bei geschlossenen Augen, im Halbschlaf, waren die Schmerzen fast noch zu ertragen. Außerdem hatte mich ein leises Flüstern davon abgehalten. Eine nervöse Frauenstimme, die verdächtig nach Frau Schäfer alias Sybille klang, hatte sich ständig danach erkundigt, wie es dem armen Jungen, also offensichtlich mir, denn ging. „Es geht ihm gut. Die Verletzungen scheinen nicht besonders schlimm zu sein, wir warten noch auf einige Untersuchungsergebnisse. Er schläft und braucht Ruhe. Gehen Sie nach Hause und ruhen Sie sich ebenfalls aus. Hier können Sie momentan nichts für ihn tun.“ Diese, beziehungsweise geringfügig abweichende Antworten, hatten verschiedene Menschen ihr immer wieder gegeben, bis sie tatsächlich gegangen war. „Genau, ich brauch Ruhe und will schlafen.“ Am liebsten hätte ich ihnen allen das ins Gesicht geschrieen, aber erstens hätte ich dadurch zuerkennen gegeben, dass ich wach war, und zweitens waren die Schmerzen, die Axel und Co. verursacht hatten zu groß, um einen Muskel zu rühren. Ich war wie gelähmt und konnte durch die Schmerzen und das Geflüster auch nicht wieder einschlafen, also wartete ich bis eines der beiden vorüber ging. Meine Augen gewöhnten sich nur langsam an das Licht, obwohl es nur ein schwacher Schein war, der von der halb offenen Tür her kam. Erst als ich mich im Raum umsah, realisierte ich, dass ich im Krankenhaus lag. Mir schien das auch ziemlich vernünftig und besonders praktisch, wenn der ganze Körper ein einziger, schmerzender Haufen ist. Irgendein weiser Mensch hatte den ‚Nach-Der-Schwester-Klingel-Knopf’ direkt neben meinen Arm gelegt und in diesem Moment hätte ich demjenigen liebend gern einen Nobelpreis verliehen, da ich mich nicht sonderlich bewegen musste, um besagten Knopf zu betätigen. Besagte Schwester kam auch prompt und fragte leise, was denn sei. Fast lautlos fragte ich nach Schmerzmitteln und wunderte mich gleichzeitig, wo ich meine Stimme verloren hatte. Normalerweise warte ich ziemlich lange, bevor ich zu Medizin greife, besonders bei Schmerzmitteln bin ich vorsichtig, aber die Situation ließ mir keine andere Möglichkeit. „Ja, natürlich“, antwortete die gute Frau, bat mich, einen Moment zu warten und verschwand. Noch bevor ihr Verschwinden in meinem Bewusstsein angekommen war, stand sie schon wieder neben mir, mit einer kleinen, aber feinen Spritze. Keine zehn Minuten später ließen die Schmerzen nach und ich schlief wieder ein. Das nächste Mal wachte ich auf als eine Schwester mir das Frühstück brachte. Sie wünschte mir einen guten Appetit und verließ das Zimmer wieder. Schon der Anblick des auf dem Tablett liegenden Essens verschlechterte mein Befinden, kaum auszumalen, was gewesen wäre, hätte ich das Zeug angerührt. Später kam dann noch der Arzt vorbei und teilte mir mit, ich hätte zwei angeknackste Rippen und einige Prellungen, sie wollten mich aber gerne noch bis Montag dabehalten, um eventuelle innere Verletzungen ausschließen zu können. Mir war das alles egal, hätte ich mich doch eher auf der Intensivstation an Unmengen von Apparaten gesehen, als hier. Auf dem Bahnsteig war eine kleine Ewigkeit vergangen während Klein-Axel und seine Freunde ihre Füße in meinen Körper rammten, aber das konnte nicht sein. Als ich darüber nachdachte, fiel mir ein, dass die S-Bahn aller zehn Minuten fuhr, die Vier also nicht wirklich viel Zeit gehabt haben zu verschwinden, bevor sie jemand sah. Wirklich viel Zeit, mir darüber den Kopf zu zerbrechen, hatte ich nicht. Kurz nachdem der Arzt das Zimmer verlassen hatte, natürlich nicht ohne mir mit einem saublöden Grinsen zu sagen, er könne das Essen hier auch nicht sehen, aber ich müsse wenigstens ein wenig davon zu mir nehmen, kam Frau Schäfer alias Sybille. Sie stellte eine kleine Reisetasche vor dem Schrank ab und kam zu mir ans Bett. „Hallo. Wie geht es dir?“ Ihre Stimme war so leise, man hätte meinen können, ich läge im Sterben. Ich schwieg und sah sie einfach an. Sie machte den Eindruck, als hätte sie die ganze Nacht kein Auge zu getan. „Es ist so ein schöner Tag heute, da solltest du nicht hier im Dunkeln liegen“, meinte sie als ich nicht antwortete, ging zum Fenster und zog die Vorhänge auf. Die Sonne schien mir direkt in die Augen und ich musste die Augen zusammen kneifen um nicht sofort zu erblinden. Ich hörte ein paar Schritte und Geraschel. „Oh, entschuldige. Du kannst die Augen öffnen, die Vorhänge sind wieder zugezogen.“ „Danke“, flüsterte ich. Noch immer hatte ich meine Stimme nicht wieder gefunden. „Ich hab dir ein paar Sachen mitgebracht.“ Mit diesen Worten packte sie die Reisetasche aus. Schlafanzug und Bademantel in den Schrank, Hausschuhe vors Bett und ein Buch, welches ich nicht kannte auf den Nachttisch. Dabei entdeckte sie das unberührte Frühstück. „Willst du nichts essen?“ Ich schüttelte schwach den Kopf und die Augen fielen mir wieder zu. Als ich sie wieder aufmachte, war das Frühstück abgeräumt, die Vorhänge offen und die Sonne außerhalb meiner Sichtweite. Vor dem Fenster, mit dem Rücken zu mir, stand er. „Kleiner?“, fragte ich schwach, mit etwas lauterer Stimme als am morgen. Er drehte sich erschrocken um. „Wie… wie geht es dir?“, stotterte er. „Wenn ich etwas zu trinken hätte, ginge es mir besser.“ Glücklicherweise verstand er diesen Wink, wenn er auch zuerst leicht irritiert drein schaute. „Hier.“ Er reichte mir ein Glas Wasser, ich setzte mich auf indem ich das elektrische Bett verstellte und trank. „Was… was ist denn passiert? Wer war das?“ „Axel“, meinte ich nur. „A… Axel. Wieso? Ich … ich meine, bestimmt meinetwegen.“ Er stellte sich wieder ans Fenster und starrte hinaus. Dachte er wirklich, ich lag seinetwegen hier? Irgendwie niedlich, aber diese Illusion konnte ich ihm leider nicht lassen. „Nicht deinetwegen“, korrigierte ich ihn. Völlig verwirrt sah er mich an. „Wenn du die Tür schließt, erzähle ich es dir.“ Ich wollte es schon lange jemandem erzählen und merkwürdigerweise vertraute ich Dominik. Er schien mir der richtige zu sein. Ende Kapitel 4 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)