Le coeur aigri von abgemeldet (Juri's Elegy) ================================================================================ Kapitel 2: Lost Eden -------------------- Es war ein Tag wie jeder andere auf dem Schulgebäude. Der azurfarbene Himmel wirkte wie gemalt in seinen schönsten Farben. Juri seufzte leise und lehnte sich gegen einen der Ahornbäume, die den Weg zum Gebäude der Senior-Highschool führte. Endlich konnte sie sich auch dazu zählen, sie hatte so lange drauf gewartet, als wäre es eine besondere Auszeichnung die man sich verbittert erkämpfen musste. Doch um ehrlich zu sein, es fühlte sich nicht anders an als sonst. Die jüngeren Schülerinnen vergötterten sie wie sonst auch immer, genauso wie sich die Klassenkameraden, aber speziell die Lehrer vor ihr hüteten. Innerhalb kürzester Zeit hatte sie sprunghaft an Ruhm erlangt, was nicht nur an den Landesmeisterschaften der Fechtvereine lag. Nein – daran sicher nicht. Gedankenverloren glitt ihr Blick über den funkelnden Ring an ihrem Finger, an dem auch die Erinnerung an die Begebenheit im Glashaus gebunden war. Noch immer lief es ihr kalt über den Rücken, wenn nur einen Gedanken daran verschwendete. Sie machte keinen Hehl daraus zu behaupten, dass sein Kuss grauenhaft war – und das, obwohl sie damals keinerlei Erfahrungen in dieser Hinsicht hatte. Doch mittlerweile wusste sie es besser. Führte kurze und geheime Affären mit Schülerinnen. Auch wenn ihr nach eigenen Worten nicht viel daran lag – denn es gab in ihrem Herzen nur ein Mädchen, das sie nicht vergessen konnte – so konnte man nicht behaupten, dass sie nicht um die kurzen leuchtenden Momente in ihrem Leben kämpfte. Sie trug jene Auserwählte auf Händen. Die gefährliche Leopardin zog ihre Krallen ein und ließ sich zähmen – wenn auch für kurze Zeit. Nach außen hin ließ sie es sich nicht anmerken – doch waren diese raren Momente von Zweisamkeit Balsam für ihre geschundene Seele, die von Shiori zerrissen und das Feuer von Tōga noch geschürt wurde. Der Vorsitzende des Schülerrats ließ sie zwar zufrieden nach der Begebenheit, die sich anno dazumal abgespielt hatte, allerdings nahm sie sich vor ihm in Acht. Er hatte es auf sie abgesehen. Worauf genau, wusste sie nicht. „Arisugawa-san?“ Eine bekannte Stimme riss sie aus den Gedanken. Sie wandte ihren Blick in die Richtung aus der sie die Stimme vernommen hatte und lächelte. Vor ihr stand einer der Fechtschüler, sein kurzes hellblaues Haar flatterte leicht im Wind. „Oh, Miki-kun. Du bist es.“ Er nickte kurz und erwiderte ihre Mimik, ehe er neben ihr Platz nahm. Auch die Leopardin ließ sich ins Gras sinken. „Ein wundervoller Tag heute, nicht wahr?“ Seine Stimme klang nahe an ihrem Ohr. Sie bejahte. „Vielleicht sollten wir das Training heute nach draußen verlegen…“, begann sie leise und seufzte, genoss die Sonnenstrahlen, die ihr Innerstes erwärmten. Miki schmunzelte und schloss kurz die Augen, als sie ihre Hand leicht auf seiner Schulter ablegte. „Du hast dich übrigens sehr verbessert in der letzten Zeit. Vor allem was deine Technik betrifft. Ich bin sehr beeindruckt.“, fuhr die Fechterin fort, während sie ihn sanft mit ihren grün-blauen Augen betrachtete. „Vielen Dank, Arisugawa-san!“ Juri lachte leise. „Nenn mich Juri. Wir sind doch per du.“, fügte sie schmunzelnd an ihre Worte an. Dann wanderte ihr Blick zur Schultasche des ruhigen Schülers, erkannte eine Mappe aus der einige Notenblätter ragten. Wortlos zog sie eines der Seiten hervor, akribisch betrachtend. Mit halbgeschlossenen Augen summte sie nach den Noten, die in feinsäuberlicher Handschrift verfasst worden waren. „Das ist ja ein richtiger Opus.“, stellte sie lächelnd fest. Ihre Worte bewirkten eine leichte Röte im Gesicht des Jungen, der die Tasche noch enger an seinen Körper presste. „Das ist nichts Besonderes…“, flüsterte er kaum hörbar, doch in seiner Stimme schwang ein durchaus geschmeichelter Unterton. „Es klingt sehr nach einer Liebeserklärung… für deine Freundin?“ Miki schwieg, knallrot bis zu den Ohren suchte er nach Worten, die seinen plötzlichen Ausbruch rechtfertigen sollten. Doch Juri verstand es bestens, sein Schweigen zu deuten. „Ist schon gut, Miki-kun…“ Langsam reichte sie ihm wieder das Notenblatt, das er bedächtig und schweigend entgegennahm. Achtsam strich der junge Schüler die Seite glatt, bevor er sie wieder in seine Mappe einordnete, dabei einen leicht abwesenden Eindruck machte. „Um ehrlich zu sein… ja.“, murmelte er. „Es ist so etwas wie eine… Liebeserklärung.“ Miki konnte die Röte nicht aus seinem Gesicht vertreiben, doch das Lächeln auf seinen vollen Lippen wirkte nahezu wie eine stumme Entschuldigung. Juri schmunzelte. „So?“ Sie erhob sich langsam, lehnte sich gegen den Baumstamm, ehe sie ihren Blick über das Panorama der Ohtori-Privatschule schweifen ließ. Für diesen einen Moment hatte sie sogar ihre Sorgen vergessen, wirkte regelrecht befreit. Selbst Miki schien es aufzufallen, als er sich ebenfalls vom Grund abstieß und neben Juri stand. Er betrachtete sie schweigend, eine leichte Windböe spielte mit den rotblonden Locken, die mit den leuchtenden grün-blauen Augen eine harmonische Einheit ergaben. Ihr Blick war – wie auch ihre gesamte Erscheinung – umwittert von Geheimnissen, in denen sich Wildheit wie auch Zärtlichkeit wieder finden konnten. Was Miki zur Genüge kannte, war das Feuer in ihnen, sobald sie den Degen in ihren Händen hielt. Es schien, als würde in jedem Kampf ein Teil von ihr ausbrechen, um ungezügelt zu wüten, mit jeder Finte, jedem Vorstoß. „Miki-kun?“ Ihre Stimme klang leicht amüsiert, als er irritiert seinen Kopf anhob. „Hast du etwas gesagt, Juri-san?“ die Leopardin lachte leise hinter vorgehaltener Hand. „Allerdings.“ Sie strich sich mit einer Hand die ungebändigten Locken aus dem Gesicht, ehe sie ihren Blick an ihn wandte. „Wer ist denn die Glückliche, der du dieses Lied widmest?“ Für einen Augenblick herrschte ein seltsam anmutendes Schweigen zwischen den Beiden, ehe sich der Schüler kurz räusperte. Juri sah ihn aus halbgeschlossenen Augen an und schmunzelte leicht, ehe sie sich zurücklehnte und dem Lauf der Wolken folgte. „Nun… es ist jemanden gedacht, der sicher nicht damit … gerechnet hat… an jemanden, der meine ganze Bewunderung und meinen Respekt verdient…“, seine Stimme klang leise, aber bestimmt, begleitet von leichtem Wehmut. „Das habe ich mir erwartet…“, erwiderte sie leise, ehe sie sich vom Baumstamm abstieß und streckte. „Wir sehen uns beim Training! Wenn du etwas früher kommst, können wir noch die Lektionen vom letzten Mal durchgehen…“ Miki nickte leicht. „Ich werde es versuchen, Juri-san!“ Mit katzenhaftem Gang entfernte sich die Leopardin vom Parkgelände, wurde dabei stumm vom Schüler beobachtet, der sich wieder im Gras niederließ. Bis zum Fechttraining hatte der Junge keinen Unterricht, trotzdem klemmte er seine Schultasche unter den Arm. Im Klavierraum war niemand anwesend - Grund genug, um an seinem Lied zu feilen. Leise und monoton klang das Geräusch des Taktanzeigers im Musikraum, als Miki einen kurzen Blick aus dem Fenster wagte. Er wusste nicht, woran es lag, aber der regelmäßige Ton vermittelte ihm ein Gefühl von Sicherheit, Geborgenheit. Er kannte es ewig, sehnte sich nach diesem Rhythmus der ihm ruhige Nächte und einen klaren Kopf bewahrte. Der junge Schüler strich abwesend über die Tasten des Klaviers, schlug den Kammerton an. „Seltsam… ich dachte, es sei letzte Woche gestimmt worden…“, murmelte der Junge, als er das schnarrende, wenn nicht schon kratzige Überbleibsel eines ehemals wunderbaren Klanges in seinen Ohren vernahm. Wieder und wieder streifte sein Finger die Taste, in der Hoffnung, dass dieses Geräusch nur Zufall sein konnte, immerhin knarrte der Stuhl manches Mal, wenn Miki ihn zurechtrückte, oder eine der Schülerinnen warf kleine Kiesel an das Fenster des Musikzimmers, um so seine kurze Aufmerksamkeit zu erregen. „Das ist in der Tat seltsam…“, wiederholte er in Gedanken vertieft. Immerhin hatte er gestern hier geübt, und alles war… normal. Keine Misstöne. Kein störendes Geräusch. Langsam hob Miki seinen Kopf an und strich einige störende Strähnen hellblauen Haares beiseite. Unruhe erfasste ihn. Und nicht einmal das leise, klackende Geräusch wollte ihn wieder zur Ruhe leiten, als er seinen Blick auf den Taktanzeiger lenkte. Wortlos verharrte er vor dem Klavier und atmete tief durch, als sich die Türe leise öffnete und ein Mädchen über die Schwelle trat. Hastig hob er seinen Kopf an. Es war selten genug geworden, dass seine Schwester ihm einen Besuch abstattete, und just in diesem Moment wusste der Junge auch nicht, wie er sich verhalten sollte. Deswegen schob er den Stuhl beiseite und erhob sich schweigend, ehe er die Notenblätter einpackte. Ihr kühler Blick streifte ihn, erwärmte sich für einen kurzen Moment. „Welch eine Überraschung, Kozue…“, murmelte er leise. „Was treibt dich seit neuestem in das Musikzimmer?“ Sie lächelte nur kokettierend, ehe sie die Krawatte ihrer Uniform richtete, ihre dunklen Augen auf ihn gerichtet. „Das übliche, Bruder… das übliche.“, antwortete sie sanft, ehe sich ihre Finger auf seiner Schulter niederließen. „Das… Übliche…“, wiederholte er tonlos, und verstand zunächst nicht. Als sein fragender Blick den ihren traf, verhärteten sich die Gesichtszüge der Schülerin, wie so oft. „Das Übliche.“, wiederholte sie knapp. „Es ist besser, wenn ich nicht darauf eingehe.“ Kozue wandelte mit selbstsicherem Gang zum Klavier und ließ sich auf dem Stuhl nieder, schlug die Beine übereinander, ehe sie sich lustlos auf das Musikinstrument sinken ließ. Das Geräusch der Tasten, die sie dabei berührte, klang so grauenhaft und schauerlich, als erlitt das Klavier unheimliche Qualen, wenn sie sich ihm näherte. In Miki begann sich alles zusammen zu ziehen. „Das solltest du nicht tun…“, flüsterte er. „Du verstimmst das Klavier.“ Überrascht zog Kozue ihre Augenbrauen hoch, ehe sie in ein gedämpftes Kichern ausbrach. „Ach, Mikey. Dann lässt du es halt wieder stimmen! Lass mir doch das kurze Vergnügen, wenn ich sonst schon keines habe!“ „Vergnügen…“ Das Wort hallte recht unangenehm in seinem Kopf und manifestierte sich in einer Vorstellung, die ihm alles andere als gefiel. Er sah Kozue auf dem Flügel liegen, während sich Mitschüler Teile ihrer Unschuld raubten. Und es waren Mitschüler, die Miki so gar nicht schätzte, genauso genommen hasste er diese stupide Truppe, die ihm – zumindest intellektuell – weit unterlegen war. Er hasste die Vorstellung, dass seine Schwester sich von eben diesen Leuten beschmutzen ließ. Sie war für ihn der Glanz in seinem jungen Leben. Und niemand Anderer hatte das Recht, diesen Glanz für sich zu beanspruchen. Ein Wink von Kozues Hand ließ ihn aus seinen Gedanken hochfahren. „Ich erwarte noch… jemanden.“, säuselte sie. „Es wäre besser, wenn du gehst, Mikey-kun…“ Seine Hände zitterten unmerklich. Miki mochte es nicht, wenn Kozue so mit ihm sprach, als wäre er ein Kleinkind. Die Art und Weise, wie sie seinen Spitznamen betonte, zeugte davon, dass sie ihn nicht ernst nahm. Doch was konnte das sensible Genie gegen ein wildes Tier, wie sie sich immer nannte, ausrichten? Er senkte seinen Kopf, ehe er die Notenblätter an sich nahm. Als er eine männliche, schemenhafte Figur im Türrahmen erkannte, beschleunigte Miki seine Schritte, und er bemerkte nicht, wie ein Foto bei seinem Aufbruch aus der Tasche fiel. Doch Kozues wachem Blick entging nichts, zielsicher fing sie es im Flug auf, ehe sie ihre tiefblauen Augen darauf richtete. Ein Schmunzeln huschte über ihre Lippen. Auf dem leicht vergilbten Zelluloid fand sie ein Fragment ihrer Kindheit an, den sonnendurchfluteten Garten, an einem warmen Sommertag. Sie konnte sich dieses Szenario ins Gedächtnis rufen und fand sich wieder an diesem Ort, der eine heile Kindheit versprach. Um sie herum tat sich die Geräuschkulisse von damals auf, das Zwitschern der Vögel, die ihn den Baumkronen ihre Lider darbrachten, das Zirpen der Grillen, ab und zu mischte sich das helle Miauen der Nachbarskatze in das Geschehen. Das Gras in diesem Garten war so grün, dass Kozue sich ernsthaft fragte, ob es an ihrer Fantasie lag, die mit ihr durchging oder sie seitdem nie wieder etwas erblickt hatte, das die Intensität dieser Farbe noch überschreiten konnte. Die Grashalme wiegten sich sanft im Wind, wie auch die Kelche der unzähligen Blumen und die Schmetterlinge, die sich mit der Thermik trieben ließen. Ja, dieser Ort war für sie damals wie der Garten Eden. Dort hatte sie immer mit ihrem Bruder am Flügel gesessen und sich leiten lassen. Das Mädchen spielte schlecht. Doch solange Miki an ihrer Seite war, störte sie sich nicht daran. Sie liebte das Klavier, den Garten, das riesige Haus. Sie liebte ihren sensibel anmutenden, hochbegabten Bruder, der sie genauso liebte, wenn nicht noch mehr. Doch dieser Garten war tot. Er war nur Erinnerung, das Gras war mittlerweile fahl geworden und ragte bedrohlich und ungestüm aus dem Boden, aus Eden war eine Wildnis geworden. Die Gartenmöbel waren verwittert und Moos hatte seinen Platz eingenommen. Das Klavier stand nicht mehr im Garten, sondern im Wohnzimmer. Dieser Ort hatte alles an Anmut und Grazie verloren, den er früher einst besessen hatte. Kozue seufzte leise. Hatte denn alles in ihrem Leben den Glanz von Eden verloren? War sie gleich der ausgestoßenen Eva, die aus dem Paradies verbannt worden war? Sie nahm nicht mehr am Leben ihres Bruders teil, denn vielleicht war es das Beste für ihn. Doch war es auch gut für Kozue selbst? Sie konnte diese Frage beim besten Willen nicht beantworten. Vielleicht hatte sie auch Angst vor der Wahrheit – vor dem, was wirklich war und wirklich geschehen ist – ein Erlebnis, eine Tatsache von solcher Intensität, dass die Schülerin aufhörte, am Flügel zu spielen und alles verabscheute, was ihr Bruder mit Herzblut liebte und verteidigte. „Kozue?“ Kurz lenkte sie ihren Blick in die Richtung des Jungen, der sie ansprach. Schlagartig veränderte sich ihr Wesen, wurde wieder hineingezwängt in die Rolle der unberechenbaren Hure, die sich unsanft auf das Klavier drängen ließ. Ungeduldig stießen seine Hüften an ihre, veranlassten sie dazu laut die Luft auszustoßen, ehe sie ihre grazilen Arme um den Körper über ihr schlang und seine Lippen mit ihren zu verschließen. Sie selbst hatte sich in die Rolle gepresst. Ob sie es genoss, war eine andere Frage. Doch sie tat es einfach, war in ihrem Handeln gekonnt, erschreckend mechanisch. Kozue schloss ihre Augen, als er sich an ihren Körper wagte und nahm, was er begehrte. Nach ihren Wünschen fragte er nicht, das tat niemand. Sie war einfach nur eine Puppe, die umhergereicht wurde. Und doch hatte sie dieses kleine, befreite Lächeln auf ihren Lippen, als sie einen stechenden Schmerz in ihrem Unterleib spürte. Sie lächelte, als sich erneut der Garten vor ihr auftat und Schmetterlinge sich auf den Klaviertasten niederließen… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)