Traum der Nacht von feuerregen (Stirb jung oder lebe ewig) ================================================================================ Stirb jung oder lebe ewig ------------------------- Lieber junger Mensch, der du diese Blätter in die Hände nimmst, sei gewarnt, bevor du zu lesen beginnst, denn dies ist eine Geschichte voll Trauer, Schmerz und Liebe; eine Geschichte, so tragisch, dass sogar Steine blutige Tränen weinen. Es ist die Geschichte eines jungen Mannes, der auszog, sein Glück zu suchen, doch es nie fand, da ihn die Liebe in die Dunkelheit trieb. Dies ist die Geschichte von Anatol und sie begann mit einem Blick: dem Blick auf eine Frau, deren Schönheit ebenso beängstigend wie anziehend war, deren Küsse bislang jedem Mann den Tod brachten und deren Haut so rein und weiß war wie Schnee an einem kalten Wintermorgen. Als ihre Blicke sich kreuzten, spürte Anatol eine bisher unbekannte Wärme in seiner Brust, doch die Schöne lächelte nur mitleidig, so, wie der Henker seine Opfer anlächelt, bevor er sich ein weiteres Paar stiefel verdient. Nur einen Sekundenbruchteil dauerte es, doch Anatol wusste: Sie würden sich wiedersehen! Und so kam es dann auch. Schon am nächsten Abend erblickte er sie wieder: in den Hallen eines Casinos, einer Spielhölle. Sie sprachen nicht, Blicke genügten. Er hatte das Gefühl, sie würden sich bereits ewig kennen. Warum, das war Anatol unbekannt, doch schien das plötzlich keine Rolle mehr zu spielen. Er liebte sie. Er liebte sie seit dem ersten Augenblick an! Nur das zählte! Sie nahm ihn mit, auf ein einsames Schloss an der rauhen Küste Englands. Er wusste längst, dass sie kein Mensch war, denn sie trank Blut. Sein Blut! In der Nacht wurden ihre Augen rot und sie flog, umgeben von einer Schar Fledermäuse, davon, um zu morden. Und so kehrte sie morgens zurück mit Blut an ihren Händen, an ihrem Kleid und in ihren Augen. Doch er liebte sie und er wusste noch etwas und das sagte er sich jedes Mal, wenn sie davonflog in die Nacht und wenn sie morgens, kurz bevor die ersten Sonnenstrahlen am Horizont zu sehen waren, wiederkehrte: Sobald der nächste Vollmond seine Vollendung erreicht hatte, würde er genauso sein wie sie. Tödlich und blutrünstig würden sie Menschen töten, sich an ihrem noch warmen Blut laben und gemeinsam der Unendlichkeit entgegengehen. In einer Vollmondnacht war er mit ihr gegangen und in einer Vollmondnacht würde er so werden wie sie! Doch wie die meisten seiner Träume war auch dieser nicht von langer Dauer. Am Tag, bevor der Vollmond erreicht war und Garacia, seine Blutkönigin, wie er sie insgeheim nannte, in den tiefsten Katakomben der Festung ihren todesgleichen Schlaf schlief, drangen selbsternannte Vampirjäger ins Schloss ein, schlugen Anatol nieder und stießen Garacia einen Pflock durch die Brust, der sie tötete. Kurz nach Einbruch der Dämmerung kam Anatol wieder zu sich. Suchend lief er durch die Burg, doch konnte er Garacia nirgends finden. Verzweifelt und in dem festen Glauben, von Garacia allein gelassen worden zu sein, weil sie ihn über hatte, lief er vors Tor und wollte sich und das Schloss verfluchen, als er sie sah! Hoch oben an den Zinnen hatten sie sie aufgeknüpft, von dem Pflock durchbohrt, den sie auch in Tod noch verzweifelt zu umklammern schien. In diesem Moment aus verzweifelter Trauer, irrsinniger Wut und reißendem Schmerz ging der Mond – der Vollmond – auf, tauchte Anatol in sein silbernes Licht, hob ihn empor und ließ das Tier in ihm erwachen. All seine Empfindungen vermischten sich in diesem Augenblick zu einer solchen Mordlust, dass es kaum zu ertragen war. Von Hass erfüllt machte er sich auf, die zu finden, die sein Liebstes getötet hatten. Einen nach dem anderen tötete er. Und bei jedem seiner Opfer weinte er blutige Tränen, während er ihnen das Blut aus den Adern saugte und ihnen das nahm, was auch sie ihm genommen hatten: das Herz! Seinen Höhepunkt erreichte der Schrecken, als eine Frau ihren Mann in ebendiesem Zustand neben sich im Ehebett vorfand. Danach nannte man die Toten nur noch „die Opfer des Phantoms“. Zum nächsten Vollmond hatte sich Anatol an jedem der Männer gerächt, die seine Garacia auf dem Gewissen hatten. Endlich konnte er auf das Schloss zurückkehren, an dem seine Geliebte auf ihn wartete Längst sind die Gebeine Garacias von den Zinnen gestürzt und auf ewig im Wasser versunken, doch zum Vollmond sieht man zwei Gestalten über den Nachthimmel fliegen. Sie sind von einer Schar Fledermäuse umgeben und beim Klang ihres Lachens flüchten die Menschen in ihre Häuser und hängen Knoblauchkränze an die Türen. Und was macht Anatol in jeder normalen Nacht? Er lässt junge Frauen einen Blick auf sich erhaschen, auf seine ebenso beängstigende wie anziehende Schönheit, auf seine weiße Haut und seine traurigen Augen, lächelt sie mitleidig an und nimmt hin und wieder eine mit auf das Schloss an der rauhen Küste Englands, von wo noch keine zurückgekehrt ist. James Albert Fellimore (Butler) So ist die Geschichte überliefert von Vater zu Sohn, die wir alle treu dem Hause gedient haben und immernoch dienen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)