Nachts kommt die Angst von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 1: Nachts kommt die Angst --------------------------------- Nacht. Dunkel. Wenn man jetzt rausschauen würde, wäre kaum noch ein Fenster mit Licht erfüllt. Auch in diesem herrscht schon seit langem Dunkelheit. Alles scheint still, versunken in die Tiefen des Schlafs… Verzweifelt klammert sie ihre kleinen Finger in die Bettdecke. Ihr Körper zittert so stark, dass alle Glieder bereits mit dumpfen Schmerz erfüllt sind. Das rasende Herz raubt ihr den Atem, die Augen starren verzweifelt in die undurchdringliche Finsternis. °Bitte…° Trotz des Zitterns hat sie die Zähne fest aufeinander gepresst, aus Angst, sie könnte ein Geräusch von sich geben. Mit einer gequälten Bewegung zieht sie die Decke über den Kopf, rollt sich zusammen und versucht sich nur auf die Schläge ihres Herzens zu konzentrieren. Und doch scheint ein Teil von ihr nur die Geräusche aus dem Nebenzimmer wahrzunehmen. Leise, kaum hörbare Worte, die wie brennende Pfeile ihren Verstand durchbohren und ihre Qualen ins Unermessliche treiben. °Warum…warum nur?° Immer wieder leise, zischende Stimmen, die in ihr Ohr dringen. Die eine heiser und rau, in deren tiefem Klang sich purer Hass widerspiegelt. Abgehackt und brutal lässt sie ihr das Blut in den Adern gefrieren, zwingt sie ihre Augen zu schließen, um die Bilder, die aufs Neue ungebeten in ihrer Erinnerung aufsteigen, zu verdrängen. Die andere Stimme, leise und flehend, erfüllt mit Schmerz und gekennzeichnet nur von einer einzelnen Bitte…Bitte, die dumpf an einer Wand aus Wut zerschlägt. Sie versteht nicht, was die Worte bedeuten, obgleich sie sie schon so oft gehört hat. Ihr Sinn hat für sie etwas Verbotenes und Angsteinflößendes, lässt sie jedes Mal erstarren in der Hoffnung, dass das alles irgendwann ein Ende findet. Immer wieder werden die Worte von anderen dumpfen Geräuschen begleitet. Und jedes Mal zuckt sie zusammen, drückt ihren Kopf in das Kissen, das längst schon nass ist, von den heißen Tränen. °Lass es aufhören! Bitte!° Ihre Lippen bewegen sich stumm in einem lautlosen Gebet. Die Hände in einander gelegt, richtet sie ihr Flehen dem Himmel empor. Bittet um Hilfe, bittet um Vergebung….so, wie sie es schon Tausendmal gemacht hat…Und so wie schon Tausendmal davor, bleibt ihre Hoffnung unerfüllt. Schließlich ertönt ein kurzer Schrei. Erstickt, doch von einer unermesslichen Pein erfüllt, durchdring er die Stille, bevor er wieder verstummt. Abrupt setzt sie sich auf, getrieben von überwältigendem Drang aufzuspringen und nach nebenan zu laufen. Die Tränen bannen sich ungehindert ihren Weg, verschleiern ihr die Sicht, brennen in den Augen so wie ihre Angst ihr Herz verbrennt. Nur schwer kann sie den Impuls unterdrücken, nur schwer zwingt sie sich wieder hinzulegen, weiß sie doch genau, dass es so besser ist. Ab und zu sieht sie bunte Pünktchen vor sich tanzen und merkt erst dann, dass sie die Luft angehalten hatte, die auch so nur schwer in sie hineindringen kann, erstickt vom unterdrückten Weinen. Wellen der Verzweiflung überfluten sie, zerfetzen ihre Seele in blutige Stücke und hinterlassen nichts außer einer erdrückenden Leere, in deren Mittelpunkt die Schuld steht. Die Schuld, die sie jedes Mal bei sich sucht. Sie versteht nicht, was es ist, das ihr so oft den Schlaf raubt. Versteht nicht, warum sie jedes Mal am Morgen in die Augen ihrer Mutter sieht und unter ihrem Lächeln und sanften Augen ein gequältes Herz erkennt. Weiß nicht, warum sie diese unerklärliche Furcht von dem Mann hat, den sie seit sie denken kann „Vater“ nennt, für den sie aber einfach keine Liebe empfinden kann. Vielleicht ist das der Grund. Vielleicht ist sie schuld an allem, was passiert, ist sie wohl nicht gehorsam genug. In einem letzten verzweifelten Versuch steckt sie ihren Kopf unter das Kissen, ohne darauf Acht zu geben, dass sie auch so nicht mehr atmen kann. Die Hände so fest zusammengeballt, dass ihre Finger wehtun, versucht sie wieder in die Leere zu versinken, die ihr in letzter Zeit den Schlaf ersetzt. Noch ein Schrei, für den die dünne Wand kein Hindernis ist, senkt sich wie ein Peitschenhieb auf den kleinen Körper. °Warum nur….warum macht er das…..Bin ich schuld?° Sie weiß, dass morgen ein neuer Tag beginnen wird. Sie weiß, dass ihre Mutter wie immer in ihr Zimmer kommen wird, um ihr mit einem warmen Lächeln Guten Morgen zu wünschen. Und sie weiß, dass sie wieder die verräterischen roten Streifen auf ihrem Hals sehen wird….Und Augen, die eine höllische Nacht nicht verbergen können. Ja…sie versteht nicht, was passiert. Warum es passiert. Oder wie lange es noch passieren wird. Sie versteht nicht, was sie gemacht hat und warum die bunte Welt ihr mit jedem Tag trostloser erscheint. Sie versteht auch noch nicht, was dieses Gefühl bedeutet, dass ihr Herz in blutige Stücke zerreißt…Diese Angst und noch etwas anderes…jedes mal, wenn ihr Vater sie berührt. Auch diese Nacht wird enden. Ein Fenster unter Tausenden. Ein Zimmer, in dem ein kleines Mädchen ihr Kissen mit Tränen tränkt, bis es schließlich vor Erschöpfung in einem traumlosen Schlaf versinkt…die Lippen immer noch leicht geöffnet, in einem stummen Gebet…das niemals erhört wurde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)