Leave this world behind von Bina-chan86 ================================================================================ Kapitel 1: Der Wegweiser ------------------------ Im Gegensatz zu ihren Gefährten verließ Carelia die alte Burg oft, um zu irgendwelchen Streifzügen aufzubrechen. Sie war misstrauisch, hegte allerdings keinen Hass gegen die Menschen im Allgemeinen. Für die meisten empfand sie viel eher Mitleid, da sie vor so vielem die Augen verschlossen. Ihre eigene Neugierde trieb die junge, braunhaarige Frau selbst immer weiter voran und ohne die Treue, die sie mit Camus und Alvaro verband, wäre sie wohl schon längst aus den Tal verschwunden, das sich hier trügerisch friedlich zwischen die Berge schmiegte. Doch friedlich wirkt es nur, dachte Carelia seufzend, als sie sich einen Felsvorsprung hinabgleiten ließ. Hier gab es genau dieselben Missstände, wie überall: Armut und Verrat. Jeder lebte ohne Rücksicht auf andere Lebewesen. Unsicher trat Carelia von einem Bein aufs andere, als sie die Stimmen vernahm, die von dem nahe gelegenen Dorf zu ihr hinauf schallten. Zum Umkehren war es bereits viel zu spät, also blieb ihr nur die Flucht nach vorn. Egal, wie oft sie diesen Weg auch ging, er wurde niemals leichter. Sie hatte ebenso viele Enttäuschungen hinter sich, wie Camus und Alvaro, trotzdem ließ etwas tief in ihrem Herzen sie nicht die Hoffnung verlieren. Niemand unter den Anwohnern schenkte Carelia große Beachtung, während sie das Dorf durchquerte, in dem es bereits Abend geworden war. Nach kurzem Überlegen zog sie sich in eines der wenigen Gasthäuser zurück, setzte sich dort in eine stille Ecke, von wo aus sie das geschäftige Treiben verfolgen konnte. Inmitten des Raumes stand ein großer Mann mit langem Bart und erzählte eine Geschichte von seinen angeblichen Heldentaten. Carelia lächelte belustigt, als sie feststellte, dass sich schon viele Männer zuvor mit dieser Geschichte gebrüstet hatten. Der Mann schien Augen und Ohren, wie ein Luchs zu haben, denn er fixierte Carelia mit seinem Blick. „Erheitert Euch das, was ich zu berichten habe so sehr?“ „In der Tat!“, gab Carelia unbeeindruckt zurück. „Es ist immer wider schön eine neue Fassung dieser alten Geschichte zu hören.“ Camus hatte ihr schon früh Sagen vorgelesen, sodass es nun ein Leichtes war diesen Betrüger zu entlarven. Der Mann trat an ihren Tisch und schaute wütend hinab. „Nennt Ihr mich einen Lügner!“ „Ich nenne Euch einen Plagiator“, sagte Carelia und wollte die vorrübergehende Verwirrung ihres Gegenübers nutzen um das Weite zu suchen. Sie ahnte schon, dass mit diesem aggressivem Exemplar der menschlichen Spezies nicht zu spaßen war. Zu ihrem Pech fing er sich schnell wieder. „Bleib hier!“ „Bedaure! Meine Zeit ist knapp bemessen, mein Herr.“ Carelia verbeugte sich. „Aber, wenn Ihr Euch das nächste mal mit fremden Federn schmückt, werde ich da sein, um Euch zu durchschauen.“ Sie verpasste dem Tisch einen kräftigen Tritt, damit dieser umkippte. Der Mann taumelte erschrocken ein paar Schritte zurück, was ihr die Gelegenheit bot durch die Hintertür zu verschwinden. Carelia knallte die Tür hinter sich zu und blickte hastig nach links und rechts. Als sie bereits Schritte hinter sich hören konnte, lief sie in einen Stall. Durch ein Loch im Holz konnte sie erkennen, dass der Mann und einige seiner Kumpane ihre Verfolgung aufgenommen hatten. Sie nehmen den falschen Weg, stellte sie mit Erleichterung fest. Just in dem Moment, in dem Carelia sich umdrehte, drückte ihr jemand eine Hand aufs Gesicht und verhinderte Schreie ihrerseits. Es dauerte einige Sekunden, bis sie begriff, dass sie unmöglich einem Menschen gegenüberstehen konnte, denn sie spürte Fell. Als sich ihre Augen an die vorherrschende Dunkelheit gewöhnten, erwartete sie eine Überraschung. Vor ihr hockte ein Katzenmensch, ein Wesen, welches sie nur aus Büchern kannte. Zitternd und mit schreckensweiten Augen sah er sie an, schüttelte dabei den Kopf. Ich bin also nicht die Einzige, die hier vor irgendetwas auf der Flucht ist, kam es ihr in den Sinn. Es kam Carelia wie eine Ewigkeit vor, dass sie sich gegenseitig so anstarrten. Endlich hob sie langsam ihre Hand und legte sie auf das Handgelenk des Katzenmenschs, drückte es leicht nach unten, um wieder sprechen zu können. „Ich tue dir nichts!“ Der Angesprochene machte einen abrupten Satz nach hinten und zog sich ängstlich ans andere Ende des Stalls zurück. Seufzend setzte sich Carelia auf den Boden und musterte ihn. Der Katzenmensch hatte hellbraunes Fell und dunkelbraune Haarsträhnen fielen ihm ins Gesicht. Seine Augenfarbe konnte Carelia bei dem schummrigen Licht nicht feststellen. Sie wurde unsanft aus ihren Gedanken gerissen, als jemand das Scheunentor aufriss. Eilig sprang sie auf und erkannte mit Schrecken den Mann, den sie soeben im Gasthaus beleidigt hatte. Einen weiteren Fluchtweg gab es nicht, also griff sie ohne groß darüber nachzudenken nach einer Forke und stieß sie ihrem Gegner in die Rippen. Keuchend ging dieser zu Boden, wodurch sie zwischen ihm und seinen Freunden hindurchschlüpfen konnte. Nachdem sie bereits um einer Ecke gerannt war, ließ eine Erkenntnis sie unvermittelt stehen bleiben: Der Katzenmensch. Sie konnte Camus’ Worte fast hören: „Lasse niemals jemand anderen durch deine Fehler leiden!“ „Verdammt!“, fluchte Carelia und lief zurück zum Ort des Geschehens, wo sich ihre Befürchtung leider bestätigte. Die kleine Gruppe hatte den Katzenmenschen tatsächlich entdeckt und ganz offensichtlich war er interessant genug, um sie vorläufig von Carelia abzulenken. Unbemerkt konnte die Braunhaarige zwischen eine Häusernische huschen. Die Männer hatten den Katzenmenschen derweil grob vor das Gebäude, ins Licht einer Laterne gezogen. „Was haben wir denn da?“, murmelte ihr Anführer, die Mundwinkel zu einem sadistischen Grinsen erhoben. „So was, wie dich habe ich noch nie gesehen.“ „Wirst du auch nie wieder!“, rief eine Stimme von weiter oben und schon zerbrach ein Dachziegel auf dem kahlen Schädel des Mannes. Carelia war auf das Dach geklettert, hatte von dort aus die Unruhestifter angegriffen. Geschickt sprang sie von dem Dach und zog den Katzenmenschen auf die Beine. „Wir müssen hier weg!“, drängte sie und musste das zutiefst verängstigte Wesen hinter sich herziehen, um nicht erwischt zu werden. Nach Luft schnappend stützte sich Carelia gegen einen Baum. „Das ist heute wirklich nicht mein Tag...“, keuchte sie. Sie wusste, dass Alvaro mit Sicherheit wütend sein würde, wenn er von ihrem Leichtsinn erfuhr. Langsam drehte sie sich um. „Es tut mit leid“, sagte sie an den Katzenmenschen gewandt, der einige Schritt von ihr entfernt im Gras saß und sie verwirrt ansah. „Ich hätte mich nicht mit diesen Männern angelegt, wenn ich gewusst hätte, dass ich damit jemanden in Schwierigkeiten bringe“, fuhr sie fort. „Aber so, wie es aussah, stecktest du auch in Schwierigkeiten.“ Wieder keine Antwort. Der Katzenmensch stieß lediglich ein leises Wimmern aus. „Ich bin Carelia“, stellte sich die Braunhaarige vor, in der Absicht mit etwas Unverfänglicherem anzufangen. „Re... Remi“ Das Wort war fast zu leise, um es zu verstehen - aber nur fast. Die Stimme zitterte leicht, klang aber ansonsten angenehm. Nachdenklich musterte Carelia ihn. Sie hatte keine Ahnung, was sie als nächstes tun sollte, denn die übereilte Flucht hatte ihr nicht die geringste Zeit zum Nachdenken gegeben. Ohnehin machte sie sich über ihr Handeln oftmals erst später Gedanken. Remi wich unbehaglich zurück. „Starr mich nicht so an.“ Das hörte sich schon weit weniger ängstlich an, wie zuvor. „Hm...“ Carelia schreckte blinzelnd aus ihren Gedanken hoch und wandte dann den Blick ab. „Entschuldige bitte.“ Die Neugier hatte sie ganz offensichtlich ihre Manieren vergessen lassen. Sie erinnerte sich daran, dass sie Alvaro vor Jahren genauso vorwitzig beäugt hatte. Der Schwanz des Katzenmenschen peitschte nervös hin und her, während er Carelia keine Sekunde aus den Augen ließ. Er hockte in gebeugter Haltung ein paar Meter von ihr entfernt. „Nun...“, begann Carelia und zog eine Augenbraue hoch. „Du starrst mich aber genauso an.“ Remi zuckte zusammen und landete auf seinem Hinterteil. Diese Aussage überraschte ihn fast so sehr, wie Carelias leicht amüsierter Tonfall. Noch nie hatte sich ein Fremder ihm gegenüber zu so einer unbefangenen Aussage hinreißen lassen. Alle hatten mit Misstrauen oder Furcht reagiert und einige versuchten gar ihn gefangen zu nehmen. Und schon ist er wieder sprachlos, stellte Carelia kopfschüttelnd fest. Auch Remi machte sich seinerseits Gedanken über diese unerwartete Begegnung. Was war das nur für ein ungewöhnlicher Mensch. Als ein Knacken im Unterholz die Stille des Waldes durchbrach, stellten sich Remis Ohren auf und er lauschte erschrocken. „Sie kommen näher“, flüsterte er angsterfüllt. „Bei meinem Glück war es ja klar, dass sie uns verfolgen würden“, murrte Carelia und wandte sich dann erneut an Remi. „Komm mit!“ Von der Aufforderung vollkommen überrascht, brachte dieser seine nächsten Worte nur mühsam hervor. „Was... wieso?“ „Ich nehme ganz einfach mal an, dass du nicht aus dieser Gegend bist, weil es hier keine Katzenmenschen gibt“, erwiderte Carelia. „Diese Männer aber kennen das Gelände. Sie würden dich mit Sicherheit fangen. Was ich dir anbiete, ist ein Ort, an dem du vorerst Schutz findest.“ Sie sprach bedächtig, denn ihr war klar, dass eine falsche Entscheidung sie in Teufels Küche bringen konnte. Andererseits machte Remi auf sie keinen besonders gefährlichen Eindruck. Remi schüttelte verwirrt den Kopf und wich ein paar Schritte zurück. „Warum solltest du das tun? Es gibt keinen Grund, weshalb ich dir trauen sollte. Du würdest mich bestimmt genauso hereinlegen, wie alle anderen“, fauchte er. Carelia blickte gelassen drein, zuckte lediglich mit den Schultern. „Wenn dir die Gesellschaft dieser Männer lieber ist, gehe ich allein“ Und das tat sie auch. Remi rang mit sich selbst. „Warte!“, rief er plötzlich und hielt sie am Stoff ihres Mantels zurück. Er war so geschwind hinter Carelia gewesen, sodass sie nicht umhin kam von seiner Schnelligkeit beeindruckt zu sein. „Hm?“ „Ich komme mit dir“, sagte Remi, was ihn nicht gerade wenig Überwindung kostete. Natürlich, seine Furcht vor diesen Männern ist größer, als die vor mir, dachte Carelia. So schlugen sich die beiden gemeinsam durch das Geäst, dicht gefolgt von den aufgebrachten Männern. Carelia brauchte nicht lange, um festzustellen, dass Remi fast am Ende seiner Kräfte angelangt war. Seine flinken Bewegungen von zuvor, sprach sie reiner Willenskraft zu. Bei dem Tempo werden sie uns bald erwischen, schoss es der Braunhaarigen durch den Kopf. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als von dem gewohnten Pfaden abzuweichen, auch wenn dies bedeuten konnte, dass sie sich verliefen. „Wo willst du hin?“, wollte Remi wissen, nachdem er ihr misstrauisch eine Böschung hinunter nachgekommen war. „Wir müssen einen anderen Weg nehmen, sonst schnappen sie uns“, erwiderte Carelia, in der Hoffnung, er würde nicht merken, dass sie alles weitere improvisierte. Das Gestrüpp wurde dichter, umso weiter sie kamen. Nasses Herbstlaub bedeckte den Boden und man musste Acht geben, wohin man trat. Jeder unbedachte Schritt konnte zum jähen Ende der Flucht führen. Der Ast einer knorrigen, alten Eiche ließ seine Spuren auf Carelias Gesicht zurück. Missmutig betastete sie die Schramme. Es ist zu dunkel. Ich kann immer schlechter sehen, stellte sie mit wachsender Besorgnis fest. „Pass auf!“ Remi konnte sie gerade noch rechtzeitig Arm packen und somit verhindern, dass sie in eine Felsspalte stürzte. „Danke“, murmelte Carelia verlegen und ärgerte sich über ihre eigene Fahrlässigkeit. Remi ließ sie los. Er starrte noch immer auf seine Hand, als Carelia schon längst weitergegangen war. Warum hab ich das gemacht? Weil ich den Weg nicht kenne, fragte sich der Katzenmensch verwirrt. Er hatte dieser Frau nicht trauen wollen, also kam Hilfe doch gar nicht in Frage. Dessen ungeachtet, wäre ihm aber alles andere schäbig vorgekommen. „Du kennst den Weg nicht?“, erkundigte Remi sich nun laut, um die Gedanken zu verscheuchen. „Nicht genau“, gab Carelia zu. „Hier bin ich nie gewesen und durch die Wolken kann ich mich auch nicht anhand der Sterne orientieren.“ Beiläufig schaute Remi zum Himmel hinauf und blieb dann unvermittelt stehen. „Was... was ist das?“, keuchte er. Interessiert spähte Carelia in dieselbe Richtung. Über ihnen schwebte ein kleines Feuer inmitten des Nachthimmels. Nachdem sie erkannt hatte, wessen Werk sie dort vor sich sah, schlich sie ein leichtes Lächeln auf ihre Gesichtszüge. „Was gibt es da zu grinsen?“ Remis Stimme überschlug sich beinahe vor Angst. „Ist das ein Irrlicht?“ „Nein. Das ist mein Wegweiser.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)