Von Liebe zerstört von Sitamun (Wir gehörten nie zusammen) ================================================================================ Kapitel 9: Das alte Spiel ------------------------- Über die Hälfte des Tages ist bereits rum, der Nachmittag bricht bereits an, und bisher haben weder ich noch Hikaru unser Zimmer verlassen. Wir hatten gesprochen, geweint und wieder miteinander geredet. Und als wir uns gegen halb Fünf endlich aus unserem Zimmer trauten, hatten wir uns auch noch geduscht und umgezogen. Ich konnte nicht anders als zu grinsen, als wir uns vor unserem Zimmer wieder sahen und wir gänzlich dieselben Klamotten trugen. „Sag mal, Kaoru … wie hast du dir das mit Yoshiko nun eigentlich vorgestellt?“ „Ich weiß es nicht“, antworte ich ihm, während wir zusammen die Treppen des Haupthauses runtergehen um zu dem Raum zu kommen, in dem laut sich eines Dienstmädchens sowohl unsere Eltern als auch meine ehemalige Nachbarin aufhalten soll. Ich weiß es wirklich nicht, hatte auch nie darüber nachgedacht und jetzt, als mein Kopf wieder klar ist, leer gefegt von irgendwelchen Wahnvorstellungen, die mein Denken betrübten, tut es mir leid, sie damit gerade zu überfallen zu haben. Ich hatte ihr nicht einmal die Zeit gegeben, sich von ihren eigenen Freunden zu verabschieden. Warum sie mir wohl zugestimmt hat? „Das wüsste ich auch gerne.“ Habe ich … „Habe ich laut gedacht?“ Hikaru lacht, schüttelt den Kopf. „Ich hab nur an dasselbe gedacht.“ Ich lächele ihn an und ich denke an die Tatsache, wie ähnlich ich ihm doch geworden bin. Noch ähnlicher. Noch mehr wie er. Wir gelangen zu dem Raum, öffnen die Tür jedoch nicht. Fast so, als wäre es ganz normal, lege ich vorsichtig mein Ohr an die Tür; ich erkenne die Stimmen, die ich dort höre. „Sie reden über uns, Hikaru … sie wird schon wieder ausgefragt …“ Ich nehme mein Ohr von der Tür weg, sehe zu ihm. Er schüttelt nur den Kopf. „Du hättest dir wirklich vorher Gedanken darüber machen sollen, was du mit ihr machst.“ „Hättest du das denn getan?“ „Damals? Nein.“ Wir grinsen uns an, öffnen gemeinsam die Tür, nur um danach von drei Augenpaaren groß angestarrt zu werden. „Habt ihr zwei verlernt, dass man anklopft, bevor man eine geschlossene Tür öffnet? Ihr wusstet doch, dass wir mit eurer Freundin etwas besprechen“, werden wir von Mutter angefahren, doch ich sehe ihrem Gesicht an, dass sie ihre Worte nicht ernst meinst. Sie wirkt nicht wütend auf mich … eher fast schon glücklich … „Nein, nein, Frau Hitachiin! Ich kenne Hikaru gar nicht, ich-“ „Können Sie denn sagen, wer Hikaru ist?“, unterbricht Vater Yoshiko und sieht von ihr zu uns, seine Stirn in Falten gelegt, so, als müsste er selbst erst überlegen. Es fühlt sich falsch ein, einfach wieder so zu unserem Alltag, der herrschte, bevor ich ging, zurückzukehren, einfach so zu tun, als wäre nichts gewesen, aber … ich habe auch nicht das Gefühl, dass da noch mehr ist, das es zu bereden gibt. Zumindest nicht mit anderen. Es reicht mir, wenn Hikaru weiß, was ich falsch gemacht habe. Yoshiko ist von seiner Frage überrascht, sagt nichts. „Natürlich. Ich habe immerhin-“ „Das heißt noch lange nichts“, wird sie ein weiteres Mal unterbrochen, dieses Mal jedoch von meinem Bruder und mir. Wir grinsen sie an. Dasselbe Grinsen. Es ist nicht gemein, es soll sie nicht verletzen. Es ist einfach nur ein Spiel, ein altes zugegebener Maßen. Ein Spiel, das wir schon in jungen Jahren zu spielen begannen. Und nun wird sie nur dazu eingeladen. Nichts weiter. Sie spielt einfach nur mit … Irritiert von der Tatsache, dass zwei Stimmen das gleiche zur gleichen Zeit sagten, ohne sich vorher abgesprochen zu haben, blickt sie zu uns und ihre Augen weiten sich noch mehr. Sie blickt zwischen Hikaru und mir hin und her, mustert uns, so als würde sie versuchen, irgendeinen Unterschied auszumachen, ein Merkmal zu finden, das sie sich einprägte, als sie mich in den vergangen Jahren ansah. Ich weiß nicht, an was genau sie dabei denkt, welche Merkmale sie meint, aber ich sehe ihren Augen an, dass sie das Gesuchte nicht findet. Ihre Augenbrauen ziehen sich etwas zusammen, das Zeichen dafür, dass sie angestrengt nachdenkt. Augenblicke später lächelt sie und schüttelt den Kopf. „Nein. Nein, tut mir leid. Ich kann weder sagen, wer Hikaru noch wer Kaoru ist“, sagt sie an unsere Eltern gewandt bevor sie sich wieder uns zuwendet. „Tut mir leid, Kaoru – wer von euch beiden es auch immer sein mag. Da hab ich jahrelang neben dir gewohnt und ich kann dich trotzdem nicht von deinem Bruder unterscheiden.“ Wir lachen leise. „Das macht nichts“, antwortet Hikaru ihr mit einem verständnisvollen Lächeln. „Es war nicht das erste Mal.“ … in einem Spiel, bei dem wir die Regeln erstellten und sie selten ändern. Hikaru antwortete ihr, weil sie dann glauben wird, ich hätte es gesagt. Nein, es ist nicht gemein. Das ist einfach nur er. Er, wie er war und wie ich bin. Es wäre dasselbe, hätte ich es gesagt. „Danke, Kaoru“ Hikarus Lächeln wird für einen Augenblick breiter, ein „Bitte“ ohne Worte, während mein Blick auf unseren Eltern ruht. Sie blicken Hikaru so … sie sehen so glücklich aus, ihren zweiten Sohn wieder im Haus zu haben. Bei sich, wo sie ihn in Sicherheit wissen, und bei seinem Bruder, der unter der Einsamkeit zu zerbrechen gedroht hatte. Wie sie wohl reagieren, wenn sie erfahren, dass sie gerade den Sohn anblicken, der sie nie verlassen hat? „Vater, Mutter – danke, dass ihr Yoshiko bei uns wohnen lasst, aber … was soll sie hier machen? Sie wurde ja regelrecht aus ihrer Heimat entführt. Wir sollten ihr helfen, eine Unterbleibe und einen Job zu finden.“ „Und für dich vermutlich gleich mit, zumindest was ersteres betrifft. Hikaru, wir haben darüber nachgedacht, dass du auch ausziehst.“ „Ist Yoshikos Wohl nicht erst mal über das meine zu stellen?“ „Sie hat uns gerade mitgeteilt, dass sie ihren japanischen Namen nicht nur zufällig hat. Ihre Familie väterlicherseits kommt aus Japan; sie wird sich hier schnell einleben. Es dürfte ihr also keine Probleme bereiten, wenn wir erst an euch denken. Außerdem …“ Ich seufze. Natürlich weiß ich das. Ich habe Yoshiko selbst nach ihrer Herkunft gefragt, ich weiß sogar, wo ihre Familie hier in Japan wohnt, ich weiß die genaue Adresse, aber das ist nicht der Punkt, der mich stört. Ja, es fühlt sich immer noch falsch an, ein bisschen weniger als vorher, aber trotzdem … ich habe es ihm versprochen. Ich meine nicht das Versprechen, dass ich ihm vor wenigen Stunden gab. Ich glaube, es würde ihm nicht viel ausmachen, wenn ich einfach nur aus meinem Elternhaus ausziehen würde, mir irgendwo in Japan ein Haus kaufen würde, denn hier ist er innerhalb weniger Stunden bei mir. Zumindest würde es ihn nicht genauso verzweifeln lassen, wie mein Umzug nach Frankreich. Nein, ich meine ein Versprechen, das ich ihm gab, kurz bevor wir in die Schule kamen. Wenn ich mich richtig erinnere, war das am Abend vor unserem ersten Schultag. Wir gaben uns das Versprechen, wenn die Zeit gekommen ist und wir von zu Hause ausziehen, dann ziehen wir zusammen in ein Haus. Mir ist klar, dass ich dieses Versprechen bereits gebrochen habe. Ich bin einfach abgehauen, habe unser Elternhaus verlassen, wenn auch nicht zu der Zeit, zu der ich es wollte. Eigentlich wollten wir ausziehen, wenn wir 25 Jahre alt sind. Unser 25. Geburtstag ist im September. „Außerdem möchte eure Mutter ihre designerischen Fertigkeiten mal an anderen Personengruppen als Kindern ausprobieren.“, vollendet Vater seine kleine Rede. „Du willst Yoshiko als Model benutzen?“ Ich sehe meinen Bruder etwas überrascht an, diese Frage ist ihm geradezu herausgeplatzt, doch ich sage nichts. „Ja“, ist die schlichte Antwort unserer Mutter. Ich lege Hikaru die Hand auf seine Schulter, woraufhin er mich genauso überrascht ansieht wie ich ihn vor wenigen Augenblicken. „Vater – wenn Hikaru ausziehen soll, werde ich ihn begleiten. Ich habe nicht vor, mein Versprechen ein zweites Mal zu brechen.“ „Wa-? Gott – ihr zwei! Ihr seid kaum einen Tag wieder zusammen und schon treibt ihr wieder eure Spielchen! Hikaru! Kaoru! Ihr –“ „Es ist schön, euch wieder zusammen zu sehen“, unterbricht Mutter ihren Ehemann, lächelt uns an. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)