Von Liebe zerstört von Sitamun (Wir gehörten nie zusammen) ================================================================================ Kapitel 1: Nicht plötzlich -------------------------- Verboten, ja? Wirklich ... warum tun wir’s dann eigentlich? Warum brechen wir die Regeln? Spielen die bösen Jungs? Natürlich, es wird von uns verlangt, es ist unser „Job“, unsere Aufgabe des Host Clubs. Und wir erfüllen sie mit Stolz für unseren Lord, Tamaki-senpai. Er erteilte sie uns, wir führen sie aus. Wir. Die „devil twins“, dabei ... ja, stimmt schon. Wir sind – waren – „devils“, kalt und rücksichtslos und nur in unserer Welt, es gab kein außerhalb. Unsere eigene Hölle, zugefroren. Zutritt verboten. Für jeden. Ohne Ausnahmen. Wir gehen rein. Wir gehen raus. Tür direkt hinter uns geschlossen. Immer. Niemand hatte so großen Mut, diese schwere Tür zu öffnen. Obwohl wir sie nie verschlossen. Jetzt wünschte ich, wir hätten es getan. Ich hätte es getan. Egal, was Hikaru dazu sagen würde. Hätte ihn fragen und raten lassen, er hätte verstanden. Doch jetzt ... vor nicht allzu langer Zeit öffnete doch jemand diese Tür, ließ warme Luft hinein und Hikaru ließ sich von ihr bezaubern. Natürlich wäre das irgendwann passiert, aber ich wollte, dass wir selbst die Tür offen ließen und keiner ungefragt, aus purer Neugier, diesen Ort betrat. Hikaru hieß diesen Gast, Haruhi, liebend gerne willkommen, es interessierte ihn nicht, dass ich daneben stand und einfach nur zusah. Es tat weh. Aber das bemerkte er nicht. Ich blieb alleine dort stehen, tief im Dunkeln, im Kalten, während er sich im Licht sonnte, das durch den Türspalt fiel. Sah sie an. Und es blieb so. Bis jetzt. Ich sitze immer noch alleine hier, im Dunkeln, im Kalten, und immer noch sind Hikaru und Haruhi zusammen auf der hellen, warmen Seite unserer einst zugefrorenen, eigenen Hölle. Ob er das wohl merkt? Wie alles auftaut? Nein, sein Lächeln ist zu glückselig, zu friedlich, als dass er an mich denken würde. Doch manchmal glaube ich, dass er noch an mich denkt, während er Haruhis Gesellschaft genießt; denn nie würde er ihr erlauben, die andere Tür auch zu öffnen. Eine Seite bleibt dunkel. Eine Seite bleibt ich. Natürlich weiß Hikaru das unbewusst; denn wenn wir unsere Hölle verlassen, Hand in Hand, scheint alles bestens, ohne Probleme. Niemand merkt etwas, Hikaru ebenfalls nicht. Ich will es irgendwie nicht glauben, aber es scheint, dass Hikaru seit dem Augenblick, in dem Haruhi auftauchte, „eins“ ist, ohne mich. Natürlich sind wir selbst als Zwillinge zwei verschiedene Personen, unser Charakter ist nicht derselbe. Doch manchmal wünschte ich es. Dass wir derselbe seien. Dann wüsste ich, was er denkt, was er für Haruhi fühlt, warum sein Band zu ihr stärker scheint als unseres. Ich sage „scheint“, weil ich nicht weiß, wie die Wirklichkeit ist und auch, wenn es mir seltsam vorkommt, ich mich vor der Wahrheit fürchte. Ich kann nur raten, habe keine Ahnung – was, wenn ich daneben liege? Ich ihn auf meine Gedanken anspreche und er nichts anderes tun wird als mich auszulachen? Diese Entfremdung – ist sie einem richtigen Streit gleichzusetzen? Dem ersten. Was denkt Hikaru sich nur dabei? Wenn er das überhaupt macht und nicht nur rein intuitiv handelt, seinem Gefühl folgt – denn das ist, was den Unterschied zwischen uns machen soll – und sein Gefühl sagt ihm wohl, diesen netten Eindringling zu erkunden. Glaubt er, wir sind zusammen eins, immer noch? Glaubt er, wir sind ein- und dieselbe Person? Auch, wenn ihm Haruhi bereits das Gegenteil bewies? Gott, warum um alles in der Welt ausgerechnet sie? Warum muss Haruhi ausgerechnet diejenige sein, die Hikaru so verwirrt? Warum, verdammt, ausgerechnet jetzt? Ich kann und werde meinen Bruder nicht aufhalten, nicht eines besseren belehren, denn wir sind nicht derselbe. Ich weiß nicht, was für ihn besser, was schlechter ist; er ist so anders geworden. Während er die Nähe Haruhis genießt, genieße ich meine eigene, bin alleine seit Tagen, immer nach der Schule. Es mag so vieles ungewiss sein, doch eines weiß ich sicher: Für mich ist an seiner Seite kein Platz mehr. Hikaru – oder besser ich – lebt in seiner eigenen Welt, einer anderen außerhalb der unseren. Verrat mir doch wer, ist das gut? Gut für mich? Für Hikaru? Für wen, verdammt? Scheint wohl so, dass mich der Gedanke, vollkommen allein zu sein, ohne meinen Bruder, verzweifeln lässt. Es ist meine Schuld, natürlich, ich hätte die Tür wieder schließen sollen als ich es noch konnte. Vergangen. Daran kann ich nichts mehr ändern. Aber, um ehrlich zu sein, ich will es nicht mehr ändern. Es ist besser für mich, wenn ich diese Lektion jetzt schon lerne, langsam und allmählich, als wenn mich der Schmerz überrumpelt und verletzt. Ja, das scheint so. Es ist besser. Der Scheint trügt nicht. Nicht jetzt. Hikaru hat ohne es wirklich zu bemerken eine Wand zwischen uns gezogen, eine unsichtbare Mauer ohne Tür. War das seine Absicht? Aber warum musste die Mauer ihm dennoch Sicht auf mich gewähren können? Wollte er sich derartig von mir trennen? Ohne ein Wort des Abschieds? Mein Bruder, vermisst er mich nicht? Ich weiß es nicht. Das letzte Gespräch zwischen uns – ich glaube, es ist erst eine halbe Stunde her – war über unsere Hausaufgaben. Darüber, dass er Algebra endlich besser verstehen würde, nicht mehr hinter mir herhinken würde. Darüber, dass Haruhi ihm geholfen hatte. Deswegen sei er nie da gewesen. Gott, verdammt, wen interessiert das? Haruhi! Haruhi! Haruhi! Nur sie! Egal, wie sehr ich mir wünsche, dass Hikaru glücklich ist – dieses Glück soll er nicht an ihrer Seite finden! Bin ich eifersüchtig auf Haruhi? Verzweifelt darüber, dass ich plötzlich alleine da stehe? Nein, nicht plötzlich. Aber ja, ich bin verzweifelt. Ich bin eifersüchtig. Doch nicht plötzlich. Ich wusste es. Die ganze Zeit. Verbotenes sollte verboten bleiben. Die Regeln sollten nicht gebrochen werden. Ich sollte aufhören. Hikaru ist ein guter Host, ohne mich. Ich höre auf. „Kaoru! Kaoru!“ Ich drehe mich um, sehe, wie mein Bruder auf mich zugelaufen kommt, etwas außer Puste; er hat wohl nicht lange gebraucht um mich zu finden. Kein Wunder. Scheinbar denkt er nicht so wie ich. Sein Gesicht ist von Sorge gekennzeichnet. Ich wette, sie gilt nicht mehr. Dieser Stich in meiner Brust ... warum? Ich bin eifersüchtig, ja, doch welche Maße hat diese Eifersucht? „Was ist?“ Ich bin nicht wirklich interessiert, drehe mich wieder weg. „Haruhi –“ Reicht es nicht aus, dass meine Gedanken sich nur um sie drehen? Muss er jetzt auch noch damit anfangen? Egal, was auch immer er jetzt sagen wird ... „Sie – sie ist weg!“ ... es wird meine Entscheidung nur verstärken. Ein Leben ohne ihn, ohne sie, ohne den Host Club. „Sie sollte mit dem Rest zusammen im Host Club sein, aber sie ist einfach nicht gekommen und ... und ich dachte, sie wäre bei-“ „Warum sollte sie das? Die helle Seite ist doch viel schöner ... ja, das ist sie ...“ Ob er mich versteht oder nicht, ich gehe. Ob er mich vermissen wird oder nicht, ich gehe. „Was meinst du, Kaoru? Haruhi ist unsere Freundin“ (Ja, eure) „nicht mehr unser Spielzeug. Meine Freundin, deine Freundin“ „Glaubst du das? Ist es das, was du wirklich glaubst?“ „Was ist mit dir? Du bist so anders geworden; ich wollte nicht fragen – ich dachte, du hättest dieses Problem schnell geregelt“ Er hatte also doch ... nein, meine Entscheidung steht. Meine letzten Worte, dann gehe ich. Sehe nicht zurück. Mein Spiegelbild kann ich auch dann noch sehen, wenn ich in einen Spiegel schaue. Nun, ich werde keine Regeln mehr brechen, Verbotenes sollte nicht getan werden. Ich höre auf damit. Ab jetzt bin ich eins. Brauche ihn nicht mehr. Hörst du das, Hikaru? Ich bin bereits eins! Ohne dich! „Es tut mir leid, Hikaru. Sucht ohne mich nach ihr; sag mir dann nachher Bescheid, wie’s ihr geht und was war. Es tut mir wirklich leid – glaub mir!“ Verstehst du es, mein Bruder? Jedes einzelne Wort gilt dir ... Kapitel 2: Vergiss nicht, abzuschließen --------------------------------------- Bin ich mir eigentlich darüber im Klaren, was ich tat? Der Folgen bewusst? Ich weiß ganz genau, was ich tat, welche Gefühle ich dabei empfand, warum ich es tat – das alles ist nichts Neues für mich. Ich schrieb es sogar auf, um all meine Gedanken sich zu verwahren, auf dass kein ein einziger je vergessen wird. Und nun liegen all diese Gedanken, die ich vor Jahren dachte, vor mir ausgebreitet auf einem Tisch, meinem Tisch. Der erste, den ich alleine aussuchte, alleine kaufte und dessen Platz in meinem Zimmer ich allein wählte. Ich weiß nicht warum, aber es machte mich stolz, als ich das erste Mal an ihm saß. Glücklich. Und jetzt bin ich immer noch stolz, über mein Tun unsicher, doch ich weiß nicht mehr, ob ich immer noch glücklich bin. Diese Texte vor mir habe ich vermutlich bereits zu oft durchgelesen, zu oft darüber nachgedacht, ob es falsch sein könnte. Nein, natürlich glaube ich, dass es richtig war, da ist kein Zweifel, doch die andere Seite ... wer sagt mir, dass auch die richtig ist? Ich versteh’s nicht. Ich habe keine Angst vor Entscheidungen, bereue nichts und niemanden. Doch manchmal fühle ich Sehnsucht; nach wem ist klar. Diese Sehnsucht ist bitter, sehr bitter, denn immer, wenn ich an ihn denke, fühle ich diesen Zorn für sie. Gegen dieses Mädchen, das mir meinen Bruder stahl. Nein, gegen diese Frau. Der gesamte Host Club hat mittlerweile seinen Abschluss, studiert und unterstützt seine Familien bereits bei ihren Geschäften, ebenso wie ich. Ich weiß, dass sie alle noch miteinander in Kontakt stehen; ich glaube, sie treffen sich jeden Sonntag irgendwo an einem Strand, nur an meinen werden sie nie kommen. Ich zog in ein Haus in der Nähe eines öffentlichen Strandes. Dieses Wort allein hält sie sicherlich weit genug von mir fern. Ja, weit genug ... ich wohne an jenem Ort, von dem der Lord wegzog, von dem der Lord nach Japan zog. Die einzige Verbindung, die ich noch zu ihnen hege ... und zwei Bilder. Von ihnen. Von ihm. Vom Host Club. Von meinem Bruder. Obwohl ich schon oft gefragt wurde, warum ich so viele Bilder von mir selbst hätte. Ich wohne hier an der Nordküste Frankreichs seit jenem ereignisvollen Tag, dennoch bleibe ich so blass wie er; ich hatte gehofft, es würde endlich einen Unterschied geben. Verzweifelte Hoffnung. Wir sehen uns immer noch so ähnlich. Unser Äußeres ist das derselben Person. Jeden Monat erweitere ich dieses große Bild um eines von ihm, meine Wand wird immer voller, immer voller und irgendwann wird kein Bild mehr von ihm dazu passen. Ich wünsche, dass es nicht so weit kommen wird. So weit, dass ich nicht mehr sehen kann, dass er lachen kann, jeden Monat. Ich habe mir schon oft ein Gespräch mit ihm vorgestellt, und immer wieder sagt er ihren Namen und immer wieder schreie ich ihn an, er solle doch endlich schweigen. Ihren Namen nicht mehr sagen. Er regt sich auf, dermaßen auf, dass ich schweige. Und ich kann’s nicht ändern. Sein Charakter ist für mich immer noch derselbe. Irgendwie schmerzt dieser Gedanke. Nicht mehr zu wissen, wie er ist, mein Bruder. Ich weiß nicht, über welche Witze er lacht, über welches Drama er weint, welche Spannung ihn fesselt. Ich weiß nur, er sieht aus wie ich. Aber nein, es nicht wichtig. Es interessiert mich nicht mehr, was er denkt, denn jedes Mal, wenn ich mich von dieser zarten Sehnsucht leiten lasse, wird ihr Geschmack bitter. Ich weiß, ich bin bisher nie darüber hinweggekommen. Es ändert sich nie. Das ist mein Schicksal. Ich lehne mich zurück, starre auf die Zettel vor mir. Wenn ich mich recht erinnere, habe ich nie erfahren, was genau mit ihr war, der Frau, die mir meinen Bruder stahl. Haruhi ... Nein, hier in Frankreich bin ich sicher vor ihm. Unsere Hölle mag immer noch dieselbe sein, aber die Mauer zwischen uns ist nicht mehr unsichtbar. Durch diese festen Steine dringt nichts durch. Kein einziges Wort von dir. Wie immer, wenn ich diese Gedanken hege, fällt mein Blick auf sein Bild, und wie immer glaube ich, dass dieser Ring, den er um den Hals an einer Kette trägt, nicht ohne Bedeutung ist. Ist er verlobt? Oder gar verheiratet? Ich weiß es nicht. Aber ich werde auch nicht nachfragen; weder bei der Familie noch bei der Presse. Mit ihr? Ich weiß, dass sie damals wieder aufgetaucht ist. Sonst hätten all die Host Club Fotos mit ihr nie entstehen können, also stand sie ihm zur Wahl – hat er die Chance ergriffen? Oder sie verstreichen lassen? Was ging wohl in ihm vor, als er den Ring an diese goldene Kette hing? Oder ist die Glückliche wohl jemand anders? Jemand, der von der Familie Hitachiin als Verlobte vorgeschlagen wurde? Was nützt mir die ganze Grübelei, wenn ich doch eh nie eine Antwort erhalte? Ich verlange nicht nach ihr, und doch brennt mir die Frage auf der Zunge. Ich halte mich zurück, lebe in meiner kleinen Welt, ohne ihn, ohne Antwort und es stört mich nicht. Es ist nun mal so. Ich kann nichts ändern Es ist noch früh; ein Angestellter meines Vaters wird mir gleich meine Post bringen, übliche Rechnungen, Anfragen auf Geschäfte und eine Menge anderer Sachen. Meine übliche Post, unter sich auch der Brief meiner Brieffreundin befinden müsste, wird erst viel später von einem normalen Postboten gebracht. Immer, wenn ich am Morgen die Tür öffne, liegen mehrere Prospekte auf dem Boden, berichtend von irgendwelchen Angeboten aus dem nahe gelegenen Supermarkt, in dem ich einkaufe. Anfangs fiel es mir schwer, doch jetzt war das Essen und das Leben eines normalen Menschen auch das meine geworden; ich habe mich damit abgefunden, auch wenn ich mich immer noch an den Luxusstandard meiner Familie halten muss, wenn ich zu geschäftlichen Terminen gehe. Vater besteht darauf gerade zu darauf, mich die Ehre der Familie wahren zu lassen, wenn ich denn schon alleine leben will und das so weit weg von unserem Haupthaus in Japan. Ich stehe auf, bewege mich in Richtung Tür. Um Punkt sieben Uhr wird es klingeln, nicht einmal zwei Sekunden später werde ich die Tür öffnen und eine halbe Minute später wieder schließen. Worauf man nicht alles achtet, wenn man von Langeweile geplagt wird ... Knapp eine Minute später sitze ich wieder an meinem Schreibtisch, die Briefumschläge durchblätternd. Briefe von allem und jeden, nichts Interessantes ... halt mal! Mein Blick fällt auf einen Briefumschlag ohne Briefmarke, meine Anschrift ist von Hand geschrieben worden, fein und säuberlich. Ich lege die anderen Briefe weg. Dieser Brief musste von der Familie stammen, ich drehe den Umschlag um, er ist sicherlich von Mutter oder Vater. Der Absender ein gewisser „Hitachiin H.“ ... das kann doch nicht ... „Das ist ein schlechter Scherz, Vater ...“, murmele ich vor mich hin, glaube nicht – nein, das kann doch nicht sein! Kurz blicke ich auf das Bild auf meinem Schreibtisch, der gesamte Host Club, mit mir ... mit ihr ... Ich öffne den Briefumschlag, nehme das schwere Papier heraus, entfalte es; meine Hände zittern. Dieser Brief ist wirklich von ihm ... wirklich von Hikaru ... „Hallo Kaoru ...“ Kapitel 3: Hallo Kaoru ... -------------------------- Hallo Kaoru ... Weißt du, es hat mich ziemlich viel Überwindung gekostet, überhaupt zu einem Stift zu greifen und dir etwas zu schreiben. Es ist nicht mein erster Versuch und ich habe nicht mitgezählt. Ehrlich gesagt, fühle ich mich immer noch unwohl, obwohl mir ein Anfang bereits gelungen ist. Ein Anfang über komplett Sinnloses ... Sag mir, mein Bruder, wie ist es dir ergangen? In der Zeit, in der wir nicht mehr zusammen waren? Immerhin ist es ja bereits Jahre her, dass du gegangen bist. Weißt du, ich habe ziemlich lange gebraucht, um herauszufinden, dass deine letzten Worte mir galten, dass du nicht einmal im Traum daran denken würdest, dir Sorgen zu machen um ... du weißt, wen ich meine ... Ich wage es nicht, den Grund zu erwähnen, der dich zum Gehen bewegte; vermutlich hasst du ihn immer noch, weswegen auch immer. Ich habe mir viele Gedanken darüber gemacht, warum dich dieser Grund so zum Kochen brachte, dass du schließlich gingst. Manchmal mehr, manchmal weniger und immer noch habe ich das Gefühl, am Anfang zu stehen. Ständig kriege ich von Vater zu hören, wie sehr wir uns trotz der Trennung noch ähneln würden. Ständig sagt er mir, wie sehr ihn eine meiner Antworten doch an dich erinnern würde. Ich weiß nicht, was er meint, denn immer, wenn ich versuche, so zu sein wie du, so, wie er dich mir beschreibt, dann glaube ich, nie zu einem Schluss kommen zu können, denn mittlerweile habe ich eingesehen, dass nur unser Aussehen identisch ist. Unsere Charaktere sind sich genauso ähnlich wie die von zwei "normalen" Geschwistern. Zwilling zu sein macht uns nicht zu etwas besonderen - auch wenn ich das sonst immer glaubte. Und trotzdem stehen wir an zwei verschiedenen Orten der Welt und wissen nicht, was der andere gerade macht. Ich habe Vater oft gefragt, weißt du, aber er wollte mir kein einziges Mal verraten, wo du bist. Das einzige, was er sagte, war, ich müsste nur meinen Kopf anstrengen. Unser wunderbarer kleiner Club, den wir in der High School hatten, beherberge die Antwort. Also habe ich versucht, die Orte herauszufinden, die mit dem Host Club eine besondere Verbindung haben, aber es gibt zu viele ... Kyouya und Tamaki haben mir angeboten zu helfen, aber ich habe ihre Hilfe abgelehnt. Die Suche nach dir wollte ich alleine beginnen und auch alleine beenden, obwohl ich mir sicher bin, dass auch sie ihre persönliche Suche gestartet haben, denn immerhin warst du auch ihr Freund. Das soll jedoch keinerlei Vorwurf sein. Ich hoffe und wünsche mir, den Grund für deinen Hass - es muss Hass gewesen sein, denn je mehr ich mich an den Ausdruck in deinen Augen erinnern versuche, wenn dein Blick auf sie fiel, desto mehr sehe ich Hass darin - irgendwann herauszufinden und dich irgendwann selbst fragen zu können, warum du ihn verspürt hast. Ich kann nicht meine ganzen Gedanken in diesen einen Brief schreiben - vielleicht wirst du ja neugierig und schreibst mir eine Antwort. Du weißt ja, wie ich zu erreichen bin. Und vielleicht kommst du auch vorbei und sagst mir deine Antwort ins Gesicht. Sagst mir, wo du die Zeit über warst, in der wir nicht zusammen waren. Mein innigster Wunsch, mein Leben genauso wie es begonnen hat an deiner Seite zu beenden hat sich nicht geändert und, weißt du, liebster Bruder, das ist der einzige Grund, warum ich noch lebe. Weil ich dich noch nicht gefunden habe. Bitte melde dich. In Liebe, Hikaru Ich lege das Papier vor mir auf den Schreibtisch, auf die anderen Texte, von mir geschrieben, über ihn. Unsere Schrift ... allein das Papier lässt erkennen, dass der Brief und die anderen Texte nicht am selben Tag und vermutlich auch nicht von derselben Hand geschrieben worden sind. Ich starre auf die Zeilen, die nicht nach dem Hikaru klingen, den ich mal kannte. Schon immer ist mir klar gewesen, dass auch er nicht derselbe bleiben würde, aber ich habe es nie glauben können, nie wirklich vorstellen. In meinen Gedanken war er immer noch der für sein Alter etwas kindische junge Mann, der nach Situationen, die er allein bewältigen musste, zu mir gerannt kam. Und nun dieser Brief. Dieser Brief klingt nicht danach. Nach dieser Person. Er klingt nach einem jungen Mann, der für kurze Zeit aus seinem Geschäftsalltag entfloh, sich endlich in die vergönnte Pause gleiten ließ und direkt zum Stift griff um diese Zeilen zu schreiben. Zeilen voller Respekt, Sehnsucht und bitterer Gedanken. Dass er den Namen jener Frau nicht erwähnte, sie bestmöglich umschrieb - soll das heißen, er ahnt, was mich beschäftigt? Soll das heißen, dass es ihm zu weh tut, ihn zu schreiben, weil er es nicht verkraften kann, dass sein Bruder die Frau hasst, die sein Herz in den Händen hält? Tut sie das überhaupt? Es klingt nicht danach. Nach solchen Gefühlen. Es klingt einfach nur so, als drehten sich seine Gedanken einzig und allein um mich. Mein Bruder ... Was beschäftigt ihn wirklich? Ich nehme den Brief wieder in die Hand, überfliege ihn kurz, falte ihn dann wieder, verstaue ihn im Briefumschlag. Ich weiß nicht genau, was ich denken, was ich fühlen soll ... Nie im Leben hätte ich geglaubt, dass er mich suchen würde. Ich glaubte, er wäre viel zu eingenommen von seiner Liebe zu - Liebt er sie überhaupt? Ich weiß überhaupt nichts mehr. Was um alles in der Welt soll ich nun tun? Immerhin - auch wenn ich mich nicht so benommen habe - ist er mein Bruder. Aber ... sind Zwillinge wirklich nichts Besonderes? Wie soll ich das herausfinden? Zu viele Fragen ... Kopfschmerzen ... Halb acht - Zeit loszugehen. Der Brief landet in einer Schublade, die anderen, die der Angestellte vorhin brachte, nehme ich mit. Kapitel 4: ... endlich wieder vereint? -------------------------------------- Der Raum ist dunkel, als ich ihn betrete. Es ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass noch genug Licht durch die offene Tür hineinfällt, um genug zu erkennen. Ich sehe die Person, die nicht hier sein sollte. Aber was soll’s – es ist meine eigene Schuld. Ich gab ihr den Schlüssel freiwillig. Dennoch … „Was willst du hier? Vor allen Dingen im Dunkeln …“ Die Person steht am Fenster, sieht hinaus in die finstere Nacht, auf das Schimmern des Mondes in den sanften wellen des Meeres. „Weißt du, Kaoru …“ Sie erschrickt nicht, als ich das Licht anmache, doch ihr Blick sagt mir eindeutig, dass sie die Dunkelheit eindeutig dem hellen Licht vorzieht. Ich schließe die Tür hinter mir, gehe zu meinem Schreibtisch, ein flüchtiger Blick zur Uhr. Halb elf. Vater musste es mit den Sonderaufgaben für mich mal wieder übertreiben. „Ja?“ Widerwillig wendet sie sich vom Fenster ab, setzt sich auf dem Stuhl, der vor meinem Schreibtisch steht. Sie … ist nicht meine Geliebte, einfach nur eine gute Freundin, anfänglich nicht mehr als eine Nachbarin. Ich hatte ihre Hilfe mehr als einmal in Anspruch genommen; ein Leben zu führen, das nicht rundum von Bediensteten versorgt ist, hatte einiges an Starthilfe beansprucht. Ich bin ihr dankbar dafür. „Es steht in der Zeitung, die erste Seite, die Schlagzeile des Tages: Vier Sprösslinge von japanischen Großunternehmen auf Einladung der Suos in Paris – Hitachiin Brüder endlich wieder vereint?“, liest sie vor. Die Zeitung liegt auf dem Tisch. „Ein Klatschblatt, was? Sieht nicht sehr seriös aus“ „Ist es auch nicht. Meine Mutter liest solche Klatschblätter gerne und heute kam sie damit heimgerannt.“ Ich greife nach der Zeitung … das Titelbild prächtig bunt, jedoch schon älter. Ich erkenne das Bild. Es ist eines von denen, die wir für den Host Club gemacht hatten und an die Kundinnen verkauften. Hikaru und ich – das Foto ist in der Mitte getrennt, so als wäre es zerrissen worden. Mein Blick hängt noch für einen Augenblick an dem bild, dann wandert er zum dem Artikel. „Kaoru Hitachiin, der bereits seit wenigen Jahren in einem kleinem liebevollen Städtchen an der Nordküste Frankreichs wohnt, trennte sich laut den Gerüchten nicht freiwillig von seinem Zwillingsbruder Hikaru …“ „Ich hab den Artikel bereits durchgelesen und … darf ich dich was fragen?“ „Was?“ Ich höre nur mit einem Ohr zu, lese nebenbei weiter den Artikel über mich und meinen Bruder, über die Sicherheitsvorkehrungen, die getroffen wurden, um den Söhnen so wichtiger Familien einen problemlosen Aufenthalt zu gewähren, über die Hochzeit von dem Sohn der Suos und … „Ist die Haruhi nicht männlich? Er war doch in eurem Host Club.“ Mit einer schwachen Geste ihrer Hand in Richtung des Bildes vom Host Club unterstreicht sie ihre Worte. Meine Augen folgen ihrer Handbewegung und zum ersten Mal seit Monaten sehe ich sie wirklich an, blicke in diese strahlenden braunen Augen, die meinen Bruder betörten und ihn mir stahlen. „Wie kann Suo ihn da geheiratet haben?“ Ich lasse die Zeitung fallen, starre sie, die sich eine solch naive Frage stellte, mit großen Augen an. „Tamaki und Haruhi haben geheiratet?“ „Das stand wochenlang in allen Klatschblättern, denn auch wenn die Suos ursprünglich aus Japan kommen, so sind sie hier in Frankreich ziemlich einflussreich und machen den ansässigen Wirtschaftsunternehmen große Konkurrenz. Dank dir gilt dasselbe übrigens auch für die Hitachiins. Solche Personen sind ein gefundenes Fressen für Klatschreporter. Ich dachte, das weißt du …“ „Kaoru!“ Sie springt erschrocken auf, als ich auf die Knie falle, zu nah dem Tisch. Mein Kopf streicht das harte Holz; es brennt. „Es ist nichts … geh bitte …“ „Aber Kaoru!“ „Geh!“ Ich werde nicht laute, schreie nicht, bin nicht wütend; sie merkt es, legt eine Hand auf meine Schulter, als Zeichen, dass sie mich versteht, und geht. Sonntag. Frei – endlich. Solange Vater noch derjenige ist, bei dem alle Fäden in der Hand zusammenlaufen, ist Sonntag mein freier Tag. Genau genommen muss ich mir darum auch keine Sorgen machen. Hikaru ist der ältere von uns, vermutlich wird so oder so er die Geschäftsleitung übernehmen … Ich bleibe im Bett liegen, starre an die Decke. Die Jalousie verdunkelt das Zimmer, mein Wecker strahlt mit einer kleinen Lampe die Uhrzeit mit roten Zahlen an die Decke. Erst halb sechs … Zeit hat eine so große Rolle in meinem Leben eingenommen … Wie hoch stehen wohl die Chancen, dass einer der ehemaligen Hosts diesen Artikel zu Gesicht bekommt? Oder irgendein Angestellter, der es sicht nicht vorenthalten kann, mit der Zeitung zu seinem Chef zu rennen? Mit Hilfe des Wissens aus dem Artikel werden sie mich schnell gefunden haben. Ich hatte mir ja auch nie wirklich die Mühe gemacht, mich zu verstecken; ich dachte, in Frankreich zu leben, in einer kleinen Stadt mit nicht mehr als 30 000 Einwohnern – ein winziger Punkt auf ihrer Landkarte – sei Versteck genug. Und nun sind sie alle hier, in Paris, für jemanden mit ihren Mitteln nur einen Katzensprung von mir entfernt. Wenn sie kämen, wie um alles in der Welt sollt ich ihnen dann gegenüber treten? Wie sollte ich Hikaru gegenüber treten? Ich beschuldigte ihn, sich mehr um sie gekümmert zu haben als um mich, sie einfach in unseren Welt gelassen zu haben, obwohl wir niemanden niemals einlassen wollten, mich einfach im Dunkeln sitzen gelassen zuhaben während er im Licht badete. Ich warf ihm vor, mich für sie verlassen zu haben und nun ist sie mit Tamaki liiert und Hikaru steht alleine da. Ohne mich. Aber … vielleicht wurde er ja auch von der Familie verheiratet mit irgendeiner Tochter eines Geschäftsfreundes. Der Ring um seinen Hals … Ich weiß nichts über ihn und ehrlich gesagt ist es meine Schuld. Doch das hätte ich damals nicht ahnen können. Woher um alles in der Welt hätte ich wissen sollen, dass sie sich von Tamaki irgendwann mehr angezogen fühlen sollte als von meinem Bruder? Damals, als ich meine Entscheidung traf, fühlte sich alles noch so richtig an; Hikaru hatte ein Leben ohne mich verlangt und verdient, nachdem er mich immer und immer mehr ausschloss aus seiner Hälfte unserer Welt, die doch nur eins ergibt, wenn beide Hälften zusammen sind. Und jetzt … Ich habe keine Angst vor Entscheidungen, bereue nichts und niemanden. Und dennoch zweifle ich. An mir. Ich glaubte, sie alle gut zu kennen und nun merke ich, ich kannte sie doch nicht. Nein. Die Zukunft ist unvorhersehbar. Meine Entscheidung war richtig. Ich bin sicher, sie werden den Artikel zu Gesicht bekommen. Mal sehen, was daraus wird. „Sinnlos, weiter im Bett zu bleiben und nachzudenken. Ich sollte mich irgendwie beschäftigen …“ Aber sein Brief … hat er mich deswegen nicht verstanden, weil er … gar nicht … nie was für Haruhi … empfunden hat? Kapitel 5: Ich wollte nicht --------------------------- Vielleicht ist er ja hier … war das seine Absicht? Vaters, meine ich. Kaum war ich heute morgen aufgestanden, klingelte das Telefon mit der weniger erfreulichen Nachricht, mein freier Tag heute sei gestrichen. Ich müsste mich auf dem Anwesen der Suos einfinden, das Oberhaupt der Familie hätte es so gewünscht. Warum auch immer. Für mich klingt es nur unlogisch, aber wenn ich es in der Geschäftswelt zu irgendwas bringen will, dann ist Vaters Wort oberstes Gebot. Er will es so und noch werde ich springen, wenn er schreit. Aber trotzdem … bei den Suos ist er … sie alle sind da … hoffentlich hat Tamaki seine früheren Eigenschaften beibehalten und ist mit seinen Freunden außer Haus, um ihn die Freuden Paris zu zeigen. Es ist noch früh am Morgen, neun Uhr erst, vielleicht schlafen sie auch alle noch, immerhin sind sie ja nicht zum Arbeiten hier. Im Gegensatz zu mir, der ich nun in der Eingangshalle dieses riesigen Hauses stehe und darauf warte, empfangen zu werden. „Herr Hitachiin – ich hatte Ihnen doch gesagt, Sie sollen mich rufen, wenn sie aufstehen wollen!“ Ich sehe in die Richtung, aus der die unbekannte Stimme kommt, und entdecke ein Dienstmädchen, nicht älter als 20, das so schnell wie möglich die Treppe auf der linken Seite der Halle hinunter hastet, ohne über sein Kleid zu stolpern. Ich lächele die junge Frau an. „Es tut mir leid, aber Sie müssen mich wohl verwechseln. Ich bin hier auf Wunsch meines Vaters. Ich soll das Familienoberhaupt der Familie Suo treffen. Bitte sagen Sie, Kaoru Hitachiin sein hier um den Termin wahrzunehmen.“ „Kao … ru?“ Für wenige Augenblicke lang starrt sie mich mit großen Augen an, dann verneigt sie sich, stammelt hastig eine Entschuldigung und geht. Es dauert nicht lang, dann kommt sie wieder, ihr Gesicht immer noch etwas angerötet von ihrem Fehler. „Wenn Sie mir folgen würden, Herr Hitachiin.“ Ich kann nicht anders als den Kopf zu schütteln, zu lächeln. „Es macht nichts, dass Sie mich verwechselt haben. Sie brauchen sich keine Vorwürfe zu machen.“ Das Dienstmädchen dreht sich kurz um, erwidert mein Lächeln. „Vielen Dank, Herr. Wissen wie, wie jeder hier im Haus habe auch ich den Artikel in der Boulevard-Presse gelesen und ich dachte, Herr Hitachiin hätte sich aus seinem Zimmer geschlichen um Sie zu suchen. Herr Otori hatte mich vor solchen Vorfällen gewarnt.“ Nach mir suchen …? Kyoya hat … Ein letztes Mal lächle ich die Frau an, dann blicke ich gerade aus, achte nicht mehr auf sie, die mich durch das Haus führt bis hin zu einem geräumigen Zimmer, lieblich eingerichtet. Sie verneigt sich noch einmal, geht dann wieder. „Herr Suo?“ „Guten Morgen, Kaoru. Lange nicht gesehen.“ „Bitte nimm Platz.“ Ich gehe seiner Bitte nach, setze mich ihm gegenüber. „Dein Vater betraute mich mit einer Aufgabe, die normalerweise in seine Pflichten als Vater fallen, jedoch hat er keine Zeit, selbst nach Frankreich zu reisen und er bittet dich, dies zu verzeihen. Deswegen werde ich sie übernehmen.“ „Warum Sie?“ „Weil die geschäftlichen Beziehungen der Familien der Mitglieder eures ehemaligen Clubs stark gewachsen sind und sowohl ich als auch die Hitachiins von diesen Beziehungen profitieren. Außerdem weiß dein Vater, dass ich für die folgenden Gespräche besser qualifiziert bin als irgendeiner seiner Angestellten.“ „Um was geht es denn?“ „Um es direkt auf den Punkt zu bringen - dein Vater plant, deinen Bruder Hikaru die Geschäftsleitung übernehmen zu lassen. Er will jedoch nicht, dass du unter deinem Bruder arbeitest, sondern etwas eigenes aufbaust, um die Machteinwirkung eurer Familie auszuweiten. Ein Geschäft mit hohen Erfolgschancen. Und genau darüber werden wir nun reden.“ Und ich hatte gedacht, die Zeiten der Kopfschmerzen wegen irgendwelcher Diskussionen und Rechnereien seien seit meinem Schulabschluss vorbei. Hatte ich wohl falsch gedacht. Dabei war das nur das erste solcher Gespräche; Herr Suo meinte, es würden noch viele Gespräche dieser Art folgen. Ein eigenes Geschäft aus dem Nichts aufzubauen, und seien die Stützpfeiler noch so fest im Boden verankert, sei kein Zuckerschlecken. „Das sollte dir doch bewusst sein. Wir und du alleine noch viel mehr werden har arbeiten müssen, damit der Plan deines Vaters in die Tat umgesetzt werden kann!“ „Lässt das Ihr Zeitplan überhaupt zu, Herr Suo?“ „Ja, allerdings. Was ist mit mir, Vater?“ Tamaki … Ich wage es nicht, mich umzudrehen, als sich diese dritte Person ins Gespräch einmischt. Diese Stimme kommt mir zu vertraut vor, als dass ich es wagen würde. Herr Suo hingegen stört sich nicht daran, blickt zu seinem Sohn, seufzt und schüttelt den Kopf. „Du weißt doch noch nicht mal, was du überhaupt machen willst, Tamaki.“ Und an mich gewandt fügt er hinzu: „Nein, eigentlich nicht. Aber Überstunden schrecken einen vernünftigen Geschäftsmann nicht ab; außerdem habe ich dir schon gesagt, dass ich davon profitiere, dir zu helfen. Deine Eltern sind sehr spendabel, wenn es um das Wohl ihrer Söhne geht.“ Er grinst mich an, und erinnert mich dabei stark an Tamaki. Ich höre mehrere Stimmen hinter mir, bekannte Stimmen. „Mit dem Sohn welcher Familie hast du denn gesprochen?“ Zu den Stimmen gesellen sich die Schritte einer Person; ich sehe sie aus den Augenwinkeln, als sie stehen bleibt. Warum bin ich bloß so unglaublich nervös? Warum schläft mein Herz so schnell? Die Person legt mir vertrauensvoll eine Hand auf die Schulter um mich mit leichtem Druck umzudrehen und auf einmal sehe ich in dieselben Augen, die mich jahrelang von Fotos angestrahlt haben. Nur sind sie jetzt von Überraschung geweitet. Tamaki lässt mich los. Ich erwidere seinen Blick für wenige Sekunden, so lange, wie ich es ertrage, ohne genauso überrascht oder gar verletzt oder glücklich auszusehen, dann blicke ich wieder seinen Vater an, reiche ihm die Hand. „Vielen Dank für ihre Zeit, Herr Suo. Auf Wiedersehen.“ „Auf Wiedersehen, Kaoru.“ Ich drehe mich nicht um, obwohl ich ihr, sein, Gemurmel höre. Ich bleibe nicht einmal stehen, als Tamaki mich ruft. „Kaoru?“ „Ja, Herr Suo?“ „Komm morgen Abend wieder. Je schneller wir damit fertig sind, umso besser.“ „Ja, Herr Suo.“ Ich traue mich einfach nicht. Kapitel 6: Zurück ----------------- „Architektur?“ „Japanischer Baustil ist in Europa in letzter Zeit sehr gefragt und …“ „ … zurück an die Schulbank …“ „ … in Japan …“ Scheint, als sei mein Schicksal bestimmt. Es ist wie üblich. Vater sagt und ich springe. Durchs Feuer. Ins Eis. Wohin er will. Natürlich nur für mein Wohl. Wie üblich. Ich hatte mich schon vorher damit abgefunden, dass Hikaru als älterer Zwilling derjenige sein würde, der irgendwann die Person sein wird, die sagt, während alle anderen springen. Es war selbstverständlich geworden, sogar bereits während der Zeit, in der wir noch zusammen und unzertrennlich waren. Immerhin bin ich der jüngere Bruder. Das ist in jeder Familie gleich. Aber ich hatte nie damit gerechnet, zurück nach Japan zu müssen, um dort mein neues Handwerk zu erlernen; Vater hatte mir doch auch meinen Aufenthalt in Frankreich gewährt. Aber vermutlich hatte er das von Anfang an im Hinterkopf. Meine Rückreise ist wie ... meine ganzen Prinzipien zu zerschneiden und mit Füßen darauf rumzutrampeln … mit meiner Schere und meinen Füßen. Ich hasse mich dafür, nicht die Kraft zu haben, mich meinem Vater zu widersetzen. Ich will nicht zurück nach Japan, nicht zurück an dem Ort, an dem ich ihn ständig sehen kann. In den letzten Wochen bin ich beinahe täglich im Anwesen der Suos gewesen und genauso oft ist mir auch eines der Mitglieder unseres ehemaligen Clubs über den Weg gelaufen, mein Bruder befand sich unter ihnen jedoch relativ selten. Es wunderte mich, dass sie fast einen ganzen Monat bei Tamaki hausten und ich glaube, er beschloss, gemeinsam mit mir zurück nach Japan zu fliegen, sobald es so gut wie sicher war, dass ich zurückmusste. Ich weiß jedoch nicht, ob er weiß, warum ich zurück muss. Ich habe versucht, mich irgendwie auf diesen gemeinschaftlichen Flug vorzubereiten, aber … ich weiß nicht, wie. Stundenlang mit ihnen in einem Flugzeug sitzen, stundenlang ihre Fragen und seine Blicke ertragen müssen. „Bitte! Wie soll ich das denn überstehen, wenn nicht wenigstens eine vernünftige Person dabei ist?“ Gott, es ist so geheuchelt. Zu viel verlangt. „Aber … ich habe keinerlei Unterkunft, keine Arbeit … in Japan …“ „Das macht nichts. Ich wird fürs erste auch im Haupthaus wohnen, ein Gästezimmer dürfte kein Problem sein.“ „Aber Kaoru!“ Damit … bin ich kein Stückchen besser als er. Jetzt bin ich derjenige, der Falsches tut. Nun öffne ich unsere Tür. Nein, unsere Welt existiert schon lange nicht mehr. Wenn … müssten wir sie wieder aufbauen. Geht das denn noch? Haben wir noch … die Kraft dazu? „Vater meint, es sei in Ordnung. Er lässt bereits ein Zimmer neben meinem Zimmer einrichten.“ „Wenn du von ‚deinem’ sprichst, meinst du dann …?“ „Ja, ‚unseres’.“ „Du schaffst das, Kaoru. Ich helfe dir, versprochen!“ Und dabei weiß ich doch, dass ich ihre Hilfe weder brauche noch will. Das einzige, was ich will, ist ein Grund, ihn nicht ansehen, ihm nicht antworten zu müssen. „Wann fliegen wir?“ „Morgen. Ich helfe dir beim Packen.“ Bin ich also doch genau wie er? Eine Spur gemeiner und fieser als ich mich selbst einschätzte? So wie er? „Kaoru …“ „Ich weiß.“ Es ist Morgen. Gerade erst mal fünf Uhr … Die Klingel an der Tür durchschneidet die Stille und sie, meine ehemalige Nachbarin, öffnet die Tür. Ja, ich weiß. Ich weiß, wer vor der Tür steht und mich abholen will. Doch ich weiß nicht, ob ich mich auch traue … trotz ihres Beistandes … „Kaoru …“ Wieder mein Name, doch dieses Mal ist es nicht ihre Stimme, die ihn ausspricht, sondern seine. Ich habe Angst, immer noch, sie ist nicht hier, und trotzdem drehe ich mich um, blicke ihn an, mein Spiegelbild … trotz der langen Zeit … Ich wende den Blick von ihm ab, blicke zu der Wand mit all den Bildern von ihm, schüttele den Kopf. Aus den Augenwinkeln sehe ich ihn verbittert lächeln, sehe, wie sein Blick dem meinen folgt, auf der Wand hängen bleibt und wie seine Augen sich weiten. Höre, wie er erschrocken Luft holt. Gehe zu meinem Schreibtisch. „Ich weiß“ Dieselbe Antwort zu einer anderen Person, eine gänzlich andere Bedeutung. Ohne ihn anzusehen öffne ich die oberste Schublade, hole meine ganzen Notizen heraus, meine ganzen Gedanken … und seinen Brief. „Wir können gehen.“ Mit dem Papier im Arm gehe ich um den Tisch herum, Richtung Tür. Streife ich. Zufällig. Gänsehaut. Kapitel 7: Erster Schritt ------------------------- Regen. Erst jetzt, da ich auf dem Weg zum Flughafen bin, den Ort verlasse, der mein neues Leben widerspiegelt, fällt mir auf, dass es das gestern auch bereits tat. Regnen. Drei Wagen, bereit gestellt von Tamaki, bringen uns zum Flughafen; ich und meine ehemalige Nachbarin und mein Zwilling – wir sitzen in einem dieser Wagen. Sie und er sagen nichts, zwischendurch spüre ich ihre Blicke auf mir. Er hingegen sieht aus dem Fenster, betrachtet die Tropfen, die auf ihm landen und ihre Bahnen auf dem Glas ziehen. Ich weiß das, weil ich es auch tue. Ich höre, wie er leise lacht und ich kann nicht anders, als es ihm nachzumachen. „Wenigstens einer …“ „… der deinen Abschied beweint …“ Hikaru beendet meinen Satz, als wäre es das Selbstverständlichste auf Erden, als wären die Jahre der Trennung nie gewesen. Ich drehe den Kopf und blicke in diese traurigen, grünen Augen. Sie in unserer Mitte sieht zwischen uns hin und her und obwohl es eine solch melancholische Stimmung ist, kichert sie leise. „Was ist?“ „Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, ihr zwei hättet euch nie … ihr zwei wärt nie getrennt gewesen.“ Überrascht blicke ich von ihr zu ihm und zurück zu ihr; ich weiß genau, dass sie etwas anderes hatte sagen wollen, was sie hatte sagen wollen, aber … heute ist das erste Mal, dass sie mich und ihn zusammen sieht und schon kann sie sagen, so sähe die Normalität aus? „Nein …“ Ich will noch mehr sagen, will sagen, wie sehr sie daneben liegt, aber ich schweige und ich glaube, sie versteht den letzten Blick, den ich ihr zuwerfe, bevor meine Aufmerksamkeit wieder den Regentropfen gilt. Dennoch … er hat Recht … Wenigstens einer, der meinen Abschied beweint … Aus Angst, Hikaru würde dadurch den Mut finden, die Fragen zu stellen, die ihm auf der Zunge brennen, sehe ich ihn nicht an. Nicht, als wir aussteigen. Nicht, als wir das Flugzeug betreten. Nicht während des Fluges. Wenn ich meinen Blick hebe, dann nur, um sie anzusehen, die sie sofort von Tamaki und Honey umschwärmt wird … wie in alten Tagen. Natürlich höre ich die fragen, die sie ihr stellen und innerlich rege ich mich darüber auf, dass selbst ich diese Fragen nicht beantworten kann. Es tut weh. „Am besten ist, ihr fragt ihn selber, wenn er die Angelegenheit geregelt hat.“ Danke … „Verrate uns doch deinen Namen, Schönheit …“ „Yoshiko Hiramatsu“ Die Aufgaben, das Verhalten, die Sprechweisen eines Hosts sind ihnen wohl ins Blut übergegangen; es scheint ihnen schwer zu fallen, ohne diese Schmeicheleien mit ihr zu reden. Ich versuche, nicht mehr zuzuhören. Einfach zuzusehen, wie die Wolken aufhellen und es immer heller wird. Frankreich hört auf, meinen Verlust zu beweinen und meine „… alte Heimat empfängt dich freudestrahlend.“ Schon wieder vollendet er meine Gedanken – hat sie denn Recht? Ist denn wirklich nichts anders? „Hikaru …“ Ich drehe mich zu ihm um, folge ihm mit meinen Blicken, während er um den zweiten Sitz neben mir herum geht und sich neben mich setzt. Er weicht meinem Blick aus, sieht aus dem Fenster. Ich dachte, wenn ich ihn nicht beachte, nicht mal ansehe, dann würde er sich nicht trauen, mich anzusprechen, genauso wenig wie ich den Mut nicht aufbringe, ihm all das zu sagen, was mir auf der Seele liegt. Ich dachte an den Hikaru, den ich vor Jahren in Japan zurückließ, an den, der zu mir gerannt kam, an den, der ohne mich nicht konnte. Und nun sehe ich, er kann sehr wohl. „die Zeit um uns herum lief wohl unbeirrt weiter, während sie auf der Schwelle zu unserer Welt fast gänzlich stand“, sage ich ihm trocken, verbittert lachend. Ich hatte mich selbst so grauenhaft reingelegt. Alles, was ich glaubte, ist … falsch … „Weißt du, ich hatte einen einzigen Unterschied erhofft zwischen dir und mir. Einen, von dem ich selber sagen kann, dass er mich eindeutig als Kaoru identifiziert, unverwechselbar mit dem Bild im Spiegel und gestern habe ich gemerkt, dass dieser Unterschied gar nicht existiert. Ich bin … wie du … geworden.“ „Kaoru … warum hast du dir diesen Unterschied erhofft? Warum um alles in der Welt bist du damals gegangen?“ Diese Frage … Ich greife neben mich, nach all den Blättern, die ich aus der Schulbade nahm, bevor wir heute Morgen das Haus verließen, gebe sie ihm. „Hier. Alles andere besprechen wir morgen früh. Unser Zimmer ist immer noch dasselbe?“ „Sogar die Vase mit der kostbaren Goldverzierung steht noch an ihrem alten Platz.“ Diese Vase – er hatte sie nie ausstehen können … Sein Blick wandert von meinen Augen zu den Papieren in seiner Hand. Kapitel 8: Reue --------------- Mit jedem Mal, wenn er den Kopf schüttelt, fühle ich mich schlechter. Er hat die Papiere mit all meinen Gedanken, Gefühlen, Befürchtungen und Ängsten gelesen und nun stellt er mir die Fragen, die er noch nicht beantwortet bekommen hat. „Du hast das alles nur getan – du bist nur abgehauen – weil du eifersüchtig auf Haruhi warst? Auf die Frau, die mit unserem Chef verheiratet ist?“ Ich sehe ihn nicht an, blicke mich in diesem unserem Zimmer um; er sitzt auf unserem Bett mit all den Blättern vor sich ausgebreitet, ich auf dem Boden, an unser Bett gelehnt. Ich spüre seine Blicke auf meinem Hinterkopf, ja, aber ihn selbst anzusehen vermag ich nicht. „Es steht doch da drin, Hikaru. Ja, ich bin eifersüchtig auf sie gewesen, weil sie dich zu sehr in Anspruch nahm, nachdem sie unaufgefordert die Tür zu unserer Welt geöffnet hat. Ich mochte es nicht. Ich konnte kein Stückchen ausstehen, wie du um sie herumgeschwänzelt bist als wäre ich dein normaler jüngerer Bruder!“ „Wolltest du also jedes Mal eine Extrawurst haben?“ „Ich wollte, dass du glücklich bist und der Weg zu deinem Glück schien an Haruhi nicht vorbeizugehen … und trotzdem … „ „… hättest du es lieber gehabt, wenn ich freiwillig zu dir gekommen wäre und dich in aller Öffentlichkeit vorgezogen hätte. Oh Mann – und ich hielt mich für den unreiferen von uns beiden.“ Ich antworte nicht sofort darauf, lege den Kopf in den Nacken, bis er das Bett berührt, die Augen geschlossen. „Ich war so wütend auf dich und gleichzeitig habe ich mich so nach dir verzehrt, dass ich selbst wie du wurde, um dir dennoch ein wenig näher zu sein.“ „Stimmt …“ „Und jetzt …“ „sind wir mehr eins denn je.“ Ich höre Papier rascheln, wie es zusammengeklaubt und geordnet wird. Die Matratze gibt dem Gewicht auf ihr sofort nach, als Hikaru sich auf ihr aufrichtet und sie verlässt, um das Papier in einer Schublade zu verstauen. „Was ist mit ihr – Yoshiko heißt sie, oder? Muss ich dieselben Ängste haben wie du?“ „Nein, sie ist eigentlich nur diejenige, die mich davon abhalten sollte, mit dir reden zu müssen und gleichzeitig den Mut geben sollte, dieses Gespräch überhaupt führen zu können.“ „Wie gemein von dir.“ „Doch jetzt, da sie hier ist und alles anders lief als geplant, gerade weil wir so anders geworden sind, will ich, dass sie uns- … meine Freundin wird.“ „Nein. ‚Unsere’ ist richtig. Dass sie unsere Freundin wird. Soll sie lernen, was es heißt, Zwillinge als Freunde zu haben.“ Als er das sagt, klingt er weder gemein noch schadenfroh, er lächelt sanftmütig dabei und sieht mir in die Augen, die ich öffnete, als ich seinen Blick auf mir spürte. Ich richte mich auf, gehe auf ihn zu, bleibe vor ihm stehen. Immer noch … ich fühle mich so schlecht. Ich sagte doch, ich würde nichts bereuen, keine einzige meiner Entscheidungen und schon gar nicht die, von ihm gegangen zu sein, ihn alleine gelassen zu haben, doch auf einmal … jetzt ist alles anders. Haruhi … hatte ihn nie interessiert … nicht auf dieser Ebene. Er wollte nicht mehr als eine gute Freundin in ihr, einen anderen guten Freund außer mir, jemanden, der unser kleines Spiel „Wer ist Hikaru?“ sofort gewann und nicht unsere Namen trug. Es ist so verständlich, so offensichtlich … und ich bin blind daran vorbeigelaufen. Fast so, als wollte ich einen Grund, ihn verlassen zu können, mich mit ihm zu streiten, irgendwie sauer auf ihn zu sein. Ich hatte mir so viele Fragen gestellt und so viele von ihnen blieben unbeantwortet, weil mir die offensichtlichste Antwort nicht einfiel. Ich war so gottverdammt eifersüchtig … grundlos … „Hikaru … es – es tut mir leid …“ „Das sollte es auch.“ „Was?“ Seine Hände greifen nach meinen Schultern, halten mich fest - es tut fast weh - schütteln mich etwas; sein Blick aus Augen, die feucht schimmern, ist verzweifelt. „Weißt du eigentlich, was du mir für Angst eingejagt hast? Es war so grauenhaft, alleine zu schlafen, niemanden mehr zu haben, der mich versteht! Ich wäre beinahe aus dem Club ausgestiegen, wieder so geworden wie in der Mittelschule, wenn Tamaki nicht alles versucht hätte, dich in der Welt zu suchen, obwohl ich ihm sagte, ich brauche seine Hilfe nicht. Ich hab mich selbst mehrmals mit Haruhi gestritten und zwar verdammt laut, weil ich die Einsamkeit nicht ertragen konnte!“ … „Bitte, Kaoru – tu mir das nie wieder an!“ „Wem gehört der Ring?“ „Wem gehört …“ Langsam greife ich mit meiner Hand zu seinem Hals, berühre dabei seine weiche Haut, als ich den Ring an seiner Kette in die Hand nehme, ihn betrachte. „Mutter ließ zwei solcher Ringe anfertigen. Sie sollten für uns sein … das ist hier ist deiner … mein Name ist darin eingraviert …“ „Und in meinem …“ „… steht mein Name, ja … ich hab ihn in unserer Schmuckschatulle aufbewahrt … “ Ich lasse die Kette los, blicke wieder in seine Augen. Tränen laufen über seine Wangen. „Es tut mir wirklich leid, Hikaru. Ich werde dir das nie wieder antun – versprochen!“ Vorsichtig umarme ich ihn … als wäre ich mir nicht sicher, dass das, was ich tue, wirklich das richtige ist, doch als ich spüre, wie sein Griff um mich herum stärker wird, er mich näher an sich presst, als könnte er ohne meine Nähe nicht überleben, verschwinden diese absurden Gedanken. Hikaru weint. Ich halte ihn nicht auf. Ich halte seinen Schmerz nicht auf, der sich all die Jahre in ihm angestaut hat. Und je mehr ich seinem Schluchzen lausche, desto mehr könnte ich selbst weinen. Über mich selbst, die größte Dummheit, die ich je beging, als ich ihn alleine ließ. Es tut so weh … Ich verberge mein Gesicht in seinem Haar, weine mit ihm. Oh doch. Ich bereue. Ich bereue die Entscheidung, ihn wirklich verlassen zu haben, meinen grausamen Hirngespinsten erlaubt habe, meinen Kopf zu verlassen. Dabei erfuhr ich doch an jenem Tag, dass sie wirklich nicht wahr waren. Er überzeugte mich doch vom Gegenteil … warum glaubte ich nicht daran? Kapitel 9: Das alte Spiel ------------------------- Über die Hälfte des Tages ist bereits rum, der Nachmittag bricht bereits an, und bisher haben weder ich noch Hikaru unser Zimmer verlassen. Wir hatten gesprochen, geweint und wieder miteinander geredet. Und als wir uns gegen halb Fünf endlich aus unserem Zimmer trauten, hatten wir uns auch noch geduscht und umgezogen. Ich konnte nicht anders als zu grinsen, als wir uns vor unserem Zimmer wieder sahen und wir gänzlich dieselben Klamotten trugen. „Sag mal, Kaoru … wie hast du dir das mit Yoshiko nun eigentlich vorgestellt?“ „Ich weiß es nicht“, antworte ich ihm, während wir zusammen die Treppen des Haupthauses runtergehen um zu dem Raum zu kommen, in dem laut sich eines Dienstmädchens sowohl unsere Eltern als auch meine ehemalige Nachbarin aufhalten soll. Ich weiß es wirklich nicht, hatte auch nie darüber nachgedacht und jetzt, als mein Kopf wieder klar ist, leer gefegt von irgendwelchen Wahnvorstellungen, die mein Denken betrübten, tut es mir leid, sie damit gerade zu überfallen zu haben. Ich hatte ihr nicht einmal die Zeit gegeben, sich von ihren eigenen Freunden zu verabschieden. Warum sie mir wohl zugestimmt hat? „Das wüsste ich auch gerne.“ Habe ich … „Habe ich laut gedacht?“ Hikaru lacht, schüttelt den Kopf. „Ich hab nur an dasselbe gedacht.“ Ich lächele ihn an und ich denke an die Tatsache, wie ähnlich ich ihm doch geworden bin. Noch ähnlicher. Noch mehr wie er. Wir gelangen zu dem Raum, öffnen die Tür jedoch nicht. Fast so, als wäre es ganz normal, lege ich vorsichtig mein Ohr an die Tür; ich erkenne die Stimmen, die ich dort höre. „Sie reden über uns, Hikaru … sie wird schon wieder ausgefragt …“ Ich nehme mein Ohr von der Tür weg, sehe zu ihm. Er schüttelt nur den Kopf. „Du hättest dir wirklich vorher Gedanken darüber machen sollen, was du mit ihr machst.“ „Hättest du das denn getan?“ „Damals? Nein.“ Wir grinsen uns an, öffnen gemeinsam die Tür, nur um danach von drei Augenpaaren groß angestarrt zu werden. „Habt ihr zwei verlernt, dass man anklopft, bevor man eine geschlossene Tür öffnet? Ihr wusstet doch, dass wir mit eurer Freundin etwas besprechen“, werden wir von Mutter angefahren, doch ich sehe ihrem Gesicht an, dass sie ihre Worte nicht ernst meinst. Sie wirkt nicht wütend auf mich … eher fast schon glücklich … „Nein, nein, Frau Hitachiin! Ich kenne Hikaru gar nicht, ich-“ „Können Sie denn sagen, wer Hikaru ist?“, unterbricht Vater Yoshiko und sieht von ihr zu uns, seine Stirn in Falten gelegt, so, als müsste er selbst erst überlegen. Es fühlt sich falsch ein, einfach wieder so zu unserem Alltag, der herrschte, bevor ich ging, zurückzukehren, einfach so zu tun, als wäre nichts gewesen, aber … ich habe auch nicht das Gefühl, dass da noch mehr ist, das es zu bereden gibt. Zumindest nicht mit anderen. Es reicht mir, wenn Hikaru weiß, was ich falsch gemacht habe. Yoshiko ist von seiner Frage überrascht, sagt nichts. „Natürlich. Ich habe immerhin-“ „Das heißt noch lange nichts“, wird sie ein weiteres Mal unterbrochen, dieses Mal jedoch von meinem Bruder und mir. Wir grinsen sie an. Dasselbe Grinsen. Es ist nicht gemein, es soll sie nicht verletzen. Es ist einfach nur ein Spiel, ein altes zugegebener Maßen. Ein Spiel, das wir schon in jungen Jahren zu spielen begannen. Und nun wird sie nur dazu eingeladen. Nichts weiter. Sie spielt einfach nur mit … Irritiert von der Tatsache, dass zwei Stimmen das gleiche zur gleichen Zeit sagten, ohne sich vorher abgesprochen zu haben, blickt sie zu uns und ihre Augen weiten sich noch mehr. Sie blickt zwischen Hikaru und mir hin und her, mustert uns, so als würde sie versuchen, irgendeinen Unterschied auszumachen, ein Merkmal zu finden, das sie sich einprägte, als sie mich in den vergangen Jahren ansah. Ich weiß nicht, an was genau sie dabei denkt, welche Merkmale sie meint, aber ich sehe ihren Augen an, dass sie das Gesuchte nicht findet. Ihre Augenbrauen ziehen sich etwas zusammen, das Zeichen dafür, dass sie angestrengt nachdenkt. Augenblicke später lächelt sie und schüttelt den Kopf. „Nein. Nein, tut mir leid. Ich kann weder sagen, wer Hikaru noch wer Kaoru ist“, sagt sie an unsere Eltern gewandt bevor sie sich wieder uns zuwendet. „Tut mir leid, Kaoru – wer von euch beiden es auch immer sein mag. Da hab ich jahrelang neben dir gewohnt und ich kann dich trotzdem nicht von deinem Bruder unterscheiden.“ Wir lachen leise. „Das macht nichts“, antwortet Hikaru ihr mit einem verständnisvollen Lächeln. „Es war nicht das erste Mal.“ … in einem Spiel, bei dem wir die Regeln erstellten und sie selten ändern. Hikaru antwortete ihr, weil sie dann glauben wird, ich hätte es gesagt. Nein, es ist nicht gemein. Das ist einfach nur er. Er, wie er war und wie ich bin. Es wäre dasselbe, hätte ich es gesagt. „Danke, Kaoru“ Hikarus Lächeln wird für einen Augenblick breiter, ein „Bitte“ ohne Worte, während mein Blick auf unseren Eltern ruht. Sie blicken Hikaru so … sie sehen so glücklich aus, ihren zweiten Sohn wieder im Haus zu haben. Bei sich, wo sie ihn in Sicherheit wissen, und bei seinem Bruder, der unter der Einsamkeit zu zerbrechen gedroht hatte. Wie sie wohl reagieren, wenn sie erfahren, dass sie gerade den Sohn anblicken, der sie nie verlassen hat? „Vater, Mutter – danke, dass ihr Yoshiko bei uns wohnen lasst, aber … was soll sie hier machen? Sie wurde ja regelrecht aus ihrer Heimat entführt. Wir sollten ihr helfen, eine Unterbleibe und einen Job zu finden.“ „Und für dich vermutlich gleich mit, zumindest was ersteres betrifft. Hikaru, wir haben darüber nachgedacht, dass du auch ausziehst.“ „Ist Yoshikos Wohl nicht erst mal über das meine zu stellen?“ „Sie hat uns gerade mitgeteilt, dass sie ihren japanischen Namen nicht nur zufällig hat. Ihre Familie väterlicherseits kommt aus Japan; sie wird sich hier schnell einleben. Es dürfte ihr also keine Probleme bereiten, wenn wir erst an euch denken. Außerdem …“ Ich seufze. Natürlich weiß ich das. Ich habe Yoshiko selbst nach ihrer Herkunft gefragt, ich weiß sogar, wo ihre Familie hier in Japan wohnt, ich weiß die genaue Adresse, aber das ist nicht der Punkt, der mich stört. Ja, es fühlt sich immer noch falsch an, ein bisschen weniger als vorher, aber trotzdem … ich habe es ihm versprochen. Ich meine nicht das Versprechen, dass ich ihm vor wenigen Stunden gab. Ich glaube, es würde ihm nicht viel ausmachen, wenn ich einfach nur aus meinem Elternhaus ausziehen würde, mir irgendwo in Japan ein Haus kaufen würde, denn hier ist er innerhalb weniger Stunden bei mir. Zumindest würde es ihn nicht genauso verzweifeln lassen, wie mein Umzug nach Frankreich. Nein, ich meine ein Versprechen, das ich ihm gab, kurz bevor wir in die Schule kamen. Wenn ich mich richtig erinnere, war das am Abend vor unserem ersten Schultag. Wir gaben uns das Versprechen, wenn die Zeit gekommen ist und wir von zu Hause ausziehen, dann ziehen wir zusammen in ein Haus. Mir ist klar, dass ich dieses Versprechen bereits gebrochen habe. Ich bin einfach abgehauen, habe unser Elternhaus verlassen, wenn auch nicht zu der Zeit, zu der ich es wollte. Eigentlich wollten wir ausziehen, wenn wir 25 Jahre alt sind. Unser 25. Geburtstag ist im September. „Außerdem möchte eure Mutter ihre designerischen Fertigkeiten mal an anderen Personengruppen als Kindern ausprobieren.“, vollendet Vater seine kleine Rede. „Du willst Yoshiko als Model benutzen?“ Ich sehe meinen Bruder etwas überrascht an, diese Frage ist ihm geradezu herausgeplatzt, doch ich sage nichts. „Ja“, ist die schlichte Antwort unserer Mutter. Ich lege Hikaru die Hand auf seine Schulter, woraufhin er mich genauso überrascht ansieht wie ich ihn vor wenigen Augenblicken. „Vater – wenn Hikaru ausziehen soll, werde ich ihn begleiten. Ich habe nicht vor, mein Versprechen ein zweites Mal zu brechen.“ „Wa-? Gott – ihr zwei! Ihr seid kaum einen Tag wieder zusammen und schon treibt ihr wieder eure Spielchen! Hikaru! Kaoru! Ihr –“ „Es ist schön, euch wieder zusammen zu sehen“, unterbricht Mutter ihren Ehemann, lächelt uns an. Kapitel 10: Zusammen -------------------- Yoshikos Mund steht weit offen. Sie sieht auf den gedeckten Tisch vor ihr, als hätte sie zum ersten Mal eine solche Mahlzeit gesehen. „Kaoru, du … du hast freiwillig hier drauf verzichtet?“, fragt sie mich überrascht und es wundert mich geradezu, dass sie den Satz ohne großartiges Stottern auf die Reihe bekommen hat. „Weißt du, ein im Nachhinein grundloser Streit mit seinem Zwilling lässt einem schon ziemlich große Opfer bringen. Außerdem schmeckt das Essen von Normalsterblichen auch gut, wenn es mit Liebe gekocht wird.“ Nur widerwillig wendet sie ihre Augen von den Speisen ab und blickt mich ungläubig an; als hätte ich etwas gesagt, das sie nicht glauben kann, dabei waren es fast genau ihre Worte. „Ich weiß, dass ich das gesagt habe, aber damals … damals hatte ich auch noch nie so ein Festessen vor mir gehabt“, widerspricht sie mir, immer noch denselben ungläubigen Ausdruck in ihren Augen. „Das ist kein Festessen“, mischt Hikaru sich ein, schiebt sie mit sanftem Druck zu ihrem Platz an dem runden Tisch, seltsamerweise direkt neben meinem. Vielleicht ging es ihm aber auch nur darum, dass sie direkt neben Mutter sitzt. „Warum fällt es mir schwer, dir … ähm … Ihnen das zu glauben?“ Hikaru lacht, sagt jedoch nichts. Ich stelle mich neben ihn. Yoshiko errötet wegen ihres kleinen Fehlers und bei dem Anblick schließe ich mich Hikarus Lachen an. „Es tut mir leid, aber …irgendwie habe ich das Gefühl, Sie auch zu kennen, nachdem Kaoru so viel von Ihnen erzählt hat und ich Sie jetzt noch nicht einmal von ihrem Bruder unterscheiden kann, obwohl ich euch nicht gleichzeitig kennen lernte“, versucht sie sich zu entschuldigen. Es klingt so seltsam, wenn sie mein Spiegelbild so förmlich anspricht, obwohl sie gerade mit der vertrauten Anrede so unbesorgt klang. Als wäre es normal für sie … so normal, als hätte sie mich angesprochen. „Keine Sorge, das wirst du noch lernen“, versuche ich sie aufzumuntern. „Dann holen wir das am besten nach. Und kennen lernen kann man sich viel leichter, wenn man vertraut miteinander spricht. Das ‚Sie’ stört dabei ein wenig, meinst du nicht auch?“, fragt er sie grinsend und nur wenige Augenblicke später erwidert sie sein Grinsen. „Vielen Dank für ihr Angebot, Frau Hitachiin, aber ich hatte auch meine eigenen Pläne. Ich hatte eigentlich vorgehabt zu studieren, wenn ich in Frankreich festen Fuß gefasst habe.“ „Sie würden mir damit einen riesigen Gefallen tun, Yoshiko, und natürlich würde ich Sie nicht kostenlos für mich arbeiten lassen. Ihr Studium würde durch Ihre Arbeit nicht leiden, ganz im Gegenteil, Sie könnten auf Grund ihrer Bezahlung dieselbe Universität besuchen, auf der Kaoru studieren wird.“ „Soll heißen, sie ist für das gewöhnliche Volk nur schwer bezahlbar?“ „So gut wie, ja. Nachdem die Ouran High bei der Oberschicht so guten Anklang gefunden hat, ist diese Universität auch von den Suos gegründet worden. Eure Studiengebühren würden sogar weit unter den eigentlichen Preis fallen.“ „Für mich auch?“ „Der Sohn der Familie, Tamaki, hat geradezu darauf bestanden.“ „Ich … ich weiß gar nicht, was ich sagen soll …“ „Das heißt, Sie nehmen mein Angebot an? Vielen, vielen Dank, Yoshiko.“ „Gute Nacht, Yoshiko.“ „Gute Nacht, ihr zwei.“ Hikaru und ich liegen schon seit einiger Zeit wach in unserem Bett, schweigen uns an, starren an die Decke. Das Gespräch gerade eben … die Art und Weise, wie Mutter mit ihr gesprochen hat. „Wie eine Geschäftsfrau durch und durch. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sie zu viel Zeit mit Kyoya verbracht hat“, murmele ich vor mich hin, mehr an die Decke gerichtet als an Hikaru, doch er antwortet kurze Zeit später. „Hat sie nicht. Aber du hast Recht. Sie will Yoshiko doch nur als Model, weil sie sie mit weitaus weniger Geld bezahlen kann als ein teures Supermodel, das sie erst noch für sich reservieren muss.“ „Spart erstens Geld und zweitens Zeit.“ „Ja.“ „Aber warum …“ Ich wende meinen Blick von der Decke ab, blicke zu Hikaru herüber, dessen Augen immer noch auf irgendeinen Punkt dort oben im Dunkeln gerichtet sind. „Warum will Mutter Yoshiko auf dieselbe Universität schicken wie dich? Das habe ich mich auch schon gefragt …“ Auch er blickt nun mich an, nachdenklich. „Meinst du, sie hat vor, euch beide zu …“ „Ja“ Ja, ich meine, dass Mutter vorhat, mich und Yoshiko zu verloben; vermutlich hatte sie diese Idee von Vater. Allerdings weiß ich nicht im Geringsten, was ich davon halten soll. Ich bin gerade erst zurück, zurück in die Arme meines großen Bruders und nun hat meine eigene Mutter direkt vor, mich wieder aus ihnen zu entreißen. Ich bin mir sicher, sie und Vater wollten nur deswegen, dass Hikaru auszieht, damit ich Yoshiko näher komme, damit ich sie irgendwann von selbst fragen werde, ob sie meine Frau werden will. Es ist so offensichtlich. Ich wüsste zu gerne, ob sie das Yoshiko schon gesagt haben, wie sie es aufgefasst hat; hat sie sich darüber gefreut? Über die Vorstellung, mit mir verheiratet zu sein? „Was meinst du dazu, Hikaru?“ Ich sehe ihm an, wie er nachdenkt. Wie er alle Möglichkeiten durchgeht, die ihm dazu einfallen. Ob ihm auch nur eine einzige davon nicht gefällt und wenn ja, wie er sie erfolgreich umgehen kann ohne Yoshiko dabei zu vergraulen. „Solange du dich an deine Versprechen hältst, ist es mir egal, ob du sie heiratest oder nicht. Und es ist mir auch egal, ob das nun geschieht, weil Vater es so will, oder weil du sie wirklich liebst.“ Er lächelt, als er das sagt, und richtet sich leicht auf, beugt sich zu mir runter und gibt mir einen Kuss auf die Stirn. „Danke …“, murmele ich. Wenige Augenblicke setze ich mich auf, greife zu dem Verschluss seiner Kette und öffne sie. Ich lasse ein Ende los und der Ring gleitet die feingliedrige Kette entlang hinunter auf meine Hand. Kurz betrachte ich den Ring; das schwache Licht, das durch das Fenster fällt, lässt mich gerade so in den Namen erkennen, der in das Gold eingraviert ist. Eine Hälfte unserer Welt – Kaoru Ich lächle, streife ihn über meinen Ringfinger, berühre das warme Metall kurz mit meinen Lippen. „Du willst gar nicht wissen, was ich mir alles vorgestellt habe, was denjenigen betrifft, der dir diesen Ring gab“, sage ich ihm, während ich die Kette wieder um seinen Hals und mich neben ihn lege, an ihn gekuschelt. Ich will spüren, dass er da ist. In meiner Nähe … „Das nicht unbedingt, aber ich kann’s mir gut vorstellen“, antwortet er lachend und legt seinen Arm um mich. Als wäre nie etwas gewesen … es ist doch richtig. Es geht nicht anders … Kapitel 11: Unbeeinflusst ------------------------- „Ich möchte gerne dasselbe studieren wie Kaoru …“ „ … und wenn sein eigenes Unternehmen keine roten Zahlen meldet …“ „ … möchte sie gerne unter mir arbeiten.“ Yoshikos neusten Entschluss hatte ich gerade erst erfahren und als sei es das Normalste der Welt, habe ich es meinem Bruder sofort erzählt. Sein Blick verfinstert sich ein wenig … berechtigt. Ihr Entschluss bestätigt nur unsere Theorie, laut der ich in meiner ehemaligen Nachbarin meine zukünftige Ehefrau gefunden habe. „Es stört mich nicht im Geringsten, dass vermutlich unsere Eltern den Entschluss gefasst haben, mich zu verheiraten. Yoshiko ist eine vernünftige Person. Aber dass sie mit gezinkten Karten spielen, nervt mich“, murmele ich, den Blick auf die Papiere gerichtet, die auf Hikarus Schoß liegen. Ich entdecke unseren Familiennamen, Vaters Zeichen – eine geschäftliche Angelegenheit. „Vielleicht haben unsere Eltern auch nichts damit zu tun und es ist allein Yoshikos Entscheidung, dieselben Kurse wie du zu belegen. Vielleicht will sie einfach nur bei dir sein, Kaoru.“ „An die Möglichkeit habe ich auch schon gedacht, aber dafür hätte sie doch die Zeit gehabt, als wir noch Nachbarn waren. Jetzt …“ Jetzt musste sie mich doch teilen. Jetzt gehört die eine Hälfte von mir meinem Bruder, während hingegen sie mich damals ganz hätte haben können. „Ja, das wundert mich allerdings auch …“ Wir schweigen uns für einen kurzen Augenblick an, dann unterbricht Hikaru die Stille wieder. „Sag mal, Kaoru … was wirst du tun, wenn sie sich wirklich in dich verliebt hat?“ Ich wende den Blick von den Papieren ab, blicke meinem Bruder ins Gesicht. Ja, was würde ich tun … Ich hatte nicht vor, mich noch einmal von ihm zu trennen; die Erfahrung, die ich bereits gemacht habe, das schlechte Gewissen, das mich immer noch plagt, weil ich einfach nur eifersüchtig war und dazu auch noch grundlos, will ich nicht ein zweites Mal in meinem Lebenslauf auftauchen lassen. Ich habe diesen Fehler bereits einmal gemacht. Ich habe aus ihm gelernt, das reicht vollkommen. Aber was dann? Wird er mich verlassen, wenn ich mich ganz plötzlich Yoshiko zuwende? Nein, „plötzlich“ ist es ganz sicher nicht … immerhin reden wir gerade darüber. Was wäre, wenn Yoshiko sich wirklich in mich verliebt und ich mich irgendwann in sie verliebe. Ich weiß nicht einmal, ob ich das überhaupt will. Bisher hatte ich mir in keinerlei Gedanken darüber gemacht, ob wir in irgendeiner Weise zusammen passen, geschweige darüber, ob sie überhaupt der Typ Frau ist, der mein Herz erobern kann. Eigentlich hatte ich die Beziehung zu ihr immer nur freundschaftlich gesehen, nie anders. Und dann auf einmal … Allein daran zu denken, mich auf einmal in sie zu verlieben, fühlte sich seltsam an … aber seltsamerweise nicht unbedingt falsch. Falsch wäre es nur, wenn Hikaru sie nicht mag oder sie nicht kennt. Aber dem ist nicht so. „Solange das nicht auf Gegenseitigkeit beruht, werde ich bestmöglich versuchen, ihr nicht das Herz zu brechen …“ Hikaru lacht. „Ja, da hast du Recht. Ist ihre Hoffnung denn berechtigt, dass du dich auch irgendwann in sie verliebst?“ „Das habe ich mich gerade auch schon gefragt und ehrlich gesagt … ich weiß es nicht. Ich hab … noch nie daran gedacht, überhaupt mit irgendjemanden eine Beziehung einzugehen … ich hatte zwar versucht, mich irgendwie von dir zu lösen, aber trotzdem hingen meine Gedanken die ganze Zeit bei dir …“ Er lacht schon wieder. „Du hast es gar nicht versucht.“ „Ähm … darf ich kurz stören?“ Hikaru und ich blicken zur Tür, sehen Yoshiko dort stehen. Ihre Wangen werden von einem zarten Rot geziert. Es sieht fast so aus, als hätte sie unserem Gespräch zugehört. „Was ist?“ Wir stellen ihr diese Frage gleichzeitig und das Rot auf ihren Wangen wird eine Spur dunkler; das Grinsen auf unseren Gesichtern verunsichert sie noch mehr. Sie ist fast schon verboten süß … „Dein Vater wollte dich sprechen, Hikaru“ Mein Grinsen wird zu einem Lächeln. Das Gespräch gerade … nein, damals mag ich es wirklich nicht versucht haben, aber jetzt … wenn ich es jetzt versuchen würde, hätte Yoshiko wirklich gute Chancen. Obwohl sie fast schon drei Wochen Tag für Tag mit Hikaru und mir zusammen ist, fällt mir jetzt erst auf, dass sie wirklich hübsch ist. Hikaru seufzt, blickt mich kurz an, sieht mein Lächeln. Er steht auf, auf seinen Lippen dasselbe Lächeln. „Darf ich … darf ich es noch mal probieren? Euer kleines Spiel?“ „Was?“ Ihre Frage überrascht uns, doch nur wenige Augenblicke später haben wir uns wieder gefasst, nicken ihr zu. Ich bin neugierig, ob der Zeitraum mit uns zusammen groß genug war um zu lernen, uns zu unterscheiden. Ihr Blick hängt nur auf unseren Gesichtern, als wäre dort irgendwas, was ihr die Antwort verraten könnte; zwischen ihren Augenbrauen entsteht eine kleine Falte. Erst gestern fiel mir auf, dass sie die Angewohnheit hat, ihre Brauen zusammenzuziehen, wenn sie versucht, sich zu konzentrieren. „Von mir aus gesehen rechts ist … Kaoru …“ Ihre Stimme klingt hoffnungsvoll und gleichzeitig siegessicher. Hikarus Lächeln wird wieder zu einem Grinsen, er schüttelt den Kopf. „Schon wieder eine, die es kann.“ Und mit diesen Worten geht er. „Hikaru!“ Er bleibt stehen, dreht sich noch mal um. „Du hast Recht gehabt.“ „Ich weiß“, ist seine Antwort, bevor er den Raum verlässt und zu Vater geht. Ich setze mich auf den Stuhl, den er gerade verlassen hat, blicke noch einmal kurz auf die Papiere, an denen er gearbeitet hat. Ihr Aufbau erinnert mich an die Aufgaben, die Vater mir gab, als ich noch in Frankreich lebte. In der Zwischenzeit war ich ziemlich vertraut mit ihnen geworden; Hikaru hingegen schien noch nicht wirklich vertraut mit ihnen. Vermutlich hatte ich die ganze Zeit über seine Aufgaben bewältigt. Ich greife zu seinem Stift und fülle die Papiere weiter aus; dass Yoshiko den Raum noch nicht verlassen hat, merke ich nicht. „Kaoru …“ Ich erschrecke, als sie meinen Namen sagt, blicke auf, und folge ihr mit meinen Augen, bis sie sich auf einem Stuhl direkt neben meinem niederlässt, sich auf dem Tisch mit ihren Ellbogen aufstützt. „Es tut mir wirklich leid! Ich – ich wollte das nicht, wirklich, aber die Tür stand auf und …“ „ … da konntest du nicht anders als unserem Gespräch zuzuhören, richtig?“ Schweigen. „Und? Haben sie dich gefragt?“ Ich sehe sie nicht mehr an, mache weiter an dem, was eigentlich Hikaru tun sollte; irgendwie fehlt mir der Mut, ihr in die Augen zu sehen. Mein Herz rast bei dem Gedanken an, was sie alles sagen könnte. Das Beste wäre, wenn mir meine Fantasie einen Streich spielen würde – sie darf nicht das sagen, an das ich denke. Ich … ich hab doch noch gar keine passende Antwort … ich will ihr nicht wehtun … „Nein, haben sie nicht. Hikaru hat Recht, mit dem was er gesagt hat …“ „Seit wann?“ „Was?“ „Seit wann fühlst du …“ Erneut Schweigen. Ich hatte doch gesagt, ich wolle ihr Herz nicht brechen. Seufzend lege ich den Stift weg. Ich würde ihr Herz in Windeseile brechen, wenn ich sie nicht beachte, einfach weiter schreibe. Mal sehen, wie viel eines guten Hosts noch in mir steckt … Ich sehe sie an, streiche mit meinen Fingern über ihre Wange. „Tut mir leid, Yoshiko. Ich wollte dich nicht so anfahren.“ Ein sanftes Lächeln und auch ihre Augen strahlen wieder. Es scheint, als wäre noch eine ganze Menge des Hosts vorhanden … „Ich … ich weiß es nicht … mir ist erst bewusst geworden, dass ich … dass ich mehr für dich empfinde, als ich dich zusammen mit deinem Bruder sah. Ihr zwei seid euch so ähnlich. Als ich euch am ersten Tag hier sah, konnte ich euch nicht einmal unterscheiden. Und dann sah ich euch öfter zusammen, hörte, wie ihr miteinander sprecht, wie ihr euch ansieht … und auf einmal fielen mir so viele Unterschiede zwischen euch auf. Merkmale von dir, die ich mir in Frankreich gemerkt habe und plötzlich wieder fand. Um ehrlich zu sein kann ich euch nicht unterscheiden. Ich kann nur dich erkennen, Kaoru …“ Ihre kleine Rede findet ein Ende und meine Hand, die gerade noch auf ihrer Wange lag, fällt langsam auf den Tisch. Das Lächeln, das ich gerade nur für sie auf meinen Lippen hatte, verblasst. Meine Augen weiten sich vor Überraschung. Das, was sie sagte, ist so … ich hatte mit vielem gerechnet, aber das … Ja, sie hat mir gestanden, dass die Entscheidung, dieselben Kurse an der Universität zu belegen, ihre eigene war. Sie hat mir gestanden, Gefühle für mich zu haben, die nicht freundschaftlich sind. Und sie sagte mir noch so viel mehr. … um ehrlich zu sein kann ich euch nicht unterscheiden. Ich kann nur dich erkennen, Kaoru … Kapitel 12: Unsere Entscheidung ------------------------------- Nacht. Und wieder liegen wir wach nebeneinander. Hikaru und ich. Wir schweigen uns an; das Schweigen zwischen uns war mir noch nie unangenehm, doch heute wirkt es irgendwie fehl am Platz. Ich habe ihm gesagt, was Yoshiko mir anvertraut hat. … um ehrlich zu sein kann ich euch nicht unterscheiden. Ich kann nur dich erkennen, Kaoru … Dieser Satz, der mich so verwirrt. Was macht mich so anders von ihm, wenn wir selbst uns doch ähnlicher fühlen als je zuvor? Enger zusammengeschweißt als je zuvor und dann doch weit genug entfernt, damit jemand wie Yoshiko uns unterscheiden kann. Nein. Mich erkennen kann. Macht das einen Unterschied? „Was um alles in der Welt macht dich so großartig anders, Kaoru?“ „Ich habe keine Ahnung.“ Ich murmele meine Antwort nur, kuschele mich etwas näher an ihn heran. Jetzt, da ich wieder mit ihm zusammen bin, ihn direkt an meiner Seite habe, fühlen sich ihre Worte falsch an. Meine eigenen Gedanken fühlen sich falsch an. Der Gedanke an eine mögliche Beziehung mit ihr. Der Gedanke daran, es vielleicht doch mal zu versuchen. Das nachzuholen, was ich damals nicht tat. Doch jetzt will ich es nicht mehr versuchen. Jetzt will ich einfach nur bei meinem Bruder sein. Ich weiß nicht mehr, was richtig ist. Was ich heute will und morgen verabscheue. Und in der Nacht dazwischen denke ich darüber nach. Hikaru legt wie auch in den Nächten zuvor seinen Arm um mich, drückt mich etwas näher an sich. Ich bin mir sicher, dass er die Decke wütend anstarrt, als wäre sie dafür verantwortlich. Sein ganzer Körper ist angespannt. Augenblicke später jedoch entspannt er sich wieder; seine Gedanken sind geordnet, seine Wut – auf was auch immer – verraucht. Er atmet tief ein, lacht leise. „Ich habe es schon immer gesagt: Frauen sind einfach unberechenbar.“ „Mag sein, aber … sie hat unser Gespräch mit angehört. Und wir haben eine mögliche Hochzeit gesprochen … vermutlich erwartet sie nun von mir einen Antrag …“ Hikaru antwortet darauf nicht, ich spüre, wie er den Kopf schüttelt. Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, sein Atem ist flacher geworden. „Was ist, Hikaru? Du sagtest doch, es würde dich nicht stören.“ „Es stört mich nicht. Es ist nur … sie wird dich dann von einer Seite kennen lernen, die ich nie kennen werde … es ist nur etwas beunruhigend. Brauchst du dir keine Gedanken drüber zu machen …“ „Okay …“ Und obwohl du damit die Sache abtust, mir zu verstehen gibst, ich solle sie ruhen lassen und nicht weiter beachten, denke ich dennoch an sie. Ich schließe die Augen. Hikaru hat Recht. Diese Seite werde ich an ihm auch nie kennen lernen. Die innige Liebe zwischen Brüdern, die wir im Host Club so herausgefordert haben, ist verboten. Dennoch … es reizt mich. Es fällt mir so unglaublich schwer, meinen Bruder irgendjemand anders zu überlassen, wenn ich ihn selbst nicht vollständig kenne. Ich will ihn erst komplett für mich gehabt haben, wenn ich ihn einer anderen überlasse. Ich will, dass er erst einmal richtige Liebe erfahren hat, bevor er … Nein, ich sollte aufhören, in dieser Richtung zu denken. „Hikaru?“ „Ich weiß. Wir nehmen sie mit.“ „Ja.“ Heute genau in einem Monat ist der sechste September, der Tag, an dem wir das Alter erreichen, mit dem wir ausziehen wollen, endlich das Haus unserer Eltern verlassen wollen und auf eigenen Füßen stehen wollen. Das Haus, das wir uns in den letzten Tagen ausgesucht haben, ist ein kleines, eher provisorisch gedacht als für die Ewigkeit. Hikaru hatte die Idee, unser Haus selber zu bauen, nachdem Vaters Plan meine Zukunft betreffend erfolgreich in die Tat umgesetzt wurde. Ich habe ihm zugestimmt. Unser „provisorisches“ Haus hat die richtige Größe für zwei Personen, die etwas mehr Platz benötigen als sie eigentlich brauchen; Yoshiko darin mit unterzubringen dürfte kein Problem sein. Das eigentliche und einzige Problem, das uns quälen könnte, ist die Sache mit Yoshikos Gefühlen. Ich will sie nicht zurückweisen, aber … Hikaru … „Kaoru – hör auf, nachzudenken. Schlaf lieber. Du bist immerhin derjenige von uns beiden, der ihr morgen die Nachricht mitteilen darf. Sie wird dir vermutlich vor Freude um den Hals fallen und dir nebenbei die Luft abschnüren.“ Ich kann sein Grinsen förmlich hören, als er den letzten Teil sagt. Sein Arm um mich verstärkt den Druck für einen Augenblick; wieder spüre ich seine Lippen auf meiner Stirn. Ich seufze. Nein, nicht heute. Morgen ist auch noch eine Nacht, in der ich darüber nachdenken kann, ob ich wirklich das will, was Yoshiko mir mit offenen Armen anbietet. „Du hast Recht …“, murmele ich lächelnd, strecke mich etwas und drücke meinem Bruder einen Kuss auf die Wange. „Ich weiß …“ Hikaru war schon früh am Morgen aufgestanden; als ich vor wenigen Minuten aufwachte, war seine Betthälfte bereits leer, kalt. Es störte mich nicht wirklich, alleine aufzuwachen. Es war nicht das erste Mal in den letzten Tagen, allerdings war mir auch nicht entgangen, dass Vater ihn mit Aufgaben überhäufte, die normalerweise er immer übernahm. Als wollte er frühzeitig in Rente gehen … Ich lache bei dem Gedanken und richte mich langsam auf; Vater hatte sich nie darüber beschwert, dass ihm seine Arbeit zu viel geworden wäre und Hikaru würde sich nicht darüber aufregen, dass er zu viel zu tun hätte. Selbst Arbeit würde er jedes Mal der Langeweile vorziehen. Hauptsache beschäftigt. Langsam stehe ich auf; erst jetzt fällt mir auf, dass Hikaru die Vorhänge nicht geöffnet hat. Das Zimmer ist noch dunkel. Ein schneller Blick zur Uhr. Halb neun. Ich seufze entnervt – es ist Ewigkeiten her, dass ich so spät immer noch im Bett liege. Warum hat Hikaru mich nicht geweckt? Ein leises Klopfen an der Tür. „Ja?“ Ein leises Räuspern verlangt nach meiner Aufmerksamkeit und ich sehe zu Tür. Yoshiko steht dort, in ihren Händen ein Tablett, das sie nur mit einer Hand festhält, während sie die andere Seite des metallenen Tabletts in ihre Seite drückt. Mit ihrer anderen Hand umklammert sie immer noch die Türklinke. Trotz der Dunkelheit erkenne ich, dass ihr Gesicht – mal wieder – rot angehaucht ist. „Guten Morgen“, begrüße ich sie, lächele sie an, wodurch sie an Mut gewonnen zu haben scheint. Sie schließt die Tür hinter sich, kommt auf mich, das Tablett nun mit beiden Händen tragend, stellt es auf meinem Nachttisch ab. Nein … es ist Hikarus Tisch … erst jetzt fällt mir auf, dass ich mich unbewusst auf seine Seite des Betts gerollt habe. Ich kann nicht anders als über diese Geste den Kopf zu schütteln. Nur um dir etwas näher zu sein … Mein Kopf – meine Gefühle – sind das reinste Durcheinander und Hikaru war es, der dafür gesorgt hatte, als er sagte, es würde ihn nicht stören, wenn ich irgendwelche stärkeren Gefühle für Yoshiko empfinden würde. Selbst wenn ich es mir jetzt erlauben würde, diese Gefühle für sie zu haben, ganz unbewusst würde ich mich gleichzeitig stärker an Hikaru binden, um meinen alten Fehler nicht ein zweites Mal zu wiederholen. Es ist einfach unmöglich … „Woher wusstest du, dass ich wach sein würde?“, frage ich sie. Ich beobachte sie dabei, wie sie zu den Fenstern in Hikarus und meinem Zimmer geht und die Vorhänge aufzieht, um Licht hineinzulassen. Die Bäume, die ich in unserem Garten erkennen kann, sind vom Sonnenlicht hell erstrahlt … scheint ein schöner Tag heute zu werden … Mein Blick fällt wieder auf Yoshiko – ihre Klamotten … das außergewöhnliche Design … „Sind das ...“ „Ja. Frau Hitachiin gab sie mir gestern Abend. Sie meinte, das wäre ihr erster Entwurf und ich solle ihn heute tragen. Sie war begeistert, als ich ihr das Outfit vor einer halben Stunde zeigte.“ Yoshiko macht eine elegante Drehung und ihr schwarzes, schulterlanges, gewelltes Haar schimmert im Licht, das durch die Fenster fällt. „Glaub ich gerne“, antworte ich lachend, schwinge die Beine über den Rand des Betts. „Woher wusstest du, dass ich wach bin?“ „Das wusste ich nicht. Ich hab Hikaru vorhin zufällig gesehen, wie er aus der Küche kam und er meinte, ich solle dir doch Frühstück machen. Du würdest so gegen halb neun aufwachen.“ Ungläubig sehe ich sie an – das kann er doch unmöglich … nein, das kann er durchaus gewusst haben. Genau genommen dürfte mich das nicht überraschen. „Also hab ich dir Frühstück gemacht“, spricht sie nach einer kleinen Pause weiter und zeigt auf das Tablett, auf ihm neben Brötchen und Marmelade, die ich als die wieder erkenne, die unsere Großmutter selbst machte, eine weiße Blüte. „Danke“ Ich schenke ihr ein Lächeln und sie sieht ebenfalls lächelnd weg; seit jenem Gespräch von vor drei Tagen ist sie mir gegenüber ganz verschüchtert, so als wäre der Grund, der ihr vorher den Mut gab, mir in die Augen zu sehen, nicht mehr da. Ich nehme die Blüte vom Tablett und stecke sie ihr vorsichtig ins Haar. Ihre grünen Augen strahlen mich gerade zu an wegen dieser kleinen intimen Geste. „Kaoru, ich …“ „Sag nichts – noch nicht. Ich möchte dich vorher noch etwas fragen …“ Als hätte ich nie aufgehört, ein Host zu sein … Kapitel 13: Ob verboten oder nicht ... -------------------------------------- Gedankenverloren starre ich auf irgendeinen Punkt auf dem Blatt vor mir, das ich eigentlich hatte lesen wollen, aber irgendwie … Irgendwie hatte ich irgendeinen Gedanken, den ich irgendwann mal hegte, einfach weitergesponnen und geendet hatte es damit, dass ich nun nichts tuend an Hikarus Schreibtisch in unserem Zimmer sitze und auf dieses Papier sehe. Ich weiß noch nicht einmal, wie ich auf diesen Gedanken gekommen bin – er war einfach da und hatte mein ganzes Denken für sich beansprucht. Ich glaube, es ging um Hikaru. Um seine Reaktion als ich ihm sagte, wie sie auf unseren Vorschlag reagiert hat. Sie. Yoshiko. Geradezu ausgeflippt vor Freude. Ich war froh, dass ich heute Morgen noch auf meinem Bett saß, als sie aufsprang und mir um den Hals fiel – ansonsten hätte ich näher Bekanntschaft mit dem Boden gemacht. Und so landeten wir beide einfach nur auf meinem Bett, während sie halb auf mir lag und … ich glaube, sie weinte. Vor Freude natürlich. Wie sonst hätte ich sie zum Weinen bringen sollen? Ich, der ich doch ein Profi bin, wenn es darum geht, eine Frau zum Lächeln zu bringen. Ein nicht minder guter Profi wie Hikaru. Aber Hikaru ist es nicht, der sie interessiert. Er könnte ihr kaum mehr egal sein, was die Richtung betrifft, in der sie Gefühle für mich hegt. Als sie heute Morgen auf mir lag, habe ich trotz der Schicht Klamotten die Hitze gespürt, die sie ausstrahlte, und ihr Herzrasen gefühlt; ihr schneller Atem an meinem Ohr war nicht zu überhören. Es war mittlerweile selbst für mich verdammt offensichtlich, dass sie in mich verliebt ist. Tatsache. Eine unabänderliche Tatsache. Und genau das war der Punkt, der mich nicht gefällt. Die Art und Weise, wie sie mich ansieht, wenn sie glaubt, ich würde es nicht bemerken. Diese Blicke, die ich nicht merke, Hikaru dafür aber umso mehr. Und ich sehe sie durch seine Augen. Ich sehe und fühle, wie sich seine Augenbrauen zusammen ziehen, wie in seinen Augen eine unglaubliche Wut auf Yoshiko funkelt, obwohl ich mir noch nicht einmal sicher bin, ob er überhaupt weiß, dass er wütend auf sie ist – warum auch immer. Ja, es ging eindeutig um Hikaru. Ich zwinkere und kehre langsam zurück in die Wirklichkeit, zum Teil … vielleicht hat er es doch schon gemerkt … Er hat mich vorhin nicht angesehen als ich ihm sagte, dass Yoshiko mich geradezu überfallen hat, als ich ihr vorschlug, mit Hikaru und mir in ein Haus zu ziehen. Als ich ihr sagte, dass das Haus nicht sehr groß sei, vielleicht etwas größer als mein altes in Frankreich, aber es sei ja auch nur vorübergehend. In ein paar Jahren würden wir in ein anderes, größeres umziehen. Und obwohl das einzige, was ich von ihm erkennen konnte, sein Rücken war, sah ich, dass seine gesamten Muskeln sich anspannten – wieder mal. Er antwortete mit nichts außer einem „Okay“ und seine Stimme klang gepresst, der Wohlwollen für Yoshikos Entscheidung in ihr ziemlich gezwungen. Danach ging er. Sowohl weil er musste als auch weil er nicht mehr konnte. Nicht mehr ruhig bleiben. Ich bin mir sicher, er verließ den Raum, weil er seine Wut – worüber auch immer – nicht an mir auslassen wollte. Ja, worüber ist er wütend? Ich glaube nicht, dass er auf Yoshiko an sich wütend ist. Ist das überhaupt Wut? Oder vielleicht doch eher … … es ist nur … sie wird dich dann von einer Seite kennen lernen, die ich nie kennen werde … … Eifersucht? Ich raufe mir die Haare, vollends zurück in der Wirklichkeit. Das Blatt, auf das ich die ganze Zeit starrte, wird wieder zu dem, was es vorher schon immer gewesen war: Ein Stück Papier, beschrieben von mir vor ein paar Jahren. Die Blätter, die ich mit aus Frankreich nahm – irgendwie hatte ich, nachdem Yoshiko mit dem Tablett wieder das Zimmer verlassen hatte, das Gefühl, ich müsste sie noch mal überfliegen. Allein deswegen kam ich auf den Gedanken, was Hikaru im Moment fühlen könnte, was ihn an Yoshiko stört. Nämlich genau das, was mich vor Jahren an Haruhi störte. Ich hatte dieselben Gefühle, Gedanken und Ängste wie er. Nur unterscheiden sich meine und seine Situation etwas. Die Jahre, die dazwischen liegen. Die Fehler, aus denen wir gelernt haben. Wir werden sie sicherlich nicht wiederholen, doch warum fühlt Hikaru dann das, was uns schon einmal trennte? „Gott, das ist so …“ „Kaoru – alles in Ordnung?“ Bei jedem anderen hätte ich mich aufgerafft und die Frage bejaht, bei meinem Bruder jedoch nützt es eh nichts. Ich schüttele den Kopf. „Was ist?“ „Du bist – das ist. Ist es dir nicht aufgefallen, Hikaru?“ „Was meinst du?“ Ich höre aus seiner Stimme, dass er diese Frage nur aus purer Neugierde stellt. Er weiß genau, was ich meine. Er will es einfach nur aus meinem Mund hören. „Sie stört dich. Oder irgendwas an ihr. Da ist etwas, das dir nicht gefällt …“ „Ich hatte dir doch gesagt, dass du dir nicht den Kopf darüber zerbrechen sollst.“ Also doch das. Ich seufze. Drehe mich um und blicke ihn an, beobachte ihn dabei, wie er die Tür schließt, höre ein weiteres leises Klicken – er hat die Tür abgeschlossen. Danach geht er zu unserem Bett, lässt sich längs drauf fallen, atmet erschöpft hat, massiert sich die Schläfen. Ein unbewusster Blick zur Uhr. Halb vier … früher Nachmittag also erst … und Hikaru ist schon fertig? „ … es ist nur … sie wird dich dann von einer Seite kennen lernen, die ich nie kennen werde …“ „Was?“ „Das waren deine Worte gestern Abend.“ „Das weiß ich. Ich meinte eher – warum wiederholst du sie jetzt?“ Ich stapele das Papier auf dem Schreibtisch, lasse es wieder in der Schublade verschwinden, bevor ich mich zu Hikaru aufs Bett setze, von oben auf ihn hinunter sehe. „Ganz einfach: Du bist eifersüchtig.“ „Was?“ „Du wiederholst dich.“ Erschrocken setzt Hikaru sich auf, seine Augen geweitet als hätte ich ihm sonst was für eine Beleidigung an den Kopf geworfen und er könnte nicht glauben, dass ich das wirklich zu ihm gesagt habe. Er sucht nach Worten, holt mehrmals Luft, aber er bringt keinen vernünftigen Satz zu Stande. Mitten ins Schwarze … „Du benimmst dich seltsam. Ich hatte eigentlich eher den Gedanken, du wärst wütend auf Yoshiko, wenn ich auch nicht weiß, warum. Aber dann fielen mir deine Worte von gestern wieder ein und deine Reaktion, als ich dir sagte, dass Yoshiko mich verdammt stürmisch umarmt hat.“ „Und dann kommst du zu dem Schluss, ich sei eifersüchtig auf sie?“ „Weißt du, damals … hatte ich auch … Angst, dass Haruhi dich wirklich von einer Seite kennen lernen würde, die ich niemals kennen würde … weil du zu viel Zeit mir ihr verbracht hast …“ „Aber du verbringst sehr viel Zeit mit mir als mit ihr – warum sollt ich mir darum-“ „Hikaru!“ Ich unterbreche ihn und seine Augen, gerade noch vor Überraschung und Ungläubigkeit geweitet, blicken mich fast schon beleidigt an. „Was?“ „Du bist eifersüchtig.“ Ich wiederhole es langsam, leise, beinahe flüsternd. Und ich sehe ihn nicht an. Hikaru lacht. Legt seine Hand auf meine Schulter. „Ja, du hast Recht. Ich bin eifersüchtig. Aber ist es denn nicht auch berechtigt?“ „Wie meinst du das?“ „In der Zeit, in der wir zusammen waren, kannten wir immer nur dieselben Leute, hatten immer dieselbe Meinung, immer dasselbe getan und kannten immer die Gedanken und Gefühle des anderen für eine bestimmte Person. Und nun, da wir wieder zusammen sind, möchte ich nicht, dass sich das ändert. Aber mit Yoshiko ändert sich alles. Sie wird eine Person sein, für die wir beide nicht dieselben Gefühle hegen und über die wir nicht dieselbe Meinung haben und die dich ganz anders kennt als mich.“ Er hat Recht. Ich blicke ihn immer noch nicht an. Was jetzt? Diese andere Art und Weise, auf der Yoshiko mich gerne kennen würde … Diese Liebe, die sie von mir haben will, ist sowohl mental als auch körperlich auf einem Niveau, das wir als Geschwister – noch dazu als Zwillinge – nie erreichen dürfen. Aber gerade weil wir Zwillinge sind, ist es vielleicht etwas anderes. Vielleicht … „Du hast keinerlei Grund, eifersüchtig zu sein, Hikaru. Egal, wie Yoshiko mich neu kennen lernen wird oder will, du wirst es noch vor ihr erfahren – das verspreche ich dir.“ Erst jetzt schaue ich wieder in seine grünen Augen, mit den meinen identisch. Er lächelt. Hikaru weiß genau, was ich meine. Kapitel 14: Einzug ------------------ Seit einer geschlagenen Stunde sind wir bereits hier in unserem neuen, wenn auch nur vorübergehenden Zuhause und Yoshiko kann nicht anders, als ständig durch das Haus zu rennen, sich Räume anzusehen, die sie bereits beim Rundgang zuvor schon betreten und aufs genauste untersucht hat. Es nervt mich nicht, zumindest versuche ich, ihr Verhalten mich nicht nerven zu lassen. Und das ist nicht unbedingt Zuckerschlecken. Innerlich seufze ich, wende mich meinem Bruder zu, der gerade durch das Wohnzimmer auf mich zugeht. „Und?“, frage ich ihn, nachdem er sich direkt neben mich gestellt hat, auf seinem Gesicht ein schwaches Lächeln. „Mal abgesehen von dem kleinen Poltergeist, der hier im Haus gefangen zu sein scheint, ist es eigentlich genau das Richtige“, antwortet er, dreht sich dabei um und grinst eine ihn gespielt empört anblickenden Yoshiko an. „Poltergeist also, ja? Und es ist eure eigene Schuld, dass dieser Poltergeist weiter rumspuken wird – es war immerhin euer Vorschlag. Außerdem hättet ihr mich ruhig vorwarnen können. Ihr meintet, das Haus wäre nicht sehr viel größer als deins in Frankreich, Kaoru!“ „Es ist auch nicht viel größer“, widerspreche ich ihr. „Zumindest ist die Quadratmeterzahl fast identisch.“ „Der einzige Unterschied sind die hohen Wände und die Tatsache, dass dieses Haus sich allein auf eine Etage beschränkt“, fügt Hikaru hinzu; sein Grinsen verblasst und er zuckt mit den Schultern. Mein Blick hängt für eine Weile auf seinem Gesicht. Das Licht, das durch die Fenster fällt, wirkt durch den kahlen Raum etwas gräulich, dennoch erkenne ich, dass er blass aussieht. So, als hätte er in den letzten Tagen nicht wirklich viel Schlaf bekommen und seine Mahlzeiten ebenfalls auf ein Minimum reduziert. Was ihn wohl beschäftigt hat? „Also, Jungs – darf der Poltergeist mal fragen, was ihr von dem Haus haltet?“ Yoshikos Frage holt mich aus meinen Gedanken zurück. Ich blinzle, versuche zu ignorieren, dass Hikaru die ganze Zeit über meinen Blick erwidert hat und blicke zu Yoshiko. „Ich teile deine Begeisterung, Yoshiko“ „Der erste von zweien auf meiner Seite“, meint sie, siegessicher grinsend. „Vielen Dank, Kaoru.“ Ich kann nicht anders als zu lachen, als sie diesen Namen ausspricht. Nein, nicht ganz … Ich habe nichts gesagt. „Und wie steht’s mit dir, Hikaru?“, fragt sie nun mich, immer noch das Grinsen im Gesicht, keinesfalls dadurch verunsichert, dass ich auf ihre Antwort hin lachte. Ein erneuter kurzer Blick zu Hikaru, doch er sieht nur ein wenig misstrauisch zu Yoshiko, garantiert zur Hälfte tief in seinen Gedanken versunken. Sie sagte doch, sie würde uns zwar nicht unterscheiden, aber mich dennoch erkennen können. Warum also lag sie trotzdem falsch? „Keine Einwände.“ Ihr Grinsen erreicht nun endlich auch ihre Augen, strahlend kommt sie auf mich und Hikaru zu und legt ihre Arme um unsere Schulter. „Dann würde ich sagen, die Sache ist beschlossen, oder?“ Morgen ist der sechste September – unser 25. Geburtstag. Und mit dem Tag, mit dem unser Versprechen von damals besiegelt wird, beginnt unser erster Tag in diesem neuen Haus. Jetzt ist erst später Nachmittag. Als ich vor fünf Minuten auf die Uhr blickte, war es halb sechs. Wir sind schon in unserem Haus, werden die Nacht hier verbringen, aber trotzdem ist der morgige Tag erst der erste Tag. Außerdem unser erster gemeinsamer Geburtstag seit langem und … Ich seufze. Das Haus ist bereits komplett eingerichtet worden, auch wenn wir drei, die neuen Bewohner, kaum einen Finger gerührt haben. Und nun sitze ich seit mehr als anderthalb Stunden in meinem persönlichen Arbeitszimmer und starre an die Wand. Eine Wand, die mit den ganzen Bildern von Hikaru, die ich während meiner Zeit in Frankreich gesammelt habe, tapeziert ist; ich habe sie noch um einige weitere ergänzt. Um alte Fotografien unseres ehemaligen Host Clubs, auf denen ich auch zu sehen bin, und neuere, die wir machten, als ich wieder zurückkehrte. Und um Bilder von mir und Hikaru zusammen mit Yoshiko – ein neuer Teil unseres Lebens. Ja, unseres. Hikaru ist eifersüchtig, das hat er sich schon lange eingestanden, aber er reagiert nicht so wie ich. Er stürzt sich nur in Arbeit, isst nichts mehr, versucht sich irgendwie abzulenken, doch er würde mich nicht verlassen wie ich es getan habe. Ich glaube, es ist mein Versprechen, das ihn von dieser Antwort abhält. Und während ich diese Bilder von mir, ihm und uns ansehe, dann wird mir immer deutlicher, dass ich das neueste Versprechen, das ich ihm gab, jenes, das ihn davon abhält zu gehen, noch heute einlösen muss. Denn morgen … In den letzten paar Minuten hing mein Blick auf einem Bild von Yoshiko, Hikaru und mir. Sie in unserer Mitte, während wir Brüder je einen Arm um ihre Schultern gelegt haben. Es wirkt irgendwie gestellt … zumindest, was Hikaru und mich betrifft. Ihr Lächeln, ihre sanfte Röte in ihrem Gesicht wirkt echt. Natürlich tut sie das. Immerhin liebt sie mich ja, auch wenn sie sich das bisher kein zweites Mal zu sagen getraut hat. Aber morgen … morgen Abend, wenn wir unser gemeinsames, kleines Abendbrot zu dritt beendet haben werden, wird sich mich bitten, mit in ihr Zimmer zu gehen; sie wird sagen, dass mir liebend gerne noch etwas persönlich geben würde. Seit den anderthalb Stunden – nein, mittlerweile sind es fast zwei Stunden –, die ich hier in meinem neuen Arbeitszimmer sitze und eigentlich auch mit Aufgaben genutzt habe, um die ich Vater gebeten habe, bis mein erstes Semester anfängt, habe ich nichts von den beiden gehört, dabei ist dieses Zimmer direkt neben den beiden Arbeitszimmern der anderen; genau genommen ist es zwischen ihnen. Eigentlich hätte ich zumindest Hikaru hören müssen, wie er das Zimmer betritt, es wieder verlässt, das Fenster öffnet oder schließt, wie er leise vor sich hin murmelt. Doch ich habe nichts dergleichen gehört. Ich stehe auf, gehe zu meinem Fenster. Der Garten um das Haus herum kommt nicht im Entferntesten an den um das Haupthaus der Hitachiins, aber dennoch ist er größer als jeder großzügig angelegter Garten. Dort, auf einer kleinen Bank, nicht einmal zehn Meter von meinem Fenster entfernt, sitzen Hikaru und Yoshiko. Kein Wunder, dass ich sie nicht in ihren Zimmern gehört habe. Langsam und darauf bedacht, keine Geräusche zu machen, öffne ich eine Seite des Fensters, und ziehe ebenso vorsichtig die Gardine davor, damit sie mich nicht sehen können, und stelle mich direkt dahinter. Trotz der Entfernung ist es nicht wirklich schwer, sie zu verstehen; sie machen sich gar keine Mühe, leise zu sein. Sie haben sich wohl noch keine Gedanken um die Beschaffenheit des Hauses gemacht. „Ich weiß, morgen ist euer Geburtstag und ich weiß auch, dass ihr den liebend gerne zusammen verbringen würdet, aber …“ Perfektes Timing … Und genau das Thema, über das ich mir die ganze Zeit den Kopf zerbrochen habe. Ist das jetzt nun einfach Glück oder doch eher Schicksal? „Aber?“ Hikarus Stimme klingt weder angespannt noch auf irgendeiner Weise enttäuscht, fast eher belustigt. Ich bin mir sicher, er hat genau damit gerechnet, dass Yoshiko ihn diese Frage stellen würde; vielleicht hat er sie auch direkt zu diesem Punkt in ihrem Gespräch geführt und sie war nichts ahnend auf sein kleines Wortspiel eingegangen und hatte sich führen lassen. „Ich … ich …“ „Du liebst Kaoru, ich weiß.“ Zu gerne hätte ich ihre Reaktion auf seine Antwort gesehen, zu gerne seinen Gesichtsaudruck als er diese Worte sagte, doch obwohl ich mir sicher bin, dass sie mich nicht sehen könnten, wage ich es nicht, hinter der dem dunklen Stoff des Vorhangs hervorzutreten. „Ja …“ „Und du würdest ihn morgen Abend gerne für dich allein haben, stimmts?“ „Ja …“ „Ich … ich wollte gerne deine Erlaubnis dafür haben. Immerhin wohnen wir ja nun in diesem Haus zusammen und werden das wohl auch noch eine Weile tun – ich wollt dich nicht verärgern.“ „Hättest du nicht. Ich hätte mir meinen Teil gedacht, das reicht schon. Aber danke, dass du fragst. Und natürlich hast du meine Erlaubnis … dafür. Viel Spaß.“ „Danke, Hikaru.“ Ich wende mich vom Fenster ab, schließe es wieder, unbeachtet von der Tatsache, dass die beiden noch dort sitzen und mich hören könnten; ich ziehe den Vorhang wieder auf und ich sehe, wie die beiden erschrocken zu dem Fenster blicken, das ich gerade schloss. Ich wusste es. Es war so klar. Aus den Augenwinkeln bemerke ich, wie Hikaru und Yoshiko aufspringen und sie sich langsam den Fenster nähern, so als würden sie jemand anders als mich in diesem Zimmer erwarten. Ich weiß, sie werden mich über das ausfragen wollen, was ich gehört habe; ich gehe zur Tür, schließe sie ab, setze mich wieder an meinem Schreibtisch und mache dort weiter, wo ich aufgehört habe. Nicht einmal zehn Minuten später blicke ich erneut auf. Jemand klopft, wartet einen Augenblick, versucht dann die Klinke herunterzudrücken und scheitert an der Tatsache, dass sie Tür sich nicht aufdrücken lässt. Die Klinke bleibt eine Weile unten, dann wird sie wieder losgelassen. „Kaoru – bist du da drin?“ Hikaru … „Was ist?“ „Warum schließt du dich ein?“ „Was ist?“ Kurzes Schweigen. „Wir reden heute Abend drüber, ja?“ „Ja.“ Heute Abend, wie gesagt. Kapitel 15: Mehr als nur Worte ------------------------------ Sein Blick ist vorwurfsvoll und seine vor der Brust verschränkten Arme bestätigen das nur, doch ich mach nichts draus, beachte seine Haltung nicht. Außerdem weiß ich auch ohne ihn, dass ihm nicht gefallen hat, was ich heute getan habe, dabei hatte ich ihm schon vor unserem Einzug gesagt, dass mein Arbeitszimmer mein ganz persönlicher Raum ist, in dem ich selbst ihn geschweige denn Yoshiko nur sehr ungern sehen würde. „Hör auf, mich so anzusehen, Hikaru“, sage ich ihm schlussendlich und klinge etwas genervter als eigentlich beabsichtigt. „Du weißt ganz genau, warum ich dich so ansehe“, antwortet er, zieht dabei eine Grimasse. Halb acht … in einer halben Stunde wird das Abendbrot fertig sein. Yoshiko hatte geradezu darum gebettelt, das Kochen in unserem Haushalt übernehmen zu dürfen, auch wenn sie einräumte, sie sei eine blutige Anfängerin. Wir hatten ihr diesen Wunsch gewährt. Und die Tatsache, dass sie nun in der Küche werkelt, gibt Hikaru und mir die halbe Stunde, die wir brauchen um über das zu sprechen, was zwischen uns steht und reduziert Yoshikos Zeit mit mir auf einen kläglichen Rest. Ich bin mir sicher, sie wird froh darüber sein; immerhin weiß sie ja nicht, was ich von ihrem Gespräch mit meinem Bruder mitbekommen habe. „Was hast du alles gehört, Kaoru?“ Die vorwurfsvolle Haltung von ihm verschwindet von einen Moment auf den anderen und auf einmal sitzen wirken seine Augen aufmerksam, nur auf mich gerichtet. „Ich habe nichts gehört, was ich vorher nicht bereits gewusst habe, aber es war ja auch so offensichtlich, was sie begehrt.“ Ich weiß, dass ich seine Frage nicht beantwortet habe und deswegen wundert es mich auch nicht im Geringsten, als er seine Frage noch mal stellt, denselben Ausdruck in seinen Augen. „Ich hab angefangen euch zuzuhören, als ihr auf morgen Abend zu sprechen kamt.“ „Perfektes Timing, Brüderchen.“ „Ganz meine Meinung.“ „Wenn sie es will, Kaoru … und ich bin mir sicher, das wird sie … wirst du ihr geben, was sie verlangt?“ Ich überlege kurz über seine Worte, ihren Klang und über meine Antwort. Eigentlich ist sie klar und um ehrlich zu sein, kennt er sie auch bereits. „Das ist es doch, was einen guten Host ausmacht, oder nicht?“ Ja, schon wieder … ich sehe in seinem Gesicht sein Missfallen darüber, das ich mal wieder mit einer Gegenfrage geantwortet habe, aber um ehrlich zu sein stört es mich reichlich wenig. Ich will nicht direkt auf seine Frage antworten und obwohl er mein Zwilling ist, ist es mir lieber, um den heißen Brei herumzureden. „Ja, das macht einen guten Host aus. Einen guten Lügner und Betrüger. Einen guten Schwindler.“ Seine Worte sind hart und dass ich um ihren Wahrheitsgehalt weiß, macht die Sache nicht wirklich besser oder einfacherer. Yoshiko gegenüber bin ich wirklich nichts anderes als ein Lügner. Ich betrüge sie um Gefühle, die sie nie von mir bekommen wird - ich bezweifle, dass es für sie etwas Schmerzhafteres geben könnte, wüsste sie davon. Ich schwindle ohne Grenzen, damit sie diesen Schmerz nicht ertragen muss. Ich mag sie, ja, ich sorge mich um sie, aber … „Kaoru, du … du liebst sie nicht. Kein bisschen.“ „Doch, vielleicht … aber ich liebe sie nur wie eine lang verschollene und erst vor kurzem wieder gefundene Schwester. Du denkst über sie genau so.“ „Ja.“ Danach schweigen wir. Es ist alles gesagt, nichts mehr da, was noch im Raum steht. Die halbe Stunde ist so gut wie vorbei. Kur vor acht … Ein leises Klopfen an der Tür. „Jungs – kommt ihr?“ „Wir reden nachher weiter, nach dem Essen.“ Neun Uhr. Ein müdes „Gute Nacht“ über die Schulter, halte die Tür für meinen Bruder auf und schließe sie direkt hinter ihm. Leise dreht sich der Schlüssel im Schloss. Ich nehme ihn und lege ihn auf Hikarus Schreibtisch; ich werfe ihm einen kurzen Blick zu, sehe, wie er sich seiner Klamotten erledigt. „Hast du noch mal mit ihr gesprochen, Hikaru? Eigentlich hätte sie doch total verschüchtern sein müssen – sie wusste ja nicht, wie viel ich gehört habe …“ „Habe ich, ja. Ich hab ihr gesagt, du hättest nichts gehört, was ihr peinlich sein müsste und du hättest nur das Fenster zu gemacht, gerade weil du uns nicht hören wolltest.“ Während er spricht, tue ich es ihm gleich, ziehe mich bis auf meine Boxershorts aus, setze mich neben ihn aufs Bett. Schweigen. „Du musst dein Versprechen heute einhalten, denn morgen …“ „Denn morgen ist es zu spät, ich weiß … ich werde mein Versprechen weder brechen noch werde ich davonlaufen.“ „Obwohl du ja mittlerweile gut geübt darin bist, oder?“ Sein Grinsen ist schwächlich, sein Blick ruht nur kurz auf mir, dann sieht er wieder weg und sein Grinsen verblasst. Es ist nicht schwer für uns, über die Zeit zu reden, in der ich den größten Fehler beging, den ich je hätte machen können, die paar Monate, die seit dem verstrichen waren, hatten uns sogar geholfen, über sie lachen zu können, doch jetzt war sein kleiner Witz unangebracht. Er entschuldigt sich nicht, braucht er nicht. „Stimmt … ich werde nicht weglaufen … dieses Versprechen werde ich auf jeden Fall halten … immerhin ist sein Grund für mich genauso wichtig …“ Ich erinnere mich noch gut daran, wie er damals im Host Club immer derjenige gewesen ist, der mich beschützen sollte und wollte, der mich anmachte, während ich der kleine unschuldige Bruder war, der sich mit Tränen in den Augen an seinen älteren Zwilling klammerte und dessen Schutz suchte. Nun, das war damals. Der Gedanke bleibt noch für einen weiteren Augenblick in meinem Kopf und bringt mich zum Lächeln, dann verschwindet er. Das Lächeln bleibt, während ich eine Hand auf seine linke Schulter lege, ihn sanft runterdrücke, damit er mit dem Rücken auf dem kalten Laken liegt. Es dauert nicht lang und sein Körper ist überzogen von einer Gänsehaut, auf seinen Lippen jedoch exakt dasselbe Lächeln wie auf dem meinen. „Ich würde mich auch sehr wundern, wenn nicht …“ Seine Stimme ist nicht mehr als ein Flüstern und sie wird immer noch leiser, als ich mich zu ihm hinunterbeuge, mit meiner Hand über seinen Hals streiche. Meine Lippen berühren die seinen, so sanft, so zart, und … „Einen wunderschönen guten Morgen und Happy Birthday, Brüderchen“ Zögernd öffne ich meine Augen, blicke in die seinen, die mich so unglaublich glücklich anstrahlen. Auf seinem Gesicht dasselbe Lächeln wie gestern. „Wünsch ich dir auch, Hikaru …“, murmele ich und setze mich auf, ohne den Blickkontakt zu unterbrechen. „Danke“, antwortet er und noch immer schimmert in seinen Augen dieses Glück. Unsere Gesichter entfernen sich von einander, als es an der Tür klopft, Yoshikos Stimme erklingt, ein leises Rufen: „Seid ihr wach?“ „Ja …“, antwortet Hikaru und klingt so, als wäre er gerade erst wach geworden. „Kommt ihr bitte runter? Das Frühstück ist fertig.“ Fast wie automatisch schaue ich zur Uhr. Halb zehn. Blicke dann wieder zu ihm, meinem Bruder. Ein letzter zarter Kuss, der länger andauert als ich es wollte, dann stehe ich auf. „Kaoru“ „Mh?“ „Sagst du mir dann, ob sie …“ Ich gehe wieder zu ihm zurück, küsse ihn erneut. „Wie könnte sie besser sein als du?“ Kapitel 16: Ein neues Spiel --------------------------- Nacht. Mal wieder. Ich liege wach im Bett, starre an die Decke. Es ist kurz nach Mitternacht, unser Geburtstag offiziell vorbei. Wie immer. Zumindest fast. Ich liege nicht in unserem Bett. Starre nicht an unsere Decke. Und in meinen Armen liegt auch nicht er. Sondern sie. Yoshiko. Nackt. Ihre Blöße von einer Decke verborgen. Auf ihrem Gesicht noch eine zarte Röte, ihre Augen geschlossen. Sie schläft, glücklich lächelnd. Kein Wunder. Ich hatte ihr immerhin das gegeben, wonach sie vermutlich schon seit Jahren innerlich schrie und sie gleichzeitig aufs härteste belogen und betrogen; das schlimmste dabei ist jedoch, dass sie es nie erfahren wird. Ich bleibe noch eine Weile wach liegen, lausche, wie sie atmet. Eine Stunde, zwei Stunden … Zwei Uhr. In einer Stunde wird Hikaru aufstehen … ich seufze. Ich kann nicht länger neben ihr liegen und so tun, als täte ich es gerne. Vorsichtig löse ich sie aus meinen Armen, stehe auf und ziehe einen Teil meiner Klamotten wieder an, die auf dem Boden verteilt sind, hebe den anderen Teil auf und gehe in mein Zimmer, zu Hikaru. Als ich die Tür leise öffne und das dunkle Zimmer betrete, höre ich nichts außer seinen gleichmäßigen Atemzügen. Nur schwach erkenne ich seine Silhouette auf unserem Bett, dennoch ist es ein wenig heller in dem Zimmer als es sein sollte. Mein Blick fällt zu den Vorhängen, die genauso wie ich sie gestern Morgen aufgezogen hatte neben dem Fenster hängen. Leise schließe ich die Tür hinter mir, obwohl ich mir mit jedem Augenblick, der verstreicht, sicherer werde, dass Hikaru wach ist. „Hast du überhaupt geschlafen?“, frage ich in die Dunkelheit hinein, während ich direkt auf unseren Schrank zugehe ohne das Licht anzuschalten, dort neue Klamotten für mich hinaushole und geduldig auf eine Antwort von ihm warte. „Nein …“ „Warum nicht?“ „Wie hätte ich denn schlafen sollen? Die Wände sind dünn und … Yoshiko war nicht gerade leise …“ Seine Stimme ist leise, nicht, weil er es bereut, dass er mich zu ihr gehen ließ, sondern weil er wirklich so klingt, als hätte er stundenlang gekämpft, um einschlafen zu können. „Und was ist mit den letzten zwei Stunden?“, frage ich weiter, angestrengt in den Schrank starrend, bevor ich erneut hineingreife. „Da konnte ich einfach nicht schlafen … du doch genauso wenig …“, antwortet er. Ich höre, wie er sich aufsetzt und spüre seinen Blick geradezu auf mir. Die Schranktür fällt leise zu, übertönt nur kurz seine Schritte. Ich erwidere nicht seinen Blick, erwidere nicht den flüchtigen Kuss, den er auf meinen Mund drückt, flüstere nicht seinen Namen, als ich seine Lippen auf meinem Hals spüre. Er lacht leise, spöttisch. „Du riechst nach ihr …“ Hikaru bewegt sich kein Stückchen von mir weg, während er diesen einen kleinen Satz haucht; er ist mir noch so nahe, dass ich die Bewegung seines Mundes spüren kann. Sein heißer Atem jagt mir kalte Schauer über den Rücken. Er sagte mir, es sei nicht schlimm, ich hätte seine Erlaubnis und trotzdem fühle ich mich schlecht. Trotz meines Versprechens, das ich einhielt. Ich fühle mich nicht mehr wie er … „Du brauchst kein schlechtes Gewissen zu haben, Kaoru. Irgendwann werde ich dasselbe tun müssen wie du … es ändert nichts an unserem Versprechen …“ Seine Stimme beruhigt mich ein wenig. Ich streiche mit einer Hand über seine Wange, lächele ihm in der Dunkelheit zu. „Es macht keinen Unterschied zwischen uns … wir haben es vorher getan …“, stimme ich ihm zu, flüstere nur, erwidere dieses Mal seinen Kuss auf meine Lippen. „Kaoru – da bist du ja!“ Seit Hikarus und meinem 25. Geburtstag sind bereits mehrere Monate vergangen. Vater hatte seit dem Hikarus Position als Nachfolger seines Unternehmen weiter gefestigt, es passierte immer seltener, dass wir beide unsere Zeit gemeinsam verbringen konnten und seit dem ich mit meinem Studium begonnen hatte, blieb uns nur noch die Nacht. Ich weiß, dass er, nachdem ich bereits lange im Bett liege, sich ebenfalls zu mir kuschelt, ich spüre seine Wärme, die mir vertrauter hätte nicht sein können, aber gesehen habe ich ihn in der Nacht bisher nur sehr selten. Und als ob es nicht schon reichen würde, dass unser Vater und mein Studium unsere gemeinsame Zeit auf ein Minimum reduzieren, verlangt Yoshiko nun auch immer öfter nach meiner Anwesenheit, als würden ihr die Zeit in der Universität und die Stunden danach nicht reichen. Ich rege mich darüber nicht auf, bin deswegen Yoshiko gegenüber noch nie laut geworden, auch wenn ich hin und wieder kurz davor war – ich bin mir sicher, sie wäre mir trotzdem nicht böse. Denn jene Nächte haben sich seit unserem Geburtstag fast regelmäßig wiederholt und es blieb nicht nur bei der Nacht, die bisher der klägliche Rest meiner Zeit mit Hikaru war. Ständig sagt sie mir jene Worte, als würde sie glauben, ich könnte je vergessen, was sie für mich fühlt. „Ich liebe dich, Kaoru …“ Und jedes Mal, wenn sie es sagt, blickt sie mir tief in die Augen, versinkt gerade zu darin. Ich weiß, gleich wird sie es wieder tun. Sie macht es jedes Mal, wenn wir uns – und seien es auch nur wenige Stunden – nicht gesehen haben. Unsere Mutter hatte gestern Abend nach ihr verlangt; sie bräuchte sie als Model für einen neuen Entwurf und deswegen war sie den ganzen Tag nicht zu Hause. Mittlerweile ist es halb fünf … Heute ist Sonntag und es grenzt schon fast an ein Wunder, dass Vater Hikaru heute mit jeglichen Aufgaben in Ruhe ließ. Mir kommt es wie Ewigkeiten vor, dass wir zusammen ferngesehen haben, einfach aneinander gelehnt und irgendwelche Süßigkeiten essend. Ich weiß nicht einmal genau, welches Programm wir eigentlich gucken, zu sehr bin ich berauscht von seinem Geruch, zu gierig nach seiner Wärme, zu trunken von seiner Nähe. Selbst Yoshikos Stimme, die mich in letzter Zeit ständig begleitet und mich jedes Mal aus den schönsten Träumereien reißt, dringt heute nicht zu mir durch. Meine Haut scheint an der Stelle zu brennen, an der sie Hikaru berührt. Mein Herz rast … „Was ist?“ Hikaru antwortet ihr statt meiner und erst der Klang dieser wohl vertrauten Stimme, der mir immer öfter verwehrt geblieben war, reißt mich aus meiner Traumwelt. Ich blinzele. Merke, er spricht nicht mit mir. Sondern mit ihr … „Wie wär’s mit einer etwas freundlicheren Begrüßung?“ … und sie merkt es nicht. Yoshiko setzt sich zu uns auf das Sofa, lehnt sich an Hikaru, schließt die Augen und bietet ihm die Lippen zum Kuss. Er nimmt ihre Einladung an und für einen Moment gilt meine gesamte Aufmerksamkeit ihnen beiden, dem Anblick eines Kusses, der eigentlich mir gilt. Dann sehe ich wieder zum Fernseher, breit grinsend. „Entschuldige, Yoshiko“, murmelt er, schaut ihr in die Augen, bevor er sich wieder runterbeugt und ihren Hals liebkost. Ihr Blick fällt auf mich, sie bemerkt mein Grinsen. „Eifersüchtig, Hikaru?“ „Nein, sollte ich?“, antworte ich ehrlich, schüttele den Kopf, als würde ich so meine Frage selbst beantworten und interessiere mich nicht mehr für das, was Hikaru mit Yoshiko macht. Solange ich seine Hand auf der meinen spüre, muss ich mir keine Sorgen machen. „Nein … du dürfest doch keine Probleme haben, selbst eine Freundin zu finden, oder?“ „Danke“, höre ich Hikaru flüstern, bin mir sicher, er grinst gerade. Ich verneine ihre Frage, grinse. Ich bin nicht eifersüchtig – weswegen auch? Ich habe keinen Grund. Hikaru und ich haben immer dasselbe Essen probiert und immer mit demselben Spielzeug gespielt. Damals … war Haruhi unser Spielzeug, nun ist es Yoshiko. „Ach ja, Hikaru …“ Mein Bruder unterbricht sich, hört auf, Yoshikos Hals zu verwöhnen und sieht zu mir. Yoshiko nutzt die Gelegenheit um ihr Gesicht an seiner Brust zu verbergen, dennoch entgeht mir nicht, wie rot sie geworden ist. Genauso reagiert sie auch auf meine Liebkosungen … „Ja, Kaoru?“ Das, was wir tun, erinnert mich an unser altes Spiel, an die Frage, die wir den Kundinnen des Host Clubs stellten und die nur Haruhi zu beantworten mochte. Nur jetzt, bei diesem neuen Spiel, bleibt diese eine entscheidende Frage unausgesprochen. Die, mit denen wir spielen, müssen selbst herausfinden, dass wir spielen. Und vor allen Dingen was wir spielen. Yoshiko hat diese Runde verloren. „Vater hat vorhin angerufen. Er sagte, da ich ja schon zu gut wie mit Yoshiko verheiratet sei und sie den Anforderungen der Familie entspräche, müsste für dich nun auch gesorgt werden. Die Glückliche ist eine entfernte Verwandte von Kyoya und deine zukünftige Ehefrau und Mutter deiner Kinder.“ Für einen weiteren Augenblick lang sehen wir uns an, unsere Blicke wissend. Dieser Moment voller Schweigen reicht aus, um alles zu sagen. „Endlich – eine weitere Frau in diesem Haus“, durchbricht Yoshiko unser Schweigen, atmet erleichtert aus und lacht etwas unsicher. Auch ich grinse. Ebenso wie er. Auch sie wird nur betrogen und belogen werden, das weiß ich. Eben so, wie es sich für einen guten Host gehört. Kapitel 17: Hände in Unschuld ----------------------------- Es ist Nacht, doch weder Hikaru noch ich schlafen. Wir liegen nicht einmal im Bett, sondern sitzen im Wohnzimmer. Sitzen nicht einmal auf demselben Sofa, sondern wenige Meter voneinander entfernt, um uns besser ansehen zu können; das war der Grundgedanke, doch wir sehen uns kaum an. Wir haben uns nicht gestritten, gab ja auch nie einen Grund dazu, doch wir hatten etwas zu besprechen, etwas Wichtiges. Und dieses Wichtige trägt die Namen Yoshiko und Ayame, Hikarus zukünftige Ehefrau. Doch unser Gespräch ist seit mehr als einer halben Stunde beendet und in dieser halben Stunde haben wir nichts anderes getan als uns hin und wieder anzusehen, irgendwo unzählige Löcher in die Luft zu starren und dann versuchen, sie doch zu zählen. Schweigend wohlgemerkt. Es ist alles gesagt. Stille im ganzen Haus, nur aus Yoshikos Zimmer dringt leise Musik und Frauengelächter. Ayame hatte die Idee, so schnell wie möglich einzuziehen, obwohl es ihr Vater war, der sie vorschlug, gar nicht gefallen, eine Stunde mit Yoshiko schien ihre Meinung jedoch schnell geändert zu haben. Auf einmal liebt sie den Gedanken, in unserem Haus zu wohnen. In ein paar Wochen werden in diesem bescheidenen kleinen Haus also die beiden zukünftigen Ehepaare Hitachiin wohnen. Eine sonderbare Vorstellung … Das Gelächter verschwindet, die Musik ebenso, Schritte durchtrennen nun das Schweigen. „Ihr seid noch wach?“ Mein Blick, der gerade noch kurz auf Hikaru hing, wandert zu Ayame; ich lächle sie an und antworte: „Wir wollten noch über etwas reden … hat etwas länger gedauert als angenommen.“ Wenige Augenblicke schaue ich noch zu ihr, dann wieder zu Hikaru. Seine linke Augenbraue zuckt kurz, nur um das zu bestätigen, was mir seine Augen bereits gesagt haben. Ihre Entscheidung … wir haben nichts damit zu tun … Ja, da hat er Recht. Wir laden sie zum Spielen ein und es ist ganz allein ihre Sache, ob sie unsere Einladung annehmen oder ablehnen. Aber wenn sie das tun, dann werden sie anfangen, unser Spiel zu hinterfragen. Sie werden herausfinden, was nicht herausgefunden werden darf. Dass wir betrügen und schwindeln. Dass wir sie schamlos belügen. Dass wir nie aufgehört haben, gute Hosts zu sein. „Wisst ihr … jetzt bin ich schon mehrere Monate mit euch zusammen und ich hab immer noch nicht verstanden, wie ihr euch minuten- wenn nicht sogar stundenlang einfach so anstarren könnt.“ Yoshikos Kommentar unterbricht unseren Augenkontakt, stattdessen ruhen unsere Blicke nun auf ihr, ihrem konzentrierten Gesicht, das sie immer hat, wenn sie versucht, uns zu unterscheiden. … um ehrlich zu sein kann ich euch nicht unterscheiden. Ich kann nur dich erkennen, Kaoru … Nicht nur wir sind die guten Lügner, denke ich mir, während ich ihr zusehe, wie sie sich auf den Schoss meines Bruders setzt. Was auch immer ihr damals geholfen hat, mich von ihm zu unterscheiden, offenbar erkennt sie es jetzt nur bei Hikaru, denn immer öfter fiel ihre Wahl auf ihn. Ayame akzeptierte ihre Wahl immer als richtig, weshalb sie dann glücklich lächelnd auf mich zu ging und mir einen zarten Kuss auf die Nasenspitze gab. So auch heute. Sie flüstert mir süße Worte ins Ohr, doch ich höre nur halb hin. Es ist wirklich nur ihre Entscheidung und heute haben sie die Einladung angenommen … Genauso wie immer. Genauso wie es sich für eine gute, liebevolle Ehefrau gehört. Mittlerweile ist der Begriff „Ehe“ genau das, was die Beziehung zwischen mir und Yoshiko und Hikaru und Ayame bezeichnet. Es war eine schöne Zeremonie, wirklich … ich erinnere mich gerne an sie und sehe mir auch gerne auf Video an, nicht minder Hikarus. Es war wirklich schön, Kyoya und die anderen wieder zu sehen. „Kaoru – ist irgendwas?“ Ich höre ihre Stimme nicht und erschrecke deshalb, als ich ihre Finger auf meinen Schultern spüre. Ihre zarten massierenden Bewegungen entlocken meinem Mund ein leises Seufzen; ich höre ihr Lachen. „Du solltest nicht immer so lange arbeiten, wenn du morgen früh raus musst“, murmelt sie, massiert meine Schultern weiter, löst die Verspannung, die mich in den letzten Tagen fast umgebracht hätte. „Aber von mir hängt das Überleben unserer Firma ab – ich kann nicht anders als länger zu arbeiten und früher aufzustehen. Das legt sich mit der Zeit sicherlich.“ „Natürlich, Kaoru. Das weiß ich ja, immerhin arbeite ich ja mit dir … aber ich möchte meinen Ehemann trotzdem hin und wieder in unserem Bett sehen …“ Ayame wird die heutige Nacht sicherlich auch an Hikarus Seite verbringen und er wird, da bin ich mir ziemlich sicher, in Versuchung geraten, nicht meinen Namen in ihr Ohr zu hauchen. Gestern Nacht hängt ihm sicherlich noch gut in Erinnerung. Ich lächele sie an – sie merkt die Herausforderung in meinem Lächeln nicht, erwidert es einfach. Und wenn ich in all der Lust, die ich in ihren Armen empfinden werde, den Drang verspüre, nach ihm, meinen geliebten Bruder, zu rufen? Was dann, mh? „Ja, du hast Recht. In einer halben Stunde bin ich bei dir, Yoshiko.“ Eine halbe Minute lang verwöhnen mich noch ihre wohltuenden Hände auf meinen Schultern, dann küsst sie sanft mein Haar und geht. Fast Mitternacht … Ich höre, wie Yoshiko noch etwas sagt, nach dem Klang ihrer Stimme zufolge spricht sie mit Hikaru, der sich nun wie sie zuvor zu mir gesellt und sich mir gegenüber setzt. „Ich dachte, du wärst bei deiner Frau …“ „Ich war ja auch bei ihr.“ „Und?“ „Nun … ich würde es als ein Problem bezeichnen …“ Sein Blick genervt, seine Brauen zusammengezogen, sein Hand fährt durch seine Haare. Er sagt nicht, welches Problem er meint, aber ich glaube, den Teufel an die Wand gemalt zu haben. Kapitel 18: Wusstet ihr nicht, dass ... --------------------------------------- Sie schreien. Alle beide. Schrill und einfach zu laut. Sie wissen nichts. Haben keine Beweise. Gar nichts. Einfach nur die Erinnerung an einen geflüsterten Namen, den die Hörerin auch falsch verstanden haben könnte. Aber an diese Möglichkeit denken sie gar nicht. Sie lassen uns nicht einmal zu Wort kommen, um ihnen diese Möglichkeit zu unterbreiten. Es interessiert sie nicht. Nicht im Geringsten. Das einzige, das für sie zählt, ist ihr Glaube daran, dass wir sie betrogen haben. Von der Liebe für uns, die sie gestern noch in ihrem Herzen trugen, scheint nicht einmal mehr eine Ruine übrig. Wenn wir es doch nur aufklären könnten … Ich höre ihnen schon lange nicht mehr zu, denke nach. Denke darüber nach, ob ich es überhaupt will. Ihnen eine Wahrheit erzählen will, die wir uns in diesem Moment ausdenken und die vermutlich nur teilweise der Wirklichkeit entspricht – wenn überhaupt. Sie holen Luft, atmen tief durch, lassen sich auf einen Stuhl fallen, verbergen ihr Gesicht hinter ihren Händen, blicken zwischendurch hinter ihnen hervor, schließen die Augen wieder. Ich glaube, sie weinen. Es tut ihnen weh. Genauso wie ich es mir gedachte habe. Sie beruhigen sich wieder etwas, fangen von vorne an. Und wir lassen sie weiter gewähren. „Kaoru … wie lange treibt ihr dieses Spiel schon?“ Yoshikos Sicht ist von ihren Tränen verschleiert, ihren Augen sieht man deutlich die Tränen an und sie kann nicht anders, als jeden dritten Augenblick den Kopf über diese unglaubliche Tat zu schütteln, die sie bisher nur annimmt und keinerlei Beweise für sie hat. Ich öffne den Mund, will ihr antworten, doch sie bringt mich zum Schweigen. „Halt die Klappe, Hikaru! Mit dir hab ich nicht gesprochen!“ Wie ich bereits sagte, nicht nur wir waren und sind diejenigen, die belügen und schwindeln und sich nicht das Geringste dabei denken. Genauso wie wir ihnen wehtaten, was sie aber nicht wissen, sondern nur glauben, taten sie dasselbe mit uns, was sie auch nicht wissen, niemals hätten wissen können, wenn wir es ihnen nicht sagen. Wir müssen es ihnen sagen, damit sie es erfahren und aufhören, uns weh zu tun. Aber würden wir im Gegenzug auch aufhören, ihnen weh zu tun? Es ist doch nur ein Spiel … Yoshiko starrt Hikaru weiter an, Ewigkeiten lang, so glaube ich, aber es passiert nichts. Mein Bruder antwortet nicht, blickt zu Boden, als würde er versuchen, diesen zu überreden, die Antwort für ihn zu geben. „Kaoru!“ Sie schreit meinen Namen geradezu, doch Hikaru schweigt weiter, während ihr Blick immer verzweifelter wird. Ich weiß, gleich wird er mich ansehen, wird hoffen, dass ich mich endlich einmische und ihm helfe, meine Ehefrau beruhige, damit er die Chance bekommt, seine Frau zur Vernunft zu bringen. Wird sie mir glauben? Es ist egal. Es geht mir nur um ihn, nur um Hikaru. Aber das weiß sie nicht. „Weißt du, Yoshiko … du hast mir mal gesagt, du könntest uns nicht voneinander unterscheiden. Du wärst nur dazu in der Lage, mich zu erkennen …“ „Hikaru! Sei endlich still!“ „ … aber du hast gelogen. Genauso wie du uns jetzt vorwirfst, euch zu belügen. Ihr seid es gewesen, die entschieden, wer Hikaru und wer Kaoru ist. Ihr hättet uns nicht geglaubt, wenn wir sagten ‚Ich bin nicht Hikaru.’ oder ‚Ich bin nicht Kaoru.’! Ihr hättet doch nur gedacht, wir würden uns einen Scherz erlauben, einen großen, schlechten Scherz! Ihr hättet uns niemals auch nur ein Wort geglaubt!“ Yoshiko schreit immer noch, Hikaru solle endlich schweigen, nicht glauben wollend, dass er die ganze Zeit über schwieg und nur ihren und meinen Worten lauschte. Ich verstand nicht, warum es für sie so schwer war. Wir waren doch einst so gute Freunde. Freunde. Mehr nicht. Sie war diejenige gewesen, die den ersten Schritt machte. Sie war diejenige gewesen, die von mir den Heiratsantrag bekam, weil sie es wollte. Und sie war diejenige gewesen, die mir vorwarf, Hikaru zu sein. Ihre verweinten Augen blicken zu meinem Bruder, sehen ihnen so unglaublich verzweifelt an, als würden sie erhoffen, dass er ihr das genaue Gegenteil von dem erzählt, was ich ihr offenbarte. Es ist viel. Es ist ungewöhnlich. Es ist nicht das, was sie hören wollte. Das weiß ich. Aber das interessiert mich nicht. Es ist gesagt. Alles. Es ist wirklich alles gesagt. Hikaru erwidert Yoshikos Blick und er schüttelt den Kopf, sagt die Worte, die ich bereits sagte. „Ich bin nicht Kaoru.“ Und einen Augenblick später, als sie realisiert, dass wir nicht lügen, bricht sie zusammen. Ayame an ihrer Seite, stützt sie und versucht die Tränen ihrer Freundin zu trocknen. „Bitte geht …“ Epilog: ... wir nie aufgehört haben? ------------------------------------ „Bleibt ihr … noch im Bett … oder … kommt ihr?“ Ihre Stimme bricht fast, über ihre Wangen laufen noch die Tränen, die sie einen Augenblick zuvor in meinen Armen noch weinte. Sie macht sich nicht mal im Ansatz die Mühe, ihre Tränen zu verbergen. Sie kennt ihr Unrecht nur allzu genau und es ist ihre Sache, damit zu leben. Ich kann nicht mehr als zu versuchen, ihre Tränen zu trocknen – verhindern kann ich sie nicht. Ich kann ihr nicht ausreden, dass sie und Ayame diejenigen waren, die uns Leid zu fügten. Zu großes Leid, das sie nicht verstehen konnten, weil sie nicht wussten, wie es ist, so eng verbunden zu sein. Sie sahen ein, dass Hikarus und meine Verbindung zu eng ist, als dass jemand und schon gar nicht sie beide sie trennen konnten. Es hatte lange gedauert, viele Jahre, bis sie das Unbegreifliche begriffen. Ob wir dankbar sind ... Nein, ich glaube nicht. Sie verwechseln uns immer noch. Unabsichtlich. Und sie wissen es nicht. Sie spielen immer noch mit uns. Wir spielen immer noch mit ihnen. Sie wissen es nicht. Werden nie. Denn wenn wir es ihnen nicht sagen, können sie auch nichts wissen. Das einzige, was sie wissen, ist, dass sie Falsches taten. Und wir nicht. Sie werden nie erfahren, was wir sind, nie aufgehört zu sein. Hikaru blickt auf, sieht zu ihr, lächelt sie liebevoll an. „Wir sind in fünf Minuten da …“ Trotz ihrer Tränen lächelt sie, ist glücklich. Froh darüber, dass wir sie nicht hassen. Doch, was sie nicht wissen, ist … Und wenn wir vier dann des Tages in einem Raum sitzen, gemeinsam fernsehen, dann sitzen wir zusammen auf unserem Sofa, sitzen Hikaru und ich direkt nebeneinander, unsere Hände ineinander verschlungen, Yoshiko und Ayame in unseren Armen. Sie lächeln verständnisvoll, wenn ihre Augen auf unsere Hände fallen, scheinen glücklich, wenn unsere Gesichter sich langsam nähern und liebevoll dem jeweils anderen einen zarten Kuss auf die Lippen drücken. Die beiden Frauen sehen uns zu und trotzdem scheinen sie nicht zu wissen, was wir tun. Ich dachte es mir ja bereits. Wenn wir es ihnen nicht sagen, werden sie auch nichts wissen. Und wenn es zufällig passiert, dass sie uns bei einem der leidenschaftlichen Küsse erwischen, die wir einander schenken um zu überleben, dann schweigen sie, nicht das Unrecht sehend, das wir tun. Nur die eigene falsche Tat vor Augen, die im Vergleich mit all den anderen schwindend klein wirken. Die bittere Wahrheit ist oft erschreckend groß, nicht wahr? Sie halten uns nicht auf, lächeln nur wehmütig, sitzen daneben und sehen nur die falsche Wahrheit, vollkommen vergessend, dass sie im Recht sind. Wie verwirrend … Ein Host versteht sich darauf, seiner Kundin nur das zu sagen, was sie hören will, sie nur mit den Worten glücklich zu machen, die ein dauerhaftes Lächeln auf ihre Lippen zaubert, auch wenn ihre Augen eine andere Geschichte erzählen. Ein Host versteht sich darauf, mit nur einem Blick die Frau an seiner Seite zu verführen, sie ihm gefügig zu machen, ob sie will oder nicht. Ein Host versteht sich darauf, seinen angeblichen Augenstern nur das glauben und wissen zu lassen, von dem er will, dass sie es glaubt und weiß. Und genau das taten wir. Tun wir immer noch. Denn tief in unserem Innersten – und auch, wenn wir langsam beginnen, neben der Liebe für uns selbst auch Liebe für diese beiden Frauen zu entwickeln – haben wir nie aufgehört. Wir haben gelogen, lügen und werden auch immer weiter lügen. Wir schwindelten, schwindeln und werden es als unser Lebenswerk betrachten, es immer zu tun. Wir sagten und sagen ihnen immer wieder, dass es falsch von ihnen war, uns so weh zu tun, uns zu verwechseln, obwohl sie sagten, sie würden uns lieben. Unser Spiel jedoch ist immer noch unentdeckt. Sie hinterfragen es nicht. Wir laden sie ein. Sie nehmen an. Schon lange. Für immer. Sie werden nicht herausfinden, was nicht herausgefunden darf. Und es ist richtig so. Denn tief in unserem Innersten haben wir nie aufgehört, gute Hosts zu sein. Hosted by Animexx e.V. 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