Nadezhdas Entscheidung von warin ================================================================================ Kapitel 1: Ein geheimnisvolles Mädchen -------------------------------------- Nur langsam gewöhnen sich meine Augen an die Helligkeit. "Der Drache!" Im Reflex ziehe ich mein Schwert, mächtig schallt das metallische Schleifen der Klinge an der Scheide von den Höhlenwänden wieder. Adrenalin schießt in meine Adern und lässt mich meinen Schmerz vergessen. Wie ein Gebirge türmt sich das Ungetüm aus grünschillernden Schuppen vor mir auf. Das Drachenweibchen. Es ist tot! Sein Kadaver nimmt fast die Hälfte des Höhlenraumes ein. Über und über ist es mit blutigen Einstichen übersät. Dunkelbraunes Blut hat sich in angetrockneten Rinnsalen einen Weg durch das Schuppengeflecht gesucht und sich in großen Lachen am Höhlenboden angesammelt. Vater, du Teufelskerl, du hast es tatsächlich erledigt! "Vater? NEIN!" Vor dem weit aufklaffenden Hals des Drachenkadavers liegt der regungslose Körper meines Vaters in einer Pfütze aus Drachenblut, das Schwert noch eng umschlungen. Ich stürze auf ihn zu, rüttle ihn, schüttle ihn, schlag mit der Faust auf sein Herz - doch es nutzt nichts. Seine toten Augen starren mich an, als würden sie fragen: Wo warst du? Mir gefriert das Blut in den Adern. Er ist tot, hat sein Leben gegeben, im Kampf gegen unseren mächtigsten Feind. So, wie er es sich immer gewünscht hat. Doch zu früh, viel zu früh, er stand doch noch in der Blüte seiner Jahre. Tränen schießen mir in die Augen. Zu gerne würde ich mich von der Trauer überwältigen lassen. Neben ihm niederknien, ein letztes mal seine Hand halten, Abschied nehmen und ihm danken für alles, was er für mich getan hat. Doch diese Welt erlaubt keine Trauer. Die Sonne steigt höher und höher und schon bald wird sich die Höhle in einen Glutofen verwandeln. Die Salzsäure Lachen werden verdampfen und alles Organische, was sich dann noch an diesem unwirtlichen Ort befindet, zersetzen. Keine Zeit für Trauer. Keine Zeit für eine angemessene Beerdigung. Ich werde mich tief in den Berg zurückziehen müssen, um die Hitze des Tages zu überstehen. Den toten Körper meines Vaters werde ich den Salzsäuredämpfen überlassen müssen. Was für ein schreckliches Ende. Andächtig schließe ich seine Augen und halte für einen Moment inne. "AAH" Ein Stöhnen hallt durch das Gewölbe. Blitzschnell ergreife ich mein Schwert. Das Drachenjunge. Sollte es noch hier sein? Der Kadaver versperrt mir die Sicht auf den hinteren Teil der Höhle. Behände springe ich auf meine Beine und klettere über den gebeugten Hals des Drachenweibchens auf die andere Seite. "Bei den Göttern!" Auf einer Moräne aus Geröll liegt ein Mädchen. Gekrümmt vor Schmerzen, die nackten Arme und Beine vom Körper fortgestreckt, ihr einfaches weißes Kleid getränkt von blutigen Wunden, ihr Gesicht unter einem Schwall braunrot schimmernden Haares verborgen. Ein seltsames Gefühl ergreift mich. Erbarmen? Mitgefühl? Dieses arme, hilflose Mädchen löst einen Beschützerinstinkt in mir aus. Wo mag sie bloß hergekommen sein? Vorsichtig hetze ich über das Geröll, bemüht, die Steine nicht ins Rutschen zu bringen. Das Mädchen wimmert leise vor sich hin. Sanft ergreife ich ihre Schulter und drehe sie auf den Rücken. Sie ist so schwach und zart. Ich knie neben ihr nieder, hebe ihren Kopf mit meiner Hand sanft an und streiche ihr das mittelgescheitelte Haar aus dem Gesicht. Sie hat ein ebenmäßiges Antlitz mit hübschen, schmalen Lippen. An ihren Ohrläppchen baumeln kleine, tropfenförmige Perlen. Ihre Lider zucken. Langsam, ganz langsam öffnet sie die Augen. Bei den Göttern, ihre Pupillen sind klar und ihre Iris ist von tiefer dunkelbrauner Farbe. Wie kann das sein? Nur wir Drachentöter haben klare Augen, nur wir wagen uns ans Licht. Der Rest der Menschheit lebt tief unten in den Höhlen, umgeben von ewiger Dunkelheit. Ihre Augen sind seit Generationen trüb und farblos, angepasst an das Leben im schwachen Licht der Pechfackeln. Doch dieses Mädchen muss in der Helligkeit wandeln. Aber sie ist nicht von unserem Stamm, nein ganz sicher nicht. Verwirrt starrt das Mädchen mich an. Plötzlich funkelt es in ihren Augen, als würde sie mich erkennen. Wie aus heiterem Himmel richtet sie sich auf und beginnt, wild auf mich einzuschlagen. Wie ein Regen prasseln ihre kleinen Fäuste auf meinen Brustpanzer nieder. "Hey, langsam, was soll das, ich habe dir doch nichts getan?!" Doch dieses Aufbäumen scheint all ihre Kraft verbraucht zu haben. Hilflos sinkt sie in meine Arme. Sie ist wieder ohnmächtig geworden. Was war denn das? Und was mache ich jetzt mit ihr? Mein Plan war es, mich heimlich in die Höhlen des Volkes zu schleichen, dessen Drachen wir getötet haben. Dort wollte ich mich verstecken, bis ich in der Kühle der Nacht zu meinem Stamm zurückkehren kann. Doch dieses arme Geschöpf braucht dringend Hilfe. Dafür muss ich sie schnellstmöglich zu diesen Menschen bringen. Aber wir haben ihren Schutzdrachen getötet, im guten Willen, sie zu befreien und mit unserem Stamm zu vereinen. Um dafür nicht auf der Stelle getötet zu werden, bedarf es Diplomatie, sehr viel Fingerspitzengefühls und eines imposanten Auftretens. Nichts davon habe ich, noch nicht. Vater hat diese Verhandlungen geführt und ich habe ihn stets dafür bewundert. Nun ist er tot. Werde ich in seine Fußstapfen treten können? Oft genug beobachtet habe ich ihn ja. Aber lieber würde ich mich wie ein Dieb in der Nacht davonstehlen. Und dieses arme Mädchen seinem Schicksal überlassen? Nein, so feige bin ich nun auch wieder nicht. Fortsetzung folgt... Hosted by Animexx e.V. 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