Vorbeigeschwiegen von Feffi_9389 (Warum hast du nichts gesagt?) ================================================================================ Kapitel 2: Markus Corton ------------------------ Ich bin ein Mensch, der es liebt, wenn er lange reden kann. Ich rede viel und ich rede gerne. Doch mir ist manchmal nicht bewusst, dass ich mit meinem Gerede andere Menschen verletze oder störe. Für mich gehört einfach dieser kitschige und klischeehafte Anfang dazu, man kann noch kurz einige seiner Gefühle loswerden und andere auf das kommende Vorbereiten. Doch ich werde mich dennoch kurz fassen, damit die Geschichte endlich ihren Anfang haben kann. Ja, ich schreibe hier eine Geschichte, doch es ist nicht irgendeine Geschichte. Nein, es ist eine Geschichte über Liebe, die zu Hass wird. Es ist eine Geschichte über Trauer und Einsamkeit. Doch es wird kein Roman, es wird keine Legende, kein Hirngespinst, es wird alles wahr sein. Jedes Wort wird aus meiner Seele sprechen und wie gesagt, es ist nicht irgendeine Geschichte… Es ist meine Geschichte! Um mich einmal vorzustellen, mein Name ist Markus Corton und ich bin Student an einer renommierten Universität und studiere Literaturgeschichte und Ägyptologie. Mein großer Traum ist es, einmal Schriftsteller zu werden. Ich habe diesen Traum schon sehr lange, da ich gerne lese, Recherchen mache und genauso gerne schreibe. Bis jetzt sind meine Werke allerdings nur Kurzgeschichten geworden und ich hoffe, dass ich einmal einen richtigen Roman verfassen kann. Bis jetzt hat mir dazu leider nur die Geduld gefehlt. Eine wichtige Rolle in meinem Leben und in dieser Geschichte gebührt meinem bisweilen besten und engsten Freund, Lukas Abling. Lukas ist ebenfalls Student und er ist, wie ich, im 3. Semester. Allerdings studiert er nicht wie ich Literaturgeschichte, sondern Kunst. Er malt leidenschaftlich gerne und ist wirklich begabt. Früher haben wir oft davon geredet, dass wenn ich einmal ein Buch schreiben werde, er für mich das Cover entwerfen wird und zusätzliche Illustrationen, wenn es nötig wäre. Oh ja, das war unser Traum, es kann allerdings auch sein, dass es nur mein Traum war und ich ihn nur hineingezogen habe, doch es war wirklich eine wunderbare Zeit. Doch das hat sich alles verändert. Am Anfang waren wir unzertrennlich, wir kennen uns schließlich schon seit einer halben Ewigkeit. Und am Ende wurde es sogar mehr als nur Freundschaft, ja, ich habe mich richtig in Lukas verliebt. Damals hatte ich noch eine Freundin, ihr Name war Isabel, doch sie hat mit mir Schluss gemacht. Doch die Art und Weise, wie es passierte, werde ich niemals vergessen. Sie hat mir eine Kopfnuss verpasst und mich anschließend angelächelt, während ich noch immer völlig verwirrt war, stemmte sie lächelnd die Hände in die Hüften und meinte nur, ich solle nicht so blauäugig sein und endlich zu Lukas gehen und ihm meine Liebe gestehen. Ich war natürlich völlig entsetzt, denn dass ein Junge einen anderen Jungen lieben kann oder besser, dass ich mich in einen anderen Jungen verlieben könnte, an das hätte ich niemals gedacht. Für mich war das, wie ein Schlag ins Gesicht, als sie mir die Augen für meine Gefühle öffnete. Dann hat sie mich sanft angesehen und mich noch einmal zum Abschied geküsst. Sie hauchte mir nur noch ein „Wehe du versaust es! Ihr seid für einander bestimmt!“ ins Ohr und ging dann. Es war einfach Wahnsinn! Ich stand sicher noch 10 Minuten an derselben Stelle und wusste nicht, was ich tun sollte. Sollte ich gehen? Sollte ich bleiben? Sollte ich Isabel fragen, ob sie den Verstand verloren hatte? Doch ich habe das getan, was wohl jeder erwartet hatte. Ich ging zu Lukas und habe ihm alles gestanden. Er hat mich damals lächelnd angesehen und geküsst. Ich hatte noch nie zuvor einen Jungen geküsst, doch es war einfach fantastisch und so unbeschreiblich schön. Doch ich weiche irgendwie vom Thema ab, ich will meine Geschichte an dem Tag beginnen, an dem alles zusammenbrach. Dem Tag, an dem Lukas und ich uns zum letzten Mal vom Alltag treiben ließen. Es war ein Freitagmorgen und der Tag begann wie jeder Tag. Ich spürte schon seit langer Zeit, dass mit uns etwas nicht mehr stimmte, doch an diesem Tag war die Stimmung noch gespannter und geladener als sonst. Ich habe längst aufgehört, zu versuchen Lukas zu halten. Ich habe längst aufgehört zu kämpfen. Denn ich habe zu viel versucht und zu lange gehofft, dass auch er etwas tut. Wir sitzen gemeinsam am Frühstückstisch, genauso wie immer. Ich lese meine Zeitung, wie immer und Lukas isst sein Müsli, wie immer. Inzwischen kann ich ihn nicht einmal mehr wirklich ansehen ohne Tränen in meinen Augen zu spüren. Wir haben uns einst so sehr geliebt, wie sehr sehne ich mir doch diese Zeit zurück, in der wir noch glücklich zusammen waren, doch das ist schon lange vorbei und wie es aussieht wird diese Zeit auch nie wieder kommen. Um mich vor Lukas Blicken zu schützen, verstecke ich mich hinter meiner Zeitung, so wie ich es seit Wochen täglich mache. Ich kann ihm einfach nicht ins Gesicht sehen. Ich liebe ihn doch noch immer, doch wir haben uns so sehr von einander wegbewegt und ich weiß gar nicht warum? Ich warte Tag für Tag, dass er einmal aufwacht und sieht, wo wir uns im Moment befinden. Ich warte nur, dass er einmal die Augen öffnet und bemerkt, wie weit wir schon von einander entfernt sind. Früher habe ich noch versucht, Zeichen zu setzen, früher habe ich noch versucht, ihn zu halten. Doch er hat sich ganz in seiner eigenen Welt verkrochen und sieht nicht einmal, wie sehr ich leide. Sieht er es denn wirklich nicht? Versteht er meine Zeichen wirklich nicht? Merkt er nicht, dass ich mich von ihm distanziere? Ich versuche mich von ihm fern zu halten, ich versuche Distanz aufzubauen, damit er vielleicht bemerkt, wie viel ich ihm bedeute und wieder versucht mir ein Stückchen näher zu kommen. Doch er tut nichts, er bewegt sich nicht, sieht mich nicht einmal mehr an. Er ist so festgefahren in seiner Welt, in der noch immer alles heil ist. Wann wird diese bloß endlich zerbrechen? Noch ein letztes Mal beiße ich von meinem Croissant ab und räume meinen Teller schnell in den Geschirrspüler. Es ist schon beinahe ein Ritual bei uns, ich erinnere mich noch deutlich daran, wie Lukas oft mit mir geschimpft hat, als ich am Anfang unseres Zusammenlebens nie mein Geschirr weggeräumt habe. Heute mache ich es automatisch. Ich erinnere mich auch noch den Tag, an dem unser Geschirrspüler kaputt ging und wir gemeinsam am Spülbecken standen und Teller abwuschen. Du hast mich mit Wasser bespritzt und ich habe dir den Schaum in die Haare geschmiert. Am Ende artete das ganze zu einer riesigen Wasserschlacht aus und die ganze Küche stand unter Wasser. Wir waren beide von oben bis unter pitschnass, doch wir waren glücklich. Wir waren zwar völlig fertig, doch wir lachten und haben uns gegenseitig geholfen. Du kannst es zwar im Moment nicht sehen, doch ich schmunzle bei dem Gedanken an unsere gemeinsame Wasserschlacht. Aber ich sage kein Wort. Stumm räume ich noch das letzte Besteckteil in den Geschirrspüler ein und nehme mir meine Zeitung. Ich falte sie schnell und lege sie auf den Stapel zu den anderen Zeitungen, die du dann wieder wegwerfen wirst. Ich denke daran, dass ich früher nie zum Frühstück die Zeitung gelesen habe, ich habe mit dir am Frühstückstisch herumgealbert, doch jetzt brauche ich diese Zeitung. Ich brauche sie, um mich dahinter zu verstecken. Ich kann dir nicht in die Augen sehen, während du meine Zeichen nicht verstehst. Ich dachte anfangs, ignorieren hilft, doch du hast es nicht bemerkt. Dann dachte ich, es hilft, wenn ich dir Zeichen gebe, aber du hast sie nicht verstanden. Ich habe dich angegiftet, doch anstatt zu fragen, was mich bedrückt, anstatt zu fragen, was mir fehlt, giftest du nur zurück. Ist dir noch nicht aufgefallen, wie weh mir das alles tut? Doch du bemerkst es gar nicht. Wie immer sitzt du da und isst dein Müsli. Ich sehe versohlen zu dir, doch du bemerkst es nicht, anscheinend sind deine Gedanken wieder irgendwo anders. Du hast dich so sehr verändert. Du bist gefühlskalt mir gegenüber geworden und zeigst keinerlei Emotionen mehr. Anscheinend hast du uns auch schon aufgegeben. Ich stehe hinter dir, mit dem Blick auf dich gerichtet, doch du merkst es nicht, du zeigst mir nur die kalte Schulter. Schnell ziehe ich mir die Schuhe an und streife mir den Mantel über und jetzt kommt sie, die Frage, die du immer stellst. Wie stets kommt sie in derselben Tonlage. „Wann kommst du wieder?“ Deine Stimme ist emotionslos und ohne Hoffnung, ohne die freudige Erwartung, die du früher immer mitklingen liest. Es ist nur noch zu alltäglich, diese Frage zu stellen, sie kommt überhaupt nicht mehr von Herzen, sie wird nur noch der Höflichkeit halber gestellt. Genauso antworte ich der Höflichkeit halber mit denselben Worten, wie beinahe jeden Tag. „Wie immer, spät, ich muss noch in die Bibliothek. Also dann bye“ Mich erschreckt, wie gefühlskalt selbst meine Stimme klingt. Ich erkenne mich selbst kaum wieder, doch du wirst es sicher nicht merken. Du hast nicht einmal bemerkt, dass ich dich schon lange nicht mehr zum Abschied geküsst habe. Bin ich dir denn wirklich schon so egal geworden? Bin ich für dich nur noch ein lästiges Anhängsel? Ohne mich noch einmal nach dir umzudrehen, gehe ich hinaus. Ich weiß, wenn ich mich jetzt wieder umdrehen würde, würdest du mich nicht ansehen. Ich habe mich zu oft umgedreht und zu oft hast du mich nicht angesehen, zu oft habe ich gewartet, dass du vielleicht doch noch etwas sagst oder den Blick mir zu liebe hebst, doch du hast nichts gesagt, mich nicht einmal angesehen. Ich weiß, wenn ich mich auch diesmal umdrehen würde, würde ich in Tränen ausbrechen. Ich bin es so leid, von dir keine Beachtung mehr zu bekommen. Schnell schließe ich die Türe hinter mir. Nun stehe ich im leeren Flur des Wohngebäudes. Bei dem Gedanken an dich schleichen sich einzelne Tränen über meine Wangen. Ich bin traurig über die verlorene Zeit und wütend wegen deiner Engstirnigkeit. Doch nun höre ich Schritte in der Wohnung, das bist du, Lukas, ich weiß, du wirst nun wie beinahe jeden Morgen den Müll raus bringen und anschließend zur Uni gehen. Ich gehe nun auch besser, ich will nicht, dass du mich so hier siehst, doch schon höre ich das Schloss der Türe, schnell verstecke ich mich hinter dem breiten Pfeiler im Flur und warte bis du an mir vorbeigegangen und außer Sichtweite bist. Nun steige ich die Stufen zum Dachboden nach oben. Hier bin ich oft in den letzten Tagen. Mit diesem Ort verbinde ich so viele Erinnerungen und Emotionen. Ich erinnere mich noch genau an den Tag, an dem wir uns das erste Mal geküsst haben. Damals hast du mich auch hier nach oben geführt, du hast mir immer von den Sternen erzählt und dann hast du sie mir durch dieses Dachlukenfenster gezeigt. Eine kleine Leiter führt vom Dachboden nach oben zu einem kleinen abgeflachten Dachstück, hier hast du uns eine Decke aufgebreitet und wir sind die ganze Nacht hier gelegen und haben die Sterne beobachtet. Damals hattest du so ein Strahlen in den Augen. Nun sitze ich alleine hier und beobachte den bewölkten Himmel. Langsam, fast sogar zäh, rollen sich die Wolken über das Firmament und geben nicht eine einzige Lücke frei. Nicht einmal ein winziges Stückchen des sonst so beruhigenden Blau kann man jetzt sehen. Ich weiß noch, wie ich dir früher immer unter dem blauen Himmel meine Geschichten vorgelesen habe. Damals hast du dich an meine Schulter gelehnt und still meinen Gedichten für dich gelauscht. Doch nun tust du das nicht mehr, du würdigst keine meiner Geschichten mehr, hast sämtliche nicht mehr gelesen. Früher hast du dich um jede kleine Geschichte von mir gerissen, sogar während ich noch daran schrieb, hast du mir über die Schulter gesehen und stumm mitgelesen. Ich habe oft in der Spiegelung meines Laptops beobachtet, wie du deine Lippen zu den Wörtern bewegst. Wie dein Gesicht sich zu jeder Emotion meiner Figuren mitbewegt hat. Du hast richtig mitgefühlt mit meinen Geschichten. Doch nun interessiert dich nicht mehr, was ich tue. In diesem Moment fällt mir ein, dass ich noch etwas in der Wohnung liegen gelassen habe. Ich will mir nur noch schnell eines meiner Lehrbücher holen und werde dann losgehen in die Uni. Du müsstest im Übrigen auch schon längst weg sein, das würde heißen, dass ich einen Moment für mich alleine sein könnte. Rasch steige ich die schmale Leiter hinunter und nehme noch einige Stufen bis zu unserer Wohnung. Langsam schließe ich die schwere Türe auf und trete ein. Ich weiß, dass niemand hier ist, doch irgendetwas beunruhigt mich. Schweren Schrittes stapfe ich in Richtung Wohnzimmer, in dem meine ganzen Bücher gestapelt liegen. Doch da sitzt du! Dein Gesicht ist von Tränen verschmiert und in der Hand hältst du etwas, doch ich kann es nicht genau erkennen, ist es ein Stück Papier oder doch ein Foto? Erschrocken frage ich nur: „Was tust du den noch hier? Solltest du nicht schon längst in der Uni sein?“ Doch was mich noch mehr erschreckt, ist der Tonfall in meiner Stimme, so hart und abstoßend wollte ich gar nicht klingen. Doch anscheinend ist es schon zu spät. Du bist gekränkt über meine barsche Begrüßung und lässt deiner Wut freien Lauf. „Darf ich etwa nicht mehr hier sein?“ Deine Stimme ist voller Schmerz. Doch man sieht dir an, wie wütend du darüber bist. Ich kann nicht anders, mein Gesicht verfinstert sich ebenfalls, doch ich kann nichts tun, als dich anzustarren. Jetzt präsentierst du mir das Foto in deiner Hand, es ist ein altes Foto und ich hatte es schon beinahe vergessen. In deinem Blick ist nichts Trauriges mehr, nein, du spiegelst nur noch Verachtung wieder und wütend schreist du mir entgegen: „Siehst du das? Was siehst du auf diesem Bild? – Und jetzt bitte ich dich, uns beide anzusehen! Sieh was aus uns geworden ist… „ Ich kann nichts tun als zu schweigen, mir fehlen die Worte, doch ich spüre wie sich einzelne Tränen über meine Wangen ergießen wollen. Verzweifelt versuche ich sie zurückzuhalten, doch ich schaffe es nicht mehr. Dich mit diesem Bild in der Hand zu sehen, ist für mich unerträglich. Auf dem Bild waren wir beide noch glücklich, wir waren beide noch verliebt und unbeschwert und nun sind wir so voller Hass. Noch schlimmer zu ertragen ist die Gleichgültigkeit in deinem Blick, als du die erste Träne über meine Wange laufen siehst. Leise sage ich nur: „Anscheinend sind wir nun keine Freunde mehr… ich habe so lange gewartet das du etwas sagst…“ Doch du glaubst mir nicht, du schreist mich nur an: „Du hast mich doch immer nur ignoriert! Warum hast du nicht etwas gesagt?“ Der Schmerz steht uns beiden direkt ins Gesicht geschrieben, nun ist es endlich passiert. Nun ist deine perfekte Welt einfach eingestürzt. Du bist aufgewacht und siehst, was aus uns geworden ist. Doch warum hast du nicht schon früher etwas gesagt? Ich habe so lange gewartet, dass du mich ansprichst, dass du versuchst unsere Beziehung und unsere Freundschaft zu retten. Doch du hast es nicht einmal gemerkt oder etwa doch? Doch im Grunde sind wir beide schuld. Wir haben beide geschwiegen, anstatt etwas zu unternehmen, ich habe gewartet, anstatt selber zu handeln. Wir haben beide das Gleiche gedacht und das Falsche gemacht. Doch ich frage mich immer noch… …warum hast du es nicht bemerkt? Fin Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)