Die Macht Böses zu tun von Azra ================================================================================ Kapitel 1: Freiheit ------------------- Disclaimer: Mir gehört keine der Figuren und ich mache hiermit kein Geld. Paring: Seto/Joey Warnings: Dark, angst, lime, humor Freiheit „Auf einem Berg stehen und ganz weit über das Land blicken können, das ist Freiheit.“ Teas Gesicht hatte einen schwärmerisch verträumten Ausdruck angenommen, als befände sie sich auf eben jenem Berg, anstatt in unserem kleinen, miefigem Klassezimmer, von dem aus man höchstens den betonierten Schulhof sehen konnte. Tristan wischte ihre romantische Vorstellung mit einer harschen Geste aus der Luft. „Blödsinn! Auf dem obersten Rang eines Fußballstadiums zu sitzen und das ganze Spiel überschauen zu können, DAS ist Freiheit. Oder richtig viel Geld.“ Tea runzelte kritisch die Stirn, sah ihn mit abwehrend vor der Brust verschränkten Armen an. „Aha“, ihr Ton war trocken wie Sandpapier, „Geld mal wieder.“ „Natürlich Geld, wer Geld hat, kann alles machen.“ „So ein Quatsch!“ „Frag Kaiba!“ Sie schnaubte verächtlich. „Kaiba ist so ziemlich der unfreiste Mensch, den ich kenne. Andauernd sitzt er vor seinem Computer und ist Sklave seiner Firma.“ „Aber er kann eine Insel in die Luft sprengen, wenn ihm danach ist“, ein triumphierendes Glitzern hatte sich in Tristans dunkle Augen geschlichen. Tea verdrehte die Augen. „Wow“, machte sie lahm, „das ist eine Leistung.“ Ein eiskalter Blick aus zwei nicht minder frostigen Augen traf sie im Nacken. „Ich glaube, das hat er gehört“, murmelte Yugi hinter vorgehaltener Hand. Tea zuckte mit den Schultern. „Und wenn schon.“ Wir Jungen warfen uns einen raschen, fragenden Blick zu, doch keiner hatte eine Antwort. Schließlich sprach Yugi aus, was uns alle beschäftigte. „Ist irgendwas zwischen euch?“ Diese Worte hingen einen Moment lang bedeutungsschwer und hochgradig missverständlich im Raum, bis Tea sie mit einer fahrigen Geste davonwedelte. „Quatsch!“ sagte sie zum zweiten Mal innerhalb von drei Minuten. „Mir gefällt nur nicht, dass er ihn für so etwas Banales wie Geld bewundert. Viel wichtiger ist, was man im Herzen und nicht auf dem Konto hat.“ Tristan hob spöttisch eine Braue. „War das der Tagesspruch in deinem Kalender?“ „Nein“, fauchte sie ihn giftig an, „das stand gestern in einem Glückskeks.“ Ein Prusten ging durch die Reihe. „Aber“, fuhr sie mit erhobener Stimme fort, „es ist auch vollkommen egal, wo es gestanden hat, es stimmt! Joey, sag doch auch mal was dazu!“ Wie immer, wenn mich jemand aus heiterem Himmel auf ein Thema anspricht, das ich lieber großräumig umgangen wäre, schaute ich mich zuerst nach allen Seiten um. Es war zwar noch nicht vorgekommen, aber ich hoffte immer, dass plötzlich ein fremder Junge, der auch auf den Namen Joey hörte, neben mir stand und für mich antworten konnte. Doch auch heute sollte das nicht der Fall sein. Also war wohl meine Person gefragt. „Ich.. was soll ich denn dazu groß sagen?“ Ich versuchte, mich mit einem verlegen spitzbübischen Lächeln aus der Affäre zu winden. Häufig klappte das und eigentlich wollte ich mich in diesen kleinen Disput zwischen Tea und meinem besten Kumpel auch nicht einmischen. Selbst, wenn ich es war, der die Frage erst aufgeworfen hatte. Damit kam nun auch Tea. „Du hast doch damit angefangen! ,Was ist Freiheit?’ Dann wirst du ja auch eine Meinung dazu haben.“ „Eine Meinung?“ wiederholte ich ungläubig, um ein bisschen Zeit zu gewinnen. Teas vorwurfsvoller Blick traf mich und wenn meine Freundin eines wie kein Zweiter kann, dann ist es, dir mit einem einzigen Augenaufschlag das Gefühl zu geben, du hättest soeben einem Kind den Lutscher geklaut, du gemeiner Schuft. Ich seufzte schwer. „Keine Ahnung. Freiheit ist wohl… na, einfach Spaß haben können.“ Wieder schnaubte es verächtlich, doch dieses Mal kam diese abfällige Lautäußerung aus einer ganz anderen Ecke. Kaiba stand auf, ließ seinen Laptop klickend zuschnappen und kam auf dem Weg zur Tür in unsere Richtung. „Spaß“, wiederholte er langsam und mit leicht geblähten Nasenflügeln, als hätte ich etwas Obszönes von mir gegeben, „das sieht einem Köter wie dir ähnlich.“ Inzwischen wusste ich kaum mehr, ob Kaiba den ganzen Ärger wert war, wenn ich mich jedes Mal aufs Neue über seine Beleidigungen aufregte, aber inzwischen war mir der zornige Blick gekoppelt mit einer drohend in die Luft gereckten Faust, die ja doch niemals sein Gesicht erreichen würde, so in Fleisch und Blut übergegangen, dass ich es kaum noch spürte. „Misch dich nicht in anderer Leute Gespräche ein!“ „Gespräch nennst du das? Ist ja nicht zum Aushalten.“ „Verpiss dich einfach.“ “Die Vielfältigkeit deiner Ausdrucksmöglichkeiten ist einfach atemberaubend.“ Irgendetwas hatte ich an mir, dass es Kaiba so unglaublich anmachte, sich jedes Mal wieder mit mir anzulegen. Ich wusste nur nicht was und wie ich es abstellen konnte. ,Ignorieren’ hatte mir Tea einmal geraten, aber so ein Vorschlag konnte auch nur von jemandem kommen, der sich eben nicht tagtäglich Kaibas Anfeindungen ausgesetzt sah. „Fuck off, Kaiba!“ „Oha, man wechselt die Sprache. Nur das Niveau bleibt mies wie immer.“ Ich war schwer versucht, etwas nach ihm zu Werfen und mein edles Vorhaben scheiterte schlichtweg an der einfachen Tatsache, dass ich kein geeignetes Wurfgeschoss bei mir trug. Mister Arrogant trat an uns vorbei, drehte sich in der Tür jedoch noch einmal um. „Soll ich dir sagen, was die größte aller Freiheiten ist, Köter?“ „Nein, ersticke lieber dran“, knurrte ich wütend zurück. Er grinste unecht und eindeutig gemein. „Böses tun zu können, ohne jemals irgendeiner Kreatur Rechenschaft schuldig zu sein, das ist die größte aller Freiheiten. Eure Berge und Stadien sind ein Witz dagegen.“ Auf einmal schien es im Klasseraum um einige Grad kühler zu sein und irgendwie erreichte die Wintersonne uns nicht mehr. Acht Augen waren durchdringend auf Kaiba gerichtet, der selbstzufrieden und scheinbar gelassen seinen Mantel zuknöpfte. Schließlich war ich es, der die beklemmende Stille brach. „Mir machst du keine Angst“, schmetterte ich ihm trotzig entgegen, „scheiß Angeber!“ „Ach nein?“ Er klang ehrlich interessiert. „Niemals.“ „Darauf“, und das Blitzen in seinen Augen war viel zu berechnend, viel zu sardonisch für einen 17-Jährigen, „würde ich an deiner Stelle nicht wetten, Köterchen.“ „Freak“, statuierte Tristan, als der Mistkerl endlich verschwunden war, und seine Stimme klang merkwürdig belegt. „Aufschneider“, fügte Tea hinzu und vermochte ihrer Stimme nicht ganz den befreiten, entrüsteten Ton zu verleihen, den sie angestrebt hatte. Yugi sagte nichts, starrte nur aus großen, besorgten Augen erst mich und dann die Stelle, an der Kaiba eben noch gestanden hatte, an. „Hast du dem irgendwas getan?“ Nur schwer gelang es mir, mich von Yugis unheilschwangerem Blick zu lösen, um mich meinem besten Kumpel zuzuwenden. „Nicht mehr als sonst auch“, antwortete ich und fühlte mich, als hätte man mir in einer Achterbahnfahrt einen Liter Sangria eingeflößt… dass das ein scheußliches Gefühl ist, weiß ich deshalb so gut, weil ich es schon einmal probiert habe. Alles dreht sich und man traut dem eigenen Körper nicht mehr. Von einer Nachahmung kann ich nur abraten, aber wir müssen alle unsere eigenen Erfahrungen machen. „Er hatte wohl einfach einen schlechten Tag. Hey, wo wir gerade bei Freiheit waren, ich weiß noch eine Freiheit, Winterferien!“ Teas Versuch, die eisige Stimme zwischen uns ein wenig aufzulockern, gelang nur bedingt. Aber wenigstens konnte ich mir wieder ein schiefes Grinsen abringen. „Klänge wie ein Traum, wenn ich nicht arbeiten müsste.“ „Marco’s Caféteria?“ fragte Tristan interessiert. „Da gab es diese süße Kellnerin, die…“ „Nein, Toni’s Pizza. Nachtkurier.“ „Klingt zauberhaft“, witzelte er trocken, dann an Tea gewandt: „Bist du da?“ „Ja, aber erst kurz vor Neujahr. Vorher fahren die Freunde vom Tierschutzbund Wieselheim an die Küste.“ Ein neidisches Seufzen entwich mir. „Du Glückliche.“ „Ja“, bestätigte sie ohne die geringste Vorfreude, „sechs Tage mit einem Haufen fanatischer Tierfreunde zusammengepfercht…“ „Hört sich an, als wärst du in bester Gesellschaft.“ Sie schoss einen giftigen Blick auf Tristan ab, bedachte dann Yugi mit einer wesentlich freundlicheren Variante. Es war immer wieder erstaunlich, wie schnell dieses Mädchen ihren Gesichtsausdruck ändern konnte. „Was ist mit dir?“ „Ich bin da. Helfe Großvater im Laden. So vor Weihnachten und Neujahr ist immer viel los.“ „Die ganzen reichen Eltern, die ihre Kids mit neuen Duell Monsters Karten zudecken wollen, hm?“ Er lächelte gutmütig. „Oder die armen Kids, die ihre paar Kröten, die sie zum Fest geschenkt bekommen haben, in solche investieren.“ „Auf jeden Fall wird’s wieder ein umsatzstarkes Jahr für die Kaiba Corp.“, ich verzog angesäuert das Gesicht. War schon eine schreiende Ungerechtigkeit, dass dieser misanthropische Dreckskerl im Geld schwamm, während ich Mühe hatte, meine Miete zusammenzukratzen. Ein Blick in die Runde tröstete mich jedoch. Immerhin hatte ich Freund und Kaiba zwar einen Haufen Arschkriecher, aber keinen, der ihn mehr mochte, wenn er nicht mehr reich und mächtig war- nicht, dass es irgendwelche Anzeichen dafür gäbe, dass dieser glückliche Fall in nächster Zeit eintreten würde. Wir umarmten uns zum Abschied… das hieß, eigentlich umarmte uns nur Tea. Wie immer stellte ich mich ein wenig linkisch an, meine Arme so weit wie möglich um sie zu wickeln, damit ich ihren Brüsten nicht zu nahe kam. Nichts gegen Tea Brüste, die waren ganz in Ordnung, glaubte ich, im Bikini sahen sie zumindest toll aus, aber sie war mein Kumpel… meine Kumpeline und als solche fiel sie aus jedem Beuteschema. Tristan schien damit wenige Probleme zu haben, denn er zog sie resolut an sich und gab sie erst wieder frei, als sie ihren Fuß punktgenau auf seinem großen Zeh platzierte. Zwischen Yugi und ihr entstand wieder dieses peinliche Schweigen, begleitet von einer Menge planlosen Herumgegrinses, bis sie sich schließlich hastig und als hätte man sie dazu genötigt, umarmten und genauso schnell wieder losließen. „Wir sehen uns mal, nicht? Lasst uns telefonieren“, damit schwebte sie regelrecht aus dem Klassenzimmer. Zurück blieb der Jungentrupp. Ich knuffte meinen kleinen Freund in die Seite, lehnte mich über ihn. „Sieee“, ich zog das Wort dramatisch in die Länge, „mag dich!“ „Ach was“, entgegnete Yugi und lief dezent Ampelrot an. Viel hatte ich von dem Beginn meiner Ferien tatsächlich nicht. Um genau zu sein, verbrachte ich ihn auf einem altersschwachen, stinkendem Roller, während ich durch die eisige Nacht brauste, um den wenigen Seelen, die zu dieser Stunde noch wach waren und das dringende Bedürfnis nach einer pappigen Pizza Tono verspürten, ihren Wunsch zu erfüllen. Eigentlich war es gar nicht so schlecht, nachts zu fahren, die Straßen waren leer und ich musste auf keine alten Omas am Fußgängerübergang Rücksicht nehmen. Wenn es nur nicht so verdammt arschkalt gewesen wäre! Eine Hand löste sich vom Lenker und fummelte an meinem löchrigen Schal herum, um ihn wenigstens notdürftig um meinen Hals zu wickeln. Dieses artistische Manöver hätte mich beinah mein Leben gekostet, denn ich raste nur knapp an einem vorstehenden Briefkasten vorbei. Nach dieser Nahtoderfahrung pumpte mein geschocktes Hirn ohnehin so viel Adrenalin durch meinen eingefrorenen Körper, dass ich keine Kälte mehr spürte. Die Lieferung ging an eine vornehme Adresse außerhalb des Stadtkerns. Hoffentlich war das Trinkgeld gut! Leisten konnte man es sich jedenfalls, wenn man hier wohnte, einem armen, durchgefrorenen Pizzajungen ein paar Yen mehr zukommen zu lassen. Aber wie das mit Geld so war, machte es in der Regel nicht großzügiger, wie man hätte annehmen sollen, sondern geizig. Ich hatte Kaiba zum Beispiel noch nie etwas verschenken sehen, dabei könnte er in Hunder-Yen-Scheinen baden, wenn ihm danach wäre. Tea hingegen teilte beinahe jede Pause treuherzig ihr Brot mit mir. Das nannte ich wahre Freundschaft! Kaiba aß ja nicht mal. Mein Roller- also eigentlich war es gar nicht meiner sondern der vom Pizzaservice, aber ich war der Einzige, der sich das schreckliche Ding noch antat, die anderen hatten in der Regel ein Auto- kam schließlich vor einer großen Vorzeigevilla zum Stehen. Wenn man dieses motorisierte Fahrrad zum Halten bringen will, muss man beachten, dass man schon gut zehn Meter vorm Ziel den Schlüssel ziehen muss, damit es ausrollen kann. Bremsen waren nämlich ein Luxus, den sich Toni’s Pizza nicht leisten konnte und wollte. Dazu hätte ich natürlich das Haus erkennen müssen, tat ich aber nicht, das war hier nämlich nicht unbedingt mein Kiez. Deshalb fuhr ich gut fünfzehn Meter zu weit und schob den Roller fluchend wieder zurück. Dann schnallte ich meine von der holprigen Fahrt etwas mitgenommene- aber hey, wen sollte das stören? Es war ja nur Pizza und wer Qualität wollte, bestellte sowieso nicht bei Toni’s- Fracht los und wand mich zum ersten Mal wirklich dem Anwesen zu. Es kam mir mit seinen wehrhaften Mauern, dem erstaunlich schnörkellosen, klassischem Aufbau und dem hohen Eisentor merkwürdig vertraut vor. Aber vielleicht spielte mir auch nur mein Gedächtnis einen Streich, die Häuser hier sahen sich ja alle irgendwie ähnlich: groß und mit Zaun drumrum. Ich besah mir die Gegensprechanlage und war erleichtert, nur einen einzigen Knopf vorzufinden. Damit erübrigte sich jedes Raten. Ich drückte beherzt. Zunächst geschah nichts und das für eine ganze Weile. So lange, dass ich mir schon überlegte, über den Zaun zu klettern, gefährliche Wachhunde hin oder her, die konnte ich ja zur Not mit Pizza Tono füttern, und an der Haustür direkt Terror zu machen. Ganz sicher war ich nicht den weiten Weg hergefahren, um nun vor verschlossenen Toren zu stehen! Endlich vernahm ich jedoch ein leichtes Knacken und eine computerverzerrte Stimme. „Wer da?“ Was antwortete man jetzt? Gab es eine geheime Formel in diesen Kreisen? Das berühmte „Sesam öffne dich“, damit man in Häuser dieser Art gelassen wurde? Obwohl, ich wollte ja gar nicht rein, ich wollte nur bis zur Türschwelle und mir dort ein möglichst saftiges Trinkgeld abholen. „Pizzaservice. Einmal Pizza Tono, frisch aus dem Ofen“, versuchte ich es schließlich, wobei mir die Zähne vor Kälte aufeinander schlugen. Anscheinend waren das die richtigen Worte gewesen, denn der Summer ging und ich stolperte den breiten Kiesweg zum Hauseingang hinauf. Hier musste ich nach mehrmaligem Klopfen noch einmal warten, bis schließlich ein Licht hinter dem schmalen Milchglasfenster anging und sich eine verschwommene, hagere Gestalt der Tür näherte. Ich wusste es. Noch bevor er sie ganz geöffnet hatte, wusste ich es einfach. Das Haus, das Tür, die Gegensprechanlage und seine lange Gestalt mit dem etwas steifen Gang, Sekunden bevor Kaiba mir die Tür aufmachte, stand sein Bild so klar und deutlich vor meinen Augen, als betrachtete ich eine Fotographie. Die hatte jedoch herzlich wenig mit dem Kaiba gemein, den ich jetzt sah. Natürlich, seine Augen waren noch immer abweisend, er betrachtete mich noch immer, als hätte er soeben einen Mund voll Sägemehl geschluckt und auch die arrogant gerümpfte Nase war die gleiche, aber er hatte den Mantel weggelassen und auch seine schweren Stiefel fehlten. Meinen Erzfeind so in Socken und Pulli zu sehen, während ich bis zur Nasenspitze in einen alten Schal gewickelt auf seiner Schwelle stand, hatte etwas Surreales. Das Merkwürdigste an ihm war jedoch nicht seine legere Aufmachung, sondern das Fehlen jeglicher Überraschung in seinem Gesicht. Als wunderte es ihn kein bisschen, dass sein Klassenkamerad kurz vor Mitternacht bei ihm Zuhause war. Er stand einfach in der Tür und sah mich an. Ich starrte zurück, während warmes Licht ihm über die Schulter und in die eisige Nacht hinausfiel. Ein Hauch Wärme aus dem Haus streifte mein Gesicht und machte mir wieder bewusst, wie saukalt mir eigentlich war. „Deine Pizza“, brach ich schließlich das Schweigen und schämte mich beinahe ein bisschen, dass ich es mit so etwas Banalem beendet hätte. Doch ich kannte kein geistreiches Zitat, das in einer Situation wie dieser angemessen gewesen wäre. „Hm“, machte er einsilbig, während seine Finger sie große, bleiche Spinnen über seine Hosentaschen fuhren, „wie viel bekommst du?“ „1.400 Yen, der Nachtzuschlag, du verstehst.“ Ich rechnete felsenfest damit, dass Kaiba mich auf den Yen genau bezahlen würde. Er war nicht der Typ für Trinkgeld und was interessierte es ihn, dass ich mir für seine dämliche Thunfischpizza den Hintern abgefroren hatte? Es würde ihn höchsten noch freuen. Zunächst gab Kaiba mir jedoch weder Trink- noch Pizzageld. Er ließ die Hände sinken, öffnete die Tür ein bisschen weiter. „Ich muss mein Portemonnaie oben gelassen haben“, Kaiba warf mir einen scharfen Blick zu, dann nickte er, „komm rein. Wenn man dich sieht, kann man kaum glauben, dass die Polkappen schmelzen.“ Er trat zurück und ich ein. Ein denkwürdiger Augenblick, Joey Wheeler in Seto Kaibas Haus. Im Haus des Feindes, wenn man es genau nehmen wollte, aber im Moment wirkte er so… ganz und gar normal. Ein Teenager, der lange wach blieb und Hunger bekommen hatte. Auf Pizza. Warum Kaiba sich die allerdings bestellen musste und nicht einen ganzen Vorrat davon bei sich hatte, war mir schleierhaft. Unsere schmeckten nämlich auch nicht besser, als die aus dem Laden, wir tauten ja auch nur die Tiefgekühlten auf. Dennoch nahm ich das Angebot dankend an. In dem langen Flur blieb ich stehen. Nach oben schlang sich eine Wendeltreppen in Bereiche der Villa, die außer Mokuba und Kaiba selbst wohl noch kein Sterblicher zu Gesicht bekommen hatte, neben mir ging ein großer Raum ab, aus dem es bläulich zu mir herüberflimmerte und leise Geräusche zu vernehmen waren. Anscheinend hatte er gerade ferngesehen. Wie seltsam, ich hätte ihm unterstellt, dass er jede freie Minute vor seinem Computer verbrachte. Wir alle hätten das, aber vielleicht täuschten wir uns in Kaiba und er war uns gar nicht so unähnlich. So in meine Gedanken versunken, bemerkte ich kaum, wie er die Tür hinter mir geschlossen hatte. Erst da leise, aber in der Stille umso verhängnisvollere Klicken ließ mich wieder herumfahren. Kaiba lehnte an dem Holz und betrachtete mich mit einem Glimmen in den hellen Augen, für das ich keine Worte hatte. Böse wäre vielleicht noch das Passendste gewesen, obwohl er sich mit keiner Miene verriet. Kein Zusammenziehen der Brauen, kein angriffslustiger Blick, nur Ruhe, beinahe unecht und starr. Mir schoss das Wort „gefangen“ durch den Kopf, doch da löste sich Kaiba von dem einzigen Ausgang und der Moment verflog. Jetzt war er wieder ganz der gelangweilte Jugendliche, den ich vorher schon in ihm gesehen hatte. „Rühr dich nicht von der Stelle und fass bloß nichts an“, befahl er gewohnt barsch, verschwand dann die Treppe hinauf. Ich sah seine hagere Gestalt im Halbdunkel verschwinden und fühlte mich plötzlich entsetzlich zurückgelassen. So allein in diesem riesigen Haus, das nur die künstlichen Geräusche des Fernsehers erfüllten, die die dröhnende Stille eigentlich noch dichter erscheinen ließen, wurde mir doch sehr anders zumute und ich wünschte mir selbst Kaiba zurück, nur um irgendeine Gesellschaft zu haben. Ich war sogar schon soweit, ihn mit seinen 1.400 Yen stehen zu lassen und einfach wieder zu gehen, um diese Ruhe nicht mehr aushalten zu müssen, da hörte ich seine Schritte über mir. Sie waren so ganz ohne seine Stiefel ungewohnt leise, beinahe vorsichtig. Vielleicht hatte er sich über all die Jahre in diesem großen Haus angewöhnt, die erdrückende Stille nicht zu brechen und sich so leise wie möglich zu bewegen. Nun tauchte seine weiße Hand wie die eines Geistes auf dem dunklen Treppengeländer auf. „1.400, sagtest du, ja?“ Ich musste schlucken, bevor ich sprechen konnte und selbst dann fühlte meine Zunge sich seltsam fremd in meinem Mund an. „Ja.“ „Gut.“ In seiner Linken hielt er etwas Weißes, Stoffenes fest umklammert. Er erreichte den Treppenabsatz, kam auf mich zu und war mir, als er endlich stehen blieb, viel näher, als nötig gewesen wäre. Ich wusste nicht recht, was ich davon halten sollte, entschied aber, unter keinen Umständen zurückzuweichen. So dicht hatte er noch nie vor mir gestanden, ich konnte die kleinen, hellen Flecken in seinen Augen ausmachen, die langen Schatten, die seine Wimpern auf die hohen Wangenknochen warfen. Trotz all dieser Dinge empfand ich Kaiba nicht einen Moment lang als schön, so leblos wirkte sein Gesicht und zu sehr vermisste ich die Anzeichen eines Lachens. Seine Miene wirkte, als würde er sie zu allen möglichen Arten von Gehässigkeiten verziehen, aber nicht zu einem ehrlichen, aufrechten Lächeln. Und noch etwas bemerkte ich, das mir zuvor nie an ihm aufgefallen war: ein beißend-chemischer Geruch, den ich nicht recht einordnen konnte. Noch immer machte Kaiba keine Anstalten, mir mein Geld zu geben und langsam wurde ich ungeduldig. „Hör mal, die erwarten mich heute noch zurück, also…“ „Weißt du noch, was ich dir über Freiheit gesagt habe?“ unterbrach er mich, als hätte er meine Worte gar nicht gehört. Missbilligend runzelte ich die Stirn. Wie könnte ich das vergessen? Jeder von uns erinnerte sich wohl noch daran und an das maliziöse Glitzern in seinen Augen. „Natürlich“, antwortete ich langsam, holte tief Luft, um ihm einen langen Vortrag über seine verdrehte Weltansicht und meine fehlende Entlohnung zu halten, da presste er mir mit einem Mal das helle Stück Stoff, das mein Unterbewusstsein keine Sekunde lang wirklich für ein Portemonnaie gehalten hatte, über die Nase. Es stank schlimmer, als der klapprige Firmenroller es je gekonnt hätte. Im ersten Augenblick war ich zu überrascht, im nächsten schon zu schwach, um mich noch ehrlich dagegen zur Wehr zu setzen. „Freiheit“, hörte ich Kaibas Stimme aus weiter Ferne, „ist die Möglichkeit, Böses zu tun, ohne jemals von irgendeiner Kreatur zur Rechenschaft gezogen zu werden.“ Nachwort: So, das war’s… nein, Scherz. Das ist nur das erste von ich weiß nicht genau wie vielen Kapiteln. Mir war nach all den schlechten Horror FFs und Doushinjis danach, mich selber mal dran auszuprobieren. Ich hoffe, ihr konntet euch ein bisschen gruseln und es hat euch gefallen. Mein geheimer Liebling ist ja Tea *rofl*. Aber natürlich liebe ich Joey, sonst würde ich nicht aus seiner Sicht schreiben^^. Nachtrag: Man hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass mein Yen-Euro-Umrechnungskurs falsch war. *drops* Ich hab es jetzt geändert. Ich dachte wirklich, dass 100 ca. acht Euro wären, stimmt aber anscheinend nicht, es sind 1.000. Vollkommen nebensächliche Info *hüstel*. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)