Remember me von chalmey (Erinnerungen) ================================================================================ Kapitel 3: Eine kleine Hilfe ---------------------------- Zu meiner Erleichterung hab ich es endlich geschafft, diese Fortsetzung auf den Bildschirm zu bringen. Nie zuvor ist es mir so schwer gefallen, Buchstaben zu akzeptablen Worten zusammen zu reihen wie dieses Mal! Und ich kann nicht einmal erklären, woran es gelegen hat. Weiß der Teufel, was in mich gefahren ist... Zu allem Übel noch dazu, finde ich (wie sollte es anders sein?) keine passenden Worte für eine angemessene Entschuldigung für diese ewig lange Wartezeit! Trotzdem habe ich die kleinste Hoffnung, dass Ihr mir verzeiht... Liebste Grüße chalmey Meine erste Erinnerung hatte mich an dem Tag eingeholt, als ich wieder - mit Zustimmung unseres Arztes selbstverständlich – mit leichtem Training beginnen durfte. Ich wurde von meinem Vater in die riesige Übungshalle, das Tendo-Dojo, hinter dem Haus geschleppt. Viel konnte ich natürlich nicht erwarten, das hatte mir mein Vater deutlich gemacht, doch dieses abgemilderte Training hatte völlig ausgereicht mir bewusst zu machen, dass dieser Sport mein Leben beherrscht hatte, auf ein Weise, die...die mich glücklich machte! Das Gefühl von Macht und Stärke breitete sich in mir aus und ein unglaubliches Hochgefühl hatte mich gepackt, als ich mit Dehnübungen begann und nach einer Weile sogar Schläge und Tritte verteilen konnte. Es war leichter als erwartet und ich schien diese Bewegungsfreiheit gut zu verkraften, auch wenn ich nicht lange durchhielt. Nach schon einer halben Stunde ging mir die Luft aus und ich legte ein kurze Pause ein. Auf dem Boden sitzend und mit dem Rücken an die Wand gelehnt starrte ich verwundert auf meine Hände. Es war schon seltsam, obwohl ich mich an keine einzige Regel erinnern konnte, reagierte mein Körper auf alle Angriffe meines Vaters automatisch. Meine Bewegungen waren flüssig und ich hatte meine Schnelligkeit nicht verloren. Nur meine Kraft und Ausdauer – so mein Vater – hatten erheblich nachgelassen. Aber das schien kein allzu großes Problem darzustellen, das könnte man wieder „gerade biegen“ hatte der alte Herr gemeint, bevor er die Halle verlies. Immer noch saß ich dort, als mir plötzlich, ohne jegliche Vorwarnung, schwarz vor Augen wurde. Panik stieg in mir auf. Hatte ich doch mit dem Training übertrieben? Blitze schossen vor mir auf und nieder, verschwanden und tauchten leuchtend grell wieder auf. Alles drehte sich, Farben verschwammen ineinander, skurrile Muster entstanden. Dann das Bild, mein ewig währender Traum. Der Fluss, er glitzerte noch immer. Nun konnte ich unscharf die Umgebung wahrnehmen. Es standen Bäume dicht gedrängt am Ufer, dahinter grenzte ein Wald. Ich kannte diese Gegend nicht, wie so vieles andere auch. Und dann...ein Blitz... *** Ich berührte den Marmorrand der Badewanne. Er war kalt, obwohl dichter Wasserdampf aufgestiegen war und das gesamte Bad in einen drückend heißen Nebel getaucht wurde. Wasser – ich bevorzugte meist heißes – perlte an meiner Haut hinab, mein schwarzes Haar klebte an meiner Stirn und mein Zopf baumelte auf meinem Rücken. Leises Geplätscher entstand, als ich mich in der Wanne umwandte. Obwohl es im Bad so still und friedlich war, ließen mich genau diese Eigenschaften zappelig werden. Denn sobald ich diesen Raum wieder verlassen würde, war mir klar, dass nichts mehr so sein würde, wie vorher. Ich würde mein Geheimnis mit wildfremden Menschen teilen. „Was mach ich nur?“ Gut, eigentlich nichts weltbewegendes. Kann doch jedem mal passieren, nicht? Jeder Mensch ist doch was besonderes. Ich überlegte, versuchte mir vorzustellen, wie jeder einzelne da draußen reagieren würde. Augenblicklich tauchte ich tiefer. Oh, sie würden es nicht verstehen und erst recht nicht willkommen heißen. Was mach ich nur? Aber spielte das denn irgendeine Rolle? Ich hatte nicht vor, diesen „Zustand“ länger als nötig zu dulden. Bald, ich wusste zwar noch nicht wie, aber bald wäre ich wieder der Alte. Ein Seufzer entfuhr mir. Hörte sich ja alles sehr gut an, änderte aber nichts an der Tatsache, dass ich jetzt hier war. Naja, sie werden es sowieso erfahren. Früher oder später... Ein letztes Mal verschwand mein Kopf unter der Wasseroberfläche, prustend tauchte ich wieder auf und stemmte mich mit einem Arm ab, um die Badewanne zu verlassen. Das half wohl alles nichts, da musste ich jetzt durch. Mit einem Bein schon auf dem Boden kam mir ein Gedanke. Vielleicht sollte ich mich entschuldigen, für alles, und, ganz wichtig, für meinen Vater, dieser hirnlosen Verschwendung von Genmaterial, der ich alles zu verdanken hatte. Ein leichter Luftzug holte mich aus meinen beleidigenden Gedanken, die immer größeren Ausmaß annahmen. Verwundert wandte ich den Kopf. Woher kam dieser Durchzug? Das Fenster war geschlossen und soweit ich wusste, die Tür auch. Falsch. Entsetzt blickte ich zum eben erwähnten Holzstück, dass geräuschvoll zur Seite geschoben wurde und stattdessen ein Mädchen - ein nacktes Mädchen - seinen Platz einnahm. Zu geschockt, um auch nur einen Ton aus unseren Kehlen entweichen zu lassen, starrten wir uns an...starrten uns lange an... Ich wusste, dass diese soeben entstandene Situation, überhaupt nicht gut, wenn nicht sogar, katastrophal war. Trotzdem kam ich nicht umhin, die jüngste Tochter des Hauses zu...na ja... zu mustern. Sie hielt sich ein mit Schmetterlingen und Blumen besticktes Handtuch vor den Körper, was sie allerdings auch hätte komplett weglassen können. Oh, bitte nicht falsch verstehen, aber dieses Stückchen Stoff verhinderte beim besten Willen nicht, dass sich jedes, wirklich jedes, Detail ihres makellosen Körpers in meine Netzhaut brannte, um dort auf alle Zeiten vor sich hinzuschlummern. Abermals riss mich ein Luftzug aus meinen Gedanken. Mit einem lauten Rums schloss sich die Schiebetür, trennte den Baderaum vom Vorzimmer und ich war wieder allein. Auch wenn es im Raum erheblich kühler geworden war, war dies mit Sicherheit nicht der Grund, wieso ich zu zittern begann. Eine unheimliche Hitze schoss in meinen Kopf und ich wusste, dass meine Gesichtsfarbe der eines Krebses glich. Ich hatte mich nicht verguckt. Bestimmt nicht. Sie hatte auch hingeschaut. Alles gesehen...an MIR !!! *** Mein höllisch dröhnender Kopf riss mich aus diesem wirklich seltsamen Traum, dessen Nachgeschmack immer noch vor meinen weit aufgerissenen Augen auftauchte. Gott, was um Himmels Willen war das schon wieder gewesen? „Ein Traum!“ hauchte ich vor mich hin, doch so ganz überzeugt von meinen eigenen Worten war ich nicht. Kein Traum konnte solche Details entwickeln, geschweige denn, sie so verdammt realistisch erscheinen lassen. Hatte ich nicht schon fast das heiße Wasser in der Wanne spüren können? Die Dampfschwaden eingeatmet? Ich griff mir an die Schläfen, spürte kalten Schweiß, den ich mir mit dem Ärmel meines Kampfanzuges abwischte. Stimmt ja, ich saß immer noch, angelehnt an der Holzwand, in der Trainingshalle. Wie viel Zeit war seit meinem Training vergangen? War ich eingeschlafen, hatte ich deshalb geträumt? Ich korrigierte mich selbst. Kein Traum, Ranma. Ganz sicher, kein Traum! Und nun? Was sollte ich jetzt tun? Ich fühlte mich völlig übermüdet. Ein Bad. Genau, das bräuchte ich jetzt. Dringend sogar. Schwerfällig erhob ich mich, als mir wieder eines dieser Bilder in den Sinn kam. Schlagartig beschleunigte sich mein pochendes Herz. Ich resignierte. Vielleicht sollte ich später baden... Langsam schlenderte ich die lange Holzterrasse vom Dojo zum Haus entlang, als ich in den Augenwinkeln etwas bemerkte. Ich wandte den Kopf zum Eingangstor des Tendo-Grundstücks, dass sich leise quietschend öffnete und blickte dem Mann entgegen, der den Kiesweg zum Haus entlang lief. Geduldig hielt ich die Haustür offen, bis Dr. Tofu den Flur betrat. „Vielen Dank, Ranma.“ „Dr. Tofu, was machen Sie denn hier. Der nächste Termin ist doch erst in ein paar Tagen!“ Ich folgte dem Mediziner in Richtung Wohnzimmer. „Da hast du recht. Aber deswegen bin ich auch nicht hier.“ Er betrat den Gemeinschaftsraum, in dem, wie immer, alle versammelt beieinander saßen und seelenruhig ihren Tee genossen. „Ah, sieh an, wer uns besucht!“ rief Herr Tendo erfreut und legte die heutige Zeitung beiseite. „Guten Abend. Ich hoffe, ich störe Sie nicht.“ Am anderen Ende des Tisches sprang Kasumi auf ihre Beine. „Natürlich nicht, Doktor. Einen kleinen Moment bitte, ich bringe Ihnen gleich eine Tasse Tee.“ lächelte sie sanft und begab sich in die Küche, wo sie einen Kessel mit frischem Wasser aufsetzte. „Nun setzten Sie sich zu uns, mein werter Freund.“, bat der alte Tendo und zeigte auf einen freien Platz, „ Wie geht es Ihnen?“ Neben dem jungen Arzt war noch Platz, sodass ich mich auch am Tisch niederließ. Ich folgte nur halbherzig dem Gespräch, zu sehr war ich damit beschäftigt, Doktor Tofu zu beobachten. Angestrengt versuchte ich mich an den Tag zu erinnern, an dem ich ihn das erste Mal kennen gelernt hatte. Damals stand ich kurz vor meiner Entlassung aus dem Krankenhaus. Meine behandelnden Ärzte standen um mich herum, als er den Raum betrat. Bis heute kann ich mir nicht erklären, wie ein einzelner Mensch nur so eine gewaltige Ruhe ausstrahlen konnte. Trotzdem blickte ich ihm im ersten Moment skeptisch entgegen. Mit seinem Pferdeschwanz sah er auch nicht gerade professionell aus, trotz dem weißen Kittel, den er über seinen Klamotten trug. Die restlichen Fachleute schienen hoch erfreut über sein Kommen gewesen zu sein, denn sie schüttelten ihm ausgiebig die Hand und warteten gespannt auf sein Kommentar zu meiner Krankenakte, die er sich nun zugewandt hatte. An seine genauen Worte konnte ich mich nicht mehr erinnern, doch war ich ihm äußerst dankbar gewesen das er der ausschlaggebende Grund war, das ich endlich dieses Krankenhaus verlassen konnte. In den ersten Tagen meiner Heimkehr war ich noch bettlegerisch und Doktor Tofu untersuchte mich in meinem Zimmer. Beschämt dachte ich daran, wie sehr ich mich doch am Anfang in diesen jungen Arzt getäuscht hatte. Ich war davon ausgegangen, dass er sich nicht sehr von seinen Kollegen unterscheiden würde, das er nur tun würde, was sie alle tun würden. Mich gesund pflegen. Aber nicht heilen! Doch seine Anwesenheit vollbrachte etwas, dass ich seit ich aus dem Koma erwacht war, noch nicht erlebt hatte. Diese Ruhe, diese sanfte und belebende Ausstrahlung legten sich wie Balsam auf mein zerrüttetes Innere. Alle Unsicherheit fiel von mir ab und wenn er mir gesagt hätte, dass alles wieder gut werden würde, hätte ich ihm ohne zu zögern geglaubt. Ich wurde plötzlich aus meinen Gedanken gerissen, als mein Vater völlig überrascht etwas ausrief. Neugierig blickte ich in die Runde. Alle Anwesenden starrten den jungen Arzt verwundert an. Dieser hatte, was ich jetzt erst bemerkte, eine kleine braune Flasche, die verdächtig nach irgendeinem Medikament aussah, vor sich auf den Tisch gestellt. „Ich kann nicht garantieren das das klappt, aber es wäre ein Versuch wert, finden Sie nicht?“ Kasumi lachte leise. „Das wäre wundervoll, oder?“ Wovon sprachen die eigentlich? „Ich weiß nicht. Bestimmt gibt es einen Haken!“ wandte sich Nabiki an den Doktor. Man sah ihr an, dass sie nicht so schnell zu überzeugen war. Misstrauisch strich sie sich über ihr Kinn. „Da hast du recht, Nabiki.“ stimmte ihr Dr. Tofu zu. „Einen Haken gibt es schon. Dieses Medikament ist neu auf dem Markt gekommen und natürlich noch nicht richtig ausgereift. Es wurde zwar gründlich getestet und fast alle Nebenwirkungen beseitigt, doch trotz alle dem ist das Ergebnis nicht 100 % sicher.“ Da ich immer noch kein einziges Wort verstand, verschaffte ich mir Gewissheit. Vorsichtig nahm ich das kleine Fläschen und untersuchte den Etikettaufkleber. Ich riss meine Augen auf. Ein Medikament das Gedächtnisverluste aufheben sollte? Nervosität stieg in mir auf. Heißt das, ich würde mich endlich wieder an alles erinnern? Keine fremden Gesichter mehr, kein beklemmendes Gefühl? Ich schaute wieder auf. „Gibt es denn immer noch Nebenwirkungen?“ „Leider schon. Der Wirkstoff wird durch das Blut direkt in das Gehirn transportiert, ähnlich wie bei normalen Kopfschmerztabletten. Dort soll es den Bereich des Hirns stimulieren, der für das Gedächtnis zuständig ist und so den, nun...nennen wir es mal, den beschädigten Teil fördern. Der Nachteil jedoch ist, dass dieser Wirkstoff nicht nur in das Gehirn wandert, sondern durch die Blutkörperchen im ganzen Körper verteilt wird und somit das Immunsystem angreift. Es könnte also sein, dass die Kinder anfälliger für Krankheiten werden.“ „Das ließe sich leicht verhindert, denke ich. Wenn die beiden gut auf sich aufpassen, sollte dies kein Problem darstellen.“ erwiderte Herr Tendo mit nachdenklicher Miene. Der Doktor nickte zustimmend. „Der Meinung bin ich auch. Der Anfang würde zwar etwas holprig werden, doch ich sollte mich schnell auf eine geeignete Dosierung festlegen können. Selbstverständlich versichere ich Ihnen, dass ich Ranma und Akane während der Medikamenteneinnahme überwachen werde. Sollte es also – was ich nicht vermute – zu Komplikationen kommen, könnte ich schnellstmöglich eingreifen.“ Mein Blick wanderte durch die Runde. Jetzt erst fiel mir auf, dass meine Mutter nicht anwesend war. „Das klingt alles sehr vielversprechend. Natürlich müssten die Kinder erst einmal einstimmen...“ Und Akane ebenfalls nicht. „Ranma, mein Junge! Was hältst du davon?“ Ich schaute zu meinem Vater, der mich fragend anblickte. Und nicht nur er. Alle Augen waren auf mich fixiert, warteten gespannt auf meine Antwort, dabei musste ich nicht großartig darüber nachdenken. Meine wahrscheinlich einzige Chance auf eine völlige Heilung würde ich mir um keinen Preis dieser Welt entgehen lassen! Wieder blickte ich um mich. Es störte mich gewaltig, dass Akane nicht anwesend war. „Ranma?“ Und was wäre, wenn sie nicht einwilligt? Ich meine, was würde ich dann tun? Würde ich ebenfalls die Finger davon lassen? Aber wieso sollte ich das? Ich will ja schließlich gesund werden. Spielte hier Loyalität eine Rolle? Innerlich schüttelte ich den Kopf. Weshalb sollte ich zu einem Menschen loyal sein, den ich keine Woche kannte? Ich fuhr mir durch die Haare. Sie ist meine Verlobte! „Ich weiß nicht.“ Verwundert und leicht amüsiert konnte ich beobachten, wie allen Anwesenden vor Verwirrung der Mund offen stand. Es hatte doch tatsächlich den Anschein, als würden ihnen gleich die Augen aus dem Kopf springen. „Was soll das heißen, du weißt es nicht?“ Meinem Vater war anzusehen, dass er etwas aufgebracht war. War er doch durch die ganze Situation recht mitgenommen. „Ich bitte dich, Junge! Denk doch mal nach. Endlich hast du die Gelegenheit, dich an alles wieder zu erinnern. Das ist es doch, was du wolltest, oder?“ Ich nickte. Ja, natürlich! „Ich will mich noch nicht entscheiden.“ Hätte mein Vater noch Haare auf dem Kopf, ich glaube die hätte er sich jetzt vor Verzweiflung gerauft. „Um Himmels Willen, warum denn nicht?“ Ja, warum eigentlich nicht? Warum sollte ich ihnen nicht sagen, weshalb ich so zögerte? „Ich möchte vorher mit Akane reden.“ Totenstille brach im Raum aus, die Zeit schien stillzustehen. „Aber natürlich!“ „Verständlich!“ „Sicher doch!“ Ich lag schon seit geraumer Zeit hellwach in meinem Bett. Im Minutentakt hörte ich Flugzeuge weit über unserem Haus fliegen. Diese Stille war beruhigend und gleichzeitig so ungewohnt. Akane und meine Mutter hatten einen langen Spaziergang gemacht. Sie hatten sich die Gegend angesehen, angehalten, um etwas zu trinken und darüber die Zeit vergessen. Doch nun waren sie wieder da und nichts konnte mich davon abhalten endlich mit Akane zu sprechen. Ich drehte mich auf die Seite. Es war schon reichlich spät, vielleicht sollte ich morgen mit ihr reden. Oder übermorgen. Beunruhigt zupfte ich an meiner Decke rum. War ich schon immer so ein Angsthase gewesen? Ich konnte mich nicht erinnern. Doch ich schnappte nach Luft. Nein, den Kopf schüttelnd stand ich auf, niemals! Mein Bauchgefühl sagte mir, dass ich kein Feigling war und zu meinem Erstaunen hatte mein Stolz ein mächtiges Problem mit diesem Gedanken. Überzeugt, dass das nur Gutes bedeuten konnte, trat ich auf den stockdüsteren Flur hinaus und spähte in die Richtung, in der ich Akanes Zimmer vermutete. Ein leichter Lichtschimmer, der unter ihrer Tür durchschimmerte, verriet mir, dass sie noch wach war. Also setzte ich mich in Bewegung und klopfte, mit einem seltsamen Gefühl im Bauch, leise an, um sie nicht zu erschrecken. Ich hielt die Luft an, um ihre Antwort nicht zu überhören, doch kein Laut drang aus dem Raum. Vorsichtig öffnete ich die Tür, lugte durch den Spalt und erkannte, dass sich niemand im Zimmer befand. Also riss ich die Tür ganz auf und betrat den Raum. Gut, ganz so anständig war das natürlich nicht. Eigentlich hatte ich hier nichts zu suchen und ich hätte auch draußen warten können. Doch dieses seltsame Gefühl im Bauch ließ mich nicht zur Ruhe kommen. Vorhin hatte ich schon das dringende Bedürfnis gehabt, einfach so ins Zimmer zu platzen und der Drang mich aufs Bett zu schmeißen und einfach abzuwarten war groß. Fast amüsierte ich mich schon, wenn ich dran dachte, wie sie reagieren würde. Aber natürlich wollte ich nicht den Teufel heraufbeschwören und so nahm ich erst mal auf dem Schreibtischstuhl platz. Ich blickte mich um. Seit ihrer Ankunft hatte sie nichts an diesem Zimmer verändert, was ich voll und ganz verstehen konnte. Unsere Zimmer waren immerhin wichtige Anhaltspunkte, vielleicht würden sie uns helfen. Bei diesem Gedanken fiel mir wieder ein, weshalb ich hier war. Als die beiden wieder da waren, hatten wir uns alle zusammengesetzt und noch einmal alles besprochen, was Doktor Tofu gesagt hatte. Die ganze Zeit über hatte ich Akane beobachtet, gespannt wartete ich auf eine Reaktion, als sie von dem Wundermittel erfuhr. Vergebens. Nicht mal ein kleines Zucken oder ein interessierter Blick ihrerseits. Wie immer saß sie fast schon teilnahmslos da und versank in ihren Gedanken. Und nicht zum ersten Mal wünschte ich mir, diese Gedanken lesen zu können. Wo blieb sie nur? Ich blickte auf den Tisch. In der Mitte lagen einige Blätter, daneben ein Bleistift, doch das Papier war unbenutzt. Mein Blick wanderte zum Bett, dass ebenfalls unberührt dastand. War sie überhaupt hier gewesen? Die Schreibtischlampe war an. Ich runzelte die Stirn. Sie war da und hatte... Ich entdeckte den kleinen Mülleimer auf der linken Seiten, neben dem Schreibtisch. Neugierig nahm ich das zusammengeknüllte Blatt, dass sie weggeworfen hatte und strich es glatt. Sofort erkannte ich ihre wunderschöne schwungvolle Handschrift, mit der sie einen einzelnen Satz geschrieben hatte. Was tue ich hier? Beunruhigt schluckte ich, als ich die Worte immer wieder las. Irgendetwas melancholisches schwang in diesen Worten mit, etwas tief trauriges und trotzdem vollkommen undefinierbar. Wie ein Rätsel, dessen Lösung ich mit meinem winzigen Verstand niemals erfassen könnte. Mit einem unbeschreiblichen Gefühl faltete ich das Stück Papier zusammen und erhob mich. Ich fühlte, dass es falsch war, hier zu sein, - jedenfalls zu diesem Zeitpunkt -, und wollte deshalb das Zimmer verlassen. Erschrocken zuckte ich zusammen, als ich Akane im Türrahmen erblickte. *** „Warum bist du abgehauen, Akane?“ „Ich soll ausgerissen sein? Wozu denn?“ ... „Gehen wir, Akane. Dein Vater ist außer sich vor Angst!“ „Ich kann nicht!“ ... „Dann...gehe ich wohl besser nach Hause. Ich komm dich auch nicht mehr suchen, klar?“ „Ich...ich werde hier bleiben...“ ... *** „Ich hab dich was gefragt!“ Ich massierte meine Schläfen, mein Kopf drohte wieder einmal zu platzen. „Entschuldige bitte, was hast du gesagt?“ Sie schloss die Tür hinter sich. „Was du hier tust hab ich gefragt.“ Was tue ich hier? „Ich...ich hab auf dich gewartet, ich wollte mit dir reden.“ So sehr hoffte ich, dass sie meine Verwirrung nicht bemerkte. Ich spürte, dass ich immer noch den Zettel in der Hand hielt. Ohne groß darüber nachzudenken steckte ich ihn unauffällig in meine Hosentasche. Akane schien mich mit ihren Blicken förmlich zu durchbohren und zum ersten Mal seit ihrer Ankunft in diesem Haus, waren ihre Augen nicht glanz- und leblos, sondern versprühten reines...Misstrauen. Ich lächelte. Aus irgendeinem Grund machte es mich glücklich, dass sie mich hier erwischt hatte. Diese Situation war mir so vertraut und zum ersten Mal kam mir der Gedanke, dass dies vielleicht ein Bestandteil in meiner...nein...in unserer Vergangenheit war. Und deshalb auch so kostbar für mich! Ich ließ mich wieder auf den Stuhl nieder. „Wie geht es dir?“ Akane legte den Kopf schief. „Darüber wolltest du mit mir reden? Wie es mir geht?“ Ihre Skepsis stieg. Den Kopf schüttelnd holte ich tief Luft und begann zu erzählen. Ich wusste nicht genau, wie lange wir diskutiert hatten, doch ich wusste, in dieser Nacht hatte ich nicht viel Schlaf abbekommen. Akane hatte mir erzählt, dass sie sich nicht wohl dabei fühlte, noch mehr Medikamente zu nehmen und die Angst, eine Enttäuschung zu erleben, saß tief. Obwohl ich nicht in der Position war, Versprechungen abzugeben, versicherte ich ihr, dass ich dafür sorgen würde, dass es ihr wieder besser gehen würde. Mir war bewusst, dass dieses Versprechen mehr als dumm war, da ich ja nicht einmal mir selbst helfen konnte. Doch was blieb mir übrig? Ich wollte sie mit ihren Ängsten nicht alleine lassen. Und als sie auch noch zustimmte und mir völlig vertraute, wusste ich, dass ich ihr helfen, das ich sie retten konnte, so wie ich das, -und das wusste ich genau-, früher immer getan hatte... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)