Nebelgespinst von chryssantes ================================================================================ Kapitel 1: ----------- NEBELGESPINST Eine im Saber-Rider-Universum angesiedelte Fanstory Autor: Chryssantes Rating: R Warning: Lime, Mary Sue Disclaimer: Alle Rechte an ‘Saber Rider and the Star Sheriffs’ verbleiben bei WEP Summary: Forschung ohne ethische Grenzen und Liebe in der Zeit des Krieges. Anmerkung: Diese Story basiert auf einen Traum, den ich vor Jahren hatte. *** Sophie de Courtier, Commander a. D. landete ihren Raumgleiter in einer kleinen Senke, weit draußen in den Badlands. Nachdem die Ausstiegsluke offen war, stieg die junge Frau vorsichtig aus ihrem Gleiter. Feuchtkalte Luft schlug ihr entgegen und vereinzelt war der grünlich braune Boden durch den Nebelschleier zu erkennen. Die Sichtweite betrug maximal drei Meter und dieser Zustand würde noch bis in den nächsten Monat anhalten. Seufzend machte sie sich mit Rucksack und einem Kompass ausgestattet auf den Weg in die Stadt. Sie war mit Absicht so weit draußen gelandet. Fred klang gestern per Comverbindung etwas kurz angebunden. Das hatte ihr Misstrauen geweckt. Steckte die Koloniebehörde hinter dem Angespanntsein ihres väterlichen Freundes? Seit dem Desaster vor zwei Jahren lebte sie mehr im Untergrund und vermied dabei die Aufmerksamkeit irgendeiner Behörde auf sich zu ziehen. Bei ihrer jetzigen Stippvisite musste nicht unbedingt jeder erfahren, wer sie war und in welcher Absicht sie kam. Seufzend dachte sie an den eigentlichen Grund, der sie immer wieder hierher führte. Fred Hunter war ein begnadeter Arzt und Wissenschaftler und er führte ihre Experimente in einer anderen Richtung weiter. Sie nahm liebend gern alles in Kauf, auch seine schlechte Laune, wenn seine Forschungen ihr in irgendeiner Weise weiterhalfen. Sie war am meisten auf die vorläufigen Ergebnisse gespannt. Eigentlich hatte sie die Hoffnung fast aufgegeben, doch Freds Teilerfolge sprachen ihr neuen Mut zu. Schweigend marschierte sie durch das teilweise morastigen Gebiet der Badlands. Bei jedem Schritt gab der Boden ihre Stiefel schmatzend wieder frei. Vorsichtig bewegte sich die Frau in dem unwirtlichem Gelände, ein Auge misstrauisch auf dem Boden und ein Auge dem Kompass zugewandt. Nach mehr als eine Stunde lang andauernden und anstrengenden Fußmarsches, erreichte Sophie de Courtier die auf einer kleinen Anhöhe liegende Stadt. Die Sicht betrug hier um die fünf Meter und war damit ein wenig besser als draußen in den morastigen Badlands. Der See vor der Stadt lag mehr in nördlichere Richtung. Sie war froh, dass sie nicht auch noch das Gewässer umrunden musste. Durch den Nebel waren die Häuser der Stadt nur schemenhaft zu erkennen. Was Sophie sofort stutzig machte, war das Fehlen elektrischen Lichts. Sonst waren immer Nebelleuchten um diese Jahreszeit im Einsatz. Was konnte zu einem Totalausfall der Stromversorgung geführt haben? Sie hatte keine Erklärung für das Rätsel. Vorsichtig holte sie aus ihrem Rucksack den Blaster und lud ihre letzten Patronen. Was auch immer die Ursache für den Stromausfall war, sie wollte lieber vorbereitet sein. Vorsichtig schlich sie sich durch die parkähnlichen Vorgärten und schaute in den nächstgelegenen Villen der Einwohner nach. Die Häuser waren menschenleer und schienen in völliger Hast verlassen worden zu sein. Sophie spürte, wie sich auf ihrem Rücken die feinen Härchen aufstellten. Die Situation wurde immer mysteriöser. Was war hier bloß passiert? Plötzlich waren hinter ihr Schritte. Sophie riss ihren Blaster heraus und sprang blitzschnell in Deckung. Entsetzte Kinderaugen blickten sie an. Die Commander senkte erleichtert den Lauf des Blasters. Der kleine Junge, vielleicht sechs Jahre alt, schaute völlig verstört auf die Waffe und rannte davon. Sophie setzte ihm nach und versuchte sich dabei den zurückgelegten Weg zu merken. Die Spur des Jungen führte über Parkwege und an einem Weiher vorbei direkt zu einer zwischen dichten Büschen und eng gepflanzten Bäumen liegenden Villa im neuklassizistischen Stil. Das Haus lag inmitten einer riesigen Parkanlage. Verdattert stand sie kurze Zeit später vor einer kleinen Kinderschar von circa fünfzehn Kindern, alle zwischen vier und sieben Jahren, die die Frau mit der Waffe ängstlich anstarrten. Aus ihrem Gestammel erfuhr die Commander von dem Überfall der ‚braunen Männern’ auf die Stadt, der einen Tag zuvor stattgefunden hatte. Alle Leute seien vor Angst weggeflogen. Wenige seien geblieben und wollten ihr Hab und Gut verteidigen. Die Outrider hätten geschossen und danach die übrigen Bewohner fortgeführt. Die Kinder warteten umsonst auf ihre Eltern und Erzieher, die sie abholen wollten ‚wenn alles vorbei sei’. Seitdem hielten sie sich in der Villa auf, die der Stadt als Kindergarten diente. * Sophie hatte äußerst heftige Kopfschmerzen. Die Rasselbande tobte fröhlich kreischend in den Räumen der Villa. Ein schwarzhaariger Junge haute mit Wonne seinen wahrscheinlich von draußen rein geschmuggelten Stock gegen alle möglichen Möbelstücke. Eines der kleineren Kinder heulte nervtötend, weil es hingefallen war und zwei der Jüngsten stimmten in den Chor mit ein. Da war noch die kleine Janine, die ihr auf Schritt und Tritt folgte und bei jeder Gelegenheit geknuddelt werden wollte. Der Commander riss nach einer Weile der Geduldsfaden. „Ça suffit!“ fauchte sie und entriss dem Jungen seinen Stock und scheuchte die tobenden Kinder mit wütender Miene in die Schlafräume. „Mon Dieu! Diese Kinder rauben mir den letzten Nerv!“ Stöhnte sie vollkommen erschöpft und wunderte sich, wie die Erzieher mit den kleinen Nervensägen fertig wurden. Sie hatte sich notgedrungen mit den Kindern in der Villa verbarrikadiert. Proviant war genügend für mehr als eine Woche vorhanden. Mit Hilfe der größeren Kinder räumte sie dort auf und versorgte die Kleinen. Die Existenz der verlassenen Kinder zwang Sophie zum Dableiben. Manchmal wünschte sie sich, dass es nur zwei Kinder gewesen wären. Die hätte sie ohne Probleme auf ihrer Flucht aus der Gefahrenzone in ihrem Gleiter mitnehmen können. Die nächsten Tage vergingen ereignislos und Sophie wurde langsam nervös. Die trügerische Stille im Park und in dem angrenzenden Stadtgebiet beunruhigte sie. Die Ungewissheit um die aktuelle Situation verursachte ihr Kopfschmerzen. Von den Bewohnern fehlte weiterhin jede Spur. Sie kannte sich auf diesem Planeten nicht besonders gut aus. Fred hatte ihr einen Lageplan der Stadt und der näheren Umgebung geschickt, den sie immer bei sich trug. Eigentlich müsste sie als nächsten Schritt die Stadt nach irgendeinen Hinweis über den Verbleib der Bewohner oder über die Existenz der Outrider absuchen. Doch wegen der Kinder waren ihr die Hände gebunden. Sie konnte die quirligen Kleinen kaum allein lassen. Bereits am ersten Tag war der abenteuerlustigste ihr über den Weg gelaufen. Was würde geschehen, wenn der kleine Junge trotz Verbot dies wieder tun würde? Das kurze Auftauchen der Outrider stellte für Sophie etwas Beunruhigendes dar. Sie zerbrach sich schon seit Tagen den Kopf, wonach die Wesen aus einer anderen Dimension auf diesem strategisch und wirtschaftlich unwichtigen Planeten eigentlich suchten. Eine dunkle Ahnung wuchs in ihr von Tag zu Tag. Was wäre, wenn ihr Freund Doktor Fred Hunter sich nicht an die Abmachung gehalten hatte und seine Forschungen sich mehr in eine Richtung bewegten, die sie letztendlich in den morbiden Zustand versetzt hatten, in dem sie sich jetzt befand? Der schreckliche Gedanke, dass Fred ihr Vertrauen und ihre Hoffnungen missbraucht haben könnte, nagte an ihr. Sie würde letztendlich Gewissheit haben, wenn sie sich Zugang zu seinem Labor und den Aufzeichnungen verschafft haben würde. * Der Nachmittag brachte mit dem teilweisen Verschwinden des Nebels ein paar Schauer mit sich. Die Kinder strahlten, denn mit dem Beginn der Regenschauer waren die Tage des Nebels gezählt. In weniger als zehn Tagen würde die Sonne herauskommen und die Nebelperiode für mehrere Monate beenden. In Manten City war das Regenfest ein beliebter Feiertag, um mit Kind und Kegel unter farbenfrohen Regenschirmen die Alleen entlang zu spazieren. Seufzend dachte Sophie de Courtier an den strahlend blauen Himmel in ihrer Heimat. Die lange Nebelperiode weckte in ihr einen scheinbar unstillbaren Durst nach Sonne und leuchtenden Farben. Die Decke fiel ihr hier langsam auf den Kopf und sie brauchte frischen Wind unter ihrer Nase. Besonders den Kindern fiel der bisherige Daueraufenthalt in geschlossenen Räumen schwer. Spontan entschloss sich die Commander zu einem kurzen Ausflug in den angrenzenden Park des Kindergartens. Die Villa war durch die vielen dicht stehenden Büsche und Bäume durch neugierige Blicke von außen geschützt. Es existierten nur wenige Zugänge zu dem Park. Sophie hoffte, dass ihnen beim Spazieren keine ungebetenen Gäste auflauerten. Bisher war die Lage in diesem Stadtteil relativ ruhig geblieben. Warum sollte es sich bei einem kurzen Ausflug irgendetwas daran ändern? Bevor es an die frische Luft ging musste die junge Frau noch jede Menge Regenstiefel und wasserdichte Mäntel den Kleinsten der Kinder überstreifen und gleichzeitig ein beginnendes Regenschirmduell zwischen Marc und Sebastian unterbrechen. Verdammt, woher nahmen diese Kinder bloß ihre ganze Energie? Grübelnd, Streit schlichtend, Susan und Ron wieder ausziehen und zur Toilette bringen und nebenbei zwei laufende kleine Nasen putzend, verbrachte Sophie gut eine dreiviertel Stunde mit den Vorbereitungen zum Spaziergang. Aufatmend zog sie den letzten Reißverschluss zu und erhob sich leicht ächzend vom marmornen Fußboden. Zufrieden betrachtete sie ihre kleinen Racker bevor sie ihnen die Tür öffnete. Trotz Ermahnung etwas leiser zu sein, sprinteten die schnellsten aus der Villa in den Park hinein. Vergnügt wurden die zum Teil schreiend bunten Regenschirme aufgespannt. Die Commander selbst trug ihren tarnfarbenen Regenmantel. Schweigend schritt sie hinter den aufgeregten Kindern her und hielt nach ungebetenen Gästen Ausschau. Ihre rechte Hand ruhte dabei die ganze Zeit am Waffengurt. Die Sicht war trotz Nieselregen wesentlich besser als bei ihrem Eintreffen in Manten City. Misstrauisch beäugte sie ununterbrochen die noch sichtbaren Büsche an der Grenze des Parks. Plötzlich bemerkte sie, wie Tom in Richtung Ausgang zur nächstgelegenen Allee verschwand. Innerlich die Abenteuerlust des Jungen und ihr Pech verfluchend, scheuchte Sophie alle Kinder mit recht barschen Worten wieder in die Villa zurück. Danach rannte sie in die Richtung, in die der Junge verschwunden war. Am Ausgang des Parks angekommen, suchte sie nach irgendeinem Hinweis, wohin der Ausreißer gelaufen war. Der Junge kannte sich in dieser Gegend besser aus als sie. Schließlich war er hier geboren und aufgewachsen. Wahrscheinlich wohnte Tom in der näheren Umgebung. Er hatte bereits vor ihrem ersten Zusammentreffen nach seinen Eltern Ausschau gehalten. Dummerweise unterschätzte er, wie jedes Kind in seinem Alter, die Gefahr, in die er sich mit seinem Verhalten begab. Sophie erspähte in dem angrenzenden Nebel mehrere schemenhafte Gestalten, die sich langsam bewegten. Als sich der Nebel zufällig etwas lichtete, waren sehr gut die braunen Uniformen der Wrangler zu erkennen. Die Commander verdrückte sich sofort in den Schutz der Büsche und zog ihren Blaster. Ihr war vollkommen klar, dass sie gegen diese Übermacht keine Chance hatte. Wo war bloß der Junge abgeblieben? Der Kleine hatte wie sie einen Regenmantel in einer eher gedeckten Farbe an. Im nebligen Grün der Büsche würde er sich gut verstecken können. Sophie hoffte aus tiefsten Herzen, dass Tom clever genug war sich vor den Outridern zu verstecken. Die Outriderpatrouille bog in eine der Nebenstraßen ein und verschwand aus Sophies Blickfeld. Bevor sie erleichtert aufatmen konnte, bemerkte sie eine in einem dunklen Material gekleidete Person, die aus der Ferne zu ihr herüberschaute. Für ein paar Sekunden blieb Sophie vor Schreck fast das Herz stehen. Sie war wie ein Anfänger von dem Feind geortet worden. Das es sich um einen Outrider handelte, dessen war sie sich fast sicher. Jedoch nichts Besonderes passierte. Die Gestalt verschwand so schnell im Nebel wie sie aufgetaucht war. Sophie war sich bewusst, dass ihre Hände zitterten. Wer immer das auch gewesen war, er wusste nun, dass sie sich hier in der Nähe aufhielt. Der dichte Nebel hatte sie und die Kinder bisher vor einer Entdeckung durch die Outrider bewahrt. Das Ende der Nebelperiode nahm ihnen jede Chance sich weiter vor den Feinden zu verstecken. Sophie verfluchte ihren Leichtsinn, der sie in diese denkbar schlechte Lage gebracht hatte. Schnell zog sie sich tiefer in die Büsche zurück und versuchte sich durch sie hindurch zu schlagen. Die tropfnassen Zweige schrammten hörbar an ihrer Kleidung und Sophie war dadurch gezwungen, sich etwas langsamer zu bewegen. Sie spürte die Bedrohung durch die mysteriöse Gestalt fast körperlich. Irgendwie bekam sie das Gefühl nicht los, dass der Outrider ihr mit weitem Abstand folgte. Der Regen hatte in der Zwischenzeit aufgehört und neue Nebelschwaden zogen auf. Sophie de Courtier stand bereits vor Anstrengung der Schweiß auf der Stirn, als sie sich wieder vor dem Hintereingang der Parkvilla befand. Vorsichtig entfernte sie die herabhängenden Ranken und schlüpfte durch den Eingang. In der Villa fand sie zu ihrem Erstaunen Tom vor, der einige Minuten vor ihr eingetroffen war. Voller Angst erzählte er von dem Fastzusammenstoß mit der Outriderpatrouille und von Jean-Claude, der ihn hierher zurück gebracht hatte. Sophie wurde mit einem Schlag blass. Mon Dieu, wer war das schon wieder?! „Tom, kennst du diesen Jean-Claude?“ Beunruhigt musterte Sophie den kleinen Jungen. Tom nickte eifrig. „Er ist ein Student. Papa hat ihn mal zu uns nach Hause eingeladen. Jean-Claude ist einfach cool!“ Grinsend betonte Tom das letzte Wort. Sophie unterdrückte ein Augenrollen. Das letzte Mal hatte sie es vergessen und der Schlingel benutzte seitdem jede sich bietende Gelegenheit mit gewissen Vokabeln um sich zu schlagen. Ihn als Nervensäge zu bezeichnen war noch ein harmloser Vergleich. ‚Hm, wieso läuft dieser Jean-Claude hier draußen frei rum und die Eltern der Kinder bleiben weiter unauffindbar. Wer ist dieser Typ?’ dachte die Commander bei sich. Ihr kam die ganze Sache sehr seltsam vor. Die geheimnisvolle Gestalt im Nebel fiel ihr mit einem Mal wieder ein. Waren sie und Jean-Claude ein und dieselbe Person? „Hat dieser Jean-Claude irgendwas über deine Eltern gesagt?“ löcherte die junge Frau den Jungen weiter. Tom zog die Stirn in Falten und schüttelte zögernd den Kopf. „Hat er irgendwas gesagt? Versuch dich zu erinnern, Tom!“ bat Sophie den Jungen. Wieder erntete sie ein Kopfschütteln. Seufzend betrachtete sie das traurige Gesicht von Tom. „Okay, macht nichts. Komm und hilf mir beim Vorbereiten des Abendbrotes.“ Nun bekam sie ein eindeutig säuerliches Gesicht zu sehen. Tom verzog seinen Mund zu einer Schnute. „Warum immer ich? Die anderen sollen auch mal dran sein! Du bist gemein!“ Maulte er und trollte sich wütend in den Spielraum. Jetzt rollte Sophie ihre Augen. Sie sah es nicht ein, für zwölf Kinder das Aschenputtel zu spielen. So schnell würde Tom ihr nicht davon kommen. Schließlich hatte er sich und die anderen durch seine Abenteuerlust in Gefahr gebracht. Das würde sie ihn nicht so schnell vergessen lassen. Da war außerdem noch die Sache mit diesem Jean-Claude. Er hatte Tom bis zur Villa begleitet und wusste jetzt dadurch wo sie sich befand. Sollte er mit den Outridern unter einer Decke stecken, war es um sie alle geschehen. Hier in dem von Outridern überrannten und kontrollierten Manten City gab es keinen Platz mehr, wo sie sicher waren. * Das Abendbrot und anschließende Zubettbringen war eine anstrengende Affäre. Die Kinder waren durch das Auftauchen der Outriderpatrouille ziemlich aufgekratzt. Sophie musste Tom regelrecht den Mund verbieten, weil er unter den Kleinsten mit seiner Story von dem Auftauchen der Wrangler und der ‚Rettung’ durch Jean-Claude Angst und Panik verursachte. Die junge Frau versuchte ihre Schützlinge irgendwie zu beruhigen. Nachdem eine lustige Geschichte über zwei Bärenbrüder die Aufmerksamkeit der Kinder auf andere Dinge des Lebens gelenkt hatte und alle Tränen getrocknet waren, kehrte Sophie aus dem Schlafsaal in den Aufenthaltsraum zurück. Sie ließ sich seufzend auf dem einzigen Sofa des Zimmers nieder. Bedrückt betrachtete Sophie durch das Fenster den im Dämmerlicht versinkenden Park. Sie fühlte sich müde und zerschlagen. Die letzten Tage zerrten eindeutig an ihrer Substanz. Ihre Gesundheit verschlechterte sich trotz Freds neuer Mittel unaufhörlich. Die tägliche Dosis an Schmerzmitteln schenkten ihr bis jetzt ein einigermaßen beschwerdefreies Leben. Die Explosion in ihrem Labor vor zwei Jahren kostete sie nicht nur ihre besten Freunde und Arbeitskollegen. Die fehlgeschlagenen Experimente ruinierten ihre Gesundheit und zwangen sie in den vorzeitigen Ruhestand. Mit Verbitterung musste sie der Ausmusterung und des Verbotes weiterer Forschungen in ihrem Spezialgebiet zustimmen. Ihre Akte wurde geschlossen und als ‚Hochgeheim’ klassifiziert. Das bedeutete das endgültige Aus für ihre wissenschaftliche und militärische Karriere. Nach der selbst gewollten Entlassung aus dem Militärkrankenhaus des Kavallerie Oberkommandos traf sie auf Fred Hunter, den Freund ihres Vaters. Er unterstützte sie in der ersten Zeit nach der Ausmusterung. Fred bewahrte sie davor in ein bodenloses Loch zu stürzen. Sie war ihm unendlich dankbar, dass er sie wieder aufbaute. Nach einiger Überwindung vertraute sie ihm die Erkenntnisse ihrer Forschungen an, mit der Hoffnung, Fred könnte diese bei seiner eigenen wissenschaftlichen Arbeit verwerten. Ihr ging es in erster Linie darum eine Möglichkeit zu finden, die den rasanten Zerfall ihres Körpergewebes stoppte. Doktor Hunter schaffte das schier Unglaubliche und entwickelte eine Methode, die Commander de Courtiers Gesundheit erst einmal stabilisierte. Das ausgesprochene Verbot und die Strafandrohung seitens des KOK interessierten ihn nicht. Seine Forschungseinrichtungen lagen im Gebiet des neutralen Gouvernements von Manten City. Der lange Arm der Gerichtsbarkeit der Vereinigten Planeten des Neuen Grenzlandes reichte nicht bis zu dem abgelegenen Planeten Manten. Sophie de Courtier war auf Grund ihrer Verletzung der Geheimhaltungspflicht gezwungen gewesen in den Untergrund abzutauchen. Abwesend massierte sie ihre schmerzenden Schultern, als ein lautes Klopfen an der Eingangstür sie aus ihren Gedanken riss. Zitternd holte sie ihren Blaster und entsicherte ihn. Das schlimmste, was ihr jetzt passieren konnte, waren ein paar Outrider vor dem Villeneingang. Aber Outrider würden nicht anklopfen, oder? Vielleicht war es dieser Jean-Claude, von dem Tom erzählt hatte? Über Com erspähte sie die gleiche dunkel gekleidete Gestalt vom Nachmittag. Diese machte sich am Schloss zu schaffen und stand wenig später im Foyer der Villa. Die Gestalt verbarrikadierte hinter sich fein säuberlich wieder die Tür. Ungläubig verfolgte Sophie das Treiben des Fremden. * Jean-Claude durchquerte den Eingangsbereich der Villa und ging in Richtung Aufenthaltsraum, den er von seinen früheren Besuchen noch recht gut in Erinnerung hatte. Ein kleines, kaum hörbares Geräusch an der Tür lenkte seine Aufmerksamkeit zu der Ursache. Eine dunkelblonde Frau mit großen grauen Augen stand dort und in ihrer rechten Hand lag ein auf ihn gerichteten Blaster. Ihre Miene war kühl und entschlossen. Er erkannte sie sofort wieder. Die Mächte des Schicksals hatten sie ihm nach zwei Jahren wieder über den Weg geschickt. * Der Fremde entfernte seinen Helm und ein gut aussehender Mann mit dunkelgrünem Haar und einem leicht grünlichen Hautton, sah mit einem leichten Grinsen zu ihr herüber. Der Waffe in ihrer Hand schenkte er lediglich einen kurzen Seitenblick. Irgendwie kam er ihr bekannt vor. Auf die Schnelle fiel ihr aber nicht ein woher. „Mein Name ist Jean-Claude. Sicherlich hat Tom Ihnen von mir erzählt?“ Seine Stimme war freundlich, aber seine Augen fixierten sie ununterbrochen. Sophie fühlte sich wie ein Käfer, der gerade aufgespießt wurde. Innerlich schauderte es sie. Die gesamte Aura des Mannes fühlte sich kalt an. Irgendwie unmenschlich. Unmenschlich?! Plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Jean-Claude war ein Outrider! Und wenn ihre Erinnerung korrekt war, hatte sie vor zwei Jahren ein Dossier über einen gewissen Kopfgeldjäger und Outrider mit dem Namen Jean-Claude gelesen. Zeugen hatten sich daran erinnert diesen Mann vor der Explosion in der Nähe der Forschungslabore gesehen zu haben. Jean-Claude beobachtete interessiert den Wechsel der Emotionen auf dem Gesicht der Frau. „Sie erkennen mich also wieder. Ich hatte schon alle Hoffnungen aufgegeben, Commander de Courtier.“ Ein amüsiertes Lächeln umspielte seinen Mund. Sophie musste sich arg zusammenreißen, um nicht vor Schreck zusammenzuzucken. Die bedrohliche Situation in der sie sich seit ihrer Ankunft auf Manten befand, hatte sich soeben verschärft. Das sich dieser Outrider bereits ein zweites Mal in der Nähe zu speziellen Forschungseinrichtungen aufhielt, mit denen sie etwas zu tun hatte, konnte kein Zufall sein. Jetzt war sich Sophie absolut sicher, weswegen die Outrider nach Manten City gekommen waren. „Was wollen Sie?“ Kühl musterte die Commander ihr Gegenüber. Jean-Claude zuckte kurz mit den Schultern. „Erst einmal eine Schlafmöglichkeit für die Nacht. Ich werde Ihnen in der nächsten Zeit Gesellschaft leisten.“ Mit Mühe konnte Sophie de Courtier gerade noch verhindern, dass sie vor Verblüffung die Augen weit aufriss. Was bildete sich dieser Kerl eigentlich ein?! Kam hier hereingeschneit und verhielt sich überhaupt nicht so, wie sie es von einem Outrider erwartet hätte. „Was bezwecken Sie damit?“ Sie hielt dabei immer noch ihren geladenen Blaster auf ihn gerichtet. Jean-Claude antwortete nicht sofort. Weiterhin die auf ihn gerichtete Waffe ignorierend ging er in die Gemeinschaftsküche und legte seinen Helm auf dem Esstisch ab. Sophie blieb nichts Weiteres übrig als dem Outrider in die Küche zu folgen. Jean-Claude fand in einem der Hängeschränke ein sauberes Glas und füllte es mit kühlem Wasser aus dem Wasserhahn. In wenigen Zügen trank er es aus. „Das Wasser ist von guter Qualität.“ Stellte er zufrieden fest. „Ich habe Sie etwas gefragt!“ Zischte Sophie erbost. Heute war einfach nicht ihr Tag! Jetzt hatte sie neben den Kindern auch noch einen unverschämten Outrider am Hals. Jean-Claude schoss einen weiteren halb belustigten Blick zu seiner unwilligen Gastgeberin. Verwundert notierte er ihr erschöpftes Gesicht und die dunklen Ringe um die Augen. Das war ihm wegen den Lichtverhältnissen im Foyer zuerst nicht aufgefallen. Behutsam stellte er das benutzte Glas vor sich auf den Tisch. „Sicherlich ist es Ihnen aufgefallen, dass diese Stadt den Outridertruppen gehört, Commander de Courtier? Umso größer war mein Erstaunen, als Tom mir heute Nachmittag in die Arme lief. Ich dachte, wir hätten alle Fleischlinge aus der Stadt entfernt.“ „Wo habt ihr sie hingebracht?“ Unterbrach ihn die Commander. Ihre grauen Augen glühten vor unterdrückter Wut. Sie zielte nun auf seinen Kopf. Ihre Hand verkrampfte sich um den Abzug der Waffe. Der Outrider ließ sich nicht aus seiner Ruhe bringen. Kühl musterte er die Frau. „Das braucht Sie nicht zu interessieren, Commander. Sprechen wir lieber von Ihrer Situation. Sie sind hier ganz auf sich allein gestellt. Außer Ihnen sind hier nur noch die Kinder. Niemand außer uns beiden weiß, dass Sie sich im Stadtgebiet aufhalten. Wenn Sie mich mit ihrem Blaster in die Phantomzone zurückschicken, werden meine Vorgesetzten von Ihrer Existenz erfahren. Wie lange werden Sie den Truppen standhalten, bevor sie getötet werden? Was wird dann aus den Kindern?“ Sophie de Courtier atmete einmal tief ein und aus, bevor sie die Waffe senkte. „Was meinten Sie mit ‚in der nächsten Zeit Ihnen Gesellschaft leisten’?“ Fragte sie, sich zur Höflichkeit zwingend. Jean-Claude zog einen Stuhl zu sich heran und bedeutete ihr ebenfalls am Tisch Platz zu nehmen. „Sagen wir mal, ich tue dies aus persönlichen Gründen. Die Gründe brauchen Sie jedoch nicht zu interessieren. In den nächsten Tagen sollten weder Sie noch die Kinder sich außerhalb der Villa blicken lassen. Ich kann sonst nicht für Ihre Sicherheit garantieren. Haben Sie verstanden?“ Sophie nickte. Was auch immer den Outrider zu seiner ungewöhnlichen Entscheidung veranlasste, sie war in seiner Hand. Beide wussten das. Nur was sich der Kopfgeldjäger letztendlich von dem Ganzen versprach, blieb ihr rätselhaft. Heute war wirklich ein ganz und gar beschissener Tag! * Sophie wurde am nächsten Morgen wie üblich von Janine geweckt, die in ihr Bett gekrochen kam. Halb murrend stand sie nach einer Weile auf. Es war wieder an der Zeit für die kleinen Monster das Frühstück zu machen. Noch halb schlafend ging sie ins Bad, um sich für den Tag frisch zu machen. Als sie sich im Spiegel erblickte schrak sie zusammen. Trotz Schlaf sah sie komplett fertig aus. Die Augenringe hatten sich nur geringfügig verringert und verliehen ihrem Gesicht das Aussehen wie nach einer durchzechten Nacht. Betrübt musterte Sophie sich im Spiegel bevor sie nach dem Makeup-Täschchen griff. Das hatte bisher immer geholfen. Einigermaßen erfrischt ging sie in die Gemeinschaftsküche. Zu ihrem Erstaunen fand sie dort den Outrider vor, der sich gemütlich eine Tasse Kaffee genehmigte. Seine halb spöttisch hochgezogene Augenbraue erinnerte Sophie daran, dass sie ihn die ganze Zeit über angestarrt hatte. „Erstaunlich.“ Murmelte sie und machte sich daran den Tisch für die Kinder zu decken. „Erstaunlich?“ wiederholte Jean-Claude fragend. „Ich finde es erstaunlich, dass sich ihre Spezies außer an Wasser auch noch an Kaffee rantraut.“ Bemerkte die junge Frau in einem beiläufigen Tonfall. Der Outrider grinste kurz und widmete sich wieder seinem Kaffee. Sophie zuckte mit den Schultern und ging die Kinder wecken. Sie hörte, wie die Außentür auf- und zuging. Besorgt eilte sie in die Küche, aber Jean-Claude war schon aus dem Haus. Verwirrt über dessen Benehmen und unbekannte Absichten versuchte sie sich halbwegs durch das gemeinsame Frühstück mit den Kindern abzulenken. * Tom und die anderen Kinder beschlagnahmten Jean-Claudes ganze Zeit, wenn er sich in der Villa aufhielt. Zuerst war er über den Enthusiasmus der Racker ziemlich irritiert. Die Commander saß etwas abseits und beobachtete, wie er mit den Kleinsten spielte und die Großen dazu brachte, ihre Spielsachen selber aufzuräumen und ihm bei der Hausarbeit zu helfen. Sie stellte fest, dass er mit den Plagen wesentlich besser fertig wurde, als sie. Die Kleinen flogen auf ihn und Sophie hatte den Eindruck, dass er in seiner eigenen reservierten Art die Zuneigung erwiderte. Sie begann sich zu fragen, wieso die Phantomwesen von sich behaupteten, ohne Gefühle zu sein. Gleichzeitig war ihr die Ruhepause von dem Stress mehr als willkommen. Einfach mal eine zeitlang nichts zu tun, wirkte Wunder für ihren Körper. Sie fühlte sich wesentlich besser, als vor Jean-Claudes Ankunft in der Villa. Nur wie lange würde der junge Mann ihre Faulenzphase tolerieren? Seufzend stand Sophie auf und griff bei der Zubereitung des Mittagessens zu. Schließlich wollte sie für sich und die Kinder eine vernünftige Mahlzeit auf dem Tisch haben. Was Outrider in ihrer Phantomzone so aßen, wollte sie lieber nicht so genau wissen. * Die nächsten zwei Tage ertappte sich Sophie immer wieder dabei, dass sie Jean-Claude anstarrte. War eine schlechte Angewohnheit, gewiss. Aber irgendwie verdrehte der junge Outrider ihr mit seiner Art den Kopf. Gleichzeitig machte sie die jetzige Situation fuchsig, da sie nicht wusste, was sich außerhalb des Parks in der Welt abspielte. War denn niemand von der Freihandelsgilde misstrauisch über das Ausbleiben von regelmäßigen Kontakten und Frachtverkehr geworden? Oder hatten die Outrider gleich Nägel mit Köpfen gemacht und die komplette Struktur der gesellschaftlichen Beziehungen studiert, bevor sie zugeschlagen hatten? Sophie fiel wieder Toms Hinweis ein, dass Jean-Claude bei seinen Eltern als Austauschstudent gewohnt hatte. Immer wieder dieser Jean-Claude! * Der junge Outrider schoss ihr im Laufe der nächsten Tage mehrmals einen Blick zu, den sie tunlichst versuchte zu ignorieren. Das konnte nur in die Katastrophe führen, wenn sie mehr darüber nachdachte, was dieser Blickkontakt im Endeffekt bedeutete. Trotzdem konnte sie nicht verhindern, dass ein ganzer Bienenschwarm sich in ihrem Bauch niederließ, wenn Jean-Claude in ihre Richtung schaute. Verdammte Hormone! * Jean-Claude kam eines abends von einem seiner Rundgänge zurück. Er überreichte Sophie eine Badlandlilie, wie sie an dem See vor der Stadt wächst. „Sie entspricht der rauen Schönheit dieses Planeten.“ Dabei lächelten seine Augen. Sophie strahlte und legte die Blume behutsam in ein Stück Presspapier und steckte sie in einen dicken Wälzer mit dem Titel ‚Die Geschichte der Erde und des Neuen Grenzlandes’. Jean-Claude beobachtete sie verwundert bei ihrem Tun. „So bleibt sie mir als Trockenblume noch lange erhalten.“ Erklärte sie ihm lächelnd. Er schüttelte dazu nur den Kopf. Sollten Blumen nicht ins Wasser gestellt werden? „Sozusagen als Dankeschön gibt es…“ hier nahm Sophie ihren ganzen Mut zusammen, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste Jean-Claude liebevoll auf die Wange. Er wandte seinen Kopf ein wenig und küsste sie voll auf den Mund. Seine beiden Arme zogen sie an sich und er ließ seine Hände über ihren Körper gleiten. Sophie erschauerte wohlig und vertiefte den Kuss enthusiastisch. Nach einer kleiner Ewigkeit lösten sich beide wieder voneinander. Sophie, ein klein wenig außer Atem, sah Jean-Claude in die Augen. „Okay, ich könnte mich daran gewöhnen!“ sagte sie gedehnt und blickte dabei eine Spur zu hoffnungsvoll. Jean-Claude grinste und zog sie wieder an sich. Irgendwann landeten sie auf dem Sofa und Sophie genoss in vollen Zügen seine Zärtlichkeiten. Behutsam öffnete Jean-Claude ihre Hemdbluse und widmete seine volle Aufmerksamkeit ihren Brüsten. Tausend kleine Elektrostöße durchfuhren Sophie bei seinen Berührungen und sie erbebte. Ihre linke Hand liebkoste seine niederen Regionen. Jean-Claude atmete einmal scharf ein und hob seinen Kopf. Seine blauen Augen glühten und er grollte. Sophie grinste und zog ihn zu einem weiteren Kuss zu sich herunter. * Den ganzen nächsten Tag verbrachte sie in Hochstimmung. Obwohl der junge Outrider am Morgen die Villa wieder verlassen hatte, hielt die gute Laune den ganzen Tag über an. Sophie war sich nicht ganz klar, wie das zwischen ihnen weitergehen sollte. Aber sie fühlte sich fantastisch und allein das zählte im Moment. Der erste Anfall kam völlig überraschend am darauf folgenden Abend, als die Commander sich im Bad für das Zubettgehen fertigmachen wollte. Ihr knickten einfach so die Beine weg und sie saß mindestens eine halbe Stunde lang zitternd auf dem kalten Fußboden. Das unkontrollierbare Muskelzittern hörte genauso schlagartig wieder auf, wie es angefangen hatte. Mühsam schleppte sie sich in ihr Zimmer und überlegte verzweifelt, was sie tun sollte. Das dieser Vorfall mit dem Unfall vor zwei Jahren etwas zu tun hatte, lag auf der Hand. Gut, dass Jean-Claude sich zurzeit nicht in der Villa befand. Sie durfte auf keinen Fall vor ihm in irgendeiner Form Schwäche zeigen. Er war immer noch der Feind mit unbekannten Absichten. Ihn um Hilfe zu bitten, schied deswegen schon von vornherein aus. Die einzige Frage, die sie jetzt beschäftigte, war: Wie viel Zeit blieb ihr noch bis zum totalen Zusammenbruch? Sophie de Courtier zog noch einmal Freds Stadtkarte aus ihrem Rucksack und studierte sie aufmerksam. In der Nähe der Stadtklinik lag Fred Hunters Forschungsinstitut. Das war einige Straßen weiter entfernt. Nicht ganz ein Kilometer. Auch wenn die Outrider die Stadt besetzt hielten und die Bewohner verschleppt hatten, sie musste in Freds Labor nach dem versprochenen Mittel suchen! Sie hatte keine andere Chance. Die Zeit lief ihr davon und der Zusammenbruch im Bad war nur ein Vorgeschmack dessen, was sie sehr bald ohne Medikamente erwartete. Sie musste es einfach riskieren, im Dunkel der Nacht zu dem Labor zu gehen. Sophie konnte nur hoffen, dass ihr niemand über den Weg lief. Sie musste auf jeden Fall vermeiden, die Aufmerksamkeit der anderen Outrider auf sich, beziehungsweise auf dieses Haus mit den Kindern zu ziehen! Schweigend bereitete Sophie alles für den Einsatz vor. Nach Mitternacht würde sie losgehen. * Die Straßen wirkten in dem leichten Nebel und durch das Fehlen jeglicher Geräusche recht unheimlich. Ein leichtes Nieseln setzte ein und begann die Kleidung zu durchnässen. Die Commander bewegte sich behutsam vorwärts. Sie wusste nicht, ob die Outrider irgendwelche Bewegungssensoren installiert hatten. Das ganze Unternehmen war purer Wahnsinn, aber sie hatte keine andere Chance. Wenn ihre Suche erfolglos blieb, dann war sie zu einem langsamen und qualvollen Sterben verurteilt. Allein Freds Forschungsergebnisse hatten sie bis jetzt so lange am Leben erhalten. Wenn es nach dem Willen des Kavallerie Oberkommandos gegangen wäre, wäre sie längst schon tot. Für einen kleinen Augenblick kam die alte Wut in ihr hoch. Ihre Freunde und Kollegen waren tot, weil so ein paar bornierte Holzköpfe am längeren Hebel saßen. Das würde sie ihnen niemals verzeihen! Der riesige Komplex des Krankenhauses ragte Minuten später vor ihr auf. Zu dem Labor waren es nur noch wenige Schritte. Wenn die Outrider diesen Planeten wirklich nur wegen Freds Forschungen erobert hatten, dann war alles futsch. Trotz aller Hinweise hoffte sie inbrünstig, dass die Phantomwesen hier auf Manten wegen anderer Gründe waren. * Der Zustand des Labors war katastrophal. Eindeutige Spuren eines heftigen Kampfes waren an den Wänden und zerstörten Einrichtungsgegenständen zu sehen. Ein paar Vitrinen waren zertrümmert und in den anderen die meisten Versuchstieren verhungert. Ein paar bewegten sich noch träge, als Sophie an ihren Kästen vorbei ging. Sterbliche Überreste von erschossenen wissenschaftlichen und anderen Mitarbeiten verpesteten die stehende Luft in den immer noch isolierenden Räumen. Sophie riss einen Arm vor ihr Gesicht und ging so schnell wie es ihr möglich war durch das Chaos. Ihre Verzweiflung wuchs von einem zerstörten Raum nach dem anderen. Nirgendwo konnte sie in dem Durcheinander ein Lager für Arzneimittel entdecken, dass Fred immer für Notfälle in Petto hatte. War es vielleicht in der Nähe seines Büros? Entschlossen lenkte sie ihre Schritte dorthin. In Freds Büro hatten die Angreifer am schlimmsten gehaust. Aber es waren keine sterblichen Überreste zu finden. Dafür war Sophie unendlich dankbar. Irgendwie hatte sie gehofft, dass der befreundete Wissenschaftler untergetaucht war und darauf wartete, bis sich die Lage auf dem Planeten Manten beruhigte. Wo würde Fred sein Lager verstecken? Soweit Sophie wusste, war er ein heimlicher Fan von Drehtüren. Die Verkleidung war von den Wänden abgerissen und der Fußboden aufgerissen worden. Da hatte also schon jemand etwas gesucht und nichts gefunden Die Decke war, wie in den anderen Räumen relativ hoch und noch unangetastet. Wo könnte Fred Hunter seine Sachen noch versteckt haben? Wenn nicht im Büro, dann möglicherweise am wohl unwahrscheinlichsten Ort. Sophie riss die Augen auf, als sie sich im Bereich der Mitarbeitertoilette aufhielt und beim Wandabtasten die Drehtür fand. ‚Fred, manchmal bist du echt verrückt!’ dachte sie. Der Arzneimittelbestand hinter der Drehtür war unglaublich. Ungeduldig durchforstete sie ihn und fand zu ihrer großen Enttäuschung nicht das versprochene neue Mittel. Verzweifelt saß sie vor den Medikamenten und kämpfte mit den Tränen. Ihre große Hoffnung war nur ein verzweifelter Wunsch gewesen. Der Outriderangriff hatte ihre letzte Chance auf Heilung zerstört. Sie würde auf diesem verdammten Planeten sterben. Müde steckte sie ihre Taschen mit Schmerzampullen voll. Die würden nur wenig gegen die Anfälle helfen. Aber das war auf jeden Fall besser als nichts. Ihre Uhr zeigte zehn Minuten nach drei, als Sophie de Courtier mit den gefundenen Sachen beladen, den verwüsteten Laborkomplex in Richtung Ausgang verließ. Sie war durch die Suchaktion ziemlich lange aufgehalten worden. Hier auf Manten begann es kurz vor vier schon hell zu werden. Sie musste sich also beeilen. Auf ihrem Weg zum Ausgang stolperte sie über eine der vielen Leichen. Mit einem unterdrückten Aufschrei stürzte sie zu Boden. Übelkeit wallte in ihr hoch, als der süßliche Verwesungsgeruch plötzlich unvermittelt stärker wurde. Durch eine angelehnte Labortür, zwei Schritte entfernt, drang bläuliches Licht in den Korridor. Die Commander entsicherte ihren Blaster und schlich zu der Tür. Vorsichtig stieß sie sie auf. Niemand befand sich in dem angrenzenden Raum. Das leuchtende Licht kam von mehreren drei Meter hohen Behältern. Neugierig trat Sophie näher und keuchte auf, als sie den Inhalt erkannte. Mehrere Outrider befanden sich in den medizinischen Versuchsboxen. Offensichtlich waren sie alle tot. Aber warum befanden sich ihre Körper noch in der menschlichen Dimension? Sophie de Courtier hob ihre Taschenlampe und las die Inschriften an den Boxen. Was sie da las, verschlug ihr die Sprache. Fred Hunter hatte medizinische Experimente an gefangenen Outridern durchgeführt! Er hatte ‚im Dienste der Wissenschaft’ getötet. „Oh, mein Gott!“ murmelte Sophie geschockt. Sie hätte nie gedacht, dass sie die Verlängerung ihres Lebens diesen toten Phantomwesen verdankte. Hatte Fred überhaupt kein Gewissen? Die junge Freu wandte dem Horrorszenario schaudernd den Rücken zu und floh aus dessen Reichweite. Kurz bevor sie das Treppenhaus betreten wollte, trat ein großer Schatten auf sie zu. Er trug so etwas wie einen Umhang und strahlte eine unheimliche Aura aus. Sein Kopf war mit einem gehörnten Helm bedeckt. Sophie schluckte. Ihr fiel spontan der Namen eines Outriders ein, der so angezogen war: ‚Gattler?!’ Hinter ihm kamen mehrere Wrangler mit gezogenen Waffen näher. „Merde!“ rutschte es aus der jungen Frau heraus. Das Glück schien sie auf diesem Planeten völlig in Stich zu lassen. Ihr blieb nur noch die Flucht nach vorn. „Tag, Outriderchen!“ grüßte sie den Commander frech und verdrückte sich so schnell sie es konnte um die Ecke. „Ah, das Menschlein liebt Witze zu machen! Leute macht ihn fertig!“ brüllte der Outriderkommandant und die Wrangler setzen Sophie nach und feuerten, was das Zeug hielt. Die Commander kam bei ihrer Flucht an einem Buntglasfenster vorbei. Entschlossen kehrte sie um und sprang mit Schwung durch das Glas. Weiter unten waren genügend Büsche, die ihren Sturz aufhalten würden. Hoffentlich! Der Outriderkommandant brüllte wütend: „Hinter ihm her Jungs. Ich will den Fleischling fertig verschnürt wiederhaben!“ Sophie hinkte so schnell es ging außer Reichweite. Sie fluchte unterdrückt. Bei ihrem jetzigen schlechten Gesundheitszustand auch noch durch ein Fensterglas und in die weiter unten gelegenen Büsche zu springen, welcher Teufel hatte sie da bloß geritten?! Eine kräftige Hand riss sie am Arm in ein Haus. Der Mann verriegelte die Tür hinter sich und der jungen Frau. Mit vor Schreck wummernden Herzen erkannte Sophie im vagen Licht Jean-Claudes Gesicht, der sie finster ansah. Vor der Tür waren die Wrangler und Gattler zu hören. Der junge Outrider antwortete etwas in der Sprache der Outrider und schlüpfte zur Tür hinaus. Vor der Tür brüllten sich beide Commander an. Gattler zog grollend mit seinen Wranglern davon. Sophie de Courtier verfolgte hinter der Haustür versteckt, ungläubig den Streit. Um was ging es da gerade? Warum hatte Jean-Claude sie beschützt? Langsam sah sie nicht mehr durch. Ein weiteres Mal gaben die Beine nach und sie sank mit unkontrollierbarem Muskelzucken zu Boden. Der Outrider Jean-Claude kam zur Tür herein und sah ungläubig und besorgt auf die junge Frau herab. Ihre Konvulsionen sahen bedrohlich aus. Das Zucken ließ schließlich nach. Entschlossen trat er an sie heran und nahm die Bewusstlose auf seine Arme. Vorsichtig verließ er das Haus und ging mit seiner Last zu seinem in unmittelbarer Nähe parkenden Gleiter. * Sophie erwachte aus ihrem unfreiwilligen Schlaf. Mühsam öffnete sie ihre Augen und sah Jean-Claude, der sich über sie beugte. „Haben Sie diese Anfälle öfters, Commander?“ fragte er. Sophie schüttelte ein wenig den Kopf. Der junge Mann zog sich zurück und ließ einen älter aussehenden Outrider an die Liege herantreten. „Ihr gesamter Körper befindet sich in einem phasenverschoben Zustand und das führt zu einem totalen Zusammenbruch ihres Nervensystems in wenigen Stunden. Wie haben Sie diesen Zustand so lange hinauszögern können? Nach meinen Berechnungen kann ein Fleischling diese Phasenverschiebung nicht länger als eine Woche bis zum Exitus überleben.“ Commander de Courtier zog spöttisch ihre Augenbrauen hoch und meinte sarkastisch: „ Ich bin total gerührt von Ihrer Anteilnahme an meinem traurigen Schicksal.“ Sie sah, wie der Wissenschaftler irritiert von ihr zu Jean-Claude sah. Der junge Outrider erklärte dem älteren Mann schnell etwas in der Sprache der Outrider. Danach schickte er ihn weg. Jean-Claude wandte sich wieder an die Frau. Um seine Mundwinkel spielte ein leicht amüsiertes Lächeln. „Commander Gattler wünscht Ihren Kopf auf einen Silbertablett für unseren Boss Nemesis. Nemesis hat mich jedoch beauftragt Sie in die Phantomzone zu bringen. Leider ist Ihr jetziger Zustand nicht geeignet, um einen Sprung in die Phantomzone lebend zu überstehen. Ich habe eine mögliche Korrektur der Phasenverschiebungen angeordnet. Da diese schon ziemlich lange Ihren Körper zerstören, weiß mein wissenschaftlicher Offizier nicht, ob eine Heilung überhaupt möglich ist. Sie haben diese Verletzungen seit der Explosion vor zwei Jahren in Ihrem experimentellen Labor, nicht wahr?“ „Das ist richtig. Sie müssen es ja wissen, denn Sie waren ja in unmittelbarer Nähe, als das Experiment außer Kontrolle geriet.“ „Sagen wir mal, wir Outrider haben da etwas nachgeholfen. Schließlich wäre es für mein Volk sehr unvorteilhaft, wenn ihr Fleischlinge in unsere Dimension eindringen könntet. Ihre Forschungen, Commander, mussten deshalb gestoppt werden. Das Kavallerie Oberkommando nahm uns einen Teil der Arbeit ab, als es Ihnen weitere Forschungen in der Dimensionstheorie strikt untersagte.“ Der Outrider Jean-Claude schenkte ihr noch einen kurzen Blick, bevor er sich wieder dem älteren Wissenschaftler und dessen Crew zuwandte und mit ihnen die Lage besprach. Sophie fühlte weder Angst noch Schmerz. Die Dosis der verabreichten Schmerzmittel schien relativ hoch gewesen zu sein, denn sie hatte das Gefühl, als ob sie schweben würde. Was auch immer die Outrider mit ihr anstellen würden, sie hatte keinerlei Einfluss darauf. Jean-Claudes Bemerkung über Nemesis kam ihr wieder in den Sinn. Was wollte bloß der Oberkommandierende der Phantomwesen von ihr? Egal, das würde sie früher oder später noch erfahren. Die Commander dämmerte wieder in einen drogeninjizierten Schlaf hinüber. * Jean-Claude studierte aufmerksam die verschiedenen Berichte und Arbeitsunterlagen, die sich vor ihm auf dem Schreibtisch stapelten. Wie es aussah, waren hier auf Manten die Forschungen der Wissenschaftlerin Commander Sophie de Courtier überraschender Weise erfolgreich fortgeführt worden. Der Tipp, den er von einem Insider des Gouvernements bekommen hatte, stellte sich als goldrichtig heraus. Er und Commander Gattler hatten bis jetzt alles getan, um die Daten zu zerstören und die daran arbeitenden Wissenschaftler unschädlich zu machen. Sein Auftrag von Nemesis würde mit der Überführung der menschlichen Wissenschaftlerin in die Phantomzone abgeschlossen sein. Ihn erwartete dafür ein Aufstieg auf der Karriereleiter. Commander Gattler würde die Besetzung von Manten fortführen und die natürlichen Rohstoffe des Planeten für den Bedarf ihres Volkes abbauen lassen. Der junge Outriderkommandant warf ein Memopad wieder auf den Tisch zurück und ging zum Fenster, welches ihm einen guten Überblick über die Innenhalle der Outriderbasis gab. Mehrere Meter unter ihm war eine Phantomkammer an mehreren Geräten angeschlossen. Eine ständige Wache war extra dafür abgestellt worden, um den für Nemesis kostbaren Inhalt zu beschützen. Seit einer Woche versuchten verschiedene Outriderspezialisten, den weiblichen Gefangenen von den Folgen der tödlichen Phasenverschiebungen zu befreien. Die Behandlung zeigte erste Erfolge. Bald würde Commander de Courtier transportfähig sein und zusammen mit ihm in die Phantomzone fliegen. Ein leichtes Bedauern durchfuhr den jungen Outrider, als er an Sophie dachte. Das kurze Zusammenleben mit ihr in der Villa, hatte ihn mehr beeinflusst und verändert, als es ihm lieb war. In ihm waren verwirrende Gefühle erwacht, die er durch sein jahrelanges, eisernes Training längst tot geglaubt hatte. Er hatte an jenem Abend seinen Gefühlen nachgegeben und war ein wenig überrascht gewesen, als von der Commander die übliche Reserviertheit abfiel und sie auf seine Wünsche reagierte. Was vor mehr als einer Woche zuerst als Spiel begann, war zu etwas anderem geworden, was ihn nun nicht mehr loslassen wollte. * Der Boden unter Jean-Claudes Füßen bebte mehrmals heftig und riss den jungen Outrideroffizier von den Füßen. Der Angriffsalarm schrillte durch die Basis und die Truppeneinheiten formierten sich zur Gegenwehr. Die menschlichen Gefangenen wurden von ihren Arbeitsplätzen an den verschiedenen Renegadeeinheiten zurück in ihre Zellen getrieben. Er rannte zur Einsatzzentrale und sah wie Gattler den fertigen Renegade gegen die angreifende Ramrodeinheit losschickte. Auf dem Hauptbildschirm waren die vorrückenden Fleischlingstruppen deutlich erkennbar. Eine Flotte der Freihandelsgilde und die Spezialeinheit des Kavallerie Oberkommandos griffen gemeinsam die Outrider aus allen Rohren an. Seit wann operierten diese erklärten Gegner zusammen? Die Fleischlinge überraschten ihn immer wieder mit ihren unberechenbaren Aktionen. Verärgert beobachtete er, wie Ramrod Kleinholz aus dem Renegade machte. Es war höchste Zeit, die eigene Haut und seinen noch nicht ausgeführten Auftrag zu retten! Den Stützpunkt zu halten war Gattlers Sache, nicht seine. Jean-Claude rannte zu der einzigen Phantomkammer, die es in dieser Basis gab. Auf dem Weg dorthin flogen ihm die Steine der Höhlendecke fast auf den Kopf. Der Zugang zu dem Innenraum der Basis war nun versperrt. Fleischlingssoldaten lieferten sich mit den Wranglern heftige Gefechte. Schnell ging der junge Outrider in Deckung. Ein Querschuss streifte sein Bein. Er konnte es plötzlich nicht mehr spüren! Jean-Claude riss überrascht seine Augen auf, als er bemerkte, dass die Menschen mit Betäubungsgeschossen die Outridersoldaten kampfunfähig machten. Mühsam vorwärts humpelnd, versuchte er aus der nun von Menschen besetzten Basis zu entkommen. * Sophie erwachte in einem Krankenzimmer in der Klinik von Manten City. Verwundert schaute sie sich um und erkannte ihren väterlichen Freund, wegen dem sie nach Manten gekommen war. Er stand mit dem Rücken zu ihr am Fenster und schaute auf die in die Innenstadt strömenden Menschenmassen. „Fred?“ Fragend sah sie ihren Freund an. Dieser drehte sich erfreut zu ihr um und eilte an ihr Bett. „Endlich bist du wieder wach!“ sagte er und setze sich auf einen Stuhl neben ihrem Bett. „Wie geht es dir? Du warst ziemlich lange in eine Art Koma. Kannst du dich an irgendetwas erinnern?“ Sophie hob halb im Scherz abwehrend ihre Hände. „Stopp, stopp, Fred! Mir schwirrt schon der Kopf!“ lachte sie. „Mir geht es gut, kann nicht klagen. Fühle mich bloß ein bisschen schlapp.“ Fred sah sie erleichtert an. „Das kommt von deinem langen Aufenthalt im Bett.“ Verdutzt blickte Sophie den Arzt an. „Wie lange liege ich denn schon?“ „Du bist seit knapp einer Woche in meiner Obhut. Unsere vereinigten Truppen haben dich in der Outriderbasis in einer Art Stasisbox gefunden. Wir wissen nicht genau, was die Outrider mit dir gemacht haben. Die Phasenverschiebungen, die deinen Körper an den Rand des Zusammenbruchs geführt haben, sind verschwunden und deine Gesundheit wieder hergestellt. Deshalb frage ich dich noch einmal. Kannst du dich an irgendetwas erinnern?“ Vor Sophies innerem Auge schob sich ein Bild von dem jungen Outrideroffizier Jean-Claude. Instinktiv wusste sie, dass Fred ihre Gefühle für den Outrider verdammen würde. Der Bruder und die Eltern von Doktor Hunter waren bei den Überfällen vor mehr als sechzehn Jahren ums Leben gekommen. ‚Ich weiß, dass du sie aus tiefstem Herzen hasst.’ Dachte sie mit einer Spur von Trauer. ‚Das habe ich an den getöteten Outridern in den Stasisbehältern gesehen, die du für deine Experimente missbraucht hast. Was unterscheidet dich noch von ihnen? Du bist ihnen ähnlicher, als es dir bewusst ist.’ Sie entschloss sich zu einer Mischung aus Lüge und Wahrheit. „Fred, ich erinnere mich, wie ich in der Klinik Insulin für eines der Kinder geholt habe…Oh mein Gott! Die Kinder! Fred, was ist mit den Kindern passiert, die mit mir während der Besatzungszeit in der Villa am Standrand gelebt haben?!“ Doktor Hunter lächelte sie beruhigend an. „Denen geht es gut. Was für ein glücklicher Zufall, dass du die Kinder noch rechtzeitig vor den Outridern gefunden hast! Irgendjemand hat sich noch in der Villa aufgehalten, ein Austauschstudent. Leider wissen wir nicht, was aus ihm geworden ist. Wahrscheinlich ist er nach deinem Verschwinden auf die Suche nach dir gegangen und dabei von den Outridern getötet worden. Wir haben die Behörden auf Lewa gebeten, dass sie seine Eltern benachrichtigen.“ „Das tut mir leid!“ Sophie senkte den Blick und biss sich auf die Unterlippe. Sie war erleichtert, dass es den Kindern gut ging. Ihre Gedanken wandten sich dem Problem Jean-Claude zu. Die Tarnung des Outriders war wirklich perfekt. Das war gut, denn wie sollte sie sich rechtfertigen, mit einem Feind unter einem Dach gelebt zu haben? Gleichzeitig musste sie in Zukunft doppelt auf der Hut sein, denn aus irgendeinem Grund sollte sie in die Phantomzone entführt werden. Diese Gefahr bestand immer noch. Fred räusperte sich vernehmlich und riss sie dadurch aus ihren Gedankengängen. Sophie nickte und führte ihren Bericht fort. „Eine Outriderpatrouille überraschte mich. Sogar Nemesis höchster Kommandant Gattler war mit anwesend. Ich flüchtete und rettete mich in eines der Häuser, wo ich einen Anfall bekam, vor denen du mich immer gewarnt hast. Wenig später wurde ich ohnmächtig. Was danach kam, ist in meinem Gedächtnis nur noch undeutlich vorhanden. Ich hatte furchtbare Schmerzen und da waren diese Stimmen, die ständig etwas von mir wissen wollten. Ich wollte nur noch, dass es aufhört. Mehr weiß ich nicht.“ Seufzend schloss sie die Augen. Die Erinnerungen an die Qualen während der ersten Behandlungszeit waren mehr als unangenehm. Doktor Fred Hunter legt ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter. „Was auch immer die verdammten Outrider mit dir angestellt haben, es ist vorbei. Also, Kopf hoch…“ Sophie schmunzelte, als sie den Lieblingssatz ihres Freundes ergänzte. „…und Brust raus. Ja, ich weiß!“ Beide grinsten sich an und Fred schüttelte den Kopf. „Du kennst mich zu gut!“ meinte er gut gelaunt. Plötzlich summte sein Comgerät in der Brusttasche seines Kittels. Er holte es heraus und meldete sich mit seinem Namen. Angestrengt lauschte er dem Anrufer. „In Ordnung, Bürgermeister.“ Mit diesen Worten beendete er das Gespräch und schaltete das kleine Gerät wieder aus. „Ich habe noch was zu erledigen. Wir sehen uns heute Abend. Ruhe dich bis dahin noch aus, Sophie.“ Er verabschiedete sich eilig und ging. Die Commander sah ihm etwas verdutzt nach. Fred war immer so, wenn es um seinen Job ging. ’Was soll’s!’ Sie zuckte mit den Schultern und lauschte den Geräuschen, die von dem geöffneten Fenster in das Zimmer einströmten. Das laute Stimmengewirr von der Straße verstärkte sich zusehends. Verwirrt über den ungewohnten Geräuschpegel erhob sich Sophie aus dem Bett und ging mit Mühe ein paar Schritte zum Fenster um nachzusehen. Ganz Manten City schien auf den Beinen zu sein. Eine Menschenmasse aus Zivilisten und Soldaten wälzte sich auf die Innenstadt zu. Sophie wusste aus vergangenen Gesprächen mit Fred, dass sich in der Innenstadt die Verwaltungsgebäude und unter anderem auch das Rathaus befanden. Wahrscheinlich wurden öffentlich der Wiederaufbau und die nötigen Hilfeleistungen für die Geschädigten besprochen. Gleichgültig wandte sie sich von dem für Manten Citys Verhältnisse ungewöhnlichem Schauspiel ab. * Gegen Abend kam Fred Hunter wieder zurück und dinierte mit seiner Bekannten im Speisesaal der Station. Seine Frau hatte für ihn und Sophie ein Abendmenü mit freundlichen Grüßen geschickt. Sophie war gerührt über diese Geste und über das gute Essen. Nach dem Essen brachte der Doktor die Commander wieder ins Zimmer zurück. Sophie setzt sich auf ihr Bett und sah Fred mit ernsten Augen an. „Fred, erzähl mir bitte, was genau in den letzten Wochen passiert ist. Mir fehlen einige wichtige Puzzleteilchen um ein ganzes Bild vor Augen zu haben.“ Fred setzte ein ernstes Gesicht auf. „Die Outrider kamen aus einem einzigen Grund nach Manten City. Sie haben von irgendeiner undichten Stelle im Kavallerie Oberkommando oder dem Gouvernement einen Tipp über die Existenz von meinen Experimenten bekommen. Wie du weißt, habe ich an einer Möglichkeit gearbeitet, dir eine Chance auf vollständige Genesung zu bieten. Die Outrider befürchteten, dass unsere gewonnenen Erkenntnisse in der Phasierung von Personen und Gegenständen als Waffe gegen sie eingesetzt würden. Damit hatten sie nicht ganz Unrecht. Bei meinen letzten Tests fand ich eine Phasierungsmethode, durch die Phantomwesen erfolgreich an dem Sprung in ihre eigene Dimension gehindert werden können. Diese Methode ist wesentlich effizienter als das Antiapparationsnetz, welches das Kavallerie Oberkommando seinen Spezialeinheiten zur Verfügung stellt. Der Gouverneur und die Ratsmitglieder von Manten haben in ihrer letzten Kriegsratsitzung vor dem Angriff der vereinigten Truppen auf die Outriderbasis beschlossen, diese Methode bei jedem gefangenen Outridern anzuwenden. Während des Kampfes konnten eine Reihe Phantomwesen betäubt und gefangen genommen werden. Die darauf folgenden Tests mit den Subjekten waren äußerst erfolgreich. Leider ist es mir nicht möglich, weitere Feldforschungen zu betreiben, da die Bürgerversammlung heute Mittag die Gefangenen wegen ihrer Verbrechen zum Tode verurteilt und hingerichtet hat.“ Sophie de Courtier wurde bei dieser Information kalkweiß im Gesicht. Ihr ganzer Körper fing an unwillkürlich zu zittern. In ihrem Kopf existierte nur ein Gedanke: ‚War Jean-Claude unter den Hingerichteten?’ Sie wollte dies nicht glauben und war selbst überrascht, wie weh der Gedanke an einen möglichen Tod des jungen Mannes tat. Ein Wimmern entrang sich ihrer Kehle. Ihr ganzer Körper begann zu zucken und sie brach in einen hysterischen Weinkrampf aus. „Notfall!“ brüllte Doktor Hunter, während er versuchte seine sich wild wehrende Patientin ins Bett zurückzudrücken. Mehrere Pfleger und Schwestern stürzten in das Krankenzimmer. Einer von ihnen hatte den Notfallwagen dabei und zog bereits eine Beruhigungsspritze auf, die der Arzt unter großer Mühe in den Oberarmmuskel der sich plötzlich wie eine Wildkatze wehrenden Frau spritzte. Erst nach einer zweiten Injektion brach der verzweifelte Widerstand von Sophie in sich zusammen. Keuchend und total fassungslos über dem Ausraster seiner Bekannten, sank der Arzt auf den Stuhl neben dem Bett. Dankbar nahm er ein Glas Wasser von seinem Stationspfleger an. Die seltsame Reaktion von Sophie de Courtier auf die Nachricht von der Hinrichtung aller gefangenen Outrider verblüffte ihn. Wenn sie aus dem drogeninjizierten Schlaf aufwachte, würden sie beide ein langes Gespräch miteinander führen. * Mehrere Tage nach dem Zwischenfall erwachte Sophie in ihrem Krankenzimmer und setzte sich auf. Es war früher Vormittag und die Sonne schien durch das Fenster. Das Auftauchen der Sonne am Himmel von Manten kündigte das Ende der Nebelperiode an. Es war mehr als ein Monat vergangen, seitdem sie mit ihrem Raumgleiter in den Badlands gelandet war. Eine ganze Menge war seitdem geschehen. Die kurze Zeit mit Jean-Claude erschien ihr wie ein bloßes Nebelgespinst, welches sich unter dem Einfluss der Sonne aufzulösen begann. Innerlich seufzend sah sich Sophie im Zimmer um und nestelte gedankenverloren an ihrer Bettdecke. Der Bettbezug hatte ein paar hellblaue Streifen und hob sich etwas gegen die weis getünchte Wand des Krankenzimmers ab. Auf dem Nachttisch lehnten mehrere Grußkarten gegen eine Vase mit einfachen blaugelben Wiesenblumen. Neugierig griff Sophie nach den Karten und musste bei der ersten über die krakelige Kinderschrift von Sebastian, eines der Kinder aus der Villa, lächeln. Die restlichen Genesungswünsche stammten von Freds Familie und Bekannten aus der Stadt. Verwirrt schaute sie auf eine unbeschriebene Grußkarte, die eine gepresste Badlandlilie auf der Vorderseite hatte. Ihr Herz begann zu rasen und mit zitternden Händen strich sie liebevoll über die Trockenblume, die ihr Jean-Claude an jenem Abend vom See mitgebracht hatte. ENDE Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)