Dio è piccolo von monophobie (Gott ist klein) ================================================================================ Kapitel 1: Gott ist klein ------------------------- Titel: Dio è piccolo – Gott ist klein Teil: 1/1 Fandom: Original, Shounen-ai Warnings: Shounen-ai, Yaoi, Blasphemie (wenig) Autor: Dini Claimer: Alles meins! Charaktere, Handlung und sonstiges ist frei bei mir erfunden und wer klaut, stirbt! ;) Viel Spaß mit: Die è piccolo Gott ist großartig. Unser aller Leben spiegelt Gott wieder. Gott ist überall, denn Gott ist groß. Und Gott ist gütig. Er liebt und er verzeiht. Gott ist großartig. So großartig, dass er sich in einem Leben zusammen fassen lässt. So großartig, dass man ihn in einem kleinen, katholischen Dorf finden kann. So gigantisch, dass ihn nur zwei Menschen darstellen können. Gott ist großartig. Und genau deswegen sind wir alle keine Götter. „Ich habe gesündigt, Pater Christian.“ Ich vernahm ein erschrockenes Schlucken meines Freundes, es wurde stiller. Die grünen Augen suchten sich den Weg durch das kleine Fenster zu mir, um sich zu versichern, dass die Stimme dem gehörte, der es zu sein schien. „Gesündigt? Andreas, lege Beichte ab, um Himmels Willen, du musst Buße tun.“, erwiderte der Pater mit ein wenig Hysterie in der Stimme. Ich nickte lächelnd, wand mich zu dem vergitterten Fenster des Beichtstuhls. „Es ist nicht so einfach wie du denkst, mein Freund.“, sagte ich ruhig. Ich konnte ihn sehen, wie er sich die Schärpe zurecht rückte, sich wappnete für dieses Gespräch. „Lege Beichte ab, danach fühlst du dich besser, Pater Andreas.“, er blickte durch das Fenster in meine Augen. „Nenne mich nicht Pater, Christian. Meine Sünde ist verwerflich, ich habe den Titel als Gottes Diener verloren.“, seufzte ich leise, betrachtete meine Hände. Es wurde bereits dunkel draußen, nur die Kerzen flackerten im zugigen Wind, der durch das Kirchentor zog. „Andreas, sag so etwas nicht! Es ist nicht zu spät, büße deine Taten und Gott wird dir verzeihen.“ Die leichte Hysterie meines Freundes war kaum überhörbar, er wand sich weiter zu der dünnen Wand, die uns trennte. Ich sah ihn an, neigte den Kopf dabei leicht. „Möchtest du mir meine Beichte abnehmen, Freund und Leidensgenosse?“ Pater Christian strich sich das braune Haar aus den Augen, nickte. „Gern, Freund.“, sagte er mit gewisser Erleichterung in der Stimme. Ich lehnte mich im Beichtstuhl etwas zurück, sah an die Decke hinauf. „Ich hoffe du hörst mir als Freund zu, nicht als Pastoren, die wir sind, Christian. Wir kennen uns ewig, sind ewig schon befreundet, sind den gleichen Weg gegangen, doch mein Pfad trennte sich erst kurz von deinem, Freund. Überlege dir gut, ob du hören willst, was ich tat.“ Ein erneutes Schlucken war von der anderen Seite zu hören, er seufzte resignierend in seine Hand. „Erzähl mir deine Geschichte, ich richte, wie ich es für richtig halte.“, war seine Antwort. Ich nickte zustimmend, schloss die Augen kurz um die Vergangenheit einholen zu können: „Ich habe am Fleisch gesündigt, Christian.“ Der Angesprochene räusperte sich leise, klopfte sich kurz auf die Brust. „Hast du Hand an dich gelegt, Andreas? Ich kann dich beruhigen, Gott verzeiht so etwas. Jeder tut...“ Doch ich unterbrach ihn im Satz: „Nein, nein... ich habe nicht Hand an mich gelegt. Ich... nun...“ Nun war Christians Bedenken zurück, er lehnte sich mehr vor, sah durch das Gitter. „Du hast mit einer Frau fleischige Sünde begangen? Andreas, das...“ Doch als er sah, dass ich den Kopf lächelnd schüttelte, verstummte er. „Lausche mir, Christian. Ich beginne beim Anfang, lasse dich selbst über diese Geschehnisse urteilen. Lausche mir, urteile dann.“ Sein Nicken deutete ich als Zustimmung, begann nun seufzend mit meiner Erzählung: „Es ist nun schon mehrere Wochen her, es war der erste Advent, ich hielt gerade meine Lesung aus der Bibel, wie ich es zu jedem Advent tat. Fast das ganze Dorf war anwesend, aber das weißt du sicherlich noch selbst, Christian. Allerdings hatte sich diesmal ein Schaf zu uns gesellt, dass mir nicht bekannt vorkam. Ich hatte ihn noch nie gesehen, obwohl sein Äußeres, sein Erscheinungsbild, doch sehr einprägsam ist. Erinnerst du dich an den großen Schwarzhaarigen? Er saß in der letzten Reihe, lauschte meiner Rede mehr oder minder aufmerksam, ließ den Blick meist schweifen und gähnte ab und an genüsslich. Ein Ungläubiger, so wie ich sofort feststellte, vielleicht nur jemand, der sich bei dem Schneesturm draußen, in die Kirche geflüchtet hatte. Auch sonst niemand der übrigen Dorfbewohner schien er vertraut, oder zumindest grüßte ihn niemand, redete mit ihm oder nahm gar Notiz. Er saß einfach nur dort, allein, ohne wenn und aber. Er machte mich ja fast schon nervös, wenn er zu mir sah, mich mit den kalten blauen Augen zu durchbohren schien. Doch nach einiger Zeit legte es sich, ich achtete nicht mehr auf ihn, führte meine Messe zu ende, nahm Grüße und Glückwünsche entgegen und verabschiedete die Kirchengemeinde. Ich begann schon aufzuräumen, als ich plötzlich ein leises Klatschen hörte, das von den schweren Steinfassaden wiederhallte. Verstehst du wie verdutzt, ja fast erschrocken, ich war, als ich mich umwand und beim ersten Blick niemanden entdeckte? Allerdings trat dann hinter den Kerzenleuchtern jemand hervor, dunkel und groß, mit einem Lächeln, dass mich erschüttern ließ. Der Ungläubige, stellte ich fest, als Einzigster noch hier. ‚Die Messe ist beendet’, sagte ich als er immer näher kam, sich in der Kirche umsah. Allerdings achtete er weder auf meine Worte, noch auf mich, kam nur näher, die Hände in den Hosentaschen vergraben und mit einer kühlen Arroganz im Blick. ‚Nun wohne ich schon fast vier Monate hier und habe noch nie die örtliche Kirche besucht.’, murmelte er leise, sah dann zu mir. ‚Seltsam, nicht wahr? Wie das Schicksal so spielt... da ziehe ich in ein katholisches Dorf und besuche nie die Kirche. Allerdings wusste ich schon wieso. Die Pastoren erzählen hier genauso viel Mist, wie überall auch.’, lachte er leise, kam die kleine Treppe zum Altar hoch. Du verstehst, Christian, dass man so etwas nicht auf sich sitzen lassen konnte. Ich bin ein Mensch der Gerechtigkeit und eben deswegen verteidigte ich meinen Standpunkt. ‚Mist? Ich verstehe nicht was Mist daran sein sollte.’, erwiderte ich ruhig, denn wie du weißt, lass ich mich so leicht nicht aus der Fassung bringen. Er zuckte allerdings nur gelangweilt mit den Schultern, lehnte sich an den Altar und sah zu mir rüber, musterte mich kurz. ‚Das ganze Gelaber von wegen Bibel... peh.’, die Ungläubigkeit war ihm ins Gesicht geschnitten, doch du selbst hast ja solche Härtefalle auch schon erlebt, nicht wahr? Also erwiderte ich weiter ruhig und sachlich: ‚Ich nehme an sie sind nicht gläubig?’ Doch was nun kam, überraschte mich sehr, nicht sein ironisches Lachen, das hatte ich befürchtet, doch seine Antwort war... ja, kaum zu glauben: ‚Ich bin gläubig, nehmen sie mich ruhig ernst. Ich glaube an Gott, oder ist das so abwegig?’ Ich sah ihn an, zog die Brauen verwundert nach oben. Verständlich, nicht wahr? ‚Sind sie? Und dann greifen sie die Bibel an? Das Wort Gottes?’, erwiderte ich, war fast sicher, dass er mich nur auf den Arm nahm, doch seine Ruhe war genauso unerschütterlich wie meine: ‚Korrekt. Das tue ich, allerdings ist es nicht das Wort Gottes.’ Ich wand mich mehr zu ihm, das Gespräch bekam nun doch interessante Dimensionen und eben so interessiert gab ich mich. ‚Nicht? Was ist die Bibel ihrer Meinung nach dann?’, fragte ich ernsthaft. Er lachte wieder leise, lehnte sich zurück und sah zum Kruzifix. ‚Die Bibel ist das Wort, dass der Mensch Gott in den Mund gelegt hat, um die eigenen Interessen durchzusetzen.’ Hättest du diesen Ton gehört. Es klang so kühl, so sicher. Nicht irgendein Hirngespinst, sondern eine gut überlegte Behauptung. Ich wusste, dass er viele Gegenargumente hätte, Beweiße, Thesen, die meine widerlegen könnte. Es würde also interessant werden und deswegen beschloss ich auch das Gespräch zu verschieben. ‚Hören Sie, ich habe noch einiges vor, allerdings würde ich das Gespräch gern weiter führen.’, sagte ich schließlich, raffte meine Sachen zurecht. Er nickte, löste sich vom Altar. ‚Ich werde nächste Woche wieder hier sein. Ich hoffe da haben Sie mehr Zeit, Pater Andreas.’, antwortete er, lächelte mich an. Ich stutzte, konnte mir nicht erklären, woher er meinen Namen kannte. ‚Wie heißen Sie, wo wir gerade dabei sind?’, fragte ich, gab meiner Verwunderung keinen Platz. ‚Für diese Art von Gespräch, ist später noch Zeit. Auf Wiedersehen.’, war allerdings seine einzigste Antwort. Der Fremde löste sich, ging den Korridor entlang; nur einmal kurz wand er sich noch einmal um und die Worte die er sagte, gingen mir die ganze Woche danach nicht mehr aus dem Sinn: ‚Ich hoffe ich lasse Sie zum Advent nicht allzu allein, Pater.’ Er lachte leise, ging weiter und hob die Hand zum Gruß, verschwand letztendlich draußen im Schnee. Das war meine ersten Begegnung mit diesem Mann, der meine Sünde werden würde, Christian. Unbedeuten, nicht wahr? Seltsam nur, dass er mir vorher noch nie aufgefallen ist oder ich ihn gar irgendwann einmal gesehen hätte.“ Ich stoppte kurz, sah zu meinem Freund hinüber. Er hatte mir aufmerksam zugehört, zog die Stirn kraus. „Wieso wurde er deine Sünde? Erzähl weiter, wie verlief das nächste Treffen?“, fragte er, sah hinüber. Ich faltete die Hände, sah hinaus in die Kirche. „Er kam wieder, zum zweiten Advent. Ich hatte mich in der Zwischenzeit auch im Dorf rumgefragt und tatsächlich wurde mir bestätigt, dass er erst hinzugezogen war, doch wirklich am Dorfleben hätte er sich nie beteiligt. Vielleicht lag es daran, dass er etwas außerhalb wohnte oder dass er angeblich aus der Großstadt kommen würde. Ich wusste es nicht, wollte dem aber auf den Grund gehen. Nach dem Gottesdienst kam er wieder vor an den Altar, sah mich erwartend an. ‚Ich hoffe Sie haben mich nicht vergessen, Pater Andreas.’, sagte er schelmisch grinsend, neigte sich zu mir. Ich schüttelte abwehrend den Kopf, nahm meine Sachen. ‚Keines Wegs, doch lassen Sie uns zu einem gemütlicheren Ort gehen, folgen Sie mir.’ Ich führte ihn in mein Vorbereitungszimmer, nahm Platz, er setzte sich mir gegenüber und sah sich grinsend um. ‚Hier war ich nicht mehr, seit meiner Konfirmation.’, lachte er leise, sah mich dann wieder an. ‚Ich war mit meiner Einstellung schon immer etwas anders, aber darüber wollten wir ja reden, nicht wahr?’, fragte er, obwohl die Antwort doch klar war. ‚Ja, sicher. Mich interessiert es, zuwissen, wieso Sie so denken.’, erwiderte ich, denn wie wir ja gelernt haben, jeder hat seinen Grund zu glauben und nicht zu glauben und es würde auch bei diesen Mann nicht anders sein, dachte ich mir. Er lehnte sich im Stuhl zurück, sah mich an. ‚Sie kennen menschliche Schwächen wahrscheinlich besser als ich, oder nicht? Sie müssten doch selbst sehr gut wissen, das Menschen gerne Dinge zu ihrem Nutzen verändern, weiterdichten und sogar erfinden. Denken wir nur an gewisse Fabelwesen... erfunden um abzuschrecken, Angst zu machen. Sagen; weitergedichtet um jemanden gut aussehen zu lassen. Wir Menschen sind ein erbärmliches Volk, denken Sie nicht? Gott ist groß, ja, sein Wille geschehe, weil wir sein Wille sind. Die Bibel wurde von Menschen geschrieben, sie legten sich ein Weltbild zurecht, was nicht schlecht ist, das sage ich nicht, aber was erfunden ist. Es ist nicht Gottes Wort, denn Gott hat keine Stimme. Es ist der menschliche Wille, der dargelegt wurde und bei dem wir denken, das Gott uns so haben will.’ Sein Blick war herausfordernd, ohja, du hättest es sehen müssen. Diese Entschlossenheit und Bereitschaft, fast beängstigend, aber mein Willen ist genauso stark, wie du ja weißt: ‚Sie sagten, Sie sein gläubig, wenn Sie aber nicht an die Bibel glauben, wie können Sie dann an Gott glauben? An welche Gebote halten Sie sich, wenn nicht an die der Bibel? Worauf wollen Sie da ihren Glaube begründen?’ Er lachte leise, strich sich ein paar schwarze Strähnen aus dem Gesicht. ‚Sie verwechseln gerade Religion mit Glaube, Pater Andreas. Wenn Sie so fragen, ich halte mich an gar keine Gebote, lebe für mich und für das, was mich am Leben hält. Gott gibt uns keine Regeln, wir machen sie selbst. Ich glaube an Gott, ja, aber ich glaube nicht an den Menschen, denn das wäre Religion, Sie verstehen?’ Und verstehst du meine Faszination, Christian? So eine Unterhaltung wie diese hatte ich noch nie, ein vollkommen neues Weltbild, das mir interessant erschien. Natürlich kann ich dir das ganze Gespräch nicht mehr nachsagen, aber es war interessant, hoch interessant und wir kamen zu keinem Ergebnis. Diskutierten wahrscheinlich Stunden, zogen Thesen und andere Behauptungen dazu, doch es gab kein Ergebnis. Weißt du noch was man uns gelehrt hat? Man hat die Pflicht Gott zu verteidigen, vor allem und jeden und so wollte ich es auch tun, verabredete mich ein weiteres Mal mit ihm. Ich schaffte ihn zur Tür, als mir wieder einfiel, ihn nach seinem Namen zu fragen. Ich erinnere mich genau an das Lächeln, seinen Blick, als er hinaustrat. Sebastian.“ Ich seufzte leise, als würde es mir Mühe machen den Namen auszusprechen, sah dann hinüber zu meinem Freund. Ich bemerkte, dass er überlegte, wahrscheinlich über das selbe nachdachte, was mich damals bewegt hatte, immer wieder mit den Gedanken an diese Gespräche abzuschweifen. Ich lehnte mich zurück, sah hinab auf meine Hände. Christian räusperte sich kurz, kam zurück zu der Unterhaltung mit mir: „Es ist wirklich seltsam, ich habe ihn noch nie hier bemerkt. Wie verlief denn das dritte Treffen? Seit ihr zu einem Ergebnis gekommen?“ Ich sah hinüber, schüttelte dann den Kopf. Ich lehnte mich an das Holz, strich mir das Haar zurück und überlegte kurz. Ein Lächeln spiegelte sich auf meinem Gesicht wieder, als ich fortfuhr: „Ein drittes Treffen gab es direkt nicht... er kam seit diesem Tag immer in den Gottesdienst und danach unterhielten wir uns. Allerdings wandelten sich unsere Gespräche. Unser Thema war nicht mehr Gott, oder seine Einstellung, zumindest nicht vordergründig. Wir sprachen viel über unsere Vergangenheit, über Familie und unsere Berufe. Wusstest du, dass er Künstler ist? Er hat mir viele seiner Werke gezeigt, obwohl sie ab und zu auch recht obszön waren. Sebastian Sandoz. Er kam aus Griechenland, wurde allerdings zweisprachig erzogen. Mit 15 zog er nach Deutschland und mit 28 hier her, in unser schönes Dorf. Seine Vergangenheit ist so interessant, die Menschen die er kennen gelernt hat, die Orte, wo er bereits überall war. Kannst du verstehen wieso ich so fasziniert war, Christian? Er kam aus einer vollkommen anderen Welt, wir waren so unterschiedlich wie Tag und Nacht und dennoch verstanden wir uns blendend. So seltsam wie es klingen mag, aber in ihm fand ich einen wahren Freund, jemand der mich verstand und der Bedenken und Meinungen teilte, zwar nicht über jedes Thema, aber wo gab es das schon?“ Ich wollte weitererzählen, allerdings fiel mir Christian ins Wort: „Schön und Gut, Andreas, aber was ist denn nun der Kerngedanke deiner Unterredung?“ Ich seufzte resignierend. Kamen wir also zum Punkt, der unangenehmste Teil dieser Beichte: „Wie du sicherlich weißt, fahre ich eigentlich jedes Jahr um Weihnachten nach Berlin zu meinen Eltern, um Heiligabend mit ihnen verbringen zu können. Allerdings schob sich diesmal etwas dazwischen. Als ich nun die Messe zum dritten Advent beendet hatte, kam Sebastian auf mich zu. Er lud mich zu sich ein, fragte, ob ich Weihnachten nicht mit ihm verbringen würde. Ich wollte bereits absagen, als mir einfiel, dass ich meine Familie wohl öfter besuchen könnte, als er die seine. Er war neu im Dorf, hatte sonst niemanden, war auch weder verheiratet noch hatte er ein Mädchen und der Gedanke, dass er Heiligabend allein in seiner Wohnung sitzen müsste, behagte mir nicht. Ich sagte also zu, packte diesmal meine Sachen für eine etwas kürzere Reise, als nach Berlin und kam die Feiertage bei ihm unter. Er wohnte hinter dem kleinen Hügel, außerhalb des Dorfes, was ihn natürlich noch etwas mehr zum Außenseiter machte, allerdings war sein Haus riesig und natürlich um einiges moderner als die gemütlichen Häuser der Dorfbewohner. Schon beim Eintreten bemerkte ich den mediterranen Stil Griechenlands in der Einrichtung. Er hatte ein Gespür dafür und wie nicht anders zu erwarten ein großartigen Kunstgeschmack. Er führte mich rum, zeigte mir sein Haus in jedem Winkel und ich kann nur betonen, dass es wirklich wunderschön ist. Aber dafür, dass er alleine lebte doch recht einsam. Es gab so viele Zimmer in denen niemand wohnte, obwohl Kinder viel Platz gehabt hätten. Du wirst dich sicher fragen, ob wir bereits darüber gesprochen hatten, wie seine Art der Familienplanung aussah und ich muss verneinen. Dieses Thema war ein seltsames Tabu gewesen, wir hatten es nie in Erwägung gezogen, geschweige denn, eine Anspielung gemacht. So wie ich es mir erklärte, eine reine Vorsichtsmaßnahme um uns nicht gegenseitig auf den Schlips zu treten. Das Essen hatte er allein gekocht, was ich bewunderte, da es wirklich Mühe gekostet haben muss. Es war dazu auch noch fantastisch, zwar etwas ungewöhnlich, da er griechisch kochte, allerdings, so sagte er, sei es das einzigste was er gut könnte, da ihn seine Mutter wohl in der Hinsicht hart ran genommen hätte. Er servierte mir einen fantastischen Wein, einen noch besseren Nachtisch und ein Geschenk. Wir hatten zwar gesagt, wir würden uns nichts schenken, aber wer hält sich schon an solches Gerede? Er hatte mir ein Buch geschenkt, wusste ja schließlich mittlerweile, was meine Interessen waren. Ich hatte ihm einen Kalender von seinem Lieblingszeichner mitgebracht. Du wirst dir denken, es sei alles belanglos, alles nur kleine dumme Gesten, allerdings führte das alles zu dem Punkt der mich sündigen ließ, verstehst du, Christian? Nur solche kleinen Dinge. Später am Abend wanderten wir in sein Wohnzimmer, redeten ausgeglichen. Es war ein schöner Abend, wie im Bilderbuch mit einem verschneitem Feld draußen vor dem Fenster, die Häuser über dem Hügel leuchteten romantisch im Wintertreiben und der geschmückte Baum erhellte den Raum. Ich weiß nicht mehr, wie wir auf das Thema kamen, wahrscheinlich nur durch einen dummen Witz, doch es wurde plötzlich so still, als ich ihn fragte, wieso er keine Freundin hätte. Er sah zu mir, nippte an seinem Wein und langsam aber sicher breitete sich ein kleines Lächeln auf seinen Zügen aus. ‚Es ergab sich eben nicht...’, sagte er, doch ich bemerkte sofort, dass er log. ‚Und wie sieht deine Familienplanung aus?’, hakte ich nach, mit dem Blick der ihn durchbohrte und entlarvte. Du kennst diesen Blick, Christian, niemand kann ihm wiederstehen, doch er antwortete mit einer Gegenfrage: ‚Wie sieht es denn mit deiner aus?’ Ich lachte leise, sah ihn an und lehnte mich in die gemütliche Couch zurück. ‚Du weißt ganz genau, dass katholische Priester nicht heiraten dürfen.’, antwortete ich. Ich erinnere mich genau an sein Grinsen, dieser schelmische Ausdruck, der dennoch charmant wirkte. ‚Das ist ein Grund, aber noch lange kein Hindernis... ’, lächelte er mich an, nahm erneut einen Schluck. Ja sicher, eine solche Einstellung ist anfangs nicht zu verstehen, doch mittlerweile kannte ich ja seinen Humor und lächelte zurück. ‚Du kennst meine Gründe und Prinzipien.’, war meine Antwort, die er in dem Falle wohl etwas missverstand. Er sah mich an, das Grinsen war unerschütterlich. ‚Kenne ich, ja? Gott muss ja verdammt gut im Bett sein, wenn du das sagst.’ Du kannst dir denken, wie peinlich berührt man ist, wenn man das hört. Wir leben im Zölibat, das wusste er natürlich, obwohl wir nie darüber gesprochen hatten. Ich wand meinen Blick ab, sah auf den Boden. ‚Ist er also nicht... uh... schwere Ehekrise.’ Er hackte weiter darauf rum und wie du ja weißt, ist es eigentlich ein Thema, was man nicht so gern anschneidet oder auf dem man rumreitet, das sagte ich ihm auch und er entschuldigte sich natürlich auch dafür, allerdings war das Thema damit nicht gegessen. ‚Ist das nicht ganz schön schwer...? Die Ganze Zeit so keusch leben?’, fragte er nach eingetretener Stille, sah mich von unten neugierig an. Ich musste lächeln, du weißt ja selbst wie das ist, nicht wahr? Wir hatten nie Probleme damit, wie du weißt. Seltsam, dass es uns als beste Freunde gleich so erwischt hatte, mit den Mädchen. Also schüttelte ich den Kopf, sah zu ihm. ‚Nein, ist es nicht. Ich hatte es nie so mit Frauen, also war mir von Anfang an klar, das es wohl meine Bestimmung ist, Pastor zu sein.’, antwortete ich ruhig. Du kennst sicherlich auch diesen Blick, wenn die Leute diese Geschichte hören, die Neugierde und auch ein wenig die Begriffsstutzigkeit. ‚Du hattest es nie so mit Frauen?’, hakte er nach, weil er es sicherlich nicht verstehen konnte, dachte ich mir. Ich nickte daraufhin nur, lächelte leicht, doch es folgte nichts weiter als ein ‚Aha’. Wir redeten noch etwas weiter, tranken Wein und lauschten einigen seiner CDs. Das Thema hatten wir schnell wieder verdrängt, unter den Teppich gekehrt und widmeten uns wieder anderen Dingen wie seinen Bildern. Eines gefiel mit besonders, die Farben und auch der Sinn hinter dem Bild waren grandios. Stell dir am besten ein riesige Maschine vor, ganz aus Glas verbunden mit Geräten und Schläuchen, mit Lichtern die gespenstisch leuchten. In dem Glas blaue Flüssigkeit und darin ein Embryo gebetet, der keine Nabelschnur, sondern einen Schlauch hatte. Gruselig, nicht wahr? Allein die Vorstellung lässt mir einen Schauer über den Rücken gleiten. Unterhalb des Motiv stand groß ‚Deus Machina’. Perfekt. Mehr konnte man zu diesem Bild nicht sagen, als perfekt. Ich betrachtete es eine eingehende Weile, wand mich dann wieder zu ihm. ‚Ist es Gottes- oder Menschenverachtend gemeint?’, fragte ich ihn, woraufhin er entzückt lächelte, sich einen weiteren Schluck Wein genehmigte. ‚Das bleibt dir überlassen... sieh es, wie du es sehen willst.’, war seine Antwort, betrachtete mich dann beim Überlegen. ‚Ich denke, es ist Gottesverachtend, oder? Sozusagen, sind wir alle nicht ein wenig Gott?’ Sein Blick wanderte verdutzt zu mir, er neigte den Kopf eingehend. ‚Das war nicht sehr pastorhaft...’, war seine Erwiderung, die in ein Grinsen überging, er rutschte näher, sah um Bild. ‚Wie gesagt, du kannst es sehen, wie du es sehen willst, sei es meinetwegen Gottesverachtend, wenn du das willst...’, sagte er leise, doch sein Ton war mir unheimlich, so zweideutig. Ich musterte ihn daraufhin eingehend, bis sich unsere Blicke trafen. ‚Dürfte ich dich um etwas bitten?’, er flüsterte schon fast, neigte den Kopf etwas schläfrig. Natürlich durfte er, doch um was er mich bat... das war es, was alles erst einläutete. Mich sündigen ließ. Ein dummes Versprechen... ‚Sei heute, nur diesen restlichen Abend kein Pastor, kein gottesfürchtiger Mann, sondern... sei... wie normal Sterbliche, wie ich. Geht das? Würdest du das tun?’, fragte er, die Lider weiter senkend. Verstehe mein Bedenken... ist es nicht seltsam, wenn man dich um so etwas bittet? Würdest du dir Gedanken machen? Und wie sollte man sich verhalten? Wir sind so groß geworden, es wäre eine Herausforderung... eine sehr große noch dazu, aber wie du ja weißt, gibt uns Gott Herausforderungen um sie zu meistern. Ich nahm es in Angriff, nickte also dann doch nach einer Weile. Sebastian lächelte stumm, richtete sich auf. ‚Versprich es mir, Andreas.’, sagte er und hielt mir die Hand hin. ‚Versprochen.’, erwiderte ich, nahm die Hand und drückte sie leicht, lächelte, obwohl ich doch unsicher war, in dieser selbst auferlegten Rolle. Eine Weile sahen wir uns an. Ich wusste nicht was kommen sollte, schließlich, so dachte ich mir, wird er das nicht umsonst verlangt haben und anstatt, dass ich etwas falsches tat schwieg ich einfach. Allerdings spiegelte sich ein innerer Konflikt in Sebastian wieder, er verzog die Mine, die Stirn kraus und fuhr sich schließlich über die Augen, blickte erneut zu mir. ‚Gott vergib mir.’, hat er leise gemurmelt und zog mich an der Hand, die er immer noch hielt, zu sich. Es passierte so schnell, so unerwartet... es war nur ein kurzer Moment. Aber er küsste mich, er küsste mich tatsächlich.“ Ich hörte ein erschrockenes „Gott steh uns bei!“ von Christian, der zusammengefahren war. Sein Kopf ruckte zu mir rum. Die Augen geweitet, als hätte ich das Ende der Welt verkündet, sah mich mein Freund an, sammelte Worte, die er dennoch nicht fand. „Geküsst?“, wiederholte er mit einem, ja fast schon angeekelten, Ton, schluckte jedes andere Wort hinab. Ich nickte, senkte den Kopf und blickte ihn nur aus den Augenwinkeln an. „Aber Liebe mit... mit einem Mann, Andreas, das ist verpönt! Verboten! Das weißt du!“, fuhr er mich an, strich sich stirnkrausend die Haare hinter. Ich nickte, lächelte resignierend zu ihm. „Was denkst du denn, was ich getan habe?“, fragte ich leise, schaute auf zu ihm. Unsere Blicke trafen sich, hielten einander und ja fast, konnte ich ein gewisses Schuldbewusstsein in ihm ausmachen, nur einen kurzen Moment, bis er sich wieder abwand. „Ich weiß es nicht, sag es mir.“, entgegnete er mir. Ich lächelte hoch, neigte den Kopf, da ich wusste, dass ich ihn nun soweit hatte mein Spiel aufzunehmen. „Überlege.“, hakte ich jedoch nach, lehnte mich ein Stück im Sitz zurück. Christian mied meinen Blick, er sah im Beichtstuhl umher. Im tiefen, inneren Konflikt verwickelt, nagte er an seiner Unterlippe, zupfte die Ärmel zurecht. Ich wusste wieso, bereitete ihn doch nun auf einmal standhaftes Kopfreißen. Es war nicht einfach, das wusste ich, es überhören zu wollen, was doch bereits klar auf der Hand lag, was sogar er sehen konnte, gefunden, vielleicht sogar fühlte. Es war nicht einfach. Aber keine Prüfung, die uns auferlegt wird, ist das. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, die er nun schon schwieg, ich sein Hirn arbeiten sah, bis er sich kurz räusperte, sein endliches Räuspern. Er hatte einen Entschluss gefasst, sah nun gefasst zu mir rüber. „Du... hast du es zugelassen Andreas?“, fragte er in seinem typischen Pastoren-Ton. Mein Lächeln wurde etwas breiter, ich sah ihm entgegen, musterte kurz seine Entscheidung, die standhaft wirkte, aber wie ich wusste, nicht war. Die Unsicherheit umgab ihn, spielte sein Theater mit ihm als Hauptdarsteller. Ich lehnte mich vor in das schwache Licht, sah Christian an und flüsterte leise: „Nein, habe ich nicht, oder hast du es mir zugetraut?“ Es herrschte eine beängstigende Stille, die nur durch Christians verräterisches Schlucken unterbrochen wurde. Schwarz. Genau ins Schwarze, mein Freund. Ich wand mich dem vergittertem Fenster näher zu, durchbohrte meinen Freund mit einem unschuldigen Blick, öffnete den Mund nur Spaltbreit. „Hast du?“, wisperte ich leise, schlug die Augen dabei erwartend auf, fesselte ihn an den Stuhl. Wer legte nun Beichte ab, mein Freund? Doch Christian sagte nichts mehr, oder besser; ich ließ ihn nichts mehr sagen, lehnte mich nur zurück und erzählte letztendlich weiter: „Aber lausche, ich bin ja noch nicht fertig mit meiner Erzählung, Christian. Wie ich also sagte, ich erwiderte den Kuss nicht, aber ich wehrte mich auch nicht. Verstehst du wieso? Ich war gerade kein Pastor, war zu diesem Moment nicht einmal gläubig, da ich mich noch einen Moment vorher davon losgesprochen hatte. Was war ich also gerade? Nur ein Mann, nur ein einfacher Mann ohne Religion. Was sollte ich also tun? Was hatte ich eigentlich gegen Homosexuelle, außer das es der Glaube verbot? Fand ich es abstoßend? Nein. Niemals und das weißt du auch. Was war es also nun, was es mir verbot diesen Mann ebenfalls zu küssen? Nichts? Gab es da tatsächlich nichts? Verstehst du also, wieso ich zurückhielt? Wieso ich im ersten Moment nichts tat? Ich mochte ihn, das verstehst du sicherlich, so sehr habe ich noch nie jemanden leiden können, bis auf dich, doch war es bereits das, für was ich es hielt? War es das, für das es andere halten könnten? Aber eine andere Frage und das siehst du sicherlich ein, schob sich da in den Vordergrund. Wie sollte ich es herausfinden?“ Ich atmete auf, sah wieder auf die andere Seite. Christian hatte mir aufmerksam gelauscht, ruckte mit dem Kopf auf. „Du... du dachtest du hättest dich in ihn verliebt? Andreas, das... das ist absurd, nicht zu glauben. Du weißt das es verboten ist, du weißt das man das nicht darf, wir schon gar nicht.“ Ich nickte zustimmend, dennoch schwand mein schwaches Lächeln nicht. „Natürlich weiß ich es, Christian, aber wo steht es? In der Bibel? Wie ich dir bereits sagte; Sebastian glaubt nicht an das Geschriebene der Bibel und deswegen auch nicht, dass es verboten wäre.“ „Ja, ja, ja...“, er schwank abwehrend die Hände, „Sicher, weiß ich das, Andreas. Aber du glaubst an das Wort Gottes, an die Gebote, die er uns auferlegte, oder irre ich mich da?“ Mit einem ironischem Lächeln blitze meine Zahnreihe vor, als ich mich zu ihm wand und erwiderte: „Natürlich glaube ich an diese Gebote, aber bedenke, Christian, für diesen Moment war ich kein Mann Gottes, daher auch nicht an die Bibel gebunden.“ Als würde ihm ein Licht aufgehen, weiteten sich seine Augen schlagartig. Das Kruzifix vor der Brust malend, atmete er auf, sah abermals hinüber auf meine Seite. „Dann sprich, was... was hast du getan?“, fragte er mit einem unsicheren Zittern in der Stimme. Meine Antwort war ein Nicken, gefolgt von einem tiefen Seufzer: „Wir haben uns danach eine Weile lang einfach nur angesehen. Ich wusste, dass er auf eine Reaktion wartete, die allerdings nicht kam und wie er wahrscheinlich annahm, auch nie kommen würde. Er seufzte schließlich, ließ meine Hand los. Sein Blick wanderte dabei betrübt zu Boden, leise nuschelte er ein ‚Tut mir Leid.’ und wollte bereits aufstehen, als ich ihn zurück zog, näher an mich. Was ich dir bereits sagte, Christian, woher sollte ich es wissen? Wie sollte ich herausfinden, was ich empfand? Es gab nur diese eine Möglichkeit, das weißt du genauso gut wie ich und aus eben jenem Grund ergriff ich sie, musste ich sie ergreifen. Ich küsste ihn, schloss die Augen und ließ es geschehen.“ Ich atmete auf, schloss kurz die Augen um den Moment Revue passieren lassen zu können. Als würde ich Sebastians Lippen schmecken können, beleckte ich mir kurz die meinen, blickte rüber zu Christian und erzählte nach einem weiteren Seufzer weiter: „Was denkst du, was ich fühlte? Was ich in diesem Moment empfand? Es war pure Glückseligkeit, innere Zufriedenheit und eine Glut, die stärker verbrennt als das Fegefeuer selbst. Mir war heiß und kalt zugleich, eine Masse, die träge und pochend durch meinen Kopf zog. Denke dir solch ein Gefühl und vor all der Überlegung, bedenke, dass du so etwas noch nie gefühlt hast. Und was würdest du tun? Was würde dir durch den Sinn gehen? Ich war losgelöst von allem, war frei von Verantwortung und Schuldbewusstsein, was sollte mich also abhalten dieses Gefühl intensiver spüren zu wollen? Nichts? Christian, du kennst Menschen. Ohne Ketten, ohne Gitterstäbe, die sie halten, schwingen sie sich selbst zu Höchstleistungen auf, werden Neugierig und sogar waghalsig. Sie versuchen Dinge, von denen sie sonst nur träumen. Sie halten sich für etwas besonderes, sie werden etwas besonders. Und weißt du was das schlimme daran ist? In diesem Zustand gibt es keine Hindernisse, keine Barrieren, die man nicht überwinden kann. Sind nicht hoch genug, nicht zu lang und nicht zu dick um sie nicht zu durchbrechen. Man wird frei. Man ist frei. Und du tust alles um diesen Flug, diesen Kurs, beibehalten zu können.“ Ich stoppte kurz, atmete tief ein und schloss die Augen dabei, fuhr fort: „Und wie du weißt, bin auch ich nur ein Mensch und in diesem Moment sogar noch etwas mehr als sonst. Ich wollte dieses Gefühl nicht gehen lassen, wollte es nicht aufgeben. Ich klammerte mich daran, klammerte mich an diese Empfindung und gleichzeitig an Sebastian. Stell dir vor, Christian, ich konnte diesen Kuss beim besten Willen nicht lösen, ich konnte ihn nicht mehr gehen lassen. Wie lang war es? Wie lang saßen wir so, umschlungen, den Kuss feuriger und feuriger werdend? Ich könnte dir sagen es war eine Ewigkeit und doch nur Minuten. Wenn du Flügel bekommst, reicht es dir nicht nur über den Wolken zu schweben, du möchtest höher steigen, die Sonne erreichen. Und Sebastian half mir auf den Weg zur Sonne. Wahrscheinlich hatte er es sich ersehnt, lang gewartet und überlegt bis er bereit war dieses Risiko einzugehen. Aber nun, nun wusste er, dass es sich gelohnt hatte, das es sich lohnen würde. Wir wollten die Sonne berühren, in ihrem Feuer verbrennen und waren bereit dafür jedes Risiko einzugehen. Jedes. Auch wenn es hieß, dass wir dafür zahlen müssten. Es war unser Schicksal. Es war unsere Passion. Wir würden brennen. Wir wollten brennen. All das, Christian, was wir früher an den Mädchen gesucht haben, die Leidenschaft, die Liebe; ich fand sie bei ihm, in seinen Küssen, in seiner Berührung. Stell dir diese Hände vor, diese Lippen. Er wusste was er tat und wie er es tun musste, benetzte den Weg über meine Haut mit sanften Liebkosungen. Ich habe das noch nie gespürt, diese innere Erfülltheit, wenn er mich küsste, überall, jeden freien Winkel. Und wenn er nicht frei war, machte er ihn sich. Er hatte solche geschickten Finger, flink wie ein Pianist, wenn er einen Knopf nach dem anderen öffnete. Stell dir diese Atmosphäre vor, wenn das Licht nur schwach deinen Gegenüber erhellt, die Lippen feucht glänzen und zu jedem neuen Kuss bereit sind, als seien sie für nichts anderes geschaffen. Stell dir vor, wie intensiv du alles wahrnimmst, wenn es um dich herum still ist, du nur einen Atem hörst und in dem Takt eine nackte Brust an die andere stößt. Stell es dir nur vor, diese Aufnahme einer einzigsten Minute. Stell es dir nur vor, Christian. Stell es dir... nur vor...“ Ich atmete schwer aus, lehnte mich zurück an das Holz. Meine Brust hob sich genauso schwer wie an jenem besagten Abend auch, die Lider geschlossen, als könnte ich die Erinnerung so aufrecht halten. Es flimmerte wieder, die Luft flimmerte, wie sie es in der Stunde damals auch tat. Niemals, niemals könnte ich es vergessen. Ich beleckte mir die Lippen um fortfahren zu können: „War es Schicksal, das es so kommen sollte, Christian? War es eine Prüfung die ich bestehen sollte? Gelöst von allem, das war ich nun und Sebastian half mir, mich ganz zu befreien. Wir küssten uns heiß und innig, ohne Worte, weil sie jegliches Gefühl zerstören. Ich erschauderte jedes Mal, wenn seine Hände zärtlich und fast schon zu sanft über meinen Körper wanderten, untersuchten, was ihm bisher verwehrt blieb. Er nutzte die Gunst der Stunde, das merkte ich, das spürte ich in allen Fasern meines Körpers. Eine atemberaubende Emotion, mit stärkeren Fesseln, als ich sie je von Gott spürte. Wir konnten nicht mehr voneinander lassen, auch wenn wir es versucht hätten, nie und nimmer wäre es uns geglückt. Wir tanzten in diesen Schwall von Leidenschaft und Begierde. Verloren dabei eine Hemmung nach der anderen, ein Kleidungsstück nach dem nächsten. Nackt, wie Gott uns geschaffen hatte, wälzten wir uns in seinem Laken, wälzten uns in gegenseitiger Ergebenheit. So schön wie zu diesem Augenblick war er noch nie, fand ich mich selbst nie. Verstehst du, Christian, was dieser Taumel in mir ausgelöst hatte? Eine Sinnflut die alle meine bisherigen Ansichten mit sich riss, die alles wegschwemmte, was mich zu dem machte, was ich eigentlich war. Und doch... Und dennoch fühlte ich mich noch nie so bestätigt, wie zu diesem Augenblick. Ein seltsamer Zwiespalt, nicht wahr? Stellt man sich nicht unweigerlich die Frage, ob das Leben, das man bisher verfolgte, ein erfülltes war? Man würde, wenn man die Zeit dazu hat. Sicher, danach habe ich lang und viel nachgedacht, doch in eben jenem Moment, denkst du nicht an Morgen oder an Vergangenes. Du denkst gar nicht. Dein Verstand, deine Vernunft schaltet sich aus und alles was zählt, das liegt in deinen Armen. Das, was so fern schien, war nun zum greifen nah. Nur ein Stück. Nur ein kleines Stück. Streck dich und du erreichst das, wonach du solang lechzte. Nur ein Stück. Und du bist erfüllt von einem Feuerwerk der Sinne, was dich beim bloßen Gedanken daran erschaudern lässt. Ich hoffe es ist verständnisvoll für dich, mein Freund. All das was ich schildere, es klingt so phantastisch, ich weiß, aber wenn du es nur erlebt hättest. Ich brodelte innerlich so, war von einem Feuer erfasst, was ein dunkles Untier in mir weckte und mich zu mehr solcher Taten antrieb. Stell dir nur die Anspannung vor, die sich aufbaut, all die Gefühle, die sich verknoten. Ich wollte mich befreien, mit ihm und es gab nur einen Weg, nur einen Schritt den ich gehen musste. Und den ich bereit war zu gehen. Unsere Vereinigung, als er in mir war und mich erfüllte. Ich war fast schon hilflos, lag unter ihm, gefangen in meinem Spinnennetz der Empfindungen. Ich klammerte mich an Sebastian und er hielt mich, fing mich auf, wenn ich zu fallen drohte. Ich würde es dir gern beschreiben, mein Freund, dieses Gefühl, dem ich keinen Name geben möchte, aber das kann ich nicht. Es ist mit Worten nicht zu erfassen, würde dadurch nur verpönt werden. Ich sage dir nur eins; wenn das Sünde ist, muss die Hölle ein verdammt schöner Ort sein.“ Ich wartete bereits auf ein empörtes Wort meines Freundes, doch es kam nicht. Er antwortete nicht. Saß nur da, in der dunklen Ecke des kleinen Beichtstuhls und ließ meine Worte auf sich wirken. Er atmete etwas schwerer, schwitze und suchte eine Beschreibung für alles. Der Wind pfiff leise um die kalten Gemäuer der Kirche, ließ das Kirchentor knarren und die Kerzenlichter tanzen. Die Gedanken von Christian tanzten genauso, ich sah es, wusste es. Die Lippen trocken und zitternd, öffnete er sie einen Spalt, doch er fand keine Worte. Gedanken entkamen ungehört. Nach weiteren Minuten, hatte er sich gesammelt, sah mich an und fragte leise: „Du hast mit einem Mann geschlafen?“ Ich schloss die Augen kurz, nickte schließlich. Ich hörte den schweren Atem Christians, das hohle Seufzen, dass für ihn selbst nicht überzeugend klang. Er fuhr sich über das Nasenbein, murmelte in seine Hand: „Andreas, das, es tut mir Leid, aber das kann ich nicht glauben. Mit einem Mann, wir als Katholiken. Andreas, in der Tat, es klingt phantastisch. Ich kann mir nicht vorstellen, dass du deine Religion so außer Acht gelassen hast, tatsächlich annahmst du wärst für diese Momente frei. Du weißt doch, es ist Sünde, eine schwere Sünde sogar.“ Ein fast amüsiertes Lächeln glitt auf meine Züge, als ich Andreas musterte. Glaubte er sich selbst überhaupt? Wusste er, das er sich wiederholte? Dass ich sofort sah, dass er keine Worte und keine Argumente fand? Keine Lösung? Menschen sind durchschaubar, Christian, das weißt du genauso gut wie ich. Und ich hatte dich längst durchschaut. „Sicher, ich wusste, dass es Sünde, dass es verboten war, Christian, doch was sagte ich dir nicht? Ich fühlte in dem Moment keine Unterworfenheit zu Gott, ich fühlte Sebastian. Er war alles. Er war mein Gott, zu dem ich in diesem Moment betete, wie noch nie zuvor. Was denkst du, wieso ich die Wochen danach nicht in die Kirche kam und mich krank meldete? Erst lebte ich es mit ihm aus, dann verfiel ich in Reue, wurde fast schon depressiv. Es gab keinen Tag an dem ich nicht über diese Dinge nachdachte, über meine Zukunft. Ich war hin und her gerissen, in einem inneren Zwiespalt, der mich auffraß. Einerseits war es etwas wie Liebe, dass ich für Sebastian empfand, anderseits war da mein Glaube zu Gott. Ich war ein Sündiger, das sagte ich mir. In meinen Augen, in den Augen der katholischen Kirche hatte ich gesündigt. Doch in Sebastians, war ich immer noch der selbe Mensch wie vorher. Für ihn war ich weiterhin Andreas, kein Pastor oder Katholik. Eine Woche nach Neujahr hatte ich dann endlich einen Entschluss gefasst und kam dann schließlich hier her, zu dir.“ Mit einem seichten Augenaufschlag wand ich mich zu Christian, mein Lächeln wurde etwas freundlicher, als würde die Erleuchtung selbst vor mir stehen. Ich schlug ein Bein über das andere, atmete tief ein, schloss die Lider kurz. Und da war es wieder, das Pater Christian typische Räuspern, mit welchem er seine Fassung zurück gewinnen wollte. Ich bemerkte seinen strafenden Blick auf mir, er sagte seufzend: „Also willst du deine Tat büßen?“ Ich schlug die Augen wieder auf, sah ihn an: „Nein. Das möchte ich nicht.“ Und sofort hatte ich deine Fassung wieder weggeblasen, mein Freund. Du warst ratlos, absolut hilflos und das sah ich dir an. Das hätte jeder gesehen. Und das ist der größte Fehler, den du hättest machen können. Dein Schweigen, deine Augen, die unruhig auf mir ruhten und deine zitternden Hände. Du hast dich selbst damit verraten, ließt Schwäche erkennen. Eine Schwäche, Christian, die ich zu meinen Gunsten nutzen konnte. Aber noch warst du an der Reihe, musstest dir Luft machen: „Nicht? Andreas, was willst du dann? Wieso bist du hier? Ich dachte du willst beichten und büßen. Erklär mir das, Andreas. Was willst du von mir?“ Ich senkte die Lider etwas, seufzte resignierend und nickte stumm. „Vergib mir meine Fehler, mein Freund.“, sagte ich ruhig, „In der Tat, ich wollte nicht beichten. Nicht direkt zumindest. Ich wollte nicht als katholischer Mensch oder Priester beichten, nein, ich wollte dir, meinem Freund Christian, sagen, wieso ich in letzter Zeit den Dienst als Freund nicht wahrnehmen konnte. Ich wollte dir nur erklären, was vorgefallen war und wie es mich verändert hat. Buße wollte ich nicht, ich bete nicht mehr um Vergebung, Christian, ich möchte mein Amt niederlegen.“ Ich hatte deiner verlorenen Fassung soeben das Sahnehäubchen aufgesetzt. Oh Christian, wenn ich eines in der Zeit mit dir gelernt habe, dann, dass wenn du schweigst es nichts Gutes bedeutet. Und gerade warst du dabei mich in Grund und Boden zu schweigen. Du fandest keine Gedanken für die Worte, die deine Sicht kreuzten. Ich hatte dich sehr belastet, das war mir klar, doch genauso sehr hatte mich das ganze ebenfalls mitgenommen. Denk nur nicht, das diese Entscheidung leicht war. Es brauchte viele Tage um Einsicht zu erlangen. Es brauchte Zeit um zu realisieren, was mir schon lang hätte klar sein sollen. Die Würfel sind gefallen. Es ist Schicksal. „Wenn du nicht hier bist um zu büßen...“, Christian murmelte vor sich hin, fuhr sich seufzend durch das Haar, „Wenn du dein Amt nur niederlegen willst, nicht einmal für deinen Seelenfrieden beichten willst, wieso bist du dann her gekommen? Du hättest mir das alles wo anders, wann anders erzählen können. Ich bin nicht derjenige, der dir deines Amtes freisprechen kann und dennoch kamst du hier zu mir, in den Beichtstuhl, um mit mir zu reden? Andreas, ist das alles?“ So wie du nun mit mir sprachst, Christian, da wusste ich, dass ich es geschafft hatte. Du warst nun menschlich, einfach nur Mensch mir gegenüber. Christian, was war das für ein Gefühl, wo wir jetzt näher zusammen waren als je zuvor? Als Gott es uns jemals hätte geben können? Ich schloss die Augen wieder und ließ den Moment kurz wirken. Ich befeuchtete meine Lippen und ließ ein leises Seufzen über sie gleiten bevor ich antwortete: „Christian, nein, das ist tatsächlich nicht alles. Ich gebe zu, als Freund habe ich in den letzten Wochen verzagt und das, was ich nun erbitte, wird das noch verstärken oder unsere Freundschaft tatsächlich umso mehr putschen. Also frage ich dich ein weiteres mal, ob du wissen willst, um was ich dich ersuche?“ Christian antwortete nicht, nickte nur und deutete seine Zustimmung mit einer natürlichen Neugierde. Ich lächelte, sah rüber zu ihm und sagte schließlich: „Wir wollten es einmal zu dritt probieren.“ Gott ist klein. Wieso sonst nimmt er uns nicht so, wie wir sind? Wieso sollen wir, wie er sein, wenn wir nicht dazu geschaffen wurden? Gott ist klein. Gott ist das, was wir zu Gott machen. Wir sind winzig und doch an Großartigkeit nicht zu überbieten. Genau deswegen ist Gott so klein und wir so groß. Genau deswegen sind wir Titanen. The End Kommentare und Kritik immer wieder gern gesehen, wenn es nichts damit zu tun hat, wie böse ich gegen Gott bin, nehme ich alles in Kauf. ;) Dini Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)