Dark Age of Camelot von Lanefenu (Llienne's Life) ================================================================================ Kapitel 1: Das Mädchen aus Vasudheim: Geschichte einer Kindheit --------------------------------------------------------------- Midgard, 1. Zeitalter: Llienne Schatten und Feuer. Etwas Gewaltiges regt sich in der Dunkelheit. "Hhaaah..." Llienne läuft und läuft...sie flieht vor den Schatten, obwohl sie weiß, dass sie es niemals schaffen wird. Hitze lässt die Luft flimmern, doch das sieht Llienne nicht. "Hhaaarrhhh...!" Es ist jetzt schon viel näher und Llienne kann seinen stinkenden, heißen Atem auf ihrer nackten Haut spüren. Sie weiß nicht, was es ist, sie spürt nur die Hitze und die flüsternden Schatten, die ES mit sich bringt. Llienne möchte schreien vor Angst denn sie weiß es...sie weiß, wenn ES sie zu packen bekommt, wird sie zu einem Schatten wie die anderen werden. Erst wird sie sich in Schmerzen winden, während sich das Feuer an ihrem nackten Fleisch labt und dann... "Hhhaaaarrrghhhh...!!" ES ist da. Llienne kann den Blick der feurigen, seelenlosen Augen beinahe körperlich im Rücken spüren. Sie will schreien, ihre Angst in die Schatten hinaus schreien, doch sie ist gelähmt vor Furcht, unfähig, auch nur einen Muskel zu rühren. Ihre Kehle ist wie zugeschnürt. ES ist da. Llienne spürt, wie der Boden unter ihr nachgibt und sie ins Nichts stürzt. ES stößt einen schrecklichen, heulenden Schrei aus, der Mordlust und Enttäuschung wiederspiegelt. Der Jagdschrei der Bestie und nun kann Llienne auch schreien...sie fällt in die Schatten und schreit und schreit und... Llienne! verdammt, was ist es dieses Mal?! wach auf und reiß dich zusammen!" Ich blinzelte benommen und blickte direkt in ein großes, wild zerfurchtes Männergesicht mit zornfunkelnden, grauen Augen. "Papa?" murmelte ich irritiert. Doch plötzlich richtete ich mich kerzengerade auf, so abrupt, dass ich fast mit Papas Stirn zusammen schlug. Ich war am Leben! und, wie ich nach einem kurzen Blick auf meinen mageren Mädchenleib feststellte, unverletzt. "Was soll dieser Lärm am frühen Morgen?" fuhr mich Papa an. Ich blickte ihn groß an und meine Kehle wurde mir eng. Wie konnte er das sagen, nach der Furcht, die ich durchlitten hatte. Ich blinzelte erneut -mir musste was ins Auge geflogen sein- und murmelte nur: "Entschuldige, Papa." Er war noch nicht besänftigt. "Jede Nacht schlägst du Krach und weckst das halbe Dorf! Mutter braucht Ruhe und deine Brüder müssen jeden Morgen sehr früh aufstehen. Die Einzige, die uns ständig nur Ärger beschert, bist du, Llienne. Ausserdem..." seine Stimme wurde nun erst richtig tadelnd, "fällst du mit elf Jahren noch immer aus dem Bett. Schämst du dich nicht? was soll dein zukünftiger Mann von dir halten, wenn du dich als reife Frau immer noch so aufführst?" "Es tut mir Leid, Papa." "Ach ja, ich kann es nicht mehr hören. Nun denn, wo du eh schon wach bist, kannst du genauso gut aufstehen und im Wald etwas Essbares sammeln. Nun aber, mach schnell!" Ich nickte nur. Wenn Papa in so einer Stimmung ist, sagt man am besten gar nichts. Nachdem er gegangen war -nicht, ohne mich noch einmal böse anzuschauen- raffte ich leise seufzend meine wenigen Habseligkeiten zusammen: ein altes Hemdröckchen aus zerschlissenen Leinen, abgetretene Sandalen aus Hirschleder und ein winziges Beutelchen, in dem ich das verwahrte, was ich einmal von einem sterbenden Streuner im Wald geschenkt bekommen hatte. Meinen einzigen Schatz. Bei der Erinnerung kroch mit eine Gänsehaut den Rücken hinunter: Es war ein grauer Vormittag gewesen und nun beinahe ein Jahr her. Papa hatte mich losgeschickt, um Pilze im Wald zu sammeln. Er hatte mich noch ermahnt, nicht allzusehr zu trödeln. Ich hatte ihm versprochen, mich zu sputen und war gegangen. Tief im Wald hörte ich plötzlich eine entkräftete Stimme. Ich war neugierig, obwohl mir Vaters Worte noch immer in den Ohren nachklangen- ich sollte mich beeilen. Aber diese Stimme klang schwach und hilflos und meine kindliche Neugier war stärker als meine Furcht vor Papas Zorn. Als ich neugierig näherkroch und argwöhnisch durch die Zweige spähte, konnte ich eine zusammengekrümmte Gestalt sehen, die leise keuchend auf dem Boden lag und sich wie zum Schutze unter einen umgestürzten Baum geschleppt hatte. Vorsichtig trat ich näher, jederzeit bereit, die Flucht zu ergreifen. Obwohl ich mich völlig leise bewegte, fragte die Gestalt plötzlich -ihrer Stimme nach zu urteilen war es ein Mann- krächzend: "W...wer ist da...?" ich zuckte leicht zusammen und antwortete zögernd: "Ich bin da." "W...er ist ich?" "Llienne." Er lachte qualvoll und hustete leise. "So, so und wer ist Llienne?" ich trat noch näher und betrachtete ihn. Er war groß, mindestens einen Kopf größer als Papa, der wahrlich kein Zwerg war. Doch er war viel schlanker als Papa und trug ausserdem keinen Bart. Seine Kleidung fand ich besonders seltsam. Papa pflegte immer rauhes Nietenleder und schwere, klobige Stiefel zu tragen, dieser Mann war in eine dunkelblau schimmernde Robe aus feiner Seide gekleidet und trug einen schmalen Stoffgürtel mit kleinen, funkelnden Edelsteinen um die Hüften. Unnatürlich wirkten ausserdem sein langes, violett glänzendes Haar und die abgebrochenen Pfeile, die aus seinem Rücken wuchsen. Ich schrak zusammen und antwortete mit einiger Verspätung: "Ich bin die Tochter von Asmund von Vasudheim, Herr." Er drehte mir schwerfällig den Kopf zu und ich konnte sein Gesicht nun gänzlich sehen. Es war nicht mehr jung, aber auch noch nicht alt genug, um ihn Greis zu nennen. Er wirkte irgendwie...zeitlos, ein anderes Wort fiel mir nicht ein. Seine dunkelblauen Augen waren sanft und schön, doch sie flackerten und ihr Blick verriet mühsam unterdrückten Schmerz. Er runzelte die mit einer goldenen Perlenschnur geschmückte Stirn. "Sagtest du...Vasudheim?" flüsterte er rauh. Als er die Lippen öffnete, rann ein feiner Blutstrom aus seinem Mundwinkel. "Ja, Herr." Er musste erneut husten und ich ging zögerlich neben ihm in die Hocke. Er versuchte, mich anzulächeln, doch der Versuch misslang kläglich. "Und was...treibt e...eine hübsche, junge Dame so ganz...ganz allein im Wald?" es sollte wohl nett gemeint sein, aber Papa hatte mir schon immer eingeschärft, dass ich mich 'von keinem Halunken als kleines, niedliches Püppchen' bezeichnen lassen sollte. So erwiderte ich brummig: "Ich bin keine Dame, ich bin eine Kämpferin!" er probierte erneut ein Lächeln. "Oh...sicher, verzeih mir." Ich blickte ihn ratlos an. "Tut Euch was weh?" "Es...geht schon." Ich war zwar ein Kind, aber doch nicht blöd! der Boden um ihn herum und auch seine Kleidung waren durchweicht und rot vor Blut. Obwohl es ein ziemlich furchtbarer Anblick war, erschreckte er mich nicht. Ich hatte oft die rituellen Opferungen im Dorf beobachtet. Da wurden zwar nur Monster und Tiere geschlachtet -so drückte sich Papa aus- doch es floss auch jedes Mal viel Blut. Ich sah zwischen diesem Mann und den Opfern keinen Unterschied. "Ihr seid aber verletzt und blutet. Soll ich ins Dorf gehen und einen Heiler holen?" die Aussicht schien ihn zu erschrecken, denn er stemmte sich kraftlos hoch und keuchte: "N...nein, tu das nicht, es geht schon..." er biss sich auf die Lippen und zuckte zusammen. Der Blutstrom, der zwischen seinen Lippen hervortrat, wurde stärker. Ich erschrak und sagte hastig: "Ist gut, ich mach es nicht!" da mir nichts besseres einfiel, setzte ich mich neben ihn. Er lächelte qualvoll. "Danke, Llienne..." Ich betrachtete seinen pfeilgespickten Rücken. "Soll ich die Pfeile herausziehen? vielleicht tut es dann nicht mehr so weh?" Er schüttelte matt den Kopf. "Lass gut sein." "Wirklich?" "Ja." Er seufzte leise. "Llienne...ich möchte dass du...dass du jetzt wieder in dein Dorf gehst...und...tust du mir einen Gefallen?" ich nickte freimütig. "Ja, Herr." Er griff mit zitternden Händen in die Taschen seiner Robe und holte etwas heraus. Ich beugte mich neugierig vor, um den kleinen Gegenstand betrachten zu können: Es war eine Art Kristall, bestehend aus fünf silbrigen Zacken, die wohl im Laufe der Zeit zusammengewachsen waren. Der Kristall schimmerte, als sei Mondlicht in seinem Inneren gefangen. "Sieht schön aus," meinte ich, weil mir nichts anderes einfiel. Er nickte schwach. "Ja...schön und...und kostbar. Hier...nimm ihn." Ich sah ihn zweifelnd an. "Einfach so?" Er nickte erneut und es schien ihn all seine Kraft zu kosten. "Ich bitte dich...verwahre dies für mich, Llienne...wirst du...wirst du, wenn du erwachsen bist...i...irgendwann ins Grenzland ziehen...?" seine Worte kamen stockend und gepresst, Schweiß perlte auf seiner Stirn. Ich nickte verwirrt. "Natürlich werde ich das. Ich will doch für meine Heimat kämpfen!" dabei glomm kurz ein Funke von Stolz in mir auf. Wie erwachsen das klang! der Mann schien das auch zu finden, denn er lächelte ein letztes Mal. "Dann...ist es gut." Damit schloss er seine schönen Augen und holte rasselnd Luft. Er stieß sie keuchend aus und tat dann keinen weiteren Atemzug mehr. Verwirrt und nun doch etwas verängstigt blieb ich neben der Leiche sitzen. Um überhaupt etwas zu tun, drehte ich seinen Kristall in den Händen und konnte bei näherem Hinsehen feststellen, dass er unten abgebrochen war. Es sah aus, als hätte er einmal in einer Fassung gesteckt, ehe ihn irgendjemand oder irgendetwas mit großer Kraft aus seinem angestammten Platz herausgeholt hatte. Ich ließ den Kristall in den Taschen meines schmutzigen Kleides verschwinden, beugte mich über den Toten und nahm all meinen Mut zusammen, ehe ich ihm zaghaft das seidenweiche Haar aus dem Gesicht wischte. Als ich seine Ohren sah, wich ich erschrocken zurück. Mit einer bösen Ahnung kroch ich um ihn herum und platzierte mich hinter seinem Rücken, aus welchem ich mit einem gewaltigen Ruck einen der mindestens sieben Pfeile riss. Ich wusste, dass der Mann das nicht mehr spüren konnte, darum ging ich nicht allzu vorsichtig vor. Durch die herrische Bewegung spritzte allerdings ein beachtlicher Blutschwall aus der Wunde und besudelte mein Kleid. Davon nahm ich kaum Notiz. Ich starrte den Pfeil an. Es war einer von denen, die die angesehenen Jäger in Jordheim kauften und teilweise auch selbst herstellten. In Vasudheim, was direkt im Schatten der Hauptstadt lag, bot manchmal der ein oder andere Händler ein paar dieser Geschosse feil. Sie waren von bester Qualität, aus seltenem Holz gefertigt, mit perfekt angeordneten Widerharken versehen und für das Gefieder verwendete man nur die Federn mächtiger Wesen aus dem Grenzgebiet. Ich erschauderte und mir wurde eiskalt. Dieser Pfeil war einer von denen, wie sie nur die Elitekämpfer des Reiches benutzten. Und der Mann, der ihnen zum Opfer gefallen war, war ein Elf. Ich sprang auf und rannte, von Grauen gepackt, ins Dorf zurück. Ein paar Arbeiter starrten mich an -höchstwahrscheinlich wegen meinem blutbespritzten Kleid- und einige riefen mir irgendwelche Worte nach, doch ich hörte sie nicht. Dabei raste mein Herz vor Angst. Ein Elf, ein Hibernianer...und ich hatte mit ihm gesprochen, ihm gar etwas versprochen. Bei dem Gedanken, was Papa wohl mit mir anstellen würde, sollte er davon erfahren, brach mir der kalte Schweiß aus. Um kein Aufsehen zu erregen, zog ich zu Hause heimlich mein Kleid aus und vergrub es später im Wald. Den neugierigen Männern erzählte ich lässig, dass ich auf der Jagd einen Hügel hinab gefallen sei und mich dabei verletzt hätte und dass es viel schlimmer aussah als es tatsächlich war... jeder glaubte es und keiner fragte mich mehr, die Sache geriet in Vergessenheit. Aber nicht für mich... Diese Gedanken schossen mir nun durch den Kopf und ich verdrängte sie rasch. Einen Moment blickte ich den Beutel noch an und zögerte, doch dann befestigte ich ihn an dem groben Seil, das ich als Gürtelersatz um die Hüften trug. Leise verließ ich die alte Holzhütte, nahm im vorbeigehen einen Korb aus grob geflochtenem Holz an mich und bewegte mich in Richtung Wald. Dabei schweiften meine Gedanken schon wieder ab, hin zu dem toten Elfen. Ob die Jäger seine Leiche wohl irgendwann gefunden hatten? oder hatten sich die Wölfe seiner angenommen? ohne es zu merken, war ich schon ziemlich tief in den Wald vorgedrungen. Ich stellte meinen Korb ab, ging in die Hocke und begann, Pilze zu sammeln. Ich hatte schon ziemlich viele aufgelesen, als hinter mir plötzlich ein Knacken erklang und ich rauhen, leisen Atem im Nacken spürte. Ahnungslos drehte ich mich um- und schrie erschrocken auf. Die Gestalt vor mir war riesig, an die zwei meter oder mehr. Und sie war kein Mensch. Auf zwei Beinen aufrecht gehend und ohne Kleidung, der gesamte, muskulöse Körper mit struppigem, schwarzbraunem Fell bewachsen. Die Kreatur hatte einen Wolfsschädel, die gelben Augen glühten mich unheimlich an. Ich stand langsam auf und wich -ebenso langsam- Schritt für Schritt zurück. Das Wolfswesen knurrte leise und folgte mir im gleichen Tempo, wobei es seine Schnauze öffnete und mir eine Reihe fingerlanger, blitzender Zähne zeigte. Die Warnung war unmissverständlich. Ich blickte gehetzt nach links und rechts. Ringsum Bäume, Sträucher und der ein oder andere Felsen. Das Vieh war ganz sicher schneller zu Fuß als ich und die Bäume hatten keine tiefhängenden Zweige oder Vorsprünge, die eine Flucht in die Wipfel ermöglicht hätten. Ganz abgesehen davon, dass sich das Monster wohl sofort auf mich stürzen würde, sollte ich den Anschein erwecken, fliehen zu wollen. Ich wich noch weiter zurück und der Riesenwolf folgte mir erneut. Das Knurren war jetzt wirklich drohend und mein Blick flackerte vor Angst. Neben mir lag ein abgebrochener, alter Ast und ich griff rasch danach. Das war eine ziemlich erbärmliche Waffe, aber wenn mich dieser Flohbeutel schon in Stücke reißen wollte, würde ich ihm mein Leben zumindest so teuer verkaufen, wie es eben möglich war. Mehr oder weniger kampflustig sah ich den Mörderwolf an und ärgerte mich, dass meine Stimme so sehr zitterte, als ich ihn nun meinerseits anknurrte: "Komm doch her, wenn du Prügel kassieren willst, du Bettvorleger! mir machst du keine Angst!" Habt Ihr schon mal einen Wolf lachen sehen? nein? ich kann Euch sagen, es ist ein durch und durch bizarrer Anblick. Denn der Bettvorleger, wie ich ihn genannt hatte, riss jetzt das gewaltige Maul auf und gab rauhe Laute von sich, die ganz tief aus seiner Kehle zu kommen schienen. Es klang tatsächlich so, als ob er mich auslachte. Ich blieb einen Moment lang verdattert stehen, ehe plötzlich Zorn in mir hochkochte. Mit einem halbherzigen Kampfschrei stürzte ich vor und schwang den aushilfsmäßigen Prügel. Das Wesen hörte auf zu lachen -sollte es sich denn überhaupt um ein Lachen gehandelt haben- und prellte mir mit einem einzigen, nahezu gelangweilten Hieb den Knüppel aus der Hand. Ich wurde durch meinen eigenen Schwung nach vorne gerissen und schlug hart auf dem Waldboden auf. Bunte Punkte tanzten vor meinen Augen. Im selben Augenblick gab der Wolf seine bis dato eher passive Haltung auf und stürzte sich mit einem kehligen Knurren auf mich, die ich noch immer benommen am Boden hockte. Das wars dann wohl, dachte ich und machte die Augen fest zu. Doch es geschah nichts. Keine Krallen, die sich in meine Brust bohrten, keine scharfen Fänge, die mir die Kehle zerfetzten. Stattdessen hörte ich den Killerwolf plötzlich zornig aufbrüllen und vernahm gleichzeitig eine zweite Stimme, die mir herrisch zurief: "Nun schlaf nicht ein, verdammt! auf die Beine mit dir!" ich öffnete die Augen und sah erstaunt, welches Bild sich mir bot: das Wolfswesen, knapp über mir, mit geiferndem, weit geöffnetem Maul. Seine Klauen kratzten über die Erde, die Rute schlug wild hin und her. Aus irgend einem Grund konnte es sich nicht bewegen, oder zumindest nur so langsam, dass es sich mühsam milimeter für milimeter vorwärts schob. Und ich war nicht mehr allein mit dem Untier. Hochaufgrichtet stand dort eine junge Frau und fuhr mich nochmals an, endlich aufzustehen. Ich gehorchte rasch und sprang auf, ehe ich erschrocken zurück wich, als das Untier zornig aufjaulte und den Hals lang machte, um nach mir zu schnappen. Dabei schien es noch immer, als sei es am Erdboden festgeklebt, es konnte sich kaum bewegen. "Steh da nicht dumm rum und glotz! komm her, und dann lass uns verschwinden!" schrie die junge Frau zornig. Ich eilte an ihre Seite, sie fasste mich hart am Arm und rannte auch schon los, wobei ich mühsam hinter ihr herstolperte. Ich war noch immer restlos verwirrt und der Schreck saß mir in den Knochen. "D...danke," keuchte ich im Laufen. Sie schüttelte knapp den Kopf und beschleunigte ihr Tempo. Ihre Stimme klang gehetzt und nicht sehr freundlich: "Bedank dich nicht zu früh, er wird sich nämlich jeden Moment wieder bewegen können und dann haben wir gewaltige Probleme...nochmal kann ich ihn nicht so an der Nase herumführen und wenn er uns erwischt, sind wir fällig. Was hattest du bloß alleine hier zu suchen? weißt du nicht, dass es derzeit verdammt schlimm mit den Askheimern ist?!" ich wusste es nicht. Doch ich fühlte mich zurecht gewiesen und schwieg, zumal ich eh schon aus der Puste war und den wenigen Atem, den ich noch hatte, nicht zum Sprechen vergeuden wollte. Die junge Frau hatte wohl auch keine Antwort erwartet, denn sie lief nur mit ungehaltenem Gesicht weiter und zerrte mich micht. Da war schon der Waldrand und ich atmete erleichtert auf. Zu früh, wie ich eine Sekunde später feststellen musste. Hinter uns erklang ein wütendes Heulen und knackende Zweige sowie wild stampfende Schritte kündeten an, dass der Wolf -Askheimer?- sich wohl aus seiner merkwürdigen Lage befreit hatte. "Lauf schneller!" schrie die junge Frau und ich konnte die Angst in ihrer Stimme deutlich hören. Ich keuchte, japste nach Luft und schaffte es irgendwie, ihrer Aufforderung Folge zu leisten. Trotzdem hätten wir es wohl nie geschafft, wären in diesem Moment nicht die vasudheimischen Stadtwachen am Waldrand aufgetaucht. "Hilfe! helft uns!" brüllte die Frau und die Wachen fuhren herum. Es waren Trolle und ich atmete unendlich erleichtert auf: Die drei riesigen Kreaturen in ihren schwarzen Kettenrüstungen wirkten wie lebendig gewordene Alpträume und die Schwerter und Äxte, die sie bei sich trugen, waren mehr als doppelt so groß wie die Waffen der normalen Milesier. Sie stürzten sich zornig auf den Wolf- doch er wich ihnen geschickt aus, indem er sich mit einem raschen Satz zur Seite rettete. Seine glühenden Augen waren auf die Frau und mich gerichtet, er schien wild entschlossen...das ist doch nur ein Tier!, rief ich mir in Gedanken zu und beobachtete entsetzt, wie er Wolf sich mit einem gewaltigen Satz nach vorne warf. "Aaahrgh!" Das Wolfswesen schrie kehlig auf, als sich die Axt und die Klinge des Bastardschwertes der beiden Wächter gleichzeitig in seinen Leib bohrten. Hinter den Hieben steckte eine furchtbare Kraft, Blut spritzte, das Ungetüm stürzte mitten im Sprung nieder und riss mit seinem Gewicht noch die junge Frau zu Boden. Ich kniete mich rasch hin und versuchte, den schlaffen Körper des toten Biestes von ihr herunter zu zerren, aber meine Kräfte reichten dazu nicht aus. Plötzlich wurde ich von zwei gewaltigen, steinernen Armen einfach hochgehoben. Ich sah verdutzt auf und blickte in zwei pechschwarze, glänzende Trollaugen. Der Riese grinste mir zu und stellte mich neben der Frau wieder auf den Boden, während der andere Wächter sich schon schwerfällig hinunter beugte und die Leiche mit beiden Händen mühelos von meiner Retterin hinunter zog. "Ist Euch etwas passiert?" fragte er mit tiefer, rauher Stimme und hielt ihr eine schaufelartige Hand hin. Sie zog sich dankbar hoch und schüttelte knapp den Kopf. "Habt Dank. Es geht schon." Die Wächter nickten und wollten sich schon umdrehen, als die junge Frau rasch fragte: "Auf ein Wort noch! wie kommt es, dass Askheims Ausgeburten sich so nahe bei Vasudheim herumtreiben?" der Troll, der mich hochgehoben hatte, wendete langsam den Kopf. "Schlechte Zeiten," grollte er. "Nirgends ist es sicher. Schlechte Zeiten." Damit ließen sie uns endgültig allein. Ich blickte ihnen staunend nach und wandte mich dann zu der Frau um. Streng genommen war sie noch gar keine Frau, eher ein junges Mädchen, vielleicht zwei oder drei Jahre älter als ich. Ich hatte dem bisher kaum Beachtung geschenkt, weil ich solche Angst hatte, doch jetzt fiel mir erst auf, was sie eigentlich war. Eine Valkyn. Eine leibhaftige Valkyn aus dem geheimen Land, vermutlich Aegirham. Aus ihrem für die Rasse typisch-herbem Gesicht blickten mich zwei leuchtend gelbe Katzenaugen an, die plattgedrückte Nase schnüffelte und aus einer wilden, schulterlangen Flut honigblonder Haare sah ich ihre spitzen, braunen Katzenohren stechen. Ich blinzelte und mir wurde bewusst, dass ich die Andere anstarrte. Das Mädchen quittierte dies mit einem spöttischen Lächeln. "Satt gesehen?" fragte sie, doch es klang eher gutmütig. Ich nickte verlegen. "Ja." Eine Pause trat ein und das Mädchen musterte mich nun ihrerseits prüfend. Dabei schien sie das Askheimer-Blut, das ihr ärmelloses, braunes Stoffkleid besudelte, nicht im geringsten zu stören. "Du kommst aus Vasudheim?" "Ja." "Wie alt bist du?" Ich blinzelte verwirrt. "Warum fragst du?" sie schüttelte lässig ihre Haare. "Das Vieh eben...das war noch ein Werwolf-Junges. Und du konntest es nicht einmal einschläfern. Darum frage ich, wie alt du bist. Hast deine Ausbildung wohl noch nicht angefangen, wie?" Ich schnappte nach Luft. Was für eine eingebildete Kuh! "Nein," fauchte ich, "ich fange im nächsten Jahr damit an!" sie grinste breit. "Ach so." "Und ausserdem," ergänzte ich bissig, "hattest du doch eben auch die Hosen voll!" "Gar nicht wahr!" "Wetten?!" Wir starrten uns feindselig an. "Wie heißt du überhaupt?" fragte das Mädchen- in einem Ton, als wolle sie es eigentlich gar nicht wissen, aber sich trotzdem dazu herabließ, das Wort an mich nichtiges Wesen zu richten. Ich schäumte vor Wut. "Llienne Asmundsdottier," fauchte ich. Sie lächelte ob meines patzigen Tones spöttisch. "Aja." Jetzt wartete sie wohl darauf, dass ich sie nach ihrem Namen fragte, doch da hatte sie sich gewaltig geschnitten! dieses fellige Langbein glaubte wohl, ich sei ihr wegen der Rettung vor diesem Wölfchen etwas schuldig. Dabei hatte sie vor Angst selbst geschlottert wie ein kleines Mädchen. Als ich beharrlich schwieg, blinzelte sie und meinte beinahe gönnerhaft: "Ich bin Keena." Ich sagte nichts und sie wurde ungeduldig: "Was ist, bist du jetzt stumm?" ich blickte sie kühl an und ahmte den trockenen, sarkastischen Tonfall meines Vaters nach: "Ich warte nur darauf, dass du fertig wirst, Keena." Plötzlich zuckten ihre Mundwinkel, sie blinzelte erneut- und brach in kehliges Gelächter aus. Ich sah ihr gallig dabei zu. "Ich bin fertig. Also dann, Llienne Asmundsdottier, was hältst du davon, wenn wir nach Jordheim in die Schänke gehen und auf den Sieg über die schlimmste Bestie seit den Chtonrittern anstoßen?" ich wusste nicht, was ein Chtonritter war und die Gesellschaft Keenas suchte ich auch nicht unbedingt, aber ich hatte Durst und die Hauptstadt war immer einen Besuch wert. "Na ja, warum nicht," sagte ich, noch immer ein wenig schmollend. Sie packte mich sogleich am Arm udd hakte sich bei mir unter. "Dann auf." Jordheim war eine gewaltige Stadt. Hoch ragten die Mauern aus uralten, im Laufe der Zeit steinhart gewordenen Eichenbalken in den Himmel empor. Es gab so viele Sackgassen, Irrwege und Abzweigungen, dass ich mich noch heute manchmal hoffnungslos im Inneren der Stadt verlief. Das Dröhnen der Schmiede wehte zu uns herüber und vermischte sich mit dem Gegröle, das aus dem Inneren der vielen Tavernen nach draußen wehte. Händler boten lautstark ihre Waren an und junge Männer und Frauen suchten ihre Ausbilder auf, um an ihren Fertigkeiten zu feilen und Körper und Geist zu stärken. Ich blickte neidvoll zu einer jungen Koboldfrau hinüber, die mit strahlender Miene auf das Haus der Runenmeister zulief. Im nächsten Sommer würde es auch bei mir soweit sein. Dann würde ich die Zunft der ranglosen Wikinger verlassen und mich ausbilden lassen. Papa sagte ja, ich sollte eine Kriegerin werden, doch irgendwie spürte ich, dass dies nicht der Weg war, den ich wählen wollte. Papa würde an die Decke gehen, wenn ich ihm dies sagte...ich verdrängte den Gedanken und wandte mich an Keena. "Du hast doch deine Ausbildung schon angefangen?" Keena nickte und übersah die Blicke einiger junger Skalden, die mit großen Augen auf ihr beschmutztes Kleid starrten und leise tuschelten. Ein wenig ungeduldig fügte ich hinzu: "Und? was bist du?" Keena lächelte mich ein wenig ungläubig an. "Weißt du das wirklich nicht?" "Nein...was denn?" Sie schüttelte ob meiner grenzenlosen Unwissenheit den Kopf. "Und du willst im Schatten der Haupstadt leben und bekommst nichtmal die selbstverständlichsten Dinge mit." Ich wollte schon auffahren, doch sie fügte rasch hinzu: "Wir Valkyn können, wenn wir den Weg der Magie gewählt haben, nur Knochentänzer werden, du Dummchen." Knochentänzer...! ich war so erstaunt, dass ich ganz vergaß, wie sie mich gerade genannt hatte. Widerwillig schlich sich Bewunderung in meine Augen und dies entging dem Katzenmädchen natürlich nicht, denn sie fügte hoheitsvoll hinzu: "Dass sich niemand mit der Macht der Knochentänzer messen kann, weißt du ja sicher?" ich nickte langsam, obwohl ich mich selbst darüber ärgerte. Wo sie recht hatte... "Und was wirst du?" ich überlegte nur kurz. Die kleine Gruppe frisch gebackener Skalden stand noch immer an einem Waffenstand und schaute zu uns hinüber. Mir fiel ein Junge auf, der etwas abseits stand und mich -so schien es mir- besonders intensiv anstarrte. Er hatte dichtes, schwarzes Haar und noch bartlose Wangen. Seine grünen Augen hatten irgendwie etwas Beunruhigendes und so wandte ich schleunigst den Blick von seinem Gesicht ab. Gekleidet war der Junge wie all die anderen: von Kopf bis Fuß in rauhes Nietenleder gehüllt und mit dem Geschenk des Skaldenmeisters ausgestattet, dem unverkennbaren, hellblauen Schlachtensänger-Umhang. Ich nickte kaum merklich und hatte meinen Entschluss im Stillen gefasst. "Ich werde eine Skaldin," sagte ich zu Keena. Sie lächelte mit unverhohlenem Spott. "Skalden können nur laufen und ein bisschen singen und nichtmal das besonders gut," versetzte sie abfällig. Ich schnaubte wütend. "Wollten wir nicht in eine Schänke gehen?" "Ja, aber vorher brauche ich unbedingt ein paar neue Klamotten. Kommst du mit oder willst du warten?" welche Frage! doch dann fiel mir wieder ein... "Ich habe kein Geld," murrte ich lustlos. Keena zog mich wieder einmal rücksichtlos am Arm und schleifte mich in Richtung Marktplatz. "Wenns nur das ist," lachte sie. "Wozu hast du eine angehende Knochentänzerin bei dir? ich hab ein paar Silbermünzen dabei, vielleicht finden wir ja irgendwas für Llienne Asmundsdottier, die glücklose Schlachtensängerin!" ich seufzte leise und sparte mir meinen Atem, sondern schaute stattdessen noch einmal vorsichtig zu dem schwarzhaarigen Jungen zurück. Er starrte mich weiterhin musternd an. Wie ein junges Pferd, das er auf Macken prüft, dachte ich mit einem Anflug von Ärger. Unvermittelt rief ich über die Schulter: "Hab ich was im Gesicht? pass nur auf, dass dir nicht die Augen austrocknen, oder hab ich dir vielleicht was geklaut?!" Seine Freunde brachen in brüllendes Gelächter aus und stießen ihn an. Der Junge jedoch stimmte nicht in ihr Lachen ein. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen und ein Schatten huschte über sein Gesicht. "Ich frage mich nur, was eine Bauerngöre mit so einer wie der da zu schaffen hat!" sagte er und deutete auf Keena. Ich blieb so ruckartig stehen, dass auch die Valkyn verharrte. Der Junge fuhr unbeeindruckt fort: "Dieses räuberische Pack wird hier nicht gern gesehen und auch die da sollte lieber früher als später in die Ecken zurückkriechen, aus denen sie gekommen ist." Einer der jungen Männer berührte seinen Freund an der Schulter. "Leif, meinst du nicht, dass..." setzte er unbehaglich an, doch der Schwarzhaarige beachtete ihn gar nicht. "Wir wollen diese primitiven Diebe hier nicht!" wiederholte er. "Komm weiter," sagte Keena leise zu mir.Von ihrer kecken Art war nichts mehr geblieben. Ich sah sie an und fuhr zusammen: Keenas Blick flackerte- als hätte sie Angst. Ihre spitzen Ohren zuckten und sie hatte die Lippen fest zusammen gepresst. Das schürte meinen Zorn auf eigentümliche Weise. Obwohl sie sich eben alle Mühe gegeben hatte, mich mit ihrer stolzen, hochnäsigen Art zu ärgern, fühlte ich mich plötzlich so, als sei sie meine kleine Schwester, die ich nun vor diesem miesen Knilch in seiner blöden Rüstung beschützen musste. Und das, wo sie einen guten Kopf größer als ich und noch dazu älter war. "Komm, Llienne. Lass gut sein," versuchte es Keena nochmals. Ich starrte in das böse grinsende Gesicht des jungen Skalden, schüttelte Keenas Hand ab und stiefelte auf den Schwarzhaarigen zu. "Und wer bist du, dass du hier so dein großes Maul aufreißt?" fuhr ich ihn an. Er war viel größer als ich und noch dazu bewaffnet- sein Schwert hing an seiner linken Hüfte. Eine schäbige, schartige Klinge ohne Scheide, aber immerhin eine Waffe. Er grinste nur breit und sah auf mich hinab. Vermutlich kam es nur sehr selten vor, dass ein mageres, braunbezopftes Mädchen in einem schäbigen Kleid ihn so patzig von der Seite anmachte. Doch er antwortete großmütig. "Leifnir Havocbringer heiß ich, Bauerngöre!" "So, Leifnir Havocbringer, dann lass dir von Llienne Asmundsdottier der Bauerngöre sagen, dass du ein arroganter, aufgeblasener Hammel bist! das da drüben ist Keena und sie wird einmal eine Knochentänzerin, falls du weißt, was eine Knochentänzerin ist. Du kannst von Glück reden, Leifnir Havocbringer, dass Keena heute gute Laune hat, sonst würde sie dich Stück für Stück aus deiner feinen Rüstung prügeln und du könntest in deinen feinen Unterhosen durch Jordheim laufen!" das alles brachte ich in einem Atemzug hervor und stemmte die Arme in die Hüften. Rote Flecken waren auf meinen vollen Kinderwangen erschienen. Die jungen Skalden brüllten erneut los und spendeten mir donnernden Applaus. Eine dickliche Zwergenfrau schielte aus einem Tavernenfenster und sah uns zu. Keena schaute mich groß an. Leif war sprachlos. Wenigstens für einen Moment. Ich schnaubte und rotzte herzhaft auf den Boden- das hatte ich mir bei Papa abgeschaut. "Jetzt siehst du, Leifnir Havocbringer, was Llienne die Bauerngöre von dir hält. Scher dich bloß weg und denk an meine Worte, nächstes Mal kommst du nicht so billig davon. Und..." ergänzte ich spitz und legte all den Spott, den ich aufbringen konnte, in die letzten Worte: "Man sieht, dass du kein primitiver Dieb bist, Leifnir Havocbringer. Dieses bessere Brotmesser, was du führst, hast du ganz bestimmt niemandem geklaut. Schönen Tag noch." Die Jungen krümmten sich mittlerweile vor Lachen und die dicke Zwergin hatte ihren Mann ans Fenster gerufen. Leif war knallrot geworden und fuhr mich wütend an: "Beginn du erstmal deine Ausbildung, du dumme Rotznase! hört auf zu giggeln wie die Weiber und kommt!" schnauzte er danach seine Freunde an und wandte sich mit einem Ruck um. Die Skalden kicherten noch immer, einige zwinkerten mir zu. Dann folgten sie Leif, der schon um eine Hausecke verschwunden war. Ich blickte ihnen brodelnd nach und drehte mich dann auch um. Die beiden Zwerge in der Taverne schmunzelten und wandten sich dann auch wieder ihrer Arbeit zu. Keena lächelte mich breit an und zum ersten Mal wirkte es ehrlich. "Danke, Llienne." "Ach was. Ich kanns nur nicht leiden, wenn Jungen sich so aufführen, nur weil sie glauben, ein Mädchen müsse sich alles gefallen lassen. Ausserdem wollte sich dieser Esel nur wichtig machen, um vor seinen Freunden anzugeben. Pah." Sie kicherte. "Du hättest dein Gesicht sehen sollen. Zum fürchten, wirklich." "Ehrlich?" "Ja, wie eine richtige Schlachtensängerin. Einfach...wahnsinn!" meine Miene hellte sich augenblicklich auf und die gute Laune kehrte zurück. Nichts schmeckt besser als Lob, wenn es von jemandem kommt, der selbst stolz ist und schon etwas erreicht hat, nicht wahr? Keena grinste noch immer versonnen, doch ich sah ihr an, dass sie die Worte des Jungen hart getroffen hatten. "Also komm, du mutige Kämpferin, wir wollten uns neu einkleiden." Wir setzten unseren Weg zum Marktplatz fort und ich wollte schon auf einen großen, muskulösen Händler mit einem wilden Vollbart zusteuern, doch Keena schüttelte den Kopf. "Der bietet nur Niete an." Ich nickte überrascht. "Klar! er hat gute Waren!" Keena gab mir eine kleine Kopfnuss. "Schon vergessen? ich werde eine Knochentänzerin. Diese Zunft trägt edle Stoffgewänder, nur die stumpfen Prügler stürzen sich in unbequemen Rüstungen in die Schlacht!" wieder sickerte ein Hauch von Spott durch ihre Stimme und ich verdrehte die Augen. "Jaja." Keena bewegte sich zielstrebig auf ein kleines, niedriges Holzhaus zu und ich folgte ihr neugierig. Drinnen standen drei milesische Frauen in prachtvollen Roben aus Seide, Samt und Brokat. Eine webte feine Tücher, die andere nahm sie an sich und bearbeitete sie mit bunten Farben. Die letzte Frau schrieb gerade die Preise für ein paar Umhänge auf. Keena räusperte sich leise. "Zum Gruße." Die Schreiberin sah auf und wie bei Leif huschte ein kurzer Schatten über ihr Gesicht, doch ihre Stimme klang wenigstens halbwegs freundlich: "Die Damen wünschen?" Keena sah sich ein wenig unbehaglich um. Was haben die Leute nur gegen sie? dachte ich verwirrt. Bei Leif war es offene Feindseligkeit gewesen und dass zumindest auch die Frauen hier nicht gerade begeistert über Keenas Besuch waren, war nur allzu offensichtlich. "Ich brauche neue Kleider," sagte Keena. "Welches Material?" fragte die Schreiberin kurz angebunden. "Leinen," gab die junge Valkyn ebenso knapp zurück. Die Frau nickte. "Wartet bitte einen Moment." Sie verschwand hinter einem Vorhang und ich hörte, wie sie dort in den Schränken kramte. Keena blickte still auf einen imaginären Punkt auf dem Fußboden und ich schaute mich ein wenig um. Viel gab es nicht zu sehen, ein paar Tücher in schlichten Farben hingen zu Dreiecken gefaltet oder ganz ausgebreitet und von Nadeln gehalten an der Wand, ein paar baumelten auch von der Decke und auf dem Tresen standen ein paar Flaschen Farbe in einer Reihe. "So...ein Satz Kleidung aus Leinen. Eine Robe oder eine Weste?" die Frau war zurück gekommen. "Eine Weste, bitte," sagte Keena. Die Frau nicke, stopfte alles in einen grob geflochtenen Weidenkorb und stellte ihn Keena hin. "Das macht..." "Und noch ein Umhang für meine Freundin hier. In der Farbe, die sie möchte." Ich starrte das andere Mädchen erschrocken an. "Ich brauche keinen Umhang, Keena, spar doch dein Geld." Sie lächelte mich leicht an: "Ich möchte dir aber gern einen schenken. Mit Kapuze oder ohne? nun zieh nicht so ein Gesicht, das sieht selten dämlich aus. Ich weiß schon, was ich mir leisten kann und was nicht." Mein Herz pochte! man wollte mir etwas schenken! Papa und Mama kauften mir nur dann neue Sachen, wenn es sich wirklich nicht mehr vermeiden ließ und selbst dann noch selten- meist bekam ich in solchen Fällen die abgetragenen Hemden meines ältesten Bruders und konnte sie dann als kurzes Kleid benutzen. "Mit Kapuze," sagte ich, ohne zu zögern. Keena lächelte breit. "Und welche Farbe?" ich trat schüchtern vor und stellte mich auf die Zehenspitzen- der Tresen war verdammt hoch. "Was kostet die da?" fragte ich die Frau und deutete auf eine Flasche. 'Karmesinrot' hieß die Farbe. "Dreißig Goldstücke," schmunzelte die Verkäuferin und ich wurde blass. Dreißig Goldstücke...für eine...Farbe?! das war mehr, als Papa in einem ganzen Jahr verdiente! schleunigst zog ich die Hand zurück. "Ehm...äh...und die da? die Hellrote?" "Zehn Silber." Ich blickte Keena an und diese nickte der Frau zu: "Ein hellroter Kapuzenumhang kommt noch dazu. Das wäre dann alles. Wieviel?" "Macht ein Gold und dreißig Silber." Keena zahlte gewissenhaft und nahm den Korb an sich. "Der Umhang braucht noch ein wenig," sagte die Frau. "Wollt Ihr warten?" Keena schüttelte lässig ihre honigblonde Mähne. "Wir gehen in der Zwischenzeit was trinken." "Gut, eine halbe Stunde, dann ist er fertig." Draußen strahlte ich Keena an: "Danke! obwohl es wirklich nicht nötig war!" sie schmunzelte. "Aber es freut dich trotzdem?" "Natürlich." Sie zwinkerte. "Dann wirst du dich gleich noch viel mehr freuen." Als ich sie fragend anblickte, fügte sie hinzu: "Deine beiden Zöpfchen sehen wirklich niedlich aus. Ich würde zu gern mal sehen, wie dir da noch ein Helm steht!" "Du machst Witze!" "Nein, keineswegs. Komm, wir gehen zu deinem Nietenhändler zurück. Als angehende Skaldin wirst du sicherlich einen stabilen, beschlagenen Helm einer Wollkappe vorziehen, eh?" ich starrte sie an und konnte nur nicken. Keenas Großzügigkeit war schon fast peinlich. "Aber du kannst doch nicht..." murmelte ich und sie unterbrach mich wieder einmal. Darin war sie wirklich gut. "Ich hols mir irgendwann zurück, Kleine. Wir gehen gleich noch ein hübsches Bier trinken und dann solltest du zusehen, dass du nach Hause kommst!" mir rieselte es eiskalt den Rücken hinab. Natürlich...bestimmt war ich schon lange überfällig. Das konnte nur in einer Katastrophe enden. Mit einem Abend ohne Essen und einer gehörige Standpauke würde ich noch gut wegkommen... "Oh, stimmt ja...Keena. Ich muss weg, mein Vater reißt mir den Kopf ab. Er weiß ja nichtmal, wo ich bin!" "Unsinn, ich komme noch kurz mit dir und sage, dass es alles meine Schuld war. Mach dir mal keine Gedanken und jetzt los, ich hab Durst!" Der bärtige Rüstungshändler blickte uns freundlich an. "Womit kann ich dienen?" der Tonfall des Mannes entlockte Keena ein Lächeln. "Meine Freundin ist schon fast eine Skaldin," sagte sie fröhlich. "Und wir fangen an, sie einzukleiden. Mit einem Helm von Euch." Der Mann schmunzelte und betrachtete mich. "Mhmm...dann wollen wir doch mal sehen, was wir für die junge Frau haben." Ich lief vor Stolz rot an. Junge Frau, fast eine Skaldin...! der Rüstungshändler hob einen großen, eisenbeschlagenen Lederhelm von einem gusseisernem Ständer und stülpte ihn mir einfach über. Er rutschte mir sofort über die Augen, lediglich meine dunkelbraunen, geflochtenen Zöpfe, die mir links und rechts über die Schultern fielen, waren noch zu erkennen. Keena brach in lautes Gelächter aus. "Mhm ja...also...der scheint wohl doch eher ungeeignet," murmelte der Mann und kratzte sich verlegen am Bart. Meine Stimme klang ganz gedämpft unter dem Helm: "Na ja, aber fast." Keena lachte noch lauter. Der Mann nahm mir den Helm wieder ab, legte ihn auf seinen Platz zurück und suchte nach einem besseren. Kichernd beugte sich Keena vor und zupfte mir eine Strähne aus dem rechten Zopf. Ich starrte sie böse an und wollte ihr gerade das an den Kopf werfen was sie nur verdiente, als der Mann den gleichen Helm, nur um einiges kleiner, in die Hand nahm und mir hinhielt. "Versuch mal, ob der passt!" ich tat, was er verlangte- und siehe da, der Helm passte perfekt. Fast zumindest. "Ja, der sollte gehen," nickte der Händler zufrieden. "Ich zahle," sagte Keena, noch immer glucksend. Wenig später schlenderten wir auf die Taverne zu, aus der uns das Zwergenpaar zugesehen hatte, wie ich Leif Beine machte. Meinen Helm behielt ich selbstverständlich auf dem Kopf und bedankte mich wohl hundert Mal bei Keena, die nur immer wieder großmütig abwinkte und mir versicherte, dass sie sich irgendwann von mir zu irgendetwas einladen lassen würde. Ich war glücklich. Ich war wirklich glücklich. Ich hatte eine neue Freundin gewonnen, einen echten, einer Skaldin würdigen Helm erstanden und dann war da noch der hellrote Kapuzenumhang, der auf mich wartete. Und jetzt sollte ich sogar ohne Papa in eine echte Kneipe gehen und das trinken, was normalerweise nur Erwachsene oder zumindest ältere Kinder zu sich nahmen! der Tag war gerettet. Jetzt konnte nichts mehr schiefgehen. Dachte ich zumindest. Aber hätte ich mich da man nicht zu früh gefreut... Die Taverne war hoffnunglos überfüllt. Ich warf nur einen kurzen Blick ins Innere und wollte mich schon wieder umdrehen, doch Keena schienen die vielen Leute, ihre lauten Stimmen und die stickige Luft nich sonderlich zu stören. Energisch schob sie mich weiter, ohne auf mein widerwilliges Gemurre zu achten. "Stell dich nicht an," sagte Keena, "später bietet dir dein Gegner auch keine Verschnaufpause an, nur weil du vielleicht aus der Puste bist." Ich blickte sie feindselig an. Die hatte gut reden! sie war um einiges größer als ich und aus irgendwelchen Gründen machten ihr die Leute sogar noch ein wenig Platz, während ich mich nach Kräften bemühte, nicht von irgend einem hochgewachsenen Troll oder Nordmann zertreten zu werden. Schließlich schaffte Keena das nahezu Unmöglivhe: Sie ergatterte zwei kleine Plätze am Ende des Raumes. Geschickt schlängelte sie sich zwischen einer Koboldin und einem Trollwächter hindurch und winkte mich ungeduldig heran. Mit einem mürrischen Seufzer tauchte ich unter dem Arm des Wächters hervor, stieß mir irgendwo die Stirn und fluchte laut, obwohl mein Helm mich vor einer saftigen Beule bewahrt hatte. Keena grinste mich spöttisch an und ließ sich auf einen unbequemen Holzschemel sinken. "Du guckst nicht gerade begeistert." "Ach, ist nicht wahr." Ich machte den Hals lang und blickte zum Tresen, an dem sich die Männer und Frauen drängelten und gegenseitig auf die Füße traten. "Sag nicht, man muss sich da auch noch anstellen?" brummte ich und Keena schlug mir so heftig auf die Schulter, dass ich beinahe von meinem Hocker stürzte. "Erfasst. Und rat mal, wer von uns holen geht? ich will 'n einfaches Bier. Da hast du Geld!" sie drückte mir ihren Beutel in die Hand und winkte übertrieben. Ich knirschte mit den Zähnen, wollte aber nicht undankbar sein -dafür schuldete ich ihr mittlerweile ein bisschen zuviel- und ging lustlos wieder nach vorn. Ein bisschen verloren kam ich mir ja schon vor, wie ich da mit meinem schäbigen Wollkleid und dem neuen Helm stand und all den anderen Gästen nicht einmal bis zur Brust reichte. Meine Laune sank, sofern es denn möglich war, noch tiefer. Ich war klein, selbst für ein Mädchen und selbst für eine Milesian. Papa sagte immer, ich sei einfach zu faul zum weiterwachsen und ich stimmte dann meist mit einem zerstreuten Grinsen zu. Seufzend verdrängte ich den Gedanken einmal mehr und stellte mich auf die Zehenspitzen. Plötzlich bekam ich etwas kaltes, nasses in den Nacken und schrie vor Schreck auf. Wütend wirbelte ich herum und stieß einer Koboldin -die als eine der Wenigen ungefähr genauso groß war wie ich- beinahe den Krug aus der Hand. Vor mir stand -ich schnappte nach Luft- dieser schwarzhaarige Skaldenbubi! in seiner Hand hielt er noch einen Holzhumpen, aus dem das Eiswasser tropfte, das er mir in den Nacken gekippt hatte und das mir jetzt in widerlichen Bahnen langsam den Rücken hinabrann. "Ach...", machte Leifnir gedehnt, "wie klein die Welt doch ist! was willst denn ausgerechnet du hier, Mini? das ist kein Ort für Windelscheißer wie dich." Ich tat das Einzige, das mir in meiner grenzenlosen Wut einfiel- ich trat ihm heftig vors Knie und wurde dafür sofort mit einem kurzen, stechenden Schmerz im Fuß belohnt. Er grinste so breit, als wolle er sich in die eigenen Ohrlappen beißen. "Tja, Satz mit X, das war wohl nix, hm?" "Was willst du, du blöder Sack?!" fuhr ich ihn an. Er hob die buschigen Brauen. "Wie hast du mich genannt?" "Blöder...Sack...!" Ehe ich mich versah, hatte er mich im Genick gepackt. Ein paar Leuten, die jetzt argwöhnisch schauten, erklärte er lachend: "Die Kleine ist meine Schwester. So etwas Ungezogenes gibts kein zweites Mal, ich soll sie nach Hause holen, ist schon gut." Schwester? ich? knurrend versuchte ich nun, ihm statt einen Tritt einen Schlag auf die Nase zu verpassen, doch er fing meine Faust lässig mit der seinen ab und der Schmerz zuckte nun durch meine Fingerknöchel. Keena saß noch immer auf ihrem Platz und hatte anscheinend noch nicht einmal bemerkt, was sich hier gerade abspielte. Und ich würde den Teufel tun und nach ihr schreien. "Was willst du?" zischte ich stattdessen Leif an, der mich noch immer mühelos gepackt hielt. "Draußen," knurrte er. Unsanft bahnte er sich seinen Weg zur Tür, stieß ein Koboldmädchen roh zur Seite und zerrte mich einfach mit. Mir blieb wohl oder übel nichts anderes übrig, als ihm zu folgen, obwohl ich biss, kratzte, tritt und strampelte. Draußen atmete er tief ein, sah mich unheilvoll an und zog mich weiter, in eine stille Gasse. Langsam -aber wirklich langsam- bekam ich es mit der Angst zu tun. Was wollte dieser miese Rüpel? ich malte mir aus, wie er mich grob am Zopf zog und mir weh tat...oder wie er mir gar meinen neuen Helm klaute. Der Gedanke machte mich so rasend, dass ich die Hände über dem Kopf zusammenschlug, meinen Helm umklammerte und ihn anfauchte: "Egal, was du willst, du kriegst es nicht. Glaubst du, nur weil du größer und älter bist und deine blöde Ausbildung schon angefangen hast, muss ich Angst vor dir haben?" er starrte mich an, blinzelte- und brach dann in schallendes Gelächter aus! Ich hatte es allmählich wirklich satt. Keena war in dem Punkt genauso. Wurde ich einmal ernsthaft böse, fiel ihr nichts besseres ein, als mich auszulachen. "Was ist so witzig?!" fauchte ich und wich ein wenig zurück. Vielleicht war er ja verrückt geworden, vollends durchgedreht. Möglich war alles. "Ein laufender Meter und trotzdem so eine Giftspritze...herrlich!", kicherte Leif. Ich schwieg abwartend und erdolchte ihn nur mit meinen mörderischen Blicken. Es verging eine beachtliche Zeit, ehe sich Leif endlich beruhigte, doch das mir inzwischen sehr verhasste Grinsen blieb weiterhin wie gemeißelt auf seinen Zügen. "Also?" fragte ich eisig. "Hm..?" "Warum hast du mich jetzt hierher geschleppt? Keena wartet, also mach hin!" Er schnippte mit den Fingern. "Keena, stimmt, so hieß das Vieh..." ich unterbrach ihn heftig: "Warum bist du so gemein zu ihr? sie hat dir nichts, aber auch gar nichts getan!" "Sie ist eine Valkyn, das reicht." "Ach?!" "Ja, ach." Wir standen uns gegenüber. Ich ballte die Fäuste und meine braunen Augen blitzten, er hingegen musterte mich nur kühl und hielt wie zufällig die Hand auf dem Griff seines billigen Schwertes. "Du hast mir immer noch nicht gesagt, was du nun von mir willst, oder ist dir nur langweilig? deine Freunde haben wohl keine Zeit mehr für dich, wie?" natürlich wollte ich ihn provozieren. Ich war schon immer schnell reizbar, wie ich an dieser Stelle leider zugeben muss. Aber Leif weckte Aggressionen in mir, die ich mir jetzt und auch viel später nie richtig erklären konnte. Zu meinem Bedauern antwortete er nur ganz gelassen: "Doch, haben sie. Und weil du es gerade so nett angesprochen hast- ich habe wenigstens Freunde. Ich will mit dir über diese Valkyn sprechen. Willst du zuhören?" "Nein, aber es wird mir kaum was anderes übrig bleiben, stimmts?" "Wie schlau du doch bist." Ich spuckte wütend auf den Boden. "Dann leg los, ich bin gespannt." Er runzelte kurz die Stirn, zuckte sachte die Achseln und meinte beiläufig: "Bevor wir anfangen...will ich mich noch bei dir entschuldigen." Ich blinzelte, dies überraschte mich nun doch. Aber ich wollte schnell zu Keena zurück und sagte darum unwillig: "Ist angenommen. So....und?" irrte ich mich, oder blitzten seine Augen kurz zornig auf? zumindest klang seine Stimme ein wenig gepresst, fast so, als bemühe er sich, mich nicht zu packen, zu beuteln und anzuschreien. "So...ich war eben ein bisschen überrascht so ein V...eine von ihnen hier zu sehen." Ich lächelte spöttisch. "Ja, das habe ich gesehen. Und wir alle haben es gehört," fügte ich nach kurzem Zögern wütend hinzu. Er ging nicht darauf ein. "Weißt du, wer sie sind, Llienne...so heißt du doch, oder?" ich nickte mürrisch. "Ja, so heiß ich. Und ich weiß, wer sie sind. Sie leben auf den geheimen Inseln, haben eigene Götter, sind um einiges geschickter und weiser als wir und ihre Kultur..." er fiel mir höhnisch lachend ins Wort: "Kultur? Kultur?! eine interessante Ausdrucksweise, wirklich." Fragend blickte ich ihn an und er fuhr heftig gestikulierend fort: "Rücksichtslose, brutale Räuber sind sie! Mörder! ja, da guckst du, wie? die ziehen nicht wie wir gegen Albion und Hibernia, um ihre Heimat zu beschützen...die haben Spaß am töten! hast du das gewusst? nein, nicht wahr? aber so ist es. Sie feiern gottlose Feste...Orgien wäre wohl besser...und metzeln diejenigen nieder, die mit auf ihren Inseln leben. Durch sie wird es bald keine Morvalt mehr geben und wenn ihnen das nicht reicht, werden deine Ach-so-feinen-Valkyn vielleicht hier bei uns einfallen und weiter töten. Na? was sagst du jetzt?!" Leifs Wangen waren zornrot und er hatte nicht ein einziges Mal nach Luft geschnappt. Dafür war ich jetzt sprachlos und um einiges blasser als sonst. Keena als gnadenlose Mörderin? lächerlich...! oder?... "Woher...willst du das wissen?" fragte ich matt und sah ihn an. Meine Wut war verraucht und hatte tiefer Unsicherheit Platz gemacht. Er lächelte böse. "Da merkt man wieder, dass du bloß ein dummes, kleines Mädchen bist. Jeder weiß das. Und mich würde doch sehr interessieren, was deiner Vater dazu sagen würde, sollte er erfahren, dass du mit so einer durch die Gegend ziehst. Soll ich bei Gelegenheit mal mit ihm sprechen...?" mir wurde abwechselnd heiß und kalt. "Nein!" Sein gemeines Grinsen war ja schon schlimm gewesen, doch dieses kleine Lächeln, das der Skalde jetzt zur Schau stellte, übertraf so ziemlich alles. Mit einer übertrieben süßen und trotzdem beißenden Stimme fragte er, wobei er beide Brauen hob: "Ach nein, was ist denn das? jetzt schämst du dich plötzlich für deine pelzige, kleine Freundin, hm? ging ja schnell!" ich sah ihn an, als hätte er mich geschlagen. Tränen der Wut brannten hinter meinen Lidern, doch ich hielt sie tapfer zurück. "Du gemeiner, fieser Hund," sagte ich langsam, "geh doch zu meinem Vater und heul ihm was vor, na los! ist mir doch sowas von egal. Und zu deiner großen Rede...selbst wenn auch nur die Hälfte von deinem Gelaber wahr ist, so bist du trotzdem hundert Mal schlimmer als die Ach-so-bösen-Valkyn. Und jetzt entschuldige mich bitte, ich muss kotzen, wenn ich dich noch länger ansehen muss." Ich drehte mich ohne ein weiteres Wort um und stapfte in Richtung Taverne zurück. Leifs wütende Stimme verfolge mich noch ein gutes Stück: "Schön, renn nur zu deiner kleinen Diebesschlampe. Dein Vater wird sich sicher freuen!" Ich begann, zu rennen, um seiner scheußlichen Stimme zu entgehen. Zur Taverne zog es mich nicht zurück, obwohl Keena in der Zwischenzeit bestimmt angefangen hatte, mich zu suchen, denn ich war schon relativ lange fort. Sollte sie mich halt suchen, ich wollte nicht gefunden werden, wie ich mich jetzt in einer Gosse an eine hölzerne Hauswand drückte und leise heulte. Papa würde jetzt sicher mit mir schimpfen...ich war immerhin elf Jahre alt und musste mir allmählich abgewöhnen, bei jeder Kleinigkeit in Tränen auszubrechen. Aber trotzdem...ich sah Leifnirs Gesicht vor mir, wie er mich hämisch anlächelte und von brutalen, bösartigen Valkyn sprach. Schniefend wischte ich mir über die Augen, als mich plötzlich eine Hand sanft an der Schulter berührte. Mit einem leisen, spitzen Schrei schnellte ich herum und blickte direkt in Keenas besorgtes Gesicht. "Llienne...was hast du, warum weinst du?" fragte sie ruhig. "K-Keena...nur so..." "Ja, sicher. Steht dir aber überhaupt nicht." Sie lächelte leicht und pustete mir eine braune Strähne aus dem Gesicht. Ich hickste, wischte mir nochmals über die Augen und sah beschämt zu Boden. Doch der vermutete Spott blieb aus. Stattdessen fragte sie fast sanft: "Was hat dieser Junge zu dir gesagt?" ich blickte sie überrascht an: "Du weißt...?" "Hm-hm. Die Wirtin hat gesehen, wie wir beide reinkamen. Und auch, wie dich dieser Skalde wohl gegen deinen Willen mitgenommen hat. Da hielt sie es für klüger, mir Bescheid zu geben." "Wie nett von ihr." Das Katzenmädchen nickte sachte. "Ja. Also? wie hat er es geschafft, unsere tapfere Schlachtensängerin derart aus der Fassung zu bringen?" die von ihr erhoffte Wirkung trat dieses Mal nicht ein. Sattdessen nahm ich meinen Helm vom Kopf und drehte ihn bedächtig zwischen den Händen. Er musste bei mir einfach lächerlich wirken. "Lass das doch," brummte ich. "Ich bin keine Skaldin und werde wahrscheinlich auch nie eine werden." Statt mich zu ermuntern, raufte sie sich ihre blonden Wuschelhaare. "Himmel, jetzt hört es aber auf. Selbstmitleid hilft dir kein bisschen weiter und ich kann dir ebenfalls nicht helfen wenn du mir nicht erzählst, was dieser Kerl zu dir gesagt hat. Also reiß dich zusammen oder lass es bleiben, aber stell auch bitte das Gejammer ein, ja?" nun gut, wie sie wollte. Statt sie anzugiften, fragte ich ruhig: "Er hat mir über dein Volk erzählt." Sie ließ die Hände sinken und blickte mich gespannt an. "Ach?" machte sie lauernd. "Ja. Er sagte, ihr seid nichts als diebische Räuber, die die Mor...valt?", ich brach ab und sie nickte leicht, ohne zu antworten. Mir war nicht entgangen, dass sie bei dem Wort 'Morvalt' heftig zusammengefahren war. "Nun ja, ihr würdet diese Morvalt nur aus Spaß abschlachten. Er sagte auch, dass ihr irgendwann ins Alte Land einfallen würdet um weiter zu töten. W-weil...euch das Töten Freude bereiten würde." Ängstlich blickte ich sie an und wagte nicht, die Frage zu stellen, die mir so auf der Zunge brannte. Doch sie schwieg noch immer, nur ihr Atem ging etwas rauher als sonst. "Keena?" wisperte ich. "Mh...?" Ich nahm all meinen Mut zusammen. "Stimmt das, Keena...?" "Natürlich stimmt es nicht!", fauchte sie und ich zuckte zusammen. "Entschuldige," murmelte ich und senkte betreten den Blick. Aufgebracht fuhr sie fort: "Dieser kleine Spinner hat doch keine Ahnung...es ist genau anders herum! sie kommen inunsere Dörfer, verwüsten das Land...sie verschleppen junge Männer und Frauen, töten die Alten und Kranken, nehmen sich, was uns gehört...nur dafür habe ich meine Ausbildung begonnen...nicht, um gegen Hibernia oder Albion zu kämpfen," sie schnaubte verächtlich. "Sondern um meine Heimat und mein Volk vor diesen elenden Monstern zu beschützen. Er hat sie nie gesehen, er kann es gar nicht wissen. Er kann nicht wissen, was für Ungeheuer sie sind!" das Katzenmädchen schrie jetzt fast und ich dankte Bragi im Stillen, dass niemand in der Nähe war. "Ist gut, ich glaube dir," sagte ich, entsetzt über ihren Ausbruch. "Bitte verzeih mir, ich wollte nicht...ich habs nicht so gemeint..." sie ließ einen seltsamen, grollenden Laut hören. "Vergiss es," sagte sie schroff. "Du konntest es ja auch nicht wissen. Komm jetzt...wir holen deinen Umhang und dann bring ich dich nach Hause. Für mich wirds auch langsam Zeit." Keena war wütend. Mehr noch, sie brodelte. Starr geradeaus blickend, stapfte sie zum Haus zurück, in dem sie ihre Kleider und den Umhang gekauft hatte. Wer ihr im Weg war, den schubste sie einfach zur Seite, ohne sich um die wütenden Kommentare zu kümmern. Wie ein geprügelter Hund schlich ich ihr hinterher. Im Händlerhaus angekommen, war sie auch nicht viel freundlicher: "Wir bekommen noch einen hellroten Umhang mit Kapuze, ist der jetzt fertig?" blaffte sie die Frau an, die die Tücher färbte. Von ihren glühenden Augen und ihrem herrischen Tonfall anscheinend eingeschüchtert, murmelte die Stoffhändlerin nur etwas, das wie "Ich schaue eben nach..." klang und verschwand in dem kleinen Hinterraum. Ich hörte sie dort unterdrückt mit einer anderen Frau tuscheln und es war klar, dass sie sich über Keena beschwerte. Das Katzenmädchen ließ sich nichts anmerken. Mürrisch blieb sie stehen und wartete, bis die alte Meisterin mit dem Umhang, der jetzt einen hübschen, hellroten Farbton angenommen hatte, zurückkehrte. "Hier, der gehört wohl Euch," sagte sie kühl. Keena nahm ihn, ohne sich zu bedanken. Als sie sich zur Tür wandte, meinte die Händlerin -noch immer mit frostiger Stimme- : "Und bitte...tut mir einen Gefallen. Betretet mein Haus nicht wieder...ich bediene eigentlich keine Valkyn." Ich biss mir auf die Zunge und warf einen raschen Blick zu Keena, doch die zog mich nur energisch weiter, ohne sich umzudrehen. In der Tür schenkte sie der Frau noch ein knappes, verächtliches Lächeln: "Keine Sorge, ich werde nicht wiederkommen. Und ich werde es den anderen Valkyn ebenfalls sagen. Ich kenne ziemlich viele Leute, müsst Ihr wissen." Damit knallte sie die Tür so heftig zu, dass ich die Händlerinnen durch das Holz erschrocken aufschreien hörte. Die, die uns die Sachen verkauft hatte, murmelte zornig: "Nicht zu fassen...verbrennen sollte man dieses Pack..." Wir verließen Jordheim in gedrückter Stimmung. Ich bedankte mich artig bei Keena, als sie mir den Umhang überreichte, konnte mich aber nicht wirklich darüber freuen. Ausserdem war es inzwischen Mittag und ich hatte keine Idee, was ich Papa sagen sollte. Unmöglich die Wahrheit, die würde er mir niemals glauben. Und wenn doch...was wäre, wenn er genau so ein Valkynhasser war wie Leifnir und die Händlerin war? ich musste den Gedanken wohl laut ausgesprochen haben, denn Keena sagte plötzlich abfällig: "Mach dir keine Sorgen, du kriegst keinen Ärger. Das übernehme ich schon." Ich fühlte meine Wangen heiß werden, schwieg aber. So ist es immer am leichtesten, nicht? wenn dir nichts mehr einfällt, halt einfach den Mund, damit kannst du nichts falsch machen. So klappte es auch dieses Mal, denn Keena sagte nichts mehr und wir schwiegen uns den Rest des Weges zu meinem Zuhause nachdrücklich an. Die Vasudheimischen Wachen bedachten Keena bloß mit einem kurzen, desinteressierten Blick und starrten dann wieder nach Norden. Ich war innerlich erleichtert. Noch so eine blöde Bemerkung hätte Keena sicherlich nicht geduldet. Doch die Wächter waren Trolle und ihnen war egal, wie jemand aussah, wo er herkam und wie er dachte. Hauptsache, man hielt sich an die Regeln. Nun gab es kein Zurück mehr. Wir standen vor unserem Holzhaus. Ich schluckte trocken, mein Herz hämmerte krampfhaft. Doch Keena schlug gelassen an die Tür und es vergingen nur Sekunden, ehe sie von innen aufgerissen wurde und ein bärtiger, hochgewachsener Mann nach draußen stürmte. "Llienne! wo zum Teufel warst du so lange, du kleine..." er brach ab und starrte verdutzt Keena an. Sie lächelte leicht, doch es wirkte sehr abweisend. "Zum Gruße, Herr," sagte sie kühl. "Bitte verzeiht Eurer Tochter, dass sie so spät gekommen ist. Das war mein Fehler. Dürfte ich Euch wohl erklären, warum?" er war viel zu überrascht, um zu antworten und nickte nur. "Dürfte ich zu diesem Zweck wohl eintreten?" fuhr Keena höflich, doch mit sichtlichem Ärger fort. Asmund, mein Vater, nickte erneut und fand endlich seine Sprache wieder. Ich starrte ihn überrascht an, als ich ihn sprechen hörte- seine Stimme klang seltsam hölzern und leise, so etwas hatte ich selten bei ihm erlebt. "Sicher...tretet ein. Aslein?" rief er über die Schulter. "Wir...wir haben Besuch. Wärm etwas Suppe und bring uns zu trinken. Llienne?" ich fuhr leicht zusammen. "Ja, Papa?" "Geh mit Lars raus, spiel etwas mit ihm. Storvag wird dich dann rufen." "Ja, Papa," murmelte ich und er drehte sich nochmals um. "Lars? wo steckst du, du Racker?" die helle Stimme meines jüngeren Bruders ertönte, sie kam oben aus meiner winzigen Kammer: "Jaaa?" gleich darauf sprang er übermütig die Treppe herunter und blieb vor uns stehen. Ungeniert musterte er Keena aus seinen dunkelblauen Augen. "Du siehst aus wie eine ganz große Katze!" Papa erstarrte, ich schnappte nach Luft- und Keena lächelte erneut, doch nun viel wärmer als zuvor. "Stimmt." "Lars," brummte Papa, "geh mit deiner Schwester spielen. Lauft nicht zu weit weg und bleibt in Hörweite, verstanden?" er nickte nachdrücklich. "Ja," und wandte sich sofort wieder Keena zu. "Bleibst du zum Essen?" ich musste mir ein Grinsen verkneifen. Lars sprach immer aus, was er dachte und als Einziger aus der Familie empfand er keine Furcht vor Papa. Das Katzenmädchen zuckte leicht mit den Schultern. "Vielleicht...mal sehen," meinte sie schmunzelnd. "Würde ich richtig gut finden!" krähte Lars und zur Abwechslung war ich es nun, die mal jemanden packte und mitzerrte. "Nerv sie nicht, Trollnase. Komm, wir gehen Tannenzapfen sammeln, dann kannst du nachher basteln." "Au ja, basteln!" Ich warf Keena noch einen kurzen Blick zu. Sie hob sachte die Hand und ich winkte ebenfalls knapp. Dann drehte ich mich um, drückte den übermütigen Lars sachte an mich und steuerte auf den Marktplatz zu. Ich drehte mich nicht um. Was Keena und Papa wohl zu bereden hatten...ich erfuhr es nie. Die erwartete Standpauke traf nicht ein und Papa verlor niemals wieder ein Wort über die Sache. Doch auch Jahre später erinnerte ich mich noch, dass er an diesem Abend besonders nachdenklich gewesen war und mit Mama weitaus früher als sonst das Schlafgemach aufgesucht hatte. Auch der Mistkerl Leif tauchte trotz seiner bösen Ankündigungen nicht bei uns auf. Und Keena? nun...ich sah sie an diesem Abend nicht wieder, auch am nächsten und übernächsten nicht. Nach mehreren Wochen hatte ich aufgehört, daran zu glauben, dass wir uns irgendwann wieder treffen würden. Und noch später, nach ein paar Monaten, hatte ich sie fast gänzlich vergessen. Denn nun standen mir andere Dinge bevor. Meine Ausbildung sollte beginnen und ich durfte Vasudheim endlich verlassen. Ich würde selbstständig sein und das tun, was ich schon immer tun wollte: Einer Gilde beitreten und mit ihr nach Albion oder Hibernia reisen...mein Leben konnte beginnen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)