Mondscheinkinder von MangaEngel ================================================================================ Kapitel 16: Mit anderen Augen ----------------------------- Es war seltsam gewesen.... Der Abend nach Masas Operation... Es war ein sehr komisches Gefühl, dass er mich anscheinend wirklich sehen konnte, mich mit seinen Augen wirklich sehen konnte. Allerdings blieb dieser Chip nur 5 Tage drin und danach war er wieder, wie vorher, auf seine Hände und sein Gehör angewiesen. Und ich fühlte mich mies bei dem Gedanken, dass mich diese Tatsache freute. Doch Masa hatte es gelassen hingenommen, aber das wunderte mich auch nicht, er hatte diese Prozedur, wenn ich mich richtig erinner, bereits ein paar Mal durchgemacht, schließlich ist er schon zwei Jahre hier. Und trotzdem missfiel mir meine Freude um die zurückgekehrte Finsternis vor Masas Augen. Heute ist jedenfalls Wandertag, heißt, alle ausser mir und denen, die nicht weg wollen, waren ausgegangen. Ich würde sehr gerne mitgehen, in ein Kino oder einen Park, Eis in der Sonne essen und mich von fröhlichen Eltern abholen lassen. Doch das lag, wenn überhaupt, in weit entfernter Zukunft. Masa und Mary waren auch da geblieben, vermutlich mir zuliebe, wie alle Wandertage davor auch, doch es machte mich etwas traurig, dass sie sich wegen mir nicht in der Sonne amüsieren konnten. „Sie sind da!“ Ich zuckte erschrocken zusammen. Bis gerade eben hatten Masa und ich uns noch mit „Ich schreib auf deinen Rücken“ beschäftigt, Mary hatte dabei auf der Fensterbank gesessen und nach draußen in den Hof gestarrt. Jetzt war sie allerdings jubelnd aufgesprungen und flitzte aus dem Zimmer. „Anscheinend.“ sagte Masa amüsiert und ich brauchte eine Weile, ehe ich verstand, dass Masa auf Marys ausruf antwortete. Er stand auf und folgte ihr langsam, sagte beim Rausgehen noch „Vergiss deine Maske nicht“. Verwirrt folgte ich ihm durch die Klinik in die Eingangshalle, draußen stand ein großer metallicblauer Jeep, wo Leute ausstiegen und Mary umarmten. „Ihre...Familie?“ fragte ich vorsichtig und Masa nickte. Sechs Leute standen mittlerweile im Hof und kamen, begleitet von mary, auf die Klinik zu. Sie schienen in genau drei Generationen eingeteilt worden zu sein: Großeltern, Eltern, Kinder. Die Jüngsten waren zwei kleine Jungen, Zwillinge. Sie waren kleiner und jünger als Mary, hatten dunkelblondes strubbeliges Haar, einer ein rotes, der Andere ein blaues Top, doch beide hatten Marys Mandelaugen. Das Paar im mittleren Altern waren wohl Marys Eltern. Ihre Mutter hatte dunkelbraunes Haar, braune Augen und trug ein pastellgelbes Sommerkleid mit Strohhut. Ihr Vater dagegen hätte glatt auch Masas Vater sein können. Groß, schwarze Kurzhaarfrisur, Mandelaugen und in einem lässigen Poloshirt mit Caprihose gekleidet. Die letzten Zwei waren wohl die Großeltern und sie waren klar die Eltern ihrer Mutter. Beide hatten weißgraues Haar, doch Marys Oma hatten einen Goldstich im Haar, der wohl den Zwillingen ihre blonden Haare geschenkt hatte. Sie hatte blaue Augen,eine Dauerwelle und trug eine bestickte Bluse mit Rock, Marys Opa hatte eine Halbglatze, kastanienfarbige Augen und trug ein normales Hemd mit Jeans. Fröhlich redend betraten sie die Eingangshalle und erst jetzt fiel mir auf, dass Marys Mutter einen großen Karton trug. Die Zwillinge waren zuerst im Raum und kaum, dass sie Masa und mich sahen, stürmten sie zu uns und warfen sich Masa jauchzend um den Hals, welcher sie auf seine Arme hob und die Knuddelein sichtlich genoss. Spontan dachte ich, dass er wohl sicher ein guter Vater sein könnte, ganz genau wie Marys Vater. „Das ist dein neuer Mitbewohner?“ fragte Marys Mutter, als alle schließlich die Halle betreten hatten. Mary lief fröhlich auf mich zu, umarmte mich und meinte glücklich: „Ja, das ist Kai Bijnens!“ Ich wurde aufgrund dieser komischen Vorstellung rot, doch das sah zum Glück keiner, da ich ja meine Maske trug. Marys Familie kam zu mir, jeder schüttelte mir zur Begrüßung die Hand, stellten sich vor und begrüßten dann auch Masa. „Genug geredet! Ich habe euch was mitgebracht!“ meinte plötzlich Marys Mutter, die mich aufgefordert hatte, sie Jane zu nennen. Wir gingen in die, diesmal völlig leere, wenn man das Personal ignorierte, Mensa, schoben zwei Tische aneinander und setzten uns an diese. Jane öffnete die Kiste, wo eine riesige Dose, Spiele und ein paar verpackte Päckchen drin waren. Fast schon feierlich gab sie Mary und Masa jeweils ein Päckchen und zu meiner großen Überraschung bekam auch ich eins. Ich zögerte, als zweifle ich den Adressaten an, doch Marys Mutter sah mir nur aufmunternd zu, wie ich verwirrt das Päckchen ansah. Mary riss bereits vergnügt das Papier ab, Masa dagegen schien wohl durch Abtasten schon rauszufinden, was drin war. Ich wartete noch etwas, um sicher zu gehen, dass es wirklich kein Versehen war, dass ich eins bekam, ehe ich langsam das Papier entfernte. Es war schwierig, mit den dicken Handschuhen das Klebeband abzuziehen, doch schließlich hatte ich ungefähr den Dreh raus. Mary jubelte mittlerweile, sie hatte eine Dose mit der Aufschrift „Aquarell“ vor sich liegen und umarmte gerade ihre Eltern nacheinander. Auch Masa begann versessen, sein Packet zu öffnen, er wusste wohl schon den Inhalt und der war anscheinend gut. Ich sah ihm zu, ehe er ein seltsames Pappkästchen mit Bildern und Namen in der Hand hielt. „Wow, Minestra! Deine Lieblingsband!“ meinte Mary sichtlich vergnügt und auch Masa bedankte sich höflich bei Marys Eltern, die nicht weniger Spass an dem Trubel hatten als ihre Tochter. Doch plötzlich sahen alle zu mir, denn ich war der Letzte, der es noch nicht geöffnet hatte. Ich zögerte, mir gefiel es nicht, wie mich alle anstarrten, doch ich versuchte, mich abzulenken, die Neugierde, was in dem bunten Papier verborgen sein könnte, war zu groß. Es war jedenfalls etwas schweres und es war auch groß. Ich wickelte das letzte Stück Papier ab...und hielt ein Buch in der Hand. „Faszination Erde“ stand in Großbuchstaben drauf, der Rest des Umschlags zeigte ein Spinnennetz, an dem Tropfen hingen, die glitzerten. Das Bild faszinierte mich, wie der Titel es schon sagte und ich öffnete das Buch langsam, blätterte es durch. Es bestand nur aus Fotos, Tiere, Landschaften, Menschen und ähnliches waren in diesem abgebildet. Viele Tiere kannte ich gar nicht, beeindruckende Paläste prangten in großen Stadtmetropolen und vor Wüstenähnlichen Landschaften ging gerade die Sonne gold glänzend mit einem blutrotem Himmel unter. Ich blätterte es durch, sah jede Seite an, fast wie besessen versuchte ich, das Gesehene zu verarbeiten. Tiere zerissen andere Tiere und pflegten liebevoll ihre Jungen, gewaltige Urwälder und karge Wüsten, ein strahlend blauer Himmel und finstere Gewitterwolken... Die ganze Welt schien in diesem Buch zu sein, die ganze Welt, die ich nie sehen konnte, nie sehen durfte und darf. „Gefällt es dir?“ fragte Marys Vater, Neville, mich etwas unsicher. „Wir waren uns nicht sicher, was wir dir mitbringen könnten und naja...da du das Haus ja nur schwer verlassen kannst, um mal in Urlaub zu fahren...dachten wir uns, dieses Buch könnte dir gefallen...“ Er und auch Marys Mutter schauten mich etwas ratlos an, wegen meiner Maske konnten sie schließlich nicht wissen, wie ich das Buch aufnahm, ob ich es vielleicht nicht mochte. Plötzlich nahm mich Masa in den Arm und strich mir beruhigend über den Kopf. Ich war erst verwirrt, warum, ehe mir bewusst wurde, dass mir Tränen über das Gesicht liefen, dass ich einen dicken Kloß im Hals hatte und nur schwer schlucken konnte. Ich brauchte kurz etwas, um mich zu sammeln, Marys Familie sah mich, durch Masas Aktion zusätzlich verwirrt, verunsichert an. „Es...Es ist schön... Sehr schön...“ meinte ich und merkte selbst, dass meine Stimme zitterte. Ich setzte noch ein „Danke“ hinterher und Marys Eltern und auch die Anderen waren nicht nur erleichtert, sondern schienen sich sichtlich zu freuen. Nachdem ich mich etwas beruhigt hatte und mir unter der Maske die Tränen weggewischt hatte, befreite ich mich von Masa und sah wieder in das Buch, strich bedächtig über die letzte Seite, die einen gewaltigen Schwarm Flamingos zeigte, welcher gerade vor einer riesigen Sonne flog. Eine riesige Sonne aus weiß und gelb, stahlend hell, so dass die Flamingos nur Schatten sind und selbst diese verblassen. Ihr Licht bricht sich in dem Bild durch die Vögel und sendet kreisförmige Strahlen in alle Richtungen. Und das alles, ohne auch nur einem der Tiere Schaden zuzufügen. Selbst mir schmerzt es nicht. Ich blätterte weiter, auf der linken Seite schwamm gerade ein bunter Fischschwarm durch ein noch bunteres Korallenriff, auf der anderen Seite lag ein Leopard dösend auf einem Baum. Diese Dinge waren an sich so nah, in jedem Zoo könnte ich vermutlich solche Szenerien sehen...Sie waren so nah...Doch näher als in diesem Buch würde ich sie wohl nie bekommen. Nicht vor vielen, womöglich tödlichen, Experimenten an meiner Haut. Ich war mir nicht sicher, ob Jane und Neville klar war, was sie mir geschenkt hatten, doch für mich stand fest, dass ich dieses Buch wie einen Schatz hüten würde. Wie der Schlüssel zu einem verborgenen, wunderbaren Paradies, dass niemand betreten darf. Und einmal mehr begriff ich, wie Masa sich bei dem Gedanken, sehen zu können, fühlen muss. Eine Sehnsucht, stärker als die Angst vorm Tod, überwältigend und risikoreich. Doch die Hoffnung, der Wunsch auf Erfüllung, ist mächtiger und macht das Wünschen wünschenswert. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)