Liebe wie Gurkensushi von Memphis (YUAL mit BxB-Oneshots!) ================================================================================ Kapitel 29: Was man verdient ---------------------------- Würde man Woitschek fragen, warum das Leben immer so ungerecht war, hätte er eine gute Antwort, eine sehr gute sogar. Aber niemand fragte ihn. Warum auch? Woitscheks Leben war nicht ungerecht. Er bekam, was er verdiente, und das wusste er. Was die anderen nicht wussten: Er wusste, warum sie nicht bekamen, was sie verdienten. Aber wir wollen nicht über Woitschek reden. Er weiß zu viel. Wir reden über Gabriel. Er weiß zu wenig, vor allem weiß er nicht, warum das Leben ihn so gerne fickte. Würde man Woitschek fragen - was wir nicht tun - liegt das daran, dass Gabriel so schön war. Woitschek und Gabriel waren sowas wie Bekannte, vielleicht sogar ein bisschen befreundet. Genau genommen, waren Freunde von ihnen miteinander befreundet. Sie waren also Freunde von Freunden. Freunde zweiten Grades. Sie hatten nicht einmal Handynummern miteinander getauscht. Woitschek fand auch nicht, dass das nötig war. Wer telefonierte heutzutage noch? Außerdem hatte Gabriel momentan gar kein Handy. Sein letztes war bei einem tragischen Unfall ertrunken. Es hieß “Drecksteil”. Es war schwer zu sagen, ob Gabriel der Verlust von Drecksteil wirklich schmerzte. Wahrscheinlich nur in dem Sinne, dass er nicht das Geld hatte, sich ein neues zu kaufen. Und ohne Handy war man tot für die Welt, so war Gabriel im Grunde mit ertrunken für all die Leute, die ihn über sein Handy erreichen wollten. Das waren deutlich mehr, als Gabriel zunächst erwartet hatte. Er kannte viele Leute. Er machte viel mit anderen Leuten. Aber für so etwas, musste man auch wissen, wann man zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort war. Anders wie Woitschek schaffte er das leider nur durch Telekommunikation. So verbrachte er seinen Samstagabend mit der Angst im Nacken, dass die Welt ihn vergessen hatte. Und die Angst wäre berechtigt gewesen, wäre Gabriel nicht so schön. Schöne Menschen vergaß die Welt nicht so schnell. Zumindest wenn man Woitschek großzügig als die Welt bezeichnen wollte. “Hallo Gabriel”, begrüßte dieser nämlich gerade die Schönheit. Gabriel war verwirrt. Woitschek hatte ihn noch nie besucht. Er wusste nicht einmal, ob er wollte, dass Woitschek ihn besuchte. Alle sagen, er war seltsam. Unrecht taten sie ihm damit nicht. “Hallo.” “In einer halben Stunde geht eine Party los, bei der du dabei sein wirst.” Woitschek dachte sich, es wäre gut Gabriel davon in Kenntnis zu setzen. “Ist das so?” Gabriel konnte die Aussage nicht so richtig einordnen. “In der Tat.” Woitschek nickte, um das Gesagte zu unterstreichen. Dann reichte er Gabriel einen Zettel. Eine Adresse war darauf gekritzelt. Gabriel kannte die Adresse. Dort wohnte einer seiner besten Freunde. Feierte er etwa ohne Gabriel eine Party? “Danke”, sagte die Schönheit mit belegter Stimme. Er war wirklich vergessen worden, oder? “Viel Spaß!” Mit einem Grinsen verabschiedete sich Woitschek, hob noch kurz die Hand zum Abschied. Gabriel musste sich für eine Party fertig machen. Eine halbe Stunde war nicht viel Zeit. Woitschek war nicht dort. Gabriel würde die Unwahrheit sagen, wenn er behaupten würde, dass ihn das betrübte. Gabriel war es egal. Woitschek war ihm egal. Er ist immerhin nur ein Freund eines Freundes, der ihn netterweise eingeladen hatte. Es kam sowieso generell selten vor, dass sie miteinander sprachen. Also nichts was Gabriel vermisste, besonders nicht, weil er gerade Angela kennen lernte. “Gabriel und Angela!” Woitschek lachte laut. “Gabriel und Angela! Das ist fantastisch!” Woitschek klatsche voller Begeisterung in die Hände. Er erntete Blicke, nicht alle positiver Natur. “Was ist so komisch daran, Woitschek?”, fragte Anastasia vorsichtig. Der Angesprochene wurde still, aber noch immer liefen Lachtränen über sein Gesicht. Er beugte sich zu ihr vor, winkte sie mit zwei Fingern noch etwas näher zu sich. Die Frau kam der Aufforderung zögerned nach. “Ein Engel und Engel!”, rief er plötzlich. Anastasia zuckte von ihm zurück, ihre Augen weit aufgerissen. Woitschek blieb gewöhnungsbedürftig, selbst für die Leute, die ihn schon lange kannten. Und schon wieder hatte er die Geschichte auf sich gelenkt. Es geht um Gabriel und, tatsächlich auch, um Angela. Engel und Engel, wie Woitschek so treffen formuliert hat. Gabriel himmlisch schön. Angela mit einem tiefen Gottvertrauen in ihn. Würde man Woitschek fragen, was niemand aus offensichtlichen Gründen tat, war das keine Kombination “made in heaven”. Aber grandios, wie er fand. Um das zu verstehen, musste man natürlich noch etwas mehr über Angela erfahren. Am besten fing man hier in ihrer Kindheit an. Nichts beschrieb eine Person besser, als ihre Kindheit kennen zu lernen. Als Angela acht Jahre war, hätte ihre Mutter die Möglichkeit gehabt, ihr eine Packung Gummibärchen mitzubringen. Sie hatte sich dagegen entschieden. Ihre Tochter sollte in keinem Fall dick werden. Es hatte funktioniert. Angela war nie dick geworden. Im Grunde genommen eine sehr ansehnliche Frau. Braune, glatte Haare. Große, dunkle Rehaugen. Ihre Nase war keine Stupsnase, aber passte in ihr schmales Gesicht. Würde man Angela darum bitten, sich selbst zu beschreiben, würde das anders klingen. Aber ihre Familie war nie groß mit Worten, auch Angela nicht. Angela war unser stilles Mauerblümchen, das mit der richtigen Pflege zu einer beeindrucken Ranke hätte werden können, die Stein und Mörtel davon sprengt und sich die Mauer zu eigen macht. Immer noch still, aber mächtig und fest verwurzelt. Gabriel, wie man sich denken kann, hatte keine Ahnung, wie man mit Pflanzen umging. Hätte er bloß einmal Woitschek gefragt … Dafür strahlte Gabriel mit seiner Schönheit so sehr, dass man ihn für eine Sonne halten konnte. Auf jeden Fall schien in Angela ein Aufblühen bemerkbar zu sein. Das hielt solange, bis Gabriels Strahlen auf einen anderen Engel fiel. Nicht das sich Gabriel und Angela deshalb getrennt hätten. Angela war eine gute Freundin. Beständig. Aufmerksam. Liebevoll. Belastbar. Ignorant. Angela und Gabriel sprachen nicht darüber. Sie weinte heimlich. Er fickte heimlich. Heimlich. “Niemand fragt mich. Ich erkläre euch es jetzt trotzdem.” Woitschek brannte schon die ganze Party über, das endlich los zu werden. “Die meisten Menschen kriegen nicht das, was sie verdienen.” Er bekam zustimmendes Nicken. Immerhin hatte jeder das Gefühl benachteiligt zu werden. “Ich bin eine Ausnahme, aber dazu später. Ich möchte euch etwas zu einem Freund eines Freundes erzählen, den ich mal auf eine Party eingeladen habe.” Ein neugieriges Nicken seitens der Zuhörer. “Auf dieser Party hat er ein Mädchen kennen gelernt. Und beide, beide haben sie nicht bekommen, was sie verdient haben.” “Oh, was ist passiert?” ”Hat sich das Mädchen in einen anderen verliebt?” “Haben sie sich getrennt?” “Hat er sich nicht getraut sie anzurufen?” Die Zuhörer warfen noch mehr Fragen in diese Richtung ein. Alle gingen sie von einer gescheiterten Beziehung aus. Nun ja, gescheitert in dem Sinne, dass sie sich getrennt hätten oder nie richtig verliebt. “Nein, nein. Nichts dergleichen. Sie sind ein Paar.” Woitschek lächelte beruhigend. Er erzählte hier keine deprimierenden Trennungsgeschichten. “Aber ich habe eine Frage an euch.” Er legte eine Pause ein, um die Aufmerksamkeit noch mehr auf sich zu ziehen. Doch in der kleinen Küche voller Leuten war er der Mittelpunkt. Woitschek war gewöhnungsbedürfig, seltsam, aber wollte er einmal etwas erklären, wonach niemand gefragt hatte, sollte man ihm zuhören. Das wussten alle. “Nun frag schon, Mann”, quengelte jemand. “Hat ein Mann, eine treue, liebevolle Freundin verdient, die er betrügt und hat eine treue, liebevolle Partnerin einen Freund verdient, der sie betrügt?” Kopfschütteln war die kollektive Antwort. Und nachdenkliches Schweigen. Gabriels und Woitscheks Blicke treffen sich. Angela war nicht da, sonst hätte Woitschek niemals darüber gesprochen. Woitschek war wütend. “Und warum bekommst du, was du verdient hast?”, fragte Gabriel. Provokation lag in seiner Stimme. Er fühlte sich angegriffen. Zurecht. Woitschek hatte ihn angegriffen. “Weil ich Konsequenzen trage, Arschloch.” Und Woitschek trug seine Konsequenzen mit einem blauen Augen, einem abgebrochnen Zahn und einer blutigen Nase. Auch wenn man darüber streiten konnte, wie sehr er das verdient hatte. Immerhin hatte er nur die Wahrheit gesagt. Aber Woitschek war nicht nach streiten. Den zwei Engeln leider auch nicht. Mittlerweile haben sie einen eigenen kleinen Engel, der ohne etwas daran ändern zu können, nie das bekommen wird, was er verdient hätte: Eine glückliche Familie. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)